Entscheidungsdatum
07.10.2020Norm
AsylG 2005 §3Spruch
W108 2223229-2/7E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. BRAUCHART über die Beschwerde der XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit Iran, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 10.12.2019, Zl. 1172275710/171222700, betreffend Abweisung des Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu Recht:
A)
Der Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG stattgegeben und der angefochtene Bescheid dahingehend abgeändert, dass er zu lauten hat:
„Ihr Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vom 10.07.2019 wird gemäß § 33 Abs. 1 VwGVG bewilligt.“
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang/Sachverhalt:
1. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (belangte Behörde vor dem Bundesverwaltungsgericht) vom 30.04.2019, Zl. 1172275710 - 171222700 / BMI-BFA_NOE_RD, wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz vom 29.10.2017 bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten und der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Iran abgewiesen (Spruchpunkte I. und II. des Bescheides), ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen der Beschwerdeführerin nicht erteilt (Spruchpunkt III. des Bescheides), gegen die Beschwerdeführerin eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV. des Bescheides), die Abschiebung der Beschwerdeführerin in den Iran für zulässig erklärt (Spruchpunkt V. des Bescheides) und ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt (Spruchpunkt VI. des Bescheides).
2. Dieser Bescheid wurde der unvertretenen Beschwerdeführerin mittels RSa-Briefsendung am 06.05.2019 (Beginn der Abholfrist) durch Hinterlegung zugestellt. Der Zustellung ging ein Zustellversuch an der Abgabestelle der Beschwerdeführerin am 03.05.2019 voraus, wobei nach der Beurkundung des Zustellers auf dem Zustellschein (Rückschein) eine Hinterlegungsanzeige in die Abgabeeinrichtung eingelegt wurde.
Am 21.05.2019 stellte der Zusteller die Briefsendung mit dem Vermerk „nicht behoben“ an die belangte Behörde zurück, wo diese am 22.05.2019 einlangte.
3. Am 10.07.2019 stellte die Beschwerdeführerin einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 71 AVG wegen Versäumung der Beschwerdefrist und erhob gleichzeitig Beschwerde gemäß Art 130 Abs. 1 Z 1 B-VG gegen den unter Punkt I. dargestellten Bescheid vom 30.04.2019.
Sie führte aus, dass sie den Bescheid vom 30.04.2019 nicht erhalten habe, sie habe auch keine Benachrichtigung über die Hinterlegung erhalten. Sie wohne in XXXX bei einer österreichischen Familie, diese habe ihr auch die Post ausgehändigt, sie selbst habe keinen Postschlüssel. Vor drei Tagen habe ihr die Familie mitgeteilt, dass die Polizei dagewesen sei und sie habe sprechen wollen. Sie sei daraufhin am selben Tag zur Polizeiinspektion gegangen und habe einen Mandatsbescheid vom 01.07.2019 erhalten. Damit sei sie zu ihrer Rechtsvertretung gegangen, dort sei ihr gesagt worden, dass sie noch einen anderen Bescheid haben müsste. Am 09.07.2019 sei sie dann zur Regionaldirektion Niederösterreich der belangten Behörde gegangen und habe den Bescheid vom 30.04.2019 persönlich abgeholt.
Dadurch, dass sie den Bescheid nicht erhalten habe, habe sie nicht rechtzeitig ein Rechtsmittel erheben können. Es handle sich dabei um ein unvorhergesehenes Ereignis, es liege auch kein über den minderen Grad des Versehens hinausgehendes Verschulden vor. Sie stelle daher den Antrag, das gegenständliche Verfahren wiedereinzusetzen und der Beschwerde stattzugeben.
3. Am 19.08.2019 wurde die Unterkunftgeberin der Beschwerdeführerin im verfahrensgegenständlichen Zeitraum, XXXX , von der belangten Behörde als Zeugin einvernommen.
