TE Vwgh Beschluss 2020/12/17 Ra 2020/18/0480

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Veröffentlicht am 17.12.2020
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof

Norm

B-VG Art133 Abs4
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer, den Hofrat Dr. Sutter und die Hofrätin Dr.in Sembacher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des A M, vertreten durch Mag. Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Mozartstraße 11/6, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 3. August 2020, W166 2167745-1/11E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 12. Jänner 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er im Wesentlichen damit begründete, von den Taliban attackiert worden zu sein, weil er an einem von den Amerikanern veranstalteten Microsoft-Office-Kurs teilgenommen habe.

2        Mit Bescheid vom 25. Juli 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) diesen Antrag zur Gänze ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung gegen ihn und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise legte das BFA mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.

3        Die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.

4        Begründend führte das BVwG - soweit für das Revisionsverfahren relevant - aus, es schenke dem Revisionswerber Glauben hinsichtlich der Tatsache, dass er an einem Kurs für die Anwendung von MS-Office teilgenommen habe, dessen angebliche Bedrohung durch die Taliban vor seiner Ausreise sei allerdings aufgrund näher dargestellter Widersprüche und Ungereimtheiten nicht glaubhaft. Zum geltend gemachten Nachfluchtgrund der westlichen Orientierung hielt das BVwG fest, es sei dem Revisionswerber zuzugestehen, dass sich sein Lebensstil und seine Lebenseinstellung von einem jungen Mann, der Afghanistan nie längerfristig verlassen habe, unterscheide. Dass der Revisionswerber aufgrund seiner Englisch- und Deutschkenntnisse sowie seiner moderaten Auslegung des Islams mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit von Verfolgung in Afghanistan - insbesondere bei einer Ansiedelung in Mazar-e Sharif - betroffen sein werde, sei jedoch weder den Länderfeststellungen zu entnehmen noch sei dies substantiiert vom Revisionswerber dargelegt worden. Zur Nichtgewährung von subsidiärem Schutz erwog das BVwG, dass dem grundsätzlich gesunden und arbeitsfähigen Revisionswerber auch unter Berücksichtigung der Covid-19-Pandemie keine reale Gefahr der Verletzung seiner Rechte nach Art. 2 und 3 EMRK drohe. Dem Revisionswerber, der eine zwölfjährige Schulbildung sowie mehrjährige Berufserfahrung und eine Ausbildung zum Englischlehrer aufweise, sei eine Rückkehr in seine Heimatprovinz Kapisa zum Entscheidungszeitpunkt zwar nicht möglich, ihm stehe jedoch eine innerstaatliche Fluchtalternative in der Stadt Mazar-e Sharif offen. Betreffend die Rückenprobleme bzw. den erlittenen Bandscheibenvorfall des Revisionswerbers führte das BVwG ins Treffen, dass sich daraus keine Arbeitsunfähigkeit ergebe und die Versorgung mit Schmerzmitteln, die der Revisionswerber bei Bedarf einnehme, im Falle seiner Rückkehr sichergestellt sei.

5        Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, die nach Ablehnung ihrer Behandlung mit Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 7. Oktober 2020, E 3061/2020-5, dem Verwaltungsgerichtshof unter einem zur Entscheidung abgetreten wurde.

6        In der vorliegenden außerordentlichen Revision wird zur Zulässigkeit zusammengefasst geltend gemacht, das BVwG hätte sich mit den Auswirkungen der gesundheitlichen Einschränkungen des Revisionswerbers auf seine Arbeitsfähigkeit auseinandersetzen müssen und von Amts wegen ein orthopädisches Sachverständigengutachten einholen müssen. Es habe außerdem unterlassen, die konkreten Auswirkungen der Covid-19-Pandemie auf die afghanische Gesellschaft zu beurteilen. Zudem sei das BVwG seiner Begründungspflicht nicht im erforderlichen Ausmaß nachgekommen. Zur näheren Begründung werde auf die weiteren Ausführungen in der Revision verwiesen.

7        Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan.

8        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

9        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

10       Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

11       Soweit die Revision geltend macht, das BVwG sei auf das Vorbringen des Revisionswerbers hinsichtlich seiner Bandscheibenprobleme überhaupt nicht eingegangen und habe sich nicht mit deren Auswirkungen auf seine Arbeitsfähigkeit auseinandergesetzt, ist ihr zu entgegnen, dass das BVwG diese sehr wohl gewürdigt hat. Es erwog unter Berücksichtigung entsprechender Länderfeststellungen zur medizinischen Versorgung, der vorgelegten medizinischen Unterlagen und der eigenen Aussagen des Revisionswerbers in der Beschwerdeverhandlung, dass die vereinzelt auftretenden Rückenprobleme des Revisionswerbers, die weder akut medikamentös noch physikalisch-therapeutisch zu behandeln seien, nicht gegen dessen allgemein gute Gesundheit sprechen würden. Begründend führte es weiter aus, dass sich aus den Rückenproblemen als Folge eines Bandscheibenvorfalls eine generelle Arbeitsunfähigkeit nicht ableiten lasse. Der Revisionswerber habe eine Ausbildung zum Englischlehrer und zum Rettungssanitäter absolviert, bereits im Iran und in Österreich gearbeitet und es sei daher davon auszugehen, dass er auch künftig in der Lage sei, eine Erwerbstätigkeit auszuüben. Der Revision gelingt es vor dem Hintergrund dieser Erwägungen nicht, darzulegen, dass die Einschätzung des BVwG, der Revisionswerber sei arbeitsfähig, unvertretbar erfolgt wäre.

