TE Bvwg Erkenntnis 2020/10/7 W159 2191699-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 07.10.2020
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Entscheidungsdatum

07.10.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

W159 2191699-1/16E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Clemens KUZMINSKI als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geboren XXXX , Staatsangehöriger von Somalia, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 03.03.2018, Zl. XXXX nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 24.09.2020 zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 57 und 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG, §§ 52 Abs. 2 und 9, 46 und 55 Abs. 1 bis 3 FPG als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer, ein somalischer Staatsangehöriger, gelangte (spätestens) am 04.04.2016 irregulär in das Bundesgebiet und stellte an diesem Tag einen Antrag auf internationalen Schutz. Am 05.04.2016 wurde er von der Landespolizeidirektion XXXX , Abteilung Fremdenpolizei einer Erstbefragung nach dem Asylgesetz unterzogen. Dabei gab er zu seinen Fluchtgründen an, dass im Jahre 2014 in seinem Heimatort Beledweyne Krieg zwischen der Al Shabaab und der Regierung geherrscht habe und er deswegen mit seiner Familie geflüchtet sei. Die Lage sei nicht mehr sicher gewesen. Er sei auch in Äthiopien von der Polizei festgenommen und für zwei Monate in einem Lager eingesperrt worden. Bei einer Rückkehr habe er Angst um sein Leben.

Nach Zulassung zum Asylverfahren erfolgte am 20.02.2018 eine Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Oberösterreich. Dabei gab der Antragsteller am Beginn der Einvernahme an, dass er gesund und sei und dass er bei der Polizei korrekte und der Wahrheit entsprechende Angaben, die auch rückübersetzt und korrekt protokolliert worden seien, gemacht habe. Er sei am XXXX in Beledweyne geboren und habe sechs Jahre lang die Schule besucht. Dann habe er auf verschiedenen Baustellen als Gelegenheitsarbeiter gearbeitet. Von seinem Lohn sei er nicht reich geworden, aber er habe damit leben können. Er gehöre dem Clan Ogaden an, der Subclan sei XXXX , der Subsubclan XXXX . Er habe keine Dokumente. Als er in Libyen gewesen sei, habe er erfahren, dass seine Familie nach Äthiopien gegangen sei. Er habe, seit er Somalia verlassen habe, keinen Kontakt mehr mit seiner Familie. Ein in der USA lebender Verwandter habe ihm Geld für seine Reise geschickt. Verwandte in Somalia habe er nicht mehr. Seine Mutter habe keine Geschwister gehabt und die Geschwister seines Vaters wären alle verstorben. Seit er in Österreich sei, benutze er Facebook.

Die Behörde schaute nach und fand dabei heraus, dass er offensichtlich mit vielen in Somalia lebenden Personen in Kontakt sei und einige auch die gleichen Namen wie seine Geschwister trügen und in Beledweyne wohnen würden. Über Vorhalt dieses Umstandes gab der Beschwerdeführer an: „Kann schon sein, aber ich weiß nicht.“ Bei seiner Ausreise sei er von Beledweyne mit einem LKW nach XXXX in Äthiopien gefahren. Dann sei er nach Libyen gekommen.

Er habe in Somalia keine Probleme mit den Behörden gehabt und seien auch keine staatlichen Fahndungsmaßnahmen gegen ihn eingeleitet worden. Er sei auch nicht politisch tätig gewesen. Auch wegen seiner Volksgruppenzugehörigkeit habe er keine Probleme gehabt. Sein einziges Problem sei die Al Shabaab gewesen. Zu den Gründen näher befragt, gab er an, dass die Al Shabaab ihn aufgefordert habe, Mitglied zu werden. Er habe das abgelehnt und habe dies auch der Polizei gemeldet. Die Al Shabaab habe dann davon erfahren. Er sei von seiner Familie versteckt worden und habe sofort am nächsten Tag Somalia verlassen. Andere Fluchtgründe habe er nicht. Befragt, welche AMISOM-Soldaten in Beledweyne stationiert wären, gab er an, dass es dschibutische AMISOM-Soldaten gewesen wären und er sie auch gesehen habe.

Nochmals näher nachgefragt, wie es zu der Aufforderung der Al Shabaab an ihn gekommen sei, gab er an, dass er einmal von der Arbeit auf einer Baustelle am Heimweg gewesen sei und zwei maskierte Männer ihn aufgefordert hätten, dass er mitkommen solle. Sie hätten ihm auch gesagt, dass sie ihn töten würden, wenn er weiterhin mit ihnen spreche. Er sei dann mit ihnen mitgegangen und außerhalb der Stadt gebracht worden. Dort hätte man ihm gesagt, dass es seine Aufgabe wäre, Soldaten in der Stadt auszuspionieren. Er habe dann zugesagt. Dann sei er wieder nach Hause gegangen, aber sofort zu einem Polizeistützpunkt und habe eine Anzeige gemacht. Nach Sonnenuntergang habe die Al Shabaab dann ihr Haus überfallen. Seine Familie habe ihn versteckt. Dann sei die Al Shabaab wieder gegangen und am nächsten Tag habe er das Haus verlassen. Gefragt, zu welchem Polizeistützpunkt er gegangen sei, gab er an, dass er zu den dschibutischen AMISOM-Truppen gegangen wäre. Befragt, wo genau er von den Al Shabaab Männern angesprochen worden sei, gab er na, dass dies genau beim Einkaufszentrum XXXX gewesen sei. Es sei vier Uhr nachmittags gewesen und hell. Die beiden Männer hätten ein Gewehr, wie Soldaten, bei sich getragen. Sie seien ungefähr eine Stunde zu Fuß durch die Stadt gegangen und hätten auf dem Weg überhaupt keine Soldaten getroffen. Sonst habe er niemals Kontakt mit der Al Shabaab gehabt. Befragt, wie die Al Shabaab so schnell habe wissen können, dass er zu den AMISOM-Truppen gegangen wäre, gab er an, dass sie überall in der Stadt Männer hätte. Über Vorhalt dieses Umstandes, warum die Al Shabaab dann überhaupt ihn noch gebraucht hätte, um zu spionieren, gab er an, dass er das nicht wisse. Die Al Shabaab habe ihm auch kein Geld angeboten oder irgendwelche Vorteile versprochen.

Über Vorhalt, dass in Beledweyne kaum mehr die Al Shabaab präsent sei, gab er an, dass er die aktuelle Lage nicht kenne. Mit der Versorgung habe er keine Probleme gehabt. Er habe von seiner Arbeit auf Baustellen leben können. Er sei in Österreich nicht mit dem Gesetz in Konflikt gekommen und legte ein Konvolut an Integrationsnachweisen vor, zum Beispiel einen Integrationsnachweis über Teilnahme am Gemeindeleben der XXXX sowie eine Arbeitsbestätigung über Mithilfe im Wirtschaftshof der XXXX , weiter ein positives Prüfungszeugnis im Niveau A1 sowie Teilnahmebestätigungen an Deutsch-A2-Kursen sowie eine Teilnahmebestätigung an einem Werte- und Orientierungskurs.

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Oberösterreich vom 03.03.2018, Zahl XXXX wurde unter Spruchteil I. der Antrag auf internationalen Schutz vom 04.04.2016 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen, unter Spruchteil II. dieser Antrag auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Somalia abgewiesen, unter Spruchpunkt III. ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt, unter Spruchpunkt IV. eine Rückkehrentscheidung erlassen, unter Spruchpunkt V. die Zulässigkeit der Abschiebung nach Somalia ausgesprochen und unter Spruchpunkt VI. eine Frist von 14 Tagen für die freiwillige Ausreise festgelegt. In der Begründung des Bescheides wurde zunächst der Verfahrensgang einschließlich der oben bereits im wesentlichen Inhalt wiedergegebenen Einvernahmen dargestellt, die vorgelegten Beweismittel aufgelistet und Feststellungen zum Herkunftsstaat getroffen.

