Entscheidungsdatum
01.10.2020Norm
AsylG 2005 §54Spruch
W192 2213331-3/8E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Ruso als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Kosovo, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 26.03.2019, Zahl 191609309/170983249, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 01.10.2020 zu Recht erkannt:
A) In Erledigung der Beschwerde wird ausgesprochen, dass eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG 2005, BGBl. I. Nr. 100/2005 idgF, iVm § 9 Absatz 3 BFA-VG, BGBl. I Nr. 87/2012 idgF, auf Dauer unzulässig ist. Gemäß §§ 54 und 55 AsylG 2005 wird XXXX der Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung plus" erteilt.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang
1. Am 23.08.2017 stellte der Beschwerdeführer bei der belangten Behörde einen Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK und brachte diesen in Entsprechung zu einem Verbesserungsauftrag der Behörde vom 07.09.2018 am 16.10.2018 mit Beilagen persönlich bei der Behörde ein. Zur Begründung führte er aus, dass er im Dezember 1998 als außerordentlicher Hörer der TU Wien nach Österreich gekommen sei, hier 1999 sein Diplom der Universität Pristina aus 1996 im Fach Elektrotechnik nostrifiziert wurde und er seit 1999 als ordentlicher Hörer an der TU Wien studiert und an seiner Doktorarbeit gearbeitet habe. Nach der 2001 erfolgten Geburt seiner gesundheitlich beeinträchtigten Tochter im Herkunftsstaat sei er immer wieder zu deren Pflege in den Herkunftsstaat gereist und gezwungen gewesen, sich für einzelne Semester beurlauben zu lassen. Die Verlängerung der Gültigkeitsdauer seines Studentenvisums sei zuletzt abgelehnt worden.
Der Beschwerdeführer lebe in Österreich bei seinem Vater, der Pensionist sei. Dieser lebe seit 1969 in Österreich; es habe sich seit 2012 sein Gesundheitszustand verschlechtert und der Beschwerdeführe müsse sich um ihn kümmern.
Der Beschwerdeführer habe beschlossen, in Österreich eine Firma für Elektroinstallationen zu gründen und dazu auch Schulungen des Wifi über technische Standards absolviert. Zur erforderlichen Erlangung von Praxis beabsichtige er, bei einer Firma zu arbeiten, sobald er Aufenthaltstitel und Arbeitserlaubnis bekomme.
Der Beschwerdeführer habe nie in Österreich „schwarz“ gearbeitet. Der Beschwerdeführer legte unter anderem ein Zeugnis über die Ergänzungsprüfung aus Deutsch gemäß § 48 Abs. 2 UnivStGesetz, BGBl. I 48/1997, vom 30.06.1999, die Kopie des Bescheids des Verwaltungsgerichts Wien vom 27.07.2017, womit die Beschwerde gegen die Abweisung des Antrags des Beschwerdeführers vom 18.06.2016 auf Erteilung eines Aufenthaltstitels für den Zweck „Studierender“ abgewiesen worden ist, ein Zeugnis über die Absolvierung der Abschlussprüfung eines Lehrganges über elektrotechnische Sicherheitsvorschriften für das Elektrotechnikergewerbe des Wifi sowie einen Versicherungsdatenauszug vor, wonach er über eine Selbstversicherung verfügt.
Am 13.02.2019 erfolgte eine niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Wesen und Asyl (BFA), wobei er angab, dass er nach der Geburt seiner Tochter zwischen Österreich und dem Kosovo gependelt sei und ungefähr die Hälfte dieser Zeit im Kosovo verbracht habe. Seit August 2016 sei er durchgehend in Österreich. Der Beschwerdeführer habe hier bei seinem Vater gelebt, Kurse besucht und versucht, einen Aufenthaltstitel zu beantragen, wozu ihm sein Anwalt geraten habe.
Im Herkunftsstaat würden seine Ehefrau, zwei Söhne und eine Tochter leben. Der Beschwerdeführer habe seine Frau und die Kinder zuletzt im August 2016 gesehen und habe über moderne Medien Kontakt. Im Falle der Erteilung eines Aufenthaltstitels würde er versuchen, seine Frau und die zwei minderjährigen Kinder nachzuholen. Die Ehefrau des Beschwerdeführers sei als Lehrerin berufstätig, die Familie lebe in einem eigenen Haus im Herkunftsstaat. In Österreich finanziere der Vater des Beschwerdeführers die Wohnung und dessen Versicherung. Weiters habe der Beschwerdeführer eine Teilbeschäftigung bei der Firma seines Schwagers im Kosovo.
