TE Bvwg Erkenntnis 2020/9/29 W209 2229726-2

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Veröffentlicht am 29.09.2020
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Entscheidungsdatum

29.09.2020

Norm

ASVG §18a
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch

W209 2229726-2/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Reinhard SEITZ als Einzelrichter über die Beschwerde der XXXX , XXXX , XXXX vertreten durch die Kammer für Arbeiter und Angestellte für Niederrösterreich, gegen den Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt, Hauptstelle Wien, vom 13.12.2019, GZ: HVBA- XXXX , betreffend Zuerkennung und Beendigung der Selbstversicherung in der Pensionsversicherung gemäß § 18a Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG) für Zeiten der Pflege eines behinderten Kindes zu Recht erkannt:

A)

I. Der Beschwerde wird im Anfechtungsumfang teilweise Folge gegeben, der angefochtene Bescheid, soweit damit der Anspruch auf Selbstversicherung für die Zeit ab 01.12.1998 bis zum Höchstausmaß abgewiesen wurde, gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) behoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde zurückverwiesen.

II. Im Übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Mit beschwerdegegenständlichem Bescheid vom 13.12.2019 gab die belangte Behörde (im Folgenden: PVA) dem Antrag der Beschwerdeführerin vom 29.11.2017 auf Selbstversicherung in der Pensionsversicherung gemäß § 18a ASVG für Zeiten der Pflege ihres behinderten Kindes XXXX , geboren am XXXX , ab XXXX statt. Gleichzeitig wurde die Zuerkennung der Selbstversicherung im Zeitraum von XXXX sowie ab dem XXXX abgelehnt. Begründend wurde ausgeführt, dass bis zur Vollendung des 4. Lebensjahres des Kindes aufgrund von Kindererziehungszeiten gemäß § 227a ASVG eine Selbstversicherung gemäß § 18a Abs. 2 Z 3 ASVG nicht in Betracht komme. Die Anerkennung für den Zeitraum Juli 1998 bis November 1998 scheide aufgrund des Bezugs von Arbeitslosengeld aus (§ 18a Abs. 2 Z 3 iVm § 227 Abs. 1 Z 5 ASVG). Auf Grund des fachärztlichen Begutachtungsergebnisses – beim Kind sei Neurodermitis und Asthma bronchiale festgestellt worden – sei mit den vorgelegten Befunden ab dem 01.07.1998 eine positive Absprache nicht möglich gewesen.

2. Dagegen richtet sich die vorliegende, binnen offener Rechtsmittelfrist erhobene Beschwerde, in der die Beschwerdeführerin vorbrachte, dass sie in der Zeit von Februar 1999 bis Oktober 1999 und von Jänner 2000 bis Dezember 2005 nicht arbeiten habe können, weil die tägliche Pflege ihrer Tochter, die an Neurodermitis und Asthma leide, ihre ganze Zeit beansprucht habe. Die täglichen Aufgaben seien gewesen: Frische Speisen, Schonkost, intensive Hautpflege, Cremen, Medikamente, spezielle Ölbäder, täglich frische Bekleidung, Bettwäsche, Handtücher – alles aus Baumwolle, viele Arztbesuche, viele Infekte (über zwei Monate im Jahr). Ihre Tochter sei auch psychisch sehr betroffen gewesen, da sie aufgrund des Juckreizes nicht durchschlafen habe können (zwei bis dreimal in der Nacht). Ihre Tochter sei nach der ersten Klasse Volksschule in eine Privatschule gewechselt, die auf ihre Bedürfnisse eingegangen sei. Dafür sei ein Auto erforderlich gewesen. Es seien Therapien in Mariazell, Kuren, Solebäder, UV-Bestrahlungen, Salbenbehandlungen und jährlich drei Wochen Aufenthalt am Meer notwendig gewesen. Dadurch sei es der Beschwerdeführerin nicht möglich gewesen zu arbeiten.

