Entscheidungsdatum
02.11.2020Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
G305 2204880-1/14E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Dr. Ernst MAIER, MAS als Einzelrichter über die Beschwerde des irakischen Staatsangehörigen XXXX , geboren am XXXX , vertreten durch Mag.a Sarah KUMAR, Rechtsanwältin in Graz, gegen den zum XXXX .08.2018 datierten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, RD XXXX , Zl. XXXX nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 12.10.2020, zu Recht erkannt:
A) Die Beschwerde wird gemäß § 3 Abs. 1, § 8 Abs. 1, § 10 Abs. 1 Z 3 und § 57 AsylG iVm. § 9 BFA-VG sowie § 52 Abs. 2 Z 2 und Abs. 9, § 46 und § 55 Abs. 1 bis 3 FPG als unbegründet abgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Am XXXX .09.2016 stellte der zum Aufenthalt im Bundesgebiet nicht berechtigte Beschwerdeführer (BF) vor Organen der öffentlichen Sicherheitsbehörden einen Antrag auf internationalen Schutz.
2. Am XXXX .09.2016 wurde er von Organen des Polizeianhaltezentrums XXXX niederschriftlich einvernommen.
Zu seinen Fluchtgründen befragt, gab er an, in seinem Heimatort ein kleines Kaffee betrieben zu haben. Eines Tages seien Angehörige des Islamischen Staates (IS) gekommen und hätten gedroht, ihn zu töten, wenn er sein Kaffeehaus nicht schließe. Bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat befürchte er den Tod durch den IS. Von öffentlichen Stellen erwarte er keine Repressalien oder Verfolgung.
Zur Reiseroute befragt, gab der BF an, am XXXX .05.2015 legal mit dem Flugzeug und im Besitz eines Reisepasses in die Türkei ausgereist zu sein und dort etwa ein Jahr in der Gastronomie gearbeitet zu haben. Am XXXX .09.2016 sei er schlepperunterstützt bis nach Österreich gelangt. Da er sich während der gesamten Fahrt auf einer verschlossenen Ladefläche befunden habe, könne er über die Länder, durch welche er nach Österreich gelangte, nichts angeben. Der Schlepper sei auch im Besitz des Reisepasses des BF; sonst hätte er ihn nämlich nicht mitgenommen. Die Reise sei durch einen in Saudi-Arabien lebenden Onkel namens XXXX und Schlepper organisiert worden und habe etwa 12.000 USD gekostet.
Eine von den öffentlichen Sicherheitsorganen durchgeführte EURODAC-Abfrage verlief negativ.
3. Am XXXX .06.2018 wurde der BF ab 08:00 Uhr durch Organe des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge BFA oder belangte Behörde) einvernommen.
Im Zuge dieser Einvernahme gab der BF an, dass er die Türkei nach etwa einem Jahr und vier Monaten verlassen habe, da er sich dort nicht mehr hätte aufhalten dürfen und ihm die Polizei Probleme gemacht hätte.
Als Fluchtgrund gab der BF zusammengefasst an, dass der IS am XXXX .12.2013 in XXXX einmarschiert sei und dass er aufgefordert worden sei, sein XXXX zu schließen, da der Betrieb eines XXXX der Scharia widersprechen würde. Zudem sei sein Vater aufgefordert worden, seine vier Söhne an den IS zu übergeben, damit diese für die Gruppierung kämpfen könnten. Hierauf habe die Familie den Wohnort gewechselt. Dort habe der BF in einem Lebensmittelgeschäft gearbeitet. Am XXXX .03.2014 habe er einer ihm bekannten Frau namens XXXX , zu der er bereits etwa einen Monat lang eine Liebesbeziehung gehabt habe, Lebensmitteleinkäufe nach Hause gebracht. Hierbei sei es zum Geschlechtsverkehr gekommen, was der Bruder der Frau gesehen habe. Der BF habe flüchten können und sei zuerst nach XXXX und dann nach XXXX gegangen, wo er als XXXX gearbeitet habe. Er habe von seiner Mutter erfahren, dass der Stamm der Familie der Frau (der Stamm der „ XXXX “) seine eigene Familie angegriffen habe. Die Frau selbst sei von ihrem Bruder getötet worden, da sie Schande über die Familie gebracht habe. In der Folge habe er etwa ein Jahr und zwei Monate in XXXX gearbeitet, bevor er vom Stamm der ermordeten Frau entdeckt worden sei. Daraufhin habe er sein Geld und seine Dokumente geholt und das Land am XXXX .05.2015 in Richtung Türkei verlassen. Er könne nicht zurückkehren, da ihm wegen der verursachten Schande die Tötung drohe. Weitere Gründe habe er nicht.
Im Zuge der Aufnahme der Niederschrift legte der BF mehrere Empfehlungsschreiben, Deutschkursbestätigungen, und Integrationsbestätigungen sowie ein Strafurteil gegen den Bruder der ermordeten Frau und deren Sterbebestätigung vor.
4. Mit dem nunmehr in Beschwerde gezogenen Bescheid wies das BFA den Antrag des Beschwerdeführers hinsichtlich des Antrages auf Erteilung von internationalem Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.) und des Antrages auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt II.) und sprach aus, dass ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt werde (Spruchpunkt III.), gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm. § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und festgestellt werde, dass die Abschiebung in den Irak gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.) und die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.). Ihre Entscheidung begründete die belangte Behörde im Wesentlichen kurz zusammengefasst damit, dass der BF keine asylrelevanten Bedrohungen glaubhaft machen konnte.
5. Gegen diesen Bescheid erhob der BF Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Darin erklärte er, dass er den in Beschwerde gezogenen Bescheid vollumfänglich anfechte. Seine Beschwerde verband er mit den Anträgen, 1.) den angefochtenen Bescheid zur Gänze zu beheben und ihm den Status des Asylberechtigten gemäß § 3 AsylG zuzuerkennen, in eventu 2.) ihm den Status eines subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs 1 Z 1 AsylG zuzuerkennen, 3.) in eventu ihm einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen zu erteilen und 4.) die gegen den BF ausgesprochene Rückkehrentscheidung und den Ausspruch über die Zulässigkeit der Abschiebung in den Irak aufzuheben. In seiner Beschwerdeschrift brachte er im Kern vor, dass er nach wie vor durch die Familie seiner getöteten Geliebten mit dem Umbringen bedroht sei.
6. Am 05.09.2018 wurde die gegenständliche Beschwerde samt dazugehörigem Verwaltungsakt dem BVwG mit dem Antrag, die Beschwerde abzuweisen, vorgelegt.
7. Mit Eingaben vom 25.09.2020 und 12.10.2020 wurde der Wechsel der Rechtsvertretung des BF bekanntgegeben und zugleich ein Konvolut an Empfehlungsschreiben, Integrationsbestätigungen und Bestätigungen in Bezug auf die selbständige Erwerbstätigkeit des BF eingereicht.
