TE Bvwg Erkenntnis 2020/10/19 W255 2210774-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 19.10.2020
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Entscheidungsdatum

19.10.2020

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs4
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs2

Spruch

1.) W255 2210777-1/11E

2.) W255 2210775-1/12E

3.) W255 2210774-1/8E

4.) W255 2210776-1/8E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

1.) Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Ronald EPPEL, MA als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch Rechtsanwalt Mag. Robert BITSCHE, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.10.2018, Zl. 1098782000-151984753, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 06.10.2020 und 08.10.2020, zu Recht:

A)

I.       Die Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides als unbegründet abgewiesen.

II.     Der Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides stattgegeben und XXXX gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 der Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.

III.    Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigte bis zum 19.10.2021 erteilt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

2.) Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Ronald EPPEL, MA als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch Rechtsanwalt Mag. Robert BITSCHE, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.10.2018, Zl. 1098781907-151984729, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 06.10.2020 und 08.10.2020, zu Recht:

A)

I.       Die Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides als unbegründet abgewiesen.

II.     Der Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides stattgegeben und XXXX gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.

III.    Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter bis zum 19.10.2021 erteilt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

3.) Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Ronald EPPEL, MA als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch XXXX als gesetzliche Vertreterin, diese vertreten durch Rechtsanwalt Mag. Robert BITSCHE, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.10.2018, Zl. 1098782610-151984834, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 06.10.2020 und 08.10.2020, zu Recht:

A)

I.       Die Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides als unbegründet abgewiesen.

II.     Der Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides stattgegeben und XXXX gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 der Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.

III.    Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigte bis zum 19.10.2021 erteilt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

4.) Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Ronald EPPEL, MA als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch XXXX als gesetzliche Vertreterin, diese vertreten durch Rechtsanwalt Mag. Robert BITSCHE, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.10.2018, Zl. 1098782708-151984855, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 06.10.2020 und 08.10.2020, zu Recht:

A)

I.       Die Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides als unbegründet abgewiesen.

II.     Der Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides stattgegeben und XXXX gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 der Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat AFGHANISTAN zuerkannt.

III.    Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigte bis zum 19.10.2021 erteilt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

1.       Verfahrensgang:

1.1.    Die Beschwerdeführerin 1 (im Folgenden: BF1) und ihr Ehegatte, der Beschwerdeführer 2 (im Folgenden: BF2), sowie drei deren vier gemeinsame Söhne, darunter der minderjährige Beschwerdeführer 3 (im Folgenden: BF3) und der minderjährige Beschwerdeführer 4 (im Folgenden: BF4), alle afghanische Staatsangehörige, schiitische Muslime und der Volksgruppe der Hazara zugehörig, stellten nach unrechtmäßiger Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 13.12.2015 die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz. Am 01.11.2015 hatte bereits der vierte, älteste Sohn der BF1 und des BF2 ( XXXX , geb. XXXX ) einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich gestellt.

1.2.    Am 13.12.2015 fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Landespolizeidirektion XXXX die niederschriftliche Erstbefragung der BF1 und des BF2 statt.

Dabei gab die BF1 an, Afghanistan verlassen zu haben, da ihr Ehemann (= BF2) erfahren habe, dass sein Cousin bei den Taliban gewesen sei, er dies den Sicherheitsbehörden gemeldet habe und deshalb von den Taliban und den Angehörigen seines Cousins verfolgt worden sei.

Der BF2 gab an, Afghanistan verlassen zu haben, da er von den Taliban mit dem Tod bedroht worden sei, nachdem er einige ihrer Leute an die Behörden verraten habe.

1.3.    Am 20.06.2018 wurde die BF1 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA), Regionaldirektion XXXX , Außenstelle XXXX , niederschriftlich einvernommen. Dabei gab die BF1 an, dass sie in psychologischer Betreuung stehe und legte eine Bestätigung über das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung vor. Die BF habe in Afghanistan zuletzt in der Provinz XXXX gemeinsam mit ihrem Ehegatten und den gemeinsamen vier Söhnen gelebt. Ihr Ehegatte (= BF2) habe als Autofahrer gearbeitet und einmal seinen Cousin chauffiert. Dabei habe er mitbekommen, dass dieser ein Talib sei. Der Ehegatte der BF1 (= BF2) habe dies der nationalen Polizei gemeldet. Diese habe den Cousin festgenommen. Als der Ehegatte der BF1 (= BF2) – schon zwei Tage lang – nicht zuhause gewesen sei, seien drei Taliban ins Haus der BF1 gekommen und hätten die BF1 und ihre Kinder (darunter BF3 und BF4) stark – unter anderem mit Waffen – geschlagen. Die BF1 habe stark geblutet und ein Zahn sei ihr aufgrund der Schläge ausgebrochen. Am nächsten Tag habe die BF1 gemeinsam mit ihren vier Söhnen (darunter BF3 und BF4) das Haus verlassen und sei nach XXXX gereist. Von dort sei die Familie in den Iran gereiset und habe sich ca. 1 Jahr im Iran aufgehalten, ehe die Familie nach Österreich gereist sei. Die BF1 habe erst im Iran durch ihren Ehegatten (= BF2) erfahren, warum sie zu Hause aufgesucht und geschlagen worden sei. Drei Monate vor der Ausreise der BF1, ihres Ehegatten (= BF2) und drei der vier Söhne (darunter BF3 und BF4) aus dem Iran, sei der älteste (vierte) Sohn der BF1 von seiner Familie weggelaufen. Dies deshalb, da er ein Mädchen heiraten habe wollen, die BF1 und die Familie des Mädchens aber gegen die Hochzeit gewesen wären. Dieser Sohn sei kurz vor der Einreise der BF1, ihres Ehegatten (= BF2) und der drei (anderen) Söhne in Österreich eingereist und sie hätten sich in Österreich wieder getroffen.

Die BF1 habe in Österreich Deutschkurse besucht, gelernt, Fahrrad zu fahren, habe Yoga gemacht und gehe gemeinsam mit Freunden schwimmen. Dies alles hätte sie in Afghanistan nicht machen dürfen. Ihr Leben habe sich vollständig verändert.

Am 20.06.2018 wurde ebenso der BF2 vor dem BFA niederschriftlich einvernommen. Dieser gab an, dass er gemeinsam mit seiner Ehegattin (= BF1) und den vier gemeinsamen Söhnen in der Provinz XXXX gelebt und als Autofahrer gearbeitet habe. Die Familie habe auch ein Grundstück und eine Landwirtschaft besessen. Ein Sohn der Tante mütterlicherseits des BF habe mit den Taliban zusammengearbeitet. Der BF2 habe den Cousin bei der Regierung verraten und der Cousin habe den BF2 im Zuge eines Telefonates mit dem Tod bedroht. Der BF2 sei daher nach XXXX geflüchtet und habe 1 Jahr und 2 Monate im Dorf XXXX im Haus eines Bekannten gelebt. Danach sei er in den Iran gereist, wo er seine Ehegattin und Söhne getroffen habe. Von seiner Ehegattin habe er dann erfahren, dass diese von den Leuten des Cousins geschlagen worden sei.

