TE Bvwg Erkenntnis 2020/11/2 W187 2194299-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 02.11.2020
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Entscheidungsdatum

02.11.2020

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §54 Abs1 Z1
AsylG 2005 §55 Abs1
AsylG 2005 §58 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9 Abs2
BFA-VG §9 Abs3
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W187 2194299-1/9E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Hubert REISNER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX alias XXXX alias XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am XXXX zu Recht:

A)

I.       Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides wird gemäß § 28 Abs 2 VwGVG iVm § 3 Abs 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

II.      Die Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides wird gemäß § 28 Abs 2 VwGVG iVm § 8 Abs 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

III.    Der Beschwerde gegen Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides wird gemäß § 28 Abs 2 VwGVG stattgegeben und festgestellt, dass gemäß § 9 Abs 2 und 3 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist.

IV.       XXXX wird gemäß § 54 Abs 1 Z 1, § 58 Abs 2 iVm § 55 Abs 1 AsylG 2005 der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung plus“ erteilt.

V.       Die Spruchpunkte IV. und V. des angefochtenen Bescheides werden ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

1. Der zum damaligen Zeitpunkt minderjährige Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste unter Umgehung der Einreisebestimmungen schlepperunterstützt in das österreichische Bundesgebiet ein, wo er am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz stellte.

2. Im Rahmen seiner Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am XXXX wurde der Beschwerdeführer im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari zu seiner Identität, seiner Reiseroute und seinen Fluchtgründen einvernommen. Hier gab er an, ledig zu sein und keine Kinder zu haben. Der Beschwerdeführer sei am XXXX in der afghanischen Provinz Kabul geboren, Angehöriger der Volksgruppe der Tadschiken und hänge der sunnitischen Glaubensrichtung des Islam an. Seine Eltern, seine Schwester und zwei Brüder hielten sich nach wie vor in seinem Heimatland in der Provinz Kabul auf. Als Beweggrund für seine Ausreise gab der Beschwerdeführer an, seit über drei Monaten hielten sich in der Wohngegend des Beschwerdeführers mehrere Personen auf, die entweder den Taliban oder dem IS angehören würden. Diese hätten die Jugendlichen in der Gegend aufgefordert, mit ihnen in den Kampf zu ziehen. Wer sich weigerte, sei von ihnen bedroht und belästigt worden. Die Personen hätten sie gehindert, rechtzeitig in die Schule zu gehen. Zum Schluss sei dem Beschwerdeführer gesagt worden, sie würden ihn umbringen, sollte er sich ihnen nicht anschließen. Im Fall seiner Rückkehr befürchte der Beschwerdeführer, von diesen Personen umgebracht zu werden.

3. Aufgrund von Zweifeln an der Minderjährigkeit des Beschwerdeführers ordnete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ein Handwurzelröntgen zur Bestimmung des Knochenalters an, dem sich der Beschwerdeführer am XXXX unterzog. Dieses Röntgen ergab, dass beim Beschwerdeführer am Radius eine zarte Epiphysennarbe erkennbar ist. Weiter holte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ein rechtsmedizinisches Sachverständigengutachten zum Lebensalter des Beschwerdeführers ein, welches ein Mindestalter zum Untersuchungszeitpunkt ( XXXX ) von XXXX Jahren ergab.

4. Mit Schreiben vom XXXX ersuchte die gesetzliche Vertretung des Beschwerdeführers das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, dringend eine inhaltliche Einvernahme anzuberaumen.

5. Am XXXX wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Beisein seiner gesetzlichen Vertretung, eines Dolmetschers für die Sprache Dari und einer Vertrauensperson niederschriftlich zu seinem Antrag auf internationalen Schutz einvernommen. Hier gab der Beschwerdeführer zunächst an, die Niederschrift seiner Erstbefragung weise Fehler auf. Sein Geburtsdatum sowie seine Angaben zum Alter seiner Familienangehörigen seien falsch protokolliert worden. Auch habe er in der Erstbefragung nicht erwähnt, dass er Probleme mit den Taliban oder dem IS gehabt habe. Zu seinen Fluchtgründen befragt, gab der Beschwerdeführer schließlich an, er habe immer schon Probleme in seinem Heimatdorf, insbesondere in der Schule, gehabt. Seine Mitschüler hätten den Beschwerdeführer gehänselt und ihn „kleines Mädchen“ („Dokhtarak“) genannt. Auch während eines Englischkurses in Kabul sei er belästigt worden. Ihm sei unterstellt worden, homosexuell zu sein, was jedoch nicht stimme. Eines Abends habe der Beschwerdeführer an einem Beschneidungsfest teilgenommen und dort getanzt. Bei diesem Fest seien nur Männer anwesend gewesen, die ihm auch Geld zugesteckt hätten. Am nächsten Tag sei der Vater des Beschwerdeführers sehr wütend gewesen und habe ihn geschlagen, da erzählt worden sei, der Beschwerdeführer habe am Tag zuvor getanzt und mit anderen Männern Geschlechtsverkehr gehabt. Daraufhin habe der Beschwerdeführer das Haus nur noch zum Besuch der Schule verlassen dürfen. Ungefähr eine Woche später im XXXX Monat des Jahres XXXX ( XXXX bis XXXX ) sei der Beschwerdeführer am Nachhauseweg von der Schule von drei unbekannten bewaffneten Personen angehalten und gefragt worden, ob er sie kenne, was der Beschwerdeführer verneint habe. Eine dieser Personen sei ein Mann gewesen, der ebenfalls am Beschneidungsfest eine Woche zuvor teilgenommen habe. Die Männer hätten den Beschwerdeführer aufgefordert, mit ihnen zu kommen. Sie wüssten, dass der Beschwerdeführer belästigt würde. Sie seien von der Regierung und hätten Macht. Niemand könne dem Beschwerdeführer etwas antun, auch nicht die Taliban oder der IS, solange er mit ihnen komme. Der Beschwerdeführer würde auch Geld bekommen. Der Beschwerdeführer habe Angst bekommen und sei weggelaufen. Zu Hause habe er seinem Vater von diesem Vorfall erzählt, der ihn daraufhin die nächsten drei Tage am Schulweg begleitet habe. Da die Männer in diesen drei Tagen nicht aufgetaucht seien, habe der Vater des Beschwerdeführers gemeint, er solle sich keine Sorgen machen, die bewaffneten Männer würden nicht mehr kommen. Am XXXX des XXXX Monats XXXX ( XXXX ) hätten die drei Männer vor einem Geschäft in der Nähe der Schule auf den Beschwerdeführer gewartet und ihn wieder angesprochen. Der Beschwerdeführer solle mit ihnen zu einer Hochzeit kommen. Sie würden ihm Kleidung kaufen und ihn bezahlen. Am nächsten Tag würden sie ihn nach Hause zurückbringen. Der Beschwerdeführer habe sich geweigert, woraufhin die drei bewaffneten Personen versucht hätten, ihn ins Auto zu zerren. Der Beschwerdeführer habe geschrien und mit Hilfe anderer anwesender Personen entkommen können. Daraufhin sei der Beschwerdeführer zum Geschäft seines Vaters gelaufen. Der Vater sei mit dem Beschwerdeführer zu jenem Geschäft gegangen, vor dem sich der Vorfall ereignet habe. Der Vater habe mehrere Personen gefragt, ob sie die drei Männer kennen würden, aber niemand habe diese gekannt. Daraufhin hätten der Beschwerdeführer und sein Vater Anzeige bei der Distriktbehörde erstattet, wo ihnen mitgeteilt worden sei, eine der Personen sei der Cousin von XXXX , einem bekannten Geschäftsmann aus XXXX , dessen Bruder ein Volksvertreter im Parlament in Kabul sei. Da die Männer mächtig seien, sei ihnen von einer Anzeige abgeraten worden. Der Beschwerdeführer und sein Vater hätten dennoch Anzeige erstattet. Nach diesem Vorfall hätten der Beschwerdeführer und seine Geschwister das Haus nicht mehr verlassen und auch nicht mehr in die Schule gehen dürfen. Nach einiger Zeit sei der Vater des Beschwerdeführers von den drei bewaffneten Männern in seinem Geschäft aufgesucht worden. Der Vater werde dafür büßen, dass er Anzeige erstattet habe. Er solle gut auf den Beschwerdeführer aufpassen, da sie ihn mitnehmen würden. Einige Tage später sei die Familie nach Kabul gefahren und habe dort eine Tante mütterlicherseits besucht. Ungefähr eine Woche lang habe der Beschwerdeführer mit seiner Familie bei der Tante in Kabul gelebt, ehe sein Vater ihn zu einem Busbahnhof gebracht und der Beschwerdeführer Afghanistan verlassen habe.

