TE Vwgh Erkenntnis 1997/7/1 97/04/0024

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Veröffentlicht am 01.07.1997
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
40/01 Verwaltungsverfahren;
50/01 Gewerbeordnung;

Norm

AVG §45 Abs2;
AVG §52;
GewO 1973 §79 Abs2 impl;
GewO 1973 §79 impl;
GewO 1994 §74 Abs2;
GewO 1994 §75 Abs2;
GewO 1994 §75 Abs3;
GewO 1994 §77 Abs2;
GewO 1994 §79 Abs1;
GewO 1994 §79 Abs2;
GewO 1994 §79;
GewO 1994 §81 Abs1;
GewO 1994 §81;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Griesmacher und die Hofräte DDr. Jakusch, Dr. Gruber, Dr. Stöberl und Dr. Blaschek als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Marihart, über die Beschwerde der Fabrik F & Söhne in W, vertreten durch Dr. M, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 12. Dezember 1996, Zl. MA 63-P 545/96, betreffend Verfahren gemäß § 79 Abs. 1 GewO 1994, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird in seinem Spruchpunkt B. wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 13.040,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid des Magistrates der Stadt Wien, Magistratisches Bezirksamt für den 13./14. Bezirk, wurde der Beschwerdeführerin für ihre an einem näher bezeichneten Standort liegende Betriebsanlage gemäß § 79 GewO 1994 folgende zusätzliche Auflage vorgeschrieben:

Die Druckmaschine Heidelberg, Speedmaster CD 102 F darf nur an Werktagen (Montag bis Freitag) in der Zeit von 6 Uhr bis 22 Uhr betrieben werden.

Diesem Auftrag ist nach Rechtskraft dieses Bescheides zu entsprechen."

Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin Berufung, auf Grund deren die Berufungsbehörde ein umfangreiches Ermittlungsverfahren durchführte. Mit Schriftsatz vom 25. Juli 1996 zog die Beschwerdeführerin die Berufung zurück.

Gestützt auf die Ergebnisse des mit Rückziehung der Berufung erledigten Vorverfahrens erließ der Magistrat der Stadt Wien, Magistratisches Bezirksamt für den 13./14. Bezirk, ohne weiteres Verfahren einen mit 24. Oktober 1996 datierten Bescheid, mit dem der Beschwerdeführerin gestützt auf § 79 GewO 1994 sowie auf § 94 Abs. 3 des ASchG BGBl. Nr. 450/1994 folgende zusätzliche Auflagen und Bedingungen vorgeschrieben wurden:

"1) die Druckmaschine Heidelberg Speedmaster CD 102 F darf nur an Werktagen (Montag bis Freitag) in der Zeit von 6 Uhr bis 18 Uhr betrieben werden.

2) Die beiden Hupen bei der Druckmaschine

"Heidelberg CD 102" (Warneinrichtungen) sind durch ein einschlägig befugtes Fachunternehmen körperschallgedämmt von dieser Druckmaschine zu trennen.

Diesem Auftrag ist nach Rechtskraft dieses Bescheides zu entsprechen."

Auch gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin Berufung, in der sie u.a. die Unterlassung eines Ermittlungsverfahrens rügte und geltend machte, zu den Ergebnissen des vorangegangenen Berufungsverfahrens habe sie infolge Zurückziehung ihrer Berufung keine Möglichkeit der Stellungnahme gehabt. Daraufhin übermittelte der Landeshauptmann von Wien mit Schreiben vom 22. November 1996, zugestellt am 28. November 1996, der Beschwerdeführerin die Ergebnisse des Vorverfahrens und räumte ihr eine Frist von zwei Wochen zur Stellungnahme ein. Mit Schriftsatz vom 29. November 1996 brachte die Beschwerdeführerin vor, die von ihr beabsichtigte Stellungnahme werde nicht nur juristische, sondern auch technische und medizinische Fragen zu beantworten haben, weshalb sie sowohl technische als auch medizinische Sachverständige bitten werde, Gutachten darüber zu erstatten, inwieweit festgestellte Immissionen die Zumutbarkeitsgrenze überstiegen. Da die Einholung dieser Gutachten jedoch nicht ohne weiteres möglich sei und es vor allem wegen der bevorstehenden Weihnachtsfeiertage aussichtslos sei, eigene Gutachten innerhalb zweier Wochen zu erhalten, werde ersucht, die Frist zur Stellungnahme bis Ende Februar 1997 zu verlängern.

Mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid vom 12. Dezember 1996 hob der Landeshauptmann von Wien den erstbehördlichen Bescheid vom 24. Oktober 1996 hinsichtlich der Auflage Punkt 2) gemäß § 66 Abs. 2 AVG auf und verwies die Angelegenheit insoweit zur neuerlichen Verhandlung und allfälligen Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde erster Instanz (Spruchpunkt A.). Mit Spruchpunkt B. wurde der die Auflage im Punkt 1) des erstinstbehördlichen Bescheides betreffende Abspruch dahingehend abgeändert, daß er sich nur auf § 79 Abs. 1 GewO 1994 gründe und die Auflage wie folgt zu lauten habe:

"1) Die Vierfarben-Bogenoffsetmaschine mit Lackiersystem der Type "Heidelberg Speedmaster CD 102 V+L" darf nur an Arbeitstagen (Montag bis Freitag, ausgenommen an Feiertagen) und nur von 7 bis 18 Uhr betrieben werden."

In der Begründung dieses Bescheides gelangte der Landeshauptmann nach Darstellung des Verfahrensganges, insbesondere des Inhaltes der eingeholten Sachverständigengutachten, zu dem Ergebnis, die Auflage Punkt 1) sei erforderlich, um die Nachbarn vor unzumutbaren Belästigungen durch die vom Betrieb der in Rede stehenden Druckmaschine ausgehenden Lärmimmissionen zu schützen. Das an die Betriebsanlage der Beschwerdeführerin unmittelbar angebaute Wohnhaus, in dem die Nachbarn wohnten, sei konsensgemäß und den einschlägigen Vorschriften der Bauordnung für Wien entsprechend ausgeführt worden. Die Bauordnung für Wien enthalte keine Bestimmungen hinsichtlich der Vermeidung von Körperschallübertragungen oder der Anbringung von Dämmschichten zwischen Feuermauern. Angesichts der Eigenart und Intensität der Immissionen (die - sehe man von der Luftschallübertragung in das Schlafzimmer einer Nachbarfamilie ab - nicht einmal durch Schließen der Wohnungsfenster vermindert werden könnten) und der Erklärung der Beschwerdeführerin, eine schallgedämmte Neuaufstellung der Maschine werde von ihr als schwerwiegenderer Eingriff abgelehnt, erscheine die verfügte Beschränkung der Betriebszeiten der gegenständlichen Maschine auf immerhin noch 12 Stunden täglich an Arbeitstagen (ausgenommen Feiertagen) durchaus verhältnismäßig.

Da der Sachverhalt auf Grund der schlüssig wirkenden Gutachten der technischen und medizinischen Amtssachverständigen, die den Bevollmächtigten der Beschwerdeführerin seit längerem bekannt seien, hinreichend geklärt scheine und auch im Schriftsatz vom 29. November 1996 keine Argumente vorgebracht worden seien, die an der Richtigkeit der Gutachten zweifeln ließen, erübrige es sich, weitere Gutachten medizinischer oder technischer Sachverständiger zur Frage, inwieweit die festgestellten Immissionen die Zumutbarkeitsgrenze überstiegen, einzuholen, zumal die Frage der Zumutbarkeit von Belästigungen letztlich eine (unter Berücksichtigung der Gutachten zu lösende) Rechtsfrage sei.

