TE Vwgh Beschluss 2020/12/16 Ra 2020/19/0313

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Veröffentlicht am 16.12.2020
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte

Norm

B-VG Art133 Abs4
MRK Art2
MRK Art3
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth sowie die Hofräte Mag. Stickler und Dr. Faber als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, in der Revisionssache der J O, vertreten durch Dr. Bernhard Hundegger, Rechtsanwalt in 9500 Villach, Peraustraße 33, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 22. Juli 2020, I412 2227204-2/3E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Die in Österreich geborene Revisionswerberin, eine nigerianische Staatsangehörige, stellte am 10. Dezember 2019 einen Antrag auf internationalen Schutz. Begründend brachte sie vor, ihre Fluchtgründe seien dieselben wie jene ihrer Mutter und ihrer Halbschwester. Sie habe aber keine Fluchtgründe bezüglich Nigeria, da sie in Österreich geboren worden sei und daher „dort nicht verfolgt wurde“. Der Aufenthaltsort des Vaters sei nicht bekannt. Eine Rückkehr nach Nigeria sei für eine alleinstehende Mutter mit zwei Kindern „unvorstellbar“.

2        Mit Bescheid vom 22. Juni 2020 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag der Revisionswerberin ab, erteilte ihr keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen sie eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass ihre Abschiebung nach Nigeria zulässig sei, und setzte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.

3        Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen erhobene Beschwerde ohne Durchführung einer Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

4        Das BVwG stellte - soweit hier maßgeblich - fest, die Mutter der Revisionswerberin habe erstmals am 20. August 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt, den sie mit wirtschaftlichen Motiven und Angst vor Terror begründet habe. Dieser Antrag sei mit Erkenntnis des BVwG vom 8. August 2017 „negativ entschieden“ worden. Nach der Geburt der Halbschwester der Revisionswerberin habe die Mutter neuerlich für sich und dieses Kind einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt. Dabei seien keine neuen Fluchtgründe vorgebracht worden. Die Mutter habe ihren Antrag aber damit begründet, dass ihr eine Rückkehr mit einem Kleinkind unmöglich sei. Auch diese Anträge seien mit Erkenntnissen des BVwG vom 11. April 2018 „negativ entschieden“ worden. Am 25. Juni 2019 hätten die Mutter und die Halbschwester der Revisionswerberin Folgeanträge gestellt, welche die Mutter damit begründet habe, sie sei wieder schwanger, habe in Nigeria niemanden und würde mit bald zwei Kleinkindern ohne Unterstützung von Angehörigen auf der Straße verhungern. Diese Anträge seien mit Erkenntnissen des BVwG vom 14. August 2019 wegen entschiedener Sache zurückgewiesen worden. Die dagegen erhobenen Revisionen wurden mit hg. Beschluss vom 9. Jänner 2020, Ra 2019/14/0476 bis 0477, zurückgewiesen.

5        Die Revisionswerberin habe sich auf die Fluchtgründe ihrer Mutter und Halbschwester gestützt, über die bereits rechtskräftig entschieden worden sei. Eigene Fluchtgründe habe sie nicht vorgebracht.

6        Das BVwG traf Feststellungen zu Nigeria, die es auf das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation stützte. Rechtlich folgerte das BVwG, es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass der Revisionswerberin im Fall einer Rückkehr nach Nigeria mit ihrer Mutter die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen würde und damit ihre Rechte nach Art. 3 EMRK verletzt würden. Auch eine Rückkehrerin mit Kleinkind könne in Nigeria auf diverse Hilfseinrichtungen zurückgreifen und werde bei der Wiedereingliederung in die Gesellschaft bzw. am Arbeitsmarkt unterstützt. Es bestünde auch die Möglichkeit familiärer Unterstützung.

7        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

8        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

9        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

10       Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit in Bezug auf die Nichtzuerkennung des Status der Asylberechtigten - unter Berufung auf die Länderfeststellungen des Bescheides des BFA vom 22. Juni 2020 - vor, die Revisionswerberin wäre auf Grund der schlechten Situation von Kindern in Nigeria der Gefahr von Verfolgung und auch der Gefahr geschlechtsspezifischer Verfolgung ausgesetzt. Mit diesem Vorbringen legt die Revision aber auch vor dem Hintergrund der Länderfeststellungen des genannten Bescheides nicht konkret dar, dass Kinder wie die Revisionswerberin in Nigeria von asylrelevanter Verfolgung bedroht wären oder dass gerade die Revisionswerberin von einer solchen Verfolgung bedroht wäre.

11       In Bezug auf die Nichtzuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten bringt die Revision - ebenfalls unter Berufung auf den genannten Bescheid - zur Zulässigkeit vor, Frauen würden benachteiligt und müssten entwürdigende Zeremonien über sich ergehen lassen, häusliche Gewalt und Kinderarbeit seien weit verbreitet, und die Rechte von Kindern würden nicht geschützt. Auf Grund dieser Missstände sei es der Revisionswerberin nicht möglich, „in das betreffende Gebiet“ zu reisen und sich dort niederzulassen, ohne sich tatsächlich der Gefahr einer Misshandlung auszusetzen.

12       Um von der realen Gefahr („real risk“) einer drohenden Verletzung der durch Art. 2 oder 3 EMRK garantierten Rechte eines Asylwerbers bei Rückkehr in seinen Heimatstaat ausgehen zu können, reicht es nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes nicht aus, wenn eine solche Gefahr bloß möglich ist. Es bedarf vielmehr einer darüber hinausgehenden Wahrscheinlichkeit, dass sich eine solche Gefahr verwirklichen wird (vgl. VwGH 5.10.2020, Ra 2020/19/0330, mwN).

13       Die Revision zeigt mit ihrem bloß allgemein gehaltenen Vorbringen nicht auf, auf Grund welcher die Revisionswerberin konkret betreffender Umstände bei ihr eine solche Gefahr bestehen würde.

14       In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 16. Dezember 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020190313.L00

Im RIS seit

26.01.2021

Zuletzt aktualisiert am

26.01.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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