Mit Schreiben des BFA vom 19.02.2019 wurde der Beschwerdeführer über die Absicht in Kenntnis gesetzt, seinen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK abzuweisen und eine Rückkehrentscheidung zu erlassen. Darin wurde der Beschwerdeführer auch über vorläufige Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat in Kenntnis gesetzt und ihm die Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme eingeräumt.
Mit Schriftsatz seines Rechtsvertreters vom 26.02.2019 brachte der Beschwerdeführer vor, dass er in Österreich den Aufenthaltstitel beantrage, weil er schon lange her lebe und dies auch weiter wolle. Er habe hier studiert und kümmere sich jetzt um seinen behinderten Vater. Er sei zuletzt im August 2016 außerhalb Österreichs gewesen und mit einem drei Monate gültigen Visum zurückgekommen.
2. Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 55 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.) und gemäß § 10 Abs. 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 3 FPG 2005 erlassen (Spruchpunkt II.). Weiters wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers in den Kosovo gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.) und gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG eine zweiwöchige Frist für die freiwillige Ausreise ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkt IV.).
Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl legte der Entscheidung umfassende Länderfeststellungen zur Grundversorgung im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers zugrunde und hielt begründend im Wesentlichen fest, dass der Beschwerdeführer seit 1999 über Aufenthaltstitel als Studierender verfügte, dieses Studium aber mehrfach unterbrochen und bis heute nicht abgeschlossen habe, wobei sein letzter Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Studierender" nach dem NAG abgewiesen wurde. Der Beschwerdeführer befinde sich damit seit 27.07.2017 illegal im Bundesgebiet. Der Beschwerdeführer habe Bindungen zum Kosovo, wo sich seine Ehefrau und drei Kinder befinden. Der Beschwerdeführer habe zweifelsohne gute Kontakte im Bundesgebiet, spreche sehr gut Deutsch, sei aber nicht selbsterhaltungsfähig und es werde seine strafrechtliche Unbescholtenheit neutral bewertet. Der Beschwerdeführer versuche mit dem humanitären Antrag das NAG zu umgehen. Es sei dem Vater des Beschwerdeführers unbenommen, für Pflegeleistungen eine fremde Hilfe in Anspruch zu nehmen und sei auch der Bruder des Beschwerdeführers in der Wohnung des Vaters aufhältig, was als Übergangslösung für eine Zeit vorstellbar sei, in der der Beschwerdeführer sich vom Kosovo aus bemühen könne, einen Aufenthaltstitel für das Bundesgebiet nach dem NAG zu erhalten. Da keine relevanten familiären bzw. verwandtschaftlichen Beziehungen in Österreich festgestellt wurden, bestehe in Österreich kein Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK. Es bestehe auch kein schützenswertes Privatleben, das einer aufenthaltsbeendeten Maßnahme entgegenstehe. Es sei dem Beschwerdeführer möglich, zu touristischen Zwecken 90 Tage innerhalb von 180 Tagen in Bundesgebiet aufhältig zu sein, was völlig ausreichend erscheine, um den Kontakt zu ihrem Vater und Bruder sowie anderen Bekannten und Freunden zu pflegen.
3. Gegen den dargestellten Bescheid wurde durch den gewillkürten Vertreter des Beschwerdeführers mit Schriftsatz vom 04.04.2019 die verfahrensgegenständliche Beschwerde per Telefax eingebracht, in welcher begründend zusammengefasst ausgeführt wurde, dass der Beschwerdeführer sich seit nahezu 20 Jahren in Österreich aufhalte, hier vollkommen integriert sei, perfekt deutsch spreche und schon aus diesem Grund schützenswertes Privatinteresse vorliege.
4. Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 15.04.2020 wurde die gegenständliche Rechtssache der Gerichtsabteilung G307 abgenommen und der Gerichtsabteilung W192 neu zugewiesen.