Sie gab an, dass die Beschwerdeführerin seit Jänner oder Februar 2019 mit ihr, ihren Kindern und einem Mieter wohnhaft sei. Der gemeinsame Briefkasten sei an und für sich nicht zugesperrt, er klemme, man müsse wissen, wie man ihn aufmache. Wer nach Hause komme, räume ihn aus, obwohl die Beschwerdeführerin das sicher nie gemacht habe. Das würden hauptsächlich ihr jüngster Sohn und sie machen. Der Briefkasten werde regelmäßig entleert, es könne sein, dass das einmal am Freitag vergessen und dann Sonntag oder Montag nachgeholt werde. Am Öftesten sei es so, dass der Sohn, wenn er von der Schule nach Hause komme, die Post nehme und ihr übergebe. Sie habe die Post dann am Küchentisch liegen und wenn sie Zeit habe, mache sie das. Am 15.05.2019 sei sie auf Kur gefahren, bis zu diesem Zeitpunkt sei keine Verständigung im Briefkasten gewesen. Die Beschwerdeführerin habe auf den Bescheid gewartet, sie hätten aber nach dem Interview am 26.04.2019 nicht damit gerechnet, dass so schnell etwas komme. Auch der Mieter habe Zugriff auf den Briefkasten, er sei zu 100% verlässlich und habe auch gewusst, dass sie auf den Bescheid der Beschwerdeführerin warten würden. Er habe der Zeugin die Post gegeben, auch wenn etwas für die Beschwerdeführerin gekommen sei. Möglicherweise sei auch die Post in XXXX nicht 100% verlässlich, es sei in der Vergangenheit schon vorgekommen, dass Zustellstücke nicht angekommen oder vom Nachbarn übergeben worden seien, auch der Nachsendeauftrag habe nicht einwandfrei funktioniert. Es sei auch eine Zeit lang vorgekommen, dass, obwohl sie zu Hause gewesen sei, sie eine gelbe Verständigung vorgefunden habe und gar nicht erst geläutet worden sei. Das Einzige, was die Zeugin sich vorstellen könne, nicht als Fehler von der Post, sei, dass die Verständigung von der Hinterlegung zu einem Werbematerial gelangt sei. Normalerweise schaue sie sich das an, es sei aber nicht auszuschließen, dass die Verständigung so ins Altpapier gelangt sein könnte.
4. Am 02.10.2019 wurde die Beschwerdeführerin vor der belangten Behörde im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Farsi niederschriftlich einvernommen.
Die Beschwerdeführerin gab an, drei oder vier Monate mit der Zeugin und ihren vier Kindern in einem gemeinsamen Haushalt gelebt zu haben. Zugang zum Briefkasten habe nur die Zeugin selbst gehabt, diese habe ihr dann immer die Briefe gegeben. Ob noch eine andere Person den Briefkasten entleert habe, wisse sie nicht, die Zeugin habe immer die Briefe zeitgerecht allen übergeben, auch die Briefe ihrer Kinder. Die Zeugin habe ihr immer zuerst ihre Briefe gegeben, es sei überhaupt nicht möglich, dass die Zeugin eine Stunde zu spät die Briefe abgegeben hätte. Der Briefkasten sei regelmäßig entleert worden, die Zeugin habe den Briefkasten mindestens einmal pro Tag überprüft. Sie selbst habe auf den Bescheid gewartet, aber nie die Verständigung erhalten, bis die Polizei vor der Haustüre gestanden sei und die Zeugin ihr gesagt habe, sie solle zur Polizei gehen, um zu sehen, was passiert sei. Die fehlende Verständigung sei sicher ein Problem der Post, es sei nie vorgekommen und könne nicht sein, dass die Zeugin ihr einen Brief nicht gebe.
5. Mit nunmehr angefochtenem Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag der Beschwerdeführerin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vom 10.07.2019 gemäß § 71 Abs. 1 AVG ab (Spruchpunkt I.) und erkannte dem Antrag gemäß § 71 Abs. 6 AVG die aufschiebende Wirkung zu (Spruchpunkt II.).
Zur Zustellung des Bescheides vom 30.04.2019 hielt die belangte Behörde fest, dass dieser nach erfolglosem Zustellversuch am 03.05.2019 mit Beginn der Abholfrist am 06.05.2019 hinterlegt worden sei. Am 21.05.2019 sei er mit dem Vermerk „Nicht behoben“ an die belangte Behörde retourniert worden und am 22.05.2019 bei der Behörde eingelangt. Der Bescheid sei am 04.06.2019 in Rechtskraft erwachsen.
