Entscheidungsdatum
15.10.2020Norm
AsylG 2005 §9 Abs2Spruch
W174 1412120-2/12Z
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Viktoria MUGLI-MASCHEK, als Einzelrichterin über die Beschwerde XXXX alias XXXX alias XXXX , geb. XXXX , alias XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch RA Dr. Helmut BLUM und als Erwachsenenvertretung der Verein VertretungsNetz, dieser vertreten durch den Erwachsenenvertreter Dr. XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 13.4.2016, Zl. 483739709-160233463 beschlossen:
A)
Das Verfahren über die Beschwerde wird gemäß § 38 AVG in Verbindung mit § 17 VwGVG bis zur Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes in dem zu den Zahlen BVwG, GZ I403 1411815-3/4E und BVwG, GZ W233 2217583-1/31E ausgesetzt.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 144 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Antrag des Beschwerdeführers, eines afghanischen Staatsangehörigen, auf internationalen Schutz vom 20.3.2009 wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 22.2.2010, Zl. 09 03.463-BAT, bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG abgewiesen, gleichzeitig der Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG zuerkannt und die befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG bis 26.2.2012 erteilt.
2. Am XXXX wurde der Beschwerdeführer vom Landesgericht für Strafsachen Wien wegen des Verbrechens der geschlechtlichen Nötigung (§ 202 Abs. 1 StGB) in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher gemäß § 21 Abs. 1 StGB eingewiesen.
3. Am 29.1.2016 brachte der Beschwerdeführer beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (Bundesamt) den Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung ein.
4. Am 16.2.2016 wurde durch das Bundesamt ein Aberkennungsverfahren eingeleitet.
Mit dem gegenständlich bekämpften Bescheid wurde dem Beschwerdeführer der ihm zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 2 AsylG von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt I.), dem Beschwerdeführer die damals zuerkannte befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter gemäß § 9 Abs. 4 AsylG entzogen (Spruchpunkt II.) und gemäß § 9 Abs. 2 AsylG festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Afghanistan unzulässig sei (Spruchpunkt III.).
In der Begründung führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass der Beschwerdeführer im Zustand der Unzurechnungsfähigkeit und daher nicht schuldhaft gehandelt habe. Dieser Umstand könne jedoch bei der Prüfung einer möglichen Aberkennung des subsidiären Schutzes nicht berücksichtigt werden.
5. In der dagegen erhobenen Beschwerde wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass sich der Beschwerdeführer seit XXXX in einer vorbeugenden Maßnahme in einer Justizanstalt befinde und zurzeit über die bedingte Entlassung entschieden werde. Der Beschwerdeführer sei im Zeitpunkt der Tatbegehung aufgrund seiner psychischen Erkrankung nicht zurechnungsfähig gewesen, sodass das Landesgericht für Strafsachen Wien keine Verurteilung ausgesprochen habe, sondern eine Einweisung in die vorbeugende Maßnahme gemäß § 21 Abs. 1 StGB auf unbestimmte Zeit angeordnet worden sei. Aus dem vorliegenden Akteninhalt werde klar, dass der Beschwerdeführer im Tatzeitpunkt aufgrund seiner psychischen Erkrankung nicht in der Lage gewesen sei, das Unrecht seiner Tat einzusehen oder dieser Einsicht gemäß zu handeln. Somit sei er gemäß § 11 StGB unzurechnungsfähig gewesen, habe daher nicht schuldhaft gehandelt und sei vor diesem Hintergrund gemäß § 4 StGB nicht strafbar.
6. Mit Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom XXXX wurde der Beschwerdeführer bedingt aus dem Maßnahmenvollzug entlassen.
7. Am 8.6.2020 hielt das Bundesverwaltungsgericht unter Beiziehung eines Dolmetschers für die Sprache Paschtu zur Klärung der Fragen betreffend die Sachverhaltsermittlung eine öffentliche mündliche Verhandlung ab.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Mit dem gegenständlich bekämpften Bescheid wurde dem Beschwerdeführer der ihm zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 2 AsylG von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt I), dem Beschwerdeführer die 2010 zuerkannte befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter gemäß § 9 Abs. 4 AsylG entzogen (Spruchpunkt II) und gemäß § 9 Abs. 2 AsylG festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Afghanistan unzulässig sei (Spruchpunkt III).
Zur Begründung wurde ausgeführt, der Beschwerdeführer wurde mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom XXXX , XXXX , gemäß § 21 Abs. 1 StGB in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen, er hatte zwei Verbrechen gemäß § 202 Abs. 1 StGB (geschlechtliche Nötigung) im Zustand der Unzurechnungsfähigkeit aufgrund psychischer Erkrankung (Erkrankung des schizophrenen Formkreises F20.X) begangen.
Mit Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien vom XXXX , GZ XXXX , wurde die bedingte Entlassung des Beschwerdeführers am 1.9.2016 ausgesprochen.
Zu der in der gegenständlichen Beschwerdesache somit maßgeblich zu lösenden Rechtsfrage, ob eine von einem Gericht veranlasste Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher für den Fall, dass der Betroffene bei Zurechnungsfähigkeit wegen eines Verbrechens verurteilt worden wäre, der Verurteilung wegen eines Verbrechens im Sinne des § 9 Abs. 2 AsylG 2005 gleichzuhalten ist, fehlt es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Aktuell sind dazu eine ordentliche Revision zum Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 12.2.2020, GZ I403 1411815-3/4E sowie eine außerordentliche Revision zum Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 13.2.2020, GZ W233 2217583-1/31E anhängig.
