TE Bvwg Erkenntnis 2020/9/8 W127 2201809-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 08.09.2020
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Entscheidungsdatum

08.09.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

W127 2201809-1/15E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin MMag. Dr. Fischer-Szilagyi über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch Rechtsanwalt Mag. Dr. Martin Enthofer, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 04.07.2018, Zl. 1093008710-151663833, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der nunmehrige Beschwerdeführer ist gemeinsam mit seiner Schwester und seinem Schwager in die Republik Österreich eingereist und hat am 31.10.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

2. Bei der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 31.10.2015 gab der Beschwerdeführer im Beisein einer Dolmetscherin für die Sprache Dari zu seinem Fluchtgrund an, in Afghanistan herrsche Krieg; es gebe keine Arbeit und daher habe er dort keine Zukunft für ein besseres Leben gesehen. Im Iran habe er illegal gelebt und keine Schule besuchen können. Er habe Angst gehabt, nach Afghanistan abgeschoben zu werden. Für den Fall einer Rückkehr nach Afghanistan habe der Beschwerdeführer Angst vor dem Krieg und den Taliban. Der Beschwerdeführer ersuchte schließlich, zum Schutz seiner Schwester bei dieser bleiben zu dürfen, da sein Schwager psychisch krank sei.

3. Der Beschwerdeführer wurde am 08.01.2018 vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari niederschriftlich einvernommen. Der Beschwerdeführer gab nunmehr zu seinem Fluchtgrund an, sein älterer Halbbruder habe ihn bei der iranischen Polizei für den Krieg in Syrien registriert und dafür Geld erhalten. Als der Onkel und die Mutter des Beschwerdeführers einen Brief der iranischen Polizei über den Einsatz in Syrien gesehen hätten, hätten sie den Beschwerdeführer weggeschickt. Der Beschwerdeführer sei gemeinsam mit seiner Schwester aus dem Iran ausgereist, da der Halbbruder des Beschwerdeführers die Schwester an einen Freund seines Cousins „verkauft“ und dieser sie nach der Heirat immer geschlagen habe. Als sich der Beschwerdeführer und seine Schwester in der Türkei aufgehalten hätten, habe der Beschwerdeführer erfahren, dass sein Halbbruder aufgrund der Flucht der Schwester gedroht habe, einen jüngeren Bruder des Beschwerdeführers zu töten, sollten die beiden nicht zurückkehren. Da der Beschwerdeführer nicht genügend Geld für eine Rückkehr gehabt habe, hätten sie zugestimmt, in der Türkei auf den Ehemann der Schwester zu warten. Nach drei bis vier Tagen sei der Schwager des Beschwerdeführers zu ihnen gekommen und habe die Schwester wieder geschlagen. In weiterer Folge seien sie gemeinsam über Griechenland nach Österreich gereist.

4. Mit nunmehr angefochtenem Bescheid wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Gemäß § 57 AsylG 2005 wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III.) und gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Weiters wurde festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Es wurde ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.).

In der Begründung hielt das Bundesamt fest, dass der Beschwerdeführer keine asylrelevante Verfolgung seiner Person vorgebracht habe. In seiner Fluchtgeschichte habe er sich ausschließlich auf Unannehmlichkeiten bezogen, die er im Iran gehabt habe. Der Beschwerdeführer könne sicher nach Herat zurückkehren oder sich alternativ auch in Kabul niederlassen.

5. Hiegegen wurde Beschwerde erhoben und der gesamte Bescheid bekämpft. In der Rechtsmittelschrift wurde ausgeführt, dem Beschwerdeführer drohe in Afghanistan asylrelevante Verfolgung durch seinen fundamentalistischen Halbbruder sowie durch den ebenfalls fundamentalistischen Schwager. Betreffend Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides wurde insbesondere auf die Sicherheitslage in Afghanistan hingewiesen. Darüber hinaus habe sich der Beschwerdeführer in Österreich perfekt integrieren können und lebe er mit seiner Schwester de facto im gemeinsamen Haushalt in einer Wirtschaftsgemeinschaft und würden die Geschwister für einander sorgen und einander in jeder Lebenslage unterstützen. Die familiäre Situation sei daher als familienähnlich bzw. familiengleich zu qualifizieren und könnten die beiden Asylverfahren nur einer inhaltlich gleichlautenden Entscheidung zugeführt werden.

6. Die Beschwerde und der Bezug habende Verwaltungsakt langten am 25.07.2018 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

7. Mit Schreiben vom 19.11.2019 brachte der Beschwerdeführervertreter „zur besseren Vorbereitung der für den 20.11.2019 anberaumten Beschwerdeverhandlung“ ein Konvolut von Unterlagen betreffend die Integration des Beschwerdeführers in Österreich zur Vorlage.

8. Am 20.11.2019 führte das Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der auch das Bundesamt teilnahm. Der Beschwerdeführer wurde im Beisein seines rechtsfreundlichen Vertreters, einer Vertrauensperson sowie einer Dolmetscherin für die Sprache Dari insbesondere zu seinen Fluchtgründen und zu seiner Situation in Österreich befragt.

9. Mit Schreiben vom 02.12.2019 nahm der Beschwerdeführer zu den im Rahmen der mündlichen Verhandlung ins Verfahren eingebrachten Länderberichten Stellung. Des Weiteren wurde auf den Integrationsgrad des Beschwerdeführers in Österreich sowie auf den Umstand hingewiesen, dass der Beschwerdeführer Afghanistan bereits in seiner frühen Kindheit verlassen habe und sich eine Rückverbringung nach Afghanistan als rechtswidrig erweisen würde.

10.      Mit Schreiben vom 06.07.2020 wurde der Beschwerdeführer durch das Bundesverwaltungsgericht darüber informiert, dass dem Verfahren das aufgrund von Covid-19 aktualisierte Länderinformationsblatt der Staatendokumentation in der Fassung vom 29.06.2020 zugrunde gelegt wird. Dem Beschwerdeführer wurde diesbezüglich die Möglichkeit zur Stellungnahme binnen einer Frist von zwei Wochen eingeräumt. Darüber hinaus wurde die Bekanntgabe etwaiger Änderungen in persönlicher Hinsicht seit der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht erbeten.

Mit Stellungnahme vom 01.08.2020 verwies der Beschwerdeführer darauf, dass er seit nunmehr „5 Jahren und 9 Monaten“ durchgängig in Österreich aufhältig sei und hier nachweisbar seinen Lebensmittelpunkt begründet habe. Er habe sich in Österreich entsprechend „wohlverhalten“ und seine sozialen und kulturellen Kontakte aufrecht erhalten. Zu den Länderfeststellungen wurde vorgebracht, dass es neuerlich zu Attentaten auf die Zivilbevölkerung in Afghanistan gekommen sei und es sich lediglich um „Situationsberichte“ handle.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Beweis wurde erhoben durch Einsicht in die vorliegenden Verwaltungsakten und in die Gerichtsakten des Beschwerdeführers und seiner Schwester, durch Befragung des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht und Einsichtnahme in die in der Verhandlung vorgelegten Dokumente sowie durch Einsicht insbesondere in folgende Länderberichte: Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan vom 13.11.2019, zuletzt aktualisiert am 21.07.2020; UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018; EASO, Country Guidance Afghanistan vom Juni 2019; EASO, Country of Origin Information Report, Afghanistan: Security Situation, Juni 2019; EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan: Key socio-economic indicators – Focus on Kabul City, Mazar-e Sharif and Herat City, April 2019; Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan, 02.09.2019; Bundesministerium für Inneres, Afghanistan – Rückkehr- und Reintegrationsunterstützung, 20.09.2019; ACCORD, ecoi.net-Themendossier „Überblick über die Sicherheitslage in Afghanistan“, 02.10.2019.