Die Abweisung des Wiedereinsetzungsantrages begründete die belangte Behörde im Kern dahingehend, dass die Beschwerdeführerin einerseits nicht in der Lage gewesen sei, glaubhaft zu machen, dass sie keine Verständigung über die Hinterlegung erhalten hätte und andererseits die Gründe für die verspätete Einbringung der Beschwerde auf die Nachlässigkeit der Beschwerdeführerin zurückzuführen seien. Die Beschwerdeführerin habe sich in der Einvernahme vor der belangten Behörde am 19.08.2019 in gravierende Widersprüche verstrickt, das permanente Abändern des entscheidungsrelevanten Sachverhaltes durch die Beschwerdeführerin verdeutliche, dass diese nicht gewillt sei, wahre Angaben zu tätigen, sondern diese situationselastisch abzuändern, weil sie sich einen Vorteil daraus erhoffe. Es wäre im Rahmen der Sorgfaltspflicht der Beschwerdeführerin gelegen gewesen, sich um ihre Schriftstücke zu kümmern, darunter sei auch das Entleeren des Briefkastens zu subsumieren. Es wäre zu erwarten gewesen, dass die Beschwerdeführerin in regelmäßigen Abständen die Postsendungen kontrolliert hätte, um Gewissheit über eine etwaige Zustellung oder den Versuch einer solchen zu erlangen. Weiters sei der Eindruck entstanden, dass die Beschwerdeführerin nicht in der vorgegebenen Regelmäßigkeit an der Abgabestelle anwesend gewesen sei, hätte sie andernfalls nach einem mehrmonatigen Aufenthalt jedenfalls über die dortigen Gegebenheiten Bescheid gewusst, wodurch ihre Nachlässigkeit in Bezug auf ihre Sorgfaltspflicht bestätigt werde. Von einer Zeugenbefragung des Postboten sei abgesehen worden, zumal keinesfalls davon ausgegangen werden könne, dass der Postbote noch Kenntnis über die Zustellung eines einzelnen Briefes im Mai 2019 haben würde. Bei Betrachtung der Ereignisse in einer Gesamtschau habe die Behörde letztlich zu dem Schluss kommen müssen, dass die Ausführungen der Beschwerdeführerin zu den Umständen rund um die Zustellung des Bescheides, die diese als Begründung dafür angeführt habe, den Bescheid nicht behoben zu haben, nicht glaubhaft und somit nicht ausreichend gewesen seien, um eine Wiedereinsetzung des Verfahrens zu erwirken.
6. Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin fristgerecht Beschwerde gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG an das Bundesverwaltungsgericht, in welcher sie abermals den Sachverhalt wiedergab und ihre Ausführungen aus dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vom 10.07.2019 wiederholte.
7. Die belangte Behörde machte von der Möglichkeit der Beschwerdevorentscheidung nicht Gebrauch und legte die Beschwerde gegen den verfahrensgegenständlichen Bescheid betreffend Abweisung des Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand samt den bezughabenden Akten des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Es wird von dem unter I. dargelegten Verfahrensgang/Sachverhalt ausgegangen.
2. Beweiswürdigung:
Das Verwaltungsgeschehen bzw. der Sachverhalt ergibt sich aus dem Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakten, insbesondere aus dem Wiedereinsetzungsantrag, dem angefochtenen Bescheid, dem Bescheid der belangten Behörde vom 30.04.2019, Zl. 1172275710 - 171222700 / BMI-BFA_NOE_RD, und dem bezughabenden Zustellnachweis (RSa-Rückschein [AS 415 im Verwaltungsakt der belangten Behörde]), aus den Niederschriften über die Einvernahmen vom 19.08.2019 und vom 02.10.2019 sowie aus dem Vorbringen der Beschwerdeführerin im Wiedereinsetzungsantrag und in der Beschwerde.
Die für die Entscheidung wesentlichen Umstände im Tatsachenbereich sind geklärt und die relevanten Urkunden und Ermittlungsergebnisse liegen in den Verwaltungsakten ein. Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht anhand der Aktenlage fest und ist nicht ergänzungsbedürftig.
Die wirksame Zustellung des Bescheides vom 30.04.2019 am 06.05.2019 ergibt sich aus dem im Verwaltungsakt einliegenden, die gehörige äußere Form aufweisenden und somit unbedenklichen, Zustellschein (RSa-Rückschein), auf dem die Zustellung des Bescheides dokumentiert wurde. Auf diesem ist ein Zustellversuch am 03.05.2019 vermerkt sowie bestätigt, dass eine Verständigung über die Hinterlegung in die Abgabeeinrichtung eingelegt wurde. Als Beginn der Abholfrist ist der 06.05.2019 angegeben. Gemäß § 17 Abs. 3 ZustG gilt das hinterlegte Dokument mit dem Tag, an dem das Dokument erstmals zur Abholung bereitgehalten wird, als zugestellt. Daher wurde im vorliegenden Fall die Zustellung mit 06.05.2019 bewirkt.
