Entscheidungsdatum
02.11.2020Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W102 2196478-1/7E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Werner ANDRÄ als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch RA Mag.a Nadja LORENZ, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Niederösterreich, vom 09.04.2018, Zl. XXXX - XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 05.10.2020 zu Recht erkannt:
A)
I. Die Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.
II. Der Beschwerde wird hinsichtlich der Spruchpunkte II. bis VI. stattgegeben und XXXX gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.
III. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter für ein Jahr erteilt.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger und Angehöriger der Volksgruppe der Usbeken, reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen in die Republik Österreich ein und stellte am 16.10.2015 erstmals im Bundesgebiet einen Antrag auf internationalen Schutz.
Im Rahmen der Erstbefragung am 14.11.2015 gab der Beschwerdeführer zum Fluchtgrund befragt im Wesentlichen an, er habe in Afghanistan Feinde. Sein Bruder habe einen Talib festgenommen und dem Sicherheitsdienst übergeben, dieser sei ins Taliban-Gefängnis gekommen. Daraufhin hätten die Taliban ihr Haus angegriffen, einen Bruder mit Schüssen verletzt. Er habe das Haus nicht verlassen können. Er werde von den Taliban getötet.
In der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 21.03.2018 führte der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen auf das Wesentliche zusammengefasst aus, der Bruder sei normaler Soldat gewesen. Ein Nachbar habe für die Taliban gekämpft. Der Beschwerdeführer sei in der Stadt einkaufen gewesen und habe am Rückweg den Nachbarn getroffen. Der habe gefragt, wie es ihm gehe. Er habe den Nachbarn zuerst nicht erkannt, Kopf und Mund seien bedeckt gewesen. Der Nachbar habe gesagt, er solle niemandem sagen, dass er ihn gesehen habe und habe ihn auch mit dem Tod bedroht, falls er es erzähle. Der Bruder, der Soldat, habe ihm schon zuvor gesagt, er solle ihm sagen, wenn er den Nachbarn oder einen anderen Talib sehe, also habe er den Bruder angerufen. Der habe gesagt, sie sollten vorsichtig sein und nicht hinausgehen. Dann sei die Polizei zum Nachbarn gekommen, der Bruder habe sie verständigt und der Nachbar sei festgenommen worden. Etwa einen Monat später seien die Taliban zu ihnen nachhause gekommen. Der Bruder habe Hunde bellen gehört und sei hinausgegangen, der Beschwerdeführer direkt hinter ihm. Es sei geschossen worden. Der Talib habe eigentlich den Beschwerdeführer erschießen wollen, aber seinen Bruder getroffen. Der Beschwerdeführer sei ins Haus gelaufen. Im Badezimmer habe es ein Fenster gegeben, durch dieses sei er hinaus. Er sei durch das Zimmer, in dem sie Teppiche machen würden gelaufen und sei aus diesem Zimmer, wo auch ein Fenster sei, hinaus auf die Straße und zum Nachbargebäude geflohen. Dies sei eine Bäckerei, er habe sich im Ofen versteckt. Alle Nachbarn seien durch den Lärm wachgeworden und hätten herumgeschrien, er habe Sirenen von Polizei und Rettung gehört. Nach zwei bis drei Stunden sei er raus und zu einem Freund geschlichen. Dort sei er drei Tage geblieben. Der Freund habe die Familie angerufen, diese hätten gesagt, die Taliban kämen jede Nacht und würden nach ihm suchen. Weitere drei Tage später sei er in die Stadt gegangen, die Mutter habe ihm Geld gebracht. Er habe einen Schlepper gefunden. Die Taliban seien noch zwei Mal gekommen, als er in der Türkei gewesen sei und einmal, als er schon in Österreich gewesen sei. Beim letzten Besuch 2017 hätten die Taliban ihren Hund getötet und den Vater geschlagen.
Am 06.04.2018 langte eine Stellungnahme des Beschwerdeführers beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ein, in der im Wesentlichen ausgeführt wird, dem Beschwerdeführer drohe landesweit Verfolgung durch die Taliban, eine innerstaatliche Fluchtalternative komme nicht in Betracht. Er habe in Afghanistan kein tragfähiges Unterstützungsnetzwerk und leide an einer Knocheninfektion.
2. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 09.04.2018, zugestellt am 14.04.2018, wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten § 8 Abs. 1 AsylG 2005 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt II.), erteilte dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 (Spruchpunkt III.), erließ gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG (Spruchpunkt IV.) und stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.). Begründend führte die belangte Behörde aus, hinsichtlich der Knocheninfektion könne im Entscheidungszeitpunkt keine lebensbedrohende Erkrankung festgestellt werden, ein Wiederaufflammen sei derzeit nicht gegeben. Eine Antibiotikatherapie sei in Afghanistan verfügbar, auch Röntgen- und Laborkontrolle können durchgeführt werden. Die vage Möglichkeit eines Krankheitsausbruches bzw. eine bessere medizinische Versorgung könne nicht zu einer Art. 3 EMRK Verletzung führen. Die Fluchtgeschichte sei privater Natur und nicht wegen den Konventionsgründen. Dem Beschwerdeführer stehe eine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung. Das Vorbringen sei vage, unplausibel und nicht glaubhaft. Die Behörde habe durch insistierendes Nachfragen jegliche Details erfragen müssen. Für die Behörde sei nicht plausibel, dass der Beschwerdeführer bei einem zufälligen Treffen auf einmal aus dem nichts heraus mit dem Tode bedroht werden sollte, nur, weil er die Person gesehen habe. Es sei nicht nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführer und nicht sein Bruder Ziel der Verfolgungshandlungen gewesen sein solle. Auch der zeitliche Verzug von einem Monat lasse sich nicht plausibel erklären. Der Behörde erschließe sich nicht, woher die Person überhaupt wissen solle, dass der Beschwerdeführer bzw. sein Bruder mit der Festnahme zu tun hätten. Der Beschwerdeführer vermute lediglich, dass dies etwas miteinander zu tun habe. Eine Rückkehr nach Faryab sei gemäß den Länderfeststellungen derzeit nicht zumutbar, der Beschwerdeführer könne jedoch seinen Lebensunterhalt in Kabul bestreiten.
3. Gegen den oben dargestellten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 09.04.2018 richtet sich die am 17.05.2018 bei der belangten Behörde eingelangte vollumfängliche Beschwerde, in der im Wesentlichen ausgeführt wird, ein Wiederaufflammen der Knochenmarksentzündung sei jederzeit möglich. Die belangte Behörde habe ihre „behördliche Recherche“ in Form einer „medizinischen Anfrage“ dem Beschwerdeführer nicht zur Kenntnis gebracht und so den Beschwerdeführer in seinem Recht auf Parteiengehör verletzt. Das Wiederaufflammen der Knocheninfektion könne, wenn nicht die richtige Antibiotikatherapie durchgeführt werde, zum Tod führen. Um ein solches Wiederaufflammen rechtzeitig zu erkennen, seien drei Mal jährlich Röntgen- und Laborkontrollen notwendig. Im Falle eines Wiederaufflammens müsse eine Keimbestimmung mit Austestung der Antibiotikaresistenz und eine anschließende monatelange Antibiotikatherapie mit wöchentlichen Laborkontrollen erfolgen. Zum Beweis der Richtigkeit dieser Ausführung werde die Einvernahme des behandelnden Arztes beantragt, in eventu zum Beweis der instabilen Gesundheitssituation und der notwendigen medizinischen Behandlung und Kontrolle die Einholung eines Sachverständigengutachtens aus dem Bereich Orthopädie. Eine Auseinandersetzung mit der faktischen Zugänglichkeit zur erforderlichen Behandlung sei nicht erfolgt. Dem Beschwerdeführer drohe landesweite Verfolgung durch die Taliban. Sicherheits- und Versorgungslage seien schlecht, eine innerstaatliche Fluchtalternative nicht zumutbar. Der Beschwerdeführer würde als Rückkehrer aus dem westlichen Ausland und aufgrund seines definitiv veränderten Aussehens und Verhaltens als „verwestlicht“ angesehen werden.