Beweiswürdigend wurde insbesondere ausgeführt, dass die Schilderungen des Beschwerdeführers zu seinen Fluchtgründen völlig unglaubwürdig gewesen seien, insbesondere, dass er von zwei maskierten und mit Gewehren bewaffneten Männern quer durch die Stadt Beledweyne begleitet worden sei, ohne dass Passanten oder AMISOM-Truppen alarmiert worden wären. Auch sei es unplausibel, dass die Al Shabaab ihm keine finanziellen Anreize geboten hätte und sei das Vorbringen überhaupt unlogisch, weil, wenn, wie der Beschwerdeführer selbst gesagt hätte, die Al Shabaab überall in der Stadt Männer gehabt hätte, es keinen Sinn gemacht hätte, ihn noch zusätzlich als Spion zu rekrutieren. Auch würde die Al Shabaab nach den Länderberichten generell jüngere Personen rekrutieren und setze auf ökonomische Anreize. Schließlich sei auch festzuhalten, dass sich Beledweyne unter der Kontrolle der AMSIOM befinde und die Al Shabaab aus der Stadt verdrängt worden sei. Es sei im konkreten Fall auch nicht davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer als junger, gesunder und arbeitsfähiger Mann bei einer Rückkehr nach Somalia in eine derart extrem schlechte wirtschaftliche Lage geraten würde, die eine massive Beeinträchtigung seiner Gesundheit oder des Lebens darstellen hätte können.

Rechtlich begründend zu Spruchteil I. wird ausgeführt, dass der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt keinerlei Umstände glaubhaft gemacht habe, die die Annahme rechtfertigen würden, dass er persönlich aus in der GFK genannten Gründen in seinem Heimatstaat einer Verfolgung ausgesetzt wäre und reiche die allgemeine Lage in Somalia auch nicht dazu aus, um eine Asylgewährung zu rechtfertigen.

Zu Spruchteil II. wird insbesondere nochmals darauf hingewiesen, dass sich aus der allgemeinen Lage keine Gefährdung oder ein Abschiebungshindernis des § 8 AsylG ergäbe und sei es dem Beschwerdeführer im Ermittlungsverfahren nicht gelungen, glaubhaft zu machen, dass er selbst aufgrund konkreter, in seiner Person gelegener Merkmale, einem erhöhten Gefährdungsrisiko ausgesetzt wäre. Es könne auch nicht davon ausgegangen werden, dass sich jedermann, welcher sich in Somalia aufhalte, schon aufgrund der allgemeinen Lage sich in einer extremen Gefährdungslage befinde und könnte der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr auch eine ausreichende Lebensgrundlage finden, sodass kein subsidiärer Schutz zu gewähren gewesen sei. Auch die Voraussetzung für die Zuerkennung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG lägen nicht vor (Spruchteil III.). Zu Spruchpunkt IV. wurde zunächst darauf hingewiesen, dass der Beschwerdeführe kein Familienleben in Österreich führe. Hinsichtlich des Privatlebens wurde darauf hingewiesen, dass keine Aspekte einer außergewöhnlichen oder schützenswerten Integration gegeben wären und der Beschwerdeführer erst seit April 2016 in Österreich aufhältig sei. Es sei daher eine Rückkehrentscheidung zulässig.

Es läge auch keine Gefährdung im Sinne des § 50 FPG vor und stehe einer Abschiebung nach Somalia auch keine Empfehlung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte entgegen, sodass diese als zulässig zu bezeichnen sei (Spruchteil V). Auch wären keine Gründe für die Verlängerung der Frist für die freiwillige Ausreise hervorgekommen (Spruchpunkt VI.)

Gegen diesen Bescheid erhob der Antragsteller, vertreten durch den XXXX , fristgerecht gegen alle Spruchpunkte Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht, wo zunächst der Verfahrensgang und das bisherige Vorbringen (kurz) wiedergegeben wurde. Zu dem Vorbringen, dass es die Behörde als unglaubwürdig angesehen habe, dass er am helllichten Tag entführt worden sei und dass das kein Aufsehen anderer Passanten erregt hätte, gab er an, dass niemand ihm hätte helfen wollen. Es sei nicht nachvollziehbar, warum die Behörde zur Ansicht gelangt sei, dass es nicht logisch sei, dass die Al Shabaab ihn durch Entführung habe rekrutieren wollen. Nach der Judikatur des VwGH genüge das Vorliegen einer begründeten Furcht und deren Glaubhaftmachung. Die Behörde habe auch nicht begründet, warum er bei einer Rückkehr nach Somalia nicht in Gefahr laufen würde, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung unterworfen zu werden, wobei insbesondere darauf hinzuweisen sei, dass Somalia eines der ärmsten Länder der Welt sei und die Bevölkerung von der Dürre stark betroffen sei. Bei einer Abschiebung wäre er daher einem realen Risiko einer menschenunwürdigen Behandlung ausgesetzt. Falls seinem Vorbringen keine Asylrelevanz zugebilligt werde, stelle er in eventu den Antrag auf Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten. Schließlich wurde auch die Anberaumung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung beantragt.

Am 24.07.2019 erfolgte eine Anzeige wegen Verdacht des Diebstahls (eines Handys), am 13.05.2020 eine Anzeige wegen des Verdachts von Suchtgiftkonsum. Hinsichtlich § 27 Abs. 2 SMG ist die Staatsanwaltschaft XXXX an der Verfolgung (vorläufig) unter Setzung einer Probezeit von einem Jahr zurückgetreten. Mit Eingabe vom 10.09.2020 legte die ausgewiesene Vertretung des Beschwerdeführers ein A1-Prüfungszeugnis sowie Deutschkursbestätigungen A2, die Teilnahmebestätigung an einem Werte- und Orientierungskurs, eine Arbeitsbestätigung der XXXX sowie einen Integrationsnachweis im Gemeindeleben vor. Mit Schreiben vom 15.09.2020 wurde weiters die Beschäftigungsbestätigung der Gemeinde XXXX übermittelt.

Das Bundesverwaltungsgericht beraumte eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung für den 24.09.2020 ein, zu der sich die belangte Behörde wegen Nichtteilnahme entschuldigen ließ und der Beschwerdeführer in Begleitung eines Mitarbeiters seiner ausgewiesenen Vertretung erschien. Dieser legte eingangs der Verhandlung eine Teilnahmebestätigung an einem Deutschintegrationskurs A2 vor.

Der Beschwerdeführer hielt sein bisheriges Vorbringen aufrecht, führte jedoch aus, dass bei der Fluchtroute auch Länder aufgeschrieben worden seien, in denen er nicht auf der Flucht gewesen sei, nämlich Süd Sudan und Ägypten. Er sei somalischer Staatsangehöriger, besitze darüber jedoch keine Dokumente. Seine Religion sei der sunnitische Islam, er sei Angehöriger des Ogaden Clans. Der Subclan ist XXXX , der Subsubclan XXXX . Befragt, was er über seinen Clan wisse, gab er an, dass er sich nicht gut auskenne, er sei in Beledweyne aufgewachsen. Der Ogadenclan sei auch in Äthiopien vertreten. In seiner Heimatregion lebten nicht viele Angehörige seines Clans. Er sei am XXXX in Beledweyne geboren und habe auch immer dort gelebt und zwar im Stadtbezirk XXXX . Die Schule habe er bis zur sechsten Klasse besucht. Außerdem habe er auch eine Privatschule besucht. Dann habe er in Somalia als Bauarbeiter gearbeitet, etwa ab dem Alter von 17 Jahren. Befragt, ob er wirtschaftliche Probleme in Somalia gehabt habe, bejahte er dies. Seine Mutter habe Gemüse verkauft. Er sei das jüngste Kind gewesen. Die älteren wären noch in die Schule gegangen. Seine Mutter lebe noch und sein Vater sei im September 2019 bei einem Sprengstoffanschlag ums Leben gekommen. Er habe seit sieben Monaten keinen Kontakt mehr zu seiner Mutter und seinen Geschwistern. Solange er noch Kontakt gehabt habe, hätten sie in Beledweyne gelebt. Er sei verheiratet, habe aber keine Kinder. Nunmehr sei er aber nicht mehr verheiratet. Er habe sich von seiner Frau über Telefon im September 2018 getrennt.

Mit staatlichen Behördenorganen wie Polizei, Militär oder Geheimdienst oder der AMISOM habe er in Somalia keine Probleme gehabt. Er hätte aber Probleme mit der Al Shabaab gehabt. Befragt, diese näher zu schildern, gab er lediglich an, dass er Probleme bekommen habe, weil er die Al Shabaab bei der Regierung angezeigt habe. Angefangen habe dies etwa ungefähr Jänner 2014, als er sie damals angezeigt habe. Befragt, was sich, bevor er die Al Shabaab angezeigt habe, ereignet habe, gab er an: „Als ich die Al Shabaab angezeigt habe, haben sie mir Probleme gemacht.“ Weiters gefragt, warum er die Al Shabaab angezeigt habe, gab er an, dass er, als er einmal auf dem Nachhauseweg gewesen sei, er Al Shabaab Leute habe sagen gehört, dass sie einen Sprengstoffanschlag in seinem Wohnbezirk verüben wollten. Es hätte daher auch seine Familie treffen können. Deswegen habe er zur Polizei gehen müssen. Er habe aber am selben Tag nicht mehr zur Polizei gehen können, sondern am nächsten Vormittag sei er zur AMISOM-Station gegangen. Am Nachtmittag hätten die Al Shabaab-Leute einen Anschlag verüben wollen. Er habe dies den AMISOM-Soldaten gesagt. Dann sei er nach Hause gekommen. Ca. zwei Stunden später seien Mitglieder der Al Shabaab zu ihm in ein Restaurant bzw. Kaffeehaus gekommen. Über Vorhalt, dass er die Vorgänge vor seiner Anzeige beim BFA (AS 89) völlig anders dargestellt hätte, gab er an, dass er dazu noch komme.