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Afghanistan und bekennt sich zum sunnitisch-muslimischen Glauben. Er ist gemeinsam mit seiner Schwester in das Bundesgebiet eingereist und hat am 31.10.2015 gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

Der Beschwerdeführer ist in Afghanistan in der Provinz Herat geboren und in seiner Kindheit mit seiner Familie in den Iran übersiedelt, wo er bis zu seiner Ausreise nach Österreich gelebt hat. Er hat jedenfalls im Iran zwei Jahre lang die Schule besucht, kann in der Sprache Dari lesen und schreiben und hat etwa seit seinem neunten Lebensjahr mit Hilfstätigkeiten bei einem Schuster sowie auf Baustellen Geld verdient.

Die Mutter des Beschwerdeführers lebt mit dem jüngeren Bruder des Beschwerdeführers bei ihrem Bruder (einem Onkel des Beschwerdeführers) im Iran. Auch drei Halbbrüder und eine Halbschwester des Beschwerdeführers leben im Iran. Der Vater des Beschwerdeführers lebt weiterhin in Afghanistan. Die Schwester des Beschwerdeführers, R. Q., hält sich als Asylwerberin in Österreich auf.

Der Beschwerdeführer ist volljährig, gesund, arbeitsfähig, ledig und hat keine Kinder. Er hat in Österreich außer der mit ihm eingereisten Schwester, mit der er nicht im selben Haushalt lebt und zu der auch kein finanzielles oder sonstiges Abhängigkeitsverhältnis besteht, keine nahen Angehörigen oder sonstige enge Bindungen. Der Beschwerdeführer ist nicht straffällig im Sinne des Asylgesetzes. Er hat in Österreich unter anderem Deutschkurse besucht, die Integrationsprüfung (Sprachniveau B1) bestanden und verfügt bereits über Deutschkenntnisse. Der Beschwerdeführer hat sich im November 2017 für einen Pflichtschulabschluss-Lehrgang angemeldet, diesen bis dato aber nicht absolviert und besucht seit 07.01.2019 den Gesamtlehrgang FSBA Linz 24 an der Altenbetreuungsschule des Landes OÖ. Der Beschwerdeführer hat mehrfach gemeinnützige sowie ehrenamtliche Tätigkeiten verrichtet, darüber hinaus ist er in Österreich aber noch keiner Erwerbstätigkeit nachgegangen und bezieht Leistungen aus der Grundversorgung. Insbesondere im Rahmen seiner sportlichen Freizeitaktivitäten und in einem Theaterverein hat der Beschwerdeführer auch österreichische Bekannte bzw. Freunde. Er ist nicht legal in das Bundesgebiet eingereist und hatte nie ein nicht auf das Asylverfahren gegründetes Aufenthaltsrecht in Österreich.

1.2. Zum Fluchtvorbringen:

Der Beschwerdeführer war in Afghanistan keiner konkret gegen seine Person gerichteten Bedrohung ausgesetzt. Dem Beschwerdeführer droht auch im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan keine Verfolgung durch seinen Halbbruder Nazir oder seinen Schwager Faramarz.

Dem Beschwerdeführer droht auch aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit bzw. aufgrund seiner Religionszugehörigkeit weder Gewalt noch Diskriminierung von erheblicher Intensität. Weiters haben sich keine Anhaltpunkte ergeben, dass eine Asylantragstellung im Ausland oder eine rechtswidrige Ausreise zu Sanktionen oder Repressionen in Afghanistan führen würde.

Der Beschwerdeführer hat bei einer Rückkehr nach Afghanistan auch keine sonstige konkret gegen seine Person gerichtete Bedrohung durch staatliche Organe oder durch Privatpersonen zu erwarten.

1.3. Zur allgemeinen Lage in Afghanistan:

In Afghanistan leben laut Schätzungen vom Juli 2017 mehr als 34,1 Millionen Menschen. Schätzungen zufolge sind 40 % Paschtunen, rund 30 % Tadschiken, ca. 10 % Hazara, 9 % Usbeken. Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnischen Minderheiten. Ethnische Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppen können allerdings weiterhin in Konflikten und Tötungen resultierten.

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt insgesamt volatil und weist starke regionale Unterschiede auf. Provinzen und Distrikten mit aktiven Kampfhandlungen stehen andere gegenüber, in denen die Lage trotz punktueller Sicherheitsvorfälle vergleichsweise stabil ist. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, Transitrouten, Provinzhauptstädte und den Großteil der Distriktzentren. Ausländische Streitkräfte und Regierungsvertreter sowie die als ihre Verbündeten angesehenen Angehörigen der afghanischen Sicherheitskräfte und Vertreter der afghanischen Regierung sind prioritäre Ziele der Aufständischen. Eine Bedrohung für Zivilisten geht insbesondere von Kampfhandlungen zwischen den Konfliktparteien sowie improvisierten Sprengkörpern, Selbstmordanschlägen und komplexen Angriffen auf staatliche Einrichtungen aus.

Für als „verwestlicht“ wahrgenommene Männer besteht in Afghanistan generell nur ein geringes Verfolgungsrisiko – insbesondere im urbanen Bereich.

Herat ist eine wirtschaftlich relativ gut entwickelte Provinz im Westen des Landes und ist über einen internationalen Flughafen in der Provinzhauptstadt sicher erreichbar. Die Sicherheitslage hat sich in den letzten Jahren in abgelegenen Distrikten aufgrund von Aktivitäten der Taliban verschlechtert, insbesondere in der Stadt Herat ist die Lage aber vergleichsweise friedlich.

Die afghanische Hauptstadt Kabul hat etwa 4,6 Millionen Einwohner und ist über den Flughafen sicher zu erreichen. Die Lage in Kabul ist noch als hinreichend sicher und stabil zu bezeichnen, wenngleich es immer wieder zu Anschlägen mit zahlreichen Opfern kommt. Diese Anschläge ereignen sich allerdings oft im Nahbereich von staatlichen bzw. ausländischen Einrichtungen oder NGOs. In den ersten sechs Monaten des Jahres 2018 wurden von UNAMA 993 zivile Opfer (321 Tote und 672 Verletzte) in der Provinz Kabul dokumentiert.

Die nordafghanische Provinz Balkh ist von hoher strategischer Bedeutung und bekannt als Zentrum für wirtschaftliche und politische Aktivitäten. Die Provinzhauptstadt Mazar-e Sharif liegt an der Autobahn zwischen Maimana und Pul-e Khumri und ist ein Wirtschafts- und Verkehrsknotenpunkt in Nordafghanistan. Die Region entwickelt sich wirtschaftlich gut, es entstehen neue Arbeitsplätze, Firmen siedeln sich an und auch der Dienstleistungsbereich wächst. Mazar-e Sharif ist über einen internationalen Flughafen sicher zu erreichen. Die Infrastruktur ist jedoch noch unzureichend und behindert die weitere Entwicklung der Region. Die Provinz Balkh ist nach wie vor eine der stabilsten Provinzen Afghanistans und hat im Vergleich zu anderen Regionen weniger Aktivitäten von Aufständischen zu verzeichnen. Manchmal kommt es zu Zusammenstößen zwischen Aufständischen und den afghanischen Sicherheitskräften oder auch zu Angriffen auf Einrichtungen der Sicherheitskräfte. Sowohl Aufständische der Taliban als auch Sympathisanten des IS versuchen in abgelegenen Distrikten der Provinz Fuß zu fassen.

