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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
B-VG Art144 Abs3Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer, den Hofrat Dr. Sutter und die Hofrätin Dr.in Sembacher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des H A, vertreten durch Dr. Peter Krassnig, Rechtsanwalt in 9020 Klagenfurt, Lidmanskygasse 39, gegen das am 2. März 2020 mündlich verkündete und am 24. März 2020 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts, I408 2142831-1/22E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl),
Spruch
I. den Beschluss gefasst:
1. Die Revision wird zurückgewiesen, soweit sie sich gegen die Nichtzuerkennung des Status eines Asylberechtigten wendet.
2. Der Antrag des Revisionswerbers, „die Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof (...) abzutreten“, wird zurückgewiesen.
II. zu Recht erkannt:
Im Übrigen wird das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber ist ein irakischer Staatsangehöriger aus der Provinz Diyala und Angehöriger der sunnitischen Glaubensrichtung. Er stellte am 15. März 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er im Wesentlichen damit begründete, aufgrund einer Verwechslung von Soldaten inhaftiert und gefoltert worden zu sein. Er sei aufgrund seiner Zugehörigkeit zur sunnitischen Glaubensrichtung beschuldigt worden, den „Islamischen Staat“ (IS) zu unterstützen.
2 Mit Bescheid vom 2. Dezember 2016 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag des Revisionswerbers auf internationalen Schutz zur Gänze ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung in den Irak zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.
3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde des Revisionswerbers - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - als unbegründet ab. Die Revision an den Verwaltungsgerichtshof erklärte es gemäß § 25a VwGG für nicht zulässig.
4 Begründend führte das BVwG zusammengefasst aus, es sei dem Revisionswerber nicht gelungen, eine wohlbegründete Furcht vor einer asylrelevanten Verfolgung glaubhaft zu machen. Sein Vorbringen sei - wie näher dargelegt wird - widersprüchlich und mehrfach gesteigert worden, weshalb es insgesamt als unglaubhaft zu qualifizieren sei.
5 Zur Nichtgewährung subsidiären Schutzes erwog das BVwG, dem Revisionswerber drohe im Falle seiner Rückkehr nach Diyala keine reale Gefahr, entgegen Art. 3 EMRK behandelt zu werden. Die Sicherheitslage im Irak sei zwar nicht mit jener im Bundesgebiet vergleichbar, jedoch würden mögliche Gewaltakte kein derartig hohes Niveau erreichen, dass stichhaltige Gründe dafür bestünden, dass der Revisionswerber alleine durch seine Anwesenheit tatsächlich Gefahr liefe, eine Art. 3 EMRK zuwiderlaufende Behandlung zu erfahren. Der Revisionswerber habe nicht glaubhaft darlegen können, dass er aufgrund seiner persönlichen Situation spezifisch von willkürlicher Gewalt betroffen wäre.
6 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die sich in ihrer Zulässigkeitsbegründung einerseits gegen die Beweiswürdigung des BVwG wendet und andererseits vorbringt, die Einschätzung des BVwG zur Sicherheitslage im Herkunftsstaat sei falsch. Es könne nicht nachvollzogen werden, worauf das Gericht seine diesbezüglichen Erwägungen stütze.
7 Das BFA erstattete zu dieser Revision im eingeleiteten Vorverfahren keine Revisionsbeantwortung.
8 Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
9 Die Revision ist teilweise zulässig und begründet.
10 Zu I.:
Soweit sich die Revision gegen die Nichtzuerkennung des Status eines Asylberechtigten richtet, gelingt es ihr nicht, eine Rechtsfrage darzulegen, der - entgegen dem Ausspruch des BVwG - grundsätzliche Bedeutung zukäme.
11 Nach der ständigen höchstgerichtlichen Rechtsprechung wirft eine im Einzelfall vorgenommene, nicht als grob fehlerhaft erkennbare Beweiswürdigung im Allgemeinen keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG auf. Eine solche liegt - als Abweichung von der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes - allerdings dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die im Einzelfall vorgenommene Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. VwGH 26.2.2020, Ra 2019/18/0368 bis 0371, mwN). Letzteres vermag die Revision nicht aufzuzeigen.
12 Das BVwG hielt im vorliegenden Fall nach Durchführung des Beweisverfahrens, insbesondere auch einer mündlichen Verhandlung, fest, dass nicht festgestellt werden könne, dass der Revisionswerber im Irak persönlich verfolgt worden sei oder seinen Herkunftsstaat aufgrund seiner religiösen Gesinnung verlassen habe müssen. Dabei stützte es sich tragend auf näher genannte Divergenzen innerhalb der Aussagen des Revisionswerbers (etwa zur Dauer seiner Inhaftierung) und andererseits auf eine Steigerung seines Fluchtvorbringens. Die Revision vermag nicht darzutun, dass die diesbezüglichen beweiswürdigenden Erwägungen des BVwG an einer vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifenden Mangelhaftigkeit leiden würden.
