TE Bvwg Erkenntnis 2020/10/6 W232 2110117-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 06.10.2020
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Entscheidungsdatum

06.10.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z5
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs4
AsylG 2005 §9 Abs1 Z1
AsylG 2005 §9 Abs4
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W232 2110117-2/9E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin MMag. Simone BÖCKMANN-WINKLER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX alias XXXX , StA. Somalia, vertreten durch die Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH - ARGE Rechtsberatung, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 12.02.2019, Zl. 14-1031405309-180452844, zu Recht:

A)

I. Der Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 1 und Abs. 2 VwGVG stattgegeben. Die Spruchpunkte I. bis VI. des angefochtenen Bescheides werden ersatzlos behoben.

II. Spruchpunkt VII. des angefochtenen Bescheides wird dahingehend abgeändert, dass dem Antrag von XXXX vom 11.05.2018 auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 stattgegeben und die befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter um zwei weitere Jahre verlängert wird.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Somalias, stellte nach seiner Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 14.09.2014 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 19.06.2015 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.) und dem Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 der Status eines subsidiär Schutzberechtigten bis zum 19.06.2016 zuerkannt (Spruchpunkt II.). Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl traf umfassende herkunftsstaatsbezogene Feststellungen zur allgemeinen Lage in Somalia und begründete im angefochtenen Bescheid die abweisende Entscheidung im Wesentlichen damit, dass der Beschwerdeführer unglaubwürdig sei. Weiters wurde festgestellt, dass eine Abschiebung nach Somalia eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten würde. Dem Beschwerdeführer wurde hinsichtlich der mit einem allgemeinen Sicherheitsrisiko verbundenen Rückkehr entsprechend der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt. Dazu folgerte die Behörde im Rahmen der rechtlichen Beurteilung, dass sich das gegenwärtige Abschiebungshindernis aufgrund der gegenwärtigen allgemeinen Lage und Situation in Somalia ergebe.

3. Gegen Spruchpunkt I. des oben angeführten Bescheides erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 23.08.2016 wurde die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 19.06.2015 gemäß § 3 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

4. Mit Schriftsatz vom 16.06.2016 beantragte der Beschwerdeführer eine befristete Aufenthaltsbewilligung für die höchstzulässige Dauer.

5. Mit Bescheid vom XXXX 2016 wurde dem Beschwerdeführ eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 bis zum 19.06.2018 erteilt.

6. Mit Eingabe vom 11.05.2018 brachte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Verlängerung der subsidiären Schutzberechtigung gemäß § 8 AsylG 2005 ein.

7. Mit Schreiben vom XXXX 2017 teilte das Bezirksgericht XXXX mit, dass der Beschwerdeführer wegen § 83 Abs. 1 StGB, rechtskräftig mit XXXX 2017, zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen im Uneinbringlichkeitsfall 60 Tage Ersatzfreiheitsstrafe unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren, verurteilt wurde und übermittelte die Urteilsausfertigung.

8. Mit Schreiben vom XXXX 2017 teilte das Landesgericht XXXX mit, dass der Beschwerdeführer wegen § 27 Abs. 1 Z 1 achter Fall und Abs. 4 Z 1 SMG, rechtskräftig mit XXXX 2017, zu fünf Monaten Freiheitsstrafe bedingt unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren verurteilt wurde und übermittelte die Urteilsausfertigung.

9. Mit Schreiben vom 28.06.2017 teilte das Landesgericht XXXX mit, dass der Beschwerdeführer wegen §§ 15, 84 Abs. 4 StGB und § 127 StGB, rechtskräftig mit XXXX 2018, zu zehn Monaten Freiheitsstrafe, davon sieben Monate bedingt unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren verurteilt wurde und übermittelte die gekürzte Urteilsausfertigung.

10. Am 14.05.2018 wurde das Verfahren zur Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten eingeleitet.

11. Mit Schreiben vom 19.07.2018 teilte das Bezirksgericht XXXX mit, dass der Beschwerdeführer zu einer sechswöchigen Freiheitsstrafe, bedingt unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren, wegen §§ 15, 127 StGB, rechtskräftig mit XXXX 2018, verurteilt wurde und übermittelte die gekürzte Urteilsausfertigung.

12. Am 18.12.2018 fand eine niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers zu seinem Aberkennungsverfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl statt, im Rahmen derer der Beschwerdeführer zu seiner Person, seinen Lebensumständen sowie zu seinem Privat- und Familienleben in Österreich und in Somalia befragt wurde.

Im Zuge der Einvernahme brachte der Beschwerdeführer Unterlagen zu seiner Integration, darunter ein unbefristeter Arbeitsvertrag vom 17.12.2018, in Vorlage.

13. Mit Bescheid vom 12.02.2019 wurde der mit Bescheid vom 19.06.2015 zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 Z. 1 AsylG von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt I.) und die erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter gemäß § 9 Abs. 4 AsylG entzogen (Spruchpunkt II). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 5 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 4 FPG erlassen (Spruchpunkt IV). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Somalia zulässig ist (Spruchpunkt V.). Im Spruchpunkt VI. wurde die Frist zur freiwilligen Ausreise ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG festgesetzt. Unter Spruchpunkt VII. wurde der Antrag des Beschwerdeführers vom 11.05.2018 auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG abgewiesen.

Beweiswürdigend führte die belangte Behörde hinsichtlich der Gründe für die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten im Wesentlichen aus, dass dem Beschwerdeführer eine Rückkehr in seine Herkunftsregion (Mogadischu) in Anbetracht der Situation seiner Familie möglich und zumutbar sei. Des Weiteren stellte die Behörde fest, dass die Aktivitäten der Al-Shabaab keine landesweite, allgemeine und unmittelbare Bedrohung für zivile Einzelpersonen darstelle. Der Kernfamilie des Beschwerdeführers gehe es wirtschaftlich und gesundheitlich gut und könnten seine Angehörigen problemlos in Mogadischu leben und bestünden keinerlei konkrete Sicherheitsbedenken. Mogadischu sei sicher über einen internationalen Flughafen erreichbar. Der Beschwerdeführer sei in Somalia geboren und aufgewachsen, bekenne sich zum sunnitischen Glauben und sei von Geburt an in Somalia sozialisiert worden, spreche die Landessprache auf Muttersprachniveau und sei mit den gesellschaftlichen, kulturellen und traditionellen Gegebenheiten auf das Beste vertraut. Eine Unterstützung sah das Bundesamt sowohl aufgrund seiner Clanzugehörigkeit und in seinem ausgehdehnten sozialen Netz. Die Dürresituation und Versorgungslage habe sich mittlerweile deutlich verbessert und wären Nahrungsmittel selbst für arme Haushalte wieder allgemein verfügbar und leistbar. Es bestünden gegenwärtig keine stichhaltigen Gründe für die Annahme, dass der Beschwerdeführer im Falle seiner Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Somalia einer Gefahr im Sinne des § 8 AsylG ausgesetzt sei. Zum Privat- und Familienleben folgerte die Behörde, dass der Beschwerdeführer aufgrund seines bisherigen strafrechtlichen Verhaltens offenbar nicht gewillt sei, sich den Rechtsnormen des Staates, der ihm subsidiären Schutz gewährte, zu unterwerfen. Eine Integration in einem besonderen Ausmaß habe der Beschwerdeführer nicht glaubhaft machen können, sondern würden die rechtskräftigen Verurteilungen auf eine mangelnde Integrationswilligkeit und eine mangelnde Achtung der von der österreichischen Rechtsordnung geschützten Werte hindeuten. In der rechtlichen Beurteilung stützte sich die belangte Behörde im Wesentlichen darauf, dass dem Beschwerdeführer aufgrund der allgemeinen Sicherheitslage in seiner Herkunftsregion der Status des subsidiär Schutzberechtigten gewährt worden sei, diese Voraussetzungen jedoch nicht mehr gegeben seien. Die belangte Behörde führte weiter aus, dass sich keine Anhaltspunkte ergeben hätten, wonach eine Rückführung des Beschwerdeführers als Zivilperson in den Herkunftsstaat eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde, nicht hervorgekommen seien. Die Sicherheitslage in Mogadischu sei unter dauerhafter Kontrolle der AMISOM und sei im landesweiten Vergleich als relativ stabil und sicher anzusehen. Dabei wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl darauf hin, dass zwar die Sicherheitslage in seiner Heimatregion nach hiesigen Maßstäben dennoch als angespannt anzusehen sei, wobei im Fall des Beschwerdeführers keine Umstände hervorgekommen seien, wonach er in besonderer Weise davon betroffen wäre. Im Gegenteil sei festzuhalten, dass im Fall des Beschwerdeführers sogar besondere, konkrete Tatsachen, nämlich die konkrete Sicherheit – und Wirtschaftslage der immer noch dort lebenden Familie, die Schlussfolgerung aufdränge, dass der Beschwerdeführer keinen besonderen Gefahren ausgesetzt wäre. Er verfüge gemäß eigenen Angaben über hinreichenden familiären und Clanschutz und die allenfalls notwendigen sozialen Kontakte in seiner Heimatregion. Eine innerstaatliche Fluchtalternative wäre in der Hauptstadt Mogadischu festzustellen und könne er aufgrund seiner Clanzugehörigkeit zum Clan der Sheikhal keine besondere Vulnerabilität aufweisen, zumal die Clanzugehörigkeit in Mogadischu nur mehr eine untergeordnete Rolle spiele. Eine wirtschaftlich aussichtlose Situation könne anhand der aktuellen Versorgungslage und dem mittlerweile eingetretenen Ende der Dürresituation nicht mehr angenommen werden. In Somalia bestehe auch nicht eine extreme Gefährdungslage, dass gleichsam jeder, der dorthin zurückkehrt, einer Gefährdung im Sinne der Art. 2 und 3 EMRK ausgesetzt sei.

14. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer mit Schreiben vom 13.03.2019 fristgerecht Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Darin wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die belangte Behörde nicht habe darlegen können, inwiefern sich die Lage des Beschwerdeführers im Vergleich zu den Vorjahren nachhaltig und dauerhaft geändert habe.

15. Mit Schreiben vom 21.09.2020 übermittelte das Landesgericht XXXX eine gekürzte Urteilsausfertigung, Zl. XXXX , aus der hervorgeht, dass der Beschwerdeführer am XXXX 2020 zu Geldstrafe von 360 Tagessätzen, im Uneinbringlichkeitsfall eine Ersatzfreiheitsstrafe von 180 Tagen, wegen des Vergehen des unerlaubten Umganges mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z 1 erster und zweiter Fall SMG und des Vergehen des unerlaubten Umganges mit Suchtgiften nach den § 27 Abs. 2a zweiter Fall SMG, verurteilt wurde. Gemäß § 494a Abs. 1 Z 4 StPO wurde die mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom XXXX 2017 zu XXXX gewährte bedingte Strafnachsicht (Freiheitsstrafe 5 Monate) widerrufen, sodass diese Freiheitsstrafe ebenfalls zu vollziehen ist. Gemäß § 494a Abs. 6 StPO wurde die Probezeit zu XXXX des Bezirksgerichtes XXXX auf fünf Jahre verlängert.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage der Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, der im Verfahren vorgelegten Dokumente, der Einsichtnahme in die bezughabenden Verwaltungsakten, sowie der Einsichtnahme in das Zentrale Melderegister, das Zentrale Fremdenregister und Strafregister werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer führt den Namen XXXX und ist am XXXX alias XXXX geboren. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Somalia und Angehöriger des Clans der Sheikhal und bekennt sich zum muslimischen Glauben. Er ist ledig und hat keine Kinder.

Der Beschwerdeführer stammt aus Mogadischu, wo er geboren und aufgewachsen ist, ehe er nach Europa ausreiste. Seine Muttersprache ist Somalisch. Der Beschwerdeführer verfügt über familiäre Anknüpfungspunkte in Somalia (Vater, Tante, zwei Brüder und zwei Schwestern).

Der Beschwerdeführer reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich ein und stellte am 14.09.2014 einen Antrag auf internationalen Schutz woraufhin ihm mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 19.06.2015 der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX 2016 wurde eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 19.06.2018 erteilt. Am 11.05.2018 stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung.

Der Beschwerdeführer wurde mit rechtskräftigen Urteil des Bezirksgerichts XXXX vom XXXX 2017, XXXX , wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren verurteilt, da er am 21.07.2016, zunächst von seinem Opfer geschlagen worden sei und im Folgenden dem anderen Schläge gegen den Kopf versetzt habe, sodass dieser einen Nasenbeinbruch, eine Prellung der Nase sowie starkes Nasenbluten erlitt. Bei der Strafbemessung wurde mildernd der Umstand der Tatbegehung vor Vollendung des 21. Lebensjahres sowie die Unbescholtenheit und die Angaben des Beschwerdeführers, die wesentlich zur Sachverhaltsaufklärung beigetragen haben, gewertet.

Mit Urteil des Landesgericht XXXX vom XXXX 2017, XXXX , wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtmittel nach § 27 Abs. 1 Z 1, 8. Fall und Abs. 4 Z 1 SMG zu einer Freiheitsstrafe von fünf Monaten verurteilt, wobei ihm unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren die gesamte Freiheitsstrafe nachgesehen wurde. Bei der Strafbemessung wurde mildernd die Unbescholtenheit und seine geständige Verantwortung, erschwerend jedoch des Zusammentreffens von zwei Vergehen und der Begehung trotz eines anhängigen Strafverfahrens gewertet.

Mit Urteil des Landesgericht XXXX vom XXXX 2018, XXXX , wurde der Beschwerdeführer wegen §§ 15, 84 Abs. 4 StGB und nach dem § 127 StGB zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten verurteilt, wobei ihm unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren sieben Monate bedingt nachgesehen wurden. Der Beschwerdeführer habe am XXXX 2017 fremde bewegliche Sachen, nämlich eine Sonnenbrille, eine Unterhose sowie ein T-Shirt im Gesamtwert von 17,- entwendet und somit das Vergehen des Diebstahls nach § 127 StGB begangen. Zudem habe er am XXXX 2017 versucht einen anderen vorsätzlich schwer am Körper zu verletzen, wobei die Tat Prellungen am Kopfbereich und eine Rissquetschwunde an der Unterlippe zur Folge gehabt habe. Bei der Strafbemessung wurde mildernd das Geständnis, teilweise Schadenswiedergutmachung durch Sicherstellung; teilweise Versuch hinsichtlich des Deliktes § 84 Abs. 4 StGB, erschwerend jedoch die Begehung trotz anhängigen Strafverfahren, einschlägige Vorstrafe, Zusammentreffen von einem Vergehen und einem Verbrechen; rascher Rückfall gewertet.

Mit Urteil des Bezirksgerichts XXXX , XXXX , vom XXXX wurde der Beschwerdeführer nach §§ 15, 127 StGB wegen des versuchten Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe von sechs Wochen verurteilt, wobei unter Setzung einer Probezeit von der gesamten Freiheitsstrafe abgesehen wurde. Bei der Strafbemessung wurde mildernd das Geständnis, Not und die Tatbegehung unter Alkoholeinfluss und der Versuch, erschwerend jedoch die Begehung von zwei Straftaten innerhalb der Probezeit sowie zwei einschlägige Vorstrafen gewertet.

Mit Urteil des Landesgerichts XXXX , XXXX , vom XXXX 2020 wurde der Beschwerdeführer nach § 27 Abs. 2a zweiter Fall SMG, §§ 27 Abs. 1 Z 1 erster Fall, 27 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall SMG wegen des Vergehens des unerlaubten Umganges mit Suchtgiften und des Vergehens des unerlaubten Umganges mit Suchtgiften nach den § 27 Abs. 2a zweiter Fall SMG, zu einer Geldstrafe von 360 Tags zu je 7,00 EUR (2.520,00 EUR) im Uneinbringlichkeitsfall zu einer Ersatzfreiheitsstrafe von 180 Tagen verurteilt. Gemäß § 494a Abs. 1 Z 4 StPO wurde die mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom XXXX 2017 zu XXXX gewährte bedingte Strafnachsicht (Freiheitsstrafe 5 Monate) widerrufen, sodass diese Freiheitsstrafe ebenfalls zu vollziehen ist. Gemäß § 494a Abs. 6 StPO wurde die Probezeit zu XXXX des Bezirksgerichtes XXXX auf fünf Jahre verlängert. Bei der Strafbemessung wurde mildernd gewertet, dass er weitgehend geständig war und die Sicherstellung des Suchtgifts, erschwerend jedoch drei einschlägige Vorstrafen und das Zusammentreffen von zwei Vergehen.