Zur Wirtschafts- und Versorgungslage ist festzuhalten, dass Afghanistan weiterhin ein Land mit hoher Armutsrate und Arbeitslosigkeit ist. Rückkehrer nach Afghanistan sind zunächst oft – wie auch große Teile der dort ansässigen Bevölkerung – auf gering qualifizierte Beschäftigungen oder Gelegenheitstätigkeiten angewiesen. Aufgrund der schwierigen wirtschaftlichen Bedingungen besteht auch für zurückkehrende Flüchtlinge das Risiko, in die Armut abzurutschen. Ein fehlendes familiäres Netzwerk stellt eine Herausforderung für die Reintegration von Migranten in Afghanistan dar. Dennoch haben alleinstehende afghanische Männer, egal ob sie sich kürzer oder länger außerhalb der Landesgrenzen aufhielten, sehr wahrscheinlich eine Familie in Afghanistan, zu der sie zurückkehren können. Eine Ausnahme stellen möglicherweise jene Fälle dar, deren familiäre Netze in den Nachbarstaaten Iran oder Pakistan liegen.

Nahrungsmittel, grundlegende Gesundheitsversorgung und Zugang zu Trinkwasser sind in den Städten Kabul, Herat und Mazar-e Sharif grundsätzlich verfügbar. Die humanitäre Situation in Afghanistan hat sich durch eine schwere Dürre – insbesondere die Regionen im Norden und Westen des Landes – weiter verschärft, die Preise für Weizen und Brot blieben dennoch vergleichsweise stabil. Durch eine verstärkte Landflucht wurde zusätzlich auch die Wohnraumbeschaffung und Arbeitssuche erschwert. Sowohl das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (United Nations World Food Programme) als auch andere UN-Organisationen arbeiten mit der afghanischen Regierung zusammen, um die Kapazität humanitärer Hilfe zu verstärken, rasch Unterkünfte zur Verfügung zu stellen und Hygiene- und Nahrungsbedürfnisse zu stillen. Daneben gibt es eine Kooperation mit der Internationalen Organisation für Migration (IOM) in Afghanistan im Rahmen des Programms „Assisted Voluntary Return and Reintegration“. IOM bietet Beratung und psychologische Betreuung im Aufnahmeland, Unterstützung bei Reiseformalitäten und bei der Ankunft in Kabul sowie Begleitung der Reintegration einschließlich Unterstützung bei der Suche nach einer Beschäftigung oder Gewährung eines Anstoßkredits an. Obwohl IOM Abschiebungen nicht unterstützt und keine Abschiebungsprogramme durchführt, gibt IOM auch abgeschobenen Asylbewerbern Unterstützung nach der Ankunft im Land – auch hinsichtlich einer ersten Unterkunftnahme. In den Städten Kabul, Herat und Mazar-e Sharif sind Unterkünfte grundsätzlich verfügbar, aufgrund der hohen Mietkosten für (reguläre) Wohnungen und Häuser – insbesondere in der Stadt Kabul – lebt ein großer Teil der Bevölkerung aber in informellen Siedlungen bzw. gibt es auch die Möglichkeit, nur ein Zimmer zu mieten oder in Teehäusern (chai khana) zu übernachten.

Covid-19:

Berichten zufolge haben sich in Afghanistan mehr als 35.000 Menschen mit COVID-19 angesteckt (WHO 20.07.2020; vgl. JHU 20.07.2020, OCHA 16.07.2020), mehr als 1.280 sind daran gestorben. Aufgrund der begrenzten Ressourcen des öffentlichen Gesundheitswesens und der begrenzten Testkapazitäten sowie des Fehlens eines nationalen Sterberegisters werden bestätigte Fälle von und Todesfälle durch COVID-19 in Afghanistan wahrscheinlich insgesamt zu wenig gemeldet (OCHA 16.07.2020; vgl. DS 19.07.2020). 10 Prozent der insgesamt bestätigten COVID-19-Fälle entfallen auf das Gesundheitspersonal. Kabul ist hinsichtlich der bestätigten Fälle nach wie vor der am stärksten betroffene Teil des Landes, gefolgt von den Provinzen Herat, Balkh, Nangarhar und Kandahar (OCHA 15.07.2020). Beamte in der Provinz Herat sagten, dass der Strom afghanischer Flüchtlinge, die aus dem Iran zurückkehren, und die Nachlässigkeit der Menschen, die Gesundheitsrichtlinien zu befolgen, die Möglichkeit einer neuen Welle des Virus erhöht haben, und dass diese in einigen Gebieten bereits begonnen hätte (TN 14.07.2020). Am 18.07.2020 wurde mit 60 neuen COVID-19 Fällen der niedrigste tägliche Anstieg seit drei Monaten verzeichnet – wobei an diesem Tag landesweit nur 194 Tests durchgeführt wurden (AnA 18.07.2020).

Krankenhäuser und Kliniken berichten weiterhin über Probleme bei der Aufrechterhaltung oder Erweiterung der Kapazität ihrer Einrichtungen zur Behandlung von Patienten mit COVID-19. Diese Herausforderungen stehen im Zusammenhang mit der Bereitstellung von persönlicher Schutzausrüstung (PSA), Testkits und medizinischem Material sowie mit der begrenzten Anzahl geschulter Mitarbeiter - noch verschärft durch die Zahl des erkrankten Gesundheitspersonals. Es besteht nach wie vor ein dringender Bedarf an mehr Laborequipment sowie an der Stärkung der personellen Kapazitäten und der operativen Unterstützung (OCHA 16.07.2020, vgl. BBC-News 30.06.2020).

Maßnahmen der afghanischen Regierung und internationale Hilfe

Die landesweiten Sperrmaßnahmen der Regierung Afghanistans bleiben in Kraft. Universitäten und Schulen bleiben weiterhin geschlossen (OCHA 08.07.2020; vgl. RA KBL 16.07.2020). Die Regierung Afghanistans gab am 06.06.2020 bekannt, dass sie die landesweite Abriegelung um drei weitere Monate verlängern und neue Gesundheitsrichtlinien für die Bürger herausgeben werde. Darüber hinaus hat die Regierung die Schließung von Schulen um weitere drei Monate bis Ende August verlängert (OCHA 08.07.2020).

Berichten zufolge werden die Vorgaben der Regierung nicht befolgt, und die Durchsetzung war nachsichtig (OCHA 16.07.2020, vgl. TN 12.07.2020). Die Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des Virus unterscheiden sich weiterhin von Provinz zu Provinz, in denen die lokalen Behörden über die Umsetzung der Maßnahmen entscheiden. Zwar behindern die Sperrmaßnahmen der Provinzen weiterhin periodisch die Bewegung der humanitären Helfer, doch hat sich die Situation in den letzten Wochen deutlich verbessert, und es wurden weniger Behinderungen gemeldet (OCHA 15.07.2020).

Einwohner Kabuls und eine Reihe von Ärzten stellten am 18.07.2020 die Art und Weise in Frage, wie das afghanische Gesundheitsministerium (MoPH) mit der Ausbreitung der COVID-19-Pandemie im Land umgegangen ist, und sagten, das Gesundheitsministerium habe es trotz massiver internationaler Gelder versäumt, richtig auf die Pandemie zu reagieren (TN 18.07.2020). Es gibt Berichte, wonach die Bürger angeben, dass sie ihr Vertrauen in öffentliche Krankenhäuser verloren haben, und niemand mehr in öffentliche Krankenhäuser geht, um Tests oder Behandlungen durchzuführen (TN 12.07.2020).

Beamte des afghanischen Gesundheitsministeriums erklärten, dass die Zahl der aktiven Fälle von COVID-19 in den Städten zurückgegangen ist, die Pandemie in den Dörfern und in den abgelegenen Regionen des Landes jedoch zunimmt. Der Gesundheitsminister gab an, dass 500 Beatmungsgeräte aus Deutschland angekauft wurden und 106 davon in den Provinzen verteilt werden würden (TN 18.07.2020).

