Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 15. Dezember 2020 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als Vorsitzende, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann und Dr. Setz-Hummel sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter in Gegenwart des Schriftführers Mag. Nikolic in der Strafsache gegen ***** Y***** wegen des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 Abs 2 erster Fall StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten sowie die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 19. August 2020, GZ 13 Hv 80/20g-29, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Schneider, des Angeklagten sowie seines Verteidigers Mag. Tchakarov zu Recht erkannt:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten wird verworfen.
In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung) aufgehoben und in diesem Umfang in der Sache selbst erkannt:
***** Y***** wird für das ihm zur Last liegende Verbrechen des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 Abs 2 erster Fall StGB nach § 143 Abs 2 erster Fall StGB zu einer Freiheitsstrafe von
fünf Jahren und sechs Monaten
verurteilt.
Gemäß § 38 Abs 1 Z 1 StGB wird die vom 27. Mai 2020, 10:25 Uhr, bis zum 19. August 2020, 10:55 Uhr, erlittene Vorhaft auf die Freiheitsstrafe angerechnet.
Mit ihrer Berufung wird die Staatsanwaltschaft auf die Strafneubemessung verwiesen.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde ***** Y***** des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 Abs 2 erster Fall StGB schuldig erkannt.
Danach hat er am 27. Mai 2020 in W***** ***** F***** mit Gewalt eine fremde bewegliche Sache, nämlich 30 Euro Bargeld, mit dem Vorsatz weggenommen, sich durch dessen Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, indem er sie von hinten ergriff, an der rechten Jackentasche riss, ihre linke Hand nahm, nach hinten verdrehte und das Bargeld an sich nahm, wobei die Genannte durch die ausgeübte Gewalt einen Bänderriss im Bereich des Daumens, sohin eine an sich schwere Verletzung (§ 84 Abs 1 StGB), erlitt, mit der eine länger als vierundzwanzig Tage dauernde Gesundheitsschädigung und Berufsunfähigkeit verbunden war (US 3 f).
Rechtliche Beurteilung
Dagegen richten sich die Nichtigkeitsbeschwerden des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft, die Ersterer auf Z 5 und 10 und Letztere auf Z 11 je des § 281 Abs 1 StPO stützen.
Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten:
Der Mängelrüge (Z 5 zweiter Fall) zuwider war das Erstgericht zur gesonderten Erörterung eines Details der (den Feststellungen zum Tathergang zugrunde gelegten [US 4]) Aussage der Zeugin F*****, sie habe die „Tasche zugehalten. Fertig.“ (ON 28 S 21), nicht verhalten, weil diese der Urteilsannahme, wonach der Angeklagte den linken Daumen der Genannten verbog (US 3), nicht entgegensteht (RIS-Justiz RS0098646). Im Übrigen ist für die (keine erhebliche Gewalt voraussetzende [vgl Eder-Rieder in WK² StGB § 142 Rz 62]) Subsumtion unter § 143 Abs 2 erster Fall StGB nicht entscheidend, ob der qualifizierte Erfolg (§ 84 Abs 1 StGB) durch das (von der Zeugin der Hauptverhandlung beschriebene; ON 28 S 19 ff) Gerangel oder durch das gezielte Verdrehen des Daumens entstanden ist (vgl im Übrigen ON 2 S 51 iVm ON 28 S 20, 23 und US 4), weil beide Verhaltensweisen Gewalt gegen eine Person darstellen (vgl RIS-Justiz RS0094021).
Die gegen die Annahme der Erfolgsqualifikation nach § 143 Abs 2 erster Fall StGB gerichtete Subsumtionsrüge (Z 10) legt nicht dar, welche über die Konstatierungen, wonach der Angeklagte den Daumen der F***** verbog, um deren Widerstand gegen die Wegnahme des Bargelds zu überwinden (US 3), hinausgehenden Feststellungen für die vorgenommene rechtliche Beurteilung erforderlich sein sollten. Denn bereits die Begehung des Grunddelikts verwirklicht die auf die Erfolgsqualifikation (§ 7 Abs 2 StGB) bezogene objektive Sorgfaltswidrigkeit (14 Os 11/20d; vgl RIS-Justiz RS0089151), in der die Vorhersehbarkeit der qualifizierten Tatfolgen enthalten ist. Das Vorliegen der objektiven Erfordernisse wiederum indiziert die subjektive Sorgfaltswidrigkeit und Vorhersehbarkeit (RIS-Justiz RS0088909; sowie zum Ganzen Burgstaller/Schütz in WK² StGB § 7 Rz 21 ff, 27).