1.4.    Mit Schreiben vom 27.06.2018 führten die anwaltlich vertretenen BF1, BF2, BF3 und BF4 aus, dass sie Afghanistan verlassen hätten, da der BF2 seinen Cousin, der Talib gewesen sei, angezeigt habe und von diesem telefonisch bedroht worden sei. Der BF2 sei alleine geflüchtet. Die BF1 und die vier gemeinsamen Söhne, die noch im Heimatdorf geblieben seien, seien überfallen und zusammengeschlagen worden. Dann sei die BF1 mit ihren Söhnen in den Iran gereist, habe sich dort 1 Jahr und 3 Monate aufgehalten und sei nach Österreich gereist. Im Falle der Rückkehr wäre die Familie einer Verfolgung durch die Taliban ausgesetzt. Die BF1 führe zudem ein freies und selbstbestimmtes Leben in Österreich. Sie habe einen A1-Deutschkurs besucht, erziehe ihre Söhne westlich, führe die Geschäfte des täglichen Lebens selbst und könne für sich selbst wichtige Entscheidungen, ihr Leben betreffend, entscheiden. Die BF1 wäre daher aufgrund ihrer westlichen Orientierung in Afghanistan einer Gefahr ausgesetzt.

Die BF1, BF2, BF3 und BF4 legten im Verfahren vor dem BFA die folgenden Dokumente vor:

?        Bestätigung des Vereins „ XXXX “ vom 23.12.2016, betreffend die Teilnahme des BF2 an einem A1 Deutschkurs;

?        Bestätigung des Vereins „ XXXX “ vom 23.06.2017, betreffend die Teilnahme des BF2 an einem A1 Deutschkurs;

?        Bestätigung des Vereins „ XXXX “ vom 22.12.2017, betreffend die Teilnahme des BF2 an einem A1 Deutschkurs;

?        Bestätigung des XXXX vom 20.11.2017, betreffend die Teilnahme des BF2 an einem Werte- und Orientierungskurs;

?        Bestätigung der XXXX vom 13.06.2018, betreffend die Mitarbeit des BF2 im Rahmen der Schulwegsicherung in der XXXX ;

?        Unterstützungsschreiben des Heimleiters der BF1, BF2, BF3 und BF4, vom 19.06.2018;

?        Befund des XXXX vom 29.08.2017, betreffend den BF2;

?        Befund der XXXX vom 01.08.2017, betreffend den BF2;

?        Schulbesuchsbestätigung der XXXX vom 17.02.2017, betreffend den BF3;

?        Schulbesuchsbestätigung der XXXX vom 07.07.2017, betreffend den BF3;

?        Schulnachricht der XXXX vom 16.02.2018, betreffend den BF4;

?        Ambulanzbericht des XXXX vom 13.12.2015, betreffend den BF4;

?        Ärztlicher Entlassungsbrief des XXXX vom 08.03.2016, betreffend den BF4;

?        Befundbericht des XXXX vom 26.01.2017, betreffend den BF4.

1.5.    Das BFA wies die Anträge auf internationalen Schutz der BF1, BF2, BF3 und BF4 mit Bescheiden vom 30.10.2018, Zahlen 1098782000-151984753, 1098781907-151984729, 1098782610-151984834 und 1098782708-151984855, bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) ab. Den BF1, BF2, BF3 und BF4 wurde seitens des BFA kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 erteilt (Spruchpunkt III.), gegenüber den BF1, BF2, BF3 und BF4 gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung der BF1, BF2, BF3 und BF4 nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.). Schließlich sprach das BFA aus, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidungen betrage (Spruchpunkt VI.).

Die Abweisung der Anträge auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten begründete das BFA im Wesentlichen damit, dass die BF1, BF2, BF3 und BF4 in Afghabnistan keiner individuellen und aktuellen, asylrelevanten Bedrohung oder Verfolgung ausgesetzt waren bzw. wären bzw. eine diesbezügliche Bedrohung oder Verfolgung nicht glaubhaft machen hätten können. Eine Verfolgung oder Bedrohung durch den Staat hätten die BF1, BF2, BF3 und BF4 nicht angegeben.

Die Abweisung der Anträge auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten begründete das BFA damit, dass die BF1, BF2, BF3 und BF4 im Falle der Rückkehr nach Afghanistan keiner realen Gefahr der Verletzung von Art. 2, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention ausgesetzt wären und ihre Rückkehr für sie als Zivilperson keine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts mit sich bringen würde. Es habe unter Berücksichtigung aller bekannten Umstände nicht festgestellt werden können, dass die BF1, BF2, BF3 und BF4 im Falle der Rückkehr nach Afghanistan dort einer realen Gefahr des Todes, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Bestrafung oder Behandlung oder Gefahr der Folter ausgesetzt wären bzw. ihr Leben auf sonstige Weise gefährt wäre. Die Heimatprovinz XXXX sei volatil, allerdings stehe den BF1, BF2, BF3 und BF4 eine zumutbare, innerstaatliche Fluchtalternative in den Großstädten des Landes zur Verfügung. Insbesondere der BF2 sei jung, gesund und arbeitsfähig, verfüge über Berufserfahrung in Afghanistan und habe auch vor seiner Ausreise für den Lebensunterhalt der Familie in Afghanistan sorgen können.

1.6.    Gegen die unter Punkt 1.5. genannten Bescheide des BFA richten sich die von den BF1, BF2, BF3 und BF4 fristgerecht erhobenen Beschwerden. Darin wiederholten sie im Wesentlichen, dass sie Afghanistan verlassen hätten, da der BF2 seinen Cousin, der Talib gewesen sei, angezeigt habe und von diesem telefonisch bedroht worden sei. Die BF1 und die vier gemeinsamen Söhne seien überfallen und zusammengeschlagen worden. Im Falle der Rückkehr wäre die Familie einer Verfolgung durch die Taliban ausgesetzt.

1.7.    Die Beschwerden und die bezughabenden Verwaltungsakte langten am 06.12.2018 beim Bundesverwaltungsgericht ein und wurden der Gerichtsabteilung W164 des Bundesverwaltungsgerichts zugewiesen.

1.8.    Aufgrund der Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses des Bundesverwaltungsgerichts vom 11.05.2020 wurde dien Rechtssachen der Gerichtsabteilung W164 abgenommen und der Gerichtsabteilung W255 neu zugewiesen.

1.9.    Mit Schreiben vom 16.07.2020 wurden der BF1, dem BF2, dem BF3 und dem BF4 vom Bundesverwaltungsgericht aktuelle Länderfeststellungen betreffend Afghanistan übermittelt.

1.10.   Mit Schreiben vom 02.10.2020 übermittelten die BF1, BF2, BF3 und BF4 dem Bundesverwaltungsgericht die folgenden Dokumente:

?        Bestätigung von „ XXXX “ vom 29.09.2020, betreffend die psychotherapeutische Behandlung der BF1;

?        Deutschkursanmeldebestätigung der „ XXXX “, betreffend die BF1;

?        Zwei Bestätigungen vom 18.05.2020 und 20.12.2018, betreffend die Teilnahme der BF1 am Projekt „ XXXX “;

?        Bestätigung von „ XXXX “ vom 02.01.2019, betreffend die Teilnahme der BF1 an dem Projekt „ XXXX “;

?        Undatiertes Bestätigung von „ XXXX “, betreffend die Teilnahme der BF1 an dem Projekt „ XXXX “;

?        Bestätigungen von XXXX vom 03.06.2019, 27.06.2019 und 13.02.2020, betreffend die Teilnahme der BF1 an A1 Deutschkursen;

?        Bestätigung des XXXX vom 04.07.2020, betreffend die Teilnahme der BF1 an einer Informationsveranstaltung des XXXX ;

?        Bestätigung der XXXX vom 16.09.2020, betreffend die Mitarbeit des BF2 im Rahmen der Schulwegsicherung in der XXXX ;

?        Bestätigung der XXXX vom 06.07.2020, betreffend die Mitarbeit des BF2 im kommunalen Bauhof der XXXX ;

?        Bestätigung der XXXX vom 04.12.2018, betreffend die Mitarbeit des BF2 bei einer Lebensmittelsammelaktion für bedürftige Menschen in Österreich;

?        Bestätigung des Vereins „ XXXX “ vom 23.06.2017, betreffend die Teilnahme des BF2 an A1 Deutschkursen;

?        Bestätigung der XXXX vom 15.09.2020, betreffend die BF3 und BF4;

?        Jahres- und Abschlusszeugnis der XXXX vom 10.07.2020, betreffend BF3;

?        Jahreszeugnis der XXXX vom 10.07.2020, betreffend den BF4.

