Entscheidungsdatum
27.10.2020Norm
B-VG Art133 Abs4Spruch
G314 2235930-1/3E
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag.a Katharina BAUMGARTNER über die Beschwerde der polnischen Staatsangehörigen XXXX , geboren am XXXX , vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX .08.2020, Zl. XXXX , betreffend die Erlassung eines Aufenthaltsverbots zu Recht:
A) Der Beschwerde wird teilweise Folge gegeben und der angefochtene Bescheid dahingehend abgeändert, dass es in Spruchpunkt I. zu lauten hat: „Gemäß § 67 Abs 1 und 2 FPG wird gegen die Beschwerdeführerin ein auf die Dauer von drei Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen.“
B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
Verfahrensgang:
Die Beschwerdeführerin (BF) wurde mit dem Urteil des Landesgerichts XXXX vom XXXX , XXXX , rechtskräftig zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt.
Mit dem Schreiben des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 27.05.2020 wurde sie aufgefordert, sich zu der beabsichtigten Erlassung eines Aufenthaltsverbotes zu äußern und Fragen zu ihrem Aufenthalt in Österreich und zu ihrem Privat- und Familienleben zu beantworten. Sie erstattete eine entsprechende Stellungnahme.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wurde gegen die BF gemäß § 67 Abs 1 und 2 FPG ein fünfjähriges Aufenthaltsverbot erlassen (Spruchpunkt I.) und gemäß § 70 Abs 3 FPG ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat erteilt (Spruchpunkt II.). Das Aufenthaltsverbot wurde im Wesentlichen mit der strafgerichtlichen Verurteilung der BF wegen Eigentumsdelikten begründet. Die von ihr gesetzten Handlungen seien unter § 67 Abs 1 und Abs 2 FPG zu subsumieren. Sie habe keine familiären Bindungen im Inland und sei beruflich nicht integriert; ihr Lebensgefährte finanziere ihren Aufenthalt im Bundesgebiet.
Dagegen richtet sich die Beschwerde der BF mit den Anträgen, eine mündliche Verhandlung durchzuführen und den angefochtenen Bescheid zu beheben, in eventu, die Dauer des Aufenthaltsverbotes herabzusetzen. Hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Rückverweisungsantrag gestellt. Die BF begründet die Beschwerde zusammengefasst damit, dass die Gefährdungsprognose der Behörde nicht nachvollziehbar sei. Das BFA habe nicht berücksichtigt, dass über sie nur eine gänzlich bedingte Freiheitsstrafe am unteren Ende des Strafrahmens verhängt worden sei. Sie lebe in Österreich zusammen mit ihrem hier niedergelassenen Verlobten, sodass ein fünfjähriges Aufenthaltsverbot unverhältnismäßig sei.
Das BFA legte die Beschwerde samt den Akten des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit einer Stellungnahme und dem Antrag vor, die Beschwerde abzuweisen.
Feststellungen:
Die BF ist polnische Staatsangehörige und kam am XXXX in der südpolnischen Stadt XXXX zur Welt. Sie ist ledig und hat keine Sorgepflichten (Strafurteil; ZMR-Auszug).
Die Muttersprache der BF ist Polnisch, sie hat rudimentäre Deutschkenntnisse und absolvierte in Polen die Pflichtschule (Stellungnahme AS 13).
Die BF reiste erstmals im XXXX 2018 zur Arbeitssuche nach Österreich ein. Da diese erfolglos blieb, verließ sie das Bundesgebiet und kehrte nach XXXX zurück. Im April 2019 reiste sie gemeinsam mit ihrem Verlobten, dem polnischen Staatsangehörigen XXXX , wieder in das Bundesgebiet ein. Der Verlobte der BF ist seit XXXX .2019 in einem XXXX beschäftigt und lebt zusammen mit ihr in einer Mietwohnung in XXXX . Die BF ist seit XXXX 2018 durchgehend mit Hauptwohnsitz in XXXX gemeldet; sie nahm bei der Rückkehr nach Polen keine Abmeldung vor. Sie hat keine Krankenversicherung im Inland und ging hier nie einer legalen Erwerbstätigkeit nach, war aber ohne Anmeldung zur Sozialversicherung für verschiedene private Dienstgeber in XXXX als XXXX tätig (Stellungnahme AS 13 ff, Arbeitsvertrag AS 27; ZMR-Auszug, Versicherungsdatenauszug der BF und ihres Verlobten, Strafurteil).