Der Beschwerdeführer ist seit September 2014 in Österreich aufhältig. Er führt eine Beziehung mit einer somalischen Staatsangehörigen. Der Beschwerdeführer kann sich in der deutschen Sprache verständigen. Er bezieht keine Leistungen aus der Grundversorgung; der Beschwerdeführer verfügt seit 17.12.2018 über einen unbefristeten Arbeitsvertrag abgeschlossen mit XXXX . Der Beschwerdeführer hat keine Verwandte in Österreich. Der Beschwerdeführer ist gesund.

Festgestellt wird, dass seit Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten keine wesentliche Veränderung in der subjektiven Lage des Beschwerdeführers eingetreten ist. Unter Berücksichtigung der individuellen Situation des Beschwerdeführers und der Sicherheits- und Versorgungslage in Somalia (einschließlich der urbanen Gebiete) wird festgestellt, dass sich die Umstände, die zur Gewährung subsidiären Schutzes geführt haben, nicht wesentlich und nachhaltig verändert bzw. verbessert haben.

1.2. Zur Situation in Somalia:

1.2.1. Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Somalia vom XXXX 2018 (letzte Kurzinformation eingefügt am 17.09.2018):

Neueste Ereignisse – Integrierte Kurzinformationen

KI vom 17.9.2018: Positiver Trend bei Versorgungslage (betrifft: Abschnitt 21/Grundversorgung und Abschnitt 21.1/Dürresituation)

Nach den überdurchschnittlichen Gu-Regenfällen 2018 wird die Getreideernte die größten Erträge seit 2010 einbringen. Die Lage bei der Nahrungsversorgung hat sich weiter verbessert (UN OCHA 11.9.2018; vgl. UN OCHA 5.9.2018), dies gilt auch für Einkommensmöglichkeiten und Marktbedingungen (FSNAU 1.9.2018). Die Preise für unterschiedliche Grundnahrungsmittel haben sich in Mogadischu gegenüber dem Vorjahr drastisch verbilligt und liegen nunmehr unter dem Fünfjahresmittel. Dies betrifft namentlich Bohnen (cowpea), rotes Sorghum und Mais (FEWS NET 31.8.2018). Insgesamt hat sich die Ernährungssituation verbessert, auch wenn es im ganzen Land noch eine hohe Rate an Unterernährung gibt – speziell unter IDPs (UN OCHA 11.9.2018). Die Dürre ist zwar offiziell vorbei, es braucht aber mehr als eine gute Regenzeit, bevor sich die Menschen davon erholen (UN OCHA 2.9.2018). Vor allem vom Verlust ihres Viehs, von Überschwemmungen (im April/Mai 2018, Juba- und Shabelle-Täler) und vom Zyklon Sagar (Mai 2018, Nordsomalia) betroffene Gemeinden werden noch längere Zeit für eine Rehabilitation brauchen. Zwischen Februar und Juli 2018 konnten humanitäre Organisationen 1,9 Millionen Menschen pro Monat erreichen (UN OCHA 5.9.2018).

Die Stufe für akute Unterernährung hat sich verbessert. Die Zahl von an schwerer akuter Unterernährung Betroffenen ist nur bei zwei Gruppen kritisch: Bei den IDPs in Mogadischu und in der Guban Pastoral Livelihood in West-Somaliland (UN OCHA 5.9.2018). Allerdings werden auch noch andere Teile oder Gruppen Somalias als Hotspots genannt, wo Interventionen als dringend erachtet werden. Dies sind im ländlichen Raum: Northern Inland Pastoral of Northeast (Teile von Sanaag, Sool und Bari); Hawd Pastoral of Northeast (Teile von Togdheer, Sool und Nugaal); Northwest Guban Pastoral (Teile von Awdal); der Bezirk Belet Weyne (Shabelle-Tal und agro-pastorale Teile); Agro-pastorale Teile und das Juba-Tal in Gedo; die Bezirke Mataban, Jalalaqsi und Buulo Burte in Hiiraan; Teile des Juba-Tals in Middle Juba. An Gruppen sind es die IDPs in Bossaso, Garoowe, Galkacyo, Qardho, Mogadischu, Baidoa, Kismayo und Doolow (FSNAU 1.9.2018). Überhaupt bleiben IDPs die am meisten vulnerable Gruppe (UN OCHA 11.9.2018).

In Nordsomalia werden aus einigen Gebieten immer noch Wasser- und Weidemangel berichtet, da die Gu-Regenzeit dort auch im Jahr 2018 nicht ertragreich ausgefallen ist. Es handelt sich um Teile der Regionen Bari und Nugaal (Puntland) sowie von Sool und Sanaag (Somaliland). Dort findet die Wasserversorgung teils immer noch mit Tanklastwagen statt, rund 48.000 Haushalte sind betroffen. Humanitäre Organisationen wie ACTED sind dort aktiv und konnten für über 31.000 Haushalte samt Vieh die Wasserversorgung wiederherstellen (ACTED 12.9.2018).

Die Prognose für den Zeitraum August-Dezember 2018 in IPC-Stufen stellt sich wie folgt dar:

(FSNAU 1.9.2018)

Insgesamt sind ca. 4,6 Millionen Menschen weiter auf Unterstützung angewiesen, im Februar 2018 waren es noch 5,4 Millionen gewesen (UN OCHA 11.9.2018). Von den 4,6 Millionen befinden sich ca. 1,4 Millionen auf IPC-Stufe 3 (IPC = Klassifizierung zur Sicherheit der Nahrungsmittelversorgung), weitere ca. 170.000 auf IPC-Stufe 4 (FSNAU 1.9.2018). Darunter scheinen sich viele Kinder zu finden. Ca. 240.000 Kinder gelten als akut unterernährt, weiter 55.000 als schwer unterernährt (UN OCHA 2.9.2018).

Für die Deyr-Regenzeit 2018 (Oktober-Dezember) wird eine überdurchschnittliche Niederschlagsmenge prognostiziert (UN OCHA 5.9.2018; vgl. FAO 6.9.2018). Damit wird auch eine weitere Verbesserung bei den Weideflächen und bei der Wasserverfügbarkeit und i.d.F. Verbesserungen bei der Viehzucht und in der Landwirtschaft einhergehen (FAO 6.9.2018). Zusätzliche Ernten und weiter verbesserte Marktbedingungen werden zu weiteren Verbesserungen führen (FSNAU 1.9.2018)

Allerdings werden auch für das äthiopische Hochland höhere Niederschlagsmengen prognostiziert, was das Überschwemmungsrisiko entlang von Juba und Shabelle steigen lässt. Gegenwärtig sind einige Flussufer bzw. Flusseinfassungen beschädigt, was selbst bei normalen Regenmengen eine Gefahr darstellt (FAO 6.9.2018). Immerhin hat Somalia 2018 die schwersten Überschwemmungen seit 60 Jahren erlebt (WB 6.9.2018).

KI vom 3.5.2018: Überdurchschnittliche Niederschläge, bessere Versorgungssicherheit prognostiziert (betrifft: Abschnitt 21/Grundversorgung und Abschnitt 21.1/Dürresituation)

Schon in den vor der Gu-Regenzeit gemachten Prognosen zeichnete sich eine Entspannung der Situation ab, obwohl damals nur unterdurchschnittliche Regenmengen prognostiziert wurden. Anfang 2018 wurde für Februar-Juni 2018 prognostiziert, dass die Bevölkerung in folgende IPC-Stufen (Klassifizierung zur Sicherheit der Nahrungsmittelversorgung) einzuordnen sein wird: 56% Stufe 1 (minimal); 22% Stufe 2 (stressed); 18% Stufe 3 (crisis); 4% Stufe 4 (emergency); 0% Stufe 5 (famine). IDP-Lager in Südsomalia wurden durchwegs mit Stufe 3 IPC prognostiziert; Städte in Lower und Middle Shabelle, Bay und Jubaland mit Stufe 2; Mogadischu mit Stufe 1. Landesweit zeigt sich, dass die Bevölkerung in den Städten besser versorgt ist, als jene auf dem Lande (FAO 2018).

