Index
E3L E19103010Norm
AsylG 2005 §8 Abs1Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth und die Hofräte Mag. Stickler und Dr. Faber als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, über die Revision der I M, vertreten durch Mag. Clemens Lahner, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Burggasse 116, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 21. Juni 2019, W170 2202090-1/18E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl),
Spruch
den Beschluss gefasst:
I. Die Revision wird, insoweit sie sich gegen die Nichtzuerkennung des Status der Asylberechtigten richtet, zurückgewiesen.
zu Recht erkannt:
II. Im Übrigen wird das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Die Revisionswerberin, eine Staatsangehörige Syriens und Angehörige der Volksgruppe der Kurden, stellte am 12. Juli 2017 einen Antrag auf internationalen Schutz. Begründend brachte sie vor, sie habe Syrien wegen der schlechten Wirtschaftslage verlassen, um zu ihrem in Österreich aufhältigen Ehemann zu gelangen. In Syrien sei die Situation für junge Frauen sehr gefährlich. Sie habe auch Drohschreiben an ihrer Wohnungstür gefunden, nachdem sie an Kurdendemonstrationen teilgenommen habe.
2 Mit Bescheid vom 21. Juni 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag der Revisionswerberin auf internationalen Schutz ab (Spruchpunkte I. und II.), erteilte ihr keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 (Spruchpunkt III.), sprach jedoch aus, dass eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig sei und erteilte ihr eine Aufenthaltsberechtigung gemäß § 55 Abs. 2 AsylG 2005 (Spruchpunkt IV.).
3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die gegen die Spruchpunkte I. bis III. des Bescheides erhobene Beschwerde der Revisionswerberin nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung hinsichtlich der Spruchpunkte I. und II. (Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz) ab und stellte das Verfahren hinsichtlich des Spruchpunktes III. (Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005) wegen Zurückziehung der Beschwerde ein. Unter einem sprach das BVwG aus, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig sei.
4 Das BVwG stellte fest, die Revisionswerberin stamme aus der Stadt al-Qahtaniya in der Nähe von Qamischli. „Zum Zeitpunkt der Ausreise“ sei ihr Herkunftsort in der Hand der Kurden gewesen, zuvor hätten ab dem Jahr 2012 die al-Nusra-Front und die Freie Syrische Armee die Macht in der Hand gehabt, ab dem Jahr 2015 „bis dato“ die Kurden. Der Herkunftsort befinde sich im von kurdischen Machthabern beherrschten Gebiet im Nordosten Syriens. Dort könne die syrische Regierung nicht auf die Revisionswerberin greifen. Effektiv übe die syrische Regierung keine Kontrolle über diesen Teil des Landes aus. Im Herkunftsort bzw. -gebiet der Revisionswerberin finde kein bewaffneter Konflikt statt und seien kriegerische Auseinandersetzungen dort auch für die nahe Zukunft nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten. Die Revisionswerberin könne über den Grenzübergang Peshkabour zwischen Irakisch-Kurdistan und den kurdisch kontrollierten Gebieten in Nordsyrien sicher einreisen und so ihr Herkunftsgebiet erreichen. Sie könne dort im Kreis ihrer Familie leben. Das Wohnhaus gehöre ihrer Mutter.
5 Der Revisionswerberin drohe auf Grund ihrer Teilnahme an Demonstrationen oder aus anderen Gründen keine Bedrohung durch das syrische Regime. Ihr drohe auch keine Verfolgung durch die kurdischen Machthaber in ihrem Herkunftsgebiet, insbesondere keine Zwangsrekrutierung durch diese. Ihr drohe dort auch keine geschlechtsspezifische Verfolgung oder Verfolgung auf Grund ihrer Zugehörigkeit zur ethnischen Gruppe der Kurden, die dort an der Macht seien. Die Situation von Frauen in Syrien hänge stark von der Region ab. Die Situation von kurdischen Frauen in den kurdischen Gebieten im Nordosten Syriens sei in Bezug auf Unabhängigkeit, Bewegungsfreiheit und Vormundschaftsgesetze besser. Frauen und Männer seien in der Regierung zu gleichen Teilen repräsentiert. Die Autonomieregierung habe ein Gesetz beschlossen, das die Gleichheit zwischen Männern und Frauen in allen Sphären des öffentlichen und privaten Lebens vorsehe. Demnach hätten Frauen per Gesetz den gleichen Status wie Männer, auch zum Beispiel bezüglich Scheidung und Erbrecht. Polygamie, Ehrenmorde, Zwangsehen, Ehen von Minderjährigen und andere Formen von Gewalt gegen Frauen seien verboten, Frauenkomitees, Frauenhäuser und Frauenzentren seien eingerichtet worden. Frauen seien im politischen Leben der kurdischen Gebiete gut repräsentiert.