Mit dem Urteil des Landesgerichts XXXX vom XXXX , XXXX , wurde die BF wegen gewerbsmäßigen Diebstahls (§§ 127, 130 Abs 1 StGB) bei einer Strafdrohung von bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe zu einer sechsmonatigen Freiheitsstrafe verurteilt, die gemäß § 43 Abs 1 StGB unter Setzung einer dreijährigen Probezeit bedingt nachgesehen wurde. Dem Urteil lag zugrunde, dass sie zwischen Juli und November 2019 in gewerbsmäßiger Absicht drei Personen in mehreren Angriffen Schmuck im Gesamtwert von zumindest EUR 3.000 gestohlen hatte, indem sie die Wertgegenstände bei ihrer Arbeit als XXXX mit Bereicherungsvorsatz an sich nahm und aus den Wohnungen der Opfer verbrachte. Bei der Strafbemessung wurden als mildernd ihr bisheriger ordentlicher Lebenswandel und als erschwerend die wiederholte Tatbegehung im Rahmen der Gewerbsmäßigkeit gewertet. Die BF wurde weiters dazu verurteilt, ihren Opfern insgesamt EUR 3.000 zu zahlen; dieser Betrag wurde auch als verfallen erklärt. Eine Diversion scheiterte an einer hinlänglichen Verantwortungsübernahme durch die BF (Strafurteil AS 3 ff), die auch im Verfahren zur Erlassung eines Aufenthaltsverbots vor dem BFA keine Schuldeinsicht zeigte (Stellungnahme AS 13).
Die BF hat im Bundesgebiet ihren Lebensgefährten und einen Freundeskreis, aber keine weiteren Familienangehörigen. Sie ist gesund und arbeitsfähig (Stellungnahme AS 13). Nach der Zustellung des angefochtenen Bescheids beantragte sie am 17.09.2020 erstmals die Ausstellung einer Anmeldebescheinigung; über diesen Antrag wurde noch nicht entschieden (IZR-Auszug).
Beweiswürdigung:
Der Verfahrensgang ergibt sich widerspruchsfrei aus dem unbedenklichen Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakten und des Gerichtsakts des BVwG.
Die Feststellungen basieren jeweils auf den in den Klammerzitaten angegebenen Beweismitteln, insbesondere auf der Stellungnahme der BF und den Informationen aufgrund von Abfragen im Zentralen Melderegister (ZMR), Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister (IZR) und Strafregister sowie auf den Sozialversicherungsdaten.
Name, Geburtsdatum, Geburtsort und Staatsangehörigkeit der BF ergeben sich aus den Angaben zu ihrer Person im Strafurteil. Ihre familiären Verhältnisse werden anhand der plausiblen Angaben in ihrer Stellungnahme und der Feststellungen zu ihrer Person im Strafurteil festgestellt. Im ZMR scheint als Familienstand der BF nach wie vor „ledig“ auf. Da sie laut ZMR seit XXXX 2019 an derselben Adresse wie XXXX in XXXX mit Hauptwohnsitz gemeldet ist, ist glaubhaft, dass es sich um ihren Verlobten/Lebensgefährten handelt.
Aufgrund der Herkunft der BF ist von entsprechenden Kenntnissen der polnischen Sprache auszugehen, zumal sie nach eigenen Angaben in Polen die Schule besuchte. Zumindest rudimentäre Deutschkenntnisse sind ob ihrer Inlandsaufenthalte plausibel, zumal sie in ihrer Stellungnahme angibt, sie wolle ihre Deutschkenntnisse verbessern. Bestätigungen über den Besuch von Deutschkursen oder Zeugnisse über Deutschprüfungen wurden nicht vorgelegt, sodass keine ein elementares Sprachniveau übersteigenden Deutschkenntnisse festgestellt werden können.
