TE Vwgh Beschluss 2020/12/9 Ra 2019/19/0424

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Veröffentlicht am 09.12.2020
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AVG §68 Abs1
BFA-VG 2014 §21 Abs3
BFA-VG 2014 §21 Abs6a
B-VG Art133 Abs4
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

Beachte


Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):
Ra 2019/19/0425

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth sowie die Hofräte Mag. Stickler und Dr. Faber als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, in den Revisionssachen des 1. M G K und der 2. M N, beide vertreten durch Mag. Martin Sauseng, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Jakominiplatz 16/II, gegen die Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichtes vom 11. Februar 2019, 1) W234 2009362-3/10E und 2) W234 2135281-3/5E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revisionen werden zurückgewiesen.

Begründung

1        Der miteinander verheirateten Revisionswerber sind Staatsangehörige der Russischen Föderation.

2        Sie stellten am 27. Juli 2018 die gegenständlichen (dritten) Anträge auf internationalen Schutz. Als neue Fluchtgründe brachten sie unter Vorlage eines Gerichtsurteils vor, über den Erstrevisionswerber sei in seinem Herkunftsstaat auf Grund eines „fingierten Gerichtsverfahrens“ in Abwesenheit eine fünfjährige Freiheitsstrafe verhängt worden. Außerdem legten sie ein Video vor, auf dem zu sehen sei, dass die Polizei nach dem Erstrevisionswerber fahnde.

3        Mit Bescheiden vom 30. November 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Anträge der Revisionswerber gemäß § 68 AVG wegen entschiedener Sache zurück, erteilte ihnen keine Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005, erließ gegen sie Rückkehrentscheidungen, stellte fest, dass ihre Abschiebung in die Russische Föderation zulässig sei, sprach aus, dass keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe, und erließ gegen sie befristete Einreiseverbote.

4        Mit den angefochtenen Erkenntnissen wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen erhobenen Beschwerden der Revisionswerber - ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung - als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

5        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

6        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

7        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

8        Die Revisionen wenden sich in ihrer Zulässigkeitsbegründung zunächst gegen die Beweiswürdigung des BVwG in Zusammenhang mit den vorgelegten Beweismitteln. Insbesondere hätte das BVwG dem Abwesenheitsurteil nicht „a priori“ jegliche Glaubwürdigkeit und Beweiskraft absprechen dürfen.

9        „Sache“ des Beschwerdeverfahrens vor dem BVwG war die Frage, ob die Zurückweisung des verfahrenseinleitenden Antrages durch das BFA gemäß § 68 Abs. 1 AVG zu Recht erfolgte. Das BVwG hatte dementsprechend zu prüfen, ob die Behörde auf Grund des von ihr zu berücksichtigenden Sachverhalts zu Recht zu dem Ergebnis gelangt ist, dass im Vergleich zum rechtskräftig entschiedenen ersten Asylverfahren keine wesentliche Änderung der maßgeblichen Umstände eingetreten ist (vgl. etwa VwGH 28.11.2019, Ra 2019/19/0329, mwN).

10       Bei wiederholten Anträgen auf internationalen Schutz kann nur eine solche behauptete Änderung des Sachverhaltes die Behörde zu einer neuen Sachentscheidung - nach etwa notwendigen amtswegigen Ermittlungen - berechtigen und verpflichten, der rechtlich für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen Relevanz zukäme; eine andere rechtliche Beurteilung des Antrages darf nicht von vornherein ausgeschlossen sein. Die behauptete Sachverhaltsänderung muss zumindest einen „glaubhaften Kern“ aufweisen, dem Relevanz zukommt (vgl. VwGH 2.8.2018, Ra 2018/19/0294 bis 0298, mwN).

11       Die Beurteilung, ob die behauptete Sachverhaltsänderung einen „glaubhaften Kern“ aufweist, erfolgt stets im Rahmen der Beweiswürdigung. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. VwGH 15.4.2020, Ra 2019/18/0234, mwN).

12       Das BVwG hat sich im Rahmen der Beweiswürdigung mit dem Fluchtvorbringen und im Besonderen auch mit dem vom Erstrevisionswerber vorgelegten Abwesenheitsurteil auseinandergesetzt. Es ging dabei nicht nur davon aus, dass nach den Länderfeststellungen im Herkunftsstaat der Revisionswerber echte Dokumente unwahren Inhalts, darunter auch Gerichtsurteile, käuflich erhältlich seien, sondern berücksichtigte auch, dass der Erstrevisionswerber nicht in der Lage gewesen sei, den der angeblichen Verurteilung zu Grunde liegenden Tatvorwurf zu schildern, und dass er die Umstände, wie er in den Besitz des Abwesenheitsurteils gelangt sei, nicht nachvollziehbar darstellen habe können. Auf dieser Grundlage gelangte das BVwG zum Ergebnis, das Fluchtvorbringen weise keinen glaubhaften Kern auf. Die Revisionen zeigen nicht auf, dass die Beweiswürdigung fallbezogen unvertretbar wäre.

13       Soweit die Revisionen zu ihrer Zulässigkeit auch vorbringen, das BVwG habe zu Unrecht von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen, ist darauf hinzuweisen, dass die Verhandlungspflicht im Zulassungsverfahren - wozu (wie hier) auch Beschwerden gegen eine vor Zulassung des Verfahrens ausgesprochene Zurückweisung eines Antrages auf internationalen Schutz nach § 68 AVG zählen - besonderen Verfahrensvorschriften, nämlich § 21 Abs. 3 und Abs. 6a BFA-VG, folgt (vgl. insoweit zu den Kriterien für die Notwendigkeit der Durchführung einer mündlichen Verhandlung näher VwGH 30.6.2016, Ra 2016/19/0072).

14       Die Revisionen zeigen mit dem bloß allgemeinen Hinweis auf das mit den Folgeanträgen vorgelegte Abwesenheitsurteil nicht auf, dass das BVwG von diesen Leitlinien abgewichen wäre.

15       In den Revisionen werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revisionen waren daher zurückzuweisen.

Wien, am 9. Dezember 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019190424.L00

Im RIS seit

02.02.2021

Zuletzt aktualisiert am

02.02.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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