Mit Schreiben vom 22.05.2018 legte die belangte Behörde die Beschwerde samt Akt dem Bundesverwaltungsgericht vor und verzichtete auf Durchführung und Teilnahme an einer mündlichen Beschwerdeverhandlung.
Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 15.04.2020 wurde die gegenständliche Rechtssache der bis dahin zuständigen Gerichtsabteilung abgenommen und in der Folge der nunmehr zuständigen Gerichtsabteilung neu zugewiesen.
Mit Ladung vom 14.09.2020 brachte das Bundesverwaltungsgericht aktuelle Länderberichte in das Verfahren ein. Mit am 02.10.2020 am Bundesverwaltungsgericht eingelangter Stellungnahme führt der Beschwerdeführer im Wesentlichen aus, angesichts des Zustandes der afghanischen Gesundheitsversorgung könne mit einer entsprechenden Überwachung und Behandlung der chronischen Krankheit des Beschwerdeführers nicht gerechnet werden. Die Krankenhäuser seien zurzeit auch mit der Corona-Pandemie zusätzlich überlastet. Beim Beschwerdeführer sei 2017 eine Leberrestriktion durchgeführt worden und würden Personen mit Leberbeschwerden zur Risikogruppe im Zusammenhang mit dem Corona-Virus gehören. Die Pandemie habe verheerende Folgen für die Nahrungsmittelversorgung. Rückkehrer aus Europa würden stärker als schon bisher stigmatisiert. Der Beschwerdeführer sei als „verwestlicht“ anzusehen. Er sei gläubiger Moslem, lehne jedoch die konservativ-religiösen Vorstellungen von Leben und Gesellschaft ab. Er lebe den interreligiösen Austausch durch Einbindung in eine christliche Gemeinde, befinde sich in aufrechter Lebensgemeinschaft und sei frei von einem religiös-motivierten Zwang, sämtlichen Regeln und Vorgaben des Islam nachzukommen. Seine Vorstellung von Religiosität weiche von in Afghanistan verbreiteten Dogmen ab. Er werde im Fall der Rückkehr weder seine Denkweise ändern, noch seine Verhaltensweisen, sowie seine Art, den Glauben zu leben, anpassen.
Am 14.09.2020 wurde auch dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Ladung für die Verhandlung am 05.10.2020 zugestellt.
Das Bundesverwaltungsgericht führte zur Ermittlung des entscheidungswesentlichen Sachverhaltes am 05.10.2020 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der der Beschwerdeführer, seine bevollmächtigte Rechtsvertreterin und ein Dolmetscher für die Sprache Usbekisch teilnahmen. Die belangte Behörde verzichtete auf die Teilnahme.
Im Zuge der mündlichen Verhandlung wurde der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen befragt und hielt sein Vorbringen, er werde wegen der Festnahme des Nachbarn von den Taliban verfolgt, im Wesentlichen aufrecht.
Am 06.10.2020 langte eine Stellungnahme zur „Verhandlung vom 05.10.2020, an welcher aus dienstlichen Gründen nicht teilgenommen werden konnte“ ein, in der die belangte Behörde ausführt, sie habe im Verfahren gemäß § 18 VwGVG Parteistellung und habe keine Kenntnis über diese Stellungnahmen und Urkunden gehabt. Den Parteien sei gemäß § 45 iVm § 37 AVG Gelegenheit zu geben, vom Ergebnis der Beweisaufnahme Kenntnis und Stellung nehmen zu können. Die belangte Behörde sei sich bewusst, dass dies auch im Rahmen der mündlichen Verhandlung erfolgen hätte können, jedoch sei die Teilnahme auf Grund dienstlicher Unabkömmlichkeit beider Behördenvertreter der Regionaldirektion Niederösterreich nicht möglich gewesen. Beantragt werde die elektronische Übermittlung der Stellungnahmen und Urkunden, sowie die Gewährung einer entsprechenden Frist zur Stellungnahme seitens der belangten Behörde.
Der Beschwerdeführer legte im Lauf des Verfahrens folgende Dokumente vor:
? Medizinische Unterlagen
? Mehrere Empfehlungsschreiben
? Bestätigungen über ehrenamtliche Arbeit
? Teilnahmebestätigungen für Deutschkurse, Workshops, Kurse und Projekte
? Fotos
? Mitgliedskarten
? Integrationsprüfungszeugnis B1
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zu Person und Lebensumständen des Beschwerdeführers
Der Beschwerdeführer trägt den im Spruch angeführten Namen, wurde im Jahr XXXX geboren und ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan, Angehöriger der Volksgruppe der Usbeken und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam. Die Muttersprache des Beschwerdeführers ist Usbekisch. Er spricht auch Dari und Türkisch, sowie Deutsch auf dem Niveau B1 des gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen.
Im Dezember 2017 wurde beim Beschwerdeführer wegen einer Leberzyste eine zentrale Leberresektion durchgeführt.
Der Beschwerdeführer leidet an einer Beinlängendifferenz, einer rechtsseitigen Sprunggelenkarthrose, Steifheit im rechten Sprunggelenk, einer Wadenmuskulaturatrophie (Muskelschwund) sowie an chronischer Osteomyelitis (Knocheninfektion) im rechten Fersenbein. Die Knocheninfektion kann jederzeit wiederaufflammen, wobei dies beim Beschwerdeführer wegen der schlechten Durchblutungssituation seines Beines besonders begünstigt wird. Um ein Wiederaufflammen rechtzeitig zu erkennen, bedarf es einer dreimal jährlichen Röntgen- und Laborkontrolle, um die Therapie erheblich zu verkürzen. Im Fall des Wiederaufflammens bedarf es einer Keimbestimmung mit Austestung der Antibiotikaresistenzen und einer anschließenden, mehrmonatigen Behandlung mit den entsprechenden Antibiotika, sowie wöchentlichen Laborkontrollen. Ohne Antibiotikatherapie kann es zu septischen Gesamtzuständen kommen, die zum Tod führen. Der Beschwerdeführer befindet sich wegen seiner chronischen Osteomyelitis in regelmäßiger fachärztlicher Behandlung.
Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.
Der Beschwerdeführer wurde in einem Dorf in der Provinz Faryab, Distrikt Qorghan geboren. Im Kindesalter reiste er mit seiner Familie wegen der Taliban nach Pakistan aus, wo er etwa vier Jahre lebte und einige Monate die Koranschule besuchte. Nach der Rückkehr der Familie in das Herkunftsdorf arbeitete der Beschwerdeführer als Teppichknüpfer und in der Landwirtschaft.
Im Jahr 2014 reiste der Beschwerdeführer in die Türkei aus, wo er als Holzarbeiter tätig war und in einer Fabrik für Verbandsmaterial bzw. Kunststofftextilien gearbeitet hat.
Der Beschwerdeführer hat zwei Brüder und fünf Schwestern. Drei Schwestern sind verheiratet.
Die Eltern des Beschwerdeführers und seine beiden ledigen Schwestern leben mittlerweile in einem Flüchtlingslager in der Provinz Faryab, Distrikt Andkhoy.
Die beiden Brüder des Beschwerdeführers sind aus dem Herkunftsstaat ausgereist, als der Beschwerdeführer bereits in Österreich aufhältig war. Ein Bruder des Beschwerdeführers ist in der Türkei und einer im Iran aufhältig.
Der Beschwerdeführer steht in Kontakt zu seinen Angehörigen.
Im Bundesgebiet hat sich der Beschwerdeführer einen Freundeskreis aufgebaut. Er ist ehrenamtlich für das XXXX und das XXXX tätig. Zudem hilft er bei diversen Pfarrveranstaltungen und hat an einem Lern- und Handwerksprojekt teilgenommen. Zudem hat er diverse Workshops und einige Deutschkurse besucht und ist Mitglied bei den XXXX . Er hat die Integrationsprüfung für das Niveau B1 des gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen erfolgreich absolviert. Zuletzt hat der Beschwerdeführer einen Basisbildungskurs besucht, aktuell nimmt er an einem Vorbereitungskurs für den Pflichtschulabschluss teil.
