TE Bvwg Beschluss 2020/10/19 W248 2207975-2

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Veröffentlicht am 19.10.2020
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Entscheidungsdatum

19.10.2020

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §33 Abs1

Spruch

W248 2207975-2/12E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. NEUBAUER über den Antrag des afghanischen Staatsangehörigen XXXX , geb. XXXX , vertreten durch XXXX , nunmehr vertreten durch XXXX , vom XXXX auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung einer Beschwerde gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom XXXX , Zl. XXXX beschlossen:

A)

Dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vom XXXX wird gemäß § 33 Abs. 1 VwGVG nicht stattgegeben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Begründung:

1        Verfahrensgang:

1.1. Mit Bescheid vom XXXX , Zl. XXXX , wies das XXXX (im Folgenden BFA) den Antrag des afghanischen Staatsangehörigen XXXX , geb. XXXX (im Folgenden: Wiedereinsetzungswerber) auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 i.V.m. § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005 (AsylG) (Spruchteil I.) als auch des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 i.V.m. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchteil II.) ab. Unter einem sprach das BFA aus, dass dem nunmehrigen Wiedereinsetzungswerber ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt werde (Spruchteil III.), gegen ihn gestützt auf § 52 Abs. 2 Z 2 FPG, § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG und § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) eine Rückkehrentscheidung erlassen werde (Spruchteil IV.) sowie gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt werde, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchteil V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG beträgt die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchteil VI.).

Der Bescheid wurde dem Wiedereinsetzungswerber am 13.09.2018 durch Hinterlegung zugestellt.

1.2. Am 15.10.2018 erhob der schon damals rechtsfreundlich vertretene nunmehrige Wiedereinsetzungswerber Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid.

1.3. Mit Schreiben vom 18.10.2018 (eingelangt am 19.10.2018) legte das BFA die Beschwerde samt Bezug habendem Akt dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor.

1.4. Mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichtes vom 23.10.2018 wurde dem Wiedereinsetzungswerber vorgehalten, dass seine Beschwerde gegen den Bescheid des BFA verspätet eingebracht wurde.

1.5. Der Wiedereinsetzungswerber brachte am 07.11.2018 im Wege seiner damaligen Rechtsvertretung einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung einer Beschwerde ein, in welchem er zusammengefasst Folgendes ausführte:

Sein erster Besprechungstermin mit dem damals einschreitenden Rechtsanwalt habe am 02.10.2018 stattgefunden. Er habe dem Rechtsanwalt mitgeteilt, dass er nicht genau wisse, wann er den Bescheid erhalten habe, und dass das Kuvert nicht mehr verfügbar sei. Folglich habe ein Mitarbeiter des Rechtsanwalts telefonisch Kontakt mit dem BFA aufgenommen und nachgefragt, wann der Bescheid dem Wiedereinsetzungswerber zugestellt worden sei. Einem näher bezeichneten Mitarbeiter des Rechtsanwalts sei daraufhin mitgeteilt worden, dass der Bescheid am 17.09.2018 hinterlegt worden sei. Die Beschwerde vom 15.10.2018 sei sohin fristgerecht eingebracht worden. Dass sich der Mitarbeiter des Rechtsanwalts verhört habe, könne „nahezu“ ausgeschlossen werden. Sollte es sich jedoch tatsächlich um ein Kommunikationsproblem gehandelt haben, liege jedenfalls bloß ein minderer Grad des Versehens vor. So erkläre der Rechtsanwalt an Eides Statt, dass er bislang noch kein Fehlverhalten seiner Mitarbeiter feststellen habe können, die Kommunikation mit den Mandanten und Behörden sowie Gerichten stets einwandfrei und zur vollsten Zufriedenheit erfolgt sei und er in seiner gesamten Tätigkeit als Rechtsanwalt noch keine einzige Frist versäumt habe. Derjenige Mitarbeiter, welcher mit der gegenständlichen Nachfrage beim BFA betraut gewesen sei, sei bereits seit geraumer Zeit bei dem Rechtsanwalt tätig, weshalb dieser sich auf dessen Zuverlässigkeit verlassen habe dürfen.

Darüber hinaus sei eine kurze Notiz über das Telefonat erstellt worden. Insofern handle es sich jedenfalls bloß um einen minderen Grad des Versehens seitens der einschreitenden Kanzlei, sodass die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen sei.