Die BF gab in ihrer Stellungnahme an, sie sei erstmals im XXXX 2018 nach Österreich eingereist, habe das Land aber wegen der Erfolglosigkeit ihrer Arbeitssuche wieder verlassen zu haben. Sie will erst 2019 mit ihrem Verlobten wieder nach Österreich gekommen sein. Aus dem ZMR geht hervor, dass sie seit September 2018 durchgehend in Österreich mit Hauptwohnsitz gemeldet ist. Eine amtliche (polizeiliche) Meldung im Inland bildet nach der Rechtsprechung keinen Beweis für das Bestehen eines (bestimmten) Wohnsitzes oder Aufenthaltes einer Person an einem bestimmten Ort, ist aber ein wesentliches Indiz für das Bestehen eines inländischen Wohnsitzes oder Aufenthaltes (vgl. VwGH 20.12.2019, Ra 2017/22/0221). Hier ist daher der plausiblen Darstellung der BF zu folgen, zumal kein Grund ersichtlich ist, warum sie wahrheitswidrig behaupten sollte, dass sie nach ihrer Einreise in das Bundesgebiet wieder nach Polen zurückgekehrt sei und sich erst seit 2019 wieder in Österreich aufhalte. Die BF hat es demnach aber zwischen März und September 2018 unterlassen, sich anzumelden, und sich bei ihrer Rückkehr nach Polen auch nicht abgemeldet. Da XXXX seit XXXX 2019 in Österreich erwerbstätig ist, wie sich aus dem vorgelegten Arbeitsvertrag und dem Versicherungsdatenauszug ergibt, ist davon auszugehen, dass er und die BF unmittelbar davor (wieder) in das Bundesgebiet eingereist sind. XXXX weist in Österreich seit XXXX 2019 eine (mit der der BF übereinstimmende) Wohnsitzmeldung auf.
Laut dem Versicherungsdatenauszug war die BF in Österreich nie legal erwerbstätig und ist auch nicht krankenversichert. Ihre unangemeldete Tätigkeit als XXXX geht aus dem Strafurteil hervor und wird indirekt auch in ihrer Stellungnahme bestätigt („… Ich hatte kleine, private Minijobs … der Dienstgeber hat mir versprochen, mich noch mal anzumelden …“). Diese belegt auch eindrücklich, dass die BF nach wie vor nicht bereit ist, die Verantwortung für die Straftaten, für die sie rechtskräftig verurteilt wurde, zu übernehmen („… nur dann haben sie mich um Diebstahl beschuldigt. Ohne irgendwelche Beweise zu haben wurde ich vom Landesgericht XXXX … verurteilt. … mein Rechtsanwalt meinte, dass es besser wäre, die Strafe anzunehmen. Da ich alles hinter mir lassen wollte und nicht mehr im Stress leben wollte, habe ich es angenommen. …“) und keine Schuldeinsicht besteht.
Die Feststellungen zu den von der BF begangenen Straftaten, zu ihrer Verurteilung und zu den Strafbemessungsgründen basieren auf dem Strafregister (in dem die Probezeit offenbar irrtümlich mit sechs Jahren aufscheint) und dem vorliegenden Urteil des Landesgerichts XXXX .
Die BF nennt an Bezugspersonen im Inland nur ihren Verlobten und (nicht näher konkretisierte) Freunde, sodass vom Fehlen weiterer familiärer Anknüpfungen auszugehen ist. Mangels anderslautender aktenkundiger Informationen ist davon auszugehen, dass bei ihr keine relevanten gesundheitlichen Probleme bestehen. Ihre Arbeitsfähigkeit folgt daraus, aus ihrem erwerbsfähigen Alter und dem Umstand, dass sie nach eigenen Angaben auf Arbeitssuche ist und in Zukunft eine Ausbildung zur Pflegeassistentin machen möchte.
Der Antrag auf Ausstellung einer Anmeldebescheinigung im September 2020 ist im IZR dokumentiert.
Es sind keine weiterführenden Anhaltspunkte für eine Integration der BF in Österreich zutage getreten, sodass dazu keine weiteren Feststellungen getroffen werden.