1.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers
Es wird nicht festgestellt, dass ein Bruder des Beschwerdeführers als Soldat bzw. Grenzpolizist für die afghanischen Streit- und Sicherheitskräfte tätig war. Es wird auch nicht festgestellt, dass ein Taliban-Mitglied und Nachbar des Beschwerdeführers, nachdem der Beschwerdeführer ihn zufällig getroffen hatte, nach einer Anzeige des Bruders des Beschwerdeführers von der afghanischen Polizei festgenommen und der Beschwerdeführer deshalb von den Taliban gesucht und angegriffen wurde.
Im Fall der Rückkehr in das Herkunftsdorf ist nicht zu erwarten, dass der Beschwerdeführer Übergriffen der Taliban ausgesetzt wäre, weil ihm unterstellt wird, einen der ihren an die afghanische Polizei verraten zu haben.
Ein konkreter Anlass für die Ausreise des Beschwerdeführers aus dem Herkunftsstaat kann nicht festgestellt werden.
Dem Beschwerdeführer drohen im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat keine Übergriffe durch staatliche oder private Akteure, weil er als „verwestlicht“ wahrgenommen würde. Seine Lebensführung bricht nicht mit in Afghanistan an Männer gestellten Rollenerwartungen.
Der Beschwerdeführer ist gläubiger Muslim, dass er eine von afghanischen Gepflogenheiten abweichende religiöse Denkweise verinnerlicht hat, wird nicht festgestellt.
1.3. Zur Rückkehr in den Herkunftsstaat
Afghanistan ist von einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt zwischen der afghanischen Regierung und Aufständischen betroffen. Die Betroffenheit von Kampfhandlungen sowie deren Auswirkungen für die Zivilbevölkerung sind regional unterschiedlich.
Faryab gehört zu den volatilen Provinzen, Taliban-Kämpfer sind aktiv. Faryab befand sich zuletzt unter den Provinzen mit der höchsten Konzentration an Kämpfen, die meisten Distrikte stehen unter Taliban-Kontrolle. Es kommt zu Luftangriffen und Zusammenstößen zwischen Taliban und Regierungstruppen und zu Vertreibungen. Die Taliban betreiben Checkpoints entlang der Autobahnen.
Im Fall der Rückkehr des Beschwerdeführers in die Herkunftsprovinz droht ihm die Gefahr, im Zuge von Kampfhandlungen zwischen Aufständischen und Regierungstruppen oder durch Übergriffe Aufständischer zu Tode zu kommen oder misshandelt oder verletzt zu werden.
Das afghanische Gesundheitssystem ist mangelhaft. Insbesondere beschädigte Infrastruktur, Personalmangel, Ressourcenmangel, die schlechte Sicherheitslage und allgegenwärtige Armut stellen Probleme dar. Hohe Behandlungskosten zwingen die Bevölkerung, erforderliche Behandlungen nicht in Anspruch zu nehmen, für Behandlungen, Medikamente, Labortests, Arztbesuche und Krankenhausaufenthalte muss bezahlt werden. Insbesondere Rückkehrer und intern Vertriebene leiden unter einem erschwerten Zugang zur Gesundheitsversorgung.
Im Fall einer Ansiedelung des Beschwerdeführers in Mazar-e Sharif, Kabul (Stadt) oder Herat (Stadt) ist sein Zugang zur regelmäßigen Labor- und Röntgenkontrolle und fachärztlicher Behandlung nicht sichergestellt. Dass der Beschwerdeführer im Fall des Wiederaufflammens der Knocheninfektion die erforderliche Behandlung erhält, ist nicht zu erwarten.
2. Beweiswürdigung:
2.1. Zu Person und Lebensumständen des Beschwerdeführers
Die Feststellungen zur Identität des Beschwerdeführers, seiner Staatsangehörigkeit, Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, seiner Muttersprache, seinem Lebenswandel im Herkunftsstaat und seiner Herkunft beruhen auf den gleichbleibenden und plausiblen Angaben des Beschwerdeführers im Lauf des Verfahrens. Auch die belangte Behörde legte diese Angaben des Beschwerdeführers ihrer Entscheidung zugrunde. Die Feststellung zu den Deutschkenntnissen des Beschwerdeführers beruht auf dem im Zuge der mündlichen Verhandlung am 05.10.2020 vorgelegten Integrationsprüfungszeugnis (Beilage zu OZ 5).
Die Feststellungen zum Gesundheitszustand des Beschwerdeführers beruhen auf den im Verfahren laufend vorgelegten medizinischen Unterlagen. Im Hinblick auf die im Jahr 2017 durchgeführte Leberresektion hat der Beschwerdeführer einen Patientenbrief vom 19.01.2018 vorgelegt, aus dem der erfolgte Eingriff hervorgeht, sowie, dass der postoperative Verlauf unkompliziert und der Beschwerdeführer in gutem Allgemeinzustand entlassen werden konnte. Aktuellere Unterlagen im Hinblick auf Leberbeschwerden des Beschwerdeführers wurden nicht vorgelegt, sodass eine Grundlage für die mit Stellungnahme vom 01.10.2020 (OZ 4, S. 5) Leberbeschwerden des Beschwerdeführers nicht ersichtlich ist. Die Feststellungen zu Sprunggelenkarthrose und chronischer Osteomyelitis beruhen auf den vom Beschwerdeführer vorgelegten medizinischen Unterlagen, sowie der von der belangten Behörde eingeholten Einschätzung des behandelnden Facharztes. In ihrer Beweiswürdigung gibt auch die belangte Behörde zu erkennen, dass sie im Hinblick auf die vorgelegten Befunde und die Einschätzung des Facharztes des Beschwerdeführers keine Zweifel an der Erkrankung des Beschwerdeführers und an den erforderlichen Kontrollen und Behandlungen im Fall eines Wiederaufflammens keine Zweifel hegt (Bescheid, S. 97). Auch das Bundesverwaltungsgericht zweifelt nicht am Vorliegen der Erkrankung und deren Behandlungsbedarf. Im Hinblick darauf konnte die beantragte Einvernahme des behandelnden Arztes des Beschwerdeführers, der im Übrigen bereits von der belangten Behörde schriftlich um eine Konkretisierung und Einschätzung gebeten wurde, sowie die Einholung eines Sachverständigengutachtens aus dem Bereich Orthopädie unterbleiben.
Die Feststellung zur Unbescholtenheit des Beschwerdeführers ergibt sich aus dem im Akt einliegenden aktuellen Strafregisterauszug.
Die Feststellungen zu den Geschwistern des Beschwerdeführers beruht auf seinen Angaben in der Erstbefragung (Erstbefragungsprotokoll, S. 3), sowie in der niederschriftlichen Einvernahme (Einvernahmeprotokoll, S. 4).
Dass Eltern und Schwestern des Beschwerdeführers mittlerweile in einem Flüchtlingslager leben, beruht auf den Angaben des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 05.10.2020 (OZ 5, S. 3), die vor dem Hintergrund der Sicherheitslage in der Herkunftsprovinz, wie sie dem vom Bundesverwaltungsgericht mit Ladung vom 14.09.2020 (OZ 3) in das Verfahren eingebrachten EASO COI Report: Afghanistan. Security situation von Juni 2019 zu entnehmen ist (Kapitel 2.9 Faryab, S. 119), wobei aus diesem auch hervorgeht, dass insbesondere der Herkunftsdistrikt von Vertreibungen betroffen ist (Unterkapitel 2.9.3.1 Displacement, S. 125).