5. Am 01.10.2020 fand eine mündliche Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht statt, an welcher die beschwerdeführende Partei und deren bevollmächtigter Vertreter teilnahmen. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl war ordnungsgemäß geladen worden, hat aber nicht an der Verhandlung teilgenommen. Dabei machte der Beschwerdeführer auf Befragen Angaben zu seinen persönlichen Verhältnissen in Österreich und im Herkunftsstaat und legte weitere integrationsbelege und Empfehlungsschreiben vor.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der Beschwerdeführer ist ein Staatsangehöriger des Kosovo; seine Identität steht fest.
Die Beschwerdeführerin befindet sich nach legaler Einreise seit 1999 - zunächst mit Unterbrechungen zur Betreuung seiner Tochter im Herkunftsstaat - im Bundesgebiet und verfügte über Aufenthaltstitel als Studierender zuletzt mir Gültigkeit bis 19.01.2016. Seit seiner letzten legalen Einreise auf Grundlage einer bis 09.08.2016 gültigen Bestätigung nach § 24 Abs. 1 NAG über die rechtzeitige Stellung eines Verlängerungsantrags hat er sich durchgehend im Bundesgebiet aufgehalten. Sein Aufenthalt war bis zur rechtskräftigen Abweisung dieses Verlängerungsantrags durch das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 27.07.2017 rechtmäßig.
Der Beschwerdeführer war im Doktoratsstudium der Technischen Wissenschaften Elektrotechnik für 22 Semester inskribiert bzw. zur Fortsetzung gemeldet und für 11 Semester beurlaubt. Er hat Deutschkurse und Vorstudienlehrgänge absolviert, spricht gut Deutsch und hat am 29.06.1999 die Ergänzungsprüfung aus Deutsch gemäß § 48 Abs. 2 UniStG, BGBl.I Nr.48/1997 als Voraussetzung für die Zulassung als ordentlicher Hörer an der TU Wien absolviert.
Er bewohnt mit seinem Vater dessen Mietwohnung, ist selbstversichert und konnte dartun, dass er in der Lage war, den Lebensunterhalt mit eigenen Einkünften aus dem Herkunftsstaat und mit Unterstützung durch seinen Vater zu bestreiten. Der Beschwerdeführer hat in Österreich keinen Antrag auf internationalen Schutz gestellt und hat keine Leistungen des Grundversorgungssystems in Anspruch genommen. Der Beschwerdeführer unterstützt seinen pflegebedürftigen Vater.
Der Beschwerdeführer hat eine Prüfung über Sicherheitsvorschriften für das Elektrotechnikergewerbe im Jänner 2019 und die Unternehmerprüfung vor der Meisterprüfungsstelle der WKO im Juni 2020 abgelegt. Darüber hinaus legte der Beschwerdeführer einen Arbeitsvorvertrag eines Bauunternehmens für die Anstellung als Elektrotechniker vom 24.09.2020 vor, welcher darauf hindeutet, dass er in Zukunft in der Lage sein wird, den Lebensunterhalt aus eigener Erwerbstätigkeit zu bestreiten.
Der Beschwerdeführer hat bis 1999 durchgehend im Kosovo gelebt und sich danach immer wieder längerfristig zur Betreuung seiner gesundheitlich beeinträchtigten Tochter dort aufgehalten, spricht Albanisch auf muttersprachlichem Niveau und verfügt über seine Ehefrau und zwei Kinder im Herkunftsstaat, während ein weiterer Sohn in Deutschland niedergelassen ist. Der Beschwerdeführer hat zuletzt im Sommer 2016 einen Besuchsaufenthalt im Herkunftsstaat absolviert. Er konnte glaubhaft darlegen, dass sein Lebensmittelpunkt nunmehr in Österreich gelegen ist. Er hat in Österreich neben dem Vater einige entfernte Familienangehörigen, aber auch einen Freundeskreis. Der Beschwerdeführer ist unbescholten.
2. Beweiswürdigung:
Aufgrund des vorgelegten Reisepasses steht die Identität des Beschwerdeführers fest.