Die Al Shabaab Mitglieder hätten ihn in dem Kaffeehaus gefragt, was er beim Lager der AMISOM zu tun gehabt habe, sie hätten ihn beobachtet. Er habe ihnen gesagt, dass er sich eine ID-Karte hätte ausstellen lassen wollen. Das sei ihm damals so eingefallen, wahr sei es nicht gewesen. Die Al Shabaab Männer seien dann wieder gegangen. Sie seien festgenommen worden, bevor sie den Anschlag hätten verüben können. Am Nachmittag hätten ihn dann zwei bewaffnete Al Shabaab-Mitglieder angehalten und ihm vorgehalten, dass er den Plan der Al Shabaab verraten habe. Er habe dies aber geleugnet. Es sei zu einer längeren Diskussion gekommen. Er habe alles bestritten und alles geleugnet. Sie hätten ihm dann schließlich gesagt, dass er gehen dürfe, aber sie würden ihn noch erwischen. Sie würden zu ihm nach Hause kommen, wenn sie sich vergewissert hätten, dass er dahinterstecke. Über Vorhalt, dass es nicht sehr logisch sei, dass die Al Shabaab ihn einfach wieder gehen lasse und anschließend drohe, ihn von Zuhause mitzunehmen, gab er an, dass sie ihm geglaubt hätten, dass er es nicht gewesen sei. Befragt, wo er von den Al Shabaab-Mitgliedern angehalten worden sei, gab er an „Am Weg nach Hause“.

Am nächsten Abend, um ca. sieben Uhr seien sie zu ihm nach Hause gekommen. Sie hätten an die Tür geklopft und habe er dann das Haus über den Zaun des Nachbarn verlassen. Sie hätten das Haus nach ihm durchsucht und seine Mutter nach ihm gefragt. Diese habe aber gesagt, dass er in der Stadt sei. Sie wären dann wieder gegangen. Am nächsten Abend seien sie dann wiedergekommen. Sie hätten ihn auch nicht gefunden, denn er habe auch diesmal das Haus rechtzeitig entweder über den Zaun zum Nachbarn oder über die Straße verlassen. Sie hätten dann seine Mutter mit dem Tod bedroht und auch seine Geschwister, wenn sie ihn nicht hergeben würden. Dann wären sie wieder gegangen. Seine Mutter habe ihm dann gesagt, dass die Al Shabaab ihn umbringen würde und dass er irgendwo anders hingehen solle. Am nächsten Tag um ca. vier in der Früh sei er dann mit einem Gemüsetransporter Richtung Äthiopien gefahren. Die Al Shabaab habe ihn verfolgt, weil er ihren Anschlagsplan verraten habe. Vom Beschwerdeführervertreter nachgefragt, ob die Al Shabaab ihn auch hätte zwangsrekrutieren können, gab er an: „Das hätte auch sein können.“

Er habe Somalia im Februar 2014 verlassen. Früher sei seine Familie in Somalia gewesen. Wo sie jetzt seien, könne er nicht sagen. Befragt, ob er nach seiner Ausreise noch mit seinen Geschwistern über Facebook Kontakt gehabt habe, gab er an, dass sie kein Facebook verwenden würden. Über Vorhalt, dass das BFA dahintergekommen sei, dass er über Facebook mit Personen aus Beledweyne in Kontakt sei und seine Antwort darauf sehr ausweichend gewesen sei (AS 87) gab er an, dass in Somalia Leute oft gleiche Namen hätten. Einige Geschwister hätten schon einen Facebook-Account, zum Beispiel sein Bruder. Auf Vorhalt, dass er beim BFA am 20.02.2018 (AS 87) gesagt habe, dass seine Familie nach Äthiopien gegangen sei, er nunmehr jedoch angebe, dass sie bis vor wenigen Monaten in Somalia aufhältig gewesen seien, gab er an, dass sie in Äthiopien über der Grenze gewesen seien, es ihnen aber nicht gelungen sei, in einem Flüchtlingslager in Äthiopien unterzukommen und im August 2018 wieder nach Somalia zurückgekehrt wären. Über Vorhalt, dass er bei der Erstbefragung durch die Polizei am 04.04.2016 angegeben habe, dass er auch von der äthiopischen Polizei festgenommen worden sei und für zwei Monate in einem Lager eingesperrt worden sei, bejahte er dies.

Er sei psychisch ein bisschen angeschlagen, körperlich gehe es ihm aber gut. Er sei aber deswegen nie beim Arzt gewesen. Es gehe ihm deswegen schlecht, weil er seit viereinhalb Jahren auf eine endgültige Entscheidung in seinem Asylverfahren warte. Zurzeit besuche er einen Deutschkurs. Die A2-Prüfung sei für den 29.09.2020 geplant, A1 habe er schon bestanden und vorgelegt. Er habe auch Leuten freiwillig geholfen, Gras geschnitten und für die Gemeinde gearbeitet. Bei Vereinen oder Institutionen sei er nicht, er habe aber schon österreichische Freunde. Er habe nach der Trennung von seiner Frau keine neue Freundin oder Lebensgefährtin.

Gefragt, was mit ihm geschehen würde, wenn er nach Somalia zurückkehren würde, gab er an, dass das Problem, das zu seiner Flucht geführt habe, noch immer bestehe. Er habe außerdem keinen Kontakt mehr zu seiner Familie und er wisse auch nicht, wie er sie finden solle. Er wisse nicht einmal, ob sie noch leben würden. Über Vorhalt, dass Beledweyne nunmehr unter der Herrschaft der AMISOM sei und dort relativ geordnete Verhältnisse herrschen würden, sodass eine Zwangsrekrutierung oder sonstige Probleme mit der Al Shabaab dort heute nicht mehr zu erwarten wären, gab er an, dass auch schon früher die AMISOM dort gewesen sei und auch als die Al Shabaab ihn aufgegriffen habe, die AMISOM bereits in Beledweyne gewesen sei. Gefragt, ob er vielleicht nach Mogadischu gehen könnte, weil auch dort die somalische Regierung bzw. die AMISOM herrsche und auch dort keine Probleme mit der Al Shabaab zu erwarten wären, gab er an, dass er niemanden in Mogadischu habe und sich dort nicht auskenne. Die Al Shabaab sei aber auch in Mogadischu. Der Beschwerdeführervertreter hatte weder weitere Fragen noch der Beschwerdeführer ein weiteres Vorbringen. Über Vorhalt des aktuellen Strafregisterauszuges, wo wohl keine Verurteilung aufscheine, aber unter Hinweis darauf, dass mehrere Anzeigen im Akt wären, gab er an, dass das mit dem Handy nicht passiert sei und Marihuana bei einem Urintest gefunden worden sei. Es sei jedoch nur Selbstkonsum gewesen. Das Verfahren sei vor Gericht eingestellt worden.