Die Feststellungen zum Verbleib der Brüder beruht auf den Angaben des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 05.10.2020, wo der Beschwerdeführer hinsichtlich eines Bruders angab, dieser sei zwischenzeitig in die Türkei gereist (OZ 5, S.?3), sowie in der niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde am 21.03.2020, wo er angab, beide Brüder würden sich im Iran aufhalten (Einvernahmeprotokoll, S. 4).
Dass der Beschwerdeführer in Kontakt zu seinen Angehörigen steht, hat er selbst durchgehend angegeben und auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 05.10.2020 bestätigt (OZ 5, S. 4).
Die Feststellungen zu den Aktivitäten des Beschwerdeführers im Bundesgebiet beruhen auf den hierzu vorgelegten Bestätigungen, Empfehlungsschreiben, Fotos, etc.
2.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers
Zwar geht aus den vom Bundesverwaltungsgericht mit Ladung vom 14.09.2020 (OZ 3) in das Verfahren eingebrachten UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfes von 30.08.2018 (in der Folge: UNHCR-Richtlinien) hervor, dass regierungsfeindliche Kräfte Zivilisten angreifen, die der Zusammenarbeit oder der „Spionage“ für regierungsnahe Kräfte, darunter die afghanischen nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (ANDSF), verdächtigt werden (Abschnitt III. Internationaler Schutzbedarf, Kapitel 1. Personen, die tatsächlich oder vermeintlich mit der Regierung und der internationalen Gemeinschaft einschließlich der internationalen Streitkräfte verbunden sind oder diese tatsächlich oder vermeintlich unterstützen, Buchstabe c) Zivilisten, die mit den afghanischen nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräften/regierungsnahen Kräften verbunden sind oder diese vermeintlich unterstützen, S. 48). Auch die ebenso vom Bundesverwaltungsgericht mit Ladung vom 14.09.2020 (OZ 3) in das Verfahren eingebrachte EASO Country Guidance: Afghanistan von Juni 2019 (in der Folge: EASO Country Guidance) geht im Hinblick auf Zivilisten, die als Spione wahrgenommen werden, davon aus, dass diese Übergriffen durch regierungsfeindliche Kräfte ausgesetzt sein könnten (Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel II. Refugee status, Unterkapitel 2. Government officials, including judges, prosecutors and judicial staff; and those perceived as supporting the government, S. 50). Im EASO COI Report: Afghanistan. Gezielte Gewalt bewaffneter Akteure gegen Individuen von Dezember 2017 – auch vom Bundesverwaltungsgericht mit Ladung vom 14.09.2020 (OZ 3) in das Verfahren eingebracht – wird hierzu im Detail ausgeführt, es komme zu gezielten Angriffen gegen Menschen, denen vorgeworfen werde, die Regierung zu unterstützen, etwa Bauern, Ladeninhaber oder Studierende. Über ihre „Paralleljustiz“ würden die Taliban auch diejenigen bestrafen, die sie beschuldigten, Spione zu sein und der Regierung Informationen über die Taliban zu übermitteln. Spionage für die Regierung sei ein Verbrechen, ohne die Möglichkeit der Reue (Kapitel 1.2.2.2 Vorwurf der Unterstützung der Regierung oder der Spionage, S. 35). Der Beschwerdeführer schildert demnach mit seinem Vorbringen vor dem Hintergrund der Länderberichte eine abstrakt plausible Rahmenhandlung. Das Vorbringen des Beschwerdeführers ist jedoch in sich nicht schlüssig.
So gibt der Beschwerdeführer an, sein Bruder sei Soldat (Einvernahmeprotokoll, S. 6) bzw. Grenzpolizist (OZ 5, S. 3) gewesen und stellt dies in Zusammenhang mit der durch den Bruder erstatteten Anzeige. Aus der bereits zitierten EASO Country Guidance ergibt sich jedoch auch, dass insbesondere ANSF-Personal zum Ziel Aufständischer werden, wobei berichtet wird, dass Familienangehörige ebenso angegriffen und oft unter Druck gesetzt würden, damit ihr Angehöriger die Sicherheitskräfte verlässt (Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel II. Refugee status, Unterkapitel 1. Members of the security forces and pro-government militias, S. 49). Im EASO COI Report: Afghanistan. Gezielte Gewalt bewaffneter Akteure gegen Individuen von Dezember 2017 wird berichtet, wo immer die Taliban präsent seien, würde Druck auf ihre Familienangehörigen ausgeübt, um ANSF-Mitarbeiter zu zwingen, ihre Tätigkeit aufzugeben, mitunter würden Familienangehörige hingerichtet (Kapitel 1.3.1 Familienangehörige von ANSF-Personal, S. 65). Der Beschwerdeführer gibt an, es sei im Dorf bekannt gewesen, dass sein Bruder beim Militär sei (Einvernahmeprotokoll, S. 8), schildert jedoch keinerlei Vorgehen der Taliban gegen die Familie wegen der behaupteten Zugehörigkeit des Bruders zum Militär. Damit ist die vom Beschwerdeführer behauptete starke Präsenz der Taliban im Herkunftsdorf („tagsüber sind die Regierungstruppen da und nachts sind die Taliban da“, Einvernahmeprotokoll, S. 6) nicht in Einklang zu bringen, die in der Fluchterzählung des Beschwerdeführers den Taliban auch erst ermöglicht, ihn selbst anzugreifen.
Weiter gibt der Beschwerdeführer Ausreisezeitpunkt, –grund und Aufenthalt im Hinblick auf seine Brüder nicht konsistent an. So geht aus der Erstbefragung – die im Übrigen mit einem Dolmetscher der Sprache „Usbekisch“ erfolgte (Erstbefragungsprotokoll, S. 2) – hervor, dass sich neben Eltern und Schwestern des Beschwerdeführers auch die Brüder im Herkunftsdorf aufhalten (Erstbefragungsprotkoll, S. 3). Hierzu gab der Beschwerdeführer auch in der niederschriftlichen Einvernahme am 21.03.2018, als er die Gelegenheit erhielt, Anmerkungen zur Erstbefragung zu machen, nicht an, dass diese Angaben unrichtig seien (Einvernahmeprotokoll, S. 3). In der niederschriftlichen Einvernahme durch die belangte Behörde am 21.03.2018 gibt der Beschwerdeführer an, die Brüder wären im Iran aufhältig. Ausreisegründe nennt er nicht und stellt auch keinen Zusammenhang zu einer allfälligen Bedrohung der Brüder bzw. eines Bruders durch die Taliban her (Einvernahmeprotkoll, S. 4). Im Gegensatz zur Erstbefragung gibt der Beschwerdeführer sodann in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht an, seine Brüder seien auch aus Afghanistan geflohen, als er Afghanistan verlassen habe (OZ 5, S. 3), stellt jedoch abermals keine konkreten Zusammenhänge her. Dies ist jedoch nicht mit den Angaben der Erstbefragung in Einklang zu bringen, auch wenn das Bundesveraltungsgericht die Ausreise der Brüder im Hinblick auf die allgemeine Sicherheitslage in der Herkunftsprovinz, sowie die mangelnden Erwerbsaussichten in Afghanistan (hierzu noch unter 2.3.) für plausibel hält und den Angaben des Beschwerdeführers in Einvernahme und mündlicher Verhandlung gemäß festgestellt hat, dass ein Bruder in der Türkei und einer – mangels seither anderer konkreter Angaben – im Iran aufhältig ist.
