TE Bvwg Beschluss 2020/11/18 W216 2235421-1

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Veröffentlicht am 18.11.2020
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Entscheidungsdatum

18.11.2020

Norm

BBG §40
BBG §41
BBG §45
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch


W216 2235421-1/3E

Beschluss

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Marion STEINER als Vorsitzende und die Richterin Mag. Benedikta TAURER sowie die fachkundige Laienrichterin Mag. Bettina PINTER als Beisitzerinnen über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Niederösterreich, vom 02.06.2020, OB XXXX , betreffend die Abweisung des Antrags auf Ausstellung eines Behindertenpasses, beschlossen:

A)

In Erledigung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheid behoben und die Angelegenheiten gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) idgF zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Begründung:

I. Verfahrensgang:

Die Beschwerdeführerin stellte am 31.01.2020 beim Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (im Folgenden: belangte Behörde) einen Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses und legte zur Begründung dessen, diverse medizinische Unterlagen vor.

Die belangte Behörde holte in der Folge ein medizinisches Sachverständigengutachten einer Ärztin für Allgemeinmedizin ein, in welchem – basierend auf der Aktenlage – ein Gesamtgrad der Behinderung in Höhe von 30 v.H. festgestellt wurde.

Mit Schreiben der belangten Behörde vom 01.04.2020 wurde der Beschwerdeführerin gemäß § 45 Abs. 3 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 (AVG) das Ergebnis der Beweisaufnahme zur Kenntnis gebracht und ihr Gelegenheit gegeben, zum Ergebnis des Ermittlungsverfahrens Stellung zu nehmen. Die Beschwerdeführerin erstattete keine Stellungnahme.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 02.06.2020 wies die belangte Behörde den Antrag der Beschwerdeführerin vom 31.01.2020 auf Ausstellung eines Behindertenpasses gemäß § 40, § 41 und § 45 BBG ab. Beweiswürdigend wurde ausgeführt, dass die ärztliche Begutachtung einen Grad der Behinderung von 30 v.H. ergeben habe, womit die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses (Grad der Behinderung von mindestens 50 v.H.) nicht vorliegen würden. Der Beschwerdeführerin sei gemäß § 45 Abs. 3 AVG mit Schreiben vom 01.04.2020 Gelegenheit gegeben worden, zum Ergebnis des Ermittlungsverfahrens Stellung zu nehmen. Da eine Stellungnahme innerhalb der gesetzten Frist nicht eingelangt sei, habe vom Ergebnis des Ermittlungsverfahrens nicht abgegangen werden können. In der rechtlichen Beurteilung zitierte die belangte Behörde die maßgeblichen Bestimmungen des BBG.

Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 15.06.2020 fristgerecht Beschwerde und führte im Wesentlichen begründend aus, dass die Beurteilung der belangten Behörde auf einer Bewertung nach einer physikalischen Behandlung beruhe und den Zustand von März 2019 beschreibe. Da sich ihr Zustand leider verschlechtert habe, sei ein neuerlicher Vorstellungstermin für April 2020 vereinbart worden, der jedoch aufgrund der Corona-Beschränkungen nicht stattfinden habe können.

Die gegenständliche Beschwerde und der Bezug habende Verwaltungsakt wurden von der belangten Behörde dem Bundesverwaltungsgericht am 25.09.2020 zur Entscheidung vorgelegt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die Beschwerdeführerin stellte am 31.01.2020 bei der belangten Behörde einen Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 02.06.2020 wurde festgestellt, dass der Grad der Behinderung der Beschwerdeführerin 30 v.H. betrage und somit die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses nicht erfüllt seien.

Im erstinstanzlichen Verfahren wurde ein Sachverständigengutachten einer Ärztin für Allgemeinmedizin – lediglich basierend auf der Aktenlage – eingeholt und in der Folge der Antrag mit dem angefochtenen Bescheid abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin wurde trotz offensichtlichen Erfordernisses keiner persönlichen Begutachtung durch einen Facharzt / eine Fachärztin für Orthopädie unterzogen. Das seitens der belangten Behörde eingeholte Sachverständigengutachten einer Ärztin für Allgemeinmedizin geht auf die – insbesondere orthopädischen – Leiden der Beschwerdeführerin nicht in ausreichendem Maße ein.