Am Samstag den 18.07.2020 kündete die afghanische Regierung den Start des Dastarkhan-e-Milli-Programms als Teil ihrer Bemühungen an, Haushalten inmitten der COVID-19-Pandemie zu helfen, die sich in wirtschaftlicher Not befinden. Auf der Grundlage des Programms will die Regierung in der ersten Phase 86 Millionen Dollar und dann in der zweiten Phase 158 Millionen Dollar bereitstellen, um Menschen im ganzen Land mit Nahrungsmitteln zu versorgen. Die erste Phase soll über 1,7 Millionen Familien in 13.000 Dörfern in 34 Provinzen des Landes abdecken (TN 18.07.2020; vgl. Mangalorean 19.07.2020).

Die Weltbank genehmigte am 15.07.2020 einen Zuschuss in Höhe von 200 Millionen US-Dollar, um Afghanistan dabei zu unterstützen, die Auswirkungen von COVID-19 zu mildern und gefährdeten Menschen und Unternehmen Hilfe zu leisten (WB 10.07.2020; vgl. AN 10.07.2020).

Auszugsweise Lage in den Provinzen Afghanistans

Dieselben Maßnahmen – nämlich Einschränkungen und Begrenzungen der täglichen Aktivitäten, des Geschäftslebens und des gesellschaftlichen Lebens – werden in allen folgend angeführten Provinzen durchgeführt. Die Regierung hat eine Reihe verbindlicher gesundheitlicher und sozialer Distanzierungsmaßnahmen eingeführt, wie z.B. das obligatorische Tragen von Gesichtsmasken an öffentlichen Orten, das Einhalten eines Sicherheitsabstandes von zwei Metern in der Öffentlichkeit und ein Verbot von Versammlungen mit mehr als zehn Personen. Öffentliche und touristische Plätze, Parks, Sportanlagen, Schulen, Universitäten und Bildungseinrichtungen sind geschlossen; die Dienstzeiten im privaten und öffentlichen Sektor sind auf 6 Stunden pro Tag beschränkt und die Beschäftigten werden in zwei ungerade und gerade Tagesschichten eingeteilt (RA KBL 16.07.2020; vgl. OCHA 08.07.2020).

Die meisten Hotels, Teehäuser und ähnliche Orte sind aufgrund der COVID-19 Maßnahmen geschlossen, es sei denn, sie wurden geheim und unbemerkt von staatlichen Stellen geöffnet (RA KBL 16.07.2020; vgl. OCHA 08.07.2020).

In der Provinz Kabul gibt es zwei öffentliche Krankenhäuser die COVID-19 Patienten behandeln mit 200 bzw. 100 Betten. Aufgrund der hohen Anzahl von COVID-19-Fällen im Land und der unzureichenden Kapazität der öffentlichen Krankenhäuser hat die Regierung kürzlich auch privaten Krankenhäusern die Behandlung von COVID-19-Patienten gestattet. Kabul sieht sich aufgrund von Regen- und Schneemangel, einer boomenden Bevölkerung und verschwenderischem Wasserverbrauch mit Wasserknappheit konfrontiert. Außerdem leben immer noch rund 12 Prozent der Menschen in Kabul unter der Armutsgrenze, was bedeutet, dass oftmals ein erschwerter Zugang zu Wasser besteht (RA KBL 16.07.2020; WHO o.D).

In der Provinz Balkh gibt es ein Krankenhaus, welches COVID-19 Patienten behandelt und über 200 Betten verfügt. Es gibt Berichte, dass die Bewohner einiger Distrikte der Provinz mit Wasserknappheit zu kämpfen hatten. Darüber hinaus hatten die Menschen in einigen Distrikten Schwierigkeiten mit dem Zugang zu ausreichender Nahrung, insbesondere im Zuge der COVID-19-Pandemie (RA KBL 16.07.2020).

In der Provinz Herat gibt es zwei Krankenhäuser die COVID-19 Patienten behandeln. Ein staatliches öffentliches Krankenhaus mit 100 Betten, das vor kurzem speziell für COVID-19-Patienten gebaut wurde (RA KBL 16.07.2020; vgl. TN 19.03.2020) und ein Krankenhaus mit 300 Betten, das von einem örtlichen Geschäftsmann in einem umgebauten Hotel zur Behandlung von COVID-19-Patienten eingerichtet wurde (RA KBL 16.07.2020; vgl. TN 04.05.2020). Es gibt Berichte, dass 47,6 Prozent der Menschen in Herat unter der Armutsgrenze leben, was bedeutet, dass oft ein erschwerter Zugang zu sauberem Trinkwasser und Nahrung haben, insbesondere im Zuge der Quarantäne aufgrund von COVID-19, durch die die meisten Tagelöhner arbeitslos blieben (RA KBL 16.07.2020; vgl. UNICEF 19.04.2020).

Wirtschaftliche Lage in Afghanistan

Verschiedene COVID-19-Modelle zeigen, dass der Höhepunkt des COVID-19-Ausbruchs in Afghanistan zwischen Ende Juli und Anfang August erwartet wird, was schwerwiegende Auswirkungen auf die Wirtschaft Afghanistans und das Wohlergehen der Bevölkerung haben wird (OCHA 16.07.2020). Es herrscht weiterhin Besorgnis seitens humanitärer Helfer, über die Auswirkungen ausgedehnter Sperrmaßnahmen auf die am stärksten gefährdeten Menschen – insbesondere auf Menschen mit Behinderungen und Familien – die auf Gelegenheitsarbeit angewiesen sind und denen alternative Einkommensquellen fehlen (OCHA 15.07.2020). Der Marktbeobachtung des World Food Programme (WFP) zufolge ist der durchschnittliche Weizenmehlpreis zwischen dem 14. März und dem 15. Juli um 12 Prozent gestiegen, während die Kosten für Hülsenfrüchte, Zucker, Speiseöl und Reis (minderwertige Qualität) im gleichen Zeitraum um 20 – 31 Prozent gestiegen sind (WFP 15.07.2020, OCHA 15.07.2020). Einem Bericht der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der UNO (FAO) und des Ministeriums für Landwirtschaft, Bewässerung und Viehzucht (MAIL) zufolge sind über 20 Prozent der befragten Bauern nicht in der Lage, ihre nächste Ernte anzubauen, wobei der fehlende Zugang zu landwirtschaftlichen Betriebsmitteln und die COVID-19-Beschränkungen als Schlüsselfaktoren genannt werden. Darüber hinaus sind die meisten Weizen-, Obst-, Gemüse- und Milchverarbeitungsbetriebe derzeit nur teilweise oder gar nicht ausgelastet, wobei die COVID-19-Beschränkungen als ein Hauptgrund für die Reduzierung der Betriebe genannt werden. Die große Mehrheit der Händler berichtete von gestiegenen Preisen für Weizen, frische Lebensmittel, Schafe/Ziegen, Rinder und Transport im Vergleich zur gleichen Zeit des Vorjahres. Frischwarenhändler auf Provinz- und nationaler Ebene sahen sich im Vergleich zu Händlern auf Distriktebene mit mehr Einschränkungen konfrontiert, während die große Mehrheit der Händler laut dem Bericht von teilweisen Marktschließungen aufgrund von COVID-19 berichtete (FAO 16.04.2020; vgl. OCHA 16.07.2020; vgl. WB 10.07.2020).