8. Anlässlich einer am 12.10.2020 vor dem BVwG durchgeführten mündlichen Verhandlung wurde er im Beisein seiner Rechtsvertreterin (im Folgenden: RV), eines Dolmetschers für die arabische Sprache sowie zweier Zeugen einvernommen. Bei dieser Verhandlung wurden mehrere Sprachzertifikate, Empfehlungsschreiben sowie Bestätigungen für die Erwerbstätigkeit des BF vorgelegt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Identitätsfeststellungen
Der BF führt die im Spruch angegebene Identität und ist irakischer Staatsangehöriger. Er ist ledig und ohne Sorgepflichten. Er gehört der Ethnie der irakischen Araber an und bekennt sich zur islamischen Religionsgemeinschaft sunnitischer Ausrichtung. Seine Muttersprache ist arabisch und verfügt er über Deutschkenntnisse auf einem Niveau der Stufe B1 [Reisepasskopie AS 121; VH-Niederschrift S. 5].
Der BF hat seinen Hauptwohnsitz seit dem XXXX .2016 im Bundesgebiet (seit dem XXXX .2019 an der Anschrift XXXX ) [Auszug aus dem Zentralen Melderegister-ZMR].
1.2. Zur Ausreise, Reise, Einreise der beschwerdeführenden Partei in Österreich und ihrer darauffolgenden Asylantragstellung:
Bis zu seiner am XXXX .05.2015 stattgehabten Ausreise aus dem Irak lebte der BF in XXXX [VH-Niederschrift S. 17].
Am XXXX .05.2015 reiste er mit dem Flugzeug und im Besitz eines Reisepasses legal in die Türkei aus und arbeitete dort etwa ein Jahr in der Gastronomie. Am XXXX .09.2016 gelangte er schlepperunterstützt nach Österreich. Die Reise wurde durch einen in Saudi-Arabien lebenden Onkel namens XXXX und Schlepper organisiert und kostete etwa 12.000 USD. Eine von den öffentlichen Sicherheitsorganen durchgeführte EURODAC-Abfrage verlief negativ [Erstbefragung AS 7; Ergebnisbericht zum EURODAC-Abgleich AS 13f].
1.3. Zur individuellen Situation des Beschwerdeführers im Heimatstaat:
Im Herkunftsstaat besuchte er sechs Jahre lang die Grundschule und drei Jahre die Hauptschule. Über eine weiterführende (Berufs-) Ausbildung verfügt er nicht. In seinem Geburts- und Heimatort XXXX betrieb er zusammen mit seinem Bruder XXXX , ein XXXX und XXXX , welches im Eigentum des Vaters stand. In diesem fungierte er als Restaurantleiter und war für die Vorbereitung von Wasserpfeifen und gelegentliche Reinigungsarbeiten zuständig. Nach dem Umzug nach XXXX arbeitete er für kurze Zeit in einem Lebensmittelgeschäft. Zuletzt arbeitete er in XXXX in einer XXXX . Hier konnte er mit dem Verdienten nach eigenen Angaben gut das Auslangen finden [VH-Niederschrift S. 5ff].
Die im Herkunftsstaat lebende Familie des BF besteht aus seinem im Jahr XXXX geborenen Vater XXXX , seiner im Jahr XXXX geborenen Mutter XXXX sowie sechs Geschwistern. Zum Zeitpunkt des Verlassens des Irak waren sämtliche Geschwister ledig und kinderlos und besuchten - soweit schulpflichtig - noch die Schule. Der Bruder namens XXXX betrieb zusammen mit dem BF das XXXX . Der Vater des BF ist XXXX und lieferte XXXX an unterschiedliche Orte im Irak. Mit seinem Einkommen und den Einkünften aus dem Restaurant gelang es dem Vater des BF, die Familie zu versorgen. Derzeit bewohnt die Familie ein im Eigentum des Vaters stehendes Einfamilienhaus in XXXX , in welches die Familie bei der Rückkehr nach der Flucht nach XXXX wieder beziehen konnte. Zu seiner Mutter steht der BF in gelegentlichem Telefonkontakt [VH-Niederschrift S. 10f].
1.4. Zu den Fluchtgründen der beschwerdeführenden Partei:
Der BF war nie Mitglied einer politischen Partei oder einer anderen politisch aktiven Bewegung oder bewaffneten Gruppierung des Herkunftsstaates.
Er hatte weder mit der Polizei noch mit den Verwaltungsbehörden noch mit den Gerichten des Herkunftsstaates ein Problem. Auch wurde er nie von staatlichen Organen oder von einer bewaffneten Gruppierung wegen seiner Zugehörigkeit zur Glaubensrichtung der Sunniten oder aus politischen Gründen, etwa wegen einer Zugehörigkeit zu einer politischen Partei des Herkunftsstaates verfolgt oder bedroht [VH-Niederschrift S. 18].
Im Herkunftsstaat war er zu keiner Zeit einer asylrelevanten Bedrohungs- oder Verfolgungssituation ausgesetzt und ist nicht wegen einer in diesem Sinne relevanten Situation ausgereist.
1.5. Zu etwaigen Integrationsschritten des BF im Bundesgebiet:
Der BF hat nachweislich einen Deutschkurs der Stufe B1 absolviert und legte diesbezüglich ein Zertifikat für die Stufen A1 vor. Er ist Mitglied des XXXX , unterstützt ehrenamtlich in seiner Wohnsitzgemeinde ältere und gebrechliche Menschen bei Einkäufen als Kraftfahrer und langten für ihn bis zu der vor dem Bundesverwaltungsgericht anberaumten mündlichen Verhandlung mehrere Unterstützungsschreiben ein [sämtliche Bestätigungen und Dokumente finden sich in OZ 12 und als Beilage zur VH-Niederschrift S. 9].
Seit XXXX 2019 betreibt der BF ein Gewerbe für XXXX . Hiermit bringt er durchschnittlich etwa EUR 3.200 brutto im Monat ins Verdienen [VH-Niederschrift S. 24; Gewerbeanmeldung in OZ 6; Rechnungsduplikate für den Zeitraum XXXX /2019 bis dato als Beilage zur VH-Niederschrift].
Der BF ist gesund, strafgerichtlich unbescholten und lebte bis zum Zeitpunkt der Gewerbeanmeldung im XXXX 2019 von Leistungen aus der Grundversorgung [VH-Niederschrift S. 24; Strafregisterauszug; Auszug aus dem Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister-IZR; GVS-Auszug].
1.6. Zur Lage im Irak wird festgestellt:
Nachdem es den irakischen Sicherheitskräften (ISF) gemeinsam mit schiitischen Milizen, den sogenannten Popular Mobilisation Forces (PMF), mit Unterstützung durch die alliierten ausländischen Militärkräfte im Laufe des Jahres 2016 gelungen war, die Einheiten der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) sowohl aus den von ihr besetzten Teilen der südwestlichen Provinz Al Anbar bzw. deren Metropolen Fallouja und Ramadi als auch aus den nördlich an Bagdad anschließenden Provinzen Diyala und Salah al Din zu verdrängen, beschränkte sich dessen Herrschaftsgebiet in der Folge auf den Sitz seiner irakischen Kommandozentrale bzw. seines „Kalifats“ in der Stadt Mossul, Provinz Ninava, sowie deren Umgebung bis hin zur irakisch-syrischen Grenze. Ab November 2016 wurden die Umgebung von Mossul sowie der Ostteil der Stadt bis zum Ufer des Tigris sukzessive wieder unter die Kontrolle staatlicher Sicherheitskräfte gebracht, im Westteil wurde der IS von den irakischen Sicherheitskräften und ihren Verbündeten, die aus dem Süden, Norden und Westen in das Zentrum der Stadt vordrangen, in der Altstadt von Mossul eingekesselt. Der sunnitische IS wiederum versuchte parallel zu diesen Geschehnissen durch vereinzelte Selbstmordanschläge in Bagdad und anderen Städten im Süd- sowie Zentralirak seine wenn auch mittlerweile stark eingeschränkte Fähigkeit, die allgemeine Sicherheitslage zu destabilisieren, zu demonstrieren. Anfang Juli 2017 erklärte der irakische Premier Abadi Mossul für vom IS befreit. In der Folge wurden auch frühere Bastionen des IS westlich von Mossul in Richtung der irakisch-syrischen Grenze wie die Stadt Tal Afar durch die Militärallianz vom IS zurückerobert. Zuletzt richteten sich die Operationen der Militärallianz gegen den IS auf letzte Überreste des früheren Herrschaftsgebiets dieser Organisation im äußersten Westen der Provinz Anbar sowie eine Enklave um Hawija südwestlich von Kirkuk.