2. Beweiswürdigung:

Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich widerspruchsfrei aus dem Akteninhalt.

Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichts (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz - BVwGG) entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gemäß § 45 Abs. 3 Bundesbehindertengesetz, BGBl. Nr. 283/1990, idF BGBl. I. Nr. 57/2015, (BBG), hat in Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen. Gegenständlich liegt somit Senatszuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013 idF BGBl. I Nr. 122/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Zu A) Behebung und Zurückverweisung:

Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben ist, den angefochtenen Bescheid auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.

Gemäß § 28 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (in der Folge VwGVG) hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden,

1.       wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2.       die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat das Verwaltungsgericht gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

Das Modell der Aufhebung des Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit an die Behörde folgt konzeptionell jenem des § 66 Abs. 2 AVG, allerdings mit dem Unterschied, dass die Notwendigkeit der Durchführung einer mündlichen Verhandlung nach § 28 Abs. 3 VwGVG nicht erforderlich ist. Voraussetzung für eine Aufhebung und Zurückverweisung ist allgemein (nur) das Fehlen behördlicher Ermittlungsschritte. Sonstige Mängel, abseits jener der Sachverhaltsfeststellung, legitimieren nicht zur Behebung auf Grundlage von § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG (Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren (2013), § 28 VwGVG, Anm. 11.).

§ 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Verwaltungsgerichtes, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen hat.

Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, zur Auslegung des § 28 Abs. 3 2. Satz ausgeführt hat, ist vom prinzipiellen Vorrang einer meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte auszugehen. Nach der Bestimmung des § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG kommt bereits nach ihrem Wortlaut die Aufhebung eines Bescheides einer Verwaltungsbehörde durch ein Verwaltungsgericht nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht (vgl. auch Art. 130 Abs. 4 Z 1 B-VG). Dies wird jedenfalls dann der Fall sein, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt bereits im verwaltungsbehördlichen Verfahren geklärt wurde, zumal dann, wenn sich aus der Zusammenschau der im verwaltungsbehördlichen Bescheid getroffenen Feststellungen (im Zusammenhalt mit den dem Bescheid zu Grunde liegenden Verwaltungsakten) mit dem Vorbringen in der gegen den Bescheid erhobenen Beschwerde kein gegenläufiger Anhaltspunkt ergibt.

Ist die Voraussetzung des § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG erfüllt, hat das Verwaltungsgericht (sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist) "in der Sache selbst" zu entscheiden.

Das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, verlangt, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird.

Wie der Verwaltungsgerichtshof im oben angeführten Erkenntnis ausgeführt hat, wird eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer "Delegierung" der Entscheidung an das Verwaltungsgericht, vgl. Holoubek, Kognitionsbefugnis, Beschwerdelegitimation und Beschwerdegegenstand, in: Holoubek/Lang (Hrsg), Die Verwaltungsgerichtsbarkeit, erster Instanz, 2013, Seite 127, Seite 137; siehe schon Merli, Die Kognitionsbefugnis der Verwaltungsgerichte erster Instanz, in Holoubek/Lang (Hrsg), Die Schaffung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz, 2008, Seite 65, Seite 73 f).

Der angefochtene Bescheid erweist sich in Bezug auf den zu ermittelnden Sachverhalt aus folgenden Gründen als grob mangelhaft:

Die belangte Behörde hat im erstinstanzlichen Verfahren zwar ein ärztliches Gutachten einer Ärztin für Allgemeinmedizin eingeholt, welches einen Gesamtgrad der Behinderung von 30 v.H. feststellte, dieses beruht jedoch lediglich auf der Aktenlage. Eine persönliche Begutachtung/Untersuchung der Beschwerdeführerin insbesondere hinsichtlich ihrer bereits bei Antragstellung durch die Vorlage medizinsicher Befunde untermauerten orthopädischen Leiden durch einen Facharzt/eine Fachärztin für Orthopädie fand zu keiner Zeit statt.