Am 19.07.2020 erfolgte die erste Lieferung afghanischer Waren in zwei Lastwagen nach Indien, nachdem Pakistan die Wiederaufnahme afghanischer Exporte nach Indien angekündigt hatte um den Transithandel zu erleichtern. Am 12.07.2020 öffnete Pakistan auch die Grenzübergänge Angor Ada und Dand-e-Patan in den Provinzen Paktia und Paktika für afghanische Waren, fast zwei Wochen nachdem es die Grenzübergänge Spin Boldak, Torkham und Ghulam Khan geöffnet hatte (TN 20.07.2020).

Einreise und Bewegungsfreiheit

Die Türkei hat, nachdem internationale Flüge ab 11.06.2020 wieder nach und nach aufgenommen wurden, am 19.07.2020 wegen der COVID-19-Pandemie Flüge in den Iran und nach Afghanistan bis auf weiteres ausgesetzt, wie das Ministerium für Verkehr und Infrastruktur mitteilte (TN 20.07.2020; vgl. AnA 19.07.2020, DS 19.07.2020).

Bestimmte öffentliche Verkehrsmittel wie Busse, die mehr als vier Passagiere befördern, dürfen nicht verkehren. Obwohl sich die Regierung nicht dazu geäußert hat, die Reisebeschränkungen für die Bürger aufzuheben, um die Ausbreitung von COVID-19 zu verhindern, hat sich der Verkehr in den Städten wieder normalisiert, und Restaurants und Parks sind wieder geöffnet (TN 12.07.2020).

Quellen:

-        AnA – Andolu Agency (19.7.2020): Turkey suspends Iran and Afghanistan flights, https:// www.aa.com.tr/en/middle-east/turkey-suspends-iran-and-afghanistan-flights-/1915627, Zugriff 20.07.2020

-        AnA – Andolu Agency (18.07.2020): Afghanistan: Virus cases hit low as testing declines, https:// www.aa.com.tr/en/asia-pacific/afghanistan-virus-cases-hit-low-as-testing-declines/1914895, Zugriff 20.07.2020

-        Arab News (10.07.2020): Coronavirus-hit Afghanistan gets $200 million World Bank grant, https://www.arabnews.com/node/1702656/world, Zugriff 20.07.2020

-        BBC – News (30.06.2020): Coronavirus overwhelms hospitals in war-ravaged Afghanistan, https://www.bbc.com/news/world-asia-53198785, Zugriff 20.07.2020

-        DS – Daily Sabah (19.07.2020): Turkey suspends flights to Iran, Afghanistan amid COVID-19 outbreak, https://www.dailysabah.com/business/transportation/turkey-suspends-flights-to-iran-afghanistan-amid-covid-19-outbreak, Zugriff 20.07.2020

-        FAO - Food and Agriculture Organization of the United Nations (16.07.2020): Afghanistan Revised humanitarian response Coronavirus disease 2019 (COVID-19) May–December 2020, https://reliefweb.int/report/afghanistan/afghanistan-revised-humanitarian-response-coronavirus-disease-2019-covid-19-may, Zugriff 20.07.2020

-        JHU - John Hopkins Universität (20.7.2020): COVID-19 Dashboard by the Center for Systems Science and Engineering (CSSE) at Johns Hopkins University (JHU), https://coronavirus.jhu.edu/map.html, Zugriff 20.07.2020

-        Mangalorean (19.7.2020): Afghanistan launches new COVID-19 relief package, https://www.mangalorean.com/afghanistan-launches-new-covid-19-relief-package/, Zugriff 20.07.2020

-        OCHA - United Nations Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (16.07.2020): Strategic Situation Report COVID-19, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/

Afghanistan%20%20Strategic%20Situation%20Report%20-%20COVID-19%2C%20No.

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-        OCHA - United Nations Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (15.07.2020): COVID-19 Multi-Sectoral Response Operational Situation Report, 15 July 2020, https:// www.humanitarianresponse.info/sites/www.humanitarianresponse.info/files/documents/files/operational_sitrep_covid-19_15_july_2020.pdf, Zugriff 20.07.2020

-        OCHA – United Nations Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (08.07.2020): Afghanistan: COVID-19 Multi-Sectoral Response Operational Situation Report, 8 July 2020, https:// reliefweb.int/report/afghanistan/afghanistan-covid-19-multi-sectoral-response-operational-situation-report-8-july, Zugriff 20.07.2020

-        PT – Pakistan Today (17.07.2020): Trade with Afghanistan increased 25pc despite Covid-19, NA told, https://profit.pakistantoday.com.pk/2020/07/17/trade-with-afghanistan-increased-25pc-despite-covid-19-na-told/, Zugriff 20.07.2020

-        RA KBL – Rechtsanwalt in Kabul (16.07.2020): Antwortschreiben, per Mail

-        TN – Tolonews (19.07.2020): Afghan Goods Enter India Through Wagah Border, https://tolonews.com/business/afghan-goods-enter-india-through-wagah-border, Zugriff 20.07.2020

-        TN – Tolonews (18.07.2020a): Afghan Govt Launches New COVID-19 Relief Package, https://tolonews.com/afghanistan/afghan-govt-launches-new-covid-19-relief-package, Zugriff 20.07.2020

-        TN – Tolonews (18.07.2020b): Health Ministry’s COVID-19 Strategy Questioned, https://tolonews.com/health/health-ministry%E2%80%99s-covid-19-strategy-questioned, Zugriff 20.07.2020

-        TN – Tolonews (12.07.2020): Afghanistan Faces Catastrophe if Health Measures Not Heeded: AIMA, https://tolonews.com/health/afghanistan-faces-catastrophe-if-health-measures-not-heeded-aima, Zugriff 20.07.2020

-        TN – Tolonews (14.07.2020): Herat Health Dept Warns of Second Wave of COVID-19, https://tolonews.com/afghanistan/herat-health-dept-warns-second-wave-covid-19, Zugriff 20.07.2020

-        TN – Tolonews (20.07.2020): Turkey Suspends Flights to Afghanistan and Iran, https://tolonews.com/business/turkey-suspends-flights-afghanistan-and-iran, Zugriff 20.07.2020

-        TN – Tolo News (05.04.2020): 300-Bed Hospital Opened for COVID-19 Patients in Herat, https://tolonews.com/health/300-bed-hospital-opened-covid-19-patients-herat, Zugriff 20.07.2020

-        TN – Tolo News (19.03.2020): Govt Builds 100-Bed Hospital in Herat for COVID-19 Patients, https://tolonews.com/health/govt-builds-100-bed-hospital-herat-covid-19-patients, Zugriff 20.07.2020

-        WB – World Bank (10.07.2020): World Bank: $200 Million for Afghanistan to Protect People, Support Businesses Amid COVID-19, https://reliefweb.int/report/afghanistan/world-bank-200-million-afghanistan-protect-people-support-businesses-amid-covid, Zugriff 20.07.2020

-        WFP – World Food Programme (15.07.2020): Afghanistan: Countrywide Weekly Market Price Bulletin, Issue 9 (Covering 2nd week of July 2020), https://reliefweb.int/report/afghanistan/afghanistan-countrywide-weekly-market-price-bulletin-issue-9-covering-2nd-week, Zugriff 15.07.2020

-        WFP – World Food Programme (05.2020): WFP Afghanistan Country Brief May 2020, https://docs.wfp.org/api/documents/WFP-0000116792/download/, Zugriff 20.07.2020

-        WHO – World Health Organization (20.07.2020): Coronavirus disease (COVID-19) Dashboard, https://covid19.who.int/?gclid=EAIaIQobChMIjryr5qHb6gIVkakYCh3mbwOQEAAYASABEgIpyPD_BwE, Zugriff 20.07.2020

-        WHO – World Health Organization (o.D.): Afghanistan - Hospital and laboratory services http://www.emro.who.int/afg/programmes/hospital-and-laboratory-services.html, Zugriff 20.07.2020

-        UNICEF (19.04.2020): Female-headed households bear the brunt of Covid-19 as livelihood gaps increase, https://www.unicef.org/afghanistan/stories/female-headed-households-bear-brunt-covid-19-livelihood-gaps-increase, Zugriff 20.07.2020.  