6. Mit E-Mail vom XXXX übermittelte die belangte Behörde der gesetzlichen Vertretung des Beschwerdeführers aktuelle Länderinformationen zu Afghanistan zur Stellungnahme binnen zwei Wochen.

7. Mit Schreiben vom XXXX ersuchte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Landespolizeidirektion XXXX um Prüfung der vom Beschwerdeführer vorgelegten Tazkira auf Echtheit.

8. Am XXXX langte eine Stellungnahme der gesetzlichen Vertretung des Beschwerdeführers zu den Länderberichten bei der belangten Behörde ein.

9. Die Landespolizeidirektion XXXX teilte der belangten Behörde mit Schreiben vom XXXX mit, dass die Tazkira dem Bundeskriminalamt zur weiteren Untersuchung vorgelegt worden sei.

10. Am XXXX langte ein Untersuchungsbericht des Bundeskriminalamtes, Abteilung AII/BK/6 Forensik und Technik, Büro 6.2 Kriminaltechnik, Referat 6.2.3 Urkunden- und Handschriftenuntersuchungen beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ein, wonach es sich bei der vom Beschwerdeführer vorgelegten Tazkira um eine Totalfälschung handle.

11. Mit E-Mail vom XXXX brachte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Polizeiinspektion XXXX zur Kenntnis, dass der Beschwerdeführer im Verfahren eine Tazkira vorgelegt habe, bei der es sich laut Mitteilung des Bundeskriminalamtes um eine Totalfälschung handle. Für den Fall, dass Ermittlungsschritte gesetzt werden sollten, werde um Mitteilung an die belangte Behörde ersucht.

12. Mit dem gegenständlich angefochtenen Bescheid vom XXXX wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz sodann sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.), als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs 1 AsylG 2005 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt III.) und gemäß § 52 Abs 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt IV.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde unter Spruchpunkt V. gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG mit zwei Wochen (gemeint: 14 Tagen) ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt.

Für ein allfälliges Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde dem Beschwerdeführer amtswegig ein Rechtsberater zur Seite gestellt.

13. Am XXXX langte eine Meldung bzw. Verständigung von einer Amtshandlung gegen einen Fremden der Landespolizeidirektion XXXX , Stadtpolizeikommando XXXX Polizeiinspektion XXXX bei der belangten Behörde ein, wonach der Beschwerdeführer wegen des Verdachts auf Urkundenfälschung nach § 223 StGB angezeigt wurde.

14. Gegen den abweisenden Bescheid vom XXXX erhob der Beschwerdeführer, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, mit Schreiben vom XXXX fristgerecht vollumfängliche Beschwerde.

15. Die Beschwerde und der dazugehörige Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Entscheidung vorgelegt. In einem verzichtete die belangte Behörde auf die Durchführung und Teilnahme an einer mündlichen Beschwerdeverhandlung und beantragte die Abweisung der Beschwerde.

16. Am XXXX langte eine Verständigung der Behörde von der Einstellung des Ermittlungsverfahrens der Staatsanwaltschaft XXXX vom XXXX beim Bundesverwaltungsgericht ein, wonach das gegen den Beschwerdeführer geführte Ermittlungsverfahren wegen §§ 223, 224 StGB eingestellt wurde.

17. Mit Ladung vom XXXX beraumte das Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung für den XXXX an, übermittelte den Parteien einschlägige Länderinformationen zu Afghanistan und gab ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme.

18. Mit Schriftsatz vom XXXX legte die Rechtsvertretung des Beschwerdeführers ein Konvolut an Integrationsunterlagen betreffend den Beschwerdeführer vor.

19. Am XXXX fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, zu der die bestellte Dolmetscherin für die Sprache Dari trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht erschien. Der Beschwerdeführer erklärte sich jedoch bereit, auch ohne Dolmetscherin die Verhandlung soweit wie möglich auf Deutsch zu führen. Der Beschwerdeführer wurde daher im Beisein seiner ausgewiesenen Rechtsvertreterin vom erkennenden Richter auf Deutsch zu seinem Antrag auf internationalen Schutz und seinen Beschwerdegründen einvernommen. Die belangte Behörde blieb der mündlichen Verhandlung fern.

Die Verhandlungsschrift lautet auszugsweise:

„[…]

Der Beschwerdeführer erklärt sich bereit, auch ohne Dolmetscherin die Verhandlung soweit wie möglich auf Deutsch durchzuführen. Der Richter ersucht ihn, auf sprachliche Probleme sofort hinzuweisen, wenn er sich außerstande sieht, auszudrücken, was er ausdrücken will.

Richter: Sind Sie psychisch und physisch in der Lage, der heute stattfindenden mündlichen Verhandlung zu folgen? Liegen Gründe vor, die Sie daran hindern?

Beschwerdeführer: Ja.

Richter: Nehmen Sie regelmäßig Medikamente, befinden Sie sich in medizinischer Behandlung?

Beschwerdeführer: Ja, ich nehme öfter Kopfschmerztabletten, sonst nichts.

[…]

Richter: Können Sie sich an Ihre Aussage vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl erinnern? Waren diese richtig, vollständig und wahrheitsgetreu?

Beschwerdeführer: Ja.

Richter: Geben Sie Ihr Geburtsdatum an. Wo sind Sie auf die Welt gekommen?

Beschwerdeführer: Ich bin am XXXX geboren. In meiner Geburtsurkunde steht aber XXXX . Ich bin in Kabul in XXXX geboren.

Richter: Welche Sprachen sprechen Sie? Können Sie diese lesen und schreiben?

Beschwerdeführer: Ich kann sehr gut Dari lesen und schreiben. Ich kann auch bis A2 Englisch und Deutsch bis B1. Ich habe auch den Pflichtschulabschluss. Ich kann auch Urdu, das habe ich hier gelernt. Mein Zimmerkollege war Pakistani, ich kann aber nur Urdu sprechen, aber nicht schreiben und auch Paschtu sprechen.

Richter: Geben Sie Ihre Volksgruppe, Religion und Ihren Familienstand an.

Beschwerdeführer: Ich bin ledig, ich bin Tadschike und sunnitischer Moslem.

Richter: Haben Sie Kinder?

Beschwerdeführer: Nein.

Richter: Können Sie bitte soweit wie möglich chronologisch angeben, wann und wo Sie sich in Afghanistan aufgehalten haben.

Beschwerdeführer: Ich war mein ganzes Leben in XXXX , bis ich nach Österreich gekommen bin.

Richter: Wie haben Sie in Afghanistan gewohnt?

Beschwerdeführer: Wir haben ein kleines Haus gehabt. Ich bin in Afghanistan bis zur neunten Klasse in die Schule gegangen.

Richter: Was haben Sie in Afghanistan gemacht, gearbeitet, gelernt oder etwas Anderes?

Beschwerdeführer: Ich habe nicht gearbeitet.

Richter: Welche Schulbildung haben Sie erhalten?

Beschwerdeführer: In Afghanistan bin ich bis zur neunten Klasse in die Schule gegangen. Das war etwa im Alter von 15 Jahren. Hier in Österreich habe ich bis B1 Deutschkenntnisse. Dann habe ich mit der Schule angefangen und habe den Pflichtschulabschluss gemacht. Ich wollte weiter ein Gymnasium besuchen, habe es aber nicht geschafft. Es war ein bisschen schwierig für mich. Ich habe versucht, eine Lehre zu finden. Jetzt habe ich eine Lehrstelle gefunden. Das ist eine Einzelhandellehre beim XXXX , ich habe drei Tage Praktikum gehabt. Die nehmen mich, aber erst, wenn ich eine Arbeitserlaubnis habe.

Richter: Wo und wie leben Ihre Verwandten?

Beschwerdeführer: Ich habe schon seit langem keinen Kontakt mit meinen Eltern und Verwandten. Was ich weiß, wohnen sie in Kabul, aber ich weiß nicht mehr.

Richter: Haben Sie in Afghanistan andere weite Verwandte oder sonstige wichtige Kontaktpersonen und wie heißen sie? Wo leben sie? Haben Sie zu ihnen Kontakt?

