TE Bvwg Erkenntnis 2020/11/4 W218 2228875-1

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Veröffentlicht am 04.11.2020
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Entscheidungsdatum

04.11.2020

Norm

BBG §40
BBG §41
BBG §45
B-VG Art133 Abs4

Spruch

W218 2228875-1/10E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Benedikta TAURER als Vorsitzende und die Richterin Mag. Marion STEINER sowie die fachkundige Laienrichterin Mag. Bettina PINTER als Beisitzerinnen über die Beschwerde der XXXX , geboren am XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Wien vom 04.02.2020, betreffend die Abweisung des Antrages auf Ausstellung eines Behindertenpasses, zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1.       Mit Bescheid vom 04.02.2020 stellte das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (Kurzbezeichnung: Sozialministeriumservice; in der Folge belangte Behörde genannt) fest, dass mit einem Grad der Behinderung von 30 vH die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses nicht gegeben seien.

2.       Gegen diesen Bescheid wurde von der Beschwerdeführerin fristgerecht Beschwerde erhoben. Ohne Vorlage von Beweismitteln wurde im Wesentlichen vorgebracht, dass sie ihren Gehstock nur deshalb zu Hause gelassen habe, da ihr Ehemann sie begleitet hätte und sie sich auf diesen stützen konnte. Sie hätte zudem einen Klapphocker dabeigehabt, damit sich die Beschwerdeführerin auf dem Weg vom Auto zur Untersuchung hinsetzen könne. Ihr Ehemann habe ihr beim An- und Ausziehen in der Untersuchung geholfen. Die Beschwerdeführerin sei zudem nicht mehr in laufender Therapie, mache ihre Übungen nur noch zu Hause.

Die Beschwerdeführerin nehme Schmerzmittel, die Untersuchung sei trotzdem sehr schmerzhaft gewesen. Im Anschluss an die Untersuchung habe sie Schmerzen vom Rücken bis ins Bein gehabt. Sie knicke zeitweise ein, wenn ein plötzlicher Schmerz vom Rücken bis ins Bein fahre. Aufgrund der Schmerzmitteleinnahme sei nun ihr Leberwert erhöht.

Die Beschwerdeführerin leide weiters an schlechten Venen, geschwollenen Knöchel und habe zweimal tiefliegende Thrombosen gehabt.

Die Beschwerdeführerin verstehe die Herabstufung des Grades der Behinderung in Bezug auf ihr Knieleiden nicht, da eine Abnützung nur schlechter werden könne. Der Sachverständige habe auch die leichte Schwellung in der linken Kniekehle nicht bemerkt oder nur nicht erwähnt.

Seit der letzten Begutachtung leide sie außerdem an einer Schleimbeutelentzündung, einem Bandscheibenvorfall und wachsendem grauen Star, welcher operiert werden müsse.

3.       Die gegenständliche Beschwerde und die Bezug habenden Verwaltungsakten langten am 24.02.2020 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

4.       Zur Überprüfung des Beschwerdegegenstandes wurde ein ärztliches Sachverständigengutachten eingeholt, das einen Gesamtgrad der Behinderung von 30 vH ergab.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.       Feststellungen:

Der Gesamtgrad der Behinderung beträgt 30 vH.

Die Beschwerdeführerin leidet an folgenden Funktionseinschränkungen:

1. Degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, Pos.Nr.: 02.01.02, Grad der Behinderung 30%

2. Kniegelenksarthrose beidseits, Pos.Nr.: 02.05.19, Grad der Behinderung 20%

3. Diabetes mellitus, nicht insulinpflichtig, Pos.Nr.: 09.02.01, Grad der Behinderung 20%

4. Zustand nach bösartiger Neubildung des linken Eierstocks 2003, Pos.Nr.: 13.01.02, Grad der Behinderung 20%

5. Zustand nach bösartiger Neubildung im Dickdarmbereich 2009, Pos.Nr.: 13.01.02, Grad der Behinderung 20%

6. Abnützungserscheinungen der Fingergelenke, Schultergelenke und Fersensporn beidseits, Pos.Nr.: 02.02.01, Grad der Behinderung 10%

7. Gebärmutterentfernung 2002, Pos.Nr.: 08.03.02, Grad der Behinderung 10%

8. Bluthochdruck, Pos.Nr.: 05.01.01, Grad der Behinderung 10%

9. Varikositas beidseits, Pos.Nr.: 05.08.01, Grad der Behinderung 10%

10. Geringgradige Sehminderung beidseits, Pos.Nr.: 11.02.01, Grad der Behinderung 0%

Da die Beschwerdeführerin keinen Gesamtgrad der Behinderung von 50% (fünfzig v.H.) erreicht, sind die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses nicht erfüllt.