Gegen diesen Bescheid, inhaltlich jedoch nur gegen den Spruchpunkt B., richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof erachtet sich die Beschwerdeführerin in dem Recht verletzt, die in Rede stehende Druckmaschine an Werktagen von Montag bis Freitag auch in der Zeit von 6 bis 7 Uhr und von 18 bis 22 Uhr zu betreiben. In Ausführung des so bezeichneten Beschwerdepunktes macht die Beschwerdeführerin im wesentlichen geltend, die belangte Behörde sei (aus näher dargestellten Gründen) zu Unrecht zu dem Ergebnis gelangt, das Nachbarhaus sei, was den Schallschutz anlange, bauordnungsgemäß errichtet. Tatsächlich mangle es an einer entsprechend ausgebildeten Trennfuge, sodaß eine Körperschallübertragung möglich sei. Dieser Umstand bilde einen rechtswidrigen Zustand, der der Beschwerdeführerin nicht zur Last gelegt werden könne, sodaß es rechtswidrig sei, ihr zur Vermeidung von durch diesen Mangel bedingten Lärmimmissionen Auflagen nach § 79 GewO 1994 vorzuschreiben. Die vorgeschriebene Auflage sei auch unverhältnismäßig, weil damit die Maschinenlaufzeit und in der Folge auch die Produktionsleistung des gesamten Betriebes um 25 % gesenkt werde. Demgegenüber erscheine die auch aus medizinischer Sicht zum Teil nur geringe Überschreitung der medizinischen Zumutbarkeitsgrenze wenig Gewicht zu haben, sei doch auch festzustellen, daß die für einen gesunden Schlaf geforderte absolute Schallgrenze bei geschlossenen Fenstern bei allen Nachbarn weit unterschritten werde. Nach § 79 Abs. 2 GewO 1994 seien zugunsten von Personen, die erst nach Genehmigung der Betriebsanlage Nachbarn im Sinne des § 75 Abs. 2 und 3 geworden seien, Auflagen im Sinne des Abs. 1 nur soweit vorzuschreiben, als diese zur Vermeidung einer Gefährdung des Lebens oder der Gesundheit dieser Personen notwendig seien. Im vorliegenden Fall seien die Nachbarn, zu deren Schutz die gegenständliche Auflage vorgeschrieben worden sei, erst lange nach Genehmigung der Betriebsanlage der Beschwerdeführerin zugezogen. Zwar sei erst nach deren Zuzug die in Rede stehende Druckmaschine installiert und die damit verbundene Änderung der Betriebsanlage genehmigt worden, doch handle es sich bei dieser Maschine lediglich um einen Ersatz für eine andere ähnliche Maschine. Durch den Austausch der Maschine seien die von der Betriebsanlage auf die Nachbarn einwirkenden Lärmimmissionen nicht erhöht worden. Zweck der Bestimmung des § 79 Abs. 2 GewO 1994 sei der Schutz des Betriebsinhabers vor einer Verschlechterung seiner Rechtsposition durch nachträglich, in Kenntnis des Bestehens der Betriebsanlage und der von dieser ausgehenden Immissionen, zugezogene Nachbarn. Der in diesem Zusammenhang vom Verwaltungsgerichtshof vertretenen Rechtsansicht, die neuzugezogenen Nachbarn genössen hinsichtlich des Maßes der Immissionen, die von jenen Anlageteilen bei konsensgemäßem Betrieb ausgingen, die von genehmigten Änderungen, die nach dem Zeitpunkt der Erlangung der Nachbareigenschaft erfolgt seien, unberührt geblieben seien, nur den eingeschränkten Schutz des § 79 Abs. 2 erster Satz GewO 1994, während sie hinsichtlich jener Immissionen, die von Anlageteilen ausgingen, die von seither erfolgten genehmigten Änderungen erfaßt worden seien, den vollen Schutz des § 79 Abs. 1 leg. cit. genössen, könne sich die Beschwerdeführerin in dieser allgemeinen Form nicht anschließen, weil diese Auslegung den vom Gesetz bezweckten Schutz des Betriebsinhabers vor einer Verschlechterung seiner Rechtsposition gerade nicht Rechnung trage. Es müsse vielmehr in einem Fall wie dem vorliegenden, wo nach dem Zuzug der Nachbarn die Änderung der Betriebsanlage lediglich in einem Ersatz einer früher in Verwendung gestandenen Maschine durch eine neue bestünde, auf das Maß jener