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit, Herkunft und religiösen Zugehörigkeit, Schulbildung und Berufstätigkeit des Beschwerdeführers sowie zu seinen Aufenthaltsorten, seinen Verwandten in Afghanistan und im Iran beruhen auf den diesbezüglich plausiblen und im Wesentlichen gleichbleibenden Angaben des Beschwerdeführers und seiner Schwester im Laufe des Asylverfahrens. Auch die Feststellungen zum Alter, Familienstand, zur Arbeitsfähigkeit sowie zum Gesundheitszustand des Beschwerdeführers stützen sich auf dessen plausible Angaben.

Der Beschwerdeführer konnte zwar keine Angaben zu seiner Volksgruppenzugehörigkeit machen, hat allerdings auch kein Vorbringen zu einer damit in Zusammenhang stehenden Bedrohung erstattet. Aufgrund der religiösen Zugehörigkeit und der Sprachkenntnisse des Beschwerdeführers sowie der (vagen) Angaben der Schwester des Beschwerdeführers gibt es Hinweise auf eine tadschikische Volksgruppenzugehörigkeit des Beschwerdeführers.

Die Feststellungen zur Einreise, Antragstellung und dem Aufenthalt des Beschwerdeführers und seiner Schwester in Österreich ergeben sich aus dem Inhalt die Verwaltungsakte und den damit in Einklang stehenden Angaben des Beschwerdeführers und seiner Schwester.

Hinsichtlich der Feststellungen zu dem aktuellen Privat- und Familienleben sowie insbesondere der Integration des Beschwerdeführers in Österreich wurden das Vorbringen des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt und in der mündlichen Verhandlung sowie die vorgelegten Nachweise und Empfehlungsschreiben den Feststellungen zugrunde gelegt. Hinsichtlich der Schwester des Beschwerdeführers beruhen die Feststellungen zum Nicht-Bestehen eines gemeinsamen Haushaltes bzw. Abhängigkeitsverhältnisses auf den Angaben des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung: Der Beschwerdeführer hat angegeben, zwar zeitweise mit seiner Schwester zusammengelebt zu haben, derzeit aber getrennt zu wohnen. Darüber hinaus hat der Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang vorgebracht, dass seine Schwester nun einen Freund habe.

Der Bezug von Leistungen aus der Grundversorgung geht aus einem seitens des Bundesverwaltungsgerichtes eingeholten Auszug aus dem Betreuungsinformationssystem (GVS) hervor. Die Feststellung der Unbescholtenheit des Beschwerdeführers ergibt sich aus einer aktuellen Abfrage des Strafregisters der Republik Österreich.

Dass der Beschwerdeführer gesund ist und keine Medikamente nimmt, ergibt sich aus seinen Angaben. Hinweise auf die Zugehörigkeit zu einer Covid-19-Risikogruppe haben sich keine ergeben und wurde diesbezüglich auch nichts vorgebracht.

2.2. Zum Fluchtvorbringen:

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wertete das Vorbringen des Beschwerdeführers betreffend Probleme im Iran als nicht asylrelevant und wies darüber hinaus auf widersprüchliche Angaben und mangelnde Plausibilität der vorgebrachten Bedrohung durch den Halbbruder hin. Dieser Eindruck der Unglaubwürdigkeit des Beschwerdeführers verstärkte sich im Rechtsmittelverfahren noch, da sich im Beschwerdeverfahren weitere Ungereimtheiten im Vorbringen ergaben, welche der Beschwerdeführer nicht schlüssig zu erklären vermochte.

Die Beurteilung der persönlichen Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers hat vor allem auch zu berücksichtigen, ob dieser außerhalb des unmittelbaren Fluchtvorbringens die Wahrheit gesagt hat. Im gegenständlichen Fall hat der Beschwerdeführer bereits zu seinem Alter mehrfach abweichende Angaben gemacht (Erstbefragung: 01.01.1997, Einvernahme durch das Bundesamt: 22.07.1996 bzw. „1. 5. 1375“, mündliche Verhandlung: 24.03.1996 bzw. „05.01.1375“) und auch auf der vorgelegten Aufenthaltskarte aus dem Iran ist – entgegen den Angaben des Beschwerdeführers vor dem Bundesverwaltungsgericht – nicht der 05.01.1375, sondern der 01.05.1375 angeführt. Sogar wenn man vor dem Hintergrund der Gepflogenheiten in Afghanistan betreffend die Kenntnis des genauen Geburtsdatums (vgl. ACCORD Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Wissen und Bedeutung von persönlichen Tagen (Geburt, Hochzeit) und Umgang mit Zeitangaben [a-10016], 07.02.2017) davon ausgeht, dass es sich bei der Abweichung zwischen 01.05.1375 und 05.01.1375 lediglich um einen Irrtum des Beschwerdeführers handelt, ist nicht erklärbar, warum der Beschwerdeführer das bei der Erstbefragung am 31.10.2015 protokollierte, stark abweichende Geburtsdatum bis zur Einvernahme 08.01.2018 nicht korrigiert hat.

Weiters ist darauf hinzuweisen, dass der Beschwerdeführer bei der Erstbefragung angegeben hat, er habe die Grundschule zwei Jahre lang in Afghanistan und drei Jahre lang im Iran besucht. Vor dem Bundesamt behauptete der Beschwerdeführer hingegen, er sei im Alter von vier Jahren aus Afghanistan ausgereist und habe lediglich zwei Jahre lang im Iran die Schule besucht. In der Rechtsmittelschrift wurde wiederum ausgeführt, der Beschwerdeführer habe bis zu seinem sechsten Lebensjahr in Afghanistan gelebt, und in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht gab der Beschwerdeführer wie bereits vor dem Bundesamt an, er sei im Alter von vier Jahren aus Afghanistan ausgereist. Soweit der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung zu den Angaben in der Rechtsmittelschrift angegeben hat, er habe auch „dort“ angegeben, dass er im Alter von vier Jahren Afghanistan verlassen habe, ist festzuhalten, dass der Beschwerdeführer auch diesen Fehler, den er eigenen Angaben zufolge beim Lesen einer Kopie der Beschwerdeschrift selbst bemerkt habe, bis zur mündlichen Verhandlung nicht korrigiert hat.

Der Beschwerdeführer hat bei seiner Einvernahme durch das Bundesamt selbst eingeräumt, bei der Erstbefragung nicht die Wahrheit gesagt zu haben („Nein, ich habe nicht die Wahrheit gesagt, heute will ich die Wahrheit sagen. Es wurde auch nicht rückübersetzt.“). In der Folge wechselte der Beschwerdeführer in der Einvernahme seine Rechtsfertigung der abweichenden Angaben jedoch mehrmals, gab an, er habe nicht gewusst, die Wahrheit sagen zu müssen, und behauptete dann, er habe die Wahrheit gesagt, es sei aber falsch protokolliert worden.

Auch zu den Aufenthaltsorten seiner Angehörigen machte der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt widersprüchliche Angaben und behauptet zunächst, sein Vater würde mit seiner neuen Frau und den Halbgeschwistern des Beschwerdeführers in Afghanistan leben, nannte in der Folge aber Semnan, Iran, als Aufenthaltsort seiner Halbgeschwister. Auch seine Cousins im Iran gab der Beschwerdeführer über Befragen nach seinen Familienangehörigen anfänglich nicht an und behauptete über Vorhalt aktenwidrig, er sei nicht danach gefragt worden.