Die strafgerichtliche Unbescholtenheit des Beschwerdeführers ergibt sich aus einer Einsichtnahme in das Strafregister. Die Feststellungen über seine Lebensumstände in Österreich sowie im Kosovo ergeben sich aus den Angaben des Beschwerdeführers in Zusammenschau mit den in Vorlage gebrachten Unterlagen zum Beleg seiner Integrationsbemühungen.
Die (auch) künftig zu erwartende Selbsterhaltungsfähigkeit des Beschwerdeführers ist auf Grund seiner Ausbildung und seinen Sprachkenntnissen in Zusammenhang mit dem Umstand, dass er bisher in Österreich keine Unterstützungs- und Versorgungsleistungen der öffentlichen Hand in Anspruch genommen hat, prima vista zu erwarten.
3. Rechtliche Beurteilung:
3.1. Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I 33/2013 idF BGBl. I 122/2013, geregelt (§ 1 leg. cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Eine derartige Regelung wird in den einschlägigen Materiengesetzen (BFA-VG, AsylG 2005, FPG) nicht getroffen und es liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.
Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.
Zu A) Stattgebung der Beschwerde:
3.2.1. Das AsylG 2005 regelt in seinem 7. Hauptstück die Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen sowie das Verfahren zur Erteilung derselben. Die darin enthaltenen Bestimmungen lauten auszugsweise:
„Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK
§ 55. (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine ‚Aufenthaltsberechtigung plus‘ zu erteilen, wenn
1. dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist und
2. der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG) erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. I Nr. 189/1955) erreicht wird.
(2) Liegt nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vor, ist eine ‚Aufenthaltsberechtigung‘ zu erteilen.
[…]
Antragstellung und amtswegiges Verfahren
§ 58. (1) …
(13) Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55 bis 57 begründen kein Aufenthalts- oder Bleiberecht. Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55 und 57 stehen der Erlassung und Durchführung aufenthaltsbeendender Maßnahmen nicht entgegen. Sie können daher in Verfahren nach dem 7. und 8. Hauptstück des FPG keine aufschiebende Wirkung entfalten. Bei Anträgen auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 56 hat das Bundesamt bis zur rechtskräftigen Entscheidung über diesen Antrag jedoch mit der Durchführung der einer Rückkehrentscheidung umsetzenden Abschiebung zuzuwarten, wenn
1. ein Verfahren zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung erst nach einer Antragstellung gemäß § 56 eingeleitet wurde und
2. die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 56 wahrscheinlich ist, wofür die Voraussetzungen des § 56 Abs. 1 Z 1, 2 und 3 jedenfalls vorzuliegen haben.
(14) […]
Allgemeine Erteilungsvoraussetzungen
§ 60. (1) Aufenthaltstitel dürfen einem Drittstaatsangehörigen nicht erteilt werden, wenn
1. gegen ihn eine aufrechte Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 iVm 53 Abs. 2 oder 3 FPG besteht, oder
2. gegen ihn eine Rückführungsentscheidung eines anderen EWR-Staates oder der Schweiz besteht.
(2) …
(3) Aufenthaltstitel dürfen einem Drittstaatsangehörigen nur erteilt werden, wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen nicht öffentlichen Interessen widerstreitet. Der Aufenthalt eines Drittstaatsangehörigen widerstreitet dem öffentlichen Interesse, wenn
1. dieser ein Naheverhältnis zu einer extremistischen oder terroristischen Gruppierung hat und im Hinblick auf deren bestehende Strukturen oder auf zu gewärtigende Entwicklungen in deren Umfeld extremistische oder terroristische Aktivitäten derselben nicht ausgeschlossen werden können, oder auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass dieser durch Verbreitung in Wort, Bild oder Schrift andere Personen oder Organisationen von seiner gegen die Wertvorstellungen eines europäischen demokratischen Staates und seiner Gesellschaft gerichteten Einstellung zu überzeugen versucht oder versucht hat oder auf andere Weise eine Person oder Organisation unterstützt, die die Verbreitung solchen Gedankengutes fördert oder gutheißt oder
2. im Falle der §§ 56 und 57 dessen Aufenthalt die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden würde. […]“
Gemäß § 10 Abs. 3 AsylG 2005 idgF ist, wenn der Antrag eines Drittstaatsangehörigen auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 abgewiesen wird, diese Entscheidung mit einer Rückkehrentscheidung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden.