Im Schriftsatz war nochmals die Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid enthalten. Weiters wurden eine eidesstattliche Erklärung des Mitarbeiters des einschreitenden Rechtsanwalts vom 07.11.2018 und ein Screenshot betreffend ein am 03.10.2018 um 13:23 Uhr geführtes Ferngespräch (Telefonnummer XXXX ; Dauer 1 Minute 16 Sekunden) vorgelegt.

1.6. Mit Schreiben Bundesverwaltungsgerichtes vom 12.11.2018 wurde das BFA um eine Stellungnahme zu den Angaben und der Begründung des Wiedereinsetzungsantrages ersucht.

1.7. In seiner Stellungnahme führte das BFA aus, dass laut vorliegendem Antrag auf Wiedereinsetzung am 03.10.2018 um 13:23 Uhr die Telefonnummer XXXX angerufen worden sei und dieses Telefonat 1 Minute und 16 Sekunden gedauert habe. Bei der genannten Telefonnummer (Klappe XXXX ) handle es sich allerdings nicht um die Telefonnummer, mit welcher die Erstaufnahmestelle West nach außen auftrete (dies sei die Klappe XXXX ), sondern um die Nummer der Telefonvermittlung, wo keine Auskünfte erteilt würden, sondern die Anrufer an die jeweiligen Sachbearbeiter bzw. – im Fall der Abwesenheit der Sachbearbeiter – an den Journaldienst weiterverbunden würden. Wenn der Anrufer den zuständigen Sachbearbeiter nicht namentlich kenne, werde von der Telefonvermittlung im Protokollsystem IFA der Sachbearbeiter ermittelt. Die für den Akt des nunmehrigen Wiedereinsetzungswerbers zuständige Sachbearbeiterin sei Anfang Oktober 2018 nicht im Haus gewesen, sodass eingehende Anrufe betreffend den Akt des Wiedereinsetzungswerbers (IFA XXXX ) an den Journaldienst weiterzuleiten gewesen seien. Die Durchsicht der Journaldienstprotokolle habe ergeben, dass am 01.10.2018 um 12:55 Uhr von einer Rechtsanwaltskanzlei um Auskunft betreffend die Zustellung des Bescheides IFA XXXX ersucht worden sei. Der Journaldienst habe die Auskunft verweigert, da im Akt keine Vollmacht aufgelegen sei. Am 03.10.2018 (d.h. an dem Tag, an welchem laut Wiedereinsetzungsantrag die Auskunft betreffend die Zustellung des Bescheides eingeholt wurde) sei kein Eintrag einer passenden Auskunftserteilung (weder zum im Wiedereinsetzungsantrag angegebenen Zeitpunkt noch zur IFA-Zahl XXXX ) vorhanden. Dem an diesem Tag Journaldienst versehenden Beamten sei auch der im Wiedereinsetzungsantrag genannte Mitarbeiter der Rechtsanwaltskanzlei nicht erinnerlich. Eine beim Bundesministerium für Inneres (BMI) eingeholte Auswertung der Hintergrundprotokollierung habe ergeben, dass am 03.10.2018 zwischen 13:15 und 13:30 Uhr kein Zugriff zum IFA-Protokoll XXXX erfolgt sei. Der entsprechende Schriftverkehr mit der IKT-Protokolltechnik des BMI wurde vom BFA mit der Stellungnahme vorgelegt.

Ohne Nachschau im Protokollsystem IFA könnten Auskünfte zu Verfahrensdaten überhaupt nicht – und zwar auch nicht bei Nachschau im physischen Akt, da auch in diesem Fall eine Protokollanfrage notwendig sei, um den konkreten Lagerort des Aktes eruieren zu können – erteilt werden. Da jedoch kein entsprechender Zugriff erfolgt sei, gehe das BFA davon aus, dass die im Wiedereinsetzungsantrag angeführte Auskunftserteilung nicht erfolgt sei.

Wie das BFA in seiner Stellungnahme weiters ausführte, spreche auch die sehr kurze Dauer des im Wiedereinsetzungsantrag genannten Telefonats am 03.10.2018 (1 Minute und 16 Sekunden) gegen eine Auskunftserteilung durch das BFA, da innerhalb dieses sehr kurzen Zeitrahmens ein Weiterverbinden von der Telefonvermittlung zum Journaldienst, die dortige Schilderung des Anliegens durch den Anrufer, die Durchführung von Erhebungen und die Auskunftserteilung gar nicht möglich seien. Es sei daher davon auszugehen, dass der Kanzlei des damaligen Rechtsvertreters des nunmehrigen Wiedereinsetzungswerbers am 03.10.2018 nicht die Auskunft erteilt worden sei, dass der Bescheid XXXX erst am 17.09.2018 hinterlegt worden wäre.