Die Sicherheitslage innerhalb der drei Provinzen der kurdischen Autonomieregion des Nordiraks, nämlich Dohuk, Erbil und Suleimaniya, ist angesichts der Maßnahmen der regionalen Sicherheitskräfte wie Grenzkontrollen und innerregionale Aufenthaltsbestimmungen als stabil anzusehen. Seit Oktober 2017 befindet sich die kurdische Regionalregierung in Konflikt mit der irakischen Zentralregierung in der Frage der Kontrolle über die von kurdischen Sicherheitskräften bislang besetzt gehaltenen Grenzregionen südlich der Binnengrenze der Autonomieregion zum übrigen irakischen Staatsgebiet, insbesondere die Region um die Stadt Kirkuk betreffend. Zuletzt kam es zu einer Besetzung dieser Region sowie weiterer Landstriche entlang der Binnengrenze durch die irakische Armee und der Zentralregierung nahestehende Volksmobilisierungseinheiten, während sich die kurdischen Sicherheitskräfte aus diesen Bereichen zurückzogen. Eine Einreise in die drei Provinzen der kurdischen Autonomieregion ist angesichts eines Luftraumembargos der Nachbarstaaten Türkei und Iran gegen die kurdische Regionalregierung auf direkte Weise aktuell nur auf dem Landweg möglich.
Die Sicherheitslage in den südirakischen Provinzen, insbesondere in der Provinz Basra, war, als Folge einer Sicherheitsoffensive staatlicher Militärkräfte im Gefolge interkonfessioneller Gewalt im Jahr 2007, ab 2008 stark verbessert und bis 2014 insgesamt stabil. Auch war die Region nicht unmittelbar von der Invasion der Truppen des IS im Irak in 2013 und 2014 betroffen. Die Gegenoffensive staatlicher Sicherheitskräfte und deren Verbündeter gegen den IS in Anbar und den nördlicher gelegenen Provinzen bedingte zuletzt eine Verlagerung von Militär- und Polizeikräften in den Norden, die wiederum eine größere Instabilität im Süden, verbunden vor allem mit einem Anstieg an krimineller Gewalt mit sich brachte.
Die Sicherheitslage im Großraum Bagdad war durch die genannten Ereignisse im Wesentlichen ebenfalls nicht unmittelbar beeinträchtigt. Es waren jedoch vereinzelte Anschläge bzw. Selbstmordattentate auf öffentliche Einrichtungen oder Plätze mit einer teils erheblichen Zahl an zivilen Opfern zu verzeichnen, die, ausgehend vom Bekenntnis des - als sunnitisch zu bezeichnenden - IS dazu, sich gegen staatliche Sicherheitsorgane oder gegen schiitische Wohnviertel und Städte richteten, um dort ein Klima der Angst sowie religiöse Ressentiments zu erzeugen und staatliche Sicherheitskräfte vor Ort zu binden. Hinweise auf eine etwaig religiös motivierte Bürgerkriegssituation finden sich in den Länderberichten nicht, ebenso auch nicht in Bezug auf die Säuberung von ethnischen oder religiösen Gruppierungen bewohnte Gebiete.
Der Islamische Staat (IS) ist im Zentralirak nach wie vor am aktivsten, so sind Ninewa, Salah ad-Din, Kirkuk und Diyala nach wie vor die Hauptaktionsgebiete der Aufständischen.
Das Gouvernement XXXX (in welchem der Geburtsort des BF liegt), früher ein IS-Zentrum und Schwerpunkt der IS-Aktivitäten, wird nun hauptsächlich für den Transit von IS-Kämpfern zwischen dem Irak und Syrien genutzt. Die Anzahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle in XXXX hat bis Mitte 2019 stark fluktuiert und ab Mitte 2019 hat sich XXXX zu einem sekundären Schauplatz entwickelt, mit einem Rückgang der Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle im einstelligen Bereich.
Im November 2019 gab es im Gouvernement XXXX keine sicherheitsrelevanten Vorfälle. Im Dezember 2019 waren es fünf Vorfälle mit zwölf Toten und zwei. Im Jänner 2020 war Anbar mit einer Steigerung von fünf Vorfällen im Dezember 2019 auf sieben im Jänner 2020, mit acht Toten und 76 Verletzten das einzige Gouvernement mit einer Zunahme an sicherheitsrelevanten Vorfällen, mit einer Steigerung von fünf Vorfällen. Zu diesen Vorfällen zählen der iranische Raketenangriff auf die Militärbasis Ain Al-Assad, bei dem 64 amerikanische Soldaten verwundet wurden, ein Angriff mit einer Autobombe (VBIED) gegen einen Armeekonvoi, Entführungen und Angriffe mit Schusswaffen. Im Februar 2020 waren es fünf Vorfälle mit je zwei Toten und Verletzten.
Der Beschwerdeführer war weder durch die im Herkunftsstaat tätigen Milizen noch durch die Polizei des Herkunftsstaates oder Kämpfer des Islamischen Staates einer asylrelevanten Bedrohung oder gar Verfolgung ausgesetzt.
Eine landesweite und systematische Verfolgung von Angehörigen der sunnitischen Glaubensgemeinschaft, von Frauen oder Kindern durch diese Miliz ist keinem der zum Irak ergangenen Länderberichte zu entnehmen.
Dass der BF, der sich zur sunnitischen Glaubensgemeinschaft des Islam bekennt, einer asylrelevanten Verfolgung oder Bedrohung durch den IS bzw. durch staatliche Organisationen ausgesetzt gewesen wäre bzw. bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat einer solchen ausgesetzt sein könnte, kam anlassbezogen nicht hervor bzw. wurde vom BF nicht behauptet. Zuletzt lebte und arbeitete der BF mehr als ein Jahr lang in dem im Nordosten des Herkunftsstaates gelegenen XXXX vollkommen unbehelligt vom IS bzw. dessen Mitgliedern. Den aktuellen Länderberichten zum Herkunftsstaat lässt sich nicht entnehmen, dass der BF in seiner Heimatregion oder in XXXX einer aslyrelevanten Verfolgung bzw. Bedrohung ausgesetzt sein könnte.