Beim Rückschein handelt es sich um eine öffentliche Urkunde, die nach § 47 AVG iVm § 292 ZPO die Vermutung der Richtigkeit für sich hat. Diese Vermutung ist widerlegbar, wobei die Behauptung der Unrichtigkeit des Beurkundeten entsprechend zu begründen ist und Beweise dafür anzuführen sind, die geeignet sind, die vom Gesetz aufgestellte Vermutung zu widerlegen (VwGH 08.09.2015, Ra 2015/02/0156; 11.11.2015, Ra 2015/04/0086, je mwN). Dazu bedarf es jedoch konkreter Darlegungen und eines entsprechenden Beweisanbotes (vgl. etwa VwGH 27.07.2007, 2006/10/0040; 21.07.2011, 2007/18/0827 mwN).
Die Beschwerdeführerin hat kein Vorbringen erstattet, das am Vorliegen einer ordnungsgemäßen Zustellung, wie sie im Rückschein vom Zusteller dokumentiert wurde, zweifeln ließe, und keine konkreten Gegenbeweise angeboten. Dass entgegen den Angaben im Zustellschein keine Verständigung von der Hinterlegung des Bescheides an der Abgabestelle des Beschwerdeführers zurückgelassen worden wäre oder sie in der Zeit der Zustellung ortsabwesend war, wurde nicht substantiiert behauptet. Dass Vorbringen der Beschwerdeführerin geht vielmehr (bloß) dahin, dass sie keine Kenntnis von der Zustellung bzw. von der Hinterlegungsanzeige erhalten habe. Damit wird aber kein Zustellmangel dargetan, da die im Wege der Hinterlegung vorgenommene Zustellung gemäß § 17 Abs. 4 ZustG auch dann gültig ist, wenn die im Abs. 2 leg. cit. genannte Verständigung von der Hinterlegung beschädigt oder entfernt wird; auch auf die Kenntnis des Empfängers von der Zustellung kommt es nicht an. Im Übrigen aber wären auch bloße Behauptungen nicht ausreichend, die Angaben des Postzustellers im Rückschein zu entkräften (vgl. etwa VwGH 23.02.1994, 93/09/0462, mwN). Von diesen Erwägungen ausgehend vermag die Beschwerdeführerin nicht erfolgreich aufzuzeigen, dass der Zustellung des Bescheides der belangten Behörde vom 30.04.2019 am 06.05.2019 durch Hinterlegung ein Mangel anhaftet.
Dass ausgehend davon die Beschwerde, die mit dem Wiedereinsetzungsantrag verbunden wurde, verspätet eingebracht wurde, ist auch unbestritten.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
3.1. Gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG erkennen die Verwaltungsgerichte über Beschwerden gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit.
Gemäß § 6 Bundesverwaltungsgerichtsgesetz (BVwGG) entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Mangels materienspezifischer Sonderregelung besteht somit gegenständlich Einzelrichterzuständigkeit.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) geregelt (§ 1 leg.cit.).
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles sowie andere näher genannte (im vorliegenden Fall nicht relevante) Gesetze und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
3.2. Zu den Prozessvoraussetzungen:
Die Beschwerde wurde gemäß § 7 Abs. 4 VwGVG fristwahrend erhoben und es liegen auch die sonstigen Prozessvoraussetzungen vor.
3.3. Sie ist auch berechtigt:
3.3.1. Bei Versäumen der Beschwerdefrist ist für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand allein die Bestimmung des § 33 VwGVG maßgebend, weil es sich um ein Verfahren über eine im VwGVG geregelte Beschwerde handelt. Die §§ 71, 72 AVG sind nicht anwendbar, nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind allerdings die in der Rechtsprechung zu § 71 AVG entwickelten Grundsätze auf § 33 VwGVG übertragbar (VwGH 13.09.2017, Ra 2017/12/0086; 30.05.2017, Ra 2017/19/0113, mwH).