3. Mit Schreiben vom 13.01.2020 reichte die Beschwerdeführerin in Ergänzung ihrer Beschwerde eine ausführliche handschriftliche Darstellung der erforderlichen Pflegemaßnahmen für ihre Tochter, ein Konvolut von medizinischen Befunden und Krankengeschichten und ein Konvolut von Farbfotografien ihrer Tochter sowie eine Bestätigung über den Bezug erhöhter Familienbeihilfe nach. Weiters wurde ihre Einvernahme, die Einvernahme des Kindesvaters sowie die Einvernahme der Schwester der Beschwerdeführerin und die Einholung von Gutachten gerichtlich beeideter Sachverständiger aus den Fachgebieten der Allgemeinmedizin und der Dermatologie beantragt. Schließlich begehrte die Beschwerdeführerin, ihr die Selbstversicherung über den 30.06.1998 hinaus zuzuerkennen.

4. Am 26.03.2020 einlangend legte die PVA die Beschwerde unter Anschluss der Akten des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor. In einer beigefügten Stellungnahme wies sie u.a. darauf hin, dass dem Antrag der Beschwerdeführerin auf Selbstversicherung gemäß § 18a ASVG von März 1997 bis Juni 1998 stattgegeben werden habe können. Für den Zeitraum von Dezember 1994 bis Februar 2011 sei erhöhte Familienbeihilfe bezogen worden. Den vorgelegten Befunden sowie dem von Amts wegen eingeholten fachärztlichen Gutachten vom 19.11.2019 zufolge leide bzw. habe das Kind unter einer Neurodermitis und einem Asthma bronchiale gelitten. Von 1995 bis 2006 sei es mehrmals (täglich) erforderlich gewesen sie einzucremen. Es habe täglich die Bettwäsche gewechselt und es hätten spezielle Diätmaßnahmen eingehalten werden müssen. Wöchentlich seien Arzttermine wahrgenommen worden. Weiters sei eine Begleitung am Schulweg erforderlich gewesen, da die Tochter der Beschwerdeführerin aufgrund von Hauteffloreszenzen verspottet worden sei. Anamnestisch sei es ab dem 13. Lebensjahr rapide besser geworden. Nach Ansicht des begutachtenden Arztes sei trotzdem keine ständige persönliche Hilfe und besondere Pflege des Kindes erforderlich gewesen (wobei sich die Feststellung im Nachhinein schwierig gestaltet habe). Dennoch sei zumindest für den Zeitraum März 1997 bis November 1998 das Vorliegen der Voraussetzungen für die rückwirkende Selbstversicherung gemäß § 18a ASVG von der Oberbegutachterin bejaht worden, wobei die fünf Arbeitslosenmonate Juli 1998 bis November 1998 für eine rückwirkende Selbstversicherung nicht in Frage gekommen seien.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Entscheidung wird folgender Sachverhalt zugrunde gelegt:

Mit beschwerdegegenständlichem Bescheid vom 13.12.2019 wurde dem Antrag der Beschwerdeführerin vom 29.11.2017 auf Selbstversicherung in der Pensionsversicherung gemäß § 18a ASVG für Zeiten der Pflege ihrer behinderten Tochter XXXX , geboren am XXXX , ab XXXX stattgegeben und gleichzeitig ausgesprochen, dass die Selbstversicherung mit XXXX endet.

Bis zur Vollendung des 4. Lebensjahres des Kindes liegen bei der Beschwerdeführerin Ersatzzeiten für Zeiten der Kindererziehung gemäß § 227a ASVG vor.

Von Juli 1998 bis November 1998 bezog die Beschwerdeführerin Arbeitslosengeld.

Für die im gemeinsamen Haushalt in Niederösterreich lebende Tochter der Beschwerdeführerin wurde von Dezember 1994 bis Februar 2011 erhöhte Familienbeihilfe iSd § 8 Abs. 4 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG) gewährt.