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges- amt- bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff am 23.10.2020
- ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (11.12.2019): ecoi.net-Themendossier zum Irak: Schiitische Milizen, https://www.ecoi.net/en/document/2021156.html, Zugriff am 23.10.2020
- BFA Staatendokumentation: Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Irak: Von schiitischen Milizen dominierte Gebiete (Ergänzung zum Länderinformationsblatt), 04.01.2018 https://www.ecoi.net/en/file/local/1422124/5618_1516263925_irak-sm-von-schiitischen-milizen-dominierte-gebiete-2018-01-04-ke.doc Zugriff am 23.10.2020
- Crisis Group (14.12.2018): Reviving UN Mediation on Iraq’s Disputed Internal Boundaries, https://www.crisisgroup.org/middle-east-north-africa/gulf-and-arabian-peninsula/iraq/194-reviving-un-mediation-iraqs-disputed-internal-boundaries, Zugriff 23.10.2020
- FPRI - Foreign Policy Research Institute (19.8.2019): The Future of the Iraqi Popular Mobilization Forces, https://www.fpri.org/article/2019/08/the-future-of-the-iraqi-popular-mobilization-forces/, Zugriff am 23.10.2020
- GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (1.2020a): Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/irak/geschichte-staat/, Zugriff am 23.10.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (3.2.2020): Violence Continues Its Up And Down Pattern In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/02/violence-continues-its-up-and-down.html, Zugriff 23.10.2020
- Rudaw (31.5.2019): Iraqi Security Forces ignore ISIS attacks on Kakai farmlands, https://www.rudaw.net/english/middleeast/iraq/31052019, Zugriff 23.10.2020
- Süß, Clara-Auguste (21.8.2017): Al-Hashd ash-Sha’bi: Die irakischen „Volksmobilisierungseinheiten“ (PMU/PMF), in BFA Staatendokumentation: Fact Finding Mission Report Syrien mit ausgewählten Beiträgen zu Jordanien, Libanon und Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1410004/5618_1507116516_ffm-bericht-syrien-mit-beitraegen-zu-jordanien-libanon-irak-2017-8-31-ke.pdf, Zugriff 23.10.2020
- UK Home Office: Country Policy and Information Note Iraq: Sunni (Arab) Muslims, 06/2017 https://www.ecoi.net/en/file/local/1403272/1226_1499246656_iraq-sunni-arabs-cpin-v2-0-june-2017.pdf Zugriff am 23.10.2020
- UNHCR – UN High Commissioner for Refugees: Iraq: Relevant COI for Assessments on the Availability of an Internal Flight or Relocation Alternative (IFA/IRA); Ability of Persons Originating from (Previously or Currently) ISIS-Held or Conflict Areas to Legally Access and Remain in Proposed Areas of Relocation, 12.04.2017, https://www.ecoi.net/en/file/local/1397131/1930_1492501398_58ee2f5d4.pdf Zugriff am 23.10.2020
- Wilson Center (27.4.2018): Part 2: Pro-Iran Militias in Iraq, https://www.wilsoncenter.org/article/part-2-pro-iran-militias-iraq, Zugriff am 23.10.2020
1.6.2. Berufsgruppen:
Aus den Länderinformationen zum Herkunftsstaat der bfP geht hervor, dass Polizisten, Soldaten, Journalisten, Menschenrechtsverteidiger, Intellektuelle, Richter und Rechtsanwälte und alle Mitglieder des Sicherheitsapparats besonders gefährdet seien (AA 12.01.2019).
Inhaber von Geschäften, in denen Alkohol verkauft wird - fast ausschließlich Angehörige von Minderheiten, vor allem Jesiden und Christen (AA 12.1.2019; vgl. USDOS 21.6.2019), Zivilisten, die für internationale Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen oder ausländische Unternehmen arbeiten, sowie medizinisches Personal werden ebenfalls immer wieder Ziel von Entführungen oder Anschlägen (AA 12.1.2019).
Der BF war nach eigenen Angaben zuletzt als Restaurantleiter und in einer XXXX tätig. Zuvor will er in seiner Herkunftsregion ein Kaffeehaus betrieben haben und vom IS zum Schließen des Kaffeehauses aufgefordert worden sei. Aus den Länderberichten zum Herkunftsstaat ergibt sich, dass der BF mit den von ihm ausgeübten selbständigen bzw. nichtselbständigen Tätigkeiten keiner der im Herkunftsstaat als gefährdet angesehenen Berufsgruppen angehört.
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff am 23.10.2020
- USDOS - US Department of State (21.6.2019): 2018 Report on International Religious Freedom: https://www.ecoi.net/de/dokument/2011175.html, Zugriff am 23.10.2020
1.6.3. Medizinische Versorgung
Das Gesundheitswesen besteht aus einem privaten und einem öffentlichen Sektor. Grundsätzlich sind die Leistungen des privaten Sektors besser, zugleich aber auch teurer. Ein staatliches Krankenversicherungssystem existiert nicht. Alle irakischen Staatsbürger, die sich als solche ausweisen können - für den Zugang zum Gesundheitswesen wird lediglich ein irakischer Ausweis benötigt - haben Zugang zum Gesundheitssystem. Fast alle Iraker leben etwa eine Stunde vom nächstliegenden Krankenhaus bzw. Gesundheitszentrum entfernt. In ländlichen Gegenden lebt jedoch ein bedeutender Teil der Bevölkerung weiter entfernt von solchen Einrichtungen (IOM 1.4.2019). Staatliche, wie private Krankenhäuser sind fast ausschließlich in den irakischen Städten zu finden. Dort ist die Dichte an praktizierenden Ärzten, an privaten und staatlichen Kliniken um ein Vielfaches größer. Gleiches gilt für Apotheken und medizinische Labore. Bei der Inanspruchnahme privatärztlicher Leistungen muss zunächst eine Art Praxisgebühr bezahlt werden. Diese beläuft sich in der Regel zwischen 15.000 und 20.000 IQD (Anm.: ca. 12-16 EUR). Für spezielle Untersuchungen und Laboranalysen sind zusätzliche Kosten zu veranschlagen. Außerdem müssen Medikamente, die man direkt vom Arzt bekommt, gleich vor Ort bezahlt werden. In den staatlichen Zentren zur Erstversorgung entfällt zwar in der Regel die Praxisgebühr, jedoch nicht die Kosten für eventuelle Zusatzleistungen. Darunter fallen etwa Röntgen- oder Ultraschalluntersuchungen (GIZ 12.2019).
Insgesamt bleibt die medizinische Versorgungssituation angespannt (AA 12.1.2019). Die Erstversorgung ist hier grundsätzlich gegeben; allerdings gilt die Faustformel: Je kleiner und abgeschiedener das Dorf, umso schwieriger die medizinische Versorgung (GIZ 12.2019). In Bagdad arbeiten viele Krankenhäuser mit eingeschränkter Kapazität. Die Ärzte und das Krankenhauspersonal gelten generell als qualifiziert, viele haben aber aus Angst vor Entführung oder Repression das Land verlassen. Die für die Grundversorgung der Bevölkerung besonders wichtigen örtlichen Gesundheitszentren (ca. 2.000 im gesamten Land) sind entweder geschlossen oder wegen baulicher, personeller und Ausrüstungsmängel nicht in der Lage, die medizinische Grundversorgung sicherzustellen (AA 12.1.2019). Spezialisierte Behandlungszentren für Personen mit psychosoziale Störungen existieren zwar, sind jedoch nicht ausreichend (UNAMI 12.2016). Laut Weltgesundheitsorganisation ist die primäre Gesundheitsversorgung nicht in der Lage, effektiv und effizient auf die komplexen und wachsenden Gesundheitsbedürfnisse der irakischen Bevölkerung zu reagieren (WHO o.D.).
