TE Vwgh Beschluss 2020/12/18 Ra 2020/19/0332

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Veröffentlicht am 18.12.2020
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §11
B-VG Art133 Abs4
MRK Art3
MRK Art8
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth sowie den Hofrat Dr. Pürgy und die Hofrätin Dr.in Sembacher als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, in der Revisionssache des A H in W, vertreten durch Mag.a Sarah Kumar, Rechtsanwältin in 8010 Graz, Schießstattgasse 30/1, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 2. März 2020, W107 2194029-1/15E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 3. November 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Begründend brachte er vor, von den Taliban mit dem Tod bedroht worden zu sein. Sie hätten von ihm verlangt, mit ihnen zusammenzuarbeiten, woraufhin er geflüchtet sei.

2        Mit Bescheid vom 23. März 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Revisionswerbers zur Gänze ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.

3        Die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit dem nunmehr in Revision gezogenen Erkenntnis als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

4        Begründend führte das BVwG im Wesentlichen aus, es könne nicht festgestellt werden, dass der Revisionswerber in seinem Herkunftsstaat jemals einer konkret gegen seine Person gerichteten Bedrohung oder Verfolgung auf Grund seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder einer politischen Gesinnung ausgesetzt gewesen sei oder ihm im Fall seiner Rückkehr eine solche drohe. Der Revisionswerber sei zwar im Iran geboren, jedoch mit 19 Jahren nach Kabul gezogen, wo er bis zu seiner Ausreise im Jahr 2015 aufhältig gewesen sei und gearbeitet habe. Er sei daher nach wie vor mit den örtlichen und infrastrukturellen Gegebenheiten seines letzten Aufenthaltsortes vertraut. Der Revisionswerber sei ein gesunder, junger Mann, der über Schulbildung und mehrjährige Berufserfahrung verfüge. Es sei ihm daher auch möglich, in Kabul allenfalls mit Hilfe der dort ansässigen Verwandten - wie schon 2015 - einen Arbeitsplatz zu finden. Es bestehe für den Revisionswerber eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul, Herat und Mazar-e Sharif. In Bezug auf die Rückkehrentscheidung sei davon auszugehen, dass die Interessen des illegal eingereisten, nur auf Grund des gestellten Antrages auf internationalen Schutz aufenthaltsberechtigten Revisionswerbers an einem Verbleib im Bundesgebiet gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen aus der Sicht des Schutzes der öffentlichen Ordnung in den Hintergrund zu treten hätten.

5        Der Revisionswerber erhob gegen dieses Erkenntnis zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der mit Beschluss vom 9. Juni 2020, E 1218/2020-7, die Behandlung derselben ablehnte und sie über nachträglichen Antrag mit Beschluss vom 22. Juli 2020, E 1218/2020-9, dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.

6        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Gemäß § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

7        Die Revision bringt in ihrer Zulässigkeitsbegründung zunächst vor, das BVwG habe ein ungeeignetes Gutachten herangezogen und die diesbezüglichen Einwendungen des Revisionswerbers außer Acht gelassen. Der Sachverständige habe in dem Gutachten entgegen seinem Auftrag kein Wort zur politischen und menschenrechtlichen Situation bzw. zur Sicherheitslage in Afghanistan verloren, sondern habe unzulässigerweise beweiswürdigend ausgeführt, weshalb er nicht von einem glaubhaften Fluchtvorbringen des Revisionswerbers ausgehe. Dieser Beurteilung des Sachverständigen habe sich das BVwG unkritisch angeschlossen. Hätte das BVwG diesen Verfahrensmangel vermieden und das Gutachten entsprechend ergänzt oder verworfen, wäre es zu dem Ergebnis gelangt, dass sowohl die Tätigkeit des Revisionswerbers an sich als auch an den von ihm angegebenen Orten glaubwürdig sei, und ihm auf Grund seiner politischen Gesinnung asylrelevante Verfolgung iSd GFK drohe.

8        Werden Verfahrensmängel als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, so muss in der gesonderten Zulässigkeitsbegründung auch deren Relevanz dargetan werden, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können. Dies setzt voraus, dass - auch in der gesonderten Begründung für die Zulässigkeit der Revision zumindest auf das Wesentliche zusammengefasst - jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des Verfahrensfehlers als erwiesen ergeben hätten (vgl. VwGH 10.6.2020, Ra 2020/18/0068, mwN).