Das BFA schloss seine Stellungnahme mit dem Ersuchen, den Wiedereinsetzungsantrag zurückzuweisen bzw. abzuweisen.

1.8. Mit Schreiben vom 19.02.2019 gab der Wiedereinsetzungswerber bekannt, nunmehr ausschließlich XXXX mit seiner rechtsfreundlichen Vertretung beauftragt zu haben, und ersuchte, eine umfassende Akteneinsicht durch seine neue Vertretung zu ermöglichen.

1.9. Aufgrund einer Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses des Bundesverwaltungsgerichtes vom 12.10.2020 wurde die Rechtssache der bis dahin zuständigen Gerichtabteilung abgenommen und der Abteilung W248 neu zugewiesen.

Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

2        Feststellungen:

2.1 Der Bescheid des BFA vom XXXX , XXXX , wurde dem nunmehrigen Wiedereinsetzungswerber am 13.09.2018 durch Hinterlegung ordnungsgemäß zugestellt. Die Frist für die Erhebung einer Beschwerde endete damit am 11.10.2018. Gegen den Bescheid des BFA erhob der schon damals rechtsfreundlich vertretene Wiedereinsetzungswerber am 15.10.2018 Beschwerde.

2.2 Mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichtes vom 23.10.2018 wurde dem Wiedereinsetzungswerber vorgehalten, dass seine Beschwerde gegen den Bescheid des BFA verspätet eingebracht worden sei.

2.3 Mit Schreiben vom 07.11.2018 stellte der Wiedereinsetzungswerber den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Im Schriftsatz war nochmals die Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid enthalten. Weiters wurde eine mit 07.11.2018 datierte eidesstattliche Erklärung des Mitarbeiters des einschreitenden Rechtsanwalts vorgelegt.

2.4 Das im Wiedereinsetzungsantrag angeführte Telefonat eines Mitarbeiters der damaligen rechtsfreundlichen Vertretung des Wiedereinsetzungswerbers dauerte 1 Minute und 16 Sekunden. Ein Zugriff auf das IFA-Protokoll XXXX erfolgte in dieser Zeit und auch in zeitlicher Nähe zu diesem Telefonat nicht.

2.5 Der damalige rechtsfreundliche Vertreter des Wiedereinsetzungswerbers holte keine schriftliche Bestätigung vom BFA über das behauptetermaßen telefonisch bekannt gegebene Zustelldatum des gegenständlichen Bescheides ein.

2.6 Das BFA äußerte sich mit Stellungnahme vom 27.11.2018 zum Wiedereinsetzungsantrag.

3        Beweiswürdigung:

3.1 Die Feststellung, dass dem Wiedereinsetzungswerber der Bescheid des BFA am 13.09.2018 durch Hinterlegung ordnungsgemäß zugestellt wurde, ergibt sich aus dem im Akt befindlichen Zustellschein.

3.2 Das Datum der Einbringung der Beschwerde ist durch das Datum des eingeschriebenen Briefes, in welchem die Beschwerde übermittelt wurde, belegt.

3.3 Die Dauer des im Wiedereinsetzungsantrag angeführten Telefonats eines Mitarbeiters der damaligen rechtsfreundlichen Vertretung des Wiedereinsetzungswerbers ergibt sich aus dem mit dem Wiedereinsetzungsantrag vorgelegten Telefonprotokoll. Dass im fraglichen Zeitraum kein Zugriff auf das IFA-Protokoll XXXX erfolgte, ergibt sich aus der im Akt aufliegenden Auskunft der IKT-Protokolltechnik des BMI.

3.4 Dass eine schriftliche Bestätigung über das vom BFA bekannt gegebene Zustelldatum des gegenständlichen Bescheides angefordert wurde bzw. eine solche existiert, wurde von der Rechtsvertretung des Wiedereinsetzungswerbers im Zuge des gesamten Verfahrens nie behauptet.