Am Schluss der Verhandlung bringt der Vorsitzende Richter den Verfahrensparteien folgende Länderdokumente unter Setzung einer Frist von zwei Wochen zur Abgabe einer Stellungnahme vor:

?        Länderinformationsblatt Staatendokumentation zu Somalia von 17.09.2019

?        FSNAU Food Security and Nutrition Analysis Unit-Somalia June 2020 to January 2019

?        ACCORD Anfragebeantwortung zu Somalia: Mogadischu: Sozio-ökonomische Lage (insbesondere für Rückkehrerinnen) [a-11167] von 31. Jänner 2020

Der Beschwerdeführervertreter gab zu den Länderdokumenten, die ihm bekannt waren, gleich in der Verhandlung folgende Stellungnahme ab:

Ich verweise auf die bisherigen Anträge in der Beschwerde und die aktuellen Länderberichte und füge hinzu: Der BF sei in seiner Heimat konkreten, seine Person betreffenden, Verfolgungshandlungen durch Al Shabaab Mitglieder ausgesetzt und drohe ihm asylrelevante Verfolgung. Die diesbezüglichen Befürchtungen des BF stünden im Einklang mit den Länderberichten zu Somalia bezüglich Einschüchterung bzw. Zwangsrekrutierung durch Al Shabaab, insbesondere sei der Somalische Staat nicht in der Lage Schutz vor den dargelegten Bedrohungen zu bieten. Der BF wird somit von Al Shabaab bedroht, weil er diese Terrorgruppe bei den AMISOM Truppen angezeigt hat bzw. verraten hat und sich als Gegner der Al Shabaab positioniert hat, wird er von diesen aufgrund seiner politischen Gesinnung und damit in einem konventionsrelevanten Zusammenhang verfolgt. Dass diese Verfolgung auch in hinreichender Intensität besteht und bei dem BF zu wohl begründeter Furcht führt, indiziert bereits das Vorbringen im Verfahren. Ich ersuche daher um Stattgabe der Beschwerde.

Weiters zur Integration des BF wird vorgebracht: der BF lebt unbescholten seit über 4 Jahren in Österreich, er bemüht sich ständig die deutsche Sprache zu lernen und erreichte das Niveau A2. Er geht zahlreichen freiwilligen Tätigkeiten nach und hat einen großen Freundeskreis. Er würde gerne sich in den österreichischen Arbeitsmarkt integrieren und einer regelmäßigen Arbeit nachgehen. Der BF möchte nach vier aktiven Jahren Aufenthalt in Österreich seine Zukunft aufbauen und ein friedliches Leben führen. Somit würde die Abschiebung nach Somalia eine Verletzung von Artikel 2, 3 und 8 der EMRK bedeuten. Ich ersuche wiederholt um die Stattgabe der Beschwerde.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat, wie folgt, festgestellt und erwogen:

1. Feststellungen:

Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist Staatsbürger von Somalia, Moslem/Sunnit und gehört dem Clan Ogaden an. Feststellungen zum Subclan und Subsubclan sind nicht möglich. Er wurde am XXXX in Beledweyne in der Region Hiiraan geboren und hat auch dort bis zu seiner Ausreise gelebt. Nach sechs Klassen Schule hat er in der Folge als Bauarbeiter gearbeitet. Seine Mutter ist noch am Leben. Sein Vater ist im September 2019 bei einem Sprengstoffanschlag ums Leben gekommen. Von seiner Frau hat er sich im September 2018 telefonisch getrennt. Der Beschwerdeführer hatte keine Probleme mit staatlichen Behördenorganen wie Polizei, Militär oder Geheimdienst oder mit der AMISOM. Die vom Beschwerdeführer behaupteten Probleme mit der Al Shabaab sind nicht glaubwürdig. Es ist daher festzustellen, dass der Beschwerdeführer in Somalia weder von staatlichen Behörden noch von bewaffneten Organisationen wie der Al Shabaab verfolgt wurde.

Der Beschwerdeführer hat eigenen Angaben zur Folge Somalia im Februar 2014 verlassen und gelangte (spätestens) am 04.04.2016 nach Österreich. Der Beschwerdeführt verneint körperliche Probleme, behauptet jedoch psychisch angeschlagen zu sein, ist jedoch diesbezüglich nicht in Behandlung. Es ist daher festzustellen, dass beim Beschwerdeführer keine schwerwiegenden organischen oder psychischen Erkrankungen vorliegen. Der Beschwerdeführer führt kein Familienleben in Österreich. Er hat in Österreich Deutschkurse besucht und ein A1-Diplom bestanden, auch A2-Kurse hat er besucht. Er hat für die Gemeinden XXXX und XXXX gemeinnützige Arbeiten verrichtet. Auch an einem Werte- und Orientierungskurs hat er teilgenommen. Er ist jedoch nicht bei Vereinen oder Institutionen und auch keinesfalls selbsterhaltungsfähig. Im aktuellen Strafregisterauszug scheint keine Verurteilung auf, es gibt jedoch mehrere Anzeigen gegen den Beschwerdeführer.

Zu Somalia wird verfahrensbezogen Folgendes festgestellt:

1. Politische Lage

Hinsichtlich der meisten Tatsachen ist das Gebiet von Somalia faktisch zweigeteilt, nämlich in: a) die somalischen Bundesstaaten; und b) Somaliland, einen 1991 selbst ausgerufenen unabhängigen Staat, der international nicht anerkannt wird (AA 4.3.2019, S.5), aber als autonomer Staat mit eigener Armee und eigener Rechtsprechung funktioniert (NLMBZ 3.2019, S.7). Während Süd-/Zentralsomalia seit dem Zusammenbruch des Staates 1991 immer wieder von gewaltsamen Konflikten betroffen war und ist, hat sich der Norden des Landes unterschiedlich entwickelt (BS 2018, S.4).

Im August 2012 endete die Periode der Übergangsregierung (BS 2018, S.5). Seit damals gibt es eine politische Entwicklung, die den Beginn einer Befriedung und Stabilisierung sowie eines Wiederaufbaus staatlicher Strukturen markiert. Am 1.8.2012 wurde in Mogadischu eine vorläufige Verfassung angenommen. Seitdem ist die Staatsbildung kontinuierlich vorangeschritten (AA 5.3.2019b). Das Land hat bei der Bildung eines funktionierenden Bundesstaates Fortschritte erzielt (UNSC 15.5.2019, Abs.78), staatliche und regionale Regierungsstrukturen wurden etabliert (ISS 28.2.2019). Der Aufbau von Strukturen auf Bezirksebene geht hingegen nur langsam voran (UNSC 15.5.2019, Abs.50).

Somalia ist damit zwar kein failed state mehr, bleibt aber ein fragiler Staat. Die vorhandenen staatlichen Strukturen sind sehr schwach, es gibt keine flächendeckende effektive Staatsgewalt (AA 4.3.2019, S.4f). Die Regierung verfügt kaum über eine Möglichkeit, ihre Politik und von ihr beschlossene Gesetze im Land durch- bzw. umzusetzen (FH 5.6.2019b, C1). Das Land befindet sich immer noch mitten im Staatsbildungsprozess (BS 2018, S.33).

Die Herausforderungen sind dabei außergewöhnlich groß, staatliche Institutionen müssen von Grund auf neu errichtet werden. Zusätzlich wird der Wiederaufbau durch die Rebellion von al Shabaab, durch wiederkehrende Dürren und humanitäre Katastrophen gehemmt. Außerdem sind Teile der staatlichen Elite mehr mit der Verteilung von Macht und Geld beschäftigt, als mit dem Aufbau staatlicher Institutionen (BS 2018, S.33). In vielen Bereichen handelt es sich bei Somalia um einen „indirekten Staat“, in welchem eine schwache Bundesregierung mit einer breiten Palette nicht-staatlicher Akteure (z.B. Clans, Milizen, Wirtschaftstreibende) verhandeln muss, um über beanspruchte Gebiete indirekt Einfluss ausüben zu können (BS 2018, S.23). Zudem ist die Bundesregierung finanziell von Katar abhängig, das regelmäßig außerhalb des regulären Budgets Geldmittel zur Verfügung stellt (SEMG 9.11.2018, S.30).

Somalia ist keine Wahldemokratie, auch wenn die Übergangsverfassung eine Mehrparteiendemokratie und Gewaltenteilung vorsieht (BS 2018, S.13f). Es gibt keine freien und fairen Wahlen auf Bundes- (USDOS 13.3.2019, S.23; vgl. FH 5.6.2019b, A1) und auch keine allgemeinen Wahlen auf kommunaler oder regionaler Ebene. Politische Ämter wurden seit dem Sturz Siad Barres 1991 entweder erkämpft oder unter Ägide der internationalen Gemeinschaft hilfsweise unter Einbeziehung nicht demokratisch legitimierter traditioneller Strukturen (v.a. Clan-Strukturen) vergeben (AA 4.3.2019, S.5f). Allgemeine Wahlen sind für das Jahr 2020 geplant (AA 5.3.2019b). Angesichts der bestehenden Probleme bleibt aber abzuwarten, ob diese Wahlen wirklich stattfinden werden (NLMBZ 3.2019, S.9). Bei den Vorbereitungen dafür wurden bisher nur wenige Fortschritte gemacht (FH 5.6.2019b, A3).