Der BF bezeichnete sich selbst als gesund, sodass er keine medizinische Versorgung benötigt und bei ihm grundsätzlich Arbeitsfähigkeit vorliegt.
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff am 23.10.2020
- GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (12.2019): Alltag, https://www.liportal.de/irak/alltag/, Zugriff am 23.10.2020
- IOM - Internationale Organisation für Migration (1.4.2019): Länderinformationsblatt Irak (Country Fact Sheet 2018), https://milo.bamf.de/milop/livelink.exe/fetch/2000/702450/698578/704870/698617/18363939/Irak_%2D_Country_Fact_Sheet_2018%2C_deutsch.pdf?nodeid=20101157&vernum=-2, Zugriff am 23.10.2020
- UNAMI - United Nations Assistance Mission to Iraq (12.2016): Report on the Rights of Persons with Disabilities in Iraq, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/UNAMI_OHCHR__Report_on_the_Rights_of_PWD_FINAL_2Jan2017.pdf, Zugriff am 23.10.2020
- WHO - World Health Organization (o.D.): Iraq: Primary Health Care, http://www.emro.who.int/irq/programmes/primary-health-care.html, Zugriff am 23.10.2020
1.6.4 Ehrenverbrechen
Die Familienehre und die individuelle Ehre wird ausschließlich von Männern gehalten und kann verloren, aber auch wiedergewonnen werden. Frauen dagegen können nur eine Quelle der Familien- oder individuellen „Schande“ sein und können sie nicht aktiv Ehre in ihre Familie oder ihren Stamm einbringen.
Unter „Ehrenverbrechen“ werden Gewalttaten verstanden, die von Familienmitgliedern gegen Verwandte ausgeübt werden, weil diese „Schande“ über die Familie oder den Stamm gebracht haben. „Ehrenverbrechen“ werden oft in Form von Mord begangen, obwohl sie auch andere Arten der Gewalt umfassen können wie z.B. körperliche Misshandlung, Einsperren, Einschränkung der Bewegungsfreiheit, Entzug von Bildung, Zwangsverheiratung, erzwungener Selbstmord und öffentliche Schändung bzw. „Entehrung“. Ehrendelikte werden überwiegend von männlichen Familienmitgliedern gegen weibliche Familienmitglieder verübt, obwohl gelegentlich auch Männer Opfer solcher Gewalt werden können. Ehrenverbrechen werden meist begangen, nachdem eine Frau eines der folgenden Dinge getan hat bzw. dessen verdächtigt wird: Freundschaft oder voreheliche Beziehung mit einem Mann; Weigerung, einen von der Familie ausgewählten Mann zu heiraten; Heirat gegen den Willen der Familie; Ehebruch; Opfer einer Vergewaltigung oder Entführung geworden zu sein. Solche Verletzungen der Ehre werden als unverzeihlich angesehen. In den meisten Fällen wird die Tötung der Frau, manchmal auch die des Mannes, als der einzige Weg gesehen, die Ehrverletzung zu sühnen.
„Ehrenverbrechen“ finden in allen Gegenden des Irak statt und beschränken sich nicht auf bestimmte ethnische oder religiöse Gruppen. Sie werden gleichermaßen von Arabern und Kurden ausgeübt, von Sunniten und Schiiten, wie auch von einigen ethnischen und religiösen Minderheiten. Es ist schwer, das wahre Ausmaß von Ehrenverbrechen und Ehrenmorden im Irak zu erfassen, da viele Fälle nicht angezeigt werden bzw. oft als Selbstmord oder Unfall angeführt werden. Ehrenmorde bleiben auch weiterhin ein ernstes Problem im ganzen Land.
Das Strafgesetzbuch sieht für Gewalttaten aus „ehrenhaften Motiven“, inklusive Ehrenmorde, milde, reduzierte Strafen vor. In der Regel werden „Ehrenverbrechen“ nicht angezeigt und auch strafrechtlich nicht verfolgt. Von der Polizei und den zuständigen Behörden werden die Fälle in der Regel als Familiensache erachtet, die dem Ermessen männlicher Familienmitglieder obliegt. In den Fällen von Gewalt gegen Frauen erlaubt das irakische Recht zudem den Grund der „Ehre“ als rechtmäßige Verteidigung. Wenn ein Mann des Mordes an einer Frau angeklagt wird, die er getötet haben soll, weil sie des Ehebruchs verdächtigt worden war, begrenzt das Gesetz seine mögliche Strafe auf maximal drei Jahre Gefängnis. Strafen für „Ehrenverbrechen“ sind selten. Täter werden oft freigesprochen oder zu sehr milden Strafen verurteilt, selbst wenn eindeutige, belastende Beweise vorliegen.
Im konkreten Anlassfall gelang es dem BF nicht, eine ehrverletzende Handlung glaubhaft zu machen. Er konnte den von ihm angesprochenen außerehelichen Geschlechtsverkehr mit einer Frau und die Verfolgung durch den Familienclan dieser Frau nicht glaubhaft machen.
Quellen:
- FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Iraq, https://freedomhouse.org/country/iraq/freedom-world/2020, Zugriff 23.10.2020
- HRW - Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 - Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2022678.html, Zugriff 23.10.2020
- MRG - Minority Rights Group (11.2015): The Lost Women of Iraq: Family-based violence during armed conflict, https://minorityrights.org/wp-content/uploads/2015/11/MRG-report-A4_OCTOBER-2015_WEB.pdf, Zugriff 23.10.2020
- TCF - The Century Foundation (7.11.2019): Tribal Justice in a Fragile Iraq, https://tcf.org/content/report/tribal-justice-fragile-iraq/?agreed=1, Zugriff 23.10.2020
- USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026340.html, Zugriff 23.10.2020
1.7. Aus den Angaben des BF lassen sich keine Anhaltspunkte dahingehend entnehmen, dass er mit den Behörden, der Polizei oder den Gerichten des Herkunftsstaates - etwa wegen seines Religionsbekenntnisses, seiner ethnischen Zugehörigkeit zur Mehrheitsbevölkerung der Araber oder aus politischen Gründen - Probleme gehabt hätte.
Es gibt auch keinerlei Hinweise in die Richtung, dass er oder die Angehörigen seiner Kernfamilie jemals politisch aktiv gewesen wären oder die Genannten einer politisch aktiven Bewegung oder einer bewaffneten Gruppierung des Herkunftsstaates als Mitglieder angehört hätten.
Mit den Angehörigen derselben Glaubensrichtung bzw. mit den Angehörigen einer anderen, im Herkunftsstaat vertretenen Glaubensrichtung, hatte er ebenfalls keine Probleme.
Eine unmittelbare Verfolgung durch einen Familien-Clan vermochte er nicht glaubhaft zu machen.
Bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat wird der Beschwerdeführer keiner - aus in seiner Person gelegenen Gründen oder aufgrund der allgemeinen Lage vor Ort - realen Gefahr einer Verletzung seiner durch Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder 13 zur Konvention geschützten Rechte oder als Zivilperson einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes ausgesetzt sein.