1.11.   Das Bundesverwaltungsgericht führte am 06.10.2020 und 08.10.2020 in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die Sprache Dari sowie im Beisein der BF1, des BF2, des BF3, des BF4 eines weiteren Sohnes der BF1 und des BF2 ( XXXX ) und der Rechtsvertreterin der BF1, des BF2, des BF3, und des BF4, eine öffentliche mündliche Verhandlung durch.

Dabei gab die BF1 an, dass sie sich in psychologischer Betreuung befinde und Medikamente nehme. Sie habe schlimme Alpträume. Zum Fluchtgrund befragt, gab die BF1 an, dass ihr Ehegatte (= BF2) als Autofahrer gearbeitet und dabei festgestellt habe, dass sein Cousin Talib sei. Dies habe der BF2 der Polizei gemeldet. Der BF2 sei ca. zwei oder drei Tage nicht zu Hause gewesen, als eines nachts mehrere Personen das Haus aufgebrochen und eingetreten seien. Sie hätten die BF1 und ihre Söhne geschlagen. Am nächsten Tag sei die BF1 mit ihren vier Söhnen nach XXXX und von dort in den Iran gereist. Der Ehegatte der BF1 (= BF2) sei 1 Jahr und zwei Monate später in den Iran gereist. Während dieser Zeit hätten sie keinen Kontakt miteinander gehabt. Im Iran habe er der BF1 erzählt, dass er seinen Cousin bei der Polizei angezeigt habe und die Personen deshalb in das Haus eingebrochen wären und die BF1 geschlagen hätten. Die BF1 wisse nicht genau, was mit ihrem Ehegatten (= BF2) während der 12 Monate passiert sei. Er habe zu ihr gesagt, er habe sich „irgendwo“ aufgehalten. Er habe ihr jedoch nicht gesagt wo er sich aufgehalten habe und was vorgefallen sei. Sie wisse nicht, warum ihr Ehegatte (= BF2) 14 Monate gebraucht habe, um sie im Iran zu finden und Kontakt mit ihr aufzunehmen. Den Iran habe die Familie verlassen, da sie dort illegal aufhältig gewesen sei und nicht arbeiten habe dürfen.

Die BF1 wisse nicht, warum ihr ältester Sohn XXXX in seinem Asylverfahren einen gänzlich anderen Fluchtgrund angegeben und unter anderem ausgeführt hat, die letzten 1-2 Monate in Afghanistan gemeinsam mit seinen Eltern und Brüdern in XXXX gelebt zu haben.

Die BF1 betreibe in Österreich Sport (Yoga, Zumba, Fahrradfahren und Schwimmen) kümmere sich um die Kinder und gehe ins Kaffeehaus. Sie besuche seit eineinhalb Monaten einen Deutschkurs auf A2 Niveau und einen Computerkurs. Sie habe bisher keine stärkeren Fortschritte im Erlernen der deutschen Sprache gemacht, da es keine weiteren Gratis-Deutschkurse gegeben habe und sie nicht das Geld für Kurse gehabt habe. Sie fahre manchmal von XXXX nach XXXX , um eine Freundin zu besuchen, sich die Stadt anzuschauen und Einkäufe zu erledigen. Sie habe ehrenamtlich im Flüchtlingsheim, in dem sie lebe, Ordnung gemacht und geputzt. Sie würde in Österreich gerne als Friseurin arbeiten und habe eine mündliche Zusage von einem Friseursalon, dass sie dort anfangen dürfte, falls sie ein Aufenthaltsrecht erhalten würde. Eine schriftliche Zusage habe sie nicht. Sie habe in Österreich viele Rechte und Möglichkeiten und wolle diese nutzen. Sie sei im Iran gegen die Beziehung und Hochzeit ihres ältesten Sohnes gewesen, da sie das Gefühl gehabt habe, dass das Mädchen ihren Sohn nicht so sehr geliebt habe, wie er sie und da die Familie des Mädchens auch gegen die Hochzeit gewesen sei. Die BF trage ein Kopftuch, seit sie acht Jahre alt sei. Es habe für sie keine besondere Bedeutung, sondern sei Gewohnheit. Sie habe sich so sehr daran gewöhnt, dass sie sich denken würde, dass ein Stück von ihr fehlen würde, wenn sie es ablegen würde. Wenn Sie in Zukunft einen geregelten Job haben würde, würde sie es kopmplett ablegen.

Der BF2 gab an, dass er seinen Cousin angezeigt habe, nachdem er erfahren habe, dass dieser Talib sei. Zwei Tage danach sei er von seinem Cousin telefonisch bedroht worden und sei zu einem Bekannten in der Provinz XXXX gefahren. Dort habe er sich ein Jahr aufgehalten. Er habe seine Familie (Ehegattin und Kinder) vor seiner Fahrt nach XXXX nicht kontaktiert. Er habe seine Sim-Karte weggeworden und keine Telefonnummer mehr von seiner Familie gehabt. Der Bekannte, bei dem sich der BF2 in XXXX aufgehalten habe, habe eine Schwester, die im selben Dorf lebe, in der der BF2 mit seiner Ehegattin (= BF1) zuletzt gelebt habe. Der Bekannte sei auch öfter zu Besuch in das Heimatdorf des BF2 gekommen. Der Bekannte habe nach der Ankunft des BF2, aber nicht seine Schwester angerufen, um zu fragen, wie es der Familie des BF2 (= BF1 und seinen Kinden) gehe. Der BF2 habe den Bekannten nicht darum gebeten. Der BF2 sei in XXXX nicht von den Taliban gefunden worden. Nach 12 Monaten sei er in den Iran gereist. Dort habe er seine Ehegattin (= BF1) und Söhne (darunter BF3 und BF4) gefunden.

Der BF2 wisse nicht, warum sein ältester Sohn XXXX in seinem Asylverfahren einen gänzlich anderen Fluchtgrund angegeben und unter anderem ausgeführt hat, die letzten 1-2 Monate in Afghanistan gemeinsam mit seinen Eltern und Brüdern in XXXX gelebt zu haben.

XXXX , der zweitälteste Sohn von BF1 und BF2 (bzw. älterer Bruder von BF3 und BF4) gab an, dass er gesund sei. Er sei in der Provinz XXXX aufgewachsen und habe in Afghanistan immer gemeinsam mit seinen Eltern und vier Brüdern gelebt. Eines nachts seien Menschen in das Haus gekommen und hätten ihn, seine Mutter (=BF1) und seine Brüder geschlagen. Er sei am Kopf getroffen und ohnmächtig geworden. Der Vater (= BF2) sei in dieser Nacht nicht zu Hause gewesen. Der Vater sei schon längere Zeit nicht mehr bei der Familie gewesen. Am nächsten Tag nach dem Überfall sei die Familie (gemeint die Mutter und die vier Söhne) in den Iran geflohen und habe 1 Jahr und zwei oder drei Monate in der Stadt XXXX gelebt. Im Iran sei der älteste Bruder, XXXX , weggelaufen, da er sich in ein Mädchen verliebt hätte und die Mutter (= BF1) gegen die Hochzeit gewesen sei. Danach sei der Vater (= BF2) wieder aufgetaucht. Der Vater sei zuvor von den Taliban mitgenommen und von diesen geschlagen worden. Wie sein Vater freigekommen sei, wisse er nicht.