12       Mit dem Einwand, das BVwG hätte von Amts wegen ein orthopädisches Sachverständigengutachten einholen müssen, wird ein Ermittlungsmangel geltend gemacht. Die Frage, ob das Verwaltungsgericht im Rahmen seiner amtswegigen Ermittlungspflicht weitere Ermittlungsschritte setzen muss, unterliegt einer einzelfallbezogenen Beurteilung. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung läge insoweit nur dann vor, wenn diese Beurteilung grob fehlerhaft erfolgt wäre (vgl. VwGH 4.3.2020, Ra 2020/18/0069, mwN). Dass dies vorliegend der Fall wäre, zeigt die Revision nicht auf und lässt diesbezüglich auch jegliche Relevanzdarstellung vermissen.

13       Die Revision macht in ihrer Zulässigkeitsbegründung geltend, das BVwG habe es unterlassen, „die konkreten Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die afghanische Gesellschaft zu beurteilen und entsprechend zu würdigen“ und es sei insoweit der Sachverhalt nur unzureichend festgestellt worden. Dieser Verfahrensmangel könnte aber nur dann zur Zulässigkeit und Berechtigung der Revision führen, wenn seine Vermeidung zu einem anderen Verfahrensergebnis hätte führen können. Dies aufzuzeigen ist nach der ständigen Rechtsprechung Aufgabe der Revision (vgl. dazu etwa VwGH 16.7.2020, Ra 2020/18/0231, mwN). Eine diesen Anforderungen entsprechende Relevanzdarstellung ist der Revision jedoch nicht zu entnehmen.

14       Im Hinblick auf die Covid-19-Pandemie traf das BVwG Feststellungen sowohl zu den Infektions-, Todes- und Testraten in Afghanistan, dem Verlauf der Erkrankung und den Risikogruppen, zu denen der Revisionswerber nicht gehöre, als auch zu den landesweiten Einschränkungen sozialer und geschäftlicher Aktivitäten und zu den gesellschaftlichen Maßnahmen sowie jenen der afghanischen Regierung. Beim Revisionswerber handelt es sich nach den Feststellungen des BVwG um einen jungen, gesunden und arbeitsfähigen Mann, der im Vergleich zur Durchschnittbevölkerung über ein hohes Bildungsniveau und eine abgeschlossene Ausbildung zum Englischlehrer verfüge. Diesen Feststellungen tritt die Revision nicht substantiiert entgegen. Sie zeigt nicht auf, welche Feststellungen bei Vermeidung des Verfahrensmangels zu treffen gewesen wären und weshalb diese zu einer anderen Entscheidung hätten führen können (vgl. VwGH 21.10.2020, Ra 2020/19/0288, mwN). Es wird in der Revision auch nicht dargelegt, weshalb die Einschätzung des BVwG, der Revisionswerber finde zum Entscheidungszeitpunkt vor dem Hintergrund seiner konkreten Situation in der Stadt Mazar-e Sharif eine innerstaatliche Fluchtalternative vor, mit den Leitlinien der höchstgerichtlichen Rechtsprechung zur Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative unvereinbar gewesen wäre.

15       Insoweit die Revision schließlich im Rahmen der Zulässigkeitsbegründung auf die weiteren Ausführungen verweist, verkennt sie, dass ein Verweis auf die sonstigen Ausführungen einer Revision nicht genügt, um dem Erfordernis, gesondert die Gründe zu nennen, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird, Rechnung zu tragen. Weder das allgemein gehaltene Vorbringen selbst, noch der Verweis auf die sonstigen Ausführungen der Revision genügen diesen Anforderungen, weil damit nicht konkret für die vorliegende Rechtssache aufgezeigt wird, welche Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung der Verwaltungsgerichtshof in einer Entscheidung über die Revision zu lösen hätte (vgl. VwGH 15.9.2020, Ra 2020/18/0229, mwN).

16       Darüber hinaus ist zu ergänzen, dass sich das BVwG - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - umfassend und in nicht unvertretbarer Weise mit dem Vorbringen des Revisionswerbers zur Verfolgungsgefahr durch die Taliban sowie aufgrund einer westlichen Orientierung auseinandergesetzt und eine solche mit nachvollziehbarer, oben näher dargelegter Begründung verneint hat. Die Revision zeigt diesbezüglich mit ihrem allgemein gehaltenen Vorbringen weder einen relevanten Verfahrensfehler noch eine die Rechtssicherheit beeinträchtigende, unvertretbare Beweiswürdigung auf (vgl. zum diesbezüglichen Prüfmaßstab etwa VwGH 23.10.2020, Ra 2020/18/0404, mwN).

17       In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

Wien, am 17. Dezember 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020180480.L00

Im RIS seit

08.02.2021

Zuletzt aktualisiert am

08.02.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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