4        Rechtliche Beurteilung:

4.1      Zu A) Abweisung des Wiedereinsetzungsantrags

Gemäß § 33 Abs. 1 VwGVG ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis eine Frist oder eine mündliche Verhandlung versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

Gemäß § 33 Abs. 3 erster Satz VwGVG ist der Antrag auf Wiedereinsetzung in den Fällen des Abs. 1 bis zur Vorlage der Beschwerde bei der Behörde, ab Vorlage der Beschwerde beim Verwaltungsgericht binnen zwei Wochen nach dem Wegfall des Hindernisses zu stellen.

Gemäß § 33 Abs. 4 dritter Satz VwGVG hat ab Vorlage der Beschwerde über den Antrag das Verwaltungsgericht mit Beschluss zu entscheiden.

Vorab ist festzuhalten, dass bei Versäumen der Beschwerdefrist § 33 VwGVG für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand die maßgebliche Bestimmung ist und nicht §§ 71, 72 AVG, insbesondere nicht § 71 Abs. 4 AVG, weil es sich um ein Verfahren über eine im VwGVG geregelte Beschwerde handelt (vgl. Reisner in Götzl/Gruber/Reisner/Winkler, Verwaltungsgerichtsbarkeit: Das neue Verfahrensrecht der Verwaltungsgerichte, § 33 VwGVG Rz 1 unter Verweise auf Grabenwarter/Fister, NZ 2013/148, 353; VwGH 28.09.2016, Ro 2016/16/0013).

Im gegenständlichen Verfahren brachte der Wiedereinsetzungswerber den Wiedereinsetzungsantrag am 07.11.2018 beim Bundesverwaltungsgericht ein, die Beschwerdevorlage an das Bundesverwaltungsgericht erfolgte jedoch bereits davor, nämlich mit Schreiben vom 18.10.2018 (eingelangt am 19.10.2018). Infolgedessen hat das Bundesverwaltungsgericht (und nicht das BFA) über den gegenständlichen Wiedereinsetzungsantrag abzusprechen.

Dem gegenständlichen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung einer Beschwerde ist aus folgenden Gründen nicht stattzugeben:

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist als Ereignis im Sinne des § 71 Abs. 1 Z 1 AVG jedes Geschehen ohne jede Beschränkung auf Vorgänge in der Außenwelt anzusehen (VwGH 26.06.1985, 83/03/0134).

Ein Ereignis ist dann „unabwendbar“, wenn der Eintritt dieses Ereignisses objektiv von einem Durchschnittsmenschen nicht verhindert werden konnte. Ein Ereignis ist als „unvorhergesehen“ zu werten, wenn die Partei es tatsächlich nicht mit einberechnet hat und dessen Eintritt auch unter Bedachtnahme auf die zumutbare Aufmerksamkeit und Vorsicht nicht erwartet werden konnte. Anders als das Tatbestandsmerkmal des „unabwendbaren" erfasst jenes des „unvorhergesehenen“ Ereignisses die subjektiven Verhältnisse der Partei, sodass nicht der objektive Durchschnittsablauf, sondern der konkrete Ablauf der Ereignisse maßgebend ist (VwGH 17.02.1994, 93/16/0020; 27.6.1985, 85/16/0032; 24.11.1986, 86/10/0169 bis 0171).

Das im Begriff der „Unvorhergesehenheit“ gelegene Zumutbarkeitsmoment (vgl. etwa VwGH 29.02.2008, 2008/04/0006) ist dahingehend zu verstehen, dass die erforderliche zumutbare Aufmerksamkeit dann noch gewahrt ist, wenn der Partei (ihrem Vertreter) in Ansehung der Wahrung der Frist nur ein „minderer Grad des Versehens“ unterläuft (VwGH 26.06.1985, 83/03/0134 mwN.; VfGH 27.02.1985, G 53/83 u.a.). Ein solcher „minderer Grad“ des Versehens (im Sinne des § 1332 ABGB) liegt nur dann vor, wenn es sich um leichte Fahrlässigkeit handelt, also dann, wenn ein Fehler unterläuft, den gelegentlich auch ein sorgfältiger Mensch begeht (VwGH 22.11.1996, 95/17/0112; 23.05.2001, 99/06/0039; 01.06.2006, 2005/07/0044). Der Beschwerdeführer darf also nicht auffallend sorglos gehandelt haben, somit die im Verkehr mit Behörden und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt nicht in besonders nachlässiger Weise außer Acht gelassen haben (VwGH 08.10.1990, 90/15/0134; 24.11.1989, 89/17/0116; 14.07.1993, 93/03/0136; 24.05.2005, 2004/01/0558).