2.       Beweiswürdigung:

Das eingeholte Sachverständigengutachten ist schlüssig und nachvollziehbar, es weist keine Widersprüche auf. Es wurde auf die Art der Leiden und deren Ausmaß ausführlich eingegangen. Die getroffenen Einschätzungen, basierend auf dem im Rahmen persönlicher Untersuchung der Beschwerdeführerin erhobenen klinischen Befund, entsprechen den festgestellten Funktionseinschränkungen.

Im medizinischen Sachverständigengutachten einer Fachärztin für Unfallchirurgie, Msc. Orthopädie, wird, basierend auf der persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin, am 26.06.2020, im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:

Die orthopädische Sachverständige stufte das Leiden 1 „Degenerative Veränderungen der Wirbelsäule“ schlüssig und nachvollziehbar nach den Kriterien der Einschätzungsverordnung unter der Positionsnummer 02.01.02 mit dem unteren Rahmensatz mit einem Grad der Behinderung von 30 vH ein. Trotz Bandscheibenvorfall an L4/L5 sind keine Wurzelreizzeichen erkennbar und konnte eine mäßige bis mittelgradige Funktionseinschränkung der Lendenwirbelsäule objektiviert werden. Im Zuge der Einstufung wurden die bestehenden Beschwerden aufgrund des Bandscheibenvorfalls bereits mitberücksichtigt. Die orthopädische Sachverständige untersuchte im Rahmen der persönlichen Untersuchung die Wirbelsäule der Beschwerdeführerin ausführlich und konnte eine geringgradige Kyphose objektivieren, sonst bestehen regelrechte Krümmungsverhältnisse. Bei der Beschwerdeführerin besteht ein „Klopfschmerz vor allem im Bereich der unteren Lendenwirbelsäule mit Ausstrahlung rechts gluteal bis zum Trochanter major rechts.“ Die Halswirbelsäule war im Zuge der persönlichen Untersuchung in allen Ebenen frei beweglich. Der Finger-Boden-Abstand betrug 35 cm und die Rotation und das Seitneigen war beidseitig bis zu 20° möglich. Der Lasegue Test war beidseitig negativ und waren die Muskeleigenreflexe seitengleich mittellebhaft auslösbar. Die orthopädische Sachverständige führte aus, dass eine Intensivierung der Schmerzmittel möglich ist, eine höhergradige Einschränkung der Gehstrecke jedoch nicht objektivierbar ist. Das An- und Auskleiden konnte von der Beschwerdeführerin selbstständig im Sitzen durchgeführt werden.

Die orthopädische Sachverständige stufte das Leiden 2 „Kniegelenksarthrose beidseits“ schlüssig und nachvollziehbar unter der Positionsnummer 02.05.19 mit einem Grad der Behinderung von 20 vH ein. Bei der Beschwerdeführerin liegen beidseitig geringe radiologische Abnützungserscheinungen und funktionelle Einschränkungen vor. Bei der persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin zeigten die Kniegelenke eine geringgradige Umfangsvermehrung, aber ohne Erwärmung und ohne Erguss. Die Kniegelenke sind stabil, die Beschwerdeführerin leidet jedoch an endlagigen Bewegungsschmerzen. Im Zuge der Untersuchung der aktiven Beweglichkeit konnte weder ein Streckdefizit, noch ein Beugedefizit festgestellt werden. Daher konnte der Grad der Behinderung um eine Stufe verringert werden, war im Zuge der Gutachtenserstellung, mit persönlicher Untersuchung am 01.03.2018, noch eine mäßig eingeschränkte Streck- und Beugefähigkeit der Kniegelenke beidseitig objektivierbar. Insofern ist, entgegen dem Beschwerdevorbringen, eine Verbesserung der Funktionsfähigkeit der Kniegelenke eingetreten. Die von der Beschwerdeführerin in der Beschwerde angeführte Schwellung in der linken Kniekehle konnte im Zuge der Untersuchung nicht eindeutig festgestellt werden und konnte eine Schleimbeutelentzündung ebenso wenig festgestellt werden. Der vorgelegte Röntgenbefund beider Kniegelenke, welche eine gering- bis mittelgradige Gonarthrose zeigt, stammt vom 14.02.2018 und ist daher nicht als aktuell zu bezeichnen.