Die BF1 legte eine Bestätigung über den Besuch eines Computerkurses und ihre Teilnahme am „ XXXX “ vor.

2.       Feststellungen:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage der gegenständlich erhobenen Anträge auf internationalen Schutz, der Erstbefragungen sowie Einvernahmen der BF1 und BF2 durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sowie des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, der Beschwerden gegen die in den Sprüchen genannten Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, der in den Verfahren vorgelegten Dokumente, der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht vom 06.10.2020 und 08.10.2020 sowie der Einsichtnahme in den Verwaltungsakt betreffend den ältesten Sohn von BF1 und BF2 bzw. Bruder der BF3 und BF4 ( XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, GZ XXXX ), das Zentrale Melderegister, das Fremdeninformationssystem, das Strafregister, die XXXX betreffenden Strafakte des Bezirksgerichts XXXX zur XXXX , des Bezirksgerichts XXXX zur XXXX und des Landesgerichts für Strafsachen XXXX zu den XXXX und zur XXXX und das Grundversorgungs-Informationssystem werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:

2.1.    Zu den Beschwerdeführern:

2.1.1.  Die BF1 führt den Namen XXXX und das Geburtsdatum XXXX . Sie ist afghanische Staatsangehörige, schiitische Muslimin und der Volksgruppe der Hazara zugehörig.

2.1.2.    Der BF2 führt den Namen XXXX und das Geburtsdatum XXXX . Er ist afghanischer Staatsangehöriger, schiitischer Muslim und der Volksgruppe der Hazara zugehörig.

2.1.3.  Die BF1 hat in Afghanistan nie eine Schule besucht und sich um die Erziehung der Kinder gekümmert.

2.1.4.  Der BF2 hat in Afghanistan eine Koranschule besucht. Der BF2 besitzt ein Grundstück im Ausmaß von 10 Jirib und ein Haus im im Dorf XXXX , in der Provinz XXXX .Er hat den Lebensunterhalt der Familie in Afghanistan durch Einnahmen aus der familienbetriebenen Landwirtschaft und als Autofahrer (Personenbeförderer) gesichert.

2.1.5.  Die BF1 und der BF2 haben vor ca. 19 Jahren in Afghanistan geheiratet. Die Ehe wurde im Dorf XXXX , in der Provinz XXXX , geschlossen. Die BF1 und der BF2 sind die Eltern des minderjährigen BF3 ( XXXX , geb. XXXX ), des minderjährigen BF4 ( XXXX geb. XXXX ), des volljährigen Sohnes XXXX , geb. XXXX , und des volljährigen Sohnes XXXX , geb. XXXX . Alle Söhne der BF1 und des BF2 wurden in Afghanistan geboren und sind im Dorf XXXX , in der Provinz XXXX aufgewachsen. Alle sind afghanische Staatsangehörige, schiitische Muslime und der Volksgruppe der Hazara zugehörig. Die Familie hat in Afghanistan ausschließlich im Dorf XXXX , in der Provinz XXXX gelebt.

2.1.6.  Die BF1, der BF2 und ihre vier gemeinsamen Söhne haben Afghanistan ca. im September 2014 verlassen und sind in den Iran gereist, wo sie ca. ein Jahr und zwei Monate in der Stadt XXXX bei der Schwester der BF1 (= Tante des BF3 und des BF4) gelebt haben, ehe sie den Iran im November 2015 verlassen haben und nach Österreich gereist sind. Die Muttersprache der BF1, des BF2 und ihrer vier Söhne ist Dari.

2.1.7.  Die Eltern der BF1 sind natürlichen Todes verstorben. Zwei Schwestern der BF1 leben in Afghanistan, eine davon in XXXX , eine in XXXX , eine (dritte) Schwester lebt im Iran. Zwei Brüder der BF1 leben seit ca. 2017 im Iran. Einer davon arbeitet auf Baustellen, einer auf einer Hühnerfarm. Drei Onkel väterlicherseits und ein Onkel mütterlicherseits der BF1 leben in Afghanistan.

2.1.8.   Die Eltern des BF2 sind natürlichen Todes verstorben. Eine Schwester des BF2 lebt im Dorf XXXX , Distrikt XXXX , Provinz XXXX . Es geht ihr gut. Drei Onkel väterlicherseits, eine Tante väterlicherseits und drei Tanten mütterlicherseits des BF leben in Afghanistan. Ein Bruder des BF2 lebt im Iran. Er steht in regelmäßigem Kontakt mit ihm.

2.1.9.  Die BF1, der BF2, der BF3 und der BF4 haben sich noch nie in den Städten XXXX , Mazar-e Sharif und XXXX aufgehalten. Sie verfügen über keine Ortskenntnisse in diesen Städten und über kein familiäres oder soziales Netzwerk in diesen Städten.

2.1.10. Die BF1 steht seit Juli 2020 einmal wöchentlich in psychologischer Betreuung beim Verein XXXX und nimmt Mirtazapin 30mg-Tabletten ein. Sie leidet insbesondere an Alpträumen.

Die BF1 hat in Österreich im Jahr 2017 sowie von 25.02.2019 bis 27.06.2019 und 16.06.2019 bis 13.02.2020, Basibsildungskurse bzw. Deutschkurse auf A1 Niveau besucht. Sie besucht seit 14.09.2020 einen Deutschkurs auf A2 Niveau. Die BF1 ist in Österreich bisher nie zu einer Deutschprüfung angetreten.

Die BF1 besucht in Österreich seit 31.08.2020 zweimal wöchentlich einen Computerkurs in XXXX . Sie hat am 02.10.2020 an einem dreistündigen „ XXXX “ teilgenommen. Sie nimmt seit 2018 regelmäßig am Projekt „ XXXX “ teil und hat 2018 am Projekt „ XXXX “ teilgenommen. Die BF1 hat von 17.09.2018 bis 13.12.2018 am Projekt „ XXXX “ teilgenommen und am 04.07.2019 eine eintägige Informationsveranstaltung des XXXX besucht. Sie betreibt in Österreich gemeinsam mit Freunden Sport (Fahrradfahren, Yoga, Zumba, Schwimmen). Sie ist nicht Mitglied in einem Verein in Österreich. Die BF1 unterstützt die Heimleitung des von ihr bewohnten Flüchtlingsheims freiwillig beim Reinigen.

2.1.11. Der BF2 ist gesund. Der BF2 hat im Jahr 2017 Deutschkurse auf A1 Niveau besucht. Am 20.11.2017 hat er an einem Werte- und Orientierungskurs teilgenommen. Der BF2 hat im Jahr 2019 im Ausmaß von 95 Stunden und im Jahr 2020 (17.06.-18.06.2020, 22.06.-24.06.2020 und 29.06.-01.07.2020) im Ausmaß von 53 Stunden freiwillig im Bereich des kommunalen Bauhofs der XXXX mitgearbeitet. Der BF2 arbeitet seit Septmeber 2019 ehrenamtlich als Schülerlotse für die XXXX . Der BF2 hat im November 2018 und im November 2019 jeweils in der XXXX freiwillig bei einer Lebensmittelaktion für bedürftige Menschen in Österreich mitgeholfen.

2.1.12. Der BF3 ist gesund. Der BF3 hat von 2016 bis 2020 die XXXX besucht. Er besucht seit September 2020 ein Gymnasium in XXXX . Der persönliche Kontakt zu den LehrerInnen der BF3 und BF4 wird in erster Linie durch den BF2, deutlich weniger durch die BF1 gehalten.