Rechtliche Beurteilung:
Gemäß § 67 Abs 1 FPG ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen die BF als EWR-Bürgerin iSd § 2 Abs 4 Z 8 FPG zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet ist. Das Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können diese Maßnahmen nicht ohne weiteres begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen eine EWR-Bürgerin, die den Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatte, ist zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch ihren Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Gemäß § 67 Abs 2 FPG kann ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden. Bei einer besonders schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit kann das Aufenthaltsverbot gemäß § 67 Abs 3 FPG auch unbefristet erlassen werden, so z.B. bei einer rechtskräftigen Verurteilung zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren (§ 67 Abs 3 Z 1 FPG).
Bei der Erstellung der für jedes Aufenthaltsverbot zu treffenden Gefährdungsprognose ist das Gesamtverhalten der Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils maßgebliche Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung oder Bestrafung, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Bei der nach § 67 Abs 1 FPG zu erstellenden Gefährdungsprognose geht schon aus dem Gesetzeswortlaut klar hervor, dass auf das "persönliche Verhalten" abzustellen ist und strafgerichtliche Verurteilungen allein nicht ohne weiteres ein Aufenthaltsverbot begründen können (siehe VwGH 22.08.2019, Ra 2019/21/0091).
Hier hat sich die BF weder seit zehn Jahren im Bundesgebiet aufgehalten noch das unionsrechtliche Recht auf Daueraufenthalt erworben (das einen fünfjährigen rechtmäßigen und kontinuierlichen Aufenthalt voraussetzt, siehe § 54a NAG). Daher ist der Gefährdungsmaßstab des § 67 Abs 1 zweiter bis vierter Satz FPG („tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt“) anzuwenden.
Das persönliche Verhalten der BF stellt eine solche Gefahr dar, die Grundinteressen der Gesellschaft iSd Art 8 Abs 2 EMRK (an nationaler Sicherheit, der Verteidigung der öffentlichen Ruhe und Ordnung, der Verhinderung von strafbaren Handlungen sowie zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer und der Moral) berührt. Die strafrechtliche Verurteilung wegen wiederholter gewerbsmäßiger Vermögensdelinquenz führt in Zusammenschau mit dem Fehlen einer legalen Erwerbstätigkeit dazu, dass für die BF keine positive Zukunftsprognose erstellt werden kann, obwohl sie erstmals straffällig wurde. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass sie bei ihren Straftaten das Vertrauensverhältnis zu ihren Auftraggebern missbrauchte, weil sie das Diebesgut bei Reinigungsarbeiten deren Wohnungen erbeutete. Da sie sich erst seit April 2019 wieder kontinuierlich im Bundesgebiet aufhält und bereits kurz nach ihrer Einreise straffällig wurde, ist gegen sie ein Aufenthaltsverbot zu erlassen, obwohl die gegen sie ausgesprochene Freiheitstrafe zur Gänze bedingt nachgesehen wurde und das Landesgericht XXXX die Strafdrohung bei weitem nicht ausschöpfte. Der Gesinnungswandel einer Straftäterin ist grundsätzlich daran zu messen, ob und wie lange sie sich (nach dem allfälligen Vollzug einer Haftstrafe) in Freiheit wohlverhalten hat (siehe VwGH 26.01.2017, Ra 2016/21/0233). Die BF beging bis November 2019 gewerbsmäßig Diebstähle, sodass der seither verstrichene Zeitraum noch nicht ausreicht, um einen nachhaltigen Gesinnungswandel anzunehmen, zumal sie nicht einmal nach Rechtskraft der Verurteilung bereit ist, die Verantwortung für ihre Taten zu übernehmen.