Die maßgeblichen Bestimmungen des 7. und 8. Hauptstücks des FPG lauten:
„Rückkehrentscheidung
§ 52. (1) – (2) […]
(3) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt unter einem mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 AsylG 2005 zurück- oder abgewiesen wird.
(4) – (8) [...]
(9) Mit der Rückkehrentscheidung ist gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist.
(10) – (11) […]
[...]“
§ 9 BFA-VG lautet wie folgt:
„§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.
(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:
1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,
2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,
3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,
4. der Grad der Integration,
5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,
6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,
7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,
8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,
9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.
(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.
(4) – (6) [...]“
3.2.2. Voraussetzung für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG 2005 ist, dass dies zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG iSd Art. 8 EMRK geboten ist.
3.2.2.1. Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.
Ob eine Verletzung des Rechts auf Schutz des Privat- und Familienlebens iSd Art. 8 EMRK vorliegt, hängt nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte sowie des Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshofes jeweils von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab. Die Regelung erfordert eine Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffs; letztere verlangt eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter und öffentlichen Interessen. In diesem Sinn wird eine Ausweisung – nunmehr Rückkehrentscheidung – nicht erlassen werden dürfen, wenn ihre Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden (und seiner Familie) schwerer wiegen würden als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung.
Die Verhältnismäßigkeit einer Rückkehrentscheidung ist dann gegeben, wenn der Konventionsstaat bei seiner aufenthaltsbeendenden Maßnahme einen gerechten Ausgleich zwischen dem Interesse des Fremden auf Fortsetzung seines Privat- und Familienlebens einerseits und dem staatlichen Interesse auf Verteidigung der öffentlichen Ordnung andererseits, also dem Interesse des Einzelnen und jenem der Gemeinschaft als Ganzes gefunden hat. Dabei variiert der Ermessensspielraum des Staates je nach den Umständen des Einzelfalles und muss in einer nachvollziehbaren Verhältnismäßigkeitsprüfung in Form einer Interessenabwägung erfolgen.
Bei dieser Interessenabwägung sind – wie in § 9 Abs. 2 BFA-VG unter Berücksichtigung der Judikatur der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts ausdrücklich normiert wird – die oben genannten Kriterien zu berücksichtigen (vgl. VfSlg. 18.224/2007; VwGH 26.06.2007, 2007/01/0479; 26.01.2006, 2002/20/0423).
3.2.2.2. Das Recht auf Achtung des Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK schützt das Zusammenleben der Familie. Es umfasst jedenfalls alle durch Blutsverwandtschaft, Eheschließung oder Adoption verbundene Familienmitglieder, die effektiv zusammenleben; das Verhältnis zwischen Eltern und minderjährigen Kindern auch dann, wenn es kein Zusammenleben gibt (EGMR 27. 10. 1994, Kroon u.a. gg. die Niederlande, ÖJZ 1995, 296; siehe auch VfGH 28. 6. 2003, G 78/00).
Nach der Rechtsprechung des EGMR garantiert die Konvention Fremden kein Recht auf Einreise und Aufenthalt in einem Staat. Unter gewissen Umständen können von den Staaten getroffene Entscheidungen auf dem Gebiet des Aufenthaltsrechts (z.B. eine Ausweisungsentscheidung) aber in das Privatleben eines Fremden eingreifen. Dies beispielsweise dann, wenn ein Fremder den größten Teil seines Lebens in dem Gastland zugebracht oder besonders ausgeprägte soziale oder wirtschaftliche Bindungen im Aufenthaltsstaat vorliegen, die sogar jene zum eigentlichen Herkunftsstaat an Intensität deutlich übersteigen (vgl. EGMR 8. 4. 2008, Nnyanzi gg. das Vereinigte Königreich, Appl. 21.878/06; 4. 10. 2001, Fall Adam, Appl. 43.359/98, EuGRZ 2002, 582; 9. 10. 2003, Fall Slivenko, Appl. 48.321/99, EuGRZ 2006, 560; 16. 6. 2005, Fall Sisojeva, Appl. 60.654/00, EuGRZ 2006, 554).