Beschwerdeführer: Mein Onkel und meine Tanten sowohl mütterlicherseits als auch väterlicherseits wohnen in Afghanistan, weiß aber nicht, wo genau. Ich habe keinen Kontakt zu meiner Familie.

Richter: Wie ist Ihr Leben derzeit in Österreich? Was machen Sie in Österreich?

Beschwerdeführer: Momentan habe ich nichts zu tun. Nach der Schule habe ich versucht, eine Arbeit zu finden. Ich habe auch mal einen Antrag für Saisonarbeit gestellt, wurde aber abgewiesen. Danach habe ich versucht, eine andere Lehre zu finden, im Einzelhandel oder Gastro. Habe es aber nicht geschafft. Jetzt habe ich eine Lehrstelle gefunden und schauen wir, was passiert. Momentan habe ich nichts zu tun. Ich lese Buch, manchmal Zeitungen und viel im Internet. In der Früh gehe ich spazieren oder laufen, gehe in die Stadt.

Richter: Haben Sie Freunde in Österreich?

Beschwerdeführer: Ja, einen in XXXX und einen in XXXX . Sonst habe ich nicht viel Kontakt mit Afghanen. Österreichische Freunde hatte ich früher, aber jetzt nicht mehr.

Richter: Sind Sie Mitglied in einem Verein?

Beschwerdeführer: Nein.

Richter: Hatten Sie Probleme mit der Polizei oder einem Gericht?

Beschwerdeführer: Mit der Polizei hatte ich keine Probleme, aber mit dem Gericht zweimal. Ich wollte eine Lehre in der Gastronomie anfangen und am nächsten Tag hat der Chef gesagt, dass ich in das Lokal kommen sollte, um mir anzusehen, wie die Arbeit läuft. Gleichzeitig kam das Finanzamt und hat mich erwischt. Die haben mich dort gesehen. Die haben gedacht, dass ich dort arbeite, aber ich war nur dort, um mir anzusehen, wie die Arbeit dort läuft. Deswegen war ich zweimal bei Gericht, als Zeuge. Ich glaube, das zweite Mal war nur, weil der Chef eine Beschwerde gemacht hat und da haben sie mich als Zeuge eingeladen.

Richter: Wie sind Sie zu Ihrer Tazkira gekommen? Wurde diese von einer afghanischen Behörde ausgestellt?

Beschwerdeführer: Was ich weiß, ist das die richtige Tazkira. Sie sagen, dass sie gefälscht ist, dazu kann ich aber nichts sagen. Was ich weiß, ist es die richtige und ich habe sie selber geholt. Ich war ganz klein und musste mit den Eltern mitgehen, sie zu holen. Wenn man eine Geburtsurkunde oder Tazkira will, muss man dabei sein. Das ist auch die Tazkira, die ich damals bekommen habe.

Richter: Schildern Sie den Vorfall, der zu Ihrer Flucht geführt hat!

Beschwerdeführer: Alles hat bei einer Feier angefangen, es war eine Beschneidungsfeier. Ich bin dort hingegangen und dort waren viele Leute. Es war mit Musik und Tanzen. Ich wusste nicht, dass dort nur Männer sind. Ich dachte, dass auch Frauen dort sind bzw. dass es für alle ist. Ich ging dort hin und es waren nur Männer dort. Viele haben Haschisch geraucht. Die Musik hat angefangen und alle haben getanzt. Es waren auch Jugendliche in meinem Alter dort. Es waren auch bewaffnete Leute dort. Die jungen haben auch getanzt und ich habe auch getanzt. Ich wurde gefragt, ob ich tanzen gehe. Zuerst hatte ich Angst, aber später bin ich mit den Jungen gesessen und hatte keine Angst mehr. Ich habe getanzt. Die Leute haben mich angeschaut und haben Geld zugeworfen und mir auch Geld gegeben. Später bin ich nachhause gegangen. Es war ein Donnerstag in der Nacht auf Freitag. Am Freitag ist mein Vater nachhause gekommen und hat angefangen zu schreien und mich zu schlagen. Er hat gesagt, warum hast du dort getanzt. Du hast meine Ehre beschädigt. Dann habe ich gefragt, was ich falsch gemacht habe. Er sagte mir, dass die Leute über ihn reden, dass der Sohn von XXXX ein Tanzjunge ist. Normalerweise durfte ich nicht so viel rausgehen, aber diese Nacht habe ich versucht, eine Erlaubnis von meinem Vater zu bekommen. Ab diesem Tag durfte ich nicht mehr rausgehen oder in einen Park gehen, sondern nur in die Schule und dann nachhause. Eine Woche später wollte ich nachhause gehen, es war nach der Schule, da habe ich drei unbekannte Leute getroffen. Die waren bewaffnet. Einer der bewaffneten Leute war auf dieser Feier. Sie haben mich gehalten und mich gefragt, ob ich sie kenne und wohin ich gehe. Dann habe ich gesagt, dass ich nachhause gehe und sie nicht kenne. Sie haben gesagt, dass ich mit ihnen kommen soll und sie mir Geld geben, dass sie mich unterstützen. Wir wissen schon, dass die Leute aus der Schule dich belästigen. Wenn du mit uns kommst, kann dich niemand belästigen. Dann habe ich gesagt, dass ich sie nicht kenne und nicht mitkommen will. Ich bin nachhause gegangen bzw. weggerannt. Dann habe ich das meinem Vater erzählt. Mein Vater ist drei Tage mit mir zur Schule gegangen. In diesen drei Tagen sind die Leute nicht mehr gekommen. Dann hat er gesagt, dass die Leute vielleicht keine Arbeit haben oder nichts zu tun haben. Er hat zu mir gesagt, dass ich keine Angst haben soll. Einige Zeit später, wollte ich eines Tages in ein Geschäft bei der Schule gehen. Ich bin dort oft hingegangen. ich wollte dort hingehen und habe die drei Männer dort wiedergesehen. Sie waren mit einem schwarzen Auto, ein Lexus, dort. Ich habe sie gesehen und wollte zurückgehen. Sie haben mich aber gesehen und haben gefragt, wohin ich letztes Mal gelaufen bin und habe ihnen gesagt, dass ich nachhause lief. Ich wollte weglaufen, aber ich konnte nicht, weil sie zu nahe waren. Sie haben zu mir gesagt, dass ich mit ihnen mitkommen soll, es gibt eine Hochzeit und sie würden mir Kleidung kaufen und ich bekomme Geld. Morgen würde ich wieder nachhause kommen. Dann habe ich zu denen gesagt, dass ich nicht will und ich weiß, was sie von mir wollen. Dann wollte ich weggehen, aber sie waren zu nahe und sie wollten mich mitnehmen. Sie haben meine Hände genommen und wollten mich ins Auto zerren. Ich habe aber geschrien und es waren Leute dort. Die Leute sind gekommen und sie haben mich gelassen. Ich lief zu meinem Vater ins Geschäft. Das Geschäft von meinem Vater ist 5 Minuten von zuhause entfernt. Ich habe ihm alles erzählt und gingen zur Schule. Die Leute von dort, die in der Nähe vom Geschäft waren, hat mein Vater gefragt, ob sie die drei Männer kennen. Sie haben gesagt, dass sie sie nicht kennen. Wir haben auch den Direktor der Schule gefragt. Danach haben wir mit dem Bürgermeister gesprochen. Wir wollten eine Beschwerde machen, aber wir haben nicht gewusst, wer die drei Leute sind. Wir haben die Leute mit ihrer Militärkleidung und das Auto beschrieben. Die haben gesagt, dass die Leute Bodyguards oder Bekannte von XXXX sind. Sein Bruder oder sein Vater, das weiß ich nicht genau, ist auch im Parlament. Ich glaube, er heißt XXXX . Ich weiß aber nicht genau, wie er heißt. Ich glaube, XXXX ist jetzt auch im Parlament. Zuerst hat der Bürgermeister gesagt, dass wir keine Beschwerde machen sollen, weil sie mächtige Leute sind und wir später Probleme mit ihnen bekommen würden. Wir haben aber eine Beschwerde gemacht und gingen wieder zurück. Ich durfte nicht mehr zur Schule gehen, meine Schwestern auch nicht. Wir durften auch nicht rausgehen. Mein Vater war auch öfter zuhause und wir hatten Angst. Einige Zeit später sind die Leute zum Geschäft meines Vaters gekommen und sie haben gesagt, dass wir keine Beschwerde machen sollten. Wir haben aber eine gemacht und jetzt hätten wir ein Problem. Wir nehmen deinen Sohn und wenn du uns nicht lässt, lassen wir euch nicht in Ruhe. Nach einer Woche, wir waren zuhause, sind wir nach Kabul zu meiner Tante mütterlicherseits gefahren. Mein Vater hat entschieden, dass ich weg von Afghanistan müsse. Ich glaube, es war das Jahr 2014, in dem ich in Kabul einen Englischkurs in der Dauer von zwei Monaten besucht habe. Der Kurs hätte länger dauern sollen. Die Kollegen in der Schule und auch die Leute aus dem Dorf haben mich als kleines Mädchen gesehen. Ich weiß nicht warum, ob es an meinen Bewegungen oder an meinem Aussehen gelegen ist. Sie haben mich immer kleines Mädchen genannt. Sie haben mich als Bacha Bazi angesehen. Deswegen hatte ich immer Probleme, mit den Leuten und in der Schule, im Kurs und im Dorf, wo ich gewohnt habe. Sie haben mich immer angeschaut und was zu mir gesagt. Im Kurs war auch ein Mann, ich glaube, er heißt XXXX . Er hat mich auch immer belästigt. Deswegen habe ich den Kurs aufgehört.

