Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Hon.-Prof. Dr. Brenn, Hon.-Prof. PD Dr. Rassi und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der Klägerin S***** W*****, vertreten durch Dr. Heinz-Peter Wachter, Rechtsanwalt in Wien, gegen die Beklagten 1. DI G***** S*****, vertreten durch Dr. Thomas Herzka, Rechtsanwalt in Wien, 2. G***** O*****, vertreten durch Breiteneder Rechtsanwalt GmbH in Wien, wegen 91.422,47 EUR sA und Feststellung (Streitwert 15.000 EUR), über die außerordentliche Revision des Erstbeklagten gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 18. Juni 2020, GZ 12 R 19/20g-76, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Text
Begründung:
[1] Die Klägerin und der Erstbeklagte nahmen im Mai 2016 als Mitglieder einer zehnköpfigen Bootsmannschaft an einem vom Zweitbeklagten veranstalteten mehrtägigen Segeltörn mit Regattatraining inklusive Teilnahme an einer Regattaveranstaltung auf einer vom Zweitbeklagten gecharterten Yacht in Kroatien teil. Nach dem Zweitbeklagten war der Erstbeklagte das erfahrenste Crewmitglied; er verfügte damals seit sechs Jahren über einen Befähigungsausweis FB2 für Segelyachten und verbrachte seit mehr als 20 Jahren jährlich zwei bis drei Wochen auf einem Segeltörn auf dem Meer. Auch die Klägerin besitzt (seit 2008) einen Befähigungsausweis FB2, der als Erfahrungsnachweis drei Wochen als Mitseglerin erfordert und dazu berechtigt, für alle Segelyachten Schiffsführer (Skipper) zu sein und an Bord eine Sicherheitseinweisung für die Mannschaft durchführen zu können; sie hat ein Segelboot am Neusiedlersee.
[2] Der Unfall an Bord ereignete sich zu einem Zeitpunkt, als die Mannschaft eine Wettfahrt im Zuge einer Regattaveranstaltung bereits beendet hatte und Startvorbereitungen für die folgende weitere Wettfahrt (Ansteuern des Startgebiets) traf. Bevor der Zweitbeklagte zum Funkgerät im Salon unter Deck ging, übergab er die Funktion des Wachführers und Rudergängers (der für die Einhaltung des Kurses verantwortlich ist) an den Erstbeklagten. Die Klägerin war für keine Funktion bei der Bedienung der Yacht eingeteilt. Sie war an Deck gekommen und hielt sich im (gefährlichen) Schwenkbereich des Großbaums auf, der beweglich am Mast befestigt ist und das dreieckige Großsegel an seinem horizontalen Rand aufnimmt. Vom Erstbeklagten unbemerkt kam es zunächst zu einem „Ausrauschen“ der Großschot (die zur Fixierung des Großbaums dienende Leine hat sich gelockert) und sodann als Folge einer Kursänderung durch den Erstbeklagten zu einem plötzlichen unkontrollierten Überschlagen des Großsegels von einer Schiffseite auf die andere (Patenthalse). Dabei wurde die Klägerin, die sich im Schwenkbereich des Großbaums aufhielt und mit dem Rücken zum Großsegel stand, gegen auf Deck befindliche Packkisten geschleudert und schwer verletzt.
[3] Die Klägerin begehrt – unter Anrechnung eines Mitverschuldens von einem Drittel – von beiden Beklagten zur ungeteilten Hand aus dem Titel des Schadenersatzes insgesamt 91.422,47 EUR für aus dem Unfall entstandene Schäden sowie die Feststellung, dass beide Beklagten zur ungeteilten Hand zu zwei Drittel für weitere Schäden aus dem Unfall haften.
[4] Das Erstgericht erkannte mit Teilzwischen- und Teilurteil, dass das Klagebegehren gegenüber dem Erstbeklagten dem Grunde nach zu Recht bestehe; gegen den Zweitbeklagten wies es die Klage ab.
[5] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass infolge Fehlens der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO die ordentliche Revision nicht zulässig sei.
[6] Die Vorinstanzen erblickten ein (leicht) fahrlässiges Fehlverhalten des Erstbeklagten darin, dass er auf das Ausrauschen der Großschot nicht [durch deren Fixierung] reagiert und sodann die bevorstehende Patenthalse, die als Druckentlastung des Großsegels für ihn spürbar war, nicht antizipiert und durch entsprechende Kurskorrektur verhindert habe. Die Klägerin habe allerdings nach ihrem seglerischen Ausbildungsstand wissen müssen, dass der Schwenkbereich des Großbaums ein gefährlicher Ort sei, an dem sie sich nicht aufhalten dürfe; auch hätte sie die Entlastung des Großsegels und die sodann drohende Patenthalse wahrnehmen können und sich rechtzeitig bücken müssen.
[7] Der Erstbeklagte macht in seiner auf Klageabweisung auch ihm gegenüber gerichteten außerordentlichen Revision Nichtigkeit und unrichtige rechtliche Beurteilung geltend. Die Crewmitglieder seien eine Gefahrengemeinschaft mit der Folge eingegangen, dass sie einander für bloß leicht fahrlässiges Handeln nicht hafteten. Es habe sich ein typischerweise mit der Sportart verbundenes Risiko verwirklicht. Auch sei die von den Vorinstanzen vorgenommene Verschuldensteilung 2 : 1 zu seinen Lasten verfehlt, da höchstens von einem gleichteiligen Verschulden auszugehen sei.