6 Rechtlich folgerte das BVwG, die Revisionswerberin sei vor ihrer Ausreise aus Syrien nicht verfolgt worden und es drohe ihr auch im Fall einer Rückkehr in ihr Herkunftsgebiet keine Verfolgung, weshalb der Antrag auf Zuerkennung des Status der Asylberechtigten abzuweisen gewesen sei. Vom subsidiären Schutz erfasst seien nur Fälle realer Gefahr, einen auf ein Verhalten eines Akteurs iSd. Statusrichtlinie zurückzuführenden ernsthaften Schaden zu erleiden, sowie Bedrohungen in einem bewaffneten Konflikt, nicht hingegen die reale Gefahr jeglicher, etwa auf allgemeine Unzulänglichkeiten im Herkunftsstaat zurückzuführender Verletzungen von Art. 3 EMRK (Verweis auf EuGH 18.12.2014, C-542/13, M`Bodj, und VwGH 6.11.2018, Ra 2018/01/0106). Da der Revisionswerberin weder durch den syrischen Staat noch durch die kurdischen Machthaber in ihrem Herkunftsgebiet ernsthafter Schaden drohe, und sich ihr Herkunftsgebiet auch in keinem bewaffneten Konflikt befinde, sei es dem BVwG verwehrt, ihr den Status der subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen.
7 Mit Beschluss vom 23. September 2019, E 2835/2019-7, lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der gegen dieses Erkenntnis erhobene Beschwerde der Revisionswerberin ab und trat die Beschwerde mit Beschluss vom 16. November 2019, E 2835/2019-10, dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.
8 Gegen das Erkenntnis des BVwG richtet sich die vorliegende (außerordentliche) Revision, die vom BVwG unter Anschluss der Akten des Verfahrens vorgelegt wurde.
9 Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Durchführung eines Vorverfahrens, in dem eine Revisionsbeantwortung nicht erstattet wurde, in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Zu Spruchpunkt I.:
10 Die Revision bringt, erkennbar gegen die Nichtzuerkennung des Status der Asylberechtigten gerichtet, zu ihrer Zulässigkeit zunächst vor, das BVwG habe keine Feststellungen in Zusammenhang mit der befürchteten politisch motivierten Verfolgung der Revisionswerberin (auf Grund ihrer Teilnahme an Demonstrationen, ihrer Volksgruppenzugehörigkeit und ihrer Heirat mit einem in Österreich asylberechtigten, exilpolitisch tätigen Wehrdienstverweigerer) getroffen.
11 Das BVwG stellte fest, der Herkunftsort der Revisionswerberin befinde sich in der Hand der Kurden im von kurdischen Machthabern beherrschten Gebiet im Nordosten Syriens. In ihrem Herkunftsort und in dessen Umgebung könne die syrische Regierung nicht auf die Revisionswerberin greifen, weswegen ihr dort keine Verfolgung durch das syrische Regime drohe. Vor diesem Hintergrund legt die Revision nicht dar, welche Bedeutung weitere Feststellungen in Zusammenhang mit der geltend gemachten Verfolgung durch das syrische Regime für die Entscheidung über den Antrag auf Zuerkennung des Status der Asylberechtigten hätten.
12 Die Revision stellt allerdings in Frage, dass sich das Herkunftsgebiet der Revisionswerberin unter Kontrolle der Kurden befinde. Das BVwG stützte sich für diese Feststellung beweiswürdigend auf die Angaben der Revisionswerberin in der mündlichen Verhandlung, auf eine näher genannte Website betreffend die im Entscheidungszeitpunkt bestehende territoriale Machtverteilung in Syrien sowie auf das der Revisionswerberin in der mündlichen Verhandlung zur Kenntnis gebrachte Länderinformationsblatt der Staatendokumentation. Vor diesem Hintergrund legt die Revision nicht dar, dass die Schlussfolgerung des BVwG, das syrische Regime könne im von Kurden kontrollierten Herkunftsgebiet der Revisionswerberin nicht auf diese greifen, unvertretbar wäre.
13 Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit weiter vor, das BVwG habe keine hinreichenden Feststellungen in Bezug auf geschlechtsspezifische Gewalt gegen Frauen getroffen, und verweist dazu auf Auszüge aus einer Anfragebeantwortung von ACCORD zur Lage kurdischer Frauen in Nordsyrien.
14 Das BVwG stützte seine oben wiedergegebenen Feststellungen zur Lage von Frauen im Herkunftsgebiet der Revisionswerberin auf das in der mündlichen Verhandlung ins Verfahren eingeführte Länderinformationsblatt der Staatendokumentation. Die Revisionswerberin hat dazu in einer Stellungnahme an das BVwG vom 4. April 2019 auf sexuelle Gewalt gegen Frauen hingewiesen. Dadurch können jedoch die Länderfeststellungen des angefochtenen Erkenntnisses nicht in Zweifel gezogen werden, da sich die von der Revisionswerberin vorgebrachten Länderinformationen zum einen auf die Bedingungen in Haftanstalten und bei Vernehmungen durch das syrische Regime beziehen, sodass sie für den Revisionsfall von vornherein nicht maßgeblich sind, und zum anderen auf die Lage von Frauen in Syrien allgemein und nicht auf jene im kurdisch kontrollierten Herkunftsgebiet der Revisionswerberin. Vor diesem Hintergrund gelingt es der Revision weder darzulegen, dass Frauen im Herkunftsgebiet der Revisionswerberin einer Gruppenverfolgung unterliegen würden, noch dass die Revisionswerberin, die nach den Feststellungen des angefochtenen Erkenntnisses bei einer Rückkehr im Kreis ihrer Familie leben könnte, mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit sexueller Gewalt ausgesetzt wäre.