Richter: Sind Sie, abgesehen von den geschilderten Vorfällen, jemals persönlich bedroht oder angegriffen worden?

Beschwerdeführer: Nein.

Richter: Wodurch sind Sie in Afghanistan aktuell bedroht?

Beschwerdeführer: Das erste Problem ist, wegen dieser drei Männer. Sie kennen mich und können mich schnell finden. Das zweite Problem sind die Leute. Sie sehen mich nicht als Mann. Das dritte Problem ist, dass ich nicht so bete, in Österreich überhaupt nicht bete. In Afghanistan war es auch so und deshalb hatte ich Probleme mit meinem Vater und den Leuten in meinem Dorf. Ich glaube an einen Gott, aber er ist für alle. Die Religion haben die Menschen gemacht. Das denke ich. Wenn man will, kann man beten. Man braucht dafür nicht in die Moschee gehen oder in die Kirche. In Afghanistan, die Leute akzeptieren das nicht. Afghanistan ist sehr gefährlich.

Richter: Wie sind Sie nach Österreich gekommen?

Beschwerdeführer: Ich bin von Afghanistan in den Iran geflüchtet, vom Iran in die Türkei und dann nach Griechenland. Von Griechenland nach Mazedonien und von Mazedonien nach Serbien. Von Serbien nach Kroatien, dann nach Ungarn und dann nach Österreich. Zu dieser Zeit war die Grenze zwischen Serbien und Ungarn geschlossen. Deswegen gingen wir nach Kroatien und dann von dort nach Ungarn und weiter nach Österreich.

Richter: Wie haben Sie die Reise bezahlt?

Beschwerdeführer: Mein Vater hat die Reise bezahlt.

Richter: Schildern Sie bitte nochmals die Gründe Ihrer Beschwerde!

Beschwerdeführer: Wir haben am Anfang beim BFA Probleme bekommen mit dem Referenten. Er hat meinen Rechtsvertreter von der Volkshilfe nicht reingelassen. Beim Interview, es war Winter, hat er das Fenster offengelassen. Es war kalt. Ich habe ihn gefragt, ob er das Fenster schließen könnte, er hat es aber nicht gemacht. Er hat auch manchmal gelacht.

Richter: Was würde passieren, wenn Sie jetzt nach Afghanistan zurückkehren müssten?

Beschwerdeführer: Wenn sie mich finden, muss ich mit ihnen gehen, oder sie bringen mich um. Dort habe ich nichts. Ich weiß nicht, wie ich dort anfangen soll. Es ist schwierig, dort ein normales und sicheres Leben zu haben. Man kann nicht sicher sein, dass nicht eine Explosion passiert.

Richter: Sind Sie jemals in der Lage gewesen, wie so ein Bacha Bazi von erwachsenen Männern gebraucht zu werden?

Beschwerdeführer: Nein, ich durfte nicht so viel rausgehen oder zu solchen Feiern gehen.

Richter: Auf dem Fest, dass Sie geschildert haben, haben Sie nur getanzt?

Beschwerdeführer: Ja, dort habe ich selber getanzt. Aber ich habe nicht gewusst, dass die Leute falsch über mich denken. Ich wusste schon, dass es solche Leute gibt.

[…]

Der Beschwerdeführer bringt nichts mehr vor.“

Die Rechtsvertreterin des Beschwerdeführers legte in der mündlichen Beschwerdeverhandlung eine Einstellungszusage vom XXXX vor, die in Kopie zum Akt genommen wurde.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen

Beweis wurde erhoben durch Einsicht in den dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Verwaltungsakt des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl und den Verfahrensakt des Bundesverwaltungsgerichts betreffend den Beschwerdeführer, insbesondere durch Einsicht in die vorgelegten Dokumente und Integrationsunterlagen, sowie durch Durchführung einer mündlichen Verhandlung und durch Einsichtnahme in die ins Verfahren eingeführten Länderberichte.

1. Feststellungen

1.1 Zur Person des Beschwerdeführers und seinem Leben in Afghanistan

Der Beschwerdeführer trägt den im Spruch angeführten Namen, ist im Entscheidungszeitpunkt volljährig und Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan. Er gehört der Volksgruppe der Tadschiken an und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam. Seine Muttersprache ist Dari. Er verfügt in dieser Sprache über Lese- und Schreibkenntnisse. Weiter spricht der Beschwerdeführer ein wenig Urdu und Paschtu, Englisch auf Niveau A2 des gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen und bereits sehr gut Deutsch. Der Beschwerdeführer ist ledig und hat keine Kinder.

Der Beschwerdeführer wurde in einem Dorf im Distrikt XXXX in der afghanischen Provinz Kabul geboren und wuchs dort im afghanischen Familienverband im familieneigenen Haus gemeinsam mit seinen Eltern, einer Schwester und zwei Brüdern auf. Der Vater des Beschwerdeführers sorgte in Afghanistan für den Unterhalt der Familie und arbeitete zunächst als Taxifahrer. Ungefähr ein halbes Jahr vor der Ausreise des Beschwerdeführers eröffnete sein Vater ein Lebensmittelgeschäft im Heimatdorf. Der Beschwerdeführer besuchte in Afghanistan ab seinem sechsten Lebensjahr die Schule bis zur neunten Schulstufe. Er war in Afghanistan nicht erwerbstätig.

Der Beschwerdeführer hat keinen Kontakt mit seiner Familie in Afghanistan. Er vermutet, dass seine Kernfamilie derzeit in Kabul lebt. Der genaue Aufenthaltsort der Familie des Beschwerdeführers ist jedoch nicht bekannt. Weiter leben mehrere Onkel und Tanten des Beschwerdeführers in seinem Herkunftsstaat Afghanistan, wobei auch deren derzeitiger Wohnort dem Beschwerdeführer nicht bekannt ist. Der Beschwerdeführer verfügt daher über kein soziales unterstützungsfähiges Netzwerk in Afghanistan.

1.2 Zum Leben des Beschwerdeführers in Österreich

Der Beschwerdeführer stellte am XXXX seinen Antrag auf internationalen Schutz im Bundesgebiet und hält sich seither durchgehend in Österreich auf.

Der Beschwerdeführer hat seit seiner Einreise an mehreren Deutsch- und Integrations- bzw. Basisbildungskursen teilgenommen. Dabei zeigte er besonderes Interesse und Engagement beim Erlernen der deutschen Sprache und legte bereits im XXXX erfolgreich eine Deutschprüfung auf Niveau B1 des gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen ab. Anschließend besuchte er einen Deutschkurs auf Niveau B2 sowie einen Integrationskurs des Berufsförderungsinstituts XXXX . Der Beschwerdeführer spricht bereits sehr gut Deutsch und ist in der Lage, Gespräche in fließendem Deutsch zu führen.