Weiter berichtet der bereits zitierte EASO COI Report: Afghanistan. Gezielte Gewalt bewaffneter Akteure gegen Individuen von Dezember 2017 von häufigen Rachetötungen durch die Taliban (Kapitel 1.1.5.1 Einschränkungen, S. 21) und auch die UNHCR-Richtlinien betonen, dass regierungsfeindliche Kräfte als Vergeltungsmaßnahme und gemäß dem Prinzip der Sippenhaft Familienangehörige unter anderem von Personen, die der „Spionage“ für die Regierung bezichtigt werden, angreifen (Abschnitt III. Internationaler Schutzbedarf, Kapitel 1. Personen, die tatsächlich oder vermeintlich mit der Regierung und der internationalen Gemeinschaft einschließlich der internationalen Streitkräfte verbunden sind oder diese tatsächlich oder vermeintlich unterstützen, Buchstabe k) Familienangehörige von Personen, die tatsächlich oder vermeintlich mit der Regierung oder mit der internationalen Gemeinschaft verbunden sind, oder diese tatsächlich oder vermeintlich unterstützen, S. 54). Dass Familienangehörigen des Beschwerdeführers weiterhin im Herkunftsdorf aufhältig sind – den Angaben des Beschwerdeführers in der Erstbefragung zufolge Eltern, zwei Schwestern und beide Brüder, während den Angaben in der Einvernahme am 21.03.2018 zufolge Eltern und Schwestern noch im Herkunftsdorf verblieben sind – ohne, dass der Beschwerdeführer konkrete Übergriffe der Taliban schildern kann, lässt die behauptete Bedrohung durch die Taliban ebenso nicht glaubhaft erscheinen. So gibt der Beschwerdeführer in der niederschriftlichen Einvernahme am 21.03.2018 an, seinen Angehörigen im Herkunftsdorf gehe es normal, die beiden Schwestern würden die Teppiche machen, seine Eltern seien schon alt (Einvernahmeprotkoll, S. 5), behauptet aber kurz später vage, die Taliban seien noch drei Mal bei der Familie gewesen und hätten ihren Hund erschossen (Einvernahmeprotokoll, S. 10-11). Hierin ist aber einerseits – nachdem der Beschwerdeführer die behauptete wiederholte Bedrohung der Familie durch die Taliban in seinen allgemeinen Angaben völlig unerwähnt lässt – eine nachvollziehbare Einbettung des Fluchtvorbringens in die sonstigen Angaben des Beschwerdeführers nicht ersichtlich, was darauf hinweist, dass der Beschwerdeführer keine tatsächlich erlebten Ereignisse schildert. Darauf weist im Übrigen auch hin, dass der Beschwerdeführer im Zusammenhang mit der Schilderung seines Lebenswandels zwar die Ausreise in die Türkei angibt (Einvernahmeprotokoll, S. 4), ohne auch nur am Rande zu erwähnen, dass diese unfreiwillig aufgrund von Todesgefahr erfolgt sein soll. Andererseits ist nicht nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführer angibt, seiner Familie gehe es „normal“. Insgesamt konnte der Beschwerdeführer sein Fluchtvorbringen damit nicht glaubhaft machen und konnte ein konkreter Anlass für die Ausreise des Beschwerdeführers damit nicht festgestellt werden.
Im Hinblick auf die Ausführungen des Beschwerdeführers, er sei als „verwestlicht“ anzusehen und lehne die konservativ-religiösen Vorstellungen von Leben und Gesellschaft in Afghanistan ab, ist zunächst anzumerken, dass sich dieses Vorbringen im Wesentlichen auf die Schriftsätze der Rechtsvertreterin beschränkt und in den Angaben des Beschwerdeführers selbst keinen Niederschlag findet. Insbesondere im Hinblick auf seine religiösen Überzeugungen hat der Beschwerdeführers eigenständig keinerlei Vorbringen erstattet und bringt auch schriftlich weiterhin vor, er sei gläubiger Muslim. Damit ist eine von afghanischen Gepflogenheiten abweichende religiöse Denkweise, sowie auch hieraus resultierende Übergriffe nicht glaubhaft gemacht.
Im Hinblick auf Rückkehrer aus dem „westlichen“ Ausland erwähnen etwa die UNHCR-Richtlinien Vorfälle, dass Rückkehrer aus westlichen Ländern von regierungsfeindlichen Gruppierungen bedroht, gefoltert oder getötet wurden, weil sie sich vermeintlich die diesen Ländern zugeschriebenen Werte zu eigen Gemächt hätten und „Ausländer“ geworden seien (Abschnitt III. Internationaler Schutzbedarf, Kapitel A. Risikoprofile, Unterkapitel 1. Personen, die tatsächlich oder vermeintlich mit der Regierung und der internationalen Gemeinschaft einschließlich der internationalen Streitkräfte verbunden sind oder diese tatsächlich oder vermeintlich unterstützen, Buchstabe i) Als „verwestlicht“ wahrgenommene Personen, S. 52-53). UNHCR stellt dies jedoch nicht als „Massenphänomen“ dar. Die EASO Country Guidance berichten ebenso davon, dass Personen, die aus westlichen Staaten zurückkehren Ziel von Aufständischen werden können, weil sie als unislamisch wahrgenommen werden könnten. Für Männer wird allerdings berichtet, dieses Risiko sei minimal und von den spezifischen Umständen abhängig (Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel II. Refugee status, Unterkapitel 13. Individuals perceived as ‘Westernised’, S. 65-66). Derartige Umstände wurden jedoch nicht konkret dargetan. Im Hinblick auf den „Lebensstil“ des Beschwerdeführers ist anzumerken, dass das Bundesverwaltungsgericht dem Beschwerdeführer zwar zugesteht, dass sich sein „Lebensstil“ bedingt dadurch, dass er sich nunmehr seit dem Jahr 2015 im Bundesgebiet aufhält und rege am gesellschaftlichen Leben teilnimmt und zahlreiche Bildungsangebote wahrnimmt, von demjenigen eines im Herkunftsstaat verbliebenen jungen Mannes unterscheidet. Den Länderberichten lässt sich allerdings entnehmen, dass die Rolle einer Teilnahme am öffentlichen Leben und Erwerbstätigkeit im Herkunftsstaat Männern zugewiesen ist und zwar im Gegensatz zu Frauen, die aufgrund bestehender Vorurteile und traditioneller Praktiken, durch die sie marginalisiert werden, mit allgegenwärtiger sozialer, politischer und ökonomischer Diskriminierung konfrontiert sind. Frauen, die vermeintliche soziale Normen und Sitten verletzen – dies sind zum Beispiel Einschränkungen der Bewegungsfreiheit durch die Forderung nach männlicher Begleitung in der Öffentlichkeit oder Beschränkungen der Erwerbsmöglichkeiten – werden stigmatisiert, diskriminiert und ihre Sicherheit ist gefährdet. Besonders gefährdet und kaum in der Lage, zu überleben, sind Frauen ohne männlichen Schutz. (siehe dazu UNHCR-Richtlinien, Kapitel III. Internationaler Schutzbedarf, Unterkapitel A. Risikoprofile, Unterkapitel 1. Personen, die tatsächlich oder vermeintlich mit der Regierung und der internationalen Gemeinschaft einschließlich der internationalen Streitkräfte verbunden sind oder diese tatsächlich oder vermeintlich unterstützen, Buchstabe h) Frauen im öffentlichen Leben, S. 51 und Buchstabe i) Als „verwestlicht“ wahrgenommene Personen, S. 52). Vergleichbare Einschränkungen in der Lebensführung für Männer ergeben sich aus den vorliegenden Länderinformationen nicht und hat der Beschwerdeführer eine damit vergleichbare Situation für Männer auch nicht behauptet. Der Beschwerdeführer kann sich demnach auch im Fall der Rückkehr am öffentlichen Leben beteiligen, einer Erwerbstätigkeit nachgehen und sich frei bewegen. Ein Bruch mit männlichen afghanischen Rollenbildern ist damit nicht ersichtlich, auch wenn der Beschwerdeführer allenfalls Verhaltensweisen und Kommunikationsstrategien wieder an afghanische Gepflogenheiten anpassen müsste.
2.3. Zur Rückkehr in den Herkunftsstaat
Die Feststellung zum innerstaatlichen bewaffneten Konflikt in Afghanistan beruht auf dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Gesamtaktualisierung am 13.11.2019, letzte Information eingefügt am 21.07.2020 (in der Folge: Länderinformationsblatt), der EASO Country Guidance und dem auch deren Grundlage bildenden EASO COI Report. Afghanistan. Security situation von Juni 2019 sowie den UNHCR-Richtlinien.