Verbesserungen bei Nahrungsmittelsicherheit und Ernährung sind auf die höhere Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln aus der Deyr-Ernte und aus der gestiegenen Milchproduktion zurückzuführen. Gleichzeitig wird die humanitäre Hilfe aufrechterhalten. Viele Haushalte können Nahrungsmittel mit von humanitären Akteuren zur Verfügung gestellten Geldmitteln oder Gutscheinen erwerben (FEWS 3.2018). Im ersten Quartal 2018 bezogen monatlich 1,84 Millionen Menschen humanitäre Hilfe. Im letzten Quartal 2017 waren es noch 2,5 Millionen gewesen. Insgesamt erreicht die Unterstützung rund 70% der Menschen die sich auf oder über Stufe 3 IPC befinden (FEWS 4.2018a). Auch im Jahr 2018 wird humanitäre Hilfe weiterhin in großem Ausmaß erforderlich sein (FEWS 3.2018).

Der bereits eingetretene Rückgang an Hunger ist auch im Vergleich der Daten der beiden Deyr-Regenzeiten 2016/17 und 2017/18 zu erkennen (FEWS 3.2018):

(FEWS 3.2018)

Nunmehr ist es im April 2018 in fast allen Landesteilen zu mittleren bis starken Regenfällen gekommen (FAO 27.4.2018). In fast ganz Somalia lag die Niederschlagsmenge der Gu-Regenzeit bis zum 20.4.2018 bei 200% des mehrjährigen Durchschnitts. Nur im Nordosten blieben die Niederschläge unterdurchschnittlich (FEWS 4.2018a). Allerdings werden die Niederschläge bis Juni weiter anhalten (FEWS 4.2018a; vgl. FAO 27.4.2018), auch wenn mit einem Rückgang der Niederschlagsmengen gerechnet wird (FEWS 4.2018a).

Für den Zeitraum Juni-September 2018 wurde eine deutliche Entspannung bei der Nahrungsmittelversorgung angekündigt. Nur noch für Hilfsorganisationen leicht zugängliche Gebiete im Nordwesten werden unter Stufe 4 IPC (emergency) eingestuft, der große Rest des Landes fällt in die Stufen 1-3, Süd-/Zentralsomalia gänzlich (bis auf IDP-Konzentrationen) in die Stufen 1-2 (FEWS 4.2018b).

Aufgrund der überdurchschnittlichen Niederschläge in der Gu-Regenzeit Anfang 2018 wird erwartet, dass sich die Versorgungssicherheit mit Nahrungsmitteln in einigen Teilen Südsomalias noch weiter verbessern wird, als zu Jahresbeginn bereits prognostiziert. Zwar wurden in von Überflutungen betroffenen Gebieten Teile der Ernte vernichtet, jedoch sind die Bedingungen insgesamt so günstig, dass mit einer überdurchschnittlichen Ernte zu rechnen ist (FEWS 4.2018b). Die Felder befinden sich in gutem Zustand. In der Landwirtschaft gibt es Arbeitsmöglichkeiten auf Normalniveau (FEWS 4.2018a).

In den meisten Gebieten haben sich Weidegründe und Wasserverfügbarkeit verbessert (FEWS 4.2018a; vgl. FEWS 4.2018b), der Zustand der Tiere hat sich normalisiert. Allerdings bleibt die durchschnittliche Herdengröße noch hinter dem Normalzustand zurück. Arme Nomaden in Nord- und Zentralsomalia werden weiterhin über zu wenig Vieh verfügen. Dort wird Stufe 3 IPC (crisis) vermutlich weiter vorherrschen (FEWS 4.2018b).

Die Entspannung wird auf Karten dokumentiert:

(FEWS 4.2018b)

Der Handelspreis für 1kg Sorghum ist in Baidoa im ersten Quartal 2018 um 37% eingebrochen, jener für 1kg Mais in Qoryooley um 32%. Auch bei armen Haushalten verbessert sich die Versorgungssicherheit mit Nahrungsmitteln, sie haben nun auf normalem Niveau Zugang zu Arbeit in der Landwirtschaft und die Nahrungsmittelpreise haben sich ebenfalls normalisiert. Mit dem Tageseinkommen können nunmehr 10-18kg lokalen Getreides erstanden werden – 20%-60% mehr als noch vor einem Jahr (FEWS 4.2018a).

Untenstehend findet sich die detaillierte Prognosekarte der Agentur FSNAU der FAO für die Monate 2-6/2018:

(FAO 2018)

Zusätzlich zu den Niederschlägen fließen aus dem äthiopischen Hochland beträchtliche Mengen Wasser zu (FEWS 4.2018a; vgl. FAO 27.4.2018). Dadurch kam es in einigen Gebieten zu Überschwemmungen. Belet Weyne war besonders stark betroffen, 70% der Haushalte mussten ihre Häuser verlassen. In Qoryooley waren es 250 Haushalte. Außerdem betroffen waren einige Dörfer in Middle Juba und im Bezirk Wanla Weyne. Auch einige landwirtschaftlich genutzte Gebiete in Bay, Lower Juba, Togdheer und Hiiraan wurden überflutet (FEWS 4.2018a). Die Pegel der Flüsse werden vermutlich weiter steigen. Bisher sind rund 630.000 Menschen von Sturzfluten oder Überschwemmung betroffen, ca. 215.000 haben ihre Häuser verlassen müssen (davon 180.000 im Gebiet Belet Weyne). Andererseits verlassen manche IDPs die Lager, um von den Niederschlägen in ihrer ursprünglichen Heimat zu profitieren (UN OCHA 2.5.2018).

1.       Politische Lage

Das Gebiet von Somalia ist de facto in drei unterschiedliche administrative Einheiten unterteilt: a) Somaliland, ein 1991 selbstausgerufener unabhängiger Staat, der von der internationalen Gemeinschaft nicht anerkannt wird; b) Puntland, ein 1998 selbstausgerufener autonomer Teilstaat Somalias; c) das Gebiet südlich von Puntland, das Süd-/Zentralsomalia genannt wird (EASO 8.2014). Im Hinblick auf fast alle asylrelevanten Tatsachen ist Somalia in diesen drei Teilen zu betrachten (AA 1.1.2017).

Im Jahr 1988 brach in Somalia ein Bürgerkrieg aus, der im Jahr 1991 im Sturz von Diktator Siyad Barre resultierte. Danach folgten Kämpfe zwischen unterschiedlichen Clans, Interventionen der UN sowie mehrere Friedenskonferenzen (EASO 8.2014). Seit Jahrzehnten gibt es keine allgemeinen Wahlen auf kommunaler, regionaler oder zentralstaatlicher Ebene. Politische Ämter wurden seit dem Sturz Siad Barres 1991 entweder erkämpft oder unter Ägide der internationalen Gemeinschaft, hilfsweise unter Einbeziehung nicht demokratisch legitimierter traditioneller Strukturen (v.a. Clan-Strukturen) vergeben (AA 1.1.2017).

Im August 2012 endete die Periode der Übergangsregierung (BS 2016). Seit damals gibt es eine politische Entwicklung, die den Beginn einer Befriedung und Stabilisierung sowie eines Wiederaufbaus staatlicher Strukturen markiert. Am 1.8.2012 wurde in Mogadischu eine vorläufige Verfassung angenommen. Seitdem ist die Staatsbildung kontinuierlich vorangeschritten. Das im Dezember 2016 gewählte Parlament stellt dabei auch einen deutlichen demokratischen Fortschritt gegenüber dem 2012 gewählten Parlament dar. Während 2012 135 Clanälteste die Zusammensetzung bestimmten (AA 4.2017a; vgl. UNSC 5.9.2017), waren es 2016 über 14.000 Clan-Repräsentanten (UNHRC 6.9.2017) bzw. 13.000. Während die 54 Mitglieder des Oberhauses von den Parlamenten der Bundesstaaten gewählt wurden, wählten die o.g. Clan-Repräsentanten die 275 auf Clan-Basis ausgewählten Abgeordneten des Unterhauses (UNSC 9.5.2017).