Seit seiner Einreise zeigte der Beschwerdeführer besonderes ehrenamtliches Engagement und arbeitete freiwillig bei mehreren Organisationen und Vereinen: So half er etwa bei der jährlichen Flurreinigung der Gemeinde XXXX und unterstützte die XXXX bei der Organisation und Durchführung von Festen. Seine bereits sehr guten Deutschkenntnisse stellte der Beschwerdeführer unter anderem als ehrenamtlicher Dolmetscher unter Beweis. Die XXXX betont in ihrem Unterstützungsschreiben besonders die Hilfsbereitschaft und das Engagement des Beschwerdeführers. Weiter unterstützte der Beschwerdeführer die Initiative „ XXXX “ beim „ XXXX im „ XXXX “-Bereich des XXXX . Zu seinen Aufgaben zählte der ständige Kontakt und Austausch mit ÖsterreicherInnen. Dabei zeigte der Beschwerdeführer viel Freude und Energie sowie hohes Verantwortungsbewusstsein und erwies sich als äußerst hilfsbereit.

Neben seinem sozialen Engagement ist der Beschwerdeführer sehr an seiner Weiterbildung interessiert und um seine wirtschaftliche Selbsterhaltungsfähigkeit bemüht. XXXX bis XXXX nahm der Beschwerdeführer am Lehrgang „ XXXX “ des gemeinnützigen Vereins „ XXXX “ teil, welcher der Vorbereitung von MigrantInnen auf den Besuch einer weiterführenden Schule dient und Unterrichtseinheiten in Deutsch, Mathematik, Englisch, Informations- und Kommunikationstechnik und Lernstrategien umfasst. Dabei zeigte der Beschwerdeführer großes Engagement sowie die Bereitschaft, Lerninhalte selbständig zu erarbeiten. Parallel zu diesem Lehrgang meldete sich der Beschwerdeführer im XXXX zum Pflichtschulabschluss-Kurs der XXXX an. Im XXXX legte der Beschwerdeführer schließlich erfolgreich die Pflichtschulabschluss-Prüfung vor der Externistenprüfungskommission der XXXX Schule in XXXX ab. Der Beschwerdeführer bezieht derzeit Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung und ist nicht erwerbstätig. Nach Erwerb seines Pflichtschulabschlusses zeigte sich der Beschwerdeführer jedoch sehr um die Erlangung einer Erwerbstätigkeit bemüht. Bereits im XXXX gelang es dem Beschwerdeführer einen potentiellen Arbeitgeber, die XXXX , von sich zu überzeugen, welche einen Antrag auf Saisonbewilligung beim AMS stellte. Dieser Antrag wurde jedoch abgewiesen. Im XXXX absolvierte der Beschwerdeführer schließlich berufspraktische Tage (Schnupperlehre) bei der Firma XXXX . Im Rahmen dieser Schnuppertage vermochte der Beschwerdeführer von sich zu überzeugen und erhielt eine Jobzusage der Firma XXXX unter der Bedingung, dass eine entsprechende Arbeitserlaubnis erteilt wird.

In seiner Freizeit zeigt sich der Beschwerdeführer sehr um seine Integration bemüht und an Sport und Kultur interessiert. Der Beschwerdeführer verfügt in Österreich über einige soziale Kontakte und ist bereits gut in die österreichische Gesellschaft integriert. Er ist Mitglied bei der XXXX Landesbibliothek und interessiert sich sehr für Sport. Nach seiner Ankunft in Österreich spielte der Beschwerdeführer in einer Handballmannschaft und nahm auch an einer Handballmeisterschaft in XXXX teil. Da am späteren Abend jedoch keine öffentlichen Verkehrsmittel mehr fahren, musste der Beschwerdeführer dieses Hobby aufgeben. Weiter spielt der Beschwerdeführer gerne Fußball, geht laufen oder spazieren.

Unter Berücksichtigung der Persönlichkeitskonstellation des Beschwerdeführers, dessen Lebens- und Ausbildungsverlaufs seit seiner Einreise und seinen Zukunftsperspektiven ist von einer positiven Prognose auszugehen.

In Österreich leben keine Verwandten oder sonstige wichtige Bezugspersonen des Beschwerdeführers. Es besteht weder eine Lebensgemeinschaft des Beschwerdeführers in Österreich noch gibt es in Österreich geborene Kinder des Beschwerdeführers.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten. Er ist im Wesentlichen gesund und arbeitsfähig.

1.3 Zu seinen Fluchtgründen und der Rückkehr nach Afghanistan

Der Beschwerdeführer stellte am XXXX gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz und begründete diesen in weiterer Folge mit drohendem Missbrauch als „Bacha Bazi“ durch eine bewaffnete Gruppierung von drei Personen, mit Verfolgung aufgrund unterstellter Homosexualität, seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Tadschiken, seines Glaubens und seines jungen Alters sowie mit der allgemeinen Sicherheitslage.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer in Afghanistan aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Überzeugung persönlich bedroht oder verfolgt wurde oder eine Verfolgung im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan zu befürchten hätte.

Der Beschwerdeführer wurde in seinem Heimatdorf von drei Männern angesprochen und aufgefordert, sich ihnen als Tanzjunge („Bacha Bazi“) anzuschließen. Es handelte sich bei den Männern jedoch nicht um besonders einflussreiche Personen. Insbesondere ist keiner der Männer mit einem Parlamentsabgeordneten verwandt. Der Vater des Beschwerdeführers wurde nicht von den Männern aufgesucht und auch nicht bedroht. Zwischenzeitlich ist der Beschwerdeführer ein junger Mann von fast XXXX Jahren und damit volljährig und erwachsen. Im Fall einer Rückkehr des Beschwerdeführers nach Afghanistan ist daher nicht zu erwarten, dass der zwischenzeitlich volljährige Beschwerdeführer Opfer von „Bacha Bazi“ werden könnte. Dem Beschwerdeführer drohen im Fall seiner Rückkehr nach Afghanistan – insbesondere nach Mazar-e Sharif – auch keine Übergriffe bzw. Verfolgung durch die Gruppe von drei Männern.

Dem Beschwerdeführer drohen im Fall seiner Rückkehr nach Afghanistan auch keine Übergriffe durch Privatpersonen, staatliche Stellen oder sonstige Akteure wegen unterstellter Homosexualität.

Dem Beschwerdeführer drohen im Fall seiner Rückkehr in den Herkunftsstaat keine Übergriffe oder Verfolgung wegen seiner Volksgruppen- oder Religionszugehörigkeit.

Kinderspezifische Verfolgung droht dem Beschwerdeführer im Fall einer Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht, zumal der Beschwerdeführer zwischenzeitlich bereits volljährig und erwachsen ist.

Dem Beschwerdeführer drohen als Rückkehrer aus dem westlichen Ausland im Fall seiner Rückkehr nach Afghanistan keine Übergriffe durch Privatpersonen, staatliche Stellen oder sonstige Akteure.

Dem Beschwerdeführer droht im Fall seiner Rückkehr nach Afghanistan auch keine asylrelevante Verfolgung durch Privatpersonen, staatliche Stellen oder sonstige Akteure wegen eines (unterstellten) Abfalls vom Glauben (Apostasie).

Afghanistan ist von einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt zwischen der afghanischen Regierung und Aufständischen betroffen. Die Betroffenheit von Kampfhandlungen sowie deren Auswirkungen für die Zivilbevölkerung sind regional unterschiedlich.

Die Heimatprovinz des Beschwerdeführers (Kabul), insbesondere deren Hauptstadt Kabul, ist von innerstaatlichen Konflikten und stark von öffentlichkeitswirksamen Angriffen der Taliban und anderer militanter Gruppierungen betroffen. Es werden Anschläge auf hochrangige Ziele ausgeführt, um die Aufmerksamkeit der Medien zu erlangen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen. Die afghanische Regierung führt regelmäßig Sicherheitsoperationen in und um die Hauptstadt Kabul durch.

Im Fall einer Rückkehr des Beschwerdeführers in seine Herkunftsprovinz Kabul droht ihm die Gefahr, im Zuge von Kampfhandlungen zwischen regierungsfeindlichen Gruppierungen und Streitkräften der Regierung oder durch Übergriffe von regierungsfeindlichen Gruppierungen gegen die Zivilbevölkerung zu Tode zu kommen oder misshandelt oder verletzt zu werden.

Die Provinz Balkh gehört zu den stabilsten und ruhigsten Provinzen Afghanistans mit im Vergleich zu anderen Provinzen geringen Aktivitäten von Aufständischen. In den letzten Monaten versuchten Aufständische der Taliban die nördliche Provinz Balkh aus benachbarten Regionen zu infiltrieren. Drei Schlüsseldistrikte, Zari, Sholagara und Chahar Kant, zählen zu jenen Distrikten, die in den letzten Monaten von Sicherheitsbedrohungen betroffen waren. Die Provinzhauptstadt Mazar-e Sharif ist davon jedoch nicht betroffen. Mazar-e Sharif-e Sharif gilt als Import-/Exportdrehkreuz sowie als regionales Handelszentrum. Die Stadt steht unter Regierungskontrolle und verfügt über einen internationalen Flughaben, über den sie sicher erreicht werden kann.