Immissionen abgestellt werden, die vor dieser Änderung auf die Nachbarliegenschaft eingewirkt hätten. Nur hinsichtlich allfälliger darüber hinausgehender Immissionen genössen später zugezogene Nachbarn den vollen Schutz des § 79 Abs. 1 leg. cit. Daß die früher einwirkenden Immissionen nicht mehr gemessen werden könnten, stehe einer derartigen Betrachtung nicht entgegen, weil deren rechnerische Ermittlung durchaus möglich gewesen wäre, da ja die Maschinendaten der früher genehmigten Druckmaschine vorgelegen seien. Die belangte Behörde habe ferner das Parteiengehör der Beschwerdeführerin verletzt. Dem erstinstanzlichen Bescheid sei kein neuerliches Verfahren gemäß § 79 Abs. 1 GewO 1994 vorausgegangen. Vielmehr sei nach Rückziehung der Berufung in dem vorangegangenen, auf § 79 GewO 1994 gestützten Verfahren die Beschwerdeführerin weder mit dem Umstand konfrontiert worden, daß neuerliche Ermittlungen vorgenommen worden seien oder Ermittlungsergebnisse vorlägen, die eine Abänderung des bestehenden Konsenses notwendig machten, noch sei ihr in einem der Erlassung des Bescheides zugrunde liegenden Verfahren Gelegenheit gegeben worden, Stellung zu nehmen und auf ihre Rechtsstandpunkte hinzuweisen. Soweit die belangte Behörde meine, eine Stellungnahme zu diesen Ermittlungsergebnissen sei in einem früheren Verfahren unterlassen worden, übersehe sie, daß infolge der Zurückziehung eines Rechtsmittels sich eine Stellungnahme zu Ergebnissen des Berufungsverfahrens erübrigt habe. Die Beschwerdeführerin habe in einem anhängigen Verfahren erster Instanz keine Möglichkeit gehabt, inhaltlich zu Sachverhalts- und Ermittlungsergebnissen Stellung zu nehmen, weil ein derartiges Verfahren gar nicht stattgefunden habe. Wenn die belangte Behörde im Schreiben vom 22. November 1996 der Beschwerdeführerin Gelegenheit geboten habe, zu den Ergebnissen eines Vorverfahrens binnen zwei Wochen Stellung zu nehmen, so sei diese Aufforderung schon deshalb mehrfach falsch gewesen, als keine Rede davon sein könne, daß der Beschwerdeführerin "nochmals" Gelegenheit geboten worden sei, Stellung zu nehmen. Die Ergebnisse des Vorverfahrens hätten sich auf ein Verfahren bezogen, das bereits rechtskräftig erledigt gewesen sei und dessen Ergebnisse deshalb irrelevant geworden seien, weil die Berufung zurückgezogen worden sei. Den Ergebnissen dieses Vorverfahrens seien äußerst komplexe und schwierige technische Ermittlungen und medizinische Begutachtungen vorausgegangen. Die seitens des Gesundheitsamtes der Stadt Wien vorgenommenen medizinischen Begutachtungen seien mit früheren Gutachten medizinischer Sachverständiger in Widerspruch gestanden, die auf Grund des gleichen Sachverhaltes zu durchaus anderen Ansichten gekommen seien. Die Beschwerdeführerin habe daher in Kenntnis der Tatsache, zu technischen und medizinischen Ergebnissen von Sachverständigengutachten nur durch ebenso sachkundige Äußerungen Stellung nehmen zu können, darauf hingewiesen, daß sie innerhalb der gesetzten 14-tägigen Frist außerstande sei, ihrerseits Sachverständigengutachten zu den maßgeblichen Fragen einzuholen. Es sei evident, daß sie durch die Kürze der gesetzten Frist und die Nichtgewährung einer Fristverlängerung, ohne daß dieser Fristverlängerung wesentliche Umstände entgegengestanden seien, um die Möglichkeit des rechtlichen Gehörs gebracht worden sei, zumal festzustellen sei, daß der angefochtene Bescheid bereits am 12. Dezember 1996, somit exakt 14 Tage nach Einlangen der Aufforderung zur Äußerung datiert worden sei. Es sei in diesem Zusammenhang auch zu beachten, daß ein Verfahren erster Instanz nicht stattgefunden habe, sodaß im Berufungsverfahren in besonderer Weise auf das rechtliche Gehör der Beschwerdeführerin zu achten gewesen wäre.