Ebenso wenig bezieht sich die Subsumtionsrüge – wie es bei Geltendmachung eines Feststellungsmangels geboten wäre (RIS-Justiz RS0118580) – auf ein in der Hauptverhandlung vorgekommenes Tatsachensubstrat (etwa Anhaltspunkte für einen atypischen Kausalverlauf oder die Annahme, der Beschwerdeführer wäre infolge seiner individuellen geistigen Verhältnisse zur Tatzeit nicht wie jedermann in der Lage gewesen, den durch das konstatierte Tatverhalten eingetretenen Erfolg und – in den wesentlichen Zügen – den zu ihm führenden Kausalverlauf zu erkennen [vgl erneut Burgstaller/Schütz in WK² StGB § 7 Rz 27 iVm § 6 Rz 69 ff]), welches Negativfeststellungen zur Erfolgszurechnung angezeigt erscheinen lasse (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 581, 600 ff [zur negativen Tatbestandsvoraussetzung der Erfolgszurechnung bei Vorsatzdelikten: Rz 602]).
Die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – zu verwerfen.
Zur Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft:
Zutreffend zeigt die Staatsanwaltschaft auf, dass das Erstgericht bei Verhängung der Freiheitsstrafe von drei Jahren (irrig [US 5]) zum Vorteil des Angeklagten die Untergrenze des Strafrahmens des § 143 Abs 2 erster Fall StGB von fünf Jahren Freiheitsstrafe missachtete. Diese Überschreitung der Strafbefugnis bewirkt Nichtigkeit aus § 281 Abs 1 Z 11 erster Fall StPO (vgl RIS-Justiz RS0099852).
Demgemäß war – ebenfalls im Einklang mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft im Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung) aufzuheben und in diesem Umfang wie aus dem Spruch ersichtlich in der Sache selbst zu erkennen (§ 288 Abs 2 Z 3 StPO).
Bei der durch die Aufhebung des Strafausspruchs erforderlichen Strafneubemessung war nach § 143 Abs 2 erster Fall StGB von einem Strafrahmen von fünf bis zu fünfzehn Jahren Freiheitsstrafe auszugehen.
Im Rahmen allgemeiner Strafbemessungserwägungen (§ 32 Abs 3 StGB) fällt die Sicherstellung der Beute (ON 2 S 15) zu Gunsten (Ebner in WK² StGB § 34 Rz 33), die Tatbegehung innerhalb der (in Bulgarien gewährten) Probezeit zum Nachteil (RIS-Justiz RS0090597, RS0090954) des Angeklagten ins Gewicht. Als erschwerend waren die einschlägige Vorstrafe (§ 33 Abs 1 Z 2 StGB), der rasche Rückfall (RIS-Justiz RS0091041, RS0091749) und das Vorliegen mehrerer qualifizierter Erfolge iSd § 84 Abs 1 StGB (RIS-Justiz RS0119312) zu werten.
Davon ausgehend entspricht unter Berücksichtigung des Handlungs-, Gesinnungs- und Erfolgsunwerts der Tat eine Freiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten dem Unrechts- und Schuldgehalt derselben sowie der Täterpersönlichkeit.
Die Anrechnung der Vorhaftzeiten beruht auf § 38 Abs 1 Z 1 StGB.
Über die Anrechnung der nach Fällung des Urteils erster Instanz in Vorhaft (§ 38 StGB) zugebrachten Zeit hat gemäß § 400 Abs 1 StPO – auch im (hier vorliegenden) Fall der Strafneubemessung (RIS-Justiz RS0091624; Lässig, WK-StPO § 400 Rz 1) der Vorsitzende des Gerichts, das in erster Instanz erkannt hat, mit Beschluss zu entscheiden.
Mit ihrer Berufung war die Staatsanwaltschaft auf die Strafneubemessung zu verweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
Textnummer
E130279European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2020:0140OS00120.20H.1215.000Im RIS seit
13.01.2021Zuletzt aktualisiert am
15.07.2021