2.1.13. Der BF4 besucht derzeit die 3. Klasse XXXX . Im vergangenen Schuljahr (2019/2020) hat er die 2. Klasse der XXXX besucht und hat diese nicht erfolgreich abgeschlossen. Er wurde im Unterrichtsfach „Deutsch“ negativ beurteilt und beschrieben, dass leider kein Interesse und keine Lust bei ihm vorhanden sei. Auch die Lernzeit zuhause habe er nicht genutzt. Im Schuljahr 2017/2018 hat er die 1. Klasse der XXXX besucht, ohne beurteilt worden zu sein.

Der BF4 hatte im Jahr 2015 eine Darmerkrankung, wegen der er zwei Jahre lang Medikamente genommen hat und derzeit alle zwei bis drei Monate zur Kontrolle muss. Am 13.12.2015 wurde ein incipienter respiratorischer Infekt diagnostiziert. Von 03.03.2016 bis 08.03.2016 befand sich der BF4 aufgrund einer erneuten Proteinurie bei Z.n. nephrotischem Syndrom in stationärer Behandlung im Universitätsklinikum XXXX .

2.1.14. Die BF1, der BF2, der BF3 und der BF4 sind in Österreich strafrechtlich unbescholten.

2.1.15.  XXXX , der zweitälteste Sohn der BF1 und des BF2 hat in Afghanistan nie regelmäßig eine Schule besucht. Er hat seinen Vater, der als Autofahrer Menschen befördert hat, begleitet und unterstützt (z.B. Reisende verpflegt). Während seines ca. vierzehnmonatigen Aufenthaltes im Iran hat er in der Landwirtschaft gearbeitet.

XXXX hat von 28.01.2016 bis 08.07.2016 die Neue Mittelschule XXXX besucht. Er hat in den Schuljahren 2016/17 und 2017/18 die XXXX Schule XXXX besucht und wurde nicht beurteilt.

XXXX hat von 17.09.2018 bis 28.06.2019 am Bildungsangebot „ XXXX “ teilgenommen. Er besucht derzeit keinen Deutschkurs in Österreich. Er hat bisher keine Deutschprüfung abgelegt.

Er hat in Österreich zwei bis drei Monate als Automeachanikerhilfe und im Rahmen des XXXX ein Praktikum in einer Küche gemacht. Er hat insgesamt ca. 20 Stunden in einem Altersheim ausgeholfen.

XXXX ist volljährig. Er lebt derzeit in der selben Unterkunft in Österreich wie die BF1, der BF2, der BF3 und der BF4, jedoch in einem separaten Zimmer.

XXXX führt seit ca. Oktober 2018 eine Fernbeziehung mit einer Frau namens XXXX , geb. XXXX , einer syrischen Staatsangehörigen, der in Österreich Asyl zuerkannt wurde. Sie leben in getrennten Haushalten. Es besteht keine finanzielle Abhängigkeit zwischen den Beiden.

Über XXXX wurde mit Urteil des Bezirksgerichts XXXX vom 13.06.2018 (rk seit 19.06.2018), GZ 19 U 13/2018z, wegen § 15 iVm. § 127 StGB eine Geldstrafe von 60 Tagessätzen verhängt. Dies deshalb, da er gemeinsam mit zwei weiteren Tätern versucht hat, in einem Supermarkt zwei Flaschen Whiskey im Wert von insgesamt EUR 21,88 zu stehlen. Mildernd wurden das reumütige Geständnis und der bisher ordentliche Lebenswandel, erschwerend nichts berücksichtigt.

Über XXXX wurde mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen XXXX vom 22.11.2018 (rk seit 27.11.2018), GZ 20 Hv 44/2018z, wegen §§ 27 Abs. 1 Z 1 2. Fall, 27 Abs. 2 SMG und § 28a Abs. 1 5. Fall SMG eine bedingte Freiheitsstrafe von 8 Monaten verhängt. Dies deshalb, da er in XXXX über einen Zeitraum von sechs Monaten vorschriftswidrig anderen in einer die Grenzmenge übersteienden Menge Suchtgift überlassen hat. Dies deshalb, da er weiters zum Zweck des gewinnbringenden Verkaufs sowie zum persönlichen Gebrauch vorschriftswidrig Suchtgif besessen hat. Mildernd wurde die reumütige und der Wahrheitsfindung enorm dienliche umfassend geständige Verantwortung berücksichtigt. Erschwerdend wurde das Zusammentreffen eines Verbrechens mit zwei Vergehen derselben Art, die Tatbegehing teils während anhängigen Strafverfahrens und teils im raschen Rückfall nach der Verurteilung durch das BG XXXX zu XXXX , die eine auf der gleichen schädlichen Neigung beruhende Vorstrafe sowie das mehrfache Überschreiten der Grenzmenge berücksichtigt.

Über XXXX wurde mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen XXXX vom 12.04.2019 (rk seit 12.04.2019), GZ 19 Hv 15/2019d, wegen §§ 27 Abs. 2a 2. Fall, 27 Abs. 3, 27 Abs. 2a 1. Fall, 27 Abs. 1 Z 1 2. Fall, 27 Abs. 2 SMG eine Freiheitsstrafe von 4 Monaten verhängt. Dies deshalb, da er anderen an einem öffentlich zugänglichen Ort vorschriftswidrig gegen Entgelt Suchtgift überlassen wollte, um sich dadurch durch wiederkehrende Begehung längere Zeit hindurch ein nicht bloß geringfügiges fortlaufendes Einkommen verschaffen wollte. Dies deshalb, da er weiters über einen Zeitraum von drei Monaten vorschriftswidrig Suchtgift zum Eigenkonsum zum persönlichen Gebrauch bei sich hatte. Mildernd wurden das umfassende und reumütige Geständnis und der teilweise Versuch berücksichtigt. Erschwerend wurde das Zusammentreffen mehrerer strafbarer Handlungen derselben Art, die einschlägige Vorstrafe und die Tatbegehung während offeneer Probezeit berücksichtigt.

Über XXXX wurde mit Urteil des Bezirksgerichts XXXX vom 30.09.2019 (rk seit 04.10.2019), GZ 214 U 33/2019x, wegen § 83 Abs. 1 StGB eine Freiheitsstrafe von 3 Monaten verhängt. Dies deshalb, da er am 22.11.2018 in der Justizanstalt XXXX zwei Opfer jeweils durch mehrfaches Einschlagen mit einem Besenstiel verletzt und am 09.06.2019 ein Opfer durch Versetzen eines Faustschlages in desen Gesichtsbereich verletzt hat. Mildernd wurde das Geständnis, erschwerend das Zusammentreffen mehrerer Vergehen, die Begehung der Taten während offener Probezeiten sowie zwei auf der gleichen schädlichen Neigung beruhende Vorverurteilungen berücksichtigt.


Der BF befand sich von 07.11.2018 bis 22.11.2018, 20.03.2019 bis 23.05.2019 und 17.02.2020 bis 15.05.2020 in der Justizanstalt XXXX .

XXXX nimmt seit August 2018 unregelmäßig psychologischer Behandlung in Anspruch. Er nimmt keine Medikamente. Er ist ohne Einschränkungen arbeitsfähig.

2.1.16.  Die BF1, der BF2, der BF3, der BF4 und XXXX stellten nach illegaler Einreise in Österreich am 13.12.2015 die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz.