Auch wenn es sich um keine allgemeine Wahl gehandelt hat, ist diese Wahl im Vergleich zu vorangegangenen Wahlen ein Fortschritt gewesen (DW 10.2.2017). Allerdings war auch dieser Wahlprozess problematisch, es gibt zahlreiche Vorwürfe von Stimmenkauf und Korruption (SEMG 8.11.2017). Im Februar 2017 wählte das neue Zweikammerparlament Mohamed Abdullahi Mohamed „Farmaajo“ zum Präsidenten; im März bestätigte es Hassan Ali Kheyre als Premierminister (AA 4.2017a; vgl. UNSC 5.9.2017, SEMG 8.11.2017). Das Parlament bestätigte am 29.3.2017 dessen 69-köpfiges Kabinett (UNSC 9.5.2017).

Die Macht wurde friedlich und reibungslos an die neue Regierung übergeben (WB 18.7.2017). Somalia hat den Zustand eines failed state überwunden, bleibt aber ein fragiler Staat (AA 1.1.2017). Die Regierung stellt sich den Herausforderungen, welche Dürre und Sicherheit darstellen. Überhaupt hat die Regierung seit Amtsantritt gezeigt, dass sie dazu bereit ist, die Probleme des Landes zu beheben (UNSC 5.9.2017). Dabei mangelt es der Bundesregierung an Einkünften, diese sind nach wie vor von den wenigen in Mogadischu erzielten Einnahmen abhängig (SEMG 8.11.2017).

Außerdem wird die Autorität der Zentralregierung vom nach Unabhängigkeit strebenden Somaliland im Nordwesten sowie von der die Regierung aktiv bekämpfenden, radikal-islamistischen al Shabaab-Miliz in Frage gestellt. Außerdem gibt es aber keine flächendeckende effektive Staatsgewalt. Die vorhandenen staatlichen Strukturen sind fragil und schwach (AA 1.1.2017). Die föderale Regierung hat es bislang kaum geschafft, sich außerhalb Mogadischus durchzusetzen (ÖB 9.2016).

Allgemeine Wahlen sind für das Jahr 2020 (UNSC 9.5.2017) bzw. 2021 vorgesehen (UNSC 5.9.2017; vgl. UNNS 13.9.2017). Deren Durchführung wird aber maßgeblich davon abhängen, wie sich die Sicherheitslage entwickelt, ob sich Wahlkommissionen auch in den Bundesstaaten etablieren können und ob ein Verfassungsgericht eingerichtet wird (UNSC 5.9.2017).

Neue föderale Teilstaaten (Bundesstaaten)

Generell befindet sich das föderalistische System Somalias immer noch in einer frühen Phase und muss in den kommenden Jahren konsolidiert werden (UNSC 9.5.2017). Zwar gibt es in manchen Gebieten Verbesserungen bei der Verwaltung und bei der Sicherheit. Es ist aber ein langsamer Prozess. Die Errichtung staatlicher Strukturen ist das größte Problem, hier versucht die internationale Gemeinschaft zu unterstützen (BFA 8.2017).

Kaum ein Bundesstaat ist in der Lage, das ihm zugesprochene Gebiet tatsächlich unter Kontrolle zu haben. Bei den neu etablierten Entitäten reicht die Macht nur wenige Kilometer über die Städte hinaus (BFA 8.2017; vgl. NLMBZ 11.2017).

Während im Norden bereits die Gliedstaaten Somaliland und Puntland etabliert waren, begann mit dem international vermittelten Abkommen von Addis Abeba von Ende August 2013 der Prozess der Gliedstaatsgründung im weiteren Somalia, der nach der Gründung der Bundesstaaten Jubaland, South West State (SWS), Galmudug und Hirshabelle 2016 seinen weitgehenden Abschluss fand (AA 4.2017a). Offen ist noch der finale Status der Hauptstadtregion Benadir/Mogadischu (AA 4.2017a; vgl. UNSC 5.9.2017, BFA 8.2017).

Die Bildung der Bundesstaaten erfolgte im Lichte der Clan-Balance. Rein technisch bedeutet dies: Galmudug und HirShabelle für die Hawiye; Puntland und Jubaland für die Darod; der SWS für die Rahanweyn; Somaliland für die Dir (BFA 8.2017).

Die Beziehungen zwischen der Bundesregierung und den Regierungen der Bundesstaaten sind angespannt, da es bei der Sicherheitsarchitektur und bei der Ressourcenverteilung nach wie vor Unklarheiten gibt (SEMG 8.11.2017). Außerdem hat der Schritt zur Föderalisierung zur Verschärfung von lokalen Clan-Spannungen beigetragen und eine Reihe gewalttätiger Konflikte ausgelöst. Die Föderalisierung hat zu politischen Kämpfen zwischen lokalen Größen und ihren Clans geführt (BS 2016). Denn in jedem Bundesstaat gibt es unterschiedliche Clankonstellationen und überall finden sich Clans, die mit der Zusammensetzung ihres Bundesstaates unzufrieden sind, weil sie plötzlich zur Minderheit wurden. Sie fühlen sich marginalisiert (BFA 8.2017).

Im Zuge der Föderalisierung Somalias wurden mehrere Teilverwaltungen (Bundesstaaten) neu geschaffen: Galmudug Interim Administration (GIA); die Jubaland Interim Administration (JIA); Interim South West State Administration (ISWA). Keine dieser Verwaltungen hat die volle Kontrolle über die ihr unterstehenden Gebiete (USDOS 3.3.2017). Außerdem müssen noch wichtige Aspekte geklärt und reguliert werden, wie etwa die Machtverteilung zwischen Bund und Ländern, die Verteilung der Einkünfte oder die Verwaltung von Ressourcen. Internationale Geber unterstützen den Aufbau der Verwaltungen in den Bundesstaaten (UNSC 5.9.2017).

1) Jubaland (Gedo, Lower Juba, Middle Juba): Im Jahr 2013 kam es zu einem Abkommen zwischen der Bundesregierung und Delegierten von Jubaland über die Bildung des Bundesstaates Jubaland. Im gleichen Jahr wurde Ahmed Mohamed Islam „Madobe“ zum Präsidenten gewählt (USDOS 3.3.2017). Der JIA ist es gelungen, zumindest in Kismayo eine Verwaltung zu etablieren. Die Machtbalance in Jubaland wurde verbessert, seit die Ogadeni auch mit anderen Clans kooperieren und diese in Strukturen einbinden (BFA 8.2017).

2) South West State (SWS; Bay, Bakool, Lower Shabelle): Nach einer Gründungskonferenz im Jahr 2014 formierte sich im Dezember 2015 das Parlament des Bundesstaates South West State. Dieses wählte Sharif Hassan Sheikh Adam zum Übergangspräsidenten (USDOS 3.3.2017). Insgesamt befindet sich der SWS immer noch im Aufbau, die Regierungsstrukturen sind schwach, Ministerien bestehen nur auf dem Papier. Es gibt kaum Beamte, und in der Politik kommt es zu Streitigkeiten. Die Region Bakool ist besser an den SWS angebunden, als dies bei Lower Shabelle der Fall ist. Die Beziehungen von Lower Shabelle zur Bundesregierung und zum SWS sind kompliziert, der SWS hat dort kaum Mitsprache (BFA 8.2017).

3) HirShabelle (Hiiraan, Middle Shabelle): Bei der Bildung des Bundesstaates HirShabelle wurde längere Zeit über gestritten. Beide Regionen (Hiiraan und Middle Shabelle) haben erklärt, dass sie genügend Einwohner hätten, um jeweils einen eigenen Bundesstaat gründen zu können. Trotzdem wurden die Regionen fusioniert (BFA 8.2017). Im Jänner 2016 fand eine Konferenz zur Bildung eines Bundesstaates aus Hiiraan und Middle Shabelle statt. In der Folge wurde im Oktober 2016 der Bundesstaat Hirshabelle eingerichtet: Ein Parlament wurde zusammengestellt und ein Präsident – Ali Abdullahi Osoble – gewählt. Anführer der Hawadle haben eine Teilnahme verweigert (USDOS 3.3.2017). Das Kabinett wurde Mitte März 2017 vom Parlament bestätigt (BFA 8.2017; vgl. UNSC 9.5.2017). Der Großteil der Regierung von HirShabelle befindet sich in Mogadischu. Die Bildung des Bundesstaates scheint alte Clan-Konflikte neu angeheizt zu haben, die Hawadle fühlen sich marginalisiert (BFA 8.2017).