Der bei der Beschwerdeführerin vorliegende „Diabetes mellitus, nicht insulinpflichtig“ wurde schlüssig und nachvollziehbar von der medizinischen Sachverständigen als Leiden 3 unter der Positionsnummer 09.02.01 mit einem Grad der Behinderung von 20 vH eingestuft. Die Beschwerdeführerin benötigt eine Diät und eine medikamentöse Therapie, damit eine ausgeglichene Stoffwechsellage erreicht wird. Aus dem von der Sachverständigen im Zuge der Beurteilung der Funktionseinschränkung berücksichtigten Blutbefund vom 09.12.2019 geht ein HbA1c Wert von 7,4 hervor, dieser Wert ist als erhöht zu betrachten.

Das Leiden 4 „Zustand nach bösartiger Neubildung des linken Eierstocks 2003“ und das Leiden 5 „Zustand nach bösartiger Neubildung im Dickdarmbereich 2009“ wurden schlüssig und nachvollziehbar nach den Kriterien der Einschätzungsverordnung jeweils unter der Positionsnummer 13.01.02 mit einem Grad der Behinderung von 20 vH eingestuft. Es besteht weder im Bereich des linken Eierstockes, noch im Bereich des Dickdarms ein Hinweis auf ein Rezidiv oder eine Absiedelung.

Das Leiden 6 „Abnützungserscheinungen der Fingergelenke, Schultergelenke und Fersensporn beidseits“ wurde von der orthopädischen Sachverständigen schlüssig und nachvollziehbar, nach den Kriterien der Einschätzungsverordnung unter der Positionsnummer 02.02.01 mit einem Grad der Behinderung von 10 vH eingestuft. Die Beschwerdeführerin leidet zwar an rezidivierenden Beschwerden, es liegen aber keine relevanten funktionellen Einschränkungen vor. Die orthopädische Sachverständige untersuchte die Handgelenke ausführlich und konnte am rechten Handgelenk endlagige Bewegungsschmerzen objektivieren, der Bewegungsumfang war nicht eingeschränkt. Über dem rechten Daumensattelgelenk bestand im Zuge der persönlichen Untersuchung ein Druckschmerz, die Daumenbeweglichkeit war nicht eingeschränkt. Die Beschwerdeführerin zeigte eine unauffällige Feinmotorik beim Anziehen und zeigte auch ihr Hantieren von Befunden keine Auffälligkeiten. Die Beschwerdeführerin zeigte endlagige Bewegungsschmerzen im Zuge der Untersuchung beider Schultergelenke. Die Beschwerdeführerin konnte sowohl den Grob- als auch den Spitzgriff uneingeschränkt durchführen und war es ihr möglich, den Faustschluss komplett durchzuführen und war das Fingerspreizen beidseitig unauffällig. Der Nacken- und der Schürzengriff waren uneingeschränkt durchführbar. Relevante funktionelle Einschränkungen waren im Zuge der persönlichen Untersuchung nicht objektivierbar und erfolgte die Einstufung unter dem Rahmensatz 02.02.01 somit im Einklang mit der Einschätzungsverordnung, welche hierfür „Leichte Beschwerden mit geringer Bewegungs- und Belastungseinschränkung“ vorsieht.

Das Leiden 7 „Gebärmutterentfernung 2002“ wurde von der medizinischen Sachverständigen in Übereinstimmung mit dem verwaltungsbehördlichen Sachverständigengutachten schlüssig und nachvollziehbar unter der Positionsnummer 08.03.02 mit dem fixen Rahmensatz von
10 vH eingestuft.

Das Leiden 8 „Bluthochdruck“ wurde von der medizinischen Sachverständigen in Übereinstimmung mit dem verwaltungsbehördlichen Sachverständigengutachten schlüssig und nachvollziehbar unter der Positionsnummer 05.01.01 mit dem fixen Rahmensatz von
10 vH eingestuft.