Die Beschwerdeführerin leidet neben einer Erkrankung an Lichen sclerosus am äußeren Genitale und einem Zustand nach Entfernung der Gebärmutter auch an einem orthopädischen Leiden, bei dem es sich um das Hauptleiden der Beschwerdeführerin handelt. Die von der belangten Behörde beigezogene Allgemeinmedizinerin beurteilte dieses Leiden auf Basis der Aktenlage, als Leiden Nummer 1 mit "Degenerative Veränderungen in der Wirbelsäule mit Funktionseinschränkungen mittleren Grades" und kam zum Ergebnis, dass dieses Leiden mit einem unteren Rahmensatz und einem Grad der Behinderung von 30% nach Position 02.01.02 einzustufen sei, da keine neurologischen Ausfälle vorlägen.

Im angefochtenen Bescheid wurde dann auch lediglich das auf der Aktenlage basierende Gutachten der allgemeinmedizinischen Sachverständigen herangezogen und der Entscheidung zugrunde gelegt. Im von der belangten Behörde eingeholten Sachverständigengutachten der Allgemeinmedizinerin weren die von der Beschwerdeführerin vorgelegten fachärztlich-orthopädischen Befunde zwar aufgenommen, dennoch findet sich keine vollständige Auseinandersetzung mit den darin beschriebenen Gesundheitsschädigungen. Aussagen über die Schwere der darin beschriebenen Gesundheitsschädigungen, bzw. Feststellungen hinsichtlich deren Auswirkungen und Einfluss auf den Grad der Behinderung, sind nicht getroffen worden. Festgehalten wurde lediglich, wie bereits ausgeführt, dass die unter Leiden Nummer 1 geführten "Degenerativen Veränderungen in der Wirbelsäule mit Funktionseinschränkungen mittleren Grades" aufgrund des Fehlens neurologischer Ausfälle mit einem unteren Rahmensatz von 30% einzustufen seien. Weitere Ausführung dieses Leiden betreffend finden sich in dem eingeholten Sachverständigengutachten nicht.

Die vorgelegten Beweismittel enthalten jedoch konkrete Anhaltspunkte dafür, dass neben einem allgemeinmedizinischen Gutachten auch die Einholung eines Sachverständigengutachtens der Fachrichtung Orthopädie – basierend auf der persönlichen Begutachtung der Beschwerdeführerin – erforderlich ist, um eine vollständige und ausreichend qualifizierte Prüfung zu gewährleisten. Das eingeholte Sachverständigengutachten ist im Hinblick darauf, dass die Beschwerdeführerin ebenso und insbesondere orthopädische Leidenszustände durch Vorlage von medizinischen Beweismitteln vorgebracht hat, mangels Fachkenntnis nicht ausreichend zur qualifizierten Beurteilung des Gesamtleidenszustandes.

Gegenständlich ist somit nicht nachvollziehbar, weshalb die belangte Behörde darauf verzichtet hat, ein Sachverständigengutachten der Fachrichtung Orthopädie basierend auf einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin einzuholen. Es besteht zwar kein Anspruch auf die Zuziehung von Sachverständigen eines bestimmten medizinischen Teilgebietes. Es kommt jedoch auf die Schlüssigkeit der eingeholten Gutachten an. Gegenständlich ist die ausschließlich durch eine Ärztin für Allgemeinmedizin auf Basis der Aktenlage vorgenommene Beurteilung angesichts des komplexen Krankheitsbildes der Beschwerdeführerin aufgrund der derzeit vorliegenden Aktenlage offensichtlich sachwidrig erfolgt. Das Vorbringen und die vorgelegten Beweismittel enthalten konkrete Anhaltspunkte, dass die Einholung eines Gutachtens der Fachrichtung Orthopädie auf Basis einer persönlichen Begutachtung der Beschwerdeführerin erforderlich ist, um eine vollständige und ausreichend qualifizierte Prüfung zu gewährleisten.