Das Aufenthaltsverbot greift in das Privat- und Familienleben der BF ein, die in Österreich in einem gemeinsamen Haushalt mit ihrem hier als EWR-Bürger niedergelassenen und erwerbstätigen Verlobten zusammenlebt. Daher ist eine einzelfallbezogene gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an der Aufenthaltsbeendigung mit ihren gegenläufigen persönlichen Interessen, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs 2 BFA-VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs 3 BFA-VG ergebenden Wertungen in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen. Diese Interessenabwägung ergibt hier, dass der mit dem (verkürzten) Aufenthaltsverbot verbundene Eingriff in ihr Privat- und Familienleben verhältnismäßig ist. Sie hält sich erst seit kurzem durchgehend in Österreich auf. Aufgrund ihrer Straffälligkeit besteht ein so großes öffentliches Interesse an der Aufenthaltsbeendigung, dass eine vorübergehende Trennung von ihrem Lebensgefährten gerechtfertigt ist (vgl. VwGH 07.07.2020, Ra 2020/20/0231). Die BF kann den Kontakt zu ihm und zu ihren in Österreich lebenden Freunden und Bekannten auch durch Telefonate, Briefe und elektronische Kommunikationsmittel (Internet, E-Mail, soziale Medien) sowie durch wechselseitige Besuche außerhalb Österreichs pflegen. Der Grad ihrer Integration ist als gering anzusehen, weil sie im Bundesgebiet bisher nicht legal erwerbstätig war und auch sonst keine weiteren wesentlichen Anknüpfungen bestehen. Demgegenüber hat sie starke Bindungen zu ihrem Heimatstaat, wo sie die Schule absolvierte, sprachkundig ist und den Großteil ihres Lebens verbrachte. Die BF ist strafgerichtlich nicht mehr unbescholten. Angesichts der Missachtung melderechtlicher Vorschriften und der Erwerbstätigkeit ohne Anmeldung zur Sozialversicherung hat sie Verstöße gegen die öffentliche Ordnung zu verantworten. Sie hielt sich als EWR-Bürgerin ohne Krankenversicherungsschutz mehr als drei Monate lang im Bundesgebiet auf und beantragte zunächst auch keine Anmeldebescheinigung. Prinzipiell sind hier daher die Voraussetzungen für die Erlassung eines maximal zehnjährigen Aufenthaltsverbots erfüllt.
Bei der Festsetzung der Dauer des Aufenthaltsverbotes ist gemäß § 67 Abs 4 FPG auf alle für seine Erlassung maßgeblichen Umstände Bedacht zu nehmen, insbesondere auch auf die privaten und familiären Verhältnisse (VwGH 24.05.2016, Ra 2016/21/0075). Vor diesem Hintergrund ist die Dauer des Aufenthaltsverbots trotz der gewerbsmäßigen Eigentumsdelinquenz der BF auf drei Jahre zu reduzieren, weil die BF zum ersten Mal strafgerichtlich verurteilt wurde und das Strafgericht mit einer im unteren Bereich der Strafdrohung angesiedelten, gänzlich bedingt nachgesehenen Strafe das Auslangen fand. Mit dieser Reduktion wird auch ihrem erheblichen persönlichen Interesse an Aufenthalten im Bundesgebiet Rechnung getragen. Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids ist daher in teilweiser Stattgebung der Beschwerde insoweit abzuändern.
Gemäß § 70 Abs 3 FPG ist EWR-Bürgern bei der Erlassung einer Ausweisung von Amts wegen ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat zu erteilen, es sei denn, die sofortige Ausreise wäre im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich. Vor diesem gesetzlichen Hintergrund ist Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheids nicht korrekturbedürftig.
Da der relevante Sachverhalt aus der Aktenlage und dem Beschwerdevorbringen geklärt werden konnte und auch bei einem positiven Eindruck vom BF bei einer mündlichen Verhandlung keine weitere Herabsetzung oder gar ein Entfall des Aufenthaltsverbots möglich wäre, liegt ein eindeutiger Fall vor, sodass eine Beschwerdeverhandlung, von deren Durchführung keine weitere Klärung der Angelegenheit zu erwarten ist, gemäß § 21 Abs 7 BFA-VG unterbleibt.
Die einzelfallbezogene Erstellung einer Gefährdungsprognose, die Interessenabwägung gemäß § 9 BFA-VG und die Bemessung der Dauer eines Aufenthaltsverbots sind im Allgemeinen nicht revisibel (siehe VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0284, 01.03.2018, Ra 2018/19/0014 und 10.07.2019, Ra 2019/19/0186). Die Revision ist nicht zuzulassen, weil sich das BVwG an der zitierten höchstgerichtlichen Rechtsprechung orientieren konnte und keine grundsätzliche Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG zu lösen war.
Schlagworte
Aufenthaltsverbot einmaliges Ereignis Herabsetzung Interessenabwägung Milderungsgründe öffentliche Interessen Privat- und Familienleben strafrechtliche VerurteilungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:G314.2235930.1.00Im RIS seit
14.01.2021Zuletzt aktualisiert am
14.01.2021