Die bei der Beschwerdeführerin bestehende „Varikositas beidseits“ wurde von der medizinischen Sachverständigen als Leiden 9 unter der Positionsnummer 05.08.01 mit dem unteren Rahmensatz mit einem Grad der Behinderung von 10 vH eingestuft. Es besteht bei der Beschwerdeführerin keine ausgeprägte Schwellungsneigung. In der persönlichen Untersuchung konnten retikuläre Varizen am linken Sprunggelenk und ein zartes Ödem, welches links stärker ausgeprägt ist als rechts, objektiviert werden. Ein postthrombotisches Syndrom war nicht objektivierbar, die Durchblutung zeigte sich ungestört. Dieses Leiden konnte durch das aktuelle Sachverständigengutachten neu in die Liste der Funktionseinschränkungen aufgenommen werden, da es nunmehr objektivierbar ist.

Die medizinische Sachverständige stufte die Funktionseinschränkung 10 „Geringgradige Sehminderung beidseits“ unter der Positionsnummer 11.02.01 mit einem Grad der Behinderung von 0 vH ein. Dieses Leiden konnte durch das aktuelle Sachverständigengutachten ebenfalls neu in die Liste der Funktionseinschränkungen aufgenommen werden, da es objektivierbar ist.

Der Grad der Behinderung des führenden Leidens 1 wird durch die übrigen Leiden 2 bis 9 nicht weiter erhöht, da kein maßgebliches ungünstiges Zusammenwirken vorliegt. Daher liegt der Gesamtgrad der Behinderung bei 30 vH.

Die Behörde (bzw. das Gericht) hat ein Gutachten auf seine Vollständigkeit und Schlüssigkeit zu überprüfen. Weitere Gutachten hat die Behörde nur dann einzuholen, wenn sich die vorliegenden Gutachten als nicht vollständig oder nicht schlüssig und damit als nicht ausreichend erweisen; will eine Partei außer dem vorliegenden schlüssigen und vollständigen Gutachten noch ein weiteres in das Verfahren einbezogen wissen, steht es ihr frei, selbst ein Gutachten eines privaten Sachverständigen zu beschaffen und vorzulegen. Die belangte Behörde und die Beschwerdeführerin sind den getroffenen Feststellungen nicht entgegengetreten, weshalb das Gericht die im Gutachten getroffenen Feststellungen ohne weitere Ermittlungen dem Sachverhalt zugrunde gelegt hat.

Mit dem Beschwerdevorbringen hat sich das seitens des Bundesverwaltungsgerichts eingeholte Sachverständigengutachten ausführlich auseinandergesetzt. Die beauftragte Sachverständige hält – nach einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin und unter Beachtung der vorgelegten Befunde – zusammengefasst fest, dass die von der Beschwerdeführerin vorgebrachte höhergradige Einschränkung der Gehstrecke aufgrund der persönlichen Untersuchung nicht objektivierbar ist.

Es wurde dem Vorbringen der Beschwerdeführerin somit nachvollziehbar, schlüssig und vollständig entgegen getreten und kann somit den Einwendungen der Beschwerdeführerin angesichts des Inhalts des Gutachtens nicht gefolgt werden. Die Beschwerdeführerin konnte weder eine Unschlüssigkeit oder Unvollständigkeit des Gutachtens aufzeigen noch ist sie ihm auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten. Auch sind an der Person der Sachverständigen keine Bedenken aufgetreten.

Das Bundesverwaltungsgericht erachtet das eingeholte Sachverständigengutachten daher als schlüssig, vollständig und nachvollziehbar. In einer Zusammenschau der vorliegenden Befunde, des Gutachtens und dem Umstand, dass die Beschwerdeführerin dem Gutachten nicht entgegentreten ist, geht der erkennende Senat davon aus, dass das Sachverständigengutachten bzw. der darin festgelegte Grad der Behinderung von 30 v.H. der Entscheidung zugrunde zu legen ist.

Dessen Inhalt wurde auch im Rahmen des Parteiengehörs unbeeinsprucht zur Kenntnis genommen.

