TE Vwgh Erkenntnis 1997/6/30 93/10/0157

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Veröffentlicht am 30.06.1997
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Index

L55004 Baumschutz Landschaftsschutz Naturschutz Oberösterreich;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB);
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

ABGB §26;
AVG §66 Abs4;
AVG §8;
AVG §9;
NatSchG OÖ 1982 §5 Abs1;
VwGG §34 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Jabloner und die Hofräte Dr. Novak, Dr. Mizner, Dr. Bumberger und Dr. Stöberl als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Suda, über die Beschwerde 1.) des Dipl. Ing. FP und 2.) der IP, beide in L, 3.) der AF in H (BRD), 4.) der CS in X, und 5.) einer Interessengemeinschaft der Erst- bis Viertbeschwerdeführer, alle vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt in L, gegen den Bescheid der Oberösterreichischen Landesregierung vom 22. November 1993, Zl. N-102527-Kü-1993, betreffend naturschutzbehördliches Feststellungsverfahren, zu Recht erkannt:

Spruch

1. Die Beschwerde der Fünftbeschwerdeführerin wird zurückgewiesen.

2. Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Oberösterreich hat den unter Punkt 1.) bis 4.) genannten Beschwerdeführern zu gleichen Teilen Aufwendungen in der Höhe von S 12.860,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind Eigentümer des Grundstückes Nr. 1308/8; die Drittbeschwerdeführerin ist Eigentümerin des Grundstückes Nr. 1309/11, die Viertbeschwerdeführerin des Grundstückes Nr. 1309/10, alle jeweils KG X.

Mit Schreiben vom 25. Mai 1992 stellten die Beschwerdeführer als "Interessengemeinschaft Dipl. Ing. FP und IP, AF und CS" bei der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck (BH) ein "Ansuchen um naturschutzbehördliche Genehmigung" für die Anschüttung ihrer am Attersee gelegenen Seegrundstücke. Die dabei geplanten Maßnahmen wurden folgendermaßen umschrieben:

"1. Errichtung einer Krainerwand an der Vorderseite der Grundstücke Nr. 1308/8, 1309/11 und 1309/10, die eingeschüttet werden und an der Oberseite eine Deckschicht von 10 - 20 cm Humus erhalten soll.

2. Errichtung einer Hainbuchenhecke entlang der Bundesstraße und zwischen den Grundstücken 1308/8, 1309/10 und 1309/11.

3. Verrohrung oder Zudeckung des im Bereich des Grundstückes 1308/8 in den See mündenden Gerinnes.

4. Errichtung eines Badesteges vor dem Grundstück 1309/10 mit einer Größe von 4,00 x 5,00 m.

5. Errichtung von Eingangsstiegen in den See auf den Grundstücken 1308/8, 1309/10 und 1309/11."

Dem Ansuchen, das alle genannten Personen unterschrieben, waren entsprechende Projektunterlagen angeschlossen.

Die BH holte ein Gutachten des Landesbeauftragten für Natur- und Landschaftsschutz ein. Dieser gelangte aufgrund eines Lokalaugenscheines zur Auffassung, daß der Antrag in seiner Gesamtheit negativ beurteilt werden müßte, weil damit eine wesentliche Veränderung des Landschaftsbildes einhergehen würde, die zweifelsohne zu einer maßgeblichen Beeinträchtigung des Landschaftsbildes führe.

In einer Stellungnahme zum Gutachten brachten die Beschwerdeführer vor, daß die projektierte Anschüttung für die Viertbeschwerdeführerin, die eine Frühstückspension oberhalb der Grundstücke besitze, wirtschaftlich von großer Bedeutung sei. Die Beschwerdeführer seien auch bereit, Vorschreibungen der Naturschutzbehörde für eine andere Begrenzung an der Straßenseite der Grundstücke zu akzeptieren.

Die BH veranlaßte am 26. November 1992 eine mündliche Verhandlung an Ort und Stelle, bei der der Vertreter der Gemeinde X die Erteilung der naturschutzbehördlichen Ausnahmegenehmigung befürwortete. Der Landesbeauftragte für Natur- und Landschaftsschutz sprach sich auch unter Hinweis auf die zu erwartenden Beispielsfolgen gegen die Erteilung einer Genehmigung aus.

Mit Bescheid vom 22. Dezember 1992 wies die BH den Antrag unter Hinweis auf § 5 Abs. 1 des Oberösterreichischen Natur- und Landschaftsschutzgesetzes 1982 (Oö NSchG 1982) ab.

Der Bescheid der BH wurde allen im Spruch dieses Erkenntnisses unter Punkt 1.) bis 4.) genannten Beschwerdeführern nachweislich zugestellt.