Eine Frist ist versäumt, wenn sie zu laufen begonnen hat und ungenutzt verstrichen ist, d.h. wenn die geforderte Prozesshandlung vor ihrem Ablauf nicht in der für sie (zwingend) vorgeschriebenen Form gesetzt wurde (vgl. Reisner in Götzl/Gruber/Reisner/Winkler, Verwaltungsgerichtsbarkeit: Das neue Verfahrensrecht der Verwaltungsgerichte, § 33 VwGVG Rz 5a mwN.).

Im gegenständlichen Fall bringt der Wiedereinsetzungswerber vor, dass er das Kuvert des gegenständlichen Bescheides verloren habe und sich nicht mehr erinnern könne, wann ihm der Bescheid zugestellt worden sei. Ein Mitarbeiter seines damaligen Rechtsvertreters habe sohin beim BFA telefonisch nachgefragt, wann der Bescheid dem Wiedereinsetzungswerber zugestellt worden sei. Diesem sei die Auskunft erteilt worden, dass der Bescheid dem Beschwerdeführer am 17.09.2018 durch Hinterlegung zugestellt worden sei, weshalb die Beschwerde vom 15.10.2018 fristgerecht eingebracht worden sei. Selbst im Falle eines Kommunikationsproblems – dessen Vorliegen freilich im konkreten Fall nicht anzunehmen sei – liege bloß ein minderer Grad des Verschuldens vor.

Im Hinblick auf die Bedeutung für die Wahrung der Rechtsmittelfrist besteht in Bezug auf das Zustelldatum eine besondere Prüfpflicht (VwGH 31.05.2017, Ra 2017/22/0064; 27.04.2016, Ra 2016/05/0015). Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs stellt es ein sorgfaltswidriges Verhalten dar, wenn etwa bei der telefonischen Übermittlung des Zustelldatums eines Bescheides keine Maßnahmen zur unmittelbaren Kontrolle der Richtigkeit des Zustelldatums getroffen wurden, etwa durch Einholung einer schriftlichen Bestätigung des telefonisch durchgegebenen Zustelldatums, weil bei der telefonischen Übermittlung von Daten Hörfehler oder andere Fehler und Missverständnisse nicht ausgeschlossen werden können (vgl. VwGH 23.02.2005, 2001/14/0021; 26.05.1999, 99/03/0029; VwGH 13.12.1989, 89/03/0091).

Im Sinne dieser Judikatur wäre es zwecks Kontrolle der Richtigkeit des Zustelldatums und zur Vermeidung von Missverständnissen am Vertreter gelegen, eine schriftliche Bestätigung – etwa mittels E-Mail –– des vom Mitarbeiter des BFA angegebenen Zustelldatums einzuholen. Ein bloßer Aktenvermerk bzw. eine eidesstattliche Erklärung über das telefonische Gespräch ersetzt eine solche schriftliche Bestätigung nicht.

Ein Außerachtlassen der im Verkehr mit Gerichten beziehungsweise Behörden erforderlichen und zumutbaren Sorgfalt in einem Maß, wie es auf Seiten des Wiedereinsetzungswerbers beziehungsweise des damals bevollmächtigten Vertreters erfolgte, kann nicht als minderer Grad des Verschuldens bezeichnet werden (vgl. VwGH 20.04.2001, 98/05/0083, mwN.). Das Verhalten des Vertreters ist dem Wiedereinsetzungswerber auch zuzurechnen (VwGH 30.05.2017, Ra 2017/19/0113).

Dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand war daher nicht stattzugeben.

Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG Abstand genommen werden, da der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt aus der Aktenlage geklärt ist und eine mündliche Erörterung die weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt. Dem Entfall der Verhandlung stehen auch weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010, S 389, entgegen.

4.2      Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende, in der rechtlichen Beurteilung zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Fristversäumung Rechtsmittelfrist Sorgfaltspflicht Verschulden des Vertreters Verspätung Verspätungsvorhalt Wiedereinsetzung Wiedereinsetzungsantrag

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W248.2207975.2.00

Im RIS seit

14.01.2021

Zuletzt aktualisiert am

14.01.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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