Die Tochter leidet an Neurodermitis ICD-10: L20.9 (Hauptdiagnose) und Asthma bronchiale ICD-10: J45.9 (Nebendiagnose).

Eine Befreiung von der allgemeinen Schulpflicht liegt nicht vor.

Das von der belangten Behörde zur Klärung des Betreuungsbedarfs eingeholte fachärztliche Gutachten Dris. XXXX vom 19.11.2019 weist Widersprüche auf, die das Begutachtungsergebnis im Zweifel stellen.

Die belangte Behörde traf keine Feststellungen zur Frage, ob die Arbeitskraft der Beschwerdeführerin trotz einer allfälligen Verneinung eines ständigen Betreuungs- und Pflegebedarfs dennoch überwiegend in Anspruch genommen wurde, obwohl dies, wie der rechtlichen Würdigung weiter unten zu entnehmen ist, erforderlich gewesen wäre.

2. Beweiswürdigung:

Die Zuerkennung des Anspruchs auf freiwillige Selbstversicherung von März 1997 bis Juni 1998, der gemeinsame Haushalt mit dem Kind, der Bezug von erhöhter Familienbeihilfe sowie das Vorliegen von Ersatzzeiten der Kindererziehung und von Zeiten des Arbeitslosengeldbezuges im oben angeführten Umfang stehen ebenso wie die Art der Behinderung der Tochter der Beschwerdeführerin aufgrund der Aktenlage als unstrittig fest.

Anhaltspunkte, dass die Tochter von der allgemeinen Schulpflicht befreit war, liegen nicht vor.

Das zur Klärung der Frage des Betreuungsbedarfes eingeholte fachärztliche Gutachten kam zu dem Schluss, dass im maßgeblichen Zeitraum keine ständige (mehrmals in der Woche regelmäßige) persönliche Hilfe bzw. besondere Pflege erforderlich war und stützte sich dabei u.a. darauf, dass keine ständige (regelmäßige) persönliche Hilfe und besondere Pflege bei der Nahrungszubereitung, für die Schulwegbegleitung, für die Begleitung zu notwendigen Therapien/ärztlichen Kontrollen und für die Überwachung notwendiger diätischer Einschränkungen erforderlich gewesenen sei (vgl. S, 5 des Gutachtens).

Auf S, 4 hält die Gutachterin unter Punkt „8. Ärztliche Beurteilung“ hingegen im Widerspruch dazu fest, dass von 1995 bis 2006 spezielle Diätmaßnahmen eingehalten werden hätten müssen, wöchentliche Arzttermine wahrgenommen worden seien und eine Begleitung am Schulweg erforderlich gewesen sei, da die Tochter aufgrund von Hauteffloreszenzen verspottet worden sei.

Darüber hinaus gab die belangte Behörde anlässlich der Beschwerdevorlage bekannt, dass der Anspruch auf Selbstversicherung von der „Oberbegutachterin“ im Zeitraum von März 1997 bis November 1998 anerkannt worden sei, was ebenfalls im Widerspruch zum Begutachtungsergebnis steht.

Das Fehlen von Ermittlungen und Feststellungen zur Frage, ob die Arbeitskraft der Beschwerdeführerin trotz einer allfälligen Verneinung eines ständigen Betreuungs- und Pflegebedarfs nicht auf andere Weise überwiegend in Anspruch genommen wurde, ist aufgrund der Aktenlage evident.

3. Rechtliche Beurteilung:

§ 414 Abs. 1 ASVG normiert die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes zur Entscheidung über Beschwerden gegen Bescheide eines Versicherungsträgers.