Für den Fall einer Niederlassung des Beschwerdeführers in der Stadt Mazar-e Sharif kann nicht festgestellt werden, dass diesem die Gefahr droht, im Zuge von Kampfhandlungen oder durch Angriffe Aufständischer zu Tode zu kommen oder misshandelt oder verletzt zu werden.

Die Provinz Balkh war von einer Dürre betroffen. Ernährungssicherheit, Zugang zu Wohnmöglichkeiten, Wasser und medizinische Versorgung sind in Mazar-e Sharif grundsätzlich gegeben. Wegen der derzeit bestehenden Pandemie durch das Corona-Virus ist der Zugang zu einer medizinischen Versorgung in Mazar-e Sharif zwar vorhanden, jedoch beschränkt. In der Provinz Balkh gibt es ein Krankenhaus, welches COVID-19 Patienten behandelt und über 200 Betten verfügt. Die Arbeitslosigkeit im Herkunftsstaat ist hoch und Armut verbreitet. Aufgrund kurzfristiger Lockdowns kann auch die Möglichkeit, sich durch eigene Arbeit seinen Lebensunterhalt zu verdienen, zeitlich begrenzt eingeschränkt sein. Derzeit sind die Dienstzeiten im privaten und öffentlichen Sektor auf sechs Stunden pro Tag beschränkt und die Beschäftigten werden in zwei ungerade und gerade Tagesschichten eingeteilt. In den Städten ist die Zahl der aktiven Fälle von COVID-19 zurückgegangen. Die afghanische Regierung ist im Rahmen des Dastarkhan-e-Milli-Programms bemüht, Haushalte zu unterstützen, die sich in wirtschaftlicher Not befinden. Auf der Grundlage des Programms will die Regierung in der ersten Phase 86 Millionen Dollar und dann in der zweiten Phase 158 Millionen Dollar bereitstellen, um Menschen im ganzen Land mit Nahrungsmitteln zu versorgen.

Im Fall einer Rückführung des – gesunden, arbeitsfähigen und volljährigen – Beschwerdeführers nach Mazar-e Sharif ist davon auszugehen, dass er sich – wenn auch nach anfänglichen Schwierigkeiten – eine Lebensgrundlage wird aufbauen und die Grundbedürfnisse seiner menschlichen Existenz wie Nahrung, Kleidung und Unterkunft wird decken können. Der Beschwerdeführer wird im Fall seiner Niederlassung in Mazar-e Sharif ein mit anderen dort lebenden Afghanen vergleichbares Leben ohne unbillige Härten führen können. Der Beschwerdeführer ist ein junger Mann von XXXX Jahren, der an keinen schwerwiegenden Erkrankungen leidet und (hinsichtlich COVID-19) nicht unter die Risikogruppen der älteren Personen und der Personen mit Vorerkrankungen wie Diabetes, Herzkrankheiten oder Bluthochdruck fällt. Er ist mit den kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftslandes vertraut und verfügt über eine neunjährige Schulbildung in Afghanistan sowie einen Pflichtschulabschluss in Österreich. Zudem spricht er eine Sprache des Herkunftsstaates (Dari) muttersprachlich und verfügt auch über Kenntnisse in der Sprache Paschtu. Der Beschwerdeführer verbrachte sein gesamtes Leben bis zu seiner Ausreise im Spätsommer bzw Frühherbst XXXX in Afghanistan und wurde dort im afghanischen Familienverband sozialisiert. Der Beschwerdeführer hat keine Sorgepflichten. Der Aufbau einer Existenzgrundlage in der Stadt Mazar-e Sharif ist ihm, wenn auch nach anfänglichen Schwierigkeiten, möglich.

Es gibt in Afghanistan unterschiedliche Unterstützungsprogramme für Rückkehrer von Seiten der Regierung, von NGOs und durch internationale Organisationen, die der Beschwerdeführer in Anspruch nehmen könnte. IOM bietet in Afghanistan Unterstützung bei der Reintegration an.

1.4 Zur Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers

Es werden folgende entscheidungsrelevante Feststellungen zum Herkunftsstaat der Beschwerdeführer getroffen:

1.4.1 Staatendokumentation (Stand 21.7.2020, außer wenn anders angegeben)

1.4.1.1 Länderspezifische Anmerkungen COVID-19

1.4.1.1.1 Stand 21.7.2020

Aktueller Stand der COVID-19 Krise in Afghanistan

Berichten zufolge, haben sich in Afghanistan mehr als 35.000 Menschen mit COVID-19 angesteckt (WHO 20.7.2020; vgl. JHU 20.7.2020, OCHA 16.7.2020), mehr als 1.280 sind daran gestorben. Aufgrund der begrenzten Ressourcen des öffentlichen Gesundheitswesens und der begrenzten Testkapazitäten sowie des Fehlens eines nationalen Sterberegisters werden bestätigte Fälle von und Todesfälle durch COVID-19 in Afghanistan wahrscheinlich insgesamt zu wenig gemeldet (OCHA 16.7.2020; vgl. DS 19.7.2020). 10 Prozent der insgesamt bestätigten COVID-19-Fälle entfallen auf das Gesundheitspersonal. Kabul ist hinsichtlich der bestätigten Fälle nach wie vor der am stärksten betroffene Teil des Landes, gefolgt von den Provinzen Herat, Balkh, Nangarhar und Kandahar (OCHA 15.7.2020). Beamte in der Provinz Herat sagten, dass der Strom afghanischer Flüchtlinge, die aus dem Iran zurückkehren, und die Nachlässigkeit der Menschen, die Gesundheitsrichtlinien zu befolgen, die Möglichkeit einer neuen Welle des Virus erhöht haben, und dass diese in einigen Gebieten bereits begonnen hätte (TN 14.7.2020). Am 18.7.2020 wurde mit 60 neuen COVID-19 Fällen der niedrigste tägliche Anstieg seit drei Monaten verzeichnet – wobei an diesem Tag landesweit nur 194 Tests durchgeführt wurden (AnA 18.7.2020).

Krankenhäuser und Kliniken berichten weiterhin über Probleme bei der Aufrechterhaltung oder Erweiterung der Kapazität ihrer Einrichtungen zur Behandlung von Patienten mit COVID-19. Diese Herausforderungen stehen im Zusammenhang mit der Bereitstellung von persönlicher Schutzausrüstung (PSA), Testkits und medizinischem Material sowie mit der begrenzten Anzahl geschulter Mitarbeiter – noch verschärft durch die Zahl des erkrankten Gesundheitspersonals. Es besteht nach wie vor ein dringender Bedarf an mehr Laborequipment sowie an der Stärkung der personellen Kapazitäten und der operativen Unterstützung (OCHA 16.7.2020, vgl. BBC-News 30.6.2020).

Maßnahmen der afghanischen Regierung und internationale Hilfe

Die landesweiten Sperrmaßnahmen der Regierung Afghanistans bleiben in Kraft. Universitäten und Schulen bleiben weiterhin geschlossen (OCHA 8.7.2020; vgl. RA KBL 16.7.2020). Die Regierung Afghanistans gab am 6.6.2020 bekannt, dass sie die landesweite Abriegelung um drei weitere Monate verlängern und neue Gesundheitsrichtlinien für die Bürger herausgeben werde. Darüber hinaus hat die Regierung die Schließung von Schulen um weitere drei Monate bis Ende August verlängert (OCHA 8.7.2020).

Berichten zufolge werden die Vorgaben der Regierung nicht befolgt, und die Durchsetzung war nachsichtig (OCHA 16.7.2020, vgl. TN 12.7.2020). Die Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des Virus unterscheiden sich weiterhin von Provinz zu Provinz, in denen die lokalen Behörden über die Umsetzung der Maßnahmen entscheiden. Zwar behindern die Sperrmaßnahmen der Provinzen weiterhin periodisch die Bewegung der humanitären Helfer, doch hat sich die Situation in den letzten Wochen deutlich verbessert, und es wurden weniger Behinderungen gemeldet (OCHA 15.7.2020).