4) Galmudug (Galgaduud, Teile von Mudug): 2015 wurde eine Regionalversammlung gebildet und Abdikarim Hussein Guled als Präsident gewählt hat (EASO 2.2016). Die Regionalversammlung war von der Bundesregierung eingesetzt worden. Ausgewählt wurden die 89 Mitglieder von 40 Ältesten, welche wiederum 11 Clans repräsentierten. Die Gruppe Ahlu Sunna wal Jama’a (ASWJ), die Teile der Region Galgaduud kontrolliert, hat den Prozess boykottiert und eine eigene Verwaltung eingerichtet (USDOS 3.3.2017). Die GIA wird von Hawiye/Habr Gedir/Sa‘ad dominiert (EASO 2.2016). Am 25.2.2017 trat der Präsident von Galmudug, Abdikarim Hussein Guled, zurück (UNSC 9.5.2017). Am 3.5.2017 wurde Ahmed Duale Geele „Xaaf“ vom Regionalparlament von Galmudug zum neuen Präsidenten gewählt (UNSC 5.9.2017). Auch der neue Präsident hat noch keine Lösung mit der ASWJ herbeigeführt (UNSOM 13.9.2017).

2.       Sicherheitslage und Situation in den unterschiedlichen Gebieten

Vergleicht man die Areas of Influence der Jahre 2012 und 2017, hat es kaum relevante Änderungen gegeben. Die Regierung und ihre Verbündeten kontrollieren zwar viele Städte, darüber hinaus ist eine Kontrolle aber kaum gegeben. Behörden oder Verwaltungen gibt es nur in den größeren Städten. Der Aktionsradius lokaler Verwaltungen reicht oft nur wenige Kilometer weit. Selbst bei Städten wie Kismayo oder Baidoa ist der Radius nicht sonderlich groß. Das „urban island scenario“ besteht also weiterhin, viele Städte unter Kontrolle von somalischer Armee und AMISOM sind vom Gebiet der al Shabaab umgeben. Folglich befinden sich Große Teile des Raumes in Süd-/Zentralsomalia unter der Kontrolle oder zumindest unter dem Einfluss der al Shabaab (BFA 8.2017).

Dahingegen können nur wenige Gebiete in Süd-/Zentralsomalia als frei von al Shabaab bezeichnet werden – etwa Dhusamareb oder Guri Ceel. In Puntland gilt dies für größere Gebiete, darunter Garoowe (BFA 8.2017).

Hinsichtlich der Lesbarkeit untenstehender Karte sind die folgenden Kommentare zu berücksichtigen:

Eine vollständige und inhaltlich umfassende Darstellung kann nicht gewährleistet werden; die

Gebietsgrenzen sind relativ, jedoch annähernd (z.B. Problematik der unterschiedlichen Einflusslage bei Tag und Nacht; der Fluktuation entlang relevanter Nachschubwege). Um die Karten übersichtlich zu gestalten, wurde eine Kategorisierung der auf somalischem Boden operierenden (Konflikt-)Parteien vorgenommen (BFA 8.2017):

a)       Alle auf irgendeine Art und Weise mit der somalischen Regierung verbundenen und gleichzeitig gegen al Shabaab gestellten Kräfte wurden als „anti-al-Shabaab Forces“ zusammengefasst. Diese Kategorie umfasst neben Bundeskräften (SNA) auch Kräfte der Bundesstaaten (etwa Jubaland, Galmudug, Puntland) sowie AMISOM und bi-lateral eingesetzte Truppen (und damit de facto auch die Liyu Police).

b)       Die ASWJ wurde nicht in diese Kategorie aufgenommen, da sie zwar gegen al Shabaab kämpft, die Verbindung zur Bundesregierung aber momentan unklar ist.

c)       Einige Clans verfügen über relative Eigenständigkeit, die auch mit Milizen abgesichert ist. Dies betrifft in erster Linie die Warsangeli (Sanaag), Teile der Dulbahante (Sool) und die Macawusleey genannte Miliz in Hiiraan. Keine dieser Milizen ist mit Somaliland, einem somalischen Bundesstaat, mit der somalischen Bundesregierung oder al Shabaab verbunden; sie agieren eigenständig, verfügen aber nur über eingeschränkte Ressourcen.

Operational Areas

d)       Operationsgebiete, in welchen die markierten Parteien über relevanten Einfluss verfügen (einfarbig): Dort können die Parteien auf maßgebliche Mittel (Bewaffnung, Truppenstärke, Finanzierung, Struktur, Administration u.a.) zurückgreifen, um auch längerfristig Einfluss zu gewährleisten. Es sind dies die Republik Somaliland; Puntland; teilweise auch Galmudug; AMISOM in Tandem mit der somalischen Regierung bzw. mit Bundesstaaten; äthiopische Kräfte im Grenzbereich; al Shabaab; Ahlu Sunna Wal Jama’a in Zentralsomalia;

e)       Einige Gebiete (schraffiert) – vorwiegend in Süd-/Zentralsomalia – unterliegen dabei dem Einfluss von zwei dermaßen relevanten Parteien.

f)       Alle in der Karte eingetragenen Städte und Orte wurden einer der o.g. Parteien zugeordnet. Sie gelten als nicht schraffiert, die Kommentare unter 4.1.2 sind zu berücksichtigen. Soweit bekannt wurden den Städten AMISOM-Stützpunkte oder Garnisonen bi-lateral eingesetzter Truppen zugeordnet. In den Städten ohne eine derartige Präsenz gibt es eine SNA-Präsenz, oder aber Sicherheitskräfte der einzelnen Bundesstaaten; oder Somalilands.

g)       Operationsgebiete, in welchen kleinere Parteien über eingeschränkten Einfluss verfügen (strichliert): Dort sind neben den o.g. relevanten Parteien noch weitere Parteien mit eingeschränkter Ressourcenlage aktiv. Ihr Einfluss in diesen Operationsgebieten ist von wechselnder Relevanz und hängt von den jeweiligen verfügbaren Ressourcen und deren Einsatz ab (BFA 8.2017).

(BFA 8.2017)

Zwischen Nord- und Süd-/Zentralsomalia sind gravierende Unterschiede bei den Zahlen zu Gewalttaten zu verzeichnen (ACLED 2016; vgl. ACLED 2017).

2.1.    Süd-/Zentralsomalia

Die Präsenz von AMISOM in Somalia bleibt auch mittelfristig essentiell, um die Sicherheit in Somalia zu gewährleisten. Sollte AMISOM überhastet abziehen oder die Verantwortung zu früh an somalische Sicherheitsbehörden übergeben, besteht das Risiko von Rückschritten bei der Sicherheit (UNSC 5.9.2017; vgl. ICG 20.10.2017).

AMISOM hat große Erfolge erzielt, was die Einschränkung der territorialen Kontrolle der al Shabaab anbelangt (ICG 20.10.2017). Weite Teile des Landes wurden durch AMISOM und durch die somalische Armee aus den Händen der al Shabaab zurückgeholt (UNHRC 6.9.2017), und AMISOM hat al Shabaab weitgehend zurückgedrängt (ÖB 9.2016). AMISOM und die somalische Regierung konnten ihre Kontrolle in zurückgewonnenen Gebieten etwas konsolidieren (AI 22.2.2017). Es ist aber kaum zur Einrichtung von Verwaltungen gekommen (BFA 8.2017).

Gleichzeitig hat AMISOM ihre Kräfte überdehnt. Die Mission tut sich schwer dabei, nunmehr den Kampf gegen eine Rebellion führen zu müssen, welche sich von lokalen Konflikten nährt. Die al Shabaab ist weiterhin resilient (ICG 20.10.2017). Außerdem beherrschen einige der neu errichteten Bundesstaaten nicht viel mehr, als ein paar zentrale Städte. Der effektive Einfluss von AMISOM und den somalischen Verbündeten bleibt jedoch in vielen Fällen auf das jeweilige Stadtgebiet konzentriert, auch wenn es teils zu weiteren Exkursionen kommt. In einigen Städten ist es in jüngerer Vergangenheit zu Verbesserungen gekommen. Dies gilt mehrheitlich auch für Mogadischu (BFA 8.2017).