Die Feststellungen zur Sicherheitslage in Faryab ergeben sich aus dem Länderinformationsblatt, Kaptel 2. Sicherheitslage, Unterkapitel 2.9. Faryab, sowie aus der EASO Country Guidance, Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel III. Subsidiary protection, Unterkapitel Article 15 (c) QD, Abschnitt Faryab, S. 95-96), sowie auf dem EASO COI Report: Afghanistan, Security situation von Juni 2019, Kapitel 2.9. Faryab, inbesondere Kapitel 2.9.2 Conflict background and actors in Faryab, insbesondere Tabelle S. 121-122) und die Taliban im Jahr 2017 die Kontrolle über die meisten Distrikte der Provinz erlangt haben. In Sorge vor einer allfälligen Einnahme der Hauptstadt durch die Taliban seien Truppen verlegt und die Luftangriffe intensiviert worden (Kapitel 2.9.3 Recent security trends and impact on the civilian population, Unterkapitel 2.9.3.1. General, S. 124-125). Auf dieser Berichtslage hinsichtlich der Sicherheitslage in der beruht auch die Feststellung, dass dem Beschwerdeführer im Fall der Rückkehr in die Herkunftsprovinz die Gefahr droht, im Zuge von Kampfhandlungen zwischen Aufständischen und Regierungstruppen oder durch Übergriffe Aufständischer zu Tode zu kommen oder misshandelt oder verletzt zu werden.
Die Feststellungen zum afghanischen Gesundheitssystem beruhen insbesondere auf dem EASO COI Report: Key socio-economic indicators. Focus on Kabul City, Mazar-e Sharif und Herat City von August 2020, Kapitel 2.6 Health care, S. 45), die im Übrigen mit den Informationen des Länderinformationsblattes, Kapitel 21. Medizinische Versorgung, im Einklang stehen.
Im Hinblick auf Personen mit schweren medizinischen Problemen ist der EASO Country Guidance zu entnehmen, dass die afghanische Regierung nicht über die Mittel verfügt, um die Funktionsfähigkeit ihrer gesundheitlichen Einrichtungen zu gewährleisten. Abgesehen von öffentlichen Gesundheitseinrichtungen gebe es einen teuren privaten Gesundheitssektor. Personen mit schweren medizinischen Problemen seien allgemein mit einer mangelhaften Gesundheitsversorgung konfrontiert. EASO betont allerdings, dass die Verweigerung der notwendigen Behandlung im Allgemeinen nicht intentional erfolge, sondern sei auf deren mangelnde Verfügbarkeit zurückzuführen (Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel II. Refugee Status, Unterkapitel 15. Persons living with disabilities and persons with severe medical issues, S. 67-68). Im Zusammenhang mit einer Niederlassung in Kabul, Mazar-e Sharif oder Herat ist der EASO Country Guidance zufolge auf die individuellen Umstände, nämlich finanzielle Mittel und ein Unterstützungsnetzwerk abzustellen. Generell geht EASO jedoch davon aus, dass eine Wiederansiedelung für Personen mit schweren medizinischen Problemen nicht zumutbar ist (Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel V. Internal protection alternative, Abschnitt Reasonableness to settle, Unterabschnitt Conclusions on reasonableness: particular profiles encountered in practice, Profil Applicants with severe illnesses or disabilities, S. 138).
Der Beschwerdeführer verfügt in den genannten Städten nicht über ein soziales Netzwerkt und auch nicht über außergewöhnliche finanzielle Mittel. So sind die Angehörigen des Beschwerdeführers im Iran, der Türkei und in der Herkunftsprovinz aufhältig, nicht aber in einer der drei Städte. Zu den finanziellen Mitteln des Beschwerdeführers ist auszuführen, dass sich im Lauf des Verfahrens keine Hinweise darauf ergeben haben, dass der Beschwerdeführer oder seine Familie über außergewöhnliche Mittel verfügen. Aus dem EASO COI Report: Key socio-economic indicators. Focus on Kabul City, Mazar-e Sharif und Herat City von August 2020 ergibt sich allerdings, dass selbst für einen städtischen Haushalt die Kosten zu hoch sind, um eine erforderliche Behandlung in Anspruch zu nehmen (Kapitel 2.6.2 Access and availability, S. 50). Weiter ist – auch vor dem Hintergrund der allgemein schlechten Arbeitsmarktsituation im Herkunftsstaat (etwa EASO COI Report: Key socio-economic indicators. Focus on Kabul City, Mazar-e Sharif und Herat City von August 2020, Kapitel 2.2.2 Employment opportunities and working conditions, S. 29 ff.) – unter Berücksichtigung dessen, dass der Beschwerdeführer lediglich über geringe Schulbildung, keine Berufsausbildung und auch keine sozialen Anknüpfungspunkte in den genannten Städten verfügt, während Arbeitgeber persönliche Beziehungen und Netzwerke höher bewerten, als formelle Qualifikationen (Länderinformationsblatt, Kapitel 20. Grundversorgung, Abschnitt Arbeitsmarkt), nicht ersichtlich, dass er ein außergewöhnliches Einkommen erzielen könnte, um neben seinen Grundbedürfnissen auch seine Behandlungskosten abzudecken. Hier ist zudem auch zu berücksichtigen, dass der Beschwerdeführer neben der Knocheninfektion auch an einer Versteifung des Sprunggelenkes, Muskelschwund und einer Beinlängendifferenz leidet, was seine Jobaussichten zweifellos nicht fördert. Andere dauerhafte Finanzierungsquellen sind dagegen nicht ersichtlich. So ergibt sich aus dem Länderinformationsblatt, dass mit Unterstützung durch öffentliche Behörden nicht zu rechnen ist (Kapitel 21. Grundversorgung, 21.1. Sozialbeihilfen, wohlfahrtsstaatliche Leistungen und Versicherungen), sowie, dass Rückkehrhilfe allenfalls temporär gewährt wird (Kapitel 23. Rückkehr). Auf eine zuverlässige und dauerhafte Finanzierung durch Eltern und Geschwister haben sich dagegen im Lauf des Verfahrens keine Hinweise ergeben. Insgesamt ist damit nicht zu erwarten, dass der Beschwerdeführer Zugang zur regelmäßigen Labor- und Röntgenkontrolle, sowie zu fachärztlicher Behandlung hätte, sowie, dass er im Fall des Wiederaufflammens der Knocheninfektion die erforderliche Behandlung erhält.
Zur Plausibilität und Seriosität der herangezogenen Länderinformationen zur Lage im Herkunftsstaat ist auszuführen, dass die im Länderinformationsblatt zitierten Unterlagen von angesehen Einrichtungen stammen. Es ist auch darauf hinzuweisen, dass die Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl nach § 5 Abs. 2 BFA-VG verpflichtet ist, gesammelte Tatsachen nach objektiven Kriterien wissenschaftlich aufzuarbeiten und in allgemeiner Form zu dokumentieren. Auch das European Asylum Support Office (EASO) ist nach Art. 4 lit. a Verordnung (EU) Nr. 439/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Mai 2010 zur Einrichtung eines Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen bei seiner Berichterstattung über Herkunftsländer zur transparent und unparteiisch erfolgende Sammlung von relevanten, zuverlässigen, genauen und aktuellen Informationen verpflichtet. Damit durchlaufen die länderkundlichen Informationen, die diese Einrichtungen zur Verfügung stellen, einen qualitätssichernden Objektivierungsprozess für die Gewinnung von Informationen zur Lage im Herkunftsstaat. Den UNHCR-Richtlinien ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes besondere Beachtung zu schenken („Indizwirkung"), wobei diese Verpflichtung ihr Fundament auch im einschlägigen Unionsrecht findet (Art. 10 Abs. 3 lit. b der Richtlinie 2013/32/EU [Verfahrensrichtlinie] und Art. 8 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2011/95/EU [Statusrichtlinie]; VwGH 07.06.2019, Ra 2019/14/0114) und der Verwaltungsgerichtshof auch hinsichtlich der Einschätzung von EASO von einer besonderen Bedeutung ausgeht und eine Auseinandersetzung mit den „EASO-Richtlinien“ verlangt (VwGH 17.12.2019, Ra 2019/18/0405). Im Hinblick auf den herangezogenen EASO COI Report: Key socio-economic indicators. Focus on Kabul City, Mazar-e Sharif und Herat City von August 2020 ist anzumerken, dass das Bundesverwaltungsgericht diesen Bericht lediglich in der Fassung April 2019 in das Verfahren eingebracht hat (OZ 3). Allerdings wurde dieser Bericht lediglich zu Gunsten des Beschwerdeführers herangezogen hat, weswegen Parteigengehör unterbleiben konnte. Die belangte Behörde hat dagegen als Fachbehörde zweifellos Kenntnis von dem Bericht. Das Bundesverwaltungsgericht stützt sich daher auf die angeführten Länderberichte, wobei eine beweiswürdigende Auseinandersetzung im Detail oben erfolgt ist.