Gemäß § 79 Abs. 1 GewO 1994 - in der hier anzuwendenden Fassung vor der Novelle BGBl. I Nr. 63/1997 - hat die Behörde, wenn sich nach Genehmigung der Anlage ergibt, daß die gemäß § 74 Abs. 2 wahrzunehmenden Interessen trotz Einhaltung der im Genehmigungsbescheid vorgeschriebenen Auflagen nicht hinreichend geschützt sind, die nach dem Stand der Technik (§ 71a) und dem Stand der medizinischen und der sonst in Betracht kommenden Wissenschaften zur Erreichung dieses Schutzes erforderlichen anderen oder zusätzlichen Auflagen (§ 77 Abs. 1) vorzuschreiben. Die Behörde hat solche Auflagen nicht vorzuschreiben, wenn sie unverhältnismäßig sind, vor allem wenn der mit der Erfüllung der Auflagen verbundene Aufwand außer Verhältnis zu dem mit den Auflagen angestrebten Erfolg steht. Dabei sind insbesondere Art, Menge und Gefährlichkeit der von der Anlage ausgehenden Emissionen und der von ihr verursachten Immissionen sowie die Nutzungsdauer und die technischen Besonderheiten der Anlage zu berücksichtigen.

Nach dem Abs. 2 dieser Gesetzesstelle sind zugunsten von Personen, die erst nach Genehmigung der Betriebsanlage Nachbarn im Sinne des § 75 Abs. 2 und 3 geworden sind, Auflagen im Sinne des Abs. 1 nur soweit vorzuschreiben, als diese zur Vermeidung einer Gefährdung des Lebens oder der Gesundheit dieser Personen notwendig sind.

Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits in seinem Erkenntnis vom 27. November 1991, Zl. 90/04/0197, dargelegt hat, soll nach dem diesbezüglich eindeutigen Wortlaut der zuletzt zitierten Bestimmung nach dem Willen des Gesetzgebers ein erst nach Genehmigung der Anlage zugezogener Nachbar - den Fall der Gesundheitsgefährdung ausgenommen - von dieser Anlage bei konsensgemäßem Betrieb ausgehende Immissionen ohne Rücksicht auf eine sich nachträglich allenfalls ergebende Belästigung hinnehmen müssen. Zweck dieser Gesetzesstelle ist der Schutz des Betriebsinhabers vor einer Verschlechterung seiner Rechtsposition durch nachträglich, in Kenntnis des Bestehens der Betriebsanlage und der von dieser ausgehenden Immissionen, zugezogene Nachbarn.

Unter Genehmigungen im Sinne des § 79 GewO 1994 sind sowohl Genehmigungen nach § 77 als auch solche nach § 81 leg. cit. zu verstehen.

Der dargestellte Zweck des § 79 Abs. 2 erster Satz leg. cit. erfordert es dann, wenn nach Erteilung des Konsenses für eine Betriebsanlage, aber vor Genehmigung (weiterer) Änderungen dieser Betriebsanlage, Personen die Stellung eines Nachbarn im Sinne des § 75 Abs. 2 erlangten, zu differenzieren:

Hinsichtlich des Maßes der Immissionen, die von jenen Anlageteilen bei konsensgemäßem Betrieb ausgehen, die von genehmigten Änderungen, die nach dem Zeitpunkt der Erlangung der Nachbareigenschaft erfolgten, unberührt blieben, genießen die neuzugezogenen Nachbarn nur den eingeschränkten Schutz des § 79 Abs. 2 erster Satz GewO 1994. Hinsichtlich jener Immissionen, die von Anlageteilen ausgehen, die von seither erfolgten genehmigten Änderungen erfaßt wurden, genießen diese hingegen den vollen Schutz des § 79 Abs. 1 leg. cit. Zur Beurteilung, ob und allenfalls welche Auflagen in einem derartigen Fall in Erfüllung des Gesetzesauftrages des § 79 GewO 1994 von der Behörde zum Schutz von erst später zugezogenen Nachbarn vor unzumutbaren Belästigungen vorzuschreiben sind, bedarf es daher neben der Feststellung der heute von der Betriebsanlage ausgehenden Immissionen auch der Feststellung des Maßes dieser Immissionen bei konsensgemäßem Betrieb der Betriebsanlage in jenem Zeitpunkt, in dem diese Nachbarn ihre Nachbareigenschaft im Sinne des § 75 Abs. 2 GewO 1994 erlangten.

Im vorliegenden Fall ist, wie auch die Beschwerdeführerin einräumt, unbestritten, daß jene Druckmaschine, von welcher die den Verfahrensgegenstand bildenden Lärmimmissionen auf die Nachbarn einwirken, erst nach jenem Zeitpunkt aufgestellt und die damit verbundene Änderung der Betriebsanlage der Beschwerdeführerin gemäß § 81 Abs. 1 GewO 1994 genehmigt wurde, in dem diese Nachbarn ihre Nachbareigenschaft im Sinne des § 75 Abs. 2 GewO 1994 erlangten. Von diesem Sachverhalt ausgehend vermag der Verwaltungsgerichtshof in der dem angefochtenen Bescheid offenbar zugrunde liegenden Rechtsansicht der belangten Behörde, diesen Nachbarn komme hinsichtlich der von der gegenständlichen Druckmaschine ausgehenden Lärmimmissionen der volle Schutz des § 79 Abs. 1 zu, nicht als rechtswidrig zu erkennen. Die belangte Behörde hatte mangels entsprechenden Vorbringens der Beschwerdeführerin im Verwaltungsverfahren keinen Anlaß, anzunehmen, es handle sich bei den von dieser Druckmaschine ausgehenden Lärmimmissionen nicht um solche, die zu den bisher von der Betriebsanlage ausgegangenen Immissionen hinzutraten, sodaß durch die Inbetriebnahme dieser Druckmaschine keine Verschlechterung der Immissionslage bei den Nachbarn verbunden gewesen sei. Auf das diesbezügliche gegenteilige Beschwerdevorbringen ist nicht weiter einzugehen, weil es mit dem gemäß § 41 Abs. 1 VwGG im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geltenden Neuerungsverbot in Widerspruch steht.

