Entscheidungsdatum
05.10.2020Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z5Spruch
W102 2211377-1/19E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Werner ANDRÄ als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX (alias XXXX ), geb. XXXX (alias XXXX ), StA. Afghanistan, vertreten durch ARGE Rechtsberatung – Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Wien, vom 15.11.2018, Zl. XXXX - XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 14.03.2019 zu Recht erkannt:
A)
I. Der Beschwerde wird hinsichtlich der Spruchpunkte II. und IV. bis VII. des angefochtenen Bescheides gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG 2005 stattgegeben und diese ersatzlos behoben.
II. In Erledigung der Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides wird dem Antrag vom 02.05.2018 auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 stattgegeben und die befristete Aufenthaltsberechtigung von XXXX als subsidiär Schutzberechtigter um zwei Jahre verlängert.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Am 03.12.2012 stellte der Beschwerdeführer, afghanischer Staatsangehöriger und Angehöriger der Volksgruppe der Pashai, einen Antrag auf internationalen Schutz den das Bundesasylamt mit Bescheid vom 13.05.2013 (in der Folge Zuerkennungsbescheid) bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abwies. Außerdem wurde dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 13.05.2014 erteilt. Diesbezüglich führte das Bundesasylamt begründend aus, der Beschwerdeführer sei eine zum Entscheidungszeitpunkt unmündige minderjährige Person und sei der Aufenthalt der Angehörigen des Beschwerdeführers nicht bekannt. Deshalb gehe das Bundesasylamt derzeit von einer realen Gefahr iSd § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 aus. Das Bundesasylamt legte seiner Entscheidung das Geburtsdatum XXXX zugrunde.
Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.05.2014 und vom 24.05.2016, zugestellt am 27.05.2016, wurde dem Beschwerdeführer auf seinen Verlängerungsantrag hin jeweils eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005, zuletzt bis zum 13.05.2018 erteilt. Begründend wurde jeweils ausgeführt, die Voraussetzungen für die Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung würden vorliegen, da dem Antrag vollinhaltlich stattgegeben worden sei, könne gemäß § 58 Abs. 2 AVG eine nähere Begründung entfallen.
Mit Beschluss des Bezirksgerichtes Innere Stadt vom 09.06.2017, 1 PS 121/16k-34. Wurde das Pflegschaftsverfahren betreffend den Beschwerdeführer aufgrund dessen Volljährigkeit für beendet erklärt. Begründend führte das Bezirksgericht Innere Stadt unter anderem aus, im Gutachten zur Altersfeststellung, das im Verfahren 715 St 15/16b von der Staatsanwaltschaft Wien eingeholt worden sei, ergebe sich, dass der Beschwerdeführer mit Sicherheit über 16, jedoch mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit bereits 18,7 Jahre alt sei. Aufgrund des im Zivilverfahrens geltenden Beweismaßes der hohen Wahrscheinlichkeit sei von Volljährigkeit auszugehen.
Am 02.05.2018 brachte der Beschwerdeführer erneut einen Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ein.
Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 25.07.2018, 153 Hv 79/18b, wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens des unerlaubten Umganges mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z 1 achter Fall, Abs. 2a SMG und den Vergehen des unerlaubten Umganges mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z 1 erster und zweiter Fall und Abs. 2 SMG zu einer unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe in der Dauer von vier Wochen verurteilt (Jugendstraftat).
Am 30.07.2018 wurde der Beschwerdeführer niederschriftlich einvernommen und zu seinem Alter und seinen Lebensumständen befragt.
Am 25.09.2018 langte das vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl beauftragte medizinische Sachverständigengutachten betreffend den Beschwerdeführer, Multifaktoriellen Diagnostik zur Feststellung eines absoluten Mindestalters bei der belangten Behörde ein, aus dem sich zwischen der Altersbehauptung und dem festgestellten höchstmöglichen Mindestalter eine Differenz von 4,31 Jahren ergibt.
Am 31.10.2018 wurde der Beschwerdeführer erneut durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl niederschriftlich einvernommen
2. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 15.11.2018, zugestellt am 21.11.2018 (in der Folge: Aberkennungsbescheid), wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.), erkannte dem Beschwerdeführer den mit Bescheid vom 13.05.2013 zuerkannten Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 AsylG von Amts wegen ab (Spruchpunkt II.), entzog dem Beschwerdeführer gemäß § 9 Abs. 4 AsylG die mit Bescheid vom 24.05.2016 erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt III.), erteilte dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG (Spruchpunkt IV.), erließ gemäß § 10 Abs 1 Z 5 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 4 FPG (Spruchpunkt V.) und stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt VI.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG mit zwei Wochen festgesetzt (Spruchpunkt VII.). Begründend führte die belangte Behörde hinsichtlich Spruchpunkt II. aus, die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten würden nicht mehr vorliegen, der Beschwerdeführer habe sich weitergebildet und sei jetzt volljährig. Ihm stehe eine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung.