Gemäß § 33 Abs. 1 VwGVG ist auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand unter anderem zu bewilligen, wenn eine Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann auch ein Irrtum über den Zeitpunkt der Zustellung des Bescheides bzw. den Zeitpunkt der Hinterlegung eines Bescheides und der damit bewirkten Zustellung einen Grund für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand darstellen (vgl. etwa VwGH 26.02.2004, 2004/21/0011; 27.01.2005, 2004/11/0212; 22.12.2005, 2005/20/0367). Davon kann etwa dann ausgegangen werden, wenn die Partei von der Zustellung des Bescheides durch Hinterlegung deshalb keine Kenntnis erlangt hat, weil die Verständigung von der Hinterlegung ohne ihr Wissen von einer anderen Hauspartei oder einer dritten Person (vgl. VwGH 12.12.1997, 96/19/3393) entfernt worden ist (VwSlg 6257 A/1964). Der VwGH erkennt auch darin kein wiedereinsetzungsschädliches Verschulden der Partei, dass ein Haushaltsangehöriger (insbesondere der Ehegatte) die Hinterlegungsanzeige aus dem Briefkasten entnimmt, ohne den Adressaten rechtzeitig davon in Kenntnis zu setzen (VwGH 19.03.1996, 95/11/0392; 27.01.2005, 2004/11/0212). Anderes gilt aber dann, wenn es aufgrund besonderer Umstände geboten erscheinen musste, die Durchsicht der Post nicht alleine einer anderen Person zu überlassen, etwa weil diese betagt ist und daher aufgrund des ähnlichen Erscheinungsbildes eine Hinterlegungsanzeige nicht von Werbesendungen unterscheiden kann (VwGH 28.03.2006, 2005/06/0308). Der Partei kann keine auffallende Sorglosigkeit iSd § 71 Abs. 1 Z 1 AVG und § 33 Abs. 1 VwGVG vorgeworfen werden, wenn sie es unterlässt, Erkundigungen beim Ehegatten über allenfalls in ihrer Abwesenheit erfolgte Zustellversuche einzuholen oder organisatorische Maßnahmen dahingehend zu treffen, dass der Ehegatte Hinterlegungsanzeigen nicht an sich nehmen kann (vgl. VwGH 19.03.1996, 95/11/0392; 27.01.2005, 2004/11/0212).
3.3.2. Daraus ergibt sich für den Beschwerdefall Folgendes:
3.3.2.1. Die Beschwerdeführerin macht als Wiedereinsetzungsgrund (als unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis) die Unkenntnis von der Zustellung des Bescheides vom 30.04.2019 bzw. vom Zustellvorgang in Gestalt der Hinterlegungsanzeige und insofern einen Irrtum über den Zeitpunkt der Zustellung/Hinterlegung dieses Bescheides im oben angeführten Sinn geltend.
In einem solchen Fall ist es Sache des Wiedereinsetzungswerbers, jene Umstände aus seinem persönlichen Lebensbereich darzulegen, aus denen sich konkrete Anhaltspunkte dafür erkennen lassen, dass er von einem in seine Gewahrsame gelangten Poststück (hier: der Hinterlegungsanzeige) aus bestimmten, keine auffallende Sorglosigkeit begründenden Umständen keine Kenntnis erlangen konnte. Die bloße „Unerklärlichkeit“ des Verschwindens eines in seine Gewahrsame gelangten amtlichen Schriftstückes (hier: der Hinterlegungsanzeige) geht zu Lasten des Wiedereinsetzungswerbers, dem es im Wiedereinsetzungsverfahren obliegt, einen solchen Hinderungsgrund an der Wahrnehmung der Frist (hier: der Beschwerdefrist) geltend zu machen, der nicht durch ein leichte Fahrlässigkeit übersteigendes Verschulden herbeigeführt wurde (vgl. VwGH 21.09.1999, 97/18/0418).