Der Beschwerdeführer lebt im Bundesgebiet in der Mietwohnung seines pflegebedürftigen Vaters und unterstützt diesen im Alltag. Nach ständiger Rechtsprechung des EGMR entsteht ein von Art. 8 Abs. 1 EMRK geschütztes Familienleben zwischen Eltern und Kind mit dem Zeitpunkt der Geburt. Diese besonders geschützte Verbindung kann in der Folge nur unter außergewöhnlichen Umständen als aufgelöst betrachtet werden. Das Auflösen einer Hausgemeinschaft von Eltern und volljährigen Kindern alleine führt jedenfalls nicht zur Beendigung dieses Familienlebens im Sinne des Art. 8 Abs. 1 EMRK, solange nicht jede Bindung gelöst ist (24.04.1996, 22070/93, Boughanemi/Frankreich). Für das Bestehen eines Familienlebens zwischen Eltern und Kindern kommt es nicht darauf an, dass ein qualifiziertes und hinreichend stark ausgeprägtes Naheverhältnis vorliegt, sondern darauf, ob jede Verbindung gelöst wurde.
Eine aufenthaltsbeendigende Maßnahme würde daher entgegen den Ausführungen des angefochtenen Bescheids in das Recht auf Achtung des Familienlebens eingreifen. Der Hinweis des angefochtenen Bescheids, die Unterstützung des Vaters könne auch durch den Bruder des Beschwerdeführers erfolgen, geht ins Leere, da dieser Bruder zwar (noch) an der Adresse des Vaters gemeldet, aber nach Angaben des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung bereits 2019 in den Kosovo zurückgekehrt ist, was mit dem Umstand im Einklang steht, dass der letzte Verlängerungsantrag dieses Bruders auf Erteilung eines Aufenthaltstitels als Student am 23.05.2019 abgewiesen wurde.
3.2.2.3.1. Unter dem „Privatleben“ sind nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen eines Menschen zu verstehen (vgl. EGMR 15.01.2007, Sisojeva ua. gegen Lettland, Appl. 60654/00). In diesem Zusammenhang kommt dem Grad der sozialen Integration des Betroffenen eine wichtige Bedeutung zu.
Für den Aspekt des Privatlebens spielt zunächst der verstrichene Zeitraum im Aufenthaltsstaat eine zentrale Rolle, wobei die bisherige Rechtsprechung keine Jahresgrenze festlegt, sondern eine Interessenabwägung im speziellen Einzelfall vornimmt (vgl. dazu Chvosta, Die Ausweisung von Asylwerbern und Art 8 MRK, ÖJZ 2007, 852 ff). Die zeitliche Komponente ist insofern wesentlich, als – abseits familiärer Umstände – eine von Art. 8 EMRK geschützte Integration erst nach einigen Jahren im Aufenthaltsstaat anzunehmen ist (vgl. Thym, EuGRZ 2006, 541). Der Verwaltungsgerichtshof geht in seinem Erkenntnis vom 26.06.2007, 2007/01/0479, davon aus, dass „der Aufenthalt im Bundesgebiet in der Dauer von drei Jahren [...] jedenfalls nicht so lange ist, dass daraus eine rechtlich relevante Bindung zum Aufenthaltsstaat abgeleitet werden könnte“. Darüber hinaus hat der Verwaltungsgerichthof bereits mehrfach zum Ausdruck gebracht, dass einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die durchzuführende Interessenabwägung zukommt (vgl. VwGH 30.07.2015, Ra 2014/22/0055, mwH).
Zur Gewichtung der öffentlichen Interessen ist insbesondere das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 17. 3. 2005, G 78/04, zu erwähnen. Demnach ist das Gewicht der öffentlichen Interessen im Verhältnis zu den privaten Interessen bei der Ausweisung von Fremden, die sich etwa jahrelang legal in Österreich aufgehalten haben, und Asylwerbern/ Asylwerberinnen, die an sich über keinen Aufenthaltstitel verfügen und denen bloß während des Verfahrens Abschiebeschutz zukommt, unterschiedlich zu beurteilen. Es ist auf die Besonderheiten der aufenthaltsrechtlichen Stellung von Asylwerbern Bedacht zu nehmen, zumal das Gewicht einer aus dem langjährigen Aufenthalt in Österreich abzuleitenden Integration dann gemindert ist, wenn dieser Aufenthalt lediglich auf unberechtigte Asylanträge zurückzuführen ist (vgl. VwGH 17.12.2007, 2006/01/0216, mwH).
Bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt des Fremden ist regelmäßig von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich auszugehen. Nur dann, wenn der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt hat, um sich sozial und beruflich zu integrieren, sind Aufenthaltsbeendigungen ausnahmsweise auch nach so langem Inlandsaufenthalt noch für verhältnismäßig angesehen (VwGH 16.11.2016, Ra 2016/18/0041 mit Hinweis auf E 30.08.2011, 2008/21/0605; E 14.04.2016, Ra 2016/21/0029 bis 0032; E 30.06.2016, Ra 2016/21/0165).
3.2.2.3.2. Dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen kommt im Interesse des Schutzes der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) zwar grundsätzlich ein hoher Stellenwert zu (vgl. etwa VfGH 1. 7. 2009, U992/08 bzw. VwGH 17. 12. 2007, 2006/01/0216; 26. 6. 2007, 2007/01/0479; 16. 1. 2007, 2006/18/0453; 8. 11. 2006, 2006/18/0336 bzw. 2006/18/0316; 22. 6. 2006, 2006/21/0109; 20. 9. 2006, 2005/01/0699), im gegenständlichen Fall überwiegen aber aufgrund der dargestellten Umstände in einer Gesamtabwägung aller Umstände - insbesondere im Hinblick auf die lange 10 Jahre weit übersteigende Dauer des Aufenthalts des Beschwerdeführers in Österreich - dennoch die privaten und familiären Interessen der beschwerdeführenden Partei an einem Verbleib in Österreich das öffentliche Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung. Die von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid verfügte Rückkehrentscheidung ist angesichts der vorliegenden Bindungen unverhältnismäßig im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK.
Insgesamt kann im Falle des Beschwerdeführers von einer gelungenen Integration ausgegangen werden. Wie dargestellt, beruhen die drohenden Verletzungen des Privat- und Familienlebens auf Umständen, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind.
Da der Beschwerdeführer legal nach Österreich eingereist ist, sich bis Juli 2017 hier legal aufgehalten hat und er seinen Aufenthalt niemals auf einen unbegründeten Asylantrag gegründet hat, ist das Interesse an der Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens der beschwerdeführenden Partei als schützenswert anzusehen und überwiegt im konkreten Einzelfall die in Art. 8 Abs. 2 EMRK angeführten öffentlichen Interessen. Daher liegen die Voraussetzungen für eine Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Artikel 8 EMRK gemäß § 55 AsylG 2005 fallgegenständlich vor.
3.3.1. Das Modul 1 der Integrationsvereinbarung ist gemäß § 9 Abs. 4 Integrationsgesetz (IntG), idgF, erfüllt, wenn der Drittstaatsangehörige
1. einen Nachweis des Österreichischen Integrationsfonds über die erfolgreiche Absolvierung der Integrationsprüfung gemäß § 11 vorlegt,
2. einen gleichwertigen Nachweis gemäß § 11 Abs. 4 über die erfolgreiche Absolvierung der Integrationsprüfung vorlegt,
3. über einen Schulabschluss verfügt, der der allgemeinen Universitätsreife im Sinne des § 64 Abs. 1 Universitätsgesetz 2002, BGBl. I Nr. 120/2002, oder einem Abschluss einer berufsbildenden mittleren Schule entspricht,
4. einen Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot – Karte“ gemäß § 41 Abs. 1 oder 2 NAG besitzt oder
5. als Inhaber eines Aufenthaltstitels „Niederlassungsbewilligung – Künstler“ gemäß § 43a NAG eine künstlerische Tätigkeit in einer der unter § 2 Abs. 1 Z 1 bis 3 Kunstförderungsgesetz, BGBl. I Nr. 146/1988, genannten Kunstsparte ausübt; bei Zweifeln über das Vorliegen einer solchen Tätigkeit ist eine diesbezügliche Stellungnahme des zuständigen Bundesministers einzuholen.