Einwohner Kabuls und eine Reihe von Ärzten stellten am 18.7.2020 die Art und Weise in Frage, wie das afghanische Gesundheitsministerium (MoPH) mit der Ausbreitung der COVID-19-Pandemie im Land umgegangen ist, und sagten, das Gesundheitsministerium habe es trotz massiver internationaler Gelder versäumt, richtig auf die Pandemie zu reagieren (TN 18.7.2020). Es gibt Berichte wonach die Bürger angeben, dass sie ihr Vertrauen in öffentliche Krankenhäuser verloren haben und niemand mehr in öffentliche Krankenhäuser geht, um Tests oder Behandlungen durchzuführen (TN 12.7.2020).

Beamte des afghanischen Gesundheitsministeriums erklärten, dass die Zahl der aktiven Fälle von COVID-19 in den Städten zurückgegangen ist, die Pandemie in den Dörfern und in den abgelegenen Regionen des Landes jedoch zunimmt. Der Gesundheitsminister gab an, dass 500 Beatmungsgeräte aus Deutschland angekauft wurden und 106 davon in den Provinzen verteilt werden würden (TN 18.7.2020).

Am Samstag den 18.7.2020 kündete die afghanische Regierung den Start des Dastarkhan-e-Milli-Programms als Teil ihrer Bemühungen an, Haushalten inmitten der COVID-19-Pandemie zu helfen, die sich in wirtschaftlicher Not befinden. Auf der Grundlage des Programms will die Regierung in der ersten Phase 86 Millionen Dollar und dann in der zweiten Phase 158 Millionen Dollar bereitstellen, um Menschen im ganzen Land mit Nahrungsmitteln zu versorgen. Die erste Phase soll über 1,7 Millionen Familien in 13.000 Dörfern in 34 Provinzen des Landes abdecken (TN 18.7.2020; vgl. Mangalorean 19.7.2020).

Die Weltbank genehmigte am 15.7.2020 einen Zuschuss in Höhe von 200 Millionen US-Dollar, um Afghanistan dabei zu unterstützen, die Auswirkungen von COVID-19 zu mildern und gefährdeten Menschen und Unternehmen Hilfe zu leisten (WB 10.7.2020; vgl. AN 10.7.2020).

Auszugsweise Lage in den Provinzen Afghanistans

Dieselben Maßnahmen – nämlich Einschränkungen und Begrenzungen der täglichen Aktivitäten, des Geschäftslebens und des gesellschaftlichen Lebens – werden in allen folgend angeführten Provinzen durchgeführt. Die Regierung hat eine Reihe verbindlicher gesundheitlicher und sozialer Distanzierungsmaßnahmen eingeführt, wie z.B. das obligatorische Tragen von Gesichtsmasken an öffentlichen Orten, das Einhalten eines Sicherheitsabstandes von zwei Metern in der Öffentlichkeit und ein Verbot von Versammlungen mit mehr als zehn Personen. Öffentliche und touristische Plätze, Parks, Sportanlagen, Schulen, Universitäten und Bildungseinrichtungen sind geschlossen; die Dienstzeiten im privaten und öffentlichen Sektor sind auf 6 Stunden pro Tag beschränkt und die Beschäftigten werden in zwei ungerade und gerade Tagesschichten eingeteilt (RA KBL 16.7.2020; vgl. OCHA 8.7.2020).

Die meisten Hotels, Teehäuser und ähnliche Orte sind aufgrund der COVID-19 Maßnahmen geschlossen, es sei denn, sie wurden geheim und unbemerkt von staatlichen Stellen geöffnet (RA KBL 16.7.2020; vgl. OCHA 8.7.2020).

In der Provinz Kabul gibt es zwei öffentliche Krankenhäuser die COVID-19 Patienten behandeln mit 200 bzw. 100 Betten. Aufgrund der hohen Anzahl von COVID-19-Fällen im Land und der unzureichenden Kapazität der öffentlichen Krankenhäuser hat die Regierung kürzlich auch privaten Krankenhäusern die Behandlung von COVID-19-Patienten gestattet. Kabul sieht sich aufgrund von Regen- und Schneemangel, einer boomenden Bevölkerung und verschwenderischem Wasserverbrauch mit Wasserknappheit konfrontiert. Außerdem leben immer noch rund 12 Prozent der Menschen in Kabul unter der Armutsgrenze, was bedeutet, dass oftmals ein erschwerter Zugang zu Wasser besteht (RA KBL 16.7.2020; WHO o.D).

In der Provinz Balkh gibt es ein Krankenhaus, welches COVID-19 Patienten behandelt und über 200 Betten verfügt. Es gibt Berichte, dass die Bewohner einiger Distrikte der Provinz mit Wasserknappheit zu kämpfen hatten. Darüber hinaus hatten die Menschen in einigen Distrikten Schwierigkeiten mit dem Zugang zu ausreichender Nahrung, insbesondere im Zuge der COVID-19-Pandemie (RA KBL 16.7.2020).

In der Provinz Herat gibt es zwei Krankenhäuser die COVID-19 Patienten behandeln. Ein staatliches öffentliches Krankenhaus mit 100 Betten, das vor kurzem speziell für COVID-19-Patienten gebaut wurde (RA KBL 16.7.2020; vgl. TN 19.3.2020) und ein Krankenhaus mit 300 Betten, das von einem örtlichen Geschäftsmann in einem umgebauten Hotel zur Behandlung von COVID-19-Patienten eingerichtet wurde (RA KBL 16.7.2020; vgl. TN 4.5.2020). Es gibt Berichte, dass 47,6 Prozent der Menschen in Herat unter der Armutsgrenze leben, was bedeutet, dass oft ein erschwerter Zugang zu sauberem Trinkwasser und Nahrung haben, insbesondere im Zuge der Quarantäne aufgrund von COVID-19, durch die die meisten Tagelöhner arbeitslos blieben (RA KBL 16.7.2020; vgl. UNICEF 19.4.2020).

In der Provinz Daikundi gibt es ein Krankenhaus für COVID-19-Patienten mit 50 Betten. Es gibt jedoch keine Auswertungsmöglichkeiten für COVID-19-Tests – es werden Proben entnommen und zur Laboruntersuchung nach Kabul gebracht. Es dauert Tage, bis ihre Ergebnisse von Kabul nach Daikundi gebracht werden. Es gibt Berichte, dass 90 Prozent der Menschen in Daikundi unter der Armutsgrenze leben und dass etwa 60 Prozent der Menschen in der Provinz stark von Ernährungsunsicherheit betroffen sind (RA KBL 16.7.2020).

In der Provinz Samangan gibt es ebenso ein Krankenhaus für COVID-19-Patienten mit 50 Betten. Wie auch in der Provinz Daikundi müssen Proben nach Kabul zur Testung geschickt werden. Eine unzureichende Wasserversorgung ist eine der größten Herausforderungen für die Bevölkerung. Nur 20 Prozent der Haushalte haben Zugang zu sauberem Trinkwasser (RA KBL 16.7.2020).

Wirtschaftliche Lage in Afghanistan

Verschiedene COVID-19-Modelle zeigen, dass der Höhepunkt des COVID-19-Ausbruchs in Afghanistan zwischen Ende Juli und Anfang August erwartet wird, was schwerwiegende Auswirkungen auf die Wirtschaft Afghanistans und das Wohlergehen der Bevölkerung haben wird (OCHA 16.7.2020). Es herrscht weiterhin Besorgnis seitens humanitärer Helfer, über die Auswirkungen ausgedehnter Sperrmaßnahmen auf die am stärksten gefährdeten Menschen – insbesondere auf Menschen mit Behinderungen und Familien – die auf Gelegenheitsarbeit angewiesen sind und denen alternative Einkommensquellen fehlen (OCHA 15.7.2020). Der Marktbeobachtung des World Food Programme (WFP) zufolge ist der durchschnittliche Weizenmehlpreis zwischen dem 14. März und dem 15. Juli um 12 Prozent gestiegen, während die Kosten für Hülsenfrüchte, Zucker, Speiseöl und Reis (minderwertige Qualität) im gleichen Zeitraum um 20 – 31 Prozent gestiegen sind (WFP 15.7.2020, OCHA 15.7.2020). Einem Bericht der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der UNO (FAO) und des Ministeriums für Landwirtschaft, Bewässerung und Viehzucht (MAIL) zufolge sind über 20 Prozent der befragten Bauern nicht in der Lage, ihre nächste Ernte anzubauen, wobei der fehlende Zugang zu landwirtschaftlichen Betriebsmitteln und die COVID-19-Beschränkungen als Schlüsselfaktoren genannt werden. Darüber hinaus sind die meisten Weizen-, Obst-, Gemüse- und Milchverarbeitungsbetriebe derzeit nur teilweise oder gar nicht ausgelastet, wobei die COVID-19-Beschränkungen als ein Hauptgrund für die Reduzierung der Betriebe genannt werden. Die große Mehrheit der Händler berichtete von gestiegenen Preisen für Weizen, frische Lebensmittel, Schafe/Ziegen, Rinder und Transport im Vergleich zur gleichen Zeit des Vorjahres. Frischwarenhändler auf Provinz- und nationaler Ebene sahen sich im Vergleich zu Händlern auf Distriktebene mit mehr Einschränkungen konfrontiert, während die große Mehrheit der Händler laut dem Bericht von teilweisen Marktschließungen aufgrund von COVID-19 berichtete (FAO 16.4.2020; vgl. OCHA 16.7.2020; vgl. WB 10.7.2020).