Eigentlich sollte die Bundesregierung auch die Übergangsverfassung noch einmal überarbeiten, novellieren und darüber ein Referendum abhalten. Dieser Prozess ist weiterhin nicht abgeschlossen (USDOS 13.3.2019, S.23), und es gibt diesbezüglich Konflikte mit den Bundesstaaten (NLMBZ 3.2019, S.7).

Die beiden Kammern des Parlaments wurden mittels indirekter Wahlen durch ausgewählte Älteste Ende 2016 / Anfang 2017 besetzt (USDOS 13.3.2019, S.1/23). Über 14.000 Wahlmänner und -frauen waren an der Wahl der 275 Abgeordneten beteiligt. Zuvor waren Abgeordnete unmittelbar durch einzelne Clanälteste bestimmt worden (AA 4.3.2019, S.6; vgl. AA 5.3.2019b). Das Unterhaus wurde nach Clan-Zugehörigkeit besetzt, das Oberhaus nach Zugehörigkeit zu Bundesstaaten. Die Wahlen zu beiden Häusern wurden generell als von Korruption durchsetzt und geschoben erachtet (USDOS 13.3.2019, S.1/23). Sie wurden von Schmiergeldzahlungen, Einschüchterungen, Stimmenkauf und Manipulation begleitet (BS 2018, S.14/19). Dieses Wahlsystem ist zwar noch weit von einer Demokratie entfernt und unterstreicht die Bedeutung der politischen Elite (BS 2018, S.22). Trotz allem waren die Parlamentswahlen ein bemerkenswerter demokratischer Fortschritt (AA 4.3.2019, S.6; vgl. AA 5.3.2019b; BS 2018, S.22).

Insgesamt erfolgte die Zusammensetzung des Unterhauses entlang der 4.5-Formel, wonach den vier Hauptclans jeweils ein Teil der Sitze zusteht, den kleineren Clans und Minderheiten zusammen ein halber Teil (USDOS 13.3.2019, S.26; vgl. BS 2018, S.13f). Die 4.5-Formel hat zwar politischen Fortschritt gewährleistet, ist aber zugleich Ursprung von Ressentiments (SRSG 13.9.2018, S.2).

Die Präsidentschaftswahl fand am 8.2.2017 statt. Die beiden Parlamentskammern wählten den früheren Premierminister Mohamed Abdullahi Mohamed „Farmaajo“ zum Präsidenten (AA 4.3.2019, S.6; vgl. BS 2018, S.14; USDOS 13.3.2019, S.1). Seine Wahl wurde als fair und transparent erachtet (USDOS 13.3.2019, S.1). Im März 2017 bestätigte das Parlament Hassan Ali Kheyre als Premierminister (AA 5.3.2019b; vgl. BS 2018, S.14). Die aktuelle Regierung agiert wie eine Regierung der nationalen Einheit. Sie wurde so zusammengesetzt, dass alle relevanten Clans und Gruppen sich in ihr wiederfinden (AA 4.3.2019, S.10).

Gemäß einer Quelle üben aber salafistische Netzwerke zunehmend Einfluss auf die Regierung aus (NLMBZ, S.8f). Nach anderen Angaben kann von Salafismus keine Rede sein, vielmehr sind der Präsident und seine Entourage Moslembrüder bzw. deren Ideologie sehr nahestehend (ME 27.6.2019). Wieder eine andere Quelle berichtet, dass die politische Basis des Präsidenten eine nationalistische ist (ICG 12.7.2019, S.10). Gleichzeitig unterwandert al Shabaab das System, indem sie Wahldelegierte zur Kooperation zwingt (Mohamed 17.8.2019).

Das Konzept einer politischen Opposition ist nur schwach ausgeprägt, die Regeln der Politik sind abgestumpft. Misstrauensanträge, Amtsenthebungsverfahren und Wahlen werden zur Bereicherung und zum politischen Machtausbau missbraucht (SRSG 13.9.2018, S.4). Generell sind die Beziehungen zwischen Bundesregierung und Parlament problematisch. Außerdem kam es 2018 zu einer großen Zahl an Personaländerungen, so wurde etwa der Bürgermeister von Mogadischu, zahlreiche Minister und der Chief Justice ersetzt (NLMBZ, S.8f).

Gegen Ende 2018 war vom Parlament ein Amtsenthebungsverfahren gegen Präsident Farmaajo eingeleitet worden. Dieses Verfahren wurde jedoch Mitte Dezember 2018 aus formalen Gründen für ungültig erklärt bzw. zurückgezogen (VOA 20.12.2018; vgl. FH 5.6.2019b, A1; UNSC 15.5.2019, Abs.3). Auch zwischen Ober- und Unterhaus ist es zu politischen Auseinandersetzungen gekommen (AMISOM 15.1.2019a; vgl. UNSC 15.5.2019, Abs.3). Diese wurden im Juli 2019 vorläufig beigelegt (UNSC 15.8.2019, Abs.3).

Ein nationaler Versöhnungsprozess ist in Gang gesetzt worden. Dieser wird international unterstützt (UNSC 21.12.2018, S.6).

Föderalisierung: Während im Norden bereits die Gliedstaaten Somaliland und Puntland etabliert waren, wurden im Rahmen eines international vermittelten Abkommens von 2013 bis 2016 die Bundesstaaten Jubaland, South West State (SWS), Galmudug und HirShabelle neu gegründet (AA 5.3.2019b; vgl. USDOS 13.3.2019, S.1; BS 2018, S.4f/12). Offen sind noch der finale Status und die Grenzen der Hauptstadtregion Benadir/Mogadischu (AA 5.3.2019b; vgl. UNSC 15.5.2019, Abs.22). Mit der Gründung der Bundesstaaten und einem relativ demokratisch erfolgten Machtwechsel konnten wichtige Weichen in Richtung Demokratisierung, legitimer Staatsgewalt und Föderalismus gestellt werden (AA 4.3.2019, S.4). Beim Prozess der Föderalisierung gab es in den letzten Jahren signifikante Fortschritte (BS 2018, S.3). Allerdings hat keine dieser Verwaltungen die volle Kontrolle über die ihr nominell unterstehenden Gebiete (USDOS 13.3.2019, S.1; vgl. BS 2018, S.15).

Die Bildung der Bundesstaaten erfolgte im Lichte der Clan-Balance: Galmudug und HirShabelle für die Hawiye; Puntland und Jubaland für die Darod; der SWS für die Rahanweyn; Somaliland für die Dir. Allerdings finden sich in jedem Bundesstaat Clans, die mit der Zusammensetzung ihres Bundesstaates unzufrieden sind, weil sie plötzlich zur Minderheit wurden (BFA 8.2017, S.55f).

Wichtige Detailfragen zur föderalen Staatsordnung sind weiterhin ungeklärt, z.B. die Einnahmenverteilung zwischen Bund und Bundesstaaten; die jeweiligen Zuständigkeiten im Sicherheitsbereich; oder die Umsetzung der für 2020 geplanten Wahlen (AA 5.3.2019b; vgl. NLMBZ 3.2019, S.7) – und die gesamte Frage der Machtverteilung zwischen Bund und Bundesstaaten (UNSC 15.5.2019, Abs.25; vgl. UNSC 21.12.2018, S.5).

Die Bundesregierung tut sich schwer, in den Bundesstaaten Macht und Einfluss geltend zu machen (NLMBZ 3.2019, S.7). Außerdem kommt es in den Beziehungen zwischen der Bundesregierung und den Regierungen der Bundesstaaten immer wieder zu (politischen) Spannungen (AA 5.3.2019b; vgl. NLMBZ 3.2019, S.7), die manchmal auch in Gewalt eskalierten (BS 2018, S.4).

Zusätzlich haben die Bundesstaaten abseits des Nationalen Sicherheitsrates 2017 einen Kooperationsrat der Bundesstaaten (CIC) geschaffen, welcher unter Ausschluss der Bundesregierung arbeitet (SEMG 9.11.2018, S.5; vgl. AA 5.3.2019b). Während andere Mitglieder des CIC den Dialog mit der Bundesregierung verweigerten (AMISOM 12.10.2018), hat der Präsident von HirShabelle, Mohamed Abdi Waare, diesen zwischenzeitlich gesucht (AMISOM 12.10.2018; vgl. UNSC 21.12.2018, S.1). Der CIC hat bereits zweimal die Kooperation mit der Bundesregierung suspendiert (SEMG 9.11.2018, S.31f), so etwa im September 2018. Im Oktober 2018 haben alle Bundesstaaten außer HirShabelle angekündigt, gemeinsame Sicherheitskräfte aufzustellen (UNSC 21.12.2018, S.1). Generell herrscht zwischen Bundesregierung und Bundesstaaten ein besorgniserregendes Maß an Misstrauen (SRSG 13.9.2018, S.3). Dadurch wird auch die Lösung von Schlüsselfragen zu Politik und Sicherheit behindert (UNSC 15.5.2019, Abs.2; vgl. SRSG 3.1.2019, S.2).