Die Beschwerdeführerin ist aber im Recht, wenn sie der belangten Behörde eine Verletzung der Bestimmung des § 45 Abs. 3 AVG zur Last legt, wonach den Parteien die Gelegenheit zu geben ist, vom Ergebnis der Beweisaufnahme Kenntnis und dazu Stellung zu nehmen.

Wie der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung dargelegt hat, kann die Beweiskraft eines Sachverständigengutachtens - vom Nachweis, daß es mit den Denkgesetzen oder mit den Erfahrungen des täglichen Lebens im Widerspruch steht, abgesehen - nur durch das Gutachten eines anderen Sachverständigen, das dem Gutachten auf gleichem fachlichem Niveau entgegentritt, entkräftet werden (vgl. die in Hauer/Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens, 5. Aufl., S. 318 ff, zitierte hg. Judikatur). Davon ausgehend hat die Behörde, um der Bestimmung des § 45 Abs. 3 AVG gerecht zu werden, der Partei, die einen derartigen Gegenbeweis anzutreten beabsichtigt, die dazu erforderliche Frist zu gewähren. Es bedarf, wie die Beschwerdeführerin zu Recht rügt, keiner besonderen Begründung, daß mit Rücksicht auf die Notwendigkeit der Auswahl eines entsprechenden Sachverständigen und seiner Beauftragung einerseits und der für die Ausarbeitung auch eines einfachen Gutachtens erforderlichen Zeit andererseits ein Zeitraum von bloß 14 Tagen hiezu im allgemeinen nicht ausreichen wird.

Die belangte Behörde irrt, wenn sie meint, daß allein der Umstand, daß der Beschwerdeführerin die Ermittlungsergebnisse, denen sie durch ein Privatgutachten entgegenzutreten beabsichtigte, bereits seit längerem aus einem anderen Verfahren bekannt gewesen seien, die Gewährung einer längeren als 14-tägigen Frist nicht erforderlich machte. Denn die Beschwerdeführerin hatte solange keinen Grund, sich mit den Ergebnissen des zwischenzeitig durch die Zurückziehung ihrer Berufung abgeschlossenen Vorverfahrens auseinanderzusetzen, und etwa zur Widerlegung der in diesem Verfahren eingeholten Sachverständigengutachten ein Privatgutachten in Auftrag zu geben, solange ihr die belangte Behörde nicht bekanntgab, daß sie diese Ergebnisse auch dem vorliegenden Verfahren zugrunde zu legen gedenkt.

Die belangte Behörde irrt auch, wenn sie meint, die Beschwerdeführerin hätte zur Begründung ihres Fristerstreckungsantrages vom 29. November 1996 jene Gründe darzulegen gehabt, die gegen die Richtigkeit der im Vorverfahren eingeholten Gutachten sprächen. Sie übersieht dabei nämlich, daß es gerade der Zweck der Einholung eines Privatgutachtens ist, die von der Behörde eingeholten Gutachten dahin zu prüfen, ob solche Gründe vorliegen, sodaß es in aller Regel der Partei solange nicht möglich sein wird, derartige Gründe der Behörde bekanntzugeben, solange ihr das von ihr in Auftrag gegebene Gutachten nicht vorliegt.

Die in der Gewährung einer zu kurzen Frist zur Stellungnahme zu den ihr bekanntgegebenen Ermittlungsergebnissen gelegene Verletzung des Parteiengehörs der Beschwerdeführerin ist auch wesentlich im Sinn des § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG, weil nicht von vornherein ausgeschlossen werden kann, daß durch ein von der Beschwerdeführerin eingeholtes Privatgutachten die dem angefochtenen Bescheid zugrunde gelegten Gutachten der von der belangten Behörde beigezogenen Sachverständigen erschüttert worden wären.

Der angefochtene Bescheid war daher in seinem Spruchpunkt B. wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben.

Von der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 3 VwGG abgesehen werden.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Schlagworte

Rechtsgrundsätze Auflagen und Bedingungen VwRallg6/4 Sachverständiger Aufgaben Sachverständiger Erfordernis der Beiziehung Besonderes Fachgebiet

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1997:1997040024.X00

Im RIS seit

11.07.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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