Der Beschwerdeführer hat darüber hinaus auch zu seinem Fluchtgrund mehrfach abweichende Angaben gemacht, die er nicht nachvollziehbar erklären konnte:

Nachdem der Beschwerdeführer bei der Erstbefragung als Fluchtgrund lediglich den Krieg und die wirtschaftliche Situation in Afghanistan und seinen illegalen Aufenthalt im Iran ins Treffen geführt hat, steigerte der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt sein Vorbringen und gab nunmehr an, sein Halbbruder hätte ihn nach Syrien in den Krieg schicken wollen und habe ihn bei der Polizei dafür registriert. Zusätzlich führte er nun eine Bedrohung durch den Schwager an, dem der Halbbruder die Schwester des Beschwerdeführers „verkauft“ habe. In der Rechtsmittelschrift steigerte der Beschwerdeführer dieses Vorbringen abermals und behauptete nunmehr, dass sowohl sein Halbbruder als auch sein Schwager „fundamentalistisch islamisch orientiert“ seien.

Wenngleich die Erstbefragung insbesondere der Ermittlung der Identität und der Reiseroute des Fremden dient und sich nicht auf die näheren Fluchtgründe zu beziehen hat (vgl. zu Widersprüchen zur Erstbefragung VwGH 24.02.2015, Ra 2014/19/0171 mwN), ist auch unter Berücksichtigung der besonderen Situation bei der Erstbefragung nicht nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführer alle wesentlichen Elemente einer möglichen Bedrohung durch seinen Halbbruder bzw. Schwager in Afghanistan verschweigen würde. Auch die Erklärung des Beschwerdeführers, sein Schwager sei bei der Erstbefragung anwesend gewesen und habe kontrolliert, was der Beschwerdeführer angegeben habe, vermag nicht zu überzeugen, zumal der Beschwerdeführer in der Erstbefragung zu Protokoll gegeben hat, dass sein Schwager psychisch krank sei. Wenn es ihm möglich war, diese Angaben gefahrlos im Beisein seines Schwagers zu machen, hätte der Beschwerdeführer auch wahrheitsgetreue Angaben zu seinem Fluchtgrund machen oder die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes auf eine Bedrohung durch den Schwager hinweisen können.

Auch in der mündlichen Verhandlung konnte der Beschwerdeführer nicht plausibel darlegen, warum ihm seitens seines Halbbruders oder seines Schwagers in Afghanistan Verfolgung drohen sollte. Der Beschwerdeführer hat bereits vor dem Bundesamt angegeben, dass sein Halbbruder im Iran keine Probleme wegen des ausbezahlten Geldes für den Militärdienst des Beschwerdeführers bekommen habe, und bestätigte dies auch vor dem Bundesverwaltungsgericht („Wegen des Geldes hat er dann keine Probleme bekommen, weil er Hussein in den Krieg geschickt hat, aber wegen des Geldes, das [er] wegen meiner Schwester kassiert hatte, hat er schon Probleme bekommen.“). Hinsichtlich der Probleme mit dem Halbbruder aufgrund der Flucht der Schwester des Beschwerdeführers ist darauf hinzuweisen, dass der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt angegeben hat, es habe keine Probleme mehr gegeben, als der Schwager zum Beschwerdeführer und seiner Schwester in die Türkei gekommen sei. Auch unter Berücksichtigung der in Österreich erfolgten Trennung der Schwester von ihrem Ehemann bzw. eines eingeleiteten Scheidungsverfahrens sowie einer polizeilichen Anzeige aufgrund physischer Übergriffe des Schwagers ist kaum nachvollziehbar, warum der Beschwerdeführer selbst einer Bedrohung in Afghanistan durch den Halbbruder bzw. den Schwager ausgesetzt sein sollte, umso mehr als der Halbbruder des Beschwerdeführers im Iran lebt und der Schwager sich offenbar an einem unbekannten Ort in Europa aufhält (laut Angabe des Bundesamtes in der mündlichen Verhandlung sind betreffend den Schwager Dublin-Anfragen aus Italien und Frankreich eingelangt).

Im Gesamtzusammenhang betrachtet weisen die Angaben des Beschwerdeführers sohin zahlreiche Widersprüche und Ungereimtheiten auf, welche der Beschwerdeführer nicht nachvollziehbar zu klären vermochte. Im Zuge des Verfahrens vor dem Bundesverwaltungsgericht hat sich der Eindruck verstärkt, dass der Beschwerdeführer lediglich eine konstruierte Geschichte wiedergegeben hat, und war daher sein gesamtes fluchtbezogenes Vorbringen als unglaubhaft zu werten. Somit war nicht davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer in Afghanistan einer asylrechtlich relevanten Verfolgungsgefahr ausgesetzt war bzw. ist.

Der Beschwerdeführer könnte darüber hinaus einer Bedrohung in seiner Heimatregion in der Provinz Herat auch durch eine Neuansiedlung in Kabul oder Mazar-e Sharif entgehen, da jedenfalls keine Hinweise hervorgekommen sind, dass in ganz Afghanistan nach dem Beschwerdeführer gesucht würde.

Die Feststellungen hinsichtlich einer nicht bestehenden Gefährdung des Beschwerdeführers aufgrund seiner Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, seiner rechtswidrigen Ausreise, seiner Asylantragstellung sowie aufgrund seines Aufenthaltes in Österreich beruhen auf den ins Verfahren eingebrachten Länderberichten bzw. wurde auch kein Vorbringen zu bereits erfolgten oder konkret drohenden Diskriminierungen oder Übergriffen erstattet. Konkrete Anhaltpunkte für eine individuelle Bedrohung des Beschwerdeführers sind auch sonst nicht hervorgekommen.

2.3. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

Die Länderfeststellungen beruhen auf den ins Verfahren eingebrachten Länderberichten, insbesondere dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation – das basierend auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger unbedenklicher Quellen einen in den Kernaussagen schlüssigen Überblick über die aktuelle Lage in Afghanistan gewährleistet – und dem EASO-Bericht „Country Guidance: Afghanistan“ vom Juni 2019.

Im Ergebnis ist auch nicht zu erkennen, dass sich seit der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht in Afghanistan allgemein und für den gegenständlichen Fall relevant eine entscheidende Lageveränderung ergeben hätte. Die Situation in Afghanistan stellt sich seit Jahren diesbezüglich im Wesentlichen unverändert dar, wie sich das erkennende Gericht durch ständige Beachtung der aktuellen Quellenlage (u.a. durch Einschau in das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation und das ecoi.net-Themendossier „Überblick über die Sicherheitslage in Afghanistan“ vom 15.01.2020) versichert hat.

Der Beschwerdeführer ist den im Rahmen der mündlichen Verhandlung ins Verfahren eingebrachten Länderberichten nicht substantiiert entgegengetreten und hat in der am 02.12.2019 übermittelten Stellungnahme lediglich unter Hinweis auf „die auch nahezu tägliche Medienberichterstattung“ behauptet, die vorliegende Länderdokumentationen betreffend Afghanistan würden hinsichtlich der allgemeinen Sicherheitsklage nicht den tatsächlichen Gegebenheiten und Lebens- bzw. Überlebensbedingungen in Afghanistan entsprechen. Dieses vage Vorbringen sowie der Hinweis darauf, dass es sich bei den Berichten lediglich um „Situationsberichte“ handle (siehe Stellungnahme vom 01.08.2020) sind allerdings nicht geeignet, die auf die oben angeführten Quellen gestützte Beurteilung des Bundesverwaltungsgerichtes in Zweifel zu ziehen.