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. § 414 Abs. 2 ASVG sieht in den in § 410 Abs. 1 Z 1, 2 und 6 bis 9 ASVG aufgezählten Angelegenheiten die Entscheidung durch einen Senat unter Laienrichterbeteiligung vor, wenn dies von einer Partei beantragt wird. Im gegenständlichen Fall handelt es sich um eine derartige Angelegenheit (Z 1). Mangels Antrages liegt jedoch Einzelrichterzuständigkeit vor.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Zu A)

Vorliegend gelangen folgende maßgebende Bestimmungen zur Anwendung:

§ 18a ASVG idF BGBl. I Nr. 2/2015:

„Selbstversicherung in der Pensionsversicherung für Zeiten
der Pflege eines behinderten Kindes

§ 18a. (1) Personen, die ein behindertes Kind, für das erhöhte Familienbeihilfe im Sinne des § 8 Abs. 4 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967, BGBl. Nr. 376, gewährt wird, unter überwiegender Beanspruchung ihrer Arbeitskraft in häuslicher Umgebung pflegen, können sich, solange sie während dieses Zeitraumes ihren Wohnsitz im Inland haben, längstens jedoch bis zur Vollendung des 40. Lebensjahres des Kindes, in der Pensionsversicherung selbstversichern. Der gemeinsame Haushalt besteht weiter, wenn sich das behinderte Kind nur zeitweilig wegen Heilbehandlung außerhalb der Hausgemeinschaft aufhält. Eine Selbstversicherung in der Pensionsversicherung für Zeiten der Pflege eines behinderten Kindes kann jeweils nur für eine Person bestehen.

(2) Die Selbstversicherung ist für eine Zeit ausgeschlossen, während der

1. (Anm.: aufgehoben durch BGBl. I Nr. 2/2015)

2. eine Ausnahme von der Vollversicherung gemäß § 5 Abs. 1 Z 3 besteht oder auf Grund eines der dort genannten Dienstverhältnisse ein Ruhegenuß bezogen wird oder

3. eine Ersatzzeit gemäß § 227 Abs. 1 Z 3 bis 6 oder § 227a vorliegt.

(3) Eine überwiegende Beanspruchung der Arbeitskraft im Sinne des Abs. 1 wird jedenfalls dann angenommen, wenn und so lange das behinderte Kind

1. das Alter für den Beginn der allgemeinen Schulpflicht (§ 2 des Schulpflichtgesetzes 1985, BGBl. Nr. 76/1985) noch nicht erreicht hat und ständiger persönlicher Hilfe und besonderer Pflege bedarf,

2. während der Dauer der allgemeinen Schulpflicht wegen Schulunfähigkeit (§ 15 des Schulpflichtgesetzes 1985) entweder von der allgemeinen Schulpflicht befreit ist oder ständiger persönlicher Hilfe und besonderer Pflege bedarf,

3. nach Vollendung der allgemeinen Schulpflicht und vor Vollendung des 40. Lebensjahres dauernd bettlägrig ist oder ständiger persönlicher Hilfe und besonderer Pflege bedarf.

(4) Die Selbstversicherung ist in dem Zweig der Pensionsversicherung nach diesem Bundesgesetz zulässig, in dem der (die) Versicherungsberechtigte zuletzt Versicherungszeiten erworben hat. Werden keine Versicherungszeiten in der Pensionsversicherung nach diesem Bundesgesetz nachgewiesen oder richtet sich deren Zuordnung nach der ersten nachfolgenden Versicherungszeit, so ist die Selbstversicherung in der Pensionsversicherung der Angestellten zulässig.

(5) Die Selbstversicherung beginnt mit dem Zeitpunkt, den der (die) Versicherte wählt, frühestens mit dem Monatsersten, ab dem die erhöhte Familienbeihilfe (Abs. 1) gewährt wird, spätestens jedoch mit dem Monatsersten, der auf die Antragstellung folgt.

(6) Die Selbstversicherung endet mit dem Ende des Kalendermonates,

1. in dem die erhöhte Familienbeihilfe oder eine sonstige Voraussetzung (Abs. 1) weggefallen ist,

2. in dem der (die) Versicherte seinen (ihren) Austritt erklärt hat.