Der Erstbeschwerdeführer erhob im eigenen Namen und namens der übrigen drei Beschwerdeführer Berufung. Dabei erklärten sich die Beschwerdeführer bereit, auch eine andere Begrenzung der Grundstücke zu errichten, wenn dies von der Behörde gefordert werde. Statt einer Krainerwand könnte ein Steinwurf errichtet werden. Sollten noch weitere Pläne benötigt werden, so seien die Beschwerdeführer gerne bereit, diese nachzureichen.

Die belangte Behörde holte ein Gutachten der Amtssachverständigen für Natur- und Landschaftsschutz ein.

Darin heißt es wörtlich:

"Die gegenständlichen, relativ schmalen und zum Attersee abfallenden Grundstücke zeichnen sich durch ihre naturnahe Ausgestaltung aus, wobei das für die Selbstreinigungskraft des Gewässers äußerst wichtige frei auslaufende Ufer, die Reste des standortgerechten Uferbegleitgehölzes sowie das Fehlen anthropogener Einrichtungen dieses intakte Landschaftsbild bedingen. ...

Zu den beantragten Maßnahmen muß aus naturschutzfachlicher Sicht angemerkt werden, daß sie zweifelsohne zu einer maßgeblichen Veränderung und Beeinträchtigung des Landschaftsbildes führen.

Durch die Errichtung einer Krainer-Wand, einer Aufschüttung, eines Steges, einer Buchenhecke sowie Verrohrung des vorhandenen Gerinnes wird die zum gegenwärtigen Zeitpunkt intakte Uferlandschaft zweckentfremdet und in ihrem Erscheinungsbild empfindlich gestört.

Nachdem alle geplanten Eingriffe (vor allem Krainer-Wand und Steganlage) aufgrund ihrer Form und Farbgebung als künstliche Elemente anzusehen sind, lassen sie jede Einbindung in das Landschaftsbild vermissen, wobei die lineare, als Heckenwand erscheinende Hainbuchenpflanzung keine Milderung, sondern eine Verschärfung des Gesamtsituation bewirkt.

Darüberhinaus führt die Verrohrung zu dem Verlust eines offenen, das Landschaftsbild bereichernden Strukturelementes.

Die negative Eingriffswirkung der Maßnahmen wird durch den Umstand der sowohl see- als auch landseitigen Einsehbarkeit zusätzlich verstärkt. ...

Abgesehen von den fachlichen Argumenten, die wegen der negativen Eingriffswirkung in die Uferlandschaft gegen eine positive Beurteilung sprechen, muß der Antrag auch wegen den zu erwartenden Beispielsfolgen abgelehnt werden. ..."

In einer Stellungnahme dazu haben die Beschwerdeführer neuerlich erklärt:

"-

anstatt der Krainerwand einen Steinwurf zu errichten,

-

statt der geplanten Überdeckung des bisher ca. 80 m im Hang verrohrten Baches im Rahmen der geplanten Anschüttungsmaßnahmen "ein offenes Gerinne" zu schaffen und damit statt der bisherigen Verrohrung einen naturnaheren Einfluß des Baches in den See zu ermöglichen;

-

weiters würde in dem Bestreben, "das natürliche Ufer fortzusetzen", anstatt einer bereits vorhandenen Buchenhecke eine Baumreihe aus Eschen gesetzt;

-

für den Fall, daß die vorgesehenen Stiegen in den See von den einzelnen Grundstücken stören sollten, könnten diese weggelassen werden."

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Berufung keine Folge gegeben und der Bescheid der BH bestätigt. Nach der Begründung stellte das verfahrensgegenständliche Vorhaben einen Eingriff in das Landschaftsbild im Sinne des § 5 Abs. 1 Oö NSchG 1982 dar. Die von den Beschwerdeführern geltend gemachten Interessen an der Verwirklichung des beantragten Vorhabens seien im Hinblick auf die hohe Wertigkeit des Landschaftsbildes im Seeuferbereich von untergeordneter Bedeutung und nicht geeignet, dem schwerwiegenden öffentlichen Interesse und der Erhaltung des Landschaftsbildes auch nur gleichwertig zu sein.

Auch der angefochtene Bescheid wurde allen im Spruch dieses Erkenntnisses unter Punkt 1.) bis 4.) genannten Beschwerdeführern zugestellt.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und in einer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Die Beschwerdeführer haben zur Gegenschrift eine Replik

erstattet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde dem Antrag der "Interessengemeinschaft Dipl. Ing. FP und IP, AF und CS" - in Bestätigung der Entscheidung der BH - keine Folge gegeben. Dieser Bescheid wurde den im Spruch dieses Erkenntnisses unter Punkt 1.) bis 4.) genannten Beschwerdeführern zugestellt. Diese sind - ungeachtet der in der Einleitung des erstinstanzlichen Bescheides enthaltenen Bezugnahme auf die "Interessengemeinschaft" - die Adressaten der Bescheide beider Rechtsstufen. Da bloße Interessengemeinschaften mangels körperschaftlicher Organisation keine juristischen Personen sind (vgl. Aicher in Rummel2, Rz 16 zu § 26), ist davon auszugehen, daß der angefochtene Bescheid nur gegenüber den vier erstgenannten Beschwerdeführern erlassen worden ist. Die namens der Interessengemeinschaft erhobene Beschwerde war daher schon mangels Rechtsverletzungsmöglichkeit zurückzuweisen.