Bei dieser Auseinandersetzung kommt u.a. die Krise am Golf zu tragen: In Somalia wird eine Art Stellvertreterkrieg ausgetragen, bei welchem die unterschiedlichen Interessen und Einflüsse speziell von Katar und den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) eine Rolle spielen. Dies hat die schon bestehenden Spannungen zwischen der Bundesregierung und den Bundesstaaten weiter verschärft, erstere ist in zunehmende Isolation geraten (SEMG 9.11.2018, S.4/30; vgl. ICG 12.7.2019, S.9; FH 5.6.2019b, C1). Diese Entwicklung hat zur Destabilisierung Somalias beigetragen (NLMBZ 3.2019, S.10). Allerdings gibt es zumindest Anzeichen für eine Verbesserung der Situation (UNSC 15.5.2019, Abs.80). So hat sich Präsident Farmaajo für die Verschlechterung der Beziehungen zu den Bundesstaaten öffentlich entschuldigt (ICG 12.7.2019, S.9). Die Bundesregierung versucht insbesondere HirShabelle und Galmudug in ihr Lager zu ziehen (BMLV 3.9.2019). Trotzdem bleiben die Spannungen bestehen (UNSC 15.8.2019, Abs.2).

1) Jubaland (Gedo, Lower Juba, Middle Juba): Jubaland wurde im Jahr 2013 gebildet, damals wurde auch Ahmed Mohamed Islam „Madobe“ zum Präsidenten gewählt (USDOS 13.3.2019, S.24). Bis Anfang August hatten sich für die Neuwahl des Präsidenten neun Kandidaten registrieren lassen (UNSC 15.8.2019, Abs.6). Am 22.8.2019 wurde dann Ahmed Madobe als Präsident bestätigt. Die Wahl war allerdings umstritten: Da die Bundesregierung mehr Kontrolle gewinnen möchte, hat sie erklärt, die Wahl nicht anzuerkennen und den Wahlkandidaten der Opposition, Abdirashif Mohamad Hidig, zu unterstützen (BAMF 26.8.2019, S.6). Der Verwaltung von Jubaland ist es gelungen, zumindest in Kismayo eine Verwaltung zu etablieren. Dadurch, dass die Ogadeni auch mit anderen Clans kooperieren und diese in Strukturen einbinden, wurde die Machtbalance verbessert (BFA 8.2017, S.57ff). Diese Inkorporation funktioniert auch weiterhin, die Verwaltung in Kismayo hat sich weiter gefestigt. Außerdem konnten durch die Kooperation mit Teilen der Marehan auch die nicht der al Shabaab zuneigenden Gebiete von Gedo gefestigt werden (ME 27.6.2019).

2) South West State (SWS; Bay, Bakool, Lower Shabelle): Der SWS wurde in den Jahren 2014/2015 etabliert, Sharif Hassan Sheikh Adam zum ersten Präsidenten gewählt (USDOS 13.3.2019, S.24). Im Dezember 2018 wurde im SWS neu gewählt (AA 5.3.2019b). In der Folge ist im Jänner 2019 mit Abdulaziz Hassan Mohamed „Lafta Gareen“ ein neuer Präsident angelobt worden (AMISOM 17.1.2019a; vgl. UNSC 27.12.2018; UNSC 15.5.2019, Abs.4). Zuvor war es zu Anschuldigungen gegen die Bundesregierung gekommen, sich in den Wahlkampf eingemischt zu haben. Ein Kandidat – der ehemalige stv. Kommandant der al Shabaab, Mukhtar Robow – war verhaftet worden, was zu gewaltsamen Demonstrationen geführt hat (SRSG 3.1.2019, S.2f; vgl. UNSC 21.12.2018, S.2). Beim Aufbau der Verwaltung konnten Fortschritte erzielt werden (BMLV 3.9.2019).

3) HirShabelle (Hiiraan, Middle Shabelle): HirShabelle wurde 2016 etabliert. Zum Präsidenten wurde Ali Abdullahi Osoble gewählt. Anführer der Hawadle hatten eine Teilnahme verweigert (USDOS 13.3.2019, S.24f). Im Oktober 2017 wurde Mohamed Abdi Waare zum neuen Präsidenten, nachdem sein Vorgänger des Amtes enthoben worden war (UNSOM, 24.10.2017). Nach politischen Spannungen haben sich die Beziehungen zwischen Exekutive und Legislative verbessert (UNSC 15.5.2019, Abs.8). Die im Zuge der Bildung des Bundesstaates neu aufgeflammten Clankonflikte sind gegenwärtig weitgehend abgeflaut (ME 27.6.2019). Dazu beigetragen haben Bemühungen des Premierministers und Katars, wobei letzteres Investitionen in Aussicht gestellt hat. Man ist auf die Hawadle zugegangen. Die Clans – v.a. in Middle Shabelle – haben daraufhin ihre Proteste gegen die Regionalverwaltung reduziert. Unklar ist, ob diese neue Haltung Bestand haben wird. In Belet Weyne hingegen treffen Vertreter von HirShabelle nach wie vor auf unverminderte Ablehnung (BMLV 3.9.2019). Sowohl in den von HirShabelle in Middle Shabelle kontrollierten Gebieten wie auch in Belet Weyne ist eine Verbesserung der Verwaltung zu verzeichnen (BMLV 3.9.2019).

4) Galmudug (Galgaduud, Teile von Mudug): Im Jahr 2015 wurde die Regionalversammlung von Galmudug vereidigt. Sie wählte Abdikarim Hussein Guled zum ersten Präsidenten. Dieser trat im Feber 2017 zurück. Unter dem neuen Präsidenten Ahmed Duale Gelle „Haaf“ wurden Friedensgespräche mit der Ahlu Sunna Wal Jama’a (ASWJ) initiiert. Die Gruppe kontrolliert Teile von Galgaduud (USDOS 13.3.2019, S.24). Ende 2017 wurde mit der ASWJ ein Abkommen zur Machtteilung abgeschlossen (UNSC 15.5.2019, Abs.7; vgl. AMISOM 5.7.2019). Ab September 2018 wuchsen die politischen Spannungen. Im Oktober 2018 wurde in Cadaado ein Gegenpräsident gewählt, während Ahmed „Haaf“ weiterhin von Dhusamareb aus regiert (UNSC 21.12.2018, S.2). In der Folge kam es zu Diskussionen und Spannungen über das Datum der nächsten Wahlen. Im März 2019 hat die NISA sogar die Kontrolle über das Gelände des Präsidentensitzes übernommen (UNSC 15.5.2019, Abs.7). Während Haaf das Abkommen mit der ASWJ für nichtig erklärt hat, hat diese mit der Bundesregierung eine Einigung erzielt (UNSC 15.8.2019, Abs.5). Galmudug wird von Hawiye/Habr Gedir/Sa'ad dominiert (EASO 2.2016, S.17).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt (Deutschland) (4.3.2019): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia

-        AA - Auswärtiges Amt (Deutschland) (5.3.2019b): Somalia – Innenpolitik, URL, Zugriff 10.4.2019

-        AMISOM (5.7.2019): Somalia starts process to integrate Ahlu Sunna forces into the Somali Security Forces, URL, Zugriff 16.7.2019

-        AMISOM (17.1.2019a): 17 January 2019 - Morning Headlines [Quelle: Halbeeg News], Newsletter per E-Mail

-        AMISOM (15.1.2019a): 15 January 2019 - Daily Monitoring Report [Quelle: Halbeeg News], Newsletter per E-Mail

-        AMISOM (12.10.2018): 12 October 2018 - Daily Monitoring Report [Quelle: Jowhar News], Newsletter per E-Mail

-        BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Deutschland) (26.8.2019): Briefing Notes 26. August 2019

-        BFA - Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl / Staatendokumentation (8.2017): Fact Finding Mission Report Somalia. Sicherheitslage in Somalia. Bericht zur österreichisch-schweizerischen FFM, URL, Zugriff 31.5.2019

-        BMLV - Bundesministerium für Landesverteidigung (Österreich) (3.9.2019): Anfragebeantwortung an die Staatendokumentation