In seinem Erkenntnis vom 04.08.2016, Ra 2016/210203, betonte der Verwaltungsgerichtshof, dass hinsichtlich der Beurteilung der Erfüllung des Moduls 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 14a NAG (nunmehr §§ 9 ff Integrationsgesetz) eine formalistische Sichtweise anzuwenden sei und die Vorlage eines der in § 9 der Integrationsvereinbarungs-Verordnung (aF) aufgezählten Zertifikate nicht im Rahmen der freien Beweiswürdigung ersetzt werden könne.
3.3.2. Gemäß § 81 Abs. 36 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) idgF gilt das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 IntG als erfüllt, wenn Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 14a in der Fassung vor dem Bundesgesetz BGBl. I Nr. 68/2017 vor dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 68/2017 erfüllt haben oder von der Erfüllung ausgenommen waren.
Die maßgeblichen Bestimmungen des Integrationsgesetzes haben vor dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 68/2017 wie folgt gelautet:
„Integrationsvereinbarung
§ 14. (1) Die Integrationsvereinbarung dient der Integration rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassener Drittstaatsangehöriger (§ 2 Abs. 2). Sie bezweckt den Erwerb von vertieften Kenntnissen der deutschen Sprache, um den Drittstaatsangehörigen zur Teilnahme am gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben in Österreich zu befähigen.
(2) Die Integrationsvereinbarung besteht aus zwei aufeinander aufbauenden Modulen:
1. das Modul 1 dient dem Erwerb von Kenntnissen der deutschen Sprache zur vertieften elementaren Sprachverwendung;
2. das Modul 2 dient dem Erwerb von Kenntnissen der deutschen Sprache zur selbständigen Sprachverwendung.
(3) Die näheren Bestimmungen zu den Inhalten der Module 1 und 2 der Integrationsvereinbarung hat der Bundesminister für Inneres durch Verordnung festzulegen.
Modul 1 der Integrationsvereinbarung
§ 14a. (1) …
(4) Das Modul 1 der Integrationsvereinbarung ist erfüllt, wenn der Drittstaatsangehörige
1. einen Deutsch-Integrationskurs besucht und einen Nachweis des Österreichischen Integrationsfonds über den erfolgreichen Abschluss des Deutsch-Integrationskurses vorlegt,
2. einen allgemein anerkannten Nachweis über ausreichende Deutschkenntnisse gemäß § 14 Abs. 2 Z 1 vorlegt,
3. über einen Schulabschluss verfügt, der der allgemeinen Universitätsreife im Sinne des § 64 Abs. 1 des Universitätsgesetzes 2002, BGBl. I Nr. 120, oder einem Abschluss einer berufsbildenden mittleren Schule entspricht oder
4. einen Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot – Karte“ gemäß § 41 Abs. 1 oder 2 besitzt.
Die Erfüllung des Moduls 2 (§ 14b) beinhaltet das Modul 1.
…
Modul 2 der Integrationsvereinbarung
§ 14b. (1) …
(2) Das Modul 2 der Integrationsvereinbarung ist erfüllt, wenn der Drittstaatsangehörige
1. einen Nachweis des Österreichischen Integrationsfonds über ausreichende Deutschkenntnisse gemäß § 14 Abs. 2 Z 2 vorlegt,
2. einen allgemein anerkannten Nachweis über ausreichende Deutschkenntnisse gemäß § 14 Abs. 2 Z 2 vorlegt,
…
3.3.3. Da der Beschwerdeführer über ein Zeugnis der Universität Wien vom 30.06.1999 über die Absolvierung einer Deutschprüfung gemäß § 48 Abs. 2 UniStG, BGBl. I Nr. 48/1997 verfügt, hat er das Modul 1 der Integrations-Vereinbarung gemäß § 14 Integrationsgesetz im Zusammenhang mit der Übergangsbestimmung des §§ 81 Abs. 36 NAG vor dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des Bundesgesetzes Bundesgesetzblatt I Nr. 68/2017 erfüllt. Ihm ist somit gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung plus" zu erteilen.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten des angefochtenen Bescheides wiedergegeben.
Schlagworte
Aufenthaltsberechtigung plus Deutschkenntnisse Integration Interessenabwägung Privat- und Familienleben Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässigEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:W192.2213331.3.00Im RIS seit
14.01.2021Zuletzt aktualisiert am
14.01.2021