15 Schließlich begründet die Revision ihre Zulässigkeit damit, das BVwG habe die Indizwirkung von Positionen des UNHCR nicht beachtet. Dafür verweist sie auf einen vom BVwG ins Verfahren eingeführten Bericht des UNHCR vom Februar 2007 (Relevant Country of Origin Information to Assist with the Application of UNHCR`s Country Guidance on Syria. „Illegal Exit“ from Syria and Related Issues for Determining the International Protection Needs of Asylum-Seekers from Syria), nach welchem die meisten syrischen Antragsteller auf internationalen Schutz die Voraussetzungen der Flüchtlingsdefinition der GFK erfüllen würden.
16 Mit diesem Vorbringen zeigt die Revision schon deshalb keine Rechtsfrage iSd. Art. 133 Abs. 4 B-VG auf, weil sich dieser Bericht hauptsächlich mit einzelnen Gefährdungssituationen in den vom syrischen Regime kontrollierten Gebieten befasst, und die Revision - wie ausgeführt - nicht darlegen kann, dass die auf das konkrete Fluchtvorbringen der Revisionswerberin abstellende Beurteilung des BVwG, diese unterliege bei einer Rückkehr in ihr Herkunftsgebiet nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit asylrelevanter Verfolgung, unvertretbar wäre.
17 Die Revision war daher, insoweit sie sich gegen die Nichtzuerkennung des Status der Asylberechtigten richtet, gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG als unzulässig zurückzuweisen.
Zu Spruchpunkt II.:
18 Zulässig und auch begründet ist die Revision aber insoweit, als sie vorbringt, das BVwG habe die materiellen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten verkannt.
19 Der Verwaltungsgerichtshof hat in dem vom BVwG zitierten Erkenntnis vom 6. November 2018, Ra 2018/01/0106, die Frage, ob § 8 Abs. 1 AsylG 2005 einer dem Unionsrecht (im Sinn der zu Art. 15 Statusrichtlinie ergangenen Rechtsprechung des EuGH) Genüge tuenden Auslegung zugänglich ist, ausdrücklich dahingestellt gelassen (Rn. 60 der Entscheidungsgründe). In seinem Erkenntnis vom 21. Mai 2019, Ro 2019/19/0006, hat der Verwaltungsgerichtshof dargelegt, dass eine Interpretation, mit der die Voraussetzungen der Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 mit dem in der Judikatur des EuGH dargelegten Verständnis des subsidiären Schutzes nach der Statusrichtlinie in Übereinstimmung gebracht würde, unter Beachtung des klaren Wortlautes des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 sowie der Entstehungsgeschichte und der systematischen Stellung der Norm die Grenzen der Auslegung nach den innerstaatlichen Auslegungsregeln überschreiten und zu einer - unionsrechtlich nicht geforderten - Auslegung contra legem führen würde. Infolge dessen sei an der bisherigen Rechtsprechung, wonach eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 und 3 EMRK durch eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat - auch wenn diese Gefahr nicht durch das Verhalten eines Dritten (Akteurs) bzw. die Bedrohungen in einem bewaffneten Konflikt verursacht wird - die Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 begründen kann, festzuhalten. Es wird insoweit gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG des Näheren auf die Entscheidungsgründe dieses Erkenntnisses verwiesen.
20 Dies hat das BVwG verkannt und sein Erkenntnis dadurch mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet. Ausgehend von dieser unrichtigen Rechtsansicht hat es das BVwG auch unterlassen, andere Feststellungen zur Situation im Herkunftsgebiet der Revisionswerberin als solche zur Sicherheitslage zu treffen, obwohl die Revisionswerberin in einer Stellungnahme an das BVwG vom 4. April 2019 auf die schlechte Versorgungslage und Gesundheitsversorgung hingewiesen hat. Die Revision macht das Fehlen solcher Feststellungen auch geltend.
21 Zutreffend bringt die Revision auch vor, dass es das BVwG unterlassen hat, ausreichende Feststellungen zur sicheren und legalen Erreichbarkeit der Herkunftsregion der Revisionswerberin zu treffen (vgl. VwGH 23.8.2019, Ra 2019/18/0188, mwN). Das BVwG geht davon aus, die Revisionswerberin könne über den Grenzübergang Peshkabour zwischen Irakisch-Kurdistan und den kurdisch kontrollierten Gebieten in Nordsyrien einreisen, ohne aber Feststellungen dazu zu treffen, ob die Revisionswerberin auch für die Zwecke dieser Einreise nach Irakisch-Kurdistan und zu diesem Grenzübergang gelangen könnte.
22 Das angefochtene Erkenntnis war daher, insoweit damit die Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird, schon aus diesen Gründen wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
23 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 9. Dezember 2020
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020190017.L00Im RIS seit
26.01.2021Zuletzt aktualisiert am
26.01.2021