Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AufG 1992 §3 Abs3;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Puck und die Hofräte Dr. Zens,
Dr. Bayjones, Dr. Schick und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Kopp, über die Beschwerde der B in W, vertreten durch Dr. Z, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 19. September 1994, Zl. 104.671/2-III/11/94, betreffend Aufenthaltsbewilligung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund (Bundesministerium für Inneres) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.740,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 9. Juni 1994 wurde der (Erst)Antrag der Beschwerdeführerin auf Erteilung einer Bewilligung gemäß § 6 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufG) zum Zweck der Familienzusammenführung im Hinblick auf § 4 Abs. 1 dieses Gesetzes abgewiesen. In ihrer gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung machte die Beschwerdeführerin geltend, daß ihre Eltern seit langem in Österreich lebten und arbeiteten. Mit dem Einkommen ihrer Eltern wäre ihr Lebensunterhalt gesichert. Auch die ortsübliche Unterkunft bei ihrer Mutter sei auf Dauer gewährleistet. Die Behörde habe es verabsäumt, die Umstände ihres Privat- und Familienlebens zu erheben. Sie sei psychisch krank und im neuropsychiatrischen Krankenhaus B in Behandlung gewesen. Nach Befund des Facharztes wäre es wünschenswert, daß sie gemeinsam mit ihren Eltern lebe. Der angefochtene Bescheid greife schwer in ihr Privat- und Familienleben ein. Es hätte die Behörde zu dieser Frage ermitteln, Feststellungen treffen und eine Interessensabwägung nach Art. 8 Abs. 2 EMRK vornehmen müssen.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wurde die Berufung der Beschwerdeführerin gemäß § 66 Abs. 4 AVG in Verbindung mit den §§ 4 und 9 Abs. 3 AufG in der Fassung vor Inkrafttreten der Novelle BGBl. Nr. 351/1995, abgewiesen. Begründend führte die belangte Behörde aus, gemäß § 9 Abs. 3 AufG dürften keine weiteren Bewilligungen erteilt werden, wenn die in § 2 Abs. 1 AufG und der darauf beruhenden Verordnung festgelegte Anzahl von Bewilligungen erreicht sei. Ab diesem Zeitpunkt seien anhängige Anträge, die sich nicht auf den im § 3 AufG verankerten Rechtsanspruch stützten, abzuweisen. Für das Bundesland Wien sei in der Verordnung der Bundesregierung über die Anzahl der Bewilligungen nach dem AufG für 1994, BGBl. Nr. 72/1994, eine Höchstzahl von 4.300 Bewilligungen festgesetzt; diese sei nunmehr erreicht. Auf das weitere in der Berufung enthaltene Vorbringen sei daher nicht mehr einzugehen gewesen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die nach Ablehnung ihrer Behandlung durch den Verfassungsgerichtshof dem Verwaltungsgerichtshof abgetretene Beschwerde. Die Beschwerdeführerin erachtet sich in ihrem Recht auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung verletzt und beantragt, den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Im Hinblick auf die behauptete Zustellung des angefochtenen Bescheides am 30. September 1994 hatte die belangte Behörde die Rechtslage vor Inkrafttreten der AufG-Novelle
BGBl. Nr. 351/1995 (im folgenden: AufG aF) anzuwenden.
§ 3 und § 9 Abs. 3 AufG aF lauteten auszugsweise:
"§ 3. (1) Ehelichen und außerehelichen minderjährigen Kindern und Ehegatten
1.
von österreichischen Staatsbürgern oder
2.
von Fremden, die aufgrund einer Bewilligung oder sonst gemäß § 1 Abs. 3 Z. 1 bis 5 rechtmäßig ohne Bewilligung seit mehr als zwei Jahren ihren ordentlichen Wohnsitz in Österreich haben, ist eine Bewilligung zu erteilen, sofern kein Ausschließungsgrund (§ 5 Abs. 1) vorliegt.
...