13 Auch der Antrag auf Abtretung der „Beschwerde“ an den Verfassungsgerichtshof erweist sich als unzulässig, weil eine derartige Abtretung gesetzlich nicht vorgesehen ist (vgl. VwGH 18.1.2016, Ra 2015/18/0284, mwN).
14 Zu II.:
Zulässig und begründet erweist sich die Revision in Bezug auf die Bekämpfung der Nichtzuerkennung von subsidiärem Schutz und der darauf aufbauenden Spruchpunkte des angefochtenen Erkenntnisses, wenn sie eine nicht ausreichende Auseinandersetzung des BVwG mit der Sicherheitslage in Diyala rügt.
15 Der Verwaltungsgerichtshof hat zur Begründungspflicht der Erkenntnisse der Verwaltungsgerichte gemäß § 29 VwGVG bereits wiederholt ausgesprochen, dass die Begründung jenen Anforderungen zu entsprechen hat, die in seiner Rechtsprechung zu den §§ 58 und 60 AVG entwickelt wurden. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes erfordert dies in einem ersten Schritt die eindeutige, eine Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichende und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugängliche konkrete Feststellung des der Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhalts, in einem zweiten Schritt die Angabe jener Gründe, welche die Behörde im Falle des Vorliegens widerstreitender Beweisergebnisse in Ausübung der freien Beweiswürdigung dazu bewogen haben, gerade jenen Sachverhalt festzustellen, und in einem dritten Schritt die Darstellung der rechtlichen Erwägungen, deren Ergebnisse zum Spruch des Bescheides geführt haben. Diesen Erfordernissen werden die Verwaltungsgerichte dann gerecht, wenn sich die ihre Entscheidungen tragenden Überlegungen zum maßgeblichen Sachverhalt, zur Beweiswürdigung sowie zur rechtlichen Beurteilung aus den verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen selbst ergeben (vgl. VwGH 29.1.2020, Ro 2019/18/0002, mwN).
16 Diesen Anforderungen wird das angefochtene Erkenntnis nicht gerecht.
17 Das BVwG verweist den Revisionswerber fallgegenständlich allein auf die Möglichkeit einer Rückkehr in seine Herkunftsregion Diyala. Dabei enthält das angefochtene Erkenntnis nur marginale Feststellungen zur allgemeinen Situation im Irak. Zur Lage in der Herkunftsregion des Revisionswerbers lässt das Erkenntnis hingegen jegliche Feststellungen vermissen. Schon infolge des Fehlens der für die rechtliche Beurteilung maßgeblichen Feststellungen zur Lage in der Herkunftsregion wird der Anforderung, dass jedenfalls die wesentlichen Punkte der diesbezüglichen Feststellungen in der Begründung der Entscheidung eines Verwaltungsgerichts selbst enthalten sein müssen, nicht entsprochen und damit maßgeblich gegen die die Verwaltungsgerichte treffende Begründungspflicht verstoßen. Damit ist es dem Verwaltungsgerichtshof nicht möglich, die angefochtene Entscheidung in der vom Gesetz geforderten Weise einer nachprüfenden Kontrolle zu unterziehen (vgl. VwGH 23.9.2020, Ra 2020/01/0170, mwN).
18 Insofern das BVwG in seinen Erwägungen pauschal festhält, dass sich keine Anhaltspunkte für eine besondere Sicherheitsgefährdung in Diyala ergeben hätten und sich dabei beweiswürdigend auf das „aktuelle Länderinformationsblatt“ der Staatendokumentation stützt, ist zudem auszuführen, dass dieser Schluss aus den Ausführungen des zum Entscheidungszeitpunkt aktuellsten Länderinformationsblattes der Staatendokumentation (mit Kurzinformationen vom 25. Juli 2019) nicht ohne weiteres gezogen werden kann. Diesem ist nämlich unter anderem zu entnehmen, dass das Gouvernement Diyala weiterhin ein Kerngebiet des IS bleibt, gemeinsam mit anderen namentlich genannten Provinzen „das Herzstück der Umgruppierungsbemühungen des IS“ ist und mitunter „die meisten sicherheitsrelevanten Vorfälle“ zu verzeichnen hat (vgl. zu Diyala auch VfGH 25.2.2020, E 3356-03357/2019 ua).
19 Diesem Verfahrensmangel kann im vorliegenden Fall auch nicht von vornherein die Relevanz abgesprochen werden, weil nicht auszuschließen ist, dass das BVwG unter Zugrundelegung aktuellen Berichtsmaterials und nach Auseinandersetzung mit der aktuellen Lage zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre.
20 Das angefochtene Erkenntnis war daher in Bezug auf die Nichtzuerkennung subsidiären Schutzes und die darauf aufbauenden Spruchpunkte gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
21 Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014. Das Mehrbegehren findet darin keine Deckung.
Wien, am 17. Dezember 2020
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020180177.L00Im RIS seit
08.02.2021Zuletzt aktualisiert am
08.02.2021