3. Rechtliche Beurteilung:
3.1. Zu den Anträgen der belangten Behörde auf Übermittlung von Aktenbestandteilen sowie Gewährung einer Stellungnahmefrist
Zu den Anträgen der belangten Behörde vom 06.10.2020 (OZ 6) auf elektronische Übermittlung der vom Beschwerdeführer eingebrachten Stellungnahmen und Urkunden, sowie der Gewährung einer entsprechenden Frist zur Stellungnahme seitens der belangten Behörde, ist zunächst einzuräumen, dass die belangte Behörde – wie sie selbst ausführt – gemäß § 18 VwGVG Partei des Verfahrens ist und dass gemäß § 45 Abs. 3 AVG den Parteien Gelegenheit zu geben ist, vom Ergebnis der Beweisaufnahme Kenntnis und dazu Stellung zu nehmen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist das verwaltungsgerichtliche Verfahren damit zumindest ein Zweiparteienverfahren, in dem der vor dem Verwaltungsgericht belangten Behörde, die den angefochtenen Bescheid erlassen hat, die gleichen Parteienrechte (Recht auf Akteneinsicht, Parteiengehör, Ladung zur Verhandlung, etc.) wie dem Beschwerdeführer zukommen (VwGH 15.05.20, Ra 2019/01/0012).
Gegenständlich hat die belangte Behörde mit Schreiben vom 22.05.2018 auf Durchführung und Teilnahme an einer mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht verzichtet. Die Ladung zur mündlichen Verhandlung am 05.10.2020 wurde der belangten Behörde am 14.09.2020 zugestellt, wobei von Seiten der belangten Behörde keine Reaktion erfolgte.
Gemäß § 19 Abs. 3 AVG hat, wer nicht durch Krankheit, Behinderung oder sonstige begründete Hindernisse vom Erscheinen abgehalten ist, die Verpflichtung, der Ladung Folge zu leisten.
Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hindert das Nichterscheinen einer Partei trotz ordnungsgemäßer Ladung die Durchführung der Verhandlung nicht. Voraussetzung für die Durchführung der mündlichen Verhandlung in Abwesenheit der Partei ist eine „ordnungsgemäße Ladung“, wovon nicht gesprochen werden kann, wenn einer der im § 19 Abs. 3 AVG genannten – das Nichterscheinen des Geladenen rechtfertigenden – Gründe vorliegt. Eine rechtswirksam geladene Partei hat die zwingenden Gründe für ihr Nichterscheinen darzutun (VwGH 26.05.2020, Ra 2020/21/0144).
Die belangte Behörde wurde unstrittig ordnungsgemäß geladen und führt zur Begründung ihrer Nichtteilnahme an der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 05.10.2020 ins Treffen, dass die Teilnahme aus dienstlichen Gründen nicht möglich gewesen sei, beide Behördenvertreter der Regionaldirektion Niederösterreich seien unabkömmlich gewesen. Hierzu ist zunächst anzumerken, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl – falls die Nichtteilnahme eines Behördenvertreters überhaupt im Vorfeld der Verhandlung bekannt gegeben wird – mit Regelmäßigkeit die dienstliche Unabkömmlichkeit als Grund dafür ins Treffen führt, dass die Teilnahme eines Behördenvertreters an der mündlichen Verhandlung des Bundesverwaltungsgerichtes nicht möglich sei. Es obliegt jedoch der belangten Behörde, ihren Dienstbetrieb dergestalt zu organisieren, dass sie ihre Stellung als Partei iSd § 18 VwGVG vor dem Bundesverwaltungsgericht im Regelfall wahrnehmen kann. Die Abwesenheit der belangten Behörde war demnach nicht gerechtgertigt.
Zweck einer Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht ist nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Klärung des Sachverhaltes, die Einräumung von Parteiengehör zu diesem und auch das Rechtsgespräch und die Erörterung von Rechtsfragen (VwGH 25.02.2020, Ro 2019/03/0029), wobei die belangte Behörde selbst ausführt, dass sie sich bewusst ist, dass die Wahrnehmung ihrer Parteienrechte „auch“ im Rahmen der mündlichen Verhandlung hätte erfolgen können.
Gegenständlich wurden die vom Beschwerdeführer eingebrachten Stellungnahmen und Urkunden in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 05.10.2020 abschließend erörtert und hatte die belangte Behörde – die ordnungsgemäß geladen wurde und der Verhandlung ohne triftigen Grund fernblieb – hierbei die Gelegenheit, ihre Parteienrechte zu wahren. Den Anträgen auf Übermittlung von Aktenbestandteilen und Gewährung einer weiteren Stellungnahmefrist war daher nicht stattzugeben.
3.2. Zur Abweisung der Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides (Asyl)
Gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (in der Folge AsylG) ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht, dem Fremden keine innerstaatliche Fluchtalternative gemäß § 11 AsylG offen steht und dieser auch keinen Asylausschlussgrund gemäß § 6 AsylG gesetzt hat.
Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht einer Person unter anderem, wenn sie sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Religion verfolgt zu werden, außerhalb des Herkunftsstaates befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.
Nach der ständigen Rechtsprechung des VwGH kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierung ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintanzuhalten (VwGH 08.09.2015, Ra 2015/18/0010 mwN).
3.2.1. Zur behaupteten Verfolgungsgefahr wegen (unterstellter) politischer Gesinnung
Nach der gefestigten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichthofes reicht für die Annahme einer asylrechtlich relevanten Verfolgung aus Gründen der politischen Gesinnung aus, dass eine solche politische Gesinnung zumindest unterstellt wird (vgl. etwa VwGH 06.05.2004, 2002/20/0156).
Wie festgestellt und beweiswürdigend ausgeführt, konnte der Beschwerdeführer jedoch nicht glaubhaft machen, dass ein Taliban-Mitglied und Nachbar des Beschwerdeführers, nachdem der Beschwerdeführer ihn zufällig getroffen hatte, nach einer Anzeige des Bruders des Beschwerdeführers von der afghanischen Polizei festgenommen und der Beschwerdeführer deshalb von den Taliban gesucht und angegriffen wurde. Ansonsten waren keine Umstände ersichtlich, die erwarten lassen, dass der Beschwerdeführer im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat von den Taliban als politischer Gegner wahrgenommen würde.
Eine asylrelevante Verfolgungsgefahr im Sinne der oben zitierten Rechtsprechung konnte der Beschwerdeführer damit nicht glaubhaft machen.