Ab dem erstmaligen Beginn der Selbstversicherung (Abs. 5) gelten die Voraussetzungen bis zum Ablauf des nächstfolgenden Kalenderjahres als erfüllt; in weiterer Folge hat der Versicherungsträger jeweils jährlich einmal festzustellen, ob die Voraussetzungen für die Selbstversicherung nach Abs. 1 gegeben sind. Der Versicherte ist verpflichtet, den Wegfall der erhöhten Familienbeihilfe dem Träger der Pensionsversicherung binnen zwei Wochen anzuzeigen.

(7) Das Ende der Selbstversicherung steht hinsichtlich der Berechtigung zur Weiterversicherung in der Pensionsversicherung dem Ausscheiden aus der Pflichtversicherung im Sinne des § 17 Abs. 1 Z 1 lit. a gleich.“

§ 669 Abs. 3 ASVG idF BGBl. I Nr. 125/2017:

„Schlussbestimmungen zu Art. 5 des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 3/2013 (78. Novelle):

§ 669. (1) bis (2) …

(3) Die Selbstversicherung in der Pensionsversicherung nach § 18a kann auf Antrag von Personen, die irgendwann in der Zeit seit dem 1. Jänner 1988 die zum Zeitpunkt der Antragstellung geltenden Voraussetzungen für diese Selbstversicherung erfüllt haben, nachträglich beansprucht werden, und zwar für alle oder einzelne Monate, längstens jedoch für 120 Monate, in denen die genannten Voraussetzungen vorlagen. § 18 Abs. 2 ist sinngemäß anzuwenden.

(4) bis (8) …“

Fallbezogen ergibt sich daraus Folgendes:

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn 1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder 2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer eheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen hat.

Diese Voraussetzungen treffen im gegenständlichen Fall (teilweise) zu.

Die Beschwerde richtet sich gegen die mit dem Bezug von Arbeitslosengeld und der nicht erforderlichen ständigen persönlichen Hilfe und besonderen Pflege des behinderten Kindes begründete bescheidmäßige Feststellung der PVA, dass die Voraussetzungen für die freiwillige Selbstversicherung in der Pensionsversicherung für Zeiten der Pflege des behinderten Kindes ab Juli 1998 nicht mehr gegeben sind.

Gemäß § 669 Abs. 3 ASVG idF BGBl. I Nr. 125/2017 kann die Selbstversicherung in der Pensionsversicherung iSd § 18a Abs. 1 ASVG auf Antrag von Personen, die irgendwann in der Zeit seit dem 1. Jänner 1988 die zum Zeitpunkt der Antragstellung (hier: 29.11.2017) geltenden Voraussetzungen für diese Selbstversicherung erfüllt hätten, nachträglich beansprucht werden.

§ 707a ASVG sieht das Inkrafttreten des § 669 Abs. 3 ASVG in der Fassung BGBl. I Nr. 125/2017 mit 1. Jänner 2018 ohne Übergangsregelung vor. Es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, dass eine solche aus anderen Bestimmungen abzuleiten wäre bzw. dass diesbezüglich eine Rechtslücke bestünde.

§ 669 Abs. 3 ASVG in der genannten Fassung stellt darauf ab, dass die betreffenden Personen die zum Zeitpunkt ihrer Antragstellung geltenden Voraussetzungen für diese Selbstversicherung erfüllen müssen, im vorliegenden Fall sohin die im § 18a ASVG in der Fassung BGBl. I Nr. 2/2015 festgelegten Voraussetzungen. Auf die im zu erwerbenden Zeitraum der betreffenden Selbstversicherung früher in Geltung gestandenen Voraussetzungen für eine Selbstversicherung kommt es gemäß § 669 Abs. 3 ASVG nicht an (vgl. VwGH 05.06.2019 Ra 2019/08/0051).