Am 19.7.2020 erfolgte die erste Lieferung afghanischer Waren in zwei Lastwagen nach Indien, nachdem Pakistan die Wiederaufnahme afghanischer Exporte nach Indien angekündigt hatte um den Transithandel zu erleichtern. Am 12.7.2020 öffnete Pakistan auch die Grenzübergänge Angor Ada und Dand-e-Patan in den Provinzen Paktia und Paktika für afghanische Waren, fast zwei Wochen nachdem es die Grenzübergänge Spin Boldak, Torkham und Ghulam Khan geöffnet hatte (TN 20.7.2020).

Einreise und Bewegungsfreiheit

Die Türkei hat, nachdem internationale Flüge ab 11.6.2020 wieder nach und nach aufgenommen wurden, am 19.7.2020 wegen der COVID-19-Pandemie Flüge in den Iran und nach Afghanistan bis auf weiteres ausgesetzt, wie das Ministerium für Verkehr und Infrastruktur mitteilte (TN 20.7.2020; vgl. AnA 19.7.2020, DS 19.7.2020).

Bestimmte öffentliche Verkehrsmittel wie Busse, die mehr als vier Passagiere befördern, dürfen nicht verkehren. Obwohl sich die Regierung nicht dazu geäußert hat, die Reisebeschränkungen für die Bürger aufzuheben, um die Ausbreitung von COVID-19 zu verhindern, hat sich der Verkehr in den Städten wieder normalisiert, und Restaurants und Parks sind wieder geöffnet (TN 12.7.2020).

1.4.1.1.2 Stand 29.6.2020

Berichten zufolge, haben sich mehr als 30.000 Menschen in Afghanistan mit COVID-19 angesteckt (WP 25.5.2020; vgl. JHU 26.6.2020), mehr als 670 sind daran gestorben. Dem Gesundheitsministerium zufolge, liegen die tatsächlichen Zahlen viel höher; auch bestünde dem Ministerium zufolge die Möglichkeit, dass in den kommenden Monaten landesweit bis zu 26 Millionen Menschen mit dem Virus infiziert werden könnten, womit die Zahl der Todesopfer 100.000 übersteigen könnte. Die COVID-19 Testraten sind extrem niedrig in Afghanistan: weniger als 0,2 % der Bevölkerung – rund 64.900 Menschen von geschätzten 37,6 Millionen Einwohnern – wurden bis jetzt auf COVID-19 getestet (WP 25.6.2020).

In vier der 34 Provinzen Afghanistans – Nangahar, Ghazni, Logar und Kunduz – hat sich unter den Sicherheitskräften COVID-19 ausgebreitet. In manchen Einheiten wird eine Infektionsrate von 60-90 % vermutet. Dadurch steht weniger Personal bei Operationen und/oder zur Aufnahme des Dienstes auf Außenposten zur Verfügung (WP 25.6.2020).

In Afghanistan sind landesweit derzeit Mobilität, soziale und geschäftliche Aktivitäten sowie Regierungsdienste eingeschränkt. In den größeren Städten wie z.B. Kabul, Kandahar, Mazar-e Sharif, Jalalabad, Parwan usw. wird auf diese Maßnahmen stärker geachtet und dementsprechend kontrolliert. Verboten sind zudem auch Großveranstaltungen – Regierungsveranstaltungen, Hochzeitsfeiern, Sportveranstaltungen – bei denen mehr als zehn Personen zusammenkommen würden (RA KBL 19.6.2020). In der Öffentlichkeit ist die Bevölkerung verpflichtet einen Nasen-Mund-Schutz zu tragen (AJ 8.6.2020).

Wirksame Maßnahmen der Regierung zur Bekämpfung von COVID-19 scheinen derzeit auf keiner Ebene möglich zu sein: der afghanischen Regierung zufolge, lebt 52 % der Bevölkerung in Armut, während 45 % in Ernährungsunsicherheit lebt (AF 24.6.2020). Dem Lockdown Folge zu leisten, „social distancing“ zu betreiben und zuhause zu bleiben ist daher für viele keine Option, da viele Afghan/innen arbeiten müssen, um ihre Familien versorgen zu können (AJ 8.6.2020).

Gesellschaftliche Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19 Auswirkungen

In Kabul, hat sich aus der COVID-19-Krise heraus ein „Solidaritätsprogramm“ entwickelt, welches später in anderen Provinzen repliziert wurde. Eine afghanische Tageszeitung rief Hausbesitzer dazu auf, jenen ihrer Mieter/innen, die Miete zu reduzieren oder zu erlassen, die aufgrund der Ausgangsbeschränkungen nicht arbeiten konnten. Viele Hausbesitzer folgten dem Aufruf (AF 24.6.2020).

Bei der Spendenaktion „Kocha Ba Kocha“ kamen junge Freiwillige zusammen, um auf die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie zu reagieren, indem sie Spenden für bedürftige Familien sammelten und ihnen kostenlos Nahrungsmittel zur Verfügung stellten. In einem weiteren Fall startete eine Privatbank eine Spendenkampagne, durch die 10.000 Haushalte in Kabul und andere Provinzen monatlich mit Lebensmitteln versorgt wurden. Außerdem initiierte die afghanische Regierung das sogenannte „kostenlose Brot“-Programm; bei dem bedürftige Familien – ausgewählt durch Gemeindeälteste – rund einen Monat lang mit kostenlosem Brot versorgt werden (AF 24.6.2020). In dem mehrphasigen Projekt, erhält täglich jede Person innerhalb einer Familie zwei Stück des traditionellen Brots, von einer Bäckerei in der Nähe ihres Wohnortes (TN 15.6.2020). Die Regierung kündigte kürzlich an, das Programm um einen weiteren Monat zu verlängern (AF 24.6.2020; vgl. TN 15.6.2020). Beispielsweise beklagten sich bedürftige Familien in der Provinz Jawzjan über Korruption im Rahmen dieses Projektes (TN 20.5.2020).

Weitere Maßnahmen der afghanischen Regierung

Schulen und Universitäten sind nach aktuellem Stand bis September 2020 geschlossen (AJ 8.6.2020; vgl. RA KBL 19.6.2020). Über Fernlernprogramme, via Internet, Radio und Fernsehen soll der traditionelle Unterricht im Klassenzimmer vorerst weiterhin ersetzen werden (AJ 8.6.2020). Fernlehre funktioniert jedoch nur bei wenigen Studierenden. Zum einen können sich viele Familien weder Internet noch die dafür benötigten Geräte leisten und zum Anderem schränkt eine hohe Analphabetenzahl unter den Eltern in Afghanistan diese dabei ein, ihren Kindern beim Lernen behilflich sein zu können (HRW 18.6.2020).

Die großen Reisebeschränkungen wurden mittlerweile aufgehoben; die Bevölkerung kann nun in alle Provinzen reisen (RA KBL 19.6.2020). Afghanistan hat mit 24.6.2020 den internationalen Flugverkehr mit einem Turkish Airlines-Flug von Kabul nach Istanbul wieder aufgenommen; wobei der Flugplan aufgrund von Restriktionen auf vier Flüge pro Woche beschränkt wird (AnA 24.6.2020). Emirates, eine staatliche Fluglinie der Vereinigten Arabischen Emirate, hat mit 25.6.2020 Flüge zwischen Afghanistan und Dubai wieder aufgenommen (AnA 24.6.2020; vgl. GN 9.6.2020). Zwei afghanische Fluggesellschaften Ariana Airlines und der lokale private Betreiber Kam Air habe

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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