2. Beweiswürdigung:
Der Verfahrensgang und die Feststellungen ergeben sich aus dem unbestrittenen Inhalt der vorgelegten Verfahrensakten des Bundesamtes sowie der vorliegenden Gerichtsakten, dem bekämpften Bescheid, dem Beschwerdeschriftsatz sowie den im Akt befindlichen weiteren Schriftsätzen und dem Protokoll der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht vom 8.6.2020.
3. Rechtliche Beurteilung:
3.1. Zuständigkeit und verfahrensrechtliche Grundlagen:
Gemäß § 6 Bundesverwaltungsgerichtsgesetz (BVwGG), BGBl. I Nr. 10/2013 in der geltenden Fassung entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Da in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen ist, liegt gegenständlich die Zuständigkeit der nach der geltenden Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichts zuständigen Einzelrichterin vor.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte ist mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts durch das Verwaltungsgerichtsverfahrens (VwGVG) geregelt. Gemäß § 58 Abs 2 VwGVG idgF bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zweck des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG idgF sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art 130 Abs 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Gemäß § 7 Abs 1 Z 1 des BFA-Verfahrensgesetz - BFA-VG entscheidet über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) das Bundesverwaltungsgericht.
3.2. Zu Spruchpunkt A)
§ 9 AsylG 2005 lautet:
„Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten
§ 9. (1) Einem Fremden ist der Status eines subsidiär Schutzberechtigten von Amts wegen mit Bescheid abzuerkennen, wenn
1. die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8 Abs. 1) nicht oder nicht mehr vorliegen;
2. er den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen in einem anderen Staat hat oder
3. er die Staatsangehörigkeit eines anderen Staates erlangt hat und eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen neuen Herkunftsstaat keine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention oder für ihn als Zivilperson keine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
(2) Ist der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht schon aus den Gründen des Abs. 1 abzuerkennen, so hat eine Aberkennung auch dann zu erfolgen, wenn
1. einer der in Art. 1 Abschnitt F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe vorliegt;
2. der Fremde eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Republik Österreich darstellt oder
3. der Fremde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt worden ist. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB, BGBl. Nr. 60/1974, entspricht.
In diesen Fällen ist die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten mit der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme und der Feststellung zu verbinden, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat unzulässig ist, da dies eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
(3) Ein Verfahren zur Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ist jedenfalls einzuleiten, wenn der Fremde straffällig geworden ist (§ 2 Abs. 3) und das Vorliegen der Voraussetzungen gemäß Abs. 1 oder 2 wahrscheinlich ist.
(4) Die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ist mit dem Entzug der Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter zu verbinden. Der Fremde hat nach Rechtskraft der Aberkennung Karten, die den Status des subsidiär Schutzberechtigten bestätigen, der Behörde zurückzustellen.“
§ 38 AVG lautet:
„§ 38. Sofern die Gesetze nicht anderes bestimmen, ist die Behörde berechtigt, im Ermittlungsverfahren auftauchende Vorfragen, die als Hauptfragen von anderen Verwaltungsbehörden oder von den Gerichten zu entscheiden wären, nach der über die maßgebenden Verhältnisse gewonnenen eigenen Anschauung zu beurteilen und diese Beurteilung ihrem Bescheid zugrunde zu legen. Sie kann aber auch das Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung der Vorfrage aussetzen, wenn die Vorfrage schon den Gegenstand eines anhängigen Verfahrens bei der zuständigen Verwaltungsbehörde bzw. beim zuständigen Gericht bildet oder ein solches Verfahren gleichzeitig anhängig gemacht wird.“
Der Beschwerdeführer wurde mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom XXXX , XXXX , gemäß § 21 Abs. 1 StGB in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen. Er hatte zwei Verbrechen gemäß § 202 Abs. 1 StGB (geschlechtliche Nötigung) im Zustand der Unzurechnungsfähigkeit aufgrund psychischer Erkrankung (Erkrankung des schizophrenen Formkreises F20.X) begangen.
Zu der hier nunmehr als Vorfrage zu lösenden Rechtsfrage, ob eine von einem Gericht veranlasste Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher für den Fall, dass der Betroffene bei Zurechnungsfähigkeit wegen eines Verbrechens verurteilt worden wäre, der Verurteilung wegen eines Verbrechens im Sinne des § 9 Abs. 2 AsylG 2005 gleichzuhalten ist, existiert noch keine Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes. Derzeit sind beim Verwaltungsgerichtshof eine ordentliche Revision zum Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts, GZ I403 1411815-3/4E sowie eine außerordentliche Revision zum Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts, GZ W233 2217583-1/31E zu diesem Thema anhängig.
Aus Gründen der Verfahrensökonomie ist es daher gemäß § 39 AVG – rücksichtlich des im Raum stehenden Aberkennungsgrundes betreffend den subsidiären Schutz – zweckmäßig, das Beschwerdeverfahren bis zur Klärung der im gegenständlichen Beschwerdeverfahren zugrundeliegenden und somit präjudiziellen Rechtsfrage durch den Verwaltungsgerichtshof in den beiden dort bereits anhängigen Revisionsverfahren auszusetzen.
3.3. Zu Spruchpunkt B)
Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG im vorliegenden Fall nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung. Zudem ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten Aberkennungstatbestand § 9 Abs. 2 Aussetzung psychische Erkrankung Verbrechen VwGH ZurechnungsfähigkeitEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:W174.1412120.2.00Im RIS seit
14.01.2021Zuletzt aktualisiert am
14.01.2021