2. Beweiswürdigung:
2.1. Zum Verfahrensgang:
Der oben unter Punkt I. dargestellte Verfahrensgang und die in der Folge getroffenen (sachverhaltsbezogenen) Feststellungen ergeben sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakten des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes, sowie aus den niederschriftlich protokollierten Angaben des BF anlässlich seiner Befragung durch die Organe der belangten Behörde.
2.2. Zur Person der beschwerdeführenden Partei:
Soweit in der gegenständlichen Rechtssache zur Identität, Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit sowie der Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers Feststellungen getroffen wurden, beruhen diese im Wesentlichen auf den im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen, die vom BF vor den Organen der öffentlichen Sicherheitsbehörde, andererseits vor den Organen der belangten Behörde getätigt wurden, sowie auf den im Akt befindlichen Kopien der vorgelegten persönlichen Dokumente und Urkunden.
Diese Feststellungen gelten ausschließlich für die Identifizierung der Person des BF im gegenständlichen verwaltungsgerichtlichen Verfahren.
Die Konstatierungen zum Gesundheitszustand des BF und zu seiner Arbeitsfähigkeit konnten anhand seiner Angaben vor dem Bundesverwaltungsgericht getroffen werden, die gut in Einklang mit der vom BF abgeschlossenen Gewerbeberechtigung zu bringen sind.
2.3. Zum Vorbringen des Beschwerdeführers:
Die zu seiner Ausreise aus dem Irak, zur weiteren Reiseroute und zur Einreise ins Bundesgebiet getroffenen Konstatierungen ergeben sich aus seinen glaubhaften Angaben anlässlich seiner niederschriftlichen Einvernahme vor den Organen der Sicherheitsbehörde, die im Wesentlichen unstrittig geblieben sind und der gegenständlichen Entscheidung daher im Rahmen der freien Beweiswürdigung zu Grunde gelegt werden konnten.
Das Vorbringen des BF zu den Gründen für das Verlassen des Herkunftsstaates und zu seiner Situation im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat beruht einerseits auf seinen Angaben vor den Organen der öffentlichen Sicherheitsbehörde, sowie auf den vor den Organen der belangten Behörde gemachten Angaben.
Vor den Organen der öffentlichen Sicherheitsbehörde hatte der BF angegeben, in seinem Heimatort ein kleines Kaffee betrieben zu haben. Eines Tages seien Angehörige des Islamischen Staates (IS) gekommen und hätten gedroht ihn zu töten, wenn er sein Kaffee nicht schließe. Bei einer Rückkehr fürchte er den Tod durch den IS, von öffentlichen Stellen erwarte er keine Repressalien oder Verfolgung.
Bezüglich seines Fluchtgrundes gab der BF vor der belangten Behörde an, dass der IS am XXXX .2013 in XXXX einmarschiert sei. Zwei Tage danach hätten ihn zwei Personen in seinem XXXX aufgesucht und ihn zur Schließung desselben aufgefordert, da es der Scharia widerspräche. Zudem sei sein Vater aufgefordert worden, seine vier Söhne an den IS zu schenken, damit diese für die Gruppierung kämpfen könnten. Hierauf habe die Familie den Ort verlassen und sei am XXXX .2014 nach XXXX gezogen. Der BF habe in einem Lebensmittelgeschäft gearbeitet und am XXXX .03.2014 einer ihm bekannten Frau namens XXXX , zu der er bereits etwa einen Monat lang eine Liebesbeziehung gehabt habe, Lebensmitteleinkäufe nach Hause gebracht. Hierbei sei es zum Geschlechtsverkehr gekommen, was der Bruder der Frau gesehen habe. Der BF habe flüchten können und sei zuerst nach Bagdad und dann nach XXXX gegangen, wo er als XXXX gearbeitet habe. Von seiner Mutter will er dann erfahren haben, dass der Stamm der Familie der Frau (der Stamm der „ XXXX “) seine eigene Familie angegriffen haben soll. Die Frau selbst sei von ihrem Bruder getötet worden, da sie Schande über die Familie gebracht habe. In XXXX habe er etwa ein Jahr und zwei Monate gearbeitet, bevor er vom Stamm der ermordeten Frau entdeckt worden sein soll. Daraufhin habe er sein Geld und seine Dokumente geholt und am XXXX .05.2015 das Land in Richtung Türkei verlassen. Er könne nicht zurückkehren, da ihm wegen der verursachten Schande die Tötung drohe. Weitere Gründe habe er nicht.
Von der Beziehung zu seiner Freundin habe niemand gewusst, diese habe etwa einen Monat gedauert und hätten die beiden über das Telefon kommuniziert. Da sie verheiratet gewesen sei, habe es nie zu direkten Treffen kommen können, sondern sei es immer bei Telefonaten geblieben.
Zudem habe er nie die Polizei um Hilfe ersucht, da Stammesstreitigkeiten nicht von dieser geregelt werden würden.
Insgesamt gelang es dem BF nicht, die von ihm behaupteten Fluchtgründe dem Verwaltungsgericht und eine daraus resultierende asylrechtlich relevante Verfolgung glaubhaft zu machen.
So vermochte er schon nicht, insbesondere die Bedrohung durch Kämpfer des IS, laut Erstbefragung der Grund für die Flucht, glaubhaft vorzubringen. Auch eine Rückkehr schloss er laut seinen ersten, ob des Zwecks der Erstbefragung, kurz gehaltenen Angaben vor diesem Hintergrund aus. Vor dem BFA gab der Beschwerdeführer an, dass Mitglieder des IS kurz nach dem Einmarsch zur Jahreswende 2013/2014 in XXXX die Schließung seines XXXX gefordert und auch von seinem Vater verlangt hätten, seine vier Söhne an den IS als Kämpfer zu übergeben (AS 105). Entsprechend seinen weiteren Angaben vor dem Bundesverwaltungsgericht soll seine gesamte Familie in einen Ort, der etwa eine halbe Autostunde von seinem ursprünglichen Wohnort entfernt war, geflohen sein (S. 9 der VH-Niederschrift). Es scheint nicht klar, warum der IS, welcher zu diesem Zeitraum und beginnend mit Juni 2014 (siehe: https://de.wikipedia.org/wiki/Islamischer_Staat_(Organisation)#Januar_2014, Zugriff 23.10.2020) die Kontrolle über die Provinz XXXX gewann nur zu diesem einzelnen Zeitpunkt versucht haben sollte, dem BF und seiner Brüder habhaft zu werden und diese eine weitere Flucht nicht ins Auge fassten. Bei einer direkten - andauernden - Bedrohung der gesamten Familie und vor allem einer möglichen Zwangsrekrutierung der Söhne scheint eine Flucht in einen nur wenige Kilometer entfernten Ort nicht nachvollziehbar. Zudem spricht gegen eine (gegenwärtige) Bedrohung durch die sunnitische Miliz, dass der BF zum einen während des weiteren Verfahrensverlaufs diesen ursprünglichen Fluchtgrund nur als Begründung für den Umzug nach XXXX (den Ort der im weiteren Verfahren genannten Begebenheiten) nannte und zum anderen, dass der IS laut aktuellen Länderberichten auch in der Provinz XXXX nur mehr sekundäre Interessen verfolgt und keine direkten Kampfhandlungen stattfinden. Die Familie des BF ist zudem mittlerweile in das im Eigentum des Vaters stehende Haus zurückgekehrt.
