TE Vwgh Beschluss 2020/12/17 Ra 2020/18/0287

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Veröffentlicht am 17.12.2020
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof
20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB)

Norm

ABGB §1332
VwGG §46 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer, den Hofrat Dr. Sutter und die Hofrätin Dr.in Sembacher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, in der Revisionssache des A A, vertreten durch Dr. Benno Wageneder, Rechtsanwalt in 4910 Ried/Innkreis, Promenade 3, als bestellter Verfahrenshelfer, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 15. Juni 2020, G304 2176720-2/5E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

I. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird abgewiesen.

II. Die Revision wird als verspätet zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber ist Staatsangehöriger des Irak. Er stellte am 9. Juli 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz, der mit dem angefochtenen Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts (BVwG) - in Bestätigung eines entsprechenden Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl - zur Gänze abgewiesen wurde. Das BVwG erteilte dem Revisionswerber auch keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung in den Irak zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest. Die Revision an den Verwaltungsgerichtshof erklärte das BVwG für nicht zulässig.

2        Zur Erhebung einer außerordentlichen Revision gegen dieses Erkenntnis brachte der Revisionswerber fristgerecht einen Antrag auf Verfahrenshilfe u.a. betreffend Beigebung eines Verfahrenshelfers beim Verwaltungsgerichtshof ein, dem mit hg. Beschluss vom 12. August 2020 stattgegeben wurde. Mit Bestellungsbescheid der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer vom 19. August 2020, VH20/1790, wurde der Verfahrenshelfer als Rechtsvertreter bestellt.

3        Am 1. Oktober 2020 brachte der Revisionswerber, vertreten durch den Verfahrenshelfer, im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs eine außerordentliche Revision beim BVwG ein. Zur Rechtzeitigkeit des Rechtsmittels wird in diesem Schriftsatz ausgeführt, der Bestellungsbescheid der Rechtsanwaltskammer sei dem Verfahrenshelfer am 19. August 2020 zugestellt worden.

4        Mit verfahrensleitender Verfügung vom 30. Oktober 2020 hielt der Verwaltungsgerichtshof dem Revisionswerber - ausgehend von den Angaben in der Revision - die Verspätung seines Rechtsmittels vor, da die sechswöchige Revisionsfrist demgemäß am 30. September 2020 geendet habe.

5        In Reaktion darauf beantragte der Revisionswerber, vertreten durch den Verfahrenshelfer, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Revisionsfrist. Zur Begründung dieses Antrags brachte er vor, der Verfahrenshelfer habe die außerordentliche Revision am letzten Tag der Frist, am 30. September 2020, verfasst. Am Nachmittag dieses Tages habe er diesen Schriftsatz im elektronischen Rechtsverkehr einbringen wollen. Ihm sei in der Folge beim Versenden des Schriftsatzes ein Fehler beim Anklicken der vorgegebenen Felder unterlaufen, sodass der Sendevorgang nicht gestartet worden sei. Dies sei dem Verfahrenshelfer nicht aufgefallen. Er vermute, dass ihn die Einschulung eines Praktikanten bei den Arbeitsschritten abgelenkt habe. Am nächsten Morgen sei der Posteingang des elektronischen Rechtsverkehrs von der Kanzleileiterin abgerufen und dabei auch der fehlerhaft nicht übersendete Schriftsatz abgeschickt worden. Erst mit Zustellung der verfahrensleitenden Verfügung vom 30. Oktober 2020 sei der Sendevorgang rekonstruiert worden.

6        Zu Spruchpunkt I.:

Gemäß § 46 Abs. 1 VwGG ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt. Das Verschulden des die Partei vertretenden Rechtsanwaltes ist der Partei zuzurechnen (vgl. VwGH 12.6.2019, Ra 2019/13/0022, mwN).

7        Der Begriff des minderen Grad des Versehens ist nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes als leichte Fahrlässigkeit im Sinn des § 1332 ABGB zu verstehen. Der Wiedereinsetzungswerber bzw. der Vertreter darf also nicht auffallend sorglos gehandelt haben, somit die im Verkehr mit Gerichten und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt nicht in besonders nachlässiger Weise außer Acht gelassen haben (vgl. VwGH 23.10.2020, Ra 2020/18/0288, mwN).

8        Ein beruflicher rechtskundiger Parteienvertreter hat seine Kanzlei so zu organisieren, dass nach menschlichem Ermessen die Versäumung von Fristen ausgeschlossen ist. Dazu gehört auch, dass sich der Parteienvertreter bei der Übermittlung von Eingaben im elektronischen Weg vergewissert, ob die Übertragung erfolgreich durchgeführt wurde. Unterbleibt diese Kontrolle aus welchen Gründen auch immer, stellt dies ein über den minderen Grad des Versehens hinausgehendes Verschulden dar (vgl. VwGH 4.9.2020, Ra 2020/02/0187, mwN).

9        Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung begründet im vorliegenden Fall das Unterbleiben der Kontrolle der Übermittlung der Eingabe im elektronischen Rechtsverkehr ein über den minderen Grad des Versehens hinausgehendes Verschulden. Von einem sorgfältigen berufsmäßigen Parteienvertreter wäre nämlich zu erwarten gewesen, dass er die tatsächliche Einbringung der Revision im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs kontrolliert und sich vergewissert, ob die Einbringung ordnungsgemäß erfolgt ist.

10       In dem Wiedereinsetzungsantrag wurde somit nicht dargetan, dass dem Revisionswerber an der Versäumung der Revisionsfrist kein ihm zurechenbares Verschulden seines Rechtsvertreters oder ein lediglich minderer Grad des Versehens anzulasten sei. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand war daher gemäß § 46 Abs. 1 und Abs. 4 VwGG abzuweisen.

11       Zu Spruchpunkt II.:

Die unstrittig verspätet eingebrachte Revision war aus diesem Grund gemäß § 34 Abs. 1 VwGG wegen Versäumung der Einbringungsfrist ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

Wien, am 17. Dezember 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020180287.L00

Im RIS seit

08.02.2021

Zuletzt aktualisiert am

08.02.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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