2.1.17.  XXXX , der älteste Sohn der BF1 und des BF2, stellte am 01.11.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Sein Antrag auf internationalen Schutz wurde mit Bescheid des BFA vom 04.06.2018, Zl. 1093022502-151667146, abgewiesen. Das BFA erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest. Die gegen den Bescheid des BFA erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 24.10.2018, GZ: W122 2200584-1/13E, als unbegründet abgewiesen. Die dagegen erhobene außerordentliche Revision wurde mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 25.05.2020, Ra 2019/19/0411, zurückgewiesen.

XXXX ist mit Hauptwohnsitz an derselben Adresse in Österreich gemeldet, wie die BF1, der BF2, der BF3 und der BF4. Zwischen der BF1, dem BF2, dem BF3 und dem BF4 einerseits sowie XXXX andererseits besteht seit drei Monaten kein Kontakt mehr. Der aktuelle Aufenthaltsort von XXXX ist den Beschwerdeführern unbekannt.

2.2.    Zu den Fluchtgründen der Beschwerdeführer und einer Rückkehr nach Afghanistan:

2.2.1.   Die Beschwerdeführer konnten nicht glaubhaft machen, dass der BF2 ein Mitglied der Taliban (sei es seinen Cousin oder eine andere Person) angezeigt hat und aus diesem Grund einer Verfolgung durch die Taliban ausgesetzt war oder im Falle der Rückkehr nach Afghanistan einer konkret gegen ihn (BF2) gerichteten Verfolgung seitens der Taliban ausgesetzt wäre.

Die Beschwerdeführer konnten nicht glaubhaft machen, dass die BF1, der BF3, der BF4 und XXXX in ihrem Haus, in ihrem Heimatdorf von den Taliban aufgesucht, bedroht, geschlagen und verfolgt wurden oder im Falle der Rückkehr nach Afghanistan einer konkret gegen sie gerichteten Verfolgung seitens der Taliban ausgesetzt wären.

2.2.2.  Die BF1, der BF2, der BF3, der BF4 und XXXX waren weder in Afghanistan noch im Iran einer konkret gegen sie gerichteten Verfolgung ausgesetzt und wären im Falle der Rückkehr nach Afghanistan keiner konkret gegen sie gerichteten Verfolgung ausgesetzt.

2.2.3.  Die BF1, der BF2, der BF3, der BF4 und XXXX wurden in Afghanistan niemals inhaftiert und hatten mit den Behörden ihres Herkunftsstaates weder auf Grund ihrer Rasse, Nationalität, ihres Religionsbekenntnisses oder ihrer Volksgruppenzugehörigkeit noch sonst irgendwelche Probleme. Die BF1, der BF2, der BF3, der BF4 und XXXX waren nie politisch tätig und gehörten nie einer politischen Partei an.

2.2.4.  Bei der BF1 handelt es sich nicht um eine auf Eigenständigkeit bedachte Frau, die in ihrer persönlichen Wertehaltung und Lebensweise an dem in Europa mehrheitlich gelebten, allgemein als „westlich" bezeichneten Frauen- und Gesellschaftsbild orientiert ist. Das Verhalten der BF1 in Österreich unterscheidet sich kaum von ihrem Verhalten in Afghanistan. Es werden von ihr in Österreich keine erkennbaren Verhaltensweisen an den Tag gelegt, auf Grund derer sie im Falle ihrer Rückkehr nach Afghanistan von dem dortigen konservativen Umfeld als eine am westlichen Frauen- und Gesellschaftsbild orientierte Frau angesehen werden würde. Es gibt keinen Hinweis, dass die BF1 im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan einer konkret gegen sie gerichteten Verfolgung ausgesetzt wäre. Die BF hat die traditionellen sozialen Normen (in einer landesweit üblichen und weit verbreiteten Form) in ihrem Herkunftsstaat weder grundlegend und nachhaltig abgelehnt, noch ist sie seit ihrer Einreise in Österreich von einem intensiven und nachhaltigen Streben nach Selbständigkeit und Unabhängigkeit in Lebensführung und Beruf erfüllt, geschweige denn, setzt sie entsprechende nach Außen erkennbare solche Schritte. Das Risiko einer Verfolgung aufgrund einer ostentativen Ablehnung der gesellschaftlichen Normen ihres Herkunftsstaates liegt derzeit jedenfalls nicht vor.

2.2.5.  Die minderjährigen BF3 und BF4 hätten nicht aufgrund persönlicher Eigenschaften, insbesondere ihrer Eigenschaft als Kinder, in Afghanistan im Falle ihrer Rückkehr eine konkret gegen sie gerichtete Bedrohung zu befürchten. Der BF3 und der BF4 laufen insbesondere keiner konkreten Gefahr, Opfer von (häuslicher) Gewalt, Bedrohung, Entführung, Elend oder einer Zwangsheirat zu werden. Die BF1 und der BF2 umsorgen ihre Kinder und haben nicht vor, diese durch Zwang zu verheiraten.

2.2.6.  Es kann nicht festgestellt werden, dass die BF1, der BF2, der BF3 und der BF4 im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan sowohl Zugang zu einem traditionellen Unterstützungsnetzwerk durch Mitglieder der Familie oder Mitglieder ihrer ethnischen Gruppe, die sie sowohl in finanzieller als auch sozialer Weise effektiv unterstützen würden und gleichzeitig Zugang zu Unterkunft, grundlegender Versorgung wie sanitärer Infrastruktur, Gesundheitsdiensten und Bildung und zu Erwerbsmöglichkeiten haben.

2.2.7.  Die Herkunftsprovinz der BF1, des BF2, des BF3 und des BF4 ist derzeit nicht sicher.

2.2.8.  Der BF1, dem BF2, dem BF3 und dem BF4 würde derzeit bei einer Rückkehr in Afghanistan und erstmaligen Ansiedlung in außerhalb ihrer Herkunftsprovinz liegenden Gebiete, wie insbesondere den Städten XXXX , Mazar-e Sharif und XXXX , ein Eingriff in ihre körperliche Unversehrtheit drohen. Zudem liefen sie bei einer Rückkehr nach Afghanistan und erstmaligen Ansiedlung in den Städten XXXX , Mazar-e Sharif und XXXX mangels ausreichender familiärer (finanzieller und sozialer) Unterstützung Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.

2.3.    Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

Aufgrund der im Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht in das Verfahren eingeführten aktuellen Erkenntnisquellen werden folgende entscheidungsrelevante Feststellungen zum Herkunftsstaat der BF1, des BF2, des BF3 und des BF4 getroffen:

2.3.1.  Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation mit Stand vom 21.07.2020:

1.       COVID-19:

1.1.    Aktueller Stand der COVID-19 Krise in Afghanistan

Berichten zufolge, haben sich in Afghanistan mehr als 35.000 Menschen mit COVID-19 angesteckt (WHO 20.7.2020; vgl. JHU 20.7.2020, OCHA 16.7.2020), mehr als 1.280 sind daran gestorben. Aufgrund der begrenzten Ressourcen des öffentlichen Gesundheitswesens und der begrenzten Testkapazitäten sowie des Fehlens eines nationalen Sterberegisters werden bestätigte Fälle von und Todesfälle durch COVID-19 in Afghanistan wahrscheinlich insgesamt zu wenig gemeldet (OCHA 16.7.2020; vgl. DS 19.7.2020). 10 Prozent der insgesamt bestätigten COVID-19-Fälle entfallen auf das Gesundheitspersonal. Kabul ist hinsichtlich der bestätigten Fälle nach wie vor der am stärksten betroffene Teil des Landes, gefolgt von den Provinzen Herat, Balkh, Nangarhar und Kandahar (OCHA 15.7.2020). Beamte in der Provinz Herat sagten, dass der Strom afghanischer Flüchtlinge, die aus dem Iran zurückkehren, und die Nachlässigkeit der Menschen, die Gesundheitsrichtlinien zu befolgen, die Möglichkeit einer neuen Welle des Virus erhöht haben, und dass diese in einigen Gebieten bereits begonnen hätte (TN 14.7.2020). Am 18.7.2020 wurde mit 60 neuen COVID-19 Fällen der niedrigste tägliche Anstieg seit drei Monaten verzeichnet – wobei an diesem Tag landesweit nur 194 Tests durchgeführt wurden (AnA 18.7.2020).