Das eingeholte Sachverständigengutachten steht mit den Erfahrungen des Lebens, der ärztlichen Wissenschaft und den Denkgesetzen nicht in Widerspruch. Auch war dem Vorbringen sowie den eingeholten und vorgelegten Beweismitteln kein Anhaltspunkt zu entnehmen, die Tauglichkeit der befassten Sachverständigen oder deren Beurteilung beziehungsweise Feststellungen in Zweifel zu ziehen.

Auch wurde im bekämpften Verfahren ein orthopädisches Gutachten eingeholt, welches im Ergebnis mit den neuerlich erstellten Sachverständigengutachten übereinstimmt, es sind zwei Leiden neu hinzugekommen, welche nun objektivierbar sind. Die Einstufung der übrigen Leiden erfolgte in Übereinstimmung mit dem verwaltungsbehördlichen Gutachten.

Das Sachverständigengutachten wird daher in freier Beweiswürdigung der Entscheidung zu Grunde gelegt.

3.       Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 45 Abs. 3 BBG hat in Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen. Gegenständlich liegt somit Senatszuständigkeit vor.

Zu A)

1.       Zur Entscheidung in der Sache:

Unter Behinderung im Sinne dieses Bundesgesetzes ist die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten. (§ 1 Abs. 2 BBG)

Behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% ist auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpaß auszustellen, wenn

1.       ihr Grad der Behinderung (ihre Minderung der Erwerbsfähigkeit) nach bundesgesetzlichen Vorschriften durch Bescheid oder Urteil festgestellt ist oder

2.       sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften wegen Invalidität, Berufsunfähigkeit, Dienstunfähigkeit oder dauernder Erwerbsunfähigkeit Geldleistungen beziehen oder

3.       sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften ein Pflegegeld, eine Pflegezulage, eine Blindenzulage oder eine gleichartige Leistung erhalten oder

4.       für sie erhöhte Familienbeihilfe bezogen wird oder sie selbst erhöhte Familienbeihilfe beziehen oder

5.       sie dem Personenkreis der begünstigten Behinderten im Sinne des Behinderten-einstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, angehören.

(§ 40 Abs. 1 BBG)

Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen hat den Grad der Behinderung nach der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010) unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen einzuschätzen, wenn

1.       nach bundesgesetzlichen Vorschriften Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werden und die hiefür maßgebenden Vorschriften keine Einschätzung vorsehen oder

2.       zwei oder mehr Einschätzungen nach bundesgesetzlichen Vorschriften vorliegen und keine Gesamteinschätzung vorgenommen wurde oder

3.       ein Fall des § 40 Abs. 2 vorliegt.

(§ 41 Abs. 1 BBG)

Auszug aus der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend nähere Bestimmungen über die Feststellung des Grades der Behinderung (Einschätzungsverordnung) idgF:

„Grad der Behinderung

§ 2. (1) Die Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen sind als Grad der Behinderung zu beurteilen. Der Grad der Behinderung wird nach Art und Schwere der Funktionsbeeinträchtigung in festen Sätzen oder Rahmensätzen in der Anlage dieser Verordnung festgelegt. Die Anlage bildet einen Bestandteil dieser Verordnung.

(2) Bei Auswirkungen von Funktionsbeeinträchtigungen, die nicht in der Anlage angeführt sind, ist der Grad der Behinderung in Analogie zu vergleichbaren Funktionsbeeinträchtigungen festzulegen.

(3) Der Grad der Behinderung ist nach durch zehn teilbaren Hundertsätzen festzustellen. Ein um fünf geringerer Grad der Behinderung wird von ihnen mit umfasst. Das Ergebnis der Einschätzung innerhalb eines Rahmensatzes ist zu begründen.

Gesamtgrad der Behinderung

§ 3. (1) Eine Einschätzung des Gesamtgrades der Behinderung ist dann vorzunehmen, wenn mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen. Bei der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung sind die einzelnen Werte der Funktionsbeeinträchtigungen nicht zu addieren. Maßgebend sind die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander.

(2) Bei der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung ist zunächst von jener Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, für die der höchste Wert festgestellt wurde. In der Folge ist zu prüfen, ob und inwieweit dieser durch die weiteren Funktionsbeeinträchtigungen erhöht wird. Gesundheitsschädigungen mit einem Ausmaß von weniger als 20 vH sind außer Betracht zu lassen, sofern eine solche Gesundheitsschädigung im Zusammenwirken mit einer anderen Gesundheitsschädigung keine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung verursacht.