Seit Beginn des Bürgerkrieges 1991 gab es in weiten Landesteilen kaum wirksamen Schutz gegen Übergriffe durch Clan- und andere Milizen sowie bewaffnete kriminelle Banden. In Süd-/Zentralsomalia herrscht weiterhin in vielen Gebieten Bürgerkrieg. Die somalischen Sicherheitskräfte kämpfen mit Unterstützung der Mission der Afrikanischen Union in Somalia (AMISOM) gegen die radikalislamistische Miliz al Shabaab. Die Gebiete sind teilweise unter der Kontrolle der Regierung, teilweise unter der Kontrolle der al Shabaab oder anderer Milizen (AA 1.1.2017; vgl. ÖB 9.2016) oder sind von AMISOM Offensiven betroffen (ÖB 9.2016). Kämpfe – vor allem unter Beteiligung von al Shabaab, aber auch unter Beteiligung von Clans – sowie Zwangsräumungen haben zu Vertreibungen und Verlusten geführt (HRW 12.1.2017). Dabei haben AMISOM und die somalische Armee seit Juli 2015 keine großen Offensive mehr geführt (SEMG 8.11.2017). Im Jahr 2016 gab es zwar Kämpfe zwischen AMISOM/Regierung und al Shabaab, es kam aber kaum zu Gebietswechseln (AI 22.2.2017). Im Jahr 2017 ist es zu weniger direkten militärischen Auseinandersetzungen zwischen al Shabaab und AMISOM gekommen. Die am meisten vom militärischen Konflikt betroffenen Gebiete sind die Frontbereiche, wo Ortschaften und Städte wechselnder Herrschaft unterworfen sind; sowie das Dreieck Mogadischu-Afgooye-Merka (BFA 8.2017).

Die reduzierten Kapazitäten der al Shabaab haben dazu geführt, dass sich die Gruppe auf Guerilla-Taktik und asymmetrische Kriegsführung verlegt hat. Al Shabaab begeht verübt komplexe Angriffe, Selbstmordattentate, und gezielte Attentate auf Einzelpersonen (UKHO 7.2017). Die Gruppe setzt den Guerillakampf im ländlichen Raum Süd-/Zentralsomalias fort. Regelmäßig kommt es zu Angriffen auf somalische und AMISOM-Truppen, die sich auf Verbindungsstraßen bewegen (UNSC 5.9.2017; vgl. UNSC 9.5.2017).

Al Shabaab kontrolliert weiterhin wichtige Versorgungsrouten und hält gegen Städte unter Kontrolle von AMISOM und Regierungskräften Blockaden aufrecht (HRW 12.1.2017). Durch Guerilla-Aktivitäten isoliert al Shabaab mehrere Städte, die teils als Inseln im Gebiet der Gruppe aufscheinen (BFA 8.2017). AMISOM muss an vielen Einsatzorten von UNSOS aus der Luft versorgt werden, da die Überlandrouten nicht ausreichend abgesichert sind (UNSC 5.9.2017).

Es hat mehrere Fälle gegeben, wo internationale Truppen Gebiete in Bakool, Galgaduud, Hiiraan und Lower Shabelle ohne große Ankündigung geräumt haben. In der Folge ist al Shabaab unmittelbar in diese Gebiete zurückgekehrt und hat an der lokalen Bevölkerung zahlreiche Menschenrechtsverletzungen (Mord, Folter, Entführung, Vernichtung humanitärer Güter, Zwangsrekrutierung) begangen (SEMG 8.11.2017). Die Vergangenheit hat gezeigt, dass eben jene Orte, aus denen die ENDF oder AMISOM rasch abgezogen sind, am meisten unter dem Konflikt leiden. Sobald die Regierungskräfte abziehen, füllt nämlich al Shabaab das entstandene Vakuum auf. Vergeltungsmaßnahmen gegen Zivilisten folgen umgehend. Es gibt regelmäßig Berichte darüber, dass AS mutmaßliche Kollaborateure hingerichtet hat. Die Menschen dort leben unter ständiger Bedrohung (BFA 8.2017).

Im September 2017 überrannte al Shabaab mehrere Stützpunkte der somalischen Armee, namentlich in Bulo Gaduud, Belet Xawo, Ceel Waaq und Bariire (19.12.2017 VOA).

Eine Infiltration von unter Kontrolle der Regierung stehenden Städten mittels größerer Kampfverbände der al Shabaab kommt nur in seltenen Fällen vor. Bisher wurden solche Penetrationen innert Stunden durch AMISOM und somalische Verbündete beendet. Eine Infiltration der Städte durch verdeckte Akteure der al Shabaab kommt in manchen Städten vor (BFA 8.2017). Al Shabaab ist dadurch nach wie vor in der Lage, auch auf die am schwersten bewachten Teile von Mogadischu oder anderer Städte tödliche Angriffe zu führen (AI 22.2.2017).

Die Unsicherheit in den von der Regierung kontrollierten Gebieten, einschließlich Mogadischu, sowie politische Machtkämpfe behindern Fortschritte im Bereich der Justiz und die Reform des Sicherheitssektors (ÖB 9.2016). Politische Anstrengungen zur Etablierung bzw. Stärkung von Bundesländern verstärkten Clankonflikte in manchen Bereichen (ÖB 9.2016; vgl. BS 2016, BFA 8.2017). Auch dabei kommen Zivilisten zu Schaden (HRW 12.1.2017).

Auch Regierungstruppen und Clanmilizen geraten regelmäßig aneinander. Dadurch werden viele Zivilisten schwerverletzt bzw. getötet. In solchen Fällen bleibt Zivilisten nichts andres übrig als die Flucht zu ergreifen, da weder Clan- noch staatlicher Schutz gegeben ist (ÖB 9.2016).

Gezielte Angriffe auf Zivilisten und zivile Infrastruktur mittels Selbstmordattentätern und anderen Sprengstoffanschlägen durch die al Shabaab haben weiterhin gravierende Folgen (HRW 12.1.2017). Zivilisten kommen im Kreuzfeuer, bei gezielten Attentaten, durch Sprengsätze oder Handgranaten und bei komplexen Anschlägen ums Leben oder werden verwundet (AI 22.2.2017). Generell hat al Shabaab vermehrt Gewalt gegen Zivilisten angewandt, nötigt oder bestraft in den Gebieten unter ihrer Kontrolle ganze Gemeinden. Aufgrund der durch die Dürre verstärkten Ressourcenknappheit hat al Shabaab Dörfern niedergebrannt und Älteste enthauptet, um ihre Steuerforderungen durchzusetzen – so z.B. im Raum Xaradheere im November 2016 (SEMG 8.11.2017). Im ersten Trimester 2017 wurden von al Shabaab 36 Personen entführt, davon wurden 15 später wieder freigelassen (UNSC 9.5.2017).

UNSOM hat für den Zeitraum 1.1.2016-14.10.2017 insgesamt 2.078 getötete zivile Opfer in Somalia dokumentiert; hinzu kommen 2.507 Verletzte. Für 60% der Opfer ist die al Shabaab verantwortlich (UNHRC 10.12.2017a).

(UNHRC 10.12.2017b)

Für das Jahr 2016 berichtet das UN Mine Action Service von 267 durch Sprengstoffanschläge getötete und 727 verletzte Personen. Bei Kämpfen kamen zwischen Jänner und August 2016 492 Zivilisten ums Leben (USDOS 3.3.2017). Andererseits beruft sich die SEMG auf Zahlen von ACLED. Demnach seien im Zeitraum Jänner 2016 bis Mitte August 2017 bei 533 Zwischenfällen mit improvisierten Sprengsätzen insgesamt 1.432 Zivilisten zu Schaden gekommen, 931 davon wurden getötet (SEMG 8.11.2017). Das Rote Kreuz wiederum berichtet, dass im Jahr 2016 ca. 5.300 durch Waffen verletzte Personen in vom IKRK unterstützten Spitälern eine Behandlung erhalten haben; v.a. in Mogadischu, Baidoa und Kismayo (ICRC 23.5.2017). Es ist offenbar schwierig, die genaue Zahl festzustellen (AI 22.2.2017).

