TE Vwgh Beschluss 2020/12/17 Ra 2020/18/0338

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Veröffentlicht am 17.12.2020
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

B-VG Art133 Abs4
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1
VwGVG 2014 §29 Abs2
VwGVG 2014 §29 Abs3

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Mag. Nedwed und Mag. Tolar als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des M S, vertreten durch Dr. Günter Schmid, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Hafferlstraße 7/2. Stock, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 13. Juli 2020, G305 2190774-1/16E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein irakischer Staatsangehöriger, stellte am 10. Juli 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er im Wesentlichen damit begründete, dass er einerseits von einer schiitischen Miliz sowie andererseits von staatlichen Sicherheitsbehörden wegen Desertion aus dem Polizeidienst verfolgt werde.

2        Mit Bescheid vom 9. Februar 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag des Revisionswerbers zur Gänze ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung in den Irak zulässig sei. Weiters setzte es eine Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.

3        Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen erhobene Beschwerde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.

4        Die vorliegende außerordentliche Revision, die ausdrücklich nur die Rückkehrentscheidung (sowie rechtlich davon abhängende Aussprüche) bekämpft, führt zur Begründung ihrer Zulässigkeit eine mangelhaft vorgenommene Interessenabwägung nach § 9 BFA-Verfahrensgesetz, die Verletzung der amtswegigen Ermittlungspflicht sowie die Unterlassung der Verkündung des angefochtenen Erkenntnisses während der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG ins Treffen.

5        Die Revision erweist sich als nicht zulässig.

6        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

7        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

8        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

9        Der Revisionswerber wendet sich gegen die Rückkehrentscheidung nicht etwa, indem er konkrete persönliche Umstände, die das BVwG bei seiner Interessenabwägung übergangen oder vernachlässigt hätte, vorbrächte. Vielmehr macht die Revision im Zusammenhang mit der Interessenabwägung geltend, das BVwG habe seine amtswegige Ermittlungspflicht verletzt, indem es zum einen keine ausreichenden und aktuellen Feststellungen zur Lage im Irak aufgrund der Covid-19-Pandemie getroffen und zum anderen dem Revisionswerber - was seine „aktuelle Situation [...] in Österreich“ betrifft - während der mündlichen Verhandlung nur „alibimäßig einige wenige Fragen“ gestellt habe. Weitere Beweisaufnahmen zu dieser Situation wären aber „zwingend indiziert und erforderlich“ gewesen.

10       Dem ist einerseits zu erwidern, dass nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. etwa VwGH 11.9.2020, Ra 2020/18/0306) die bei Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel ist. Die Revision zeigt mit ihrem bloßen Verweis auf die Verletzung amtswegiger Ermittlungspflichten - ohne konkrete persönliche Umstände, die unberücksichtigt geblieben wären, zu nennen - jedoch nicht auf, dass die vom BVwG durchgeführte Interessenabwägung an einer vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifenden Mangelhaftigkeit leidet.

11       Denn es ist andererseits darauf hinzuweisen, dass die Frage, ob das Verwaltungsgericht im Rahmen seiner amtswegigen Ermittlungspflicht weitere Ermittlungsschritte setzen muss, nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes einer einzelfallbezogenen Beurteilung unterliegt. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung läge insoweit nur dann vor, wenn die Beurteilung grob fehlerhaft erfolgt wäre (vgl. VwGH 10.8.2020, Ra 2020/18/0158, mwN). Die Behauptung der Revision, weitere amtswegige Ermittlungen zur Situation des Revisionswerbers seien „zwingend indiziert“ gewesen, bleibt jedoch ohne taugliche Begründung, weshalb die Revision auch in diesem Zusammenhang keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung aufzeigt. Ebensowenig legt die Revision dar, welche Feststellungen betreffend die COVID-19-Pandemie zu treffen gewesen wären und welche Bedeutung solchen Feststellungen im Zusammenhang mit der - allein bekämpften - Rückkehrentscheidung zukommen sollte.

12       Soweit die Revision - allerdings nur in der Zulassungsbegründung und nicht in den Revisionsgründen - fehlende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Verkündungspflicht nach § 29 Abs. 2 VwGVG geltend macht, ist ihr zu erwidern, dass sich der Verwaltungsgerichtshof zu dieser Rechtsfrage bereits geäußert hat (vgl. dazu etwa VwGH 29.10.2020, Ra 2020/11/0039, mwN). Dass das BVwG, das die unterbliebene Verkündung auf § 29 Abs. 3 VwGVG gestützt hat, von den Leitlinien der höchstgerichtlichen Rechtsprechung abgewichen wäre, legt die Revision nicht dar.

13       In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 17. Dezember 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020180338.L00

Im RIS seit

08.02.2021

Zuletzt aktualisiert am

08.02.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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