9        Der Revision gelingt es jedoch schon deshalb nicht, die Relevanz der im Zusammenhang mit dem länderkundlichen Sachverständigengutachten behaupteten Verfahrensmängel darzulegen, weil das BVwG das Fluchtvorbringen des Revisionswerbers einer umfassenden Beweiswürdigung unterzogen hat und unter Berücksichtigung des in der mündlichen Verhandlung gewonnenen persönlichen Eindrucks davon ausging, dass der Revisionswerber das geschilderte Fluchtvorbringen nicht selbst erlebt habe, zumal die Angaben in maßgeblichen Punkten unplausibel und nicht nachvollziehbar seien. Lediglich ergänzend hat das BVwG hier auf die länderkundliche Stellungnahme verwiesen. Da bereits diese - nicht zu beanstandende - Beweiswürdigung die Beurteilung des BVwG trägt, kommt es auf die länderkundliche Stellungnahme im gegenständlichen Fall nicht an.

10       Darüber hinaus wendet sich die Revision gegen die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative und bringt dazu im Wesentlichen vor, das BVwG habe zwar festgestellt, dass der Revisionswerber als Elektromonteur für ein afghanisches Unternehmen mit Sitz in Kabul gearbeitet und dieses Unternehmen Aufträge vom Militär erhalten habe, lasse dies jedoch bei der Feststellung der Situation, in der sich der Revisionswerber im Fall einer Rückkehr wiederfinden würde, unberücksichtigt. Laut zahlreichen Berichten griffen regierungsfeindliche Kräfte Zivilisten an, die der Zusammenarbeit oder der Spionage für regierungsnahe Kräfte verdächtigt würden. Angesichts des geografisch großen Wirkungsradius einiger regierungsfeindlicher Kräfte, einschließlich der Taliban und des IS, existiere für Personen, die durch solche Gruppen verfolgt würden, keine innerstaatliche Fluchtalternative.

11       Mit diesem Vorbringen übersieht die Revision, dass das BVwG nicht davon ausging, dass der Revisionswerber in den Fokus solcher Gruppen gelangt sei. Auch wird nicht dargelegt, wie solche Gruppen von dessen ehemaliger Tätigkeit - insbesondere bei einer Rückkehr nach Mazar-e Sharif - Kenntnis erlangen sollten.

12       Ebenso erstattete der Revisionswerber kein hinreichendes Vorbringen, warum seine nach Art. 3 EMRK geschützten Rechte in den als innerstaatliche Fluchtalternative angenommenen Gebieten verletzt würden oder ihm die Inanspruchnahme einer solchen sonst unzumutbar wäre.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann einem gesunden Asylwerber im erwerbsfähigen Alter, der eine der Landessprachen Afghanistans beherrscht, mit den kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates vertraut ist und die Möglichkeit hat, sich durch Gelegenheitstätigkeiten eine Existenzgrundlage zu sichern, die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative in bestimmten Gebieten Afghanistans zugemutet werden, und zwar selbst dann, wenn er nicht in Afghanistan geboren wurde, dort nie gelebt und keine Angehörigen in Afghanistan hat, sondern im Iran aufgewachsen und dort in die Schule gegangen ist (vgl. VwGH 11.8.2020, Ra 2020/14/0347, mwN).

13       Darüber hinaus macht die Revision zur Begründung ihrer Zulässigkeit geltend, die im Zuge einer Rückkehrentscheidung vorzunehmende Abwägung der privaten Interessen des Revisionswerbers an seinem Verbleib in Österreich und der diesen entgegenstehenden öffentlichen Interessen sei nicht in einer dem Gesetz entsprechenden Weise vorgenommen worden. Die zugunsten des Revisionswerbers heranzuziehenden Integrationsmerkmale seien nicht nach den in der höchstgerichtlichen Rechtsprechung aufgestellten Kriterien gewürdigt, sondern gegen den Revisionswerber und dessen Interessen an einem Verbleib in Österreich bewertet worden.

14       Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die bei Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG (vgl. etwa VwGH 2.7.2020, Ra 2020/19/0192, mwN).

15       Das BVwG hat die für die Interessenabwägung maßgeblichen Umstände festgestellt und ist zu dem Schluss gelangt, dass die privaten Interessen des Revisionswerbers gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung der den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen in den Hintergrund zu treten hätten. Der Revision gelingt es nicht darzulegen, dass diese Interessenabwägung unvertretbar erfolgt wäre.

16       Wenn der Revisionswerber schließlich rügt, dass die beantragte Zeugin P R nicht einvernommen worden sei und das BVwG sich somit über den gestellten Beweisantrag begründungslos hinweggesetzt habe, geht dieses Vorbringen schon deshalb ins Leere, weil - wie aus der Niederschrift der mündlichen Verhandlung ersichtlich ist - die (damalige ) Rechtsvertreterin des Revisionswerbers auf die Einvernahme dieser (bei der mündlichen Verhandlung anwesenden) Zeugin verzichtet hat.

17       In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 18. Dezember 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020190332.L00

Im RIS seit

02.02.2021

Zuletzt aktualisiert am

02.02.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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