TE Vwgh Beschluss 2020/12/15 Ra 2020/21/0079

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Veröffentlicht am 15.12.2020
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Index

E000 EU- Recht allgemein
E3L E19103000
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

B-VG Art133 Abs4
EURallg
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z2
FrPolG 2005 §76 Abs6
VwGG §34 Abs1
32013L0033 Aufnahme-RL Art8 Abs3 litd

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pelant und den Hofrat Dr. Sulzbacher als Richter sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterin, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision des M K, zuletzt in W, vertreten durch Mag. Peter Abpurg, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Kolingasse 1/8a, gegen das am 7. Jänner 2020 mündlich verkündete und am 10. Februar 2020 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts, G301 2227071-1/7E, betreffend Schubhaft (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein afghanischer Staatsangehöriger, wurde am 23. Oktober 2019 in einem Nachtzug von Wien nach Mailand bei einer Kontrolle ohne Dokumente angetroffen und festgenommen. Noch am selben Tag wurde gegen ihn mit um 11:10 Uhr ausgefolgtem und sogleich in Vollzug gesetztem Mandatsbescheid gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG die Schubhaft zum Zweck der Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme und der Abschiebung verhängt. Um 11:20 Uhr stellte der Revisionswerber einen Antrag auf internationalen Schutz.

2        Bei der Erstbefragung gab er an, sein Heimatdorf aus Furcht vor den Taliban verlassen zu haben. Nach der Ausreise aus Afghanistan im Jahr 2015 habe er zunächst vier Jahre in der Türkei gelebt, wo er erfolglos um Asyl angesucht habe. Danach sei er über Griechenland, Nordmazedonien, Serbien und Ungarn nach Österreich gekommen.

3        Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) verfasste einen - dem Revisionswerber übergebenen - Aktenvermerk, wonach die Schubhaft gemäß § 76 Abs. 6 FPG aufrechterhalten werde, weil davon auszugehen sei, dass der Antrag auf internationalen Schutz mit Verzögerungsabsicht gestellt worden sei.

4        Der Antrag auf internationalen Schutz wurde mit Bescheid des BFA vom 9. November 2019, bestätigt mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 2. Dezember 2019, vollumfänglich abgewiesen. Es ergingen eine Rückkehrentscheidung und die Feststellung gemäß § 52 Abs. 9 FPG, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei.

5        Am 31. Dezember 2019 erhob der Revisionswerber eine Beschwerde gemäß § 22a BFA-VG gegen die Anhaltung in Schubhaft seit dem 23. Oktober 2019, 11:20 Uhr. Er bestritt darin, den Antrag auf internationalen Schutz in Verzögerungsabsicht gestellt zu haben.

6        Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab, und es stellte gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG fest, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlägen. Weiters verpflichtete es den Revisionswerber zum Aufwandersatz gegenüber dem Bund.

7        In der Begründung führte das Bundesverwaltungsgericht insbesondere aus, es habe sich in der mündlichen Verhandlung unzweifelhaft ergeben, dass der Revisionswerber nach Erlassung des Schubhaftbescheides und während aufrechter Anhaltung den Antrag auf internationalen Schutz ausschließlich zum Zweck der Vereitelung bzw. jedenfalls zur Verzögerung einer ihm drohenden Abschiebung nach Afghanistan gestellt habe. Er habe bereits in der Türkei einen letztlich erfolglosen Asylantrag gestellt, weshalb davon ausgegangen werden könne, dass er mit der rechtlichen Möglichkeit der Stellung von Asylanträgen vertraut gewesen sei. Dennoch habe er in keinem der zahlreichen europäischen Staaten, in die er gereist sei, einen Antrag gestellt, obwohl kein Grund ersichtlich sei, weshalb er dies nicht hätte tun können, wenn er wirklich begründete Furcht vor Verfolgung im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat gehabt hätte. Letztlich sei ihm vorzuhalten, dass er sich bereits vor seiner beabsichtigten Reise nach Italien in Österreich aufgehalten, aber wiederum keinen Antrag auf internationalen Schutz gestellt habe. Vielmehr habe er bis zum Zeitpunkt seiner Festnahme ganz offensichtlich nicht die Absicht gehabt, in Österreich zu bleiben. Erst nach seiner Festnahme und der Verhängung von Schubhaft habe er den Antrag auf internationalen Schutz gestellt, der mittlerweile bereits rechtskräftig vollumfänglich abgewiesen worden sei. Es habe daher davon ausgegangen werden können, dass die Motivation des Revisionswerbers für die Antragstellung ausschließlich darin gelegen sei, damit eine drohende Aufenthaltsbeendigung bzw. Abschiebung in seinen Herkunftsstaat zu verhindern oder jedenfalls zu verzögern.