3.2.2. Zur behaupteten Verfolgungsgefahr wegen „Verwestlichung“
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes können Frauen Asyl beanspruchen, die aufgrund eines gelebten „westlich“ orientierten Lebensstils bei Rückkehr in ihren Herkunftsstaat verfolgt würden. Nicht entscheidend ist, ob die Asylwerberin schon vor ihrer Ausreise aus dem Herkunftsstaat eine derartige Lebensweise gelebt hatte bzw. deshalb bereits verfolgt worden ist. Es reicht vielmehr aus, dass sie diese Lebensweise im Zuge ihres Aufenthalts in Österreich angenommen hat und bei Fortsetzung dieses Lebensstils im Falle der Rückkehr mit Verfolgung rechnen müsste (VwGH 26.02.2020, Ra 2019/18/0459). Weiter hat der Verwaltungsgerichtshof bereits wiederholt ausgesprochen, dass nicht jede Änderung der Lebensführung einer Asylwerberin während ihres Aufenthaltes in Österreich, die im Fall einer Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht mehr aufrechterhalten werden könnte, dazu führt, dass der Asylwerberin deshalb internationaler Schutz gewährt werden müsste. Entscheidend ist vielmehr eine grundlegende und auch entsprechend verfestigte Änderung der Lebensführung der Asylwerberin, in der die Anerkennung, die Inanspruchnahme oder die Ausübung ihrer Grundrechte zum Ausdruck kommt, die zu einem wesentlichen Bestandteil ihrer Identität geworden ist, und die bei Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht gelebt werden könnte. Die in der Rechtsprechung behandelte Verfolgung von Frauen westlicher Orientierung wird darin gesehen, dass solche Frauen, obwohl ihr westliches Verhalten oder ihre westliche Lebensführung ein solch wesentlicher Bestandteil ihrer Identität geworden ist, dieses Verhalten unterdrücken müssten (VwGH 13.11.2019, Ra 2019/18/0303).
Festzuhalten ist zunächst, dass der Verwaltungsgerichtshof in seiner bisherigen Rechtsprechung die Asylgewährung wegen eines gelebten „westlich“ orientierten Lebensstils auf Frauen beschränkt hat. Zudem ist zum Gehalt des „westlich“ orientierten Lebensstils auszuführen, dass dieser vor allem eine selbstbestimmte Lebensweise umfasst, insbesondere Zugang zu Bildung und Ausbildung, Berufstätigkeit (ohne männliche Zustimmung), selbstständige Lebensführung auch außer Haus, Bewegungsfreiheit ohne männliche Begleitung, Entscheidungshoheit über die eigene Lebensführung, etc.
Weiter konnte der Beschwerdeführer nicht glaubhaft machen, dass seine Lebensführung mit in Afghanistan an Männer gestellten Rollenerwartungen bricht, sowie, dass ihm Übergriffe durch private oder staatliche Akteure drohen würden, weil er als „verwestlicht“ wahrgenommen würde. Zudem führt bereits bei Frauen nicht jede Änderung der Lebensführung, die im Fall der Rückkehr nicht mehr aufrechterhalten werden könnte, bereits zur Schutzgewährung. Dass der Beschwerdeführer Verhaltensweisen und Kommunikationsstrategien im Fall der Rückkehr allenfalls wieder an afghanische Gepflogenheiten anpassen müsste, ist ihm damit durchaus zumutbar. Dass er von anderen, mit der Situation von Frauen vergleichbaren Restriktionen in der Lebensführung konfrontiert wäre, hat er jedoch weder behauptet, noch ist dies – wie auch beweiswürdigend ausgeführt – ersichtlich.
3.2.3. Zur behaupteten Verfolgungsgefahr wegen der religiösen Überzeugung des Beschwerdeführers
Nach dem gemäß § 2 Abs. 1 Z 12 AsylG unmittelbar anwendbaren Art. 10 Abs. 1 lit. b) der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Gemäß § 2 Abs. 1 Z 9 AsylG „Statusrichtlinie“) umfasst der Begriff der Religion insbesondere theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme bzw. Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder einer Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind.
Nach dem mit „Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit“ übertitelten Art. 10 Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. C 202 vom 7.6.2016, S. 389–405, umfasst dieses Recht die Freiheit, die Religion oder Weltanschauung zu wechseln, und die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung einzeln oder gemeinsam mit anderen öffentlich oder privat durch Gottesdienst, Unterricht, Bräuche und Riten zu bekennen.
Im Wesentlichen inhaltsgleich gewährt auch Art. 9 EMRK als in der EMRK gewährleistetes Grundrecht, die gemäß Art. 6 Abs. 3 Vertrag über die Europäische Union (EUV) als allgemeine Grundsätze Teil des Unionsrechts sind, Anspruch auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit.
Nach diesen normativen Vorgaben umfasst der Religionsbegriff des Art. 1 Abschnitt A, Z 2 GFK nicht nur die individuelle Glaubensfreiheit als Kern der Religionsfreiheit („forum internum“), sondern auch das öffentliche Bekenntnis und die Freiheit zur Ausübung der Religion in den religiösen Vorschriften entsprechendem Verhalten („forum externum“). Demnach ist es einem Asylwerber für den Rückkehrfall nicht zumutbar, seine religiöse Überzeugung heimlich ausüben und seine innere Überzeugung verstecken zu müssen.
Auch die EASO Country Guidance geht hinsichtlich Blasphemie und Apostasie davon aus, dass von einem Antragsteller nicht erwartet werden kann, sich seiner religiösen Praktiken zu enthalten (Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel II. Refugee status, Unterkapitel 16. Individuals considered to have committed blasphemy and/or apostasy, S. 69).
Wie festgestellt und beweiswürdigend ausgeführt ist der Beschwerdeführer jedoch gläubiger Muslim und konnte nicht glaubhaft machen, dass er eine von afghanischen Gepflogenheiten abweichende religiöse Denkweise verinnerlicht hat. Damit war auch eine Verfolgungsgefahr aus religiösen Gründen für den Fall der Rückkehr zu verneinen.
Im Ergebnis war die Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides als unbegründet abzuweisen.
3.3. Zur Stattgebung der Beschwerde hinsichtlich der Spruchpunkte II. bis VI. des angefochtenen Bescheides
Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG ist einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn er in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, oder dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist, wenn eine Zurückweisung oder Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
Mit Erkenntnis vom 06.11.2018, Ra 2018/01/0106 hat der Verwaltungsgerichtshof sich mit der Rechtsprechung des EuGH zu den Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten auseinandergesetzt. Danach sei subsidiärer Schutz nur in jenen Fällen zu gewähren, in denen die reale Gefahr einer Verletzung des Art. 3 EMRK auf einen ernsthaften Schaden iSd Art. 15 Statusrichtlinie zurückzuführen ist, der vom Verhalten eines Akteurs iSd Art. 6 Statusrichtlinie verursacht wird (Art. 15 lit a. und b.), bzw. auf eine Bedrohung in einem bewaffneten Konflikt (Art. 15 lit. c) zurückzuführen ist. Nicht umfasst sei dagegen die reale Gefahr jeglicher etwa auf allgemeine Unzulänglichkeiten im Heimatland zurückzuführende Verletzungen von Art. 3 EMRK. Insofern habe der nationale Gesetzgeber die Bestimmungen der Statusrichtlinie fehlerhaft umgesetzt, weil nach dem Wortlaut des § 8 Abs. 1 AsylG jegliche reale Gefahr (real risk) einer Verletzung von Art 2. Art. EMRK, 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zur Gewährung des Status des subsidiär Schutzberechtigten führe (VwGH 06.11.2018, Ra 2018/01/0106).
An diese Judikatur anschließend spricht der der Verwaltungsgerichthof in seinem Erkenntnis vom 21.05.2019, Ro 2019/19/0006 aus, dass die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht ausschließlich anhand Art. 15 Statusrichtlinie geprüft werden könne. Die Bestimmung sei – obgleich fehlerhaft in das nationale Recht umgesetzt – nicht unmittelbar anwendbar, weil dies zulasten eines bzw. zur Vorenthaltung von Rechten des Einzelnen nicht in Frage komme. Die nationale Regelung des § 8 Abs. 1 AsylG sei günstiger. Deren unionsrechtskonforme bzw. richtlinienkonforme Auslegung finde ihre Schranke jedo