3. Gegen den oben dargestellten Aberkennungsbescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 15.11.2018 richtet sich die am 14.12.2018 bei der belangten Behörde eingelangte vollumfängliche Beschwerde, in der ausgeführt wird, die belangte Behörde habe nicht dargelegt, inwiefern sich die Lage in Afghanistan oder die persönliche Situation im Vergleich zum Zeitpunkt der Erteilung des Status des subsidiär Schutzberechtigten maßgeblich geändert habe. Es sei eine Verschlechterung der Sicherheitslage eingetreten und sei die nunmehrige Volljährigkeit des Beschwerdeführers allein noch keine maßgebliche Änderung der persönlichen Situation im Hinblick auf die Rückkehrsituation.
Das Bundesverwaltungsgericht führte zur Ermittlung des entscheidungswesentlichen Sachverhaltes am 14.03.2019 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der der Beschwerdeführer, seine bevollmächtigte Rechtsvertreterin, seine Bewährungshelferin und eine Dolmetscherin für die Sprache Paschtu teilnahmen. Die belangte Behörde verzichtete auf die Teilnahme.
Im Zuge der mündlichen Verhandlung wurde der Beschwerdeführer zu seinen Lebensumständen und seiner Rückkehrsituation befragt.
Nach mehrmaliger Aufforderung durch das Bundesverwaltungsgericht legte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Verlängerungsbescheide und weitere Aktenbestandteile vor. Nach erneuter Aufforderung mit Schreiben vom 19.06.2020 legte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl schließlich den Zuerkennungsbescheid vom 13.05.2013 vor.
Mit Schreiben vom 27.08.2020 brachte das Bundesverwaltungsgericht aktuelle Länderberichte in das Verfahren ein und gab dem Beschwerdeführer und der belangten Behörde die Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Stellungnahme des Beschwerdeführers langte am 11.09.2020 am Bundesverwaltungsgericht ein.
Der Beschwerdeführer legte im Lauf des Verfahrens folgende Dokumente vor:
? Schulunterlagen
? Sozialberichte
? Medizinische Unterlagen
? Suchantrag des Roten Kreuzes
? Bestätigungen für die Teilnahme an diversen Kursen
? Empfehlungsschreiben
? Dienstvertrag
? Berichte des Bewährungshelfers
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zu Person und Lebensumständen des Beschwerdeführers
Der Beschwerdeführer trägt den im Spruch angeführten Namen, wurde spätestens am XXXX geboren und ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan, Angehöriger der Volksgruppe der Pashai und bekennt sich zur sunnitschen Glaubensrichtung des Islam. Die Muttersprache des Beschwerdeführers ist Pashai. Er spricht auch Paschtu, Dari und zudem Deutsch.
Der Beschwerdeführer ist gesund.
Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 25.07.2018, 162 Hv 79/18b wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z 1 achter Fall, Abs. 2a SMG und der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z 1 erster und zweiter Fall und Abs. 2 SMG zu einer unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe in der Dauer von vier Wochen verurteilt. Der Beschwerdeführer hatte in Wien vorschriftswidrig Suchtgift, nämlich Cannabiskraut am 17.06.2018 an einen „Käufer“ auf einer öffentlichen Verkehrsfläche öffentlich ein Baggy mit 1,32 g Cannabiskraut gegen ein Entgelt von EUR 10 überlassen und in einem nicht mehr festzustellenden Zeitpunkt bis 17.06.2018 Cannabiskraut zum ausschließlich persönlichen Gebrauch erworben und besessen.
Der Beschwerdeführer wurde in einem Dorf in der Provinz Laghman geboren. Der Vater des Beschwerdeführers war als Hilfsarbeiter tätig, seine Mutter war Hausfrau. Der Beschwerdeführer hat im Herkunftsstaat einige Monate die Schule besucht.
Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 13.05.2013 wurde dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 13.05.2014 erteilt. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.05.2014 und vom 24.05.2016, zugestellt am 27.05.2016, wurde dem Beschwerdeführer auf seinen Verlängerungsantrag hin jeweils eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005, zuletzt bis zum 13.05.2018 erteilt.
Im Zuge seiner Antragstellung hat der Beschwerdeführer ein falsches Alter angegeben. Er ist mindestens 4,31 älter, als er im Zusammenhang mit seiner Antragstellung angegeben hatte.
Im Bundesgebiet besuchte der Beschwerdeführer zunächst ab dem Jahr 2012 die zweite und dritte Schulstufe der Volksschule und anschließend die fünfte und sechste Schulstufe der Neuen Mittelschule. In seiner Freizeit spielte der Beschwerdeführer in einem Fußballverein.
Ab Februar 2019 hat der Beschwerdeführer zunächst ein „Jugendcolleg“ besucht, abschließend einen „Basisbildung Brückenkurs“ und schließlich einen Pflichtschulabschlusslehrgang.