(3) Die Fristen des Abs. 1 Z. 2 und des Abs. 2 können verkürzt werden, wenn der Ehegatte bzw. die Kinder im gemeinsamen Haushalt gelebt haben und auf Dauer ihr Lebensunterhalt und ihre Unterkünfte ausreichend gesichert sind. In besonders berücksichtigungswürdigen Fällen und unter den selben Voraussetzungen kann, wenn dies zur Vermeidung einer besonderen Härte geboten ist, eine Bewilligung auch volljährigen Kindern und Eltern der in Abs. 1 genannten Personen erteilt werden, wenn sie von diesen wirtschaftlich abhängig sind.
§ 9.
...
(3) Sobald die gemäß § 2 Abs. 1 festgelegte Anzahl erreicht ist, dürfen keine weiteren Bewilligungen erteilt werden. Die Entscheidung über anhängige Anträge gemäß § 3 ist auf das folgende Jahr zu verschieben; andere anhängige Anträge sind abzuweisen."
In der Beschwerdeergänzung vor dem Verwaltungsgerichtshof bleibt unbestritten, daß die maßgebliche Höchstzahl von
4.300 Bewilligungen "nunmehr", also im Zeitpunkt der Entscheidung durch die belangte Behörde, erreicht gewesen ist. Auch der Verwaltungsgerichtshof hat im vorliegenden Beschwerdeverfahren keinen Anlaß, gegen diese Feststellung Bedenken zu hegen.
Soweit in der Beschwerde als Rechtswidrigkeit des Inhaltes gerügt wird, daß der Zeitpunkt der Antragstellung hinsichtlich der Quotenerschöpfung maßgeblich sein müsse, ist zu erwidern, daß die belangte Behörde die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt ihrer Entscheidung zu beachten, also das im Zeitpunkt der Erlassung des Berufungsbescheides geltende Recht anzuwenden hatte. Die belangte Behörde legte daher zu Recht die Verordnung der Bundesregierung über die Anzahl der Bewilligungen nach dem AufG für 1994, BGBl. Nr. 72/1994, ihrer Entscheidung zugrunde. Ob im Antragszeitpunkt die Höchstzahl (der damals noch geltenden Verordnung BGBl. Nr. 402/1993) nicht oder noch nicht erreicht bzw. allenfalls überschritten war, war daher ohne Bedeutung, weshalb die belangte Behörde auf eine derartige Darstellung im angefochtenen Bescheid verzichten konnte.
Die Beschwerde stützt sich weiteres darauf, daß die Beschwerdeführerin als Aufenthaltszweck Familienzusammenführung genannt habe, und "daß die Tatsache der Familienzusammenführung nicht dazu führen könne, daß nur einer bestimmten Höchstzahl von Personen eine Aufenthaltsbewilligung erteilt werden könne, da für eine derartige Mengenbegrenzung keine Grundlage im Gesetz ist." Dazu ist zum einen zu bemerken, daß Grundlagen für eine Mengenbegrenzung (an Bewilligungen) die Bestimmungen der §§ 2 Abs. 1 und 9 Abs. 3 AufG aF sind, also für Mengenbegrenzungen sehr wohl eine Basis im AufG existiert. Allerdings war nicht für alle zum Zeitpunkt der Quotenerschöpfung anhängigen Anträge eine Abweisung gesetzlich vorgesehen, auf § 3 AufG gestützte Anträge waren auf das folgende Jahr zu verschieben.