-        BS - Bertelsmann Stiftung (2018): BTI 2018 - Somalia Country Report, URL, Zugriff 19.3.2019

-        EASO - European Asylum Support Office (2.2016): Somalia Security Situation, URL, Zugriff 24.6.2019

-        FH - Freedom House (5.6.2019b): Freedom in the World 2019 - Somalia, URL, Zugriff 22.7.2019

-        ICG - International Crisis Group (12.7.2019): Somalia-Somaliland: The Perils of Delaying New Talks - Africa Report N°280, URL, Zugriff 8.7.2019

-        ISS - Institute for Security Studies / Meressa K Dessu / Dawit Yohannes (28.2.2019): Is this the right time to downsize AMISOM?, URL, Zugriff 13.3.2019

-        ME - Militärstrategischer Experte (27.6.2019): Interview mit der Staatendokumentation

-        Mohamed, Abdirizak Omar / Hiiraan.com (17.8.2019): The Recent Al-Shabab Resurgence: Policy Options for Somalia, URL, Zugriff 23.8.2019

-        NLMBZ - Ministerie von Buitenlandse Zaken (Niederlande) (3.2019): Country of Origin Information Report on South and Central Somalia (nicht veröffentlichte englische Version), niederländische Version auf URL, 18.6.2019

-        SEMG - Somalia and Eritrea Monitoring Group / UN Security Council (9.11.2018): Report of the Monitoring Group on Somalia and Eritrea submitted in accordance with resolution 2385 (2017), URL, Zugriff 8.1.2019

-        SRSG - Special Representative of the Secretary-General for Somalia, Mr. Nicholas Haysom (3.1.2019): Statement to the Security Council on Somalia, URL, Zugriff 6.5.2019

-        SRSG - Special Representative of the Secretary-General for Somalia, Mr. Michael Keating (13.9.2018): Briefing to the Security Council on Somalia, URL, Zugriff 6.5.2019

-        UNSC - UN Security Council (15.8.2019): Report of the Secretary-General on Somalia, URL, Zugriff 22.8.2019

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-        LIFOS - Lifos/Migrationsverket (Schweden) (3.7.2019): Säkerhetssituationen i Somalia, URL, Zugriff 29.8.2019

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-        USDOS - US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Somalia, URL, Zugriff 18.3.2019

-        VOA - Voice of America / Mohamed Olad Hassan (8.1.2019): Somalia's Puntland Region Elects New President, URL, Zugriff 22.1.2019


2. Sicherheitslage und Situation in den unterschiedlichen Gebieten

Die Sicherheitslage bleibt instabil und unvorhersagbar (AMISOM 7.8.2019, S.2). Zwar ist es im Jahr 2018 im Vergleich zu 2017 zu weniger sicherheitsrelevanten Zwischenfällen und auch zu einer geringeren Zahl an Todesopfern gekommen, doch ist die Sicherheitslage weiterhin schlecht. Sie ist vom bewaffneten Konflikt zwischen AMISOM (African Union Mission in Somalia), somalischer Armee und alliierten Kräften auf der einen und al Shabaab auf der anderen Seite geprägt. Zusätzlich kommt es in ländlichen Gebieten zu Luftschlägen (NLMBZ 3.2019, S.17). Weiterhin führt der Konflikt unter Beteiligung der genannten Parteien zu zivilen Todesopfern, Verletzten und Vertriebenen (USDOS 13.3.2019, S.1). Wer sich in Somalia aufhält, muss sich der Gefährdung durch Terroranschläge, Kampfhandlungen, Piraterie sowie kriminell motivierte Gewaltakte bewusst sein (AA 17.9.2019). Auch der Konflikt um Ressourcen (Land, Wasser etc.) führt regelmäßig zu Gewalt (BS 2018, S.31).

Die Regierung und ihre Verbündeten kontrollieren zwar viele Städte, darüber hinaus ist eine Kontrolle aber kaum gegeben. Behörden oder Verwaltungen gibt es nur in den größeren Städten. Der Aktionsradius lokaler Verwaltungen reicht oft nur wenige Kilometer weit. Selbst bei Städten wie Kismayo oder Baidoa ist der Radius nicht sonderlich groß. Das „urban island scenario“ besteht also weiterhin, viele Städte unter Kontrolle von somalischer Armee und AMISOM sind vom Gebiet der al Shabaab umgeben. Folglich befinden sich große Teile des Raumes in Süd-/Zentralsomalia unter der Kontrolle oder zumindest unter dem Einfluss der al Shabaab (BFA 8.2017, S.21; vgl. BMLV 3.9.2019).

Dahingegen können nur wenige Gebiete in Süd-/Zentralsomalia als frei von al Shabaab bezeichnet werden – etwa Dhusamareb oder Guri Ceel. In Puntland gilt dies für größere Gebiete, darunter Garoowe (BFA 8.2017, S.21/91f; vgl. BMLV 3.9.2019).

Zwischen Nord- und Süd-/Zentralsomalia sind gravierende Unterschiede bei den Zahlen zu Gewalttaten zu verzeichnen (ACLED 2019). Auch das Maß an Kontrolle über bzw. Einfluss auf einzelne Gebiete variiert. Während Somaliland die meisten der von ihm beanspruchten Teile kontrolliert, ist die Situation in Puntland und – in noch stärkerem Ausmaß – in Süd-/Zentralsomalia komplexer. In Mogadischu und den meisten anderen großen Städten hat al Shabaab keine Kontrolle, jedoch eine Präsenz. Dahingegen übt al Shabaab über weite Teile des ländlichen Raumes Kontrolle aus. Zusätzlich gibt es in Süd-/Zentralsomalia große Gebiete, wo unterschiedliche Parteien Einfluss ausüben; oder die von niemandem kontrolliert werden; oder deren Situation unklar ist (LIFOS 9.4.2019, S.6).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt (Deutschland) (17.9.2019): Somalia – Reise- und Sicherheitshinweise – Reisewarnung, URL, Zugriff 17.9.2019

-        ACLED - Armed Conflict Location & Event Data Project/University of Sussex (2019): Africa (Data through 19 January 2019), URL, Zugriff 23.1.2019

-        AMISOM (7.8.2019): Progress Report of the Chairperson of the Commission on the situation in Somalia/AMISOM, URL, Zugriff 22.8.2019

-        BS - Bertelsmann Stiftung (2018): BTI 2018 - Somalia Country Report, URL, Zugriff 19.3.2019

-        BFA - Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl / Staatendokumentation (8.2017): Fact Finding Mission Report Somalia. Sicherheitslage in Somalia. Bericht zur österreichisch-schweizerischen FFM, URL, Zugriff 31.5.2019

-        LIFOS - Lifos/Migrationsverket (Schweden) (9.4.2019): Somalia – Folkbokförning, medborgarskap och identitetshandlngar, URL, Zugriff 8.5.2019

-        NLMBZ - Ministerie von Buitenlandse Zaken (Niederlande) (3.2019): Country of Origin Information Report on South and Central Somalia (nicht veröffentlichte englische Version), niederländische Version auf URL, 18.6.2019

-        USDOS - US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Somalia, URL, Zugriff 18.3.2019

2.1.    Süd-/Zentralsomalia

Die Sicherheitslage bleibt volatil (UNSC 15.8.2019, Abs.13; vgl. AA 17.9.2019). Al Shabaab bleibt auch weiterhin die größte Quelle von Unsicherheit in Somalia (SRSG 3.1.2019, S.3; vgl. SEMG 9.11.2018, S.4; UNSC 21.12.2018, S.3).

Al Shabaab führt nach wie vor eine effektive Rebellion (LWJ 8.1.2019). Al Shabaab hat sich ihre operative Stärke und ihre Fähigkeiten bewahrt (UNSC 21.12.2018, S.3; vgl. NLMBZ 3.2019, S.20), führt weiterhin Angriffe auf Regierungseinrichtungen, Behördenmitarbeiter, Sicherheitskräfte, internationale Partner und öffentliche Plätze – z.B. Restaurants und Hotels – durch (UNSC 15.8.2019, Abs.13; vgl. AA 17.9.2019).