Ab dem Zeitpunkt seiner niederschriftlich dokumentierten Einvernahme durch das BFA erwähnte der BF weniger die Bedrohung durch den IS als Grund für seine Flucht, sondern eine angeblich gegen ihn und seine Familie gerichtete „Blutfehde“ und die damit einhergehende Verstoßung aus seiner Familie bzw. seinem Stamm, da er mit einer verheirateten Frau eine Beziehung gehabt habe. Hiervon habe jedoch niemand etwas gewusst; auch sei es nur ein einziges Mal zu direktem Kontakt gekommen. Bis dahin hätten die beiden lediglich mittels Telefon kommuniziert. Der Stamm der Familie der ermordeten Frau (der Stamm der XXXX ) habe, den Angaben seiner Mutter zufolge, seine Familie angegriffen und sei die Verstoßung die einzig mögliche Lösung gewesen. Zum Beweis hierfür wurde vom BF ein Dokument vorgelegt, welches diese Verstoßung belegen soll. In diesem Zusammenhang fällt auf, dass dieses Schreiben - im Gegensatz zu den anderen vom BF in Bezug auf die Tötung seiner Lebensgefährtin vorgelegten Dokumente (Haftbefehl des Bruders/Mörders und Sterbeurkunde AS 114, 117 sowie die Übersetzungen auf AS 125 und 127) - keine Datierung aufweist. Unter Berücksichtigung der vorliegenden Länderberichte, wonach Ehrenmorde mit (geringen) Haftstrafen geahndet werden (S. 103 ff der aktuellen Länderberichte Irak) erscheint die zweijährige Verurteilung des Bruders mit XXXX .2014 und die vorgelegte Sterbeurkunde vom XXXX .2014 in einem zeitlichen Zusammenhang glaubhaft und würde dies auch dem in den Länderinformationen dargestellten Strafmaß entsprechen. Der mit dem späteren (weiblichen) Opfer angeblich vollzogene Beischlaf soll auf den XXXX .2014 datieren. Allerdings weist das undatierte „Ausschluss-Dokument“ keinerlei Hinweise auf den Stamm der XXXX auf, zu welchem sich der BF selbst zugehörig fühlt (S. 7 der VH-Niederschrift). Im bezogenen „Ausschluss-Dokument“ scheint als Stammesbezeichnung jene der XXXX auf. Daraus lässt sich jedoch kein direkter Zusammenhang zum Beschwerdeführer ableiten. Wegen der fehlenden Datierung bleibt im Dunkeln, ob und bejahendenfalls wann der BF aus seinem Stamm ausgeschlossen worden sein soll. Sofort nachdem er und seine Geliebte ertappt worden sein sollen, will er nach XXXX und nach einem zweitägigen Aufenthalt weiter nach XXXX gefahren sein um dort noch etwa ein Jahr zu leben und dort in einer XXXX zu arbeiten. Erst nach diesem Zeitraum sollen einige Araber, die zum Stamm der Ermordeten gehört haben sollen, in die XXXX gekommen sein und ihn ob seines Dialekts identifiziert haben. Nach seinen Angaben soll ihn sein Arbeitgeber unwissentlich verraten haben, da er diesen Personen Informationen über ihn gegeben haben soll. Sein Arbeitgeber soll ihn darüber informiert haben, woraufhin er das Land verlassen habe.
Selbst bei Wahrunterstellung der von ihm gemachten Angaben, ist zu berücksichtigen, dass der BF zu keinem Zeitpunkt eine konkrete Situation bezeichnete, in welcher er direkten Kontakt mit Stammesmitgliedern der „ XXXX “ gehabt haben soll, sieht man vom „Ertapptwerden“ durch den Bruder seiner Geliebten ab. Er selbst war nie persönlich mit Drohungen gegen seine eigene Person oder in Bezug auf seine Familie konfrontiert. So hatte er weder in XXXX noch in XXXX direkten Kontakt mit Personen, die ihn gefährdet haben sollen. Von Drohungen gegen die Person des Beschwerdeführers oder gegen dessen Familie vonseiten des Stammes der „ XXXX “ und des eigenen Stammes will der Beschwerdeführer ausschließlich durch Dritte erfahren haben. Im gegebenen Zusammenhang ist völlig unklar geblieben und kann daher auch nicht nachvollzogen werden, wie es der Mutter des Beschwerdeführers - trotz der guten Vernetzung der Stämme im Irak - gelungen sein soll, an Dokumente zu gelangen (darunter insbesondere die Sterbeurkunde der angeblichen Geliebten des BF) und diese unbemerkt an den in Österreich aufhältigen Beschwerdeführer zu versenden und mit ihm im Geheimen Kontakt zu halten. Noch dazu soll nach seinen eigenen Angaben der gesamte eigene Stamm und jener der Ermordeten auf der Suche nach ihm sein und soll es letzterem gelungen sein, den Beschwerdeführer ausschließlich aufgrund seines Dialekts in einem etwa XXXX km entfernten Ort (Distanz XXXX ) zu finden. Durch diese Umstände erfährt die Fluchtgeschichte des Beschwerdeführers eine Relativierung. Die Fluchtgeschichte des BF erfährt eine weitere Relativierung dadurch, dass der Beschwerdeführer die angeblich gegen ihn gerichteten Drohungen der Polizei des Herkunftsstaates nicht zur Anzeige brachte. Sein Argument, dass die Polizei des Herkunftsstaates für „Ehrenangelegenheiten“ nicht zuständig sei und er deshalb von einer Anzeige abgesehen hätte, vermag das Gericht nicht zu überzeugen.
Während er die Angaben zur Ermordung einer Frau und zur Verurteilung ihres Bruders plausibel vorbringen und durch Dokumente untermauern vermochte, gelang es dem Beschwerdeführer nicht, einen kausalen Zusammenhang zwischen der behaupteten außerehelichen Beziehung und seiner Person einerseits und eine - asylrechtlich zudem nicht relevante - Verstoßung seiner Person aus der eigenen Familie und seinem Stamm und eine Bedrohung durch den Stamm der „ XXXX “ glaubhaft zu machen. Unterstellt man den Kontakt zwischen ihm und seiner Mutter, wäre es - bei Wahrunterstellung seiner Angaben - zumindest für den eigenen Familienclan ein Leichtes, des Beschwerdeführers habhaft zu werden und die angeblich begangene Ehrverletzung zu sühnen. Trotz der zur Vorlage gebrachten Urkunden erscheinen die Angaben des Beschwerdeführers über die gegen ihn gerichtete Drohung durch den Stamm der „ XXXX “ und den eigenen Stamm als tatsachenwidriges Gedankenkonstrukt.
Die getroffenen Konstatierungen waren somit im Rahmen der freien Beweiswürdigung zu treffen.
2.4. Zur Lage im Herkunftsstaat
Die länderkundlichen Feststellungen zur allgemeinen Lage im Irak gründen auf dem Amtswissen des erkennenden Gerichtes und auf den als notorisch zu qualifizierenden aktuellen Ereignissen im Herkunftsstaat des BF in Verbindung mit den dazu ergänzend eingesehenen länderkundlichen Informationsquellen. Diesen war auch kein über die oben erörterten, vom BF selbst dargebotenen Verfolgungsgründe hinausgehender Sachverhalt zu entnehmen, der allenfalls Anhaltspunkte für eine aus sonstigen Gründen drohende individuelle Gefährdung beinhaltet hätte.