Bei Überschneidungen von Funktionsbeeinträchtigungen ist grundsätzlich vom höheren Grad der Behinderung auszugehen.

(3) Eine wechselseitige Beeinflussung der Funktionsbeeinträchtigungen, die geeignet ist, eine Erhöhung des Grades der Behinderung zu bewirken, liegt vor, wenn
-         sich eine Funktionsbeeinträchtigung auf eine andere besonders nachteilig auswirkt,
-         zwei oder mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen, die gemeinsam zu einer wesentlichen Funktionsbeeinträchtigung führen.

(4) Eine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung ist dann gegeben, wenn das Gesamtbild der Behinderung eine andere Beurteilung gerechtfertigt erscheinen lässt, als die einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen alleine.

Grundlage der Einschätzung

§ 4. (1) Die Grundlage für die Einschätzung des Grades der Behinderung bildet die Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen im körperlichen, geistigen, psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung in Form eines ärztlichen Sachverständigengutachtens. Erforderlichenfalls sind Experten aus anderen Fachbereichen - beispielsweise Psychologen - zur ganzheitlichen Beurteilung heran zu ziehen.

(2) Das Gutachten hat neben den persönlichen Daten die Anamnese, den Untersuchungsbefund, die Diagnosen, die Einschätzung des Grades der Behinderung, eine Begründung für die Einschätzung des Grades der Behinderung innerhalb eines Rahmensatzes sowie die Erstellung des Gesamtgrades der Behinderung und dessen Begründung zu enthalten.“

Da ein Grad der Behinderung von 30 (dreißig) vH festgestellt wurde und somit die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses nicht erfüllt sind, war spruchgemäß zu entscheiden.

2.       Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 24 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013 idgF hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. In diesem Sinne ist eine Verhandlung als erforderlich anzusehen, wenn es nach Art. 6 EMRK bzw. Art. 47 Abs. 2 GRC geboten ist, wobei gemäß Rechtsprechung des VfGH der Umfang der Garantien und des Schutzes der Bestimmungen ident sind.

Der Rechtsprechung des EGMR kann entnommen werden, dass er das Sozialrecht auf Grund seiner technischen Natur und der oftmaligen Notwendigkeit, Sachverständige beizuziehen, als gerade dazu geneigt ansieht, nicht in allen Fällen eine mündliche Verhandlung durchzuführen (vgl. Eriksson v. Sweden, EGMR 12.4.2012; Schuler-Zgraggen v. Switzerland, EGMR 24.6.1993).

Im Erkenntnis vom 18.01.2005, GZ. 2002/05/1519, nimmt auch der Verwaltungsgerichtshof auf die diesbezügliche Rechtsprechung des EGMR (Hinweis Hofbauer v. Österreich, EGMR 2.9.2004) Bezug, wonach ein mündliches Verfahren verzichtbar erscheint, wenn ein Sachverhalt in erster Linie durch seine technische Natur gekennzeichnet ist. Darüber hinaus erkennt er bei Vorliegen eines ausreichend geklärten Sachverhalts das Bedürfnis der nationalen Behörden nach zweckmäßiger und wirtschaftlicher Vorgangsweise an, welches das Absehen von einer mündlichen Verhandlung gestatte (vgl. VwGH vom 4.3.2008, 2005/05/0304).

Der im gegenständlichen Fall entscheidungsrelevante Sachverhalt wurde auf gutachterlicher Basis ermittelt. Zudem wurde vom Beschwerdeführer in der Beschwerde kein Vorbringen erstattet, welches eine weitere Erörterung notwendig erschienen ließ.

Im Hinblick auf obige Überlegungen sah der erkennende Senat daher unter Beachtung der Wahrung der Verfahrensökonomie und -effizienz von einer mündlichen Verhandlung ab, zumal auch eine weitere Klärung der Rechtssache hierdurch nicht erwartbar war.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG) hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Vielmehr hängt die Entscheidung von Tatsachenfragen ab. Maßgebend sind die Art des Leidens und das festgestellte Ausmaß der Funktionsbeeinträchtigungen.

Schlagworte

Behindertenpass Grad der Behinderung Sachverständigengutachten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W218.2228875.1.00

Im RIS seit

12.01.2021

Zuletzt aktualisiert am

12.01.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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