8        Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

9        Nach der genannten Verfassungsbestimmung ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich (u.a.) wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG „nicht zur Behandlung eignen“, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

10       An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen dieser in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).

11       Unter diesem Gesichtspunkt wird in der Revision geltend gemacht, im Anwendungsbereich des § 76 Abs. 2 Z 1 FPG müsse eine spezielle Verhältnismäßigkeitsprüfung durchgeführt werden. Dabei müsse berücksichtigt werden, dass durch die Asylantragstellung wieder ein Bleiberecht im Sinn der Verfahrensrichtlinie entstehe. Der faktische Abschiebeschutz sei dem Revisionswerber nicht aberkannt worden. Eine spezielle Verhältnismäßigkeitsprüfung, wie in derartigen Fällen vom Verwaltungsgerichtshof verlangt, sei aber weder vom BFA noch vom Bundesverwaltungsgericht vorgenommen worden.

12       Diesem Vorbringen ist zunächst zu erwidern, dass im vorliegenden Fall keine Schubhaft nach § 76 Abs. 2 Z 1 FPG, sondern die gemäß § 76 Abs. 6 erfolgte Aufrechterhaltung einer nach § 76 Abs. 2 Z 2 FPG verhängten Schubhaft zu beurteilen war. Der Verwaltungsgerichtshof hat zwar schon ausgesprochen, dass auch in solchen Konstellationen, in denen ebenfalls die Verfahrenssicherung im Vordergrund steht, insoweit eine besondere Verhältnismäßigkeitsprüfung stattzufinden hat, als dabei auch die Frage der voraussichtlichen Dauer des Asylverfahrens bzw. eines dem Asylwerber weiterhin zukommenden „Bleiberechts“ einzubeziehen ist (vgl. VwGH 19.9.2019, Ra 2019/21/0204, Rn. 17). Da das Asylverfahren des Revisionswerbers aber schon mit Bescheid des BFA vom 9. November 2019 - etwas mehr als zwei Wochen nach Beginn der Schubhaft - erstinstanzlich und schließlich mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 2. Dezember 2019 rechtskräftig negativ erledigt wurde, war an der Verhältnismäßigkeit der Schubhaft unter diesem Gesichtspunkt nicht zu zweifeln.

13       Soweit in der Zulässigkeitsbegründung der Revision weiters vorgebracht wird, es hätte die regelmäßige Meldung auf einer Polizeistation als gelinderes Mittel ausgereicht, wird außer Acht gelassen, dass der Revisionswerber nach den unbestrittenen Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichts über keine nennenswerten Bindungen in Österreich verfügte und schon bisher eine große Mobilität durch die illegale Reise in mehreren Staaten zeigte. Das stand fallbezogen der Anordnung eines gelinderen Mittels anstelle der Schubhaft entgegen.

14       Nicht in der gesonderten Darstellung der Gründe für die Zulässigkeit der Revision, sondern nur in den Revisionsgründen wird dann noch in Abrede gestellt, dass der Antrag auf internationalen Schutz ausschließlich zum Zweck der Verzögerung der Abschiebung gestellt worden sei. Dazu ist der Vollständigkeit halber anzumerken, dass die diesbezügliche, unter Verwertung des in der mündlichen Verhandlung gewonnenen persönlichen Eindrucks vorgenommene Beweiswürdigung des BVwG nicht als unschlüssig anzusehen ist (vgl. zu diesem Prüfungsmaßstab - ebenfalls einen Fall nach § 76 Abs. 6 FPG betreffend - VwGH 29.9.2020, Ro 2020/21/0011, Rn. 15). Dabei durfte vor allem berücksichtigt werden, dass der Revisionswerber schon vor seiner Festnahme mehrfach Gelegenheit gehabt hätte, einen Antrag auf internationalen Schutz zu stellen. Diese Tatsache zählt nämlich nach Art. 8 Abs. 3 lit. d der Aufnahme-RL (Richtlinie 2013/33/EU), der mit § 76 Abs. 6 FPG umgesetzt wird (vgl. dazu schon VwGH 31.8.2017, Ro 2017/21/0004, 0013, Rn. 20), ausdrücklich zu den objektiven Kriterien für die Annahme einer Verzögerungs- oder Vereitelungsabsicht.

15       In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 15. Dezember 2020

Schlagworte

Gemeinschaftsrecht Richtlinie richtlinienkonforme Auslegung des innerstaatlichen Rechts EURallg4/3

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020210079.L00

Im RIS seit

02.02.2021

Zuletzt aktualisiert am

02.02.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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