Im vorliegenden Fall wurde für die im gemeinsamen Haushalt lebende Tochter der Beschwerdeführerin von Dezember 1994 bis Februar 2011 erhöhte Familienbeihilfe gewährt. Es kommt daher zunächst nur eine Anerkennung des Anspruches für die Zeit von Dezember 1994 bis Februar 2011 in Betracht (vgl. § 18a Abs. 1 ASVG in der gegenständlich anzuwendenden Fassung des BGBl. I Nr. 2/2015).

Bis zur Vollendung des vierten Lebensjahres der Tochter (im Februar 1997) stehen jedoch dem Anspruch auf Selbstversicherung gemäß § 18a Abs. 2 Z 3 ASVG (idF BGBl. I Nr. 2/2015) die vorliegenden Ersatzzeiten der Beschwerdeführerin für Zeiten der Kindererziehung gemäß § 227a ASVG entgegen.

Gleiches gilt für die Zeiten des Bezugs von Arbeitslosengeld im Zeitraum von Juli 1998 bis November 1998 (Ersatzzeit gemäß § 227 Abs. 1 Z 5 ASVG).

Soweit die Beschwerde die Zuerkennung der Selbstversicherung ab Juli 1998 begehrte, war sie daher als unbegründet abzuweisen.

Vorliegend verbleibt daher zu beurteilen, ob über den bereits anerkannten Zeitraum von März 1997 bis Juni 1998 hinaus auch ab Dezember 1998 ein Anspruch auf Selbstversicherung gemäß § 18a ASVG gegeben ist.

Nach § 18a Abs. 1 ASVG (idF BGBl. I Nr. 2/2015) muss die Arbeitskraft überwiegend beansprucht werden, um den Anspruch anerkennen zu können. Dies ist gemäß § 18a Abs. 3 Z 2 ASVG u.a. jedenfalls dann der Fall, solange das behinderte Kind während der Dauer der allgemeinen Schulpflicht wegen Schulunfähigkeit (§ 15 des Schulpflichtgesetzes 1985) entweder von der allgemeinen Schulpflicht befreit ist oder ständiger persönlicher Hilfe und besonderer Pflege bedarf.

Die Tochter der Beschwerdeführerin ist am XXXX geboren. Demnach unterlag sie von 01.09.1999 bis 30.06.2008 der allgemeinen Schulpflicht. Eine Befreiung von der allgemeinen Schulpflicht war nicht gegeben. Somit war im vorliegenden Fall im Wege eines Sachverständigengutachtens zu klären, ob (und in welchem Umfang) unter Berücksichtigung des Alters und der spezifischen Behinderung des Kindes dessen ständige Betreuung auch außerhalb der Zeit des Schulbesuches erforderlich war und ob bei Unterbleiben dieser Betreuung die Entwicklung des Kindes im Verhältnis zu einem ähnlich behinderten Kind, dem diese Zuwendung zuteil wird, benachteiligt oder gefährdet war.

Ständige Pflege und Hilfe könnte im Falle eines täglichen Schulbesuches z.B. dann erforderlich sein, wenn wegen der mangelnden Kommunikationsfähigkeit des Kindes eine Begleitung auf dem Schulweg bzw. nach der Schule eine dauernde Beaufsichtigung und Zuwendung notwendig wäre. Sollte dies der Fall sein, käme die gesetzliche Vermutung zum Tragen, dass es der Beschwerdeführerin auch in der ihr verbleibenden freien Zeit (in der sich ihr Kind in der Schule befand) kaum möglich gewesen wäre, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen und dadurch für eine eigenständige Alterssicherung vorzusorgen (vgl. VwGH 17.12.1991, 89/08/0353).

Die belangte Behörde hat zur Beurteilung eines derartigen Bedarfs persönlicher Hilfe und besonderer Pflege von Amts wegen ein fachärztliches Sachverständigengutachten eingeholt.