2.5. Zur Integration des BF in Österreich
Die Feststellungen zu den vom Beschwerdeführer in Österreich gesetzten Integrationsschritten gründen auf den diesbezüglich glaubhaften Nachweisen im Akt und auf den im Akt einliegenden Unterstützungsschreiben. Dass der BF über Deutschkenntnisse verfügt, konnte zusätzlich im Rahmen der hg. mündlichen Verhandlung festgestellt werden, in welcher er einige Fragen auf Deutsch beantworten konnte. Dass er seit Jänner 2019 keine Leistungen aus der Grundversorgung bezieht, ergibt sich aus einem diesbezüglich von amtswegen eingeholten Auszug aus der Informationsdatei GVS und der Tatsache, dass er bei der BH XXXX ein Gewerbe angemeldet hat; zudem konnte er mittels gestellter Rechnungen nachweisen, dass er über Einnahmen im Bundesgebiet verfügt.
Der Bezug von Leistungen aus der Grundversorgung bis zu diesem Zeitpunkt ergibt sich aus seinen diesbezüglich glaubhaften Angaben und einem GVS-Auszug, der Hauptwohnsitz im Bundesgebiet und die bisherige Unbescholtenheit aus den jeweiligen Auszügen aus dem Melderegister und dem Strafregister.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu Spruchteil A):
3.1. Zuständigkeit und anzuwendendes Recht
3.1.1. Die gegen den Bescheid der belangten Behörde vom XXXX .08.2018 erhobene Beschwerde des BF ist rechtzeitig.
Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 des BFA-Verfahrensgesetzes (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 idgF., entscheidet über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) das Bundesverwaltungsgericht.
3.1.2. Gemäß § 6 des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes (BVwGG), BGBl. I Nr. 10/2013, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Da in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen ist, obliegt die Entscheidung in der gegenständlichen Rechtssache dem nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuständigen Einzelrichter.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte, mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes, ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I Nr 33/2013 idgF, geregelt. Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung (BAO), BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes (AgrVG), BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 (DVG), BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
3.2. Zu Spruchpunkt I. der angefochtenen Bescheide:
3.2.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 AsylG 2005 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, idF des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974 (Genfer Flüchtlingskonvention - GFK), droht.
Als Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK ist anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffes ist nach ständiger Rechtsprechung des VwGH die „wohlbegründete Furcht vor Verfolgung“ (vgl. VwGH vom 22.12.1999, Zl. 99/01/0334; vom 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131 und vom 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011). Eine solche liegt dann vor, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Dabei kommt es nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (VwGH vom 09.03.1999, Zl. 98/01/0370 und vom 21.09.2000, Zl. 2000/20/0286).
Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen, der sich eignet, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen (VwGH vom 24.11.1999, Zl. 99/01/0280). Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH vom 19.12.1995, Zl. 94/20/0858; vom 23.09.1998, Zl. 98/01/0224; vom 09.03.1999, Zl. 98/01/0318; vom 09.03.1999, Zl. 98/01/0370; vom 06.10.1999, Zl. 99/01/0279 mwN; vom 19.10.2000, Zl. 98/20/0233; vom 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131 und vom 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011).
Die Verfolgungsgefahr muss aktuell sein, was bedeutet, dass sie zum Zeitpunkt der Entscheidung vorliegen muss (VwGH vom 09.03.1999, Zl. 98/01/0318 und vom 19.10.2000, Zl. 98/20/0233). Bereits gesetzte vergangene Verfolgungshandlungen können im Beweisverfahren ein wesentliches Indiz für eine bestehende Verfolgungsgefahr darstellen, wobei hierfür dem Wesen nach eine Prognose zu erstellen ist (VwGH vom 05.11.1992, Zl. 92/01/0792 und vom 09.03.1999, Zl. 98/01/0318). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der GFK genannten Gründen haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 nennt, und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatstaates bzw. des Staates ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein, wobei Zurechenbarkeit nicht nur ein Verursachen bedeutet, sondern eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr bezeichnet (VwGH vom 16.06.1994, Zl. 94/19/0183).
Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Es ist erforderlich, dass der Schutz generell infolge Fehlens einer nicht funktionierenden Staatsgewalt nicht gewährleistet wird (vgl. VwGH vom 01.06.1994, Zl. 94/18/0263 und vom 01.02.1995, Zl. 94/18/0731). Die mangelnde Schutzfähigkeit hat jedoch nicht zur Voraussetzung, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht - diesfalls wäre fraglich, ob von der Existenz eines Staates gesprochen werden kann -, die ihren Bürgern Schutz bietet. Es kommt vielmehr darauf an, ob in dem relevanten Bereich des Schutzes der Staatsangehörigen vor Übergriffen durch Dritte aus den in der GFK genannten Gründen eine ausreichende Machtausübung durch den Staat möglich ist. Mithin kann eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewendet werden kann (VwGH vom 22.03.2000, Zl. 99/01/0256).
Verfolgungsgefahr kann nicht ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Einzelverfolgungsmaßnahmen abgeleitet werden, vielmehr kann sie auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein (VwGH vom 09.03.1999, Zl. 98/01/0370 und vom 22.10.2002, Zl. 2000/01/0322).
Die Voraussetzungen der GFK sind nur bei jenem Flüchtling gegeben, der im gesamten Staatsgebiet seines Heimatlandes keinen ausreichenden Schutz vor einer konkreten Verfolgung findet (VwGH vom 08.10.1980, VwSlg. 10.255 A). Steht dem Asylwerber die Einreise in Landesteile seines Heimatstaates offen, in denen er frei von Furcht leben kann, und ist ihm dies zumutbar, so bedarf er des asylrechtlichen Schutzes nicht; in diesem Fall liegt eine sog. „inländische Fluchtalternative“ vor. Der Begriff „inländische Fluchtalternative“ trägt dem Umstand Rechnung, dass sich die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung iSd. Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK, wenn sie die Flüchtlingseigenschaft begründen soll, auf das gesamte Staatsgebiet des Heimatstaates des Asylwerbers beziehen muss (VwGH vom 08.09.1999, Zlen. 98/01/0503 und 98/01/0648).
Grundlegende politische Veränderungen in dem Staat, aus dem der Asylwerber aus wohlbegründeter Furcht vor asylrelevanter Verfolgung geflüchtet zu sein behauptet, können die Annahme begründen, dass der Anlass für die Furcht vor Verfolgung nicht (mehr) länger bestehe. Allerdings reicht eine bloße - möglicherweise vorübergehende - Veränderung der Umstände, die für die Furcht des betreffenden Flüchtlings vor Verfolgung mitbestimmend waren, jedoch keine wesentliche Veränderung der Umstände iSd. Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK mit sich brachten, nicht aus, um diese zum Tragen zu bringen (VwGH vom 21.01.1999, Zl. 98/20/0399 und vom 03.05.2000, Zl. 99/01/0359).
3.2.2. Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes erweist sich die gegenständliche Beschwerde als unbegründet:
Ein in seiner Intensität asylrelevanter Eingriff in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen führt dann zur Flüchtlingseigenschaft, wenn er an einem in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK festgelegten Grund, nämlich die Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politische Gesinnung anknüpft.
Eine gegen eine Person gerichtete Verfolgungsgefahr aus solchen Gründen wurde vom Beschwerdeführer weder im Verfahren vor der belangten Behörde, noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht glaubhaft gemacht