Krankenhäuser und Kliniken berichten weiterhin über Probleme bei der Aufrechterhaltung oder Erweiterung der Kapazität ihrer Einrichtungen zur Behandlung von Patienten mit COVID-19. Diese Herausforderungen stehen im Zusammenhang mit der Bereitstellung von persönlicher Schutzausrüstung (PSA), Testkits und medizinischem Material sowie mit der begrenzten Anzahl geschulter Mitarbeiter - noch verschärft durch die Zahl des erkrankten Gesundheitspersonals. Es besteht nach wie vor ein dringender Bedarf an mehr Laborequipment sowie an der Stärkung der personellen Kapazitäten und der operativen Unterstützung (OCHA 16.7.2020, vgl. BBC-News 30.6.2020).

Maßnahmen der afghanischen Regierung und internationale Hilfe

Die landesweiten Sperrmaßnahmen der Regierung Afghanistans bleiben in Kraft. Universitäten und Schulen bleiben weiterhin geschlossen (OCHA 8.7.2020; vgl. RA KBL 16.7.2020). Die Regierung Afghanistans gab am 6.6.2020 bekannt, dass sie die landesweite Abriegelung um drei weitere Monate verlängern und neue Gesundheitsrichtlinien für die Bürger herausgeben werde. Darüber hinaus hat die Regierung die Schließung von Schulen um weitere drei Monate bis Ende August verlängert (OCHA 8.7.2020).

Berichten zufolge werden die Vorgaben der Regierung nicht befolgt, und die Durchsetzung war nachsichtig (OCHA 16.7.2020, vgl. TN 12.7.2020). Die Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des Virus unterscheiden sich weiterhin von Provinz zu Provinz, in denen die lokalen Behörden über die Umsetzung der Maßnahmen entscheiden. Zwar behindern die Sperrmaßnahmen der Provinzen weiterhin periodisch die Bewegung der humanitären Helfer, doch hat sich die Situation in den letzten Wochen deutlich verbessert, und es wurden weniger Behinderungen gemeldet (OCHA 15.7.2020).

Einwohner Kabuls und eine Reihe von Ärzten stellten am 18.7.2020 die Art und Weise in Frage, wie das afghanische Gesundheitsministerium (MoPH) mit der Ausbreitung der COVID-19-Pandemie im Land umgegangen ist, und sagten, das Gesundheitsministerium habe es trotz massiver internationaler Gelder versäumt, richtig auf die Pandemie zu reagieren (TN 18.7.2020). Es gibt Berichte wonach die Bürger angeben, dass sie ihr Vertrauen in öffentliche Krankenhäuser verloren haben und niemand mehr in öffentliche Krankenhäuser geht, um Tests oder Behandlungen durchzuführen (TN 12.7.2020).

Beamte des afghanischen Gesundheitsministeriums erklärten, dass die Zahl der aktiven Fälle von COVID-19 in den Städten zurückgegangen ist, die Pandemie in den Dörfern und in den abgelegenen Regionen des Landes jedoch zunimmt. Der Gesundheitsminister gab an, dass 500 Beatmungsgeräte aus Deutschland angekauft wurden und 106 davon in den Provinzen verteilt werden würden (TN 18.7.2020).

Am Samstag den 18.7.2020 kündete die afghanische Regierung den Start des Dastarkhan-e-Milli-Programms als Teil ihrer Bemühungen an, Haushalten inmitten der COVID-19-Pandemie zu helfen, die sich in wirtschaftlicher Not befinden. Auf der Grundlage des Programms will die Regierung in der ersten Phase 86 Millionen Dollar und dann in der zweiten Phase 158 Millionen Dollar bereitstellen, um Menschen im ganzen Land mit Nahrungsmitteln zu versorgen. Die erste Phase soll über 1,7 Millionen Familien in 13.000 Dörfern in 34 Provinzen des Landes abdecken (TN 18.7.2020; vgl. Mangalorean 19.7.2020).

Die Weltbank genehmigte am 15.7.2020 einen Zuschuss in Höhe von 200 Millionen US-Dollar, um Afghanistan dabei zu unterstützen, die Auswirkungen von COVID-19 zu mildern und gefährdeten Menschen und Unternehmen Hilfe zu leisten (WB 10.7.2020; vgl. AN 10.7.2020).

Auszugsweise Lage in den Provinzen Afghanistans

Dieselben Maßnahmen – nämlich Einschränkungen und Begrenzungen der täglichen Aktivitäten, des Geschäftslebens und des gesellschaftlichen Lebens – werden in allen folgend angeführten Provinzen durchgeführt. Die Regierung hat eine Reihe verbindlicher gesundheitlicher und sozialer Distanzierungsmaßnahmen eingeführt, wie z.B. das obligatorische Tragen von Gesichtsmasken an öffentlichen Orten, das Einhalten eines Sicherheitsabstandes von zwei Metern in der Öffentlichkeit und ein Verbot von Versammlungen mit mehr als zehn Personen. Öffentliche und touristische Plätze, Parks, Sportanlagen, Schulen, Universitäten und Bildungseinrichtungen sind geschlossen; die Dienstzeiten im privaten und öffentlichen Sektor sind auf 6 Stunden pro Tag beschränkt und die Beschäftigten werden in zwei ungerade und gerade Tagesschichten eingeteilt (RA KBL 16.7.2020; vgl. OCHA 8.7.2020).

Die meisten Hotels, Teehäuser und ähnliche Orte sind aufgrund der COVID-19 Maßnahmen geschlossen, es sei denn, sie wurden geheim und unbemerkt von staatlichen Stellen geöffnet (RA KBL 16.7.2020; vgl. OCHA 8.7.2020).

In der Provinz Kabul gibt es zwei öffentliche Krankenhäuser die COVID-19 Patienten behandeln mit 200 bzw. 100 Betten. Aufgrund der hohen Anzahl von COVID-19-Fällen im Land und der unzureichenden Kapazität der öffentlichen Krankenhäuser hat die Regierung kürzlich auch privaten Krankenhäusern die Behandlung von COVID-19-Patienten gestattet. Kabul sieht sich aufgrund von Regen- und Schneemangel, einer boomenden Bevölkerung und verschwenderischem Wasserverbrauch mit Wasserknappheit konfrontiert. Außerdem leben immer noch rund 12 Prozent der Menschen in Kabul unter der Armutsgrenze, was bedeutet, dass oftmals ein erschwerter Zugang zu Wasser besteht (RA KBL 16.7.2020; WHO o.D).

In der Provinz Balkh gibt es ein Krankenhaus, welches COVID-19 Patienten behandelt und über 200 Betten verfügt. Es gibt Berichte, dass die Bewohner einiger Distrikte der Provinz mit Wasserknappheit zu kämpfen hatten. Darüber hinaus hatten die Menschen in einigen Distrikten Schwierigkeiten mit dem Zugang zu ausreichender Nahrung, insbesondere im Zuge der COVID-19-Pandemie (RA KBL 16.7.2020).