Im ersten Trimester 2017 wurden 646 Zivilisten getötet oder verletzt (UNSC 9.5.2017), im zweiten Trimester waren es 582 (ca. die Hälfte der letztgenannten Zahl ist al Shabaab zuzuschreiben, 12 Opfer der AMISOM, 41 den staatlichen Sicherheitskräften; bei durch die Dürre verschärften Ressourcenkonflikten kamen 175 Zivilisten zu Schaden) (UNSC 5.9.2017). Bei einer geschätzten Bevölkerung von rund 11 Millionen Einwohnern (CIA 6.11.2017) liegt die Quote getöteter Zivilisten:Gesamtbevölkerung für Gesamtsomalia im ersten Trimester 2017 bei ca. 1:17.000, im zweiten Trimester bei 1:18.900.

Auch wenn die Zahl von Gewalt gegen Zivilisten seit dem Jahr 2013 relativ konstant bleibt, so hat sich die Letalität – etwa aufgrund der Proliferation von destruktiveren Methoden – erhöht. Im Durchschnitt kommen bei jedem Vorfall also mehr Menschen zu Schaden (SEMG 8.11.2017). Absolutes Beispiel dieses Trends ist der Anschlag vom 14.10.2017 in Mogadischu, bei welchem mehr als 500 Menschen getötet wurden – wiewohl sich al Shabaab bislang nicht zu dem Anschlag bekannt hat (DS 2.12.2017).

Dahingegen ist bei den staatlichen Sicherheitskräften ein positiver Trend zu erkennen. Sie sind in keine größeren Angriffshandlungen gegen Zivilisten verwickelt (SEMG 8.11.2017).

Die Grafik zeigt, dass der Trend hinsichtlich der Anzahl an gewalttätigen Vorfällen gegen Zivilisten nach unten zeigt, während sich die Anzahl an Todesopfern pro Vorfall erhöht hat (SEMG 8.11.2017).

Die Anzahl an Sprengstoffanschlägen hat zugenommen, ihre Letalität ist hingegen kaum gestiegen (SEMG 8.11.2017).

Im zweiten Trimester 2017 kam es in ganz Somalia zu 16 Luftangriffen, die meisten davon in den Regionen Gedo (8), Lower Shabelle (4) und Lower Juba (3). Insgesamt kamen dabei 18 Zivilisten zu Schaden (UNSC 5.9.2017). Eine andere Quelle nennt als Gesamtzahl für die ersten beiden Trimester 2017 32 Luftangriffe durch Kenia, die USA und nicht identifizierte Kräfte (SEMG 8.11.2017). Insgesamt sollen alleine die USA im Jahr 2017 30 Luftschläge in Somalia durchgeführt haben (BBC 22.12.2017). Jedenfalls haben die USA ihre Angriffe verstärkt: Während sie im gesamten Jahr 2016 nur dreizehn Luftschläge führte, waren es alleine im Zeitraum Juni-September 2017 neun. Seit 2016 haben sich die Auswirkungen von Luftschlägen auf Zivilisten aufgrund gezielterer Angriffe verringert. Insgesamt wurden im Zeitraum Jänner 2016 bis Juni 2017 bei 58 Luftschlägen 36 zivile Opfer dokumentiert (SEMG 8.11.2017).

2.1.1.  Benadir / Mogadischu

Mogadischu bleibt weiterhin unter Kontrolle von Regierung und AMISOM (AI 22.2.2017). Die Stadtverwaltung von Mogadischu ist verhältnismäßig präsent und aktiv (BFA 8.2017). Schritte von Stadt- und Bundesregierung haben bei der Sicherheitslage zu einer Verbesserung geführt – speziell durch die Aufstellung der Mogadishu Stabilization Mission (MSM). Die Zahl von Angriffen der al Shabaab im jeweiligen Ramadan ist von 269 im Jahr 2015 auf 208 im Jahr 2017 zurückgegangen. Andererseits scheint sich die al Shabaab aufgrund der Erfolge der Sicherheitskräfte zunehmend auf Sprengstoffanschläge zu verlegen, welche unter der Zivilbevölkerung ein höheres Maß an Schaden verursachen (UNSC 5.9.2017). Regelmäßig kommt es zu sogenannten komplexen Anschlägen in Mogadischu, wobei ein Sprengstoffanschlag mit dem Einsatz einiger weniger bewaffneter Selbstmordkämpfer kombiniert wird. Ziele sind i.d.R. Hotels oder Restaurants, die häufig von Behördenbediensteten oder Sicherheitskräften frequentiert werden (SEMG 8.11.2017).

Der Einsatz von Artillerie (Mörsern) mit Ziel Mogadischu ist wieder im Steigen begriffen. Im ersten Halbjahr 2017 kam es zu zwölf derartigen Angriffen, im Gesamtjahr 2016 waren es 17 (SEMG 8.11.2017). Am 12.6. und am 4.7.2017 wurden insgesamt neun Mörsergranaten auf Stadtgebiet abgeschossen (UNSC 5.9.2017). Dabei verfügt al Shabaab nunmehr auch über schwere, von AMISOM erbeutete Mörser (120mm), was ihre Möglichkeiten erweitert (SEMG 8.11.2017). Es ist höchst unwahrscheinlich, dass al Shabaab wieder die Kontrolle über Mogadischu erlangt (DIS 9.2015; vgl. EASO 2.2016). Es gibt in der Stadt auch kein Risiko mehr, von der al Shabaab zwangsrekrutiert zu werden (BFA 8.2017; vgl. UKUT 3.10.2014, vgl. EGMR 10.9.2015). Es besteht zwar gemäß mehreren Berichten kein Risiko, alleine aufgrund der eigenen Clanzugehörigkeit angegriffen zu werden. Trotzdem sind Clan und Clanzugehörigkeit in Mogadischu nach wie vor relevant (SEM 31.5.2017).

Die Sicherheitslage hat sich also verbessert (UNSOM 13.9.2017; vgl. UNNS 13.9.2017), bleibt aber volatil (UNSC 5.9.2017). Die MSM hat einige Erfolge verzeichnet, darunter Maßnahmen zur Entwaffnung von Milizen und Zivilisten. Auch die Polizei in Mogadischu funktioniert merklich besser, als vor drei oder vier Jahren. Das Polizeikontingent der AMISOM ist aktiv. Es werden in der ganzen Stadt regelmäßig Patrouillen durchgeführt. Zusätzlich befinden sich Stützpunkte der Armee an neuralgischen Punkten der Stadt. Auch die National Intelligence and Security Agency (NISA) und ihre Spezialeinheiten werden in Mogadischu eingesetzt. Der wichtigste Faktor in Mogadischu ist aber die Präsenz der AMISOM. Sie ist in Mogadischu mit je einem Bataillon aus Uganda und Burundi, mit dem militärischen Stab und mit rund 300 Polizisten präsent. In einem gewissen Ausmaß stellt sie für al Shabaab einen Abschreckungsfaktor dar. Sie macht es für AS schwieriger, in die Stadt zu gelangen (BFA 8.2017). Auch die Regierung zeigt einige Bemühungen, die Sicherheit in der Stadt zu verbessern. Allerdings sind diese ungenügend; korrupte, unbezahlte Soldaten und unzufriedene Clans in der Peripherie ermöglichen es der al Shabaab, Mogadischu zu infiltrieren (ICG 20.10.2017).

Mogadischu ist folglich nicht absolut abgeschottet (BFA 8.2017). Der Amniyat ist schon seit Jahren in der Stadt aktiv und konnte Sicherheitsstrukturen unterwandern (ICG 20.10.2017). Insgesamt reicht die in Mogadischu gegenwärtig gegebene Stärke der unterschiedlichen Sicherheitskräfte nicht aus, um eine flächeneckende Präsenz sicherzustellen. Al Shabaab hingegen verfügt eindeutig über eine Präsenz in der Stadt (BFA 8.2017). Diese Präsenz ist aber keine offen militärische, sondern eine verdeckte (DIS 3.2017). Diese ist in den Außenbezirken stärker, als in den inneren. Z

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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