Rechtliche Beurteilung
[8] Die Revision ist in Ermangelung von erheblichen Rechtsfragen nicht zulässig und somit zurückzuweisen:
[9] 1.1. Der Revisionswerber behauptet eine Nichtigkeit der angefochtenen Entscheidung gemäß § 477 Abs 1 Z 9 ZPO, weil das Berufungsgericht den Ausspruch über die Unzulässigkeit der ordentlichen Revision nicht begründet habe.
[10] 1.2. Nach § 500 Abs 3 ZPO ist der Ausspruch über die (Un-)Zulässigkeit der ordentlichen Revision kurz zu begründen. Das Berufungsgericht hat dazu auf das Fehlen der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO verwiesen und damit zweifelsfrei zum Ausdruck gebracht, dass Rechtsfragen in der dort genannten Qualität nicht zu lösen sind. Im Übrigen würde selbst das gänzliche Fehlen einer Begründung dieses Ausspruchs nicht zur Zulässigkeit der Revision führen (RIS-Justiz RS0042507), weil sich die Erheblichkeit einer Rechtsfrage nach objektiven Umständen bestimmt (RS0042405 [T25, T26]).
[11] 2.1. In seiner Rechtsrüge macht der Revisionswerber zunächst geltend, es habe sich im vorliegenden Fall um eine Wettkampfsituation gehandelt, in der nur grob fahrlässige oder vorsätzlich begangene Sorgfaltsverstöße Schadenersatzansprüche begründen könnten.
[12] 2.2. Dem ist die Feststellung entgegenzuhalten, dass sich der Unfall nicht während einer Wettfahrt im Zuge einer Regatta ereignet hat, sondern im Zeitraum zwischen zwei Wettfahrten einer Regatta. Es hat sich daher auch kein im Wesen eines sportlichen Wettkampfs liegendes Risiko verwirklicht.
[13] 2.3. Die Frage, ob anlässlich einer gemeinsamen Sportausübung, in einer Wettkampfsituation die Teilnehmer in jedem Fall zur gegenseitigen Rücksichtnahme und Sorgfaltseinhaltung verpflichtet sind, kann hier offen bleiben. Jedenfalls bei der Sportausübung außerhalb eines Wettkampfs kommt der gegenseitigen Rücksichtnahme ein höherer Stellenwert zu als während eines eigentlichen Wettkampfs (2 Ob 109/03y zu einer Verletzung während eines Judo-Trainings; 2 Ob 338/98i = SZ 72/2 zu einem Unfall bei „paralleler Sportausübung“ von zwei Mitgliedern eines Radsportclubs im Zuge einer Trainingsfahrt).
[14] Im Übrigen kann auch allein aus der Tatsache der Teilnahme an einer mit gewissen Risiken behafteten Sportveranstaltung kein Verzicht auf Schadenersatzansprüche abgeleitet werden (RS0087556). Der in der Revision vorgenommene Vergleich mit Kampf- und Kontaktsportarten ist nicht zielführend, weil Segeln nicht zu diesen Sportarten zählt (vgl Kocholl, Wasser-, Regatta- und Yachtsport im Binnenschifffahrts- und Seerecht, ZVR 2012, 228 [232]).
[15] 2.4. Die Vorinstanzen sind von diesen Grundsätzen der Rechtsprechung nicht abgewichen, wenn sie den Sorgfaltsverstoß des Erstbeklagten als haftungsbegründend gewertet haben und nicht von einem Handeln der Klägerin auf eigene Gefahr ausgegangen sind.
[16] 3.1. Die Frage, welche Mitverschuldensquote dem Geschädigten aufgrund sorglosen Verhaltens in eigenen Angelegenheiten anzulasten ist, wird typisch durch die Umstände des Einzelfalls geprägt. Nur eine grobe Verkennung der Rechtslage könnte demnach die Zulässigkeit des Rechtsmittels begründen (RS0087606). Eine solche wird in der Revision, die im Grunde nur ein rechtswidriges Verhalten des Erstbeklagten selbst bestreitet, nicht aufgezeigt.
[17] 3.2. Bei Unterlassung von Schutzmaßnahmen zur eigenen Sicherheit ist der Vorwurf des Mitverschuldens begründet, wenn sich bereits ein allgemeines Bewusstsein der beteiligten Kreise dahin gebildet hat, dass jeder Einsichtige und Vernünftige solche Schutzmaßnahmen anzuwenden pflegt (vgl RS0026828). Die Klägerin wusste aufgrund ihrer seglerischen Ausbildung, dass der Aufenthalt im Schwenkbereich des Großbaums gefährlich ist. Zugleich durfte sie aber als „einfaches Crewmitglied“ ohne besondere Aufgabe auch darauf vertrauen, dass der Erstbeklagte in seiner Verantwortung als Rudergänger (Steuermann) die nötigen Maßnahmen ergreifen werde, um eine drohende Patenthalse zu vermeiden. Eine unvertretbare Fehlbeurteilung bei der Verschuldenszumessung ist dem Berufungsgericht daher nicht unterlaufen.
Textnummer
E130297European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2020:0040OB00148.20Y.1126.000Im RIS seit
14.01.2021Zuletzt aktualisiert am
29.06.2021