Der - implizit - der Beschwerde entnehmbare Hinweis darauf, die Beschwerdeführerin falle aufgrund der von ihr angestrebten Familienzusammenführung mit ihren Eltern in den Anwendungsbereich des § 3 AufG, worauf die Behörde nicht geachtet habe, verhilft der Beschwerde schließlich zum Erfolg. Die Wendung "Anträge gemäß § 3" im § 9 Abs. 3 AufG aF schließt die Bedachtnahme auch auf die Ausnahmeregelung des § 3 Abs. 3 AufG mit ein. Die Behörde hat somit - bei entsprechendem Vorbringen der Fremden im Verfahren - auch diese Bestimmung in ihre Erwägungen einzubeziehen (vgl. hg. Erkenntnis vom 28. September 1995, 94/18/0971 und vom 22. November 1995, 95/21/0173). Auf die Beschwerdeführerin als volljähriges Kind von Fremden hätte allenfalls der zweite Satz des § 3 Abs. 3 AufG aF Anwendung finden können. Diese Bestimmung sieht in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen zur Vermeidung einer besonderen Härte die Möglichkeit der Erteilung einer Bewilligung auch an volljährige Kinder im Rahmen des Familiennachzugs vor, wenn die Eltern aufgrund einer Bewilligung oder sonst gemäß § 1 Abs. 3 Z. 1 bis 5 rechtmäßig ohne Bewilligung seit mehr als zwei Jahren ihren ordentlichen Wohnsitz in Österreich haben, kein Ausschließungsgrund (§ 5 Abs. 1) vorliegt, sie mit den Kindern im gemeinsamen Haushalt gelebt haben, auf Dauer Lebensunterhalt und Unterkunft der Kinder gesichert und diese von ihnen wirtschaftlich abhängig sind. Die Beschwerdeführerin brachte in der Berufung vor, daß ihre Eltern langjährig in Österreich lebten und arbeiteten sowie jeweils über ein unbefristetes Visum verfügten und durch das Einkommen der Eltern ihr Lebensunterhalt ebenso gesichert sei wie eine ortsübliche Unterkunft bei ihrer Mutter. In der Berufung führte die Beschwerdeführerin unter Beibringung einer fachärztlichen Bestätigung des neuropsychiatrischen Krankenhauses in Belgrad weiters aus, daß sie aufgrund gesundheitlicher Probleme gemeinsam mit ihren Eltern leben wolle.
Damit hat die Beschwerdeführerin aber in ausreichender Weise geltend gemacht, daß die Voraussetzungen des § 3 Abs. 3 AufG aF auf sie zutreffen könnten und durch die Anführung ihrer gesundheitlichen Probleme auch Umstände vorgebracht, die als "besonders berücksichtigungswürdige Gründe" angesehen und - um Härtefälle zu vermeiden - entsprechend der genannten Gesetzesbestimmung berücksichtigt werden könnten (vgl. hiezu die bei Schindler-Widermann-Wimmer, Fremdenrecht, Kommentar zu § 3 AufG, angeführten Beispiele besonders berücksichtigungswürdiger Fälle). Die belangte Behörde hat sich aber mit der Frage, ob die Beschwerdeführerin unter die Bestimmung des § 3 Abs. 3 letzter Satz leg. cit. fallen könnte, nicht erkennbar auseinandergesetzt. Sie hätte ausgehend vom Vorbringen der Fremden gemäß § 39 Abs. 2 AVG nähere Feststellungen treffen müssen, um beurteilen zu können, ob es sich - insbesondere im Hinblick auf die behauptete psychische Erkrankung der Beschwerdeführerin - um einen besonders berücksichtigungswürdigen Fall im Sinn des § 3 Abs. 3 zweiter Satz AufG aF handelt (vgl. Erkenntnis vom 18. September 1995, 95/18/0093). In diesem Fall hätte ihr Antrag aber nicht abgewiesen, sondern gemäß § 9 Abs. 3 leg. cit. auf das nächste Jahr verschoben werden müssen.
Da somit nicht auszuschließen ist, daß die belangte Behörde bei einer Auseinandersetzung mit dem wiedergegebenen Vorbringen der Beschwerdeführerin zu einem anderen Bescheid gekommen wäre, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Im Fall der Abtretung einer Beschwerde gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG gebührt der im verwaltungsgerichtlichen Verfahren obsiegenden Beschwerdeführerin kein Ersatz der Stempelgebühren, die sie im vorangegangenen Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof entrichten mußte. Es war daher lediglich der Ersatz der Stempelgebühren für die Beschwerdeergänzung vor dem Verwaltungsgerichtshof (zweifach) zuzusprechen. Neben dem pauschalierten Ersatz des Schriftsatzaufwandes kann ein Ersatz weiterer Kosten unter dem Titel von Umsatzsteuer nicht zugesprochen werden.
Soweit Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zitiert werden, die in der Amtlichen Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse dieses Gerichtshofes nicht veröffentlicht sind, wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1997:1996190316.X00Im RIS seit
02.05.2001