Seit 15.06.2020 ist der Beschwerdeführer im Rahmen eines AMS-Projektes als „Hilfskraft, welche einfache, schematische Tätigkeiten unter Anweisung und Aufsicht verrichtet“ bis Dezember 2020 befristet eingestellt. Die Beschäftigung wird durch SozialarbeiterInnen und ArbeitsanleiterInnen betreut. Seit Juli 2018 wird der Beschwerdeführer zudem im Rahmen der Bewährungshilfe betreut, er nimmt seine Termine verlässlich wahr. Seit Mai 2020 bezieht der Beschwerdeführer keine Grundversorgung mehr.
Die Familie des Beschwerdeführers, bestehend aus seinen Eltern, drei jüngeren Schwestern und zwei jüngeren Brüdern, ist unbekannten Aufenthaltes. Kontakt besteht seit der Ausreise des Beschwerdeführers nicht mehr.
1.2. Zur Lage im Herkunftsstaat
Afghanistan ist von einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt betroffen.
Laghman zählt zu den volatilen Provinzen des Herkunftsstaates. Es kam zu einem Anstieg im Hinblick auf Aktivitäten Aufständischer, die Provinz gilt als Hochburg des IS. Es kommt zu Zusammenstößen zwischen Taliban, IS und afghanischen Sicherheitskräfte. Luftangriffe werden durchgeführt.
Hinsichtlich der Hauptstadt Kabul ist ein negativer Trend in Bezug auf die Sicherheitslage für Zivilisten deutlich erkennbar. Die Stadt ist vom innerstaatlichen Konflikt und insbesondere stark von öffentlichkeitswirksamen Angriffen der Taliban und anderer regierungsfeindlicher Kräfte betroffen. Kabul verzeichnet die höchste Anzahl ziviler Opfer Afghanistans, die insbesondere aus Selbstmordanschlägen und komplexen Angriffen regierungsfeindlicher Kräfte resultieren. Die afghanische Regierung führt regelmäßig Sicherheitsoperationen in der Hauptstadt durch. Die Konfliktsituation ist geprägt von asymmetrischer Kriegsführung.
In Balkh hat sich die Sicherheitslage – nachdem die Provinz lange zu den relativ ruhigen Provinzen gezählt wurde – verschlechtert. In Mazar-e-Sharif ist es zu einem Anstieg krimineller Aktivitäten wie Raub, Mord, Entführung etc. gekommen. Im Jahr 2018 ist die Anzahl ziviler Opfer in Balkh im Vergleich zu 2017 um 76 % angestiegen. Hauptursachen sind Bodenkämpfe, Unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtungen und gezielte Tötungen. Insbesondere sind die Todesfälle infolge von Bodenoffensiven um 296 % angestiegen. UNOCHA stuft Mazar-e-Sharif hinsichtlich der Schwere des Konfliktes in der zweithöchsten Kategorie ein.
Hinsichtlich der Provinz Herat kam es zuletzt zu einer Steigerung der zivilen Opfer um 54 % im Vergleich der Jahre 2018 und 2019. Hauptursache dafür waren improvisierte Sprengkörper, Bodenkämpfe und gezielte Tötungen. Hinsichtlich Herat (Stadt) kam es zuletzt zu einem Anstieg der Kriminalität, Raubüberfälle nahmen zu, Entführungen finden statt. Im Vergleich der Jahre 2017 und 2018 sank die Zahl ziviler Opfer dagegen um 48 %.
Auf Versorgungslage und Lebensbedingungen hatte die COVID-19-Pandemie zuletzt einen negativen Einfluss. Der Ausbruch hat schwerwiegende Auswirkungen auf die Wirtschaft Afghanistans und das Wohlergehen der Bevölkerung. Die Lebensmittelpreise sind stark gestiegen. Insbesondere Tagelöhner wegen des vom geringeren Angebotes an Gelegenheitsarbeit betroffen.
2. Beweiswürdigung:
2.1. Zu Person und Lebensumständen des Beschwerdeführers
Die Feststellungen zu Identität, Herkunftsort, Staatsangehörigkeit, Lebenswandel und Lebensverhältnissen im Herkunftsstaat, Volksgruppen- und Religionsangehörigkeit und Sprachkenntnissen des Beschwerdeführers beruhen auf seinen gleichbleibenden Angaben im gesamten Verfahren, die auch die belangte Behörde und das Bundesverwaltungsgericht ihren Entscheidungen zugrunde legte. Hinweise darauf, dass diese nicht zutreffen würden, sind auch im gegenständlichen Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht nicht hervorgekommen. Zu den Deutschkenntnissen des Beschwerdeführers ist anzumerken, dass der Beschwerdeführer zwar kein Sprachzertifikat vorgelegt hat, allerdings konnte die mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht in deutscher Sprache geführt werden (OZ 8, S. 2) und konnte sich der erkennende Richter des Bundesverwaltungsgerichts dabei davon überzeugen, dass der Beschwerdeführer fließend Deutsch spricht.