Das Sachverständigengutachten hätte daher von der belangten Behörde nicht ohne Ergänzung seiner Entscheidung zugrundegelegt werden dürfen. (VwGH vom 08.07.2015, Ra 2015/11/0036)

In dem durch die belangte Behörde eingeholten allgemeinmedizinischen Sachverständigengutachten werden zwar – wie bereits ausgeführt – die von der Beschwerdeführerin vorgelegten medizinischen Beweismittel unter auszugsweiser Zitierung der Inhalte angeführt, die Sachverständige hat sich aber mit den Inhalten nicht weiter bzw. nicht umfassend auseinandergesetzt. So ist dem Gutachten nicht zu entnehmen, in welcher Form bzw. welchem Ausmaß diese bei der Beurteilung des Grades der Behinderung berücksichtigt wurden.

Die seitens des Entscheidungsorganes erforderliche Überprüfung im Rahmen der freien Beweiswürdigung ist auf dieser Grundlage nicht möglich. Der eingeholte medizinische Sachverständigenbeweis vermag die verwaltungsbehördliche Entscheidung nicht zu tragen.

Aus den dargelegten Gründen ist davon auszugehen, dass die belangte Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen hat, und sich der vorliegende Sachverhalt zur Beurteilung des Grades der Behinderung als so mangelhaft erweist, dass weitere Ermittlungen bzw. konkretere Sachverhaltsfeststellungen erforderlich erscheinen.

Die aufgezählten Mängel können gegenständlich auch nicht durch eine Sachentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts saniert werden: Da Entscheidungen im Bereich des Behindertenrechts in höchstem Maße von ärztlichen Sachverständigengutachten abhängig sind, müsste das Bundesverwaltungsgericht dazu neue Sachverständigengutachten einholen, welche durch die dafür nötige Untersuchung der Beschwerdeführerin zu einer erheblichen Verfahrensverzögerung führen würden, welche jedenfalls nicht im Sinne einer raschen und kostengünstigen Verfahrensführung liegen würden. Aus diesem Grund erscheint nach Ansicht des erkennenden Senats gegenständlich die Aufhebung des angefochtenen Bescheides und Zurückverweisung an die belangte Behörde jedenfalls gerechtfertigt.

Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG sind somit im gegenständlichen Fall nicht gegeben. Da der maßgebliche Sachverhalt im Fall der Beschwerdeführerin noch nicht abschließend feststeht und, wie erörtert, vom Bundesverwaltungsgericht auch nicht rasch und kostengünstig festgestellt werden kann, war in Gesamtbeurteilung der dargestellten Erwägungen der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG zu beheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde zurückzuverweisen.

Das Verwaltungsgericht hat im Falle einer Zurückverweisung darzulegen, welche notwendigen Ermittlungen die Verwaltungsbehörde unterlassen hat. (Ra 2014/20/0146 vom 20.05.2015)

Im fortgesetzten Verfahren wird die belangte Behörde sohin unter Einbeziehung des Beschwerdevorbringens und der vorgelegten Beweismittel, unter Zugrundelegung der obigen Ausführungen, zusätzlich zu dem bereits eingeholten Sachverständigengutachten, ein auf die konkrete Fragestellung eingehendes Sachverständigengutachten der Fachrichtung Orthopädie, basierend auf der persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin, einzuholen, und die Ergebnisse bei der Entscheidungsfindung zu berücksichtigen haben. Die Zusammenfassung aller im Verfahren eingeholten Gutachten hat durch eine/n allgemeinmedizinische/n Sachverständige/n zu erfolgen. Von den Ergebnissen des weiteren Ermittlungsverfahrens wird die Beschwerdeführerin mit der Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme in Wahrung des Parteiengehörs in Kenntnis zu setzen sein.

Da der maßgebliche Sachverhalt im Fall der Beschwerdeführerin noch nicht feststeht und vom Bundesverwaltungsgericht auch nicht rascher und kostengünstiger festgestellt werden kann, war in Gesamtbeurteilung der dargestellten Erwägungen der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG zu beheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde zurückzuverweisen

Von der Durchführung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung wird gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG abgesehen, zumal aus dem Beschwerdeakt ersichtlich ist, dass eine mündliche Erörterung der Rechtssache mangels ausreichender Sachverhaltserhebungen und Feststellungen der belangten Behörde eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.

Schlagworte

Behindertenpass Ermittlungspflicht Grad der Behinderung Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung Sachverständigengutachten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W216.2235421.1.00

Im RIS seit

14.01.2021

Zuletzt aktualisiert am

14.01.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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