Bei dem Gutachten eines Sachverständigen im Sinn des § 52 AVG handelt es sich um ein Beweismittel, das gemäß § 45 Abs. 2 AVG der freien Beweiswürdigung durch die Behörde (das Verwaltungsgericht) unterliegt. Die Behörde (das Verwaltungsgericht) hat das Gutachten daher auf seine Vollständigkeit, auf Freiheit von Widersprüchen sowie insbesondere auf seine Schlüssigkeit, das heißt darauf hin zu überprüfen, ob es den Denkgesetzen und den Erfahrungen des täglichen Lebens entspricht (vgl. VwGH 07.08.2013, 2012/06/0039, mwN).

Wie der Beweiswürdigung zu entnehmen ist, wurde das eingeholte Sachverständigengutachten den oben angeführten Anforderungen nicht gerecht, weswegen es zur Beurteilung des Vorliegens eines ständigen Betreuungs- und Pflegebedarfs ungeeignet war.

Aufgrund des Fehlens eines geeigneten Sachverständigenbeweises zum Vorliegen bzw. Nichtvorliegen eines ständigen Pflege- und Betreuungsbedarfs kann bestenfalls von bloß ansatzweise vorhandenen Ermittlungsergebnissen gesprochen werden. Damit sind die Voraussetzungen für die Zurückverweisung der Sache an die belangte Behörde gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG 2014 erfüllt (vgl. VwGH 28.05.2020, Ra 2019/11/0135).

Mit dem Wort „jedenfalls“ im Einleitungssatz des § 18a Abs. 3 ASVG idF BGBl. I Nr. 2/2015 hat der Gesetzgeber aber auch zum Ausdruck gebracht, dass neben den in Z 1 bis 3 aufgezählten Fällen eine überwiegende Beanspruchung der Arbeitskraft auch auf andere Weise (als durch einen ständigen Pflege- und Betreuungsbedarf) gegeben sein kann.

Die Legaldefinition des § 18 Abs. 3 ASVG stellt somit nicht (primär) auf eine zeitliche Inanspruchnahme durch die Pflege, sondern auf speziell für behinderte Kinder zugeschnittene andere Kriterien ab. Eine überwiegende Beanspruchung der Arbeitskraft ist einem durchschnittlichen Pflegeaufwand ab 21 Stunden wöchentlich bzw. ab 90 Stunden monatlich (entspricht mehr als der halben Normalarbeitszeit) anzunehmen (VwGH 19.01.2017, Ro 2014/08/0084) (vgl. Zehetner in Sonntag (Hrsg) ASVG11 § 18a Rz 4a).

Obwohl die Beschwerdeführerin dazu ein umfangreiches Vorbringen erstattet hat, unterließ die PVA auch jegliche Ermittlungen, um festzustellen, ob der (behinderungsspezifische) Pflege- und Betreuungsaufwand der Beschwerdeführerin die maßgebliche Grenze von 90 Stunden monatlich überschritt.

Dadurch hat die PVA keine für eine Entscheidung in der Sache nach § 28 Abs. 2 VwGVG ausreichenden brauchbaren Ermittlungsergebnisse geliefert, die im Zusammenhalt mit einer allenfalls durchzuführenden mündlichen Verhandlung im Sinne des § 24 VwGVG bloß zu vervollständigen gewesen wären.

Dies berechtigt das Verwaltungsgericht, von einer Entscheidung in der Sache abzusehen und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde zurückzuverweisen (vgl. VwGH 20.10.2015, Ra 2015/09/0088).

Vor dem Hintergrund dieses Ergebnisses konnte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung unterbleiben.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen (s. dazu die in den rechtlichen Erwägungen zitierte VwGH-Judikatur). Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

Arbeitskraft Ermittlungspflicht Ersatzzeiten Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung Pflegebedarf Sachverständigengutachten Selbstversicherung Zeitraumbezogenheit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W209.2229726.2.00

Im RIS seit

11.01.2021

Zuletzt aktualisiert am

11.01.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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