Andererseits dürfen bei der Anwendung und Auslegung der für die Wiedereinsetzung maßgeblichen prozessrechtlichen Vorschriften die Anforderungen an die Partei nicht überspannt werden (vgl. VwGH 25.10.1990, 90/16/0163). In diesem Zusammenhang ist zu bedenken, dass das Gesetz nicht den (für die Partei oft unmöglichen) Beweis des Wiedereinsetzungsgrundes verlangt, sondern sich mit der Glaubhaftmachung begnügt, und, dass nur grobes Verschulden die Bewilligung der Wiedereinsetzung ausschließt. Nur dann, wenn der Partei (oder ihrem Vertreter) auffallende Sorglosigkeit bei der Wahrnehmung der Frist zur Last fällt, ist eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht möglich. Den konkreten Vorgang, wie es zur Entfernung der Hinterlegungsanzeige gekommen ist, wird eine Partei nur in den seltensten Fällen bescheinigen können. Sie wird sich, abgesehen von der Behauptung des Fehlens der Hinterlegungsanzeige in der Post, auf die Dartuung von Umständen beschränken müssen, die die Entfernung der Hinterlegungsanzeige als nicht unwahrscheinlich erscheinen lassen (vgl. VwGH 19.04.1994, 94/11/0053).
Auf dem Boden dieser Rechtslage kann der Beurteilung der belangten Behörde, die zur Abweisung des Wiedereinsetzungsantrages führte, nicht beigetreten werden.
Zum einen wurde aufgrund der übereinstimmenden Angaben der Beschwerdeführerin und der Zeugin XXXX glaubwürdig dargetan, dass weder die Beschwerdeführerin noch XXXX , in deren Haushalt die Beschwerdeführerin in der fraglichen Zeit gewohnt hat, oder andere Haushaltsangehörige oder der Mieter die in Rede stehende Hinterlegungsanzeige erhalten/vorgefunden haben. Glaubwürdig ist auch, dass die Beschwerdeführerin ihre Post nicht durch eigene Entleerung des Postkastens erhielt, sondern dass dies von XXXX verrichtet wurde, die sich in der Vergangenheit immer gewissenhaft um die Post der Beschwerdeführerin gekümmert und diese der Beschwerdeführerin auch immer zeitnah ausgehändigt hat. Die als Zeugin vernommene XXXX hat dies nachvollziehbar bestätigt, indem sie ausgesagt hat, dass der Briefkasten von ihr, ihrem Sohn oder vom zuverlässigen Mieter geleert und die Post dann verlässlich übergeben/verteilt worden sei, sodass keine Notwendigkeit bestanden habe, der Beschwerdeführerin die Öffnung des Postkastens zu erklären. Ausgehend davon durfte sich die Beschwerdeführerin auf die Zuverlässigkeit der XXXX im Umgang mit ihren Postsendungen verlassen und ist ihr in diesem Zusammenhang kein wiedereinsetzungsschädliches Verschulden anzulasten. Es sind keine besonderen Umstände ersichtlich, aufgrund derer es der Beschwerdeführerin geboten erscheinen musste, die Durchsicht und Verteilung der Post nicht der XXXX zu überlassen oder in Bezug auf ihre Post von den bisherigen Gepflogenheiten abweichende (organisatorische) Maßnahmen zu treffen.
Zum anderen wurden Umstände im oben genannten Sinn, die den Verlust der Hinterlegungsanzeige als nicht unwahrscheinlich erscheinen lassen, dargetan, nämlich, dass diese irrtümlich zum Werbematerial und so ins Altpapier gelangt sei. XXXX sagte als Zeugin aus, sie schaue sich die Post einschließlich des Werbematerials normalerweise an, räumte aber ein, dass sie das auch nicht ausschließen könne.
Zur Aussage der Zeugin vor der belangten Behörde ist auszuführen, dass diese ein stringentes Vorbringen hinsichtlich der Nichtauffindung der Hinterlegungsanzeige und des Umgangs mit zugestellten Poststücken schilderte. Sie hat vorgebracht, dass der Briefkasten regelmäßig von ihr, ihrem jüngsten Sohn oder dem zuverlässigen Mieter entleert wird, ihr alle Poststücke zur Verteilung zukommen und eine Hinterlegungsanzeige von ihr nicht aufgefunden wurde. Die Glaubwürdigkeit der Zeugin wurde von der belangten Behörde nicht in Zweifel gezogen. Auch die Beschwerdeführerin hat in ihrer Einvernahme vor der belangten Behörde bestätigt, dass sich die Zeugin gewissenhaft um die Entleerung des Briefkastens und die Verteilung der Post gekümmert hat.