In der Provinz Herat gibt es zwei Krankenhäuser die COVID-19 Patienten behandeln. Ein staatliches öffentliches Krankenhaus mit 100 Betten, das vor kurzem speziell für COVID-19-Patienten gebaut wurde (RA KBL 16.7.2020; vgl. TN 19.3.2020) und ein Krankenhaus mit 300 Betten, das von einem örtlichen Geschäftsmann in einem umgebauten Hotel zur Behandlung von COVID-19-Patienten eingerichtet wurde (RA KBL 16.7.2020; vgl. TN 4.5.2020). Es gibt Berichte, dass 47,6 Prozent der Menschen in Herat unter der Armutsgrenze leben, was bedeutet, dass oft ein erschwerter Zugang zu sauberem Trinkwasser und Nahrung haben, insbesondere im Zuge der Quarantäne aufgrund von COVID-19, durch die die meisten Tagelöhner arbeitslos blieben (RA KBL 16.7.2020; vgl. UNICEF 19.4.2020).

In der Provinz Daikundi gibt es ein Krankenhaus für COVID-19-Patienten mit 50 Betten. Es gibt jedoch keine Auswertungsmöglichkeiten für COVID-19-Tests – es werden Proben entnommen und zur Laboruntersuchung nach Kabul gebracht. Es dauert Tage, bis ihre Ergebnisse von Kabul nach Daikundi gebracht werden. Es gibt Berichte, dass 90 Prozent der Menschen in Daikundi unter der Armutsgrenze leben und dass etwa 60 Prozent der Menschen in der Provinz stark von Ernährungsunsicherheit betroffen sind (RA KBL 16.7.2020).

In der Provinz Samangan gibt es ebenso ein Krankenhaus für COVID-19-Patienten mit 50 Betten. Wie auch in der Provinz Daikundi müssen Proben nach Kabul zur Testung geschickt werden. Eine unzureichende Wasserversorgung ist eine der größten Herausforderungen für die Bevölkerung. Nur 20 Prozent der Haushalte haben Zugang zu sauberem Trinkwasser (RA KBL 16.7.2020).

Wirtschaftliche Lage in Afghanistan

Verschiedene COVID-19-Modelle zeigen, dass der Höhepunkt des COVID-19-Ausbruchs in Afghanistan zwischen Ende Juli und Anfang August erwartet wird, was schwerwiegende Auswirkungen auf die Wirtschaft Afghanistans und das Wohlergehen der Bevölkerung haben wird (OCHA 16.7.2020). Es herrscht weiterhin Besorgnis seitens humanitärer Helfer, über die Auswirkungen ausgedehnter Sperrmaßnahmen auf die am stärksten gefährdeten Menschen – insbesondere auf Menschen mit Behinderungen und Familien – die auf Gelegenheitsarbeit angewiesen sind und denen alternative Einkommensquellen fehlen (OCHA 15.7.2020). Der Marktbeobachtung des World Food Programme (WFP) zufolge ist der durchschnittliche Weizenmehlpreis zwischen dem 14. März und dem 15. Juli um 12 Prozent gestiegen, während die Kosten für Hülsenfrüchte, Zucker, Speiseöl und Reis (minderwertige Qualität) im gleichen Zeitraum um 20 – 31 Prozent gestiegen sind (WFP 15.7.2020, OCHA 15.7.2020). Einem Bericht der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der UNO (FAO) und des Ministeriums für Landwirtschaft, Bewässerung und Viehzucht (MAIL) zufolge sind über 20 Prozent der befragten Bauern nicht in der Lage, ihre nächste Ernte anzubauen, wobei der fehlende Zugang zu landwirtschaftlichen Betriebsmitteln und die COVID-19-Beschränkungen als Schlüsselfaktoren genannt werden. Darüber hinaus sind die meisten Weizen-, Obst-, Gemüse- und Milchverarbeitungsbetriebe derzeit nur teilweise oder gar nicht ausgelastet, wobei die COVID-19-Beschränkungen als ein Hauptgrund für die Reduzierung der Betriebe genannt werden. Die große Mehrheit der Händler berichtete von gestiegenen Preisen für Weizen, frische Lebensmittel, Schafe/Ziegen, Rinder und Transport im Vergleich zur gleichen Zeit des Vorjahres. Frischwarenhändler auf Provinz- und nationaler Ebene sahen sich im Vergleich zu Händlern auf Distriktebene mit mehr Einschränkungen konfrontiert, während die große Mehrheit der Händler laut dem Bericht von teilweisen Marktschließungen aufgrund von COVID-19 berichtete (FAO 16.4.2020; vgl. OCHA 16.7.2020; vgl. WB 10.7.2020).

Am 19.7.2020 erfolgte die erste Lieferung afghanischer Waren in zwei Lastwagen nach Indien, nachdem Pakistan die Wiederaufnahme afghanischer Exporte nach Indien angekündigt hatte um den Transithandel zu erleichtern. Am 12.7.2020 öffnete Pakistan auch die Grenzübergänge Angor Ada und Dand-e-Patan in den Provinzen Paktia und Paktika für afghanische Waren, fast zwei Wochen nachdem es die Grenzübergänge Spin Boldak, Torkham und Ghulam Khan geöffnet hatte (TN 20.7.2020).

Einreise und Bewegungsfreiheit

Die Türkei hat, nachdem internationale Flüge ab 11.6.2020 wieder nach und nach aufgenommen wurden, am 19.7.2020 wegen der COVID-19-Pandemie Flüge in den Iran und nach Afghanistan bis auf weiteres ausgesetzt, wie das Ministerium für Verkehr und Infrastruktur mitteilte (TN 20.7.2020; vgl. AnA 19.7.2020, DS 19.7.2020).

Bestimmte öffentliche Verkehrsmittel wie Busse, die mehr als vier Passagiere befördern, dürfen nicht verkehren. Obwohl sich die Regierung nicht dazu geäußert hat, die Reisebeschränkungen für die Bürger aufzuheben, um die Ausbreitung von COVID-19 zu verhindern, hat sich der Verkehr in den Städten wieder normalisiert, und Restaurants und Parks sind wieder geöffnet (TN 12.7.2020).

1.2.    Stand 29.06.2020 – Gesellschaftliche Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19 Auswirkungen

In Kabul, hat sich aus der COVID-19-Krise heraus ein "Solidaritätsprogramm" entwickelt, welches später in anderen Provinzen repliziert wurde. Eine afghanische Tageszeitung rief Hausbesitzer dazu auf, jenen ihrer Mieter/innen, die Miete zu reduzieren oder zu erlassen, die aufgrund der Ausgangsbeschränkungen nicht arbeiten konnten. Viele Hausbesitzer folgten dem Aufruf (AF 24.6.2020).

Bei der Spendenaktion „Kocha Ba Kocha“ kamen junge Freiwillige zusammen, um auf die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie zu reagieren, indem sie Spenden für bedürftige Familien sammelten und ihnen kostenlos Nahrungsmittel zur Verfügung stellten. In einem weiteren Fall startete eine Privatbank eine Spendenkampagne, durch die 10.000 Haushalte in Kabul und andere Provinzen monatlich mit Lebensmitteln versorgt wurden. Außerdem initiierte die afghanische Regierung das sogenannte „kostenlose Brot“-Programm; bei dem bedürftige Familien – ausgewählt durch Gemeindeälteste – rund einen Monat lang mit kostenlosem Brot versorgt werden (AF 24.6.2020). In dem mehrphasigen Projekt, erhält täglich jede Person innerhalb einer Familie zwei Stück des traditionellen Brots, von einer Bäckerei in der Nähe ihres Wohnortes (TN 15.6.2020). Die Regierung kündigte kürzlich an, das Programm um einen weiteren Monat zu verlängern (AF 24.6.2020; vgl. TN 15.6.2020). Beispielsweise beklagten sich bedürftige Familien in der P

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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