Auch vor dem Hintergrund der Ausführungen des UNHCR in den Richtlinien vom 30.08.2018 betreffend eine innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul („UNHCR ist der Auffassung, dass angesichts der gegenwärtigen Sicherheits-, Menschenrechts- und humanitären Lage in Kabul eine interne Schutzalternative in der Stadt grundsätzlich nicht verfügbar ist.“) ist im Ergebnis nicht davon auszugehen, dass Rückkehrern bei einer Neuansiedlung in der Stadt Kabul jedenfalls ernsthafter Schaden droht. Wenngleich den Richtlinien des UNHCR besondere Beachtung zu schenken ist („Indizwirkung“; vgl. etwa VwGH 10.12.2014, Ra 2014/18/0103-0106, und 22.09.2017, Ra 2017/18/0166, jeweils mit weiteren Nachweisen), folgt das erkennende Gericht diesbezüglich der etwas differenzierteren Beurteilung in der von EASO im Juni 2019 publizierten Neuauflage der Guidance Notes, laut denen eine innerstaatliche Fluchtalternative in den Städten Kabul, Herat und Mazar-e Sharif aufgrund der allgemeinen Lage grundsätzlich weiterhin in Betracht kommt („It can be concluded that the general security situation in the cities of Kabul, Herat and Mazar-e Sharif does not preclude the consideration of the three cities as IPA“). Sowohl hinsichtlich einer möglichen ernsthaften individuellen Bedrohung im Sinne von Artikel 15 lit. c der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.12.2011 (Statusrichtlinie) als auch hinsichtlich der Zumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative wird in dem Bericht ausdrücklich auf das Vorliegen besonderer persönlicher Umstände abgestellt. Die in den Städten Kabul, Herat und Mazar-e Sharif vorherrschenden allgemeinen Bedingungen stehen der Zumutbarkeit einer innerstaatliche Fluchtalternative grundsätzlich nicht entgegen („Based on available COI, it is concluded that the general circumstances prevailing in the cities of Kabul, Herat and Mazar-e Sharif, assessed in relation to the factors above, do not preclude the reasonableness to settle in the cities.“).

Die Beurteilung des EASO ist mit dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation und auch mit den Ausführungen in den UNHCR-Richtlinien betreffend einen UNAMA-Bericht vom Juli 2018 in Einklang zu bringen, in dem 993 zivile Opfer (321 Tote und 672 Verletzte) in der Provinz Kabul in den ersten sechs Monaten des Jahres 2018 genannt werden (eine Steigerung von 5 % im Vergleich zum Vorjahr), zumal diese Zahlen im Verhältnis zu der Gesamtbevölkerung der Provinz Kabul von rund 4,6 Millionen Einwohnern zu betrachten sind, wobei von einer erhöhten Gefährdung für Staatsbedienstete und Ausländer auszugehen ist. Hinsichtlich der Würdigung des EASO-Leitfadens ist ferner darauf hinzuweisen, dass in Artikel 8 Abs. 2 der Statusrichtlinie hinsichtlich der für die Prüfung der Situation im Herkunftsstaat des Antragstellers einzuholenden Informationen aus relevanten Quellen gleichermaßen auf Informationen des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (UNHCR) wie auch des Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen (EASO) verwiesen wird. Den Berichten mit Herkunftsländerinformationen (Country of Origin Information – COI) des EASO, die nach den Grundsätzen der Neutralität und Objektivität erstellt werden und darüber hinaus qualitätssichernden Verfahren unterliegen (vgl. EASO, Methodik für das Erstellen von COI-Berichten des EASO, Juli 2012; vgl. auch Artikel 4 lit. a und b der Verordnung (EU) Nr. 439/2010 vom 19.05.2010), wird daher seitens des erkennenden Gerichts ein ebenso hoher Beweiswert wie den Richtlinien des UNHCR beigemessen. Auch UNHCR hat in den Richtlinien vom 30.08.2018 den – in den Kernaussagen mit dem Folgebericht vergleichbaren – EASO-Bericht vom Juni 2018 herangezogen; soweit UNHCR darauf hingewiesen hat, dass EASO zu der Einschätzung gekommen sei, dass „in der Provinz Kabul, einschließlich der Hauptstadt, willkürliche Gewalt herrscht“, ist festzuhalten, dass EASO in unmittelbarem Zusammenhang mit der von UNHCR zitierten Aussage zur Sicherheitslage in Kabul näher ausführt, dass eine tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens im Sinne von Artikel 15 lit. c der Statusrichtlinie bestehen kann, wenn der Antragsteller aufgrund seiner persönlichen Umstände konkret betroffen ist. Im Übrigen ist festzuhalten, dass es sich bei der Frage der Zumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative um eine rechtliche Beurteilung handelt und darüber hinaus auch in den UNHCR-Richtlinien nicht davon ausgegangen wird, dass eine interne Schutzalternative in Kabul keinesfalls bestehe, sondern dass diese „grundsätzlich“ nicht verfügbar sei.

Auch hinsichtlich der Städte Herat und Mazar-e Sharif stützen sich die getroffenen Feststellungen neben dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation insbesondere auf den EASO-Leitfaden vom Juni 2019, dem etwa bezüglich der Stadt Herat Folgendes zu entnehmen ist (vgl. auch die gleichlautenden Ausführungen betreffend die Stadt Mazar-e Sharif): „In the provincial capital of Herat City, indiscriminate violence is taking place at such a low level that in general there is no real risk for a civilian to be personally affected by reason of indiscriminate violence within the meaning of Article 15(c) QD.“

Wie bereits oben ausgeführt geht EASO hinsichtlich der Städte Herat und Mazar-e Sharif – insbesondere für „single able-bodied men“ – ebenfalls von einer grundsätzlichen Zumutbarkeit der Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative aus.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zur Zuständigkeit und Kognitionsbefugnis:

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 BFA-VG entscheidet über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl das Bundesverwaltungsgericht.

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt Einzelrichterzuständigkeit vor.

Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen (§ 28 Abs. 1 VwGVG).

Zu A)

3.2. Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides:

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 AsylG 2005 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Artikel 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Artikel 9 der Statusrichtlinie verweist).

Flüchtling im Sinne des Artikel 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung liegt dann vor, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (vgl. VwGH 05.09.2016, Ra 2016/19/0074 uva.). Verlangt wird eine „Verfolgungsgefahr“, wobei unter Verfolgung ein Eingriff von erheblicher Intensität in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen ist, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes bzw. des Landes ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein. Zurechenbarkeit bedeutet nicht nur ein Verursachen, sondern bezeichnet eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr (vgl. VwGH 10.06.1998, 96/20/0287). Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintan zu halten (VwGH 24.02.2015, Ra 2014/18/0063); auch eine auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hat aber asylrelevanten Charakter, wenn der Heimatstaat des Betroffenen aus den in Artikel 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren (vgl. VwGH 28.01.2015, Ra 2014/18/0112 mwN). Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewandt werden kann (vgl. VwGH 22.03.2000, 99/01/0256 mwN).

Die Voraussetzung der „wohlbegründeten Furcht“ vor Verfolgung wird in der Regel aber nur erfüllt, wenn zwischen den Umständen, die als Grund für die Ausreise angegeben werden, und der Ausreise selbst ein zeitlicher Zusammenhang besteht (vgl. VwGH 17.03.2009, 2007/19/0459). Relevant kann nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Bescheiderlassung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Artikel 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen zu befürchten habe (vgl. u.a. VwGH 20.06.2007, 2006/19/0265 mwN).

Auch wenn in ei

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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