Das Bundesverwaltungsgericht geht nach dem insoweit übereinstimmenden Vorbringen der Beschwerdeführerin und der Zeugin davon aus, dass weder die Beschwerdeführerin, noch die Zeugin oder eine andere im Haushalt der Zeugin wohnhaft Person und auch nicht der Mieter Kenntnis von der Zustellung bzw. Hinterlegung des Bescheides erhalten hat. Der Verbleib der Hinterlegungsanzeige und ob diese tatsächlich versehentlich gemeinsam mit Werbematerial im Altpapier entsorgt wurde, konnte nicht geklärt werden, jedoch erscheint die versehentliche Entsorgung im Altpapier aufgrund der Angaben der Zeugin nicht unwahrscheinlich und ist darin ein einmaliges Versehen einer sonst mit Zustellstücken zuverlässigen Person, welches einen minderen Grad nicht übersteigt, zu erblicken und kann auch der Beschwerdeführerin in diesem Zusammenhang keine auffallende Sorglosigkeit iSd § 71 Abs. 1 Z 1 AVG und § 33 Abs. 1 VwGVG vorgeworfen werden.
Die von der belangten Behörde aufgezeigten Widersprüche in der Aussage der Beschwerdeführerin vermögen daran nichts zu ändern, zumal die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid deren Relevanz nicht aufzuzeigen vermag. Die Umstände, ob die Beschwerdeführerin gewusst hat, ob der Briefkasten mit oder ohne Schlüssel zu öffnen ist und ob die Zeugin ihr das zu einem Zeitpunkt, der nach der Zustellung des verfahrensrelevanten Bescheides liegt, gezeigt hat oder nicht, sind für das gegenständliche Verfahren nicht von Bedeutung. Tatsache ist, dass nicht die Beschwerdeführerin, sondern die Zeugin bzw. deren jüngster Sohn und/oder der Mieter sich um die Entleerung des Briefkastens gekümmert haben und die Zeugin dann für die Verteilung der Poststücke zuständig war. Dafür, dass dies nicht regelmäßig und/oder sorgfältig erfolgt ist, gibt es keine Anhaltspunkte, im Gegenteil, die Zeugin hat – wie oben ausgeführt – glaubwürdig und von der belangten Behörde unwidersprochen vorgebracht, dass sie sich normalerweise alle Poststücke (auch die Werbesendungen) ansehe.
Angesichts dieser Umstände ist die Auffassung der belangten Behörde, die von der Beschwerdeführerin ins Treffen geführten Gründe für die verspätete Einbringung der Beschwerde seien einerseits nicht glaubhaft und andererseits auf ihre Nachlässigkeit zurückzuführen, nicht zu teilen, weil sie durch die vorliegenden Ermittlungsergebnisse nicht gedeckt ist.
Es kann somit im gegenständlichen Fall nicht gesagt werden, dass die Unkenntnis von der Zustellung des Bescheides vom 30.04.2019 bzw. der Irrtum über den Zeitpunkt der Zustellung dieses Bescheides auf einem Verschulden beruht, welches den Grad minderen Versehens übersteigt.
3.4. Ergebnis:
Die Voraussetzungen für die Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 33 Abs. 1 VwGVG liegen daher vor.
Der Bescheid war sohin spruchgemäß abzuändern und auszusprechen, dass die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bewilligt wird.
3.5. Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte hier gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG abgesehen werden, weil der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt war (vgl. etwa VwGH 10.08.2017, Ra 2016/20/0105, 0106, mwN).
Zu B)
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die vorliegende Entscheidung hängt nicht von der Lösung einer Rechtsfrage ab, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder fehlt es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes noch weicht die gegenständlichen Entscheidung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Es liegen auch keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfragen vor. Das Bundesverwaltungsgericht kann sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Es ist auch nicht ersichtlich, dass sich im konkreten Fall eine Rechtsfrage stellt, die über den (hier vorliegenden konkreten) Einzelfall hinaus Bedeutung entfaltet. Ausgehend davon kann eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung auch insofern nicht bejaht werden. Es war daher auszusprechen, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig ist.
Schlagworte
Fristversäumung minderer Grad eines Versehens Rechtsmittelfrist Wiedereinsetzung Wiedereinsetzungsantrag Zustellung Zustellung durch HinterlegungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:W108.2223229.2.00Im RIS seit
14.01.2021Zuletzt aktualisiert am
14.01.2021