Dabei hat sich die Gruppe in erster Linie auf die Durchführung von Sprengstoffanschlägen und gezielten Attentaten verlegt (SRSG 3.1.2019, S.3) und kann sowohl gegen harte (militärische) als auch weiche Ziele vorgehen (NLMBZ 3.2019, S.10). Al Shabaab bleibt zudem weiterhin in der Lage, komplexe asymmetrische Angriffe durchzuführen (SEMG 9.11.2018, S.4). Neben Angriffen auf militärische Einrichtungen und strategischen Selbstmordanschlägen auf Regierungsgebäude und städtische Gebiete wendet al Shabaab auch Mörser- und Handgranatenangriffe an, legt Hinterhalte und führt gezielte Attentate durch (NLMBZ 3.2019, S.10). Al Shabaab verfügt auch weiterhin über Kapazitäten, um konventionelle Angriffe und größere Attentate (u.a. Selbstmordanschläge, Mörserangriffe) durchzuführen (LWJ 15.10.2018). Al Shabaab ist auch in der Lage, fallweise konventionelle Angriffe gegen somalische Kräfte und AMISOM durchzuführen, z.B. am 1.4.2018 gegen sogenannte Forward Operational Bases der AMISOM in Buulo Mareer, Golweyn und Qoryooley (Lower Shabelle) (SEMG 9.11.2018, S.22). Nach anderen Angaben kann al Shabaab keine konventionellen Angriffe mehr durchführen. Die Gruppe hat sich v.a. auf Sprengstoffanschläge und gezielte Attentate verlegt (SRSG 3.1.2019, S.3).

Im März und April 2019 kam es zu einem signifikanten Anstieg an Angriffen in Mogadischu. Es kommt weiterhin zu Anschlägen mit improvisierten Sprengsätzen, Mörserangriffen und gezielten Attentaten. Alleine im März 2019 wurden 77 Anschläge mit Sprengsätzen verzeichnet – die höchste Zahl seit 2016. Der Großteil dieser Anschläge betraf Mogadischu, Lower Shabelle, Lower Juba und Gedo (UNSC 15.5.2019, Abs.12f). Ähnliches gilt für den Monat Ramadan (5.5.-3.6.); danach ging die Zahl an Vorfällen zurück (UNSC 15.8.2019, Abs.14). Von Gewalt durch al Shabaab am meisten betroffen sind Mogadischu, Lower und Middle Shabelle; Jubaland, Bay und Hiiraan sind zu einem geringeren Ausmaß betroffen (UNSC 21.12.2018, S.4).

Al Shabaab hat auch die Angriffe mit Mörsern verstärkt. Dabei ist eine zunehmende Treffsicherheit zu verzeichnen. Außerdem führt die Gruppe weiterhin (sporadisch) komplexe Angriffe durch (UNSC 15.5.2019, Abs.14f).

Kampfhandlungen: In Teilen Süd-/Zentralsomalias (südlich von Puntland) kommt es zu örtlich begrenzten Kampfhandlungen zwischen somalischen Sicherheitskräften/Milizen bzw. AMISOM (African Union Mission in Somalia) und al Shabaab (AA 4.3.2019, S.16; vgl. AA 17.9.2019). Die Gruppe führt täglich kleinere Angriffe auf AMISOM, Armee und Regierung durch, alle paar Wochen kommt es zu einem größeren Angriff (BS 2018, S.7). Dies betrifft insbesondere die Regionen Lower Juba, Gedo, Bay, Bakool sowie Lower und Middle Shabelle. Die Region Middle Juba steht in weiten Teilen unter Kontrolle von al Shabaab (AA 4.3.2019, S.16). Zivilisten sind insbesondere in Frontbereichen, wo Gebietswechsel vollzogen werden, einem Risiko von Racheaktionen durch al Shabaab oder aber von Regierungskräften ausgesetzt (LIFOS 3.7.2019, S.22). Die Bezirke Merka, Qoryooley und Afgooye sind nach wie vor stark von Gewalt betroffen, das Gebiet zwischen diesen Städten liegt im Fokus von al Shabaab (ME 27.6.2019). In Süd-/Zentralsomalia bleibt al Shabaab auch für Stützpunkte von Armee und AMISOM eine Bedrohung. Sie behält die Fähigkeit, selbst in schwer befestigte Anlagen in Mogadischu einzudringen (LWJ 3.9.2018).

Ferner kommt es immer wieder auch zu Auseinandersetzungen somalischer Milizen untereinander (AA 17.9.2019). Auch somalische und regionale Sicherheitskräfte töteten Zivilisten und begingen sexuelle Gewalttaten – v.a. in und um die Region Lower Shabelle (USDOS 13.3.2019, S.11). Zusätzlich wird die Sicherheitslage durch die große Anzahl lokaler und sogar föderaler Milizen verkompliziert (BS 2018, S.8). Es gibt immer wieder bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen Milizen einzelner Sub-Clans bzw. religiöser Gruppierungen wie Ahlu Sunna Wal Jama’a (AA 4.3.2019, S.16; vgl. HRW 17.1.2019). Seit dem Jahr 1991 gibt es in weiten Landesteilen kaum wirksamen Schutz gegen Übergriffe durch Clan- und andere Milizen sowie bewaffnete kriminelle Banden (AA 4.3.2019, S.16).

Bei Kampfhandlungen gegen al Shabaab, aber auch zwischen Clans oder Sicherheitskräften kommt es zur Vertreibung, Verletzung oder Tötung von Zivilisten (HRW 17.1.2019).

Gebietskontrolle: Die Gebiete Süd-/Zentralsomalias sind teilweise unter der Kontrolle der Regierung, teilweise unter der Kontrolle der al Shabaab oder anderer Milizen. Allerdings ist die Kontrolle der somalischen Bundesregierung im Wesentlichen auf Mogadischu beschränkt; die Kontrolle anderer urbaner und ländlicher Gebiete liegt bei den Regierungen der Bundesstaaten, welche der Bundesregierung de facto nur formal unterstehen (AA 4.3.2019, S.5). Die Regierung war nicht immer in der Lage, gewonnene Gebiete abzusichern, manche wurden von al Shabaab wieder übernommen (BS 2018, S.7). Mittlerweile wird zumindest versucht, nach der Einnahme neuer Ortschaften rasch eine Zivilverwaltung einzusetzen, wie im Zuge der Operation Badbaado 2019 in Lower Shabelle zu erkennen war. Trotzdem beherrschen die neu errichteten Bundesstaaten nicht viel mehr als die größeren Städte. Der effektive Einfluss von AMISOM und den somalischen Verbündeten bleibt meist auf das jeweilige Stadtgebiet konzentriert. Teils kommt es zu weiteren (militärischen) Exkursionen (ME 27.6.2019). Die meisten von Regierung/AMISOM gehaltenen Städte sind aber Inseln im Gebiet der al Shabaab (LI 21.5.2019a, S.3; vgl. BFA 8.2017, S.26). AMISOM muss an vielen Einsatzorten von UNSOS aus der Luft oder über See versorgt werden, da Überlandrouten nur eingeschränkt nutzbar sind (UNSC 21.12.2018, S.9).

In einigen Städten ist es in jüngerer Vergangenheit zu Verbesserungen gekommen. Dies gilt mehrheitlich auch für Mogadischu (ME 27.6.2019). Eine Infiltration von unter Kontrolle der Regierung stehenden Städten mittels größerer Kampfverbände von al Shabaab kommt nur in seltenen Fällen vor. Bisher wurden solche Penetrationen innert Stunden durch AMISOM und somalische Verbündete beendet. Eine Infiltration der Städte durch verdeckte Akteure von al Shabaab kommt in manchen Städten vor (BFA 8.2017, S.26; vgl. BMLV 3.9.2019). Andererseits führen ausstehende Soldzahlungen zu Meutereien bzw. zur Aufgabe gewonnener Gebiete durch Teile der Armee (z.B. in Middle Shabelle im März 2019) (BAMF 1.4.2019).

Al Shabaab kontrolliert große Teile des ländlichen Raumes in Süd-/Zentralsomalia und bedroht dort die Städte (LWJ 8.1.2019). Außerdem kontrolliert al Shabaab wichtige Versorgungsrouten und hält gegen Städte unter Regierungskontrolle Blockaden aufrecht (HRW 17.1.2019).

AMISOM/Operationen: Die Truppensteller von AMISOM glauben nicht daran, dass Regierungskräfte über die notwendigen Kapazitäten verfügen, um wichtige Sicherheitsaufgaben zu übernehmen (HRW 17.1.2019). Die Regierung ist selbst bei der Sicherheit von Schlüssel-Einrichtungen auf AMISOM angewiesen (BS 2018, S.7). Vor desaströsen Auswirkungen eines voreiligen Abzugs von AMISOM wird gewarnt (SRSG 13.9.2018, S.5). Bereits ein Teilabzug im Rahmen einer „Rekonfiguration“ könnte

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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