2. Im Beschwerdefall ist davon auszugehen, daß die Beschwerdeführer das ihrem Antrag vor der BH zugrundegelegte Projekt im Berufungsverfahren modifiziert haben. Die belangte Behörde ist darauf allerdings nicht eingegangen, sondern hat mit dem angefochtenen Bescheid über das der Entscheidung der BH zugrundeliegende Projekt abgesprochen.

In der Beschwerde wird - zusammenfassend - gerügt, daß die belangte Behörde nicht auf das modifizierte Projekt der Beschwerdeführer eingegangen ist. Diesem Vorbringen kommt im Ergebnis Berechtigung zu.

Nach § 66 Abs. 4 AVG hat außer dem im Abs. 2 erwähnten Fall die Berufungsbehörde, sofern die Berufung nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden. Sie ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung (§ 60) ihre Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern.

"Sache" im Sinne des § 66 Abs. 4 AVG ist die Angelegenheit, die den Inhalt des Spruches des Bescheides der Unterbehörde gebildet hat; im Falle einer eingeschränkten Berufung der vom Rechtsmittel erfaßte Teil des Bescheides, wenn dieser vom übrigen Bescheidinhalt trennbar ist. Der Akzent liegt auf der "Angelegenheit" im Sinne der "in Verhandlung stehenden Angelegenheit", die der Spruch zu erledigen hat (§ 56 Abs. 1 AVG), und nicht auf dem verbalen "Inhalt des Spruches". Unter diesem Bezug kann die "Sache" nicht generell, sondern nur aufgrund der jeweiligen Verwaltungsvorschrift, die die konkrete Verwaltungssache bestimmt, eruiert werden (vgl. dazu etwa das Erkenntnis eines verstärkten Senates, vom 28. November 1983, VwSlg. 11.237/A).

In seiner Rechtsprechung insbesondere zu baurechtlichen Vorschriften vertritt der Verwaltungsgerichtshof die Auffassung, daß der durch die "Sache" im Sinne des § 66 Abs. 4 AVG gezogene Rahmen durch Änderungen des Projektes nicht überschritten wird, wenn diese nicht das Wesen (den Charakter) des Bauvorhabens betreffen. Ein in Plänen dargestelltes konkretes Projekt sei nicht schon deshalb als ein "aliud" zu beurteilen, weil im Zuge des Berufungsverfahrens Modifikationen erfolgten, die dem Zweck dienten, das Projekt zur Gänze den Bewilligungsvoraussetzungen anzupassen (vgl. z.B. das Erkenntnis vom 23. Oktober 1995, Zl. 93/10/0128, mit weiteren Judikaturhinweisen).

Erfolgte daher durch die "Modifikation" des Antrages der Beschwerdeführer keine Änderung der Sache gegenüber dem erstinstanzlichen Verfahren, wäre die belangte Behörde zuständig geblieben, über den modifizierten Antrag zu entscheiden. Eine Entscheidung über den ursprünglichen, nicht modifizierten Antrag erwiese sich daher als rechtswidrig.

Würde sich hingegen der "modifizierte" Antrag vom ursprünglichen so wesentlich unterscheiden - wie die belangte Behörde in ihrer Gegenschrift meint -, daß der Berufungsbehörde nicht mehr dieselbe Sache wie der Erstbehörde zur Entscheidung vorliegt, so hätte die Berufungsbehörde den erstinstanzlichen Bescheid ersatzlos zu beheben; über den geänderten Antrag hätte in diesem Fall die Erstbehörde zu entscheiden (vgl. z.B. das Erkenntnis vom 21. November 1994, Zl. 94/10/0082).

Da die belangte Behörde aufgrund ihrer verfehlten Rechtsansicht nicht weiter geprüft hat, inwieweit der durch die "Sache" im Sinne des § 66 Abs. 4 AVG gezogene Rahmen aufgrund der Änderungen des Projektes überhaupt betroffen wird, belastete sie ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes; dieser war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben, ohne daß auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen war.

Der Ausspruch über den Kostenersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Neben dem pauschalierten Schriftsatzaufwand war ein Ersatz der Umsatzsteuer nicht zuzuerkennen.

Schlagworte

Beschränkungen der Abänderungsbefugnis Beschränkung durch die Sache Besondere Rechtsprobleme Änderung von Anträgen und Ansuchen im Berufungsverfahren Rechtsfähigkeit Parteifähigkeit juristische Person Personengesellschaft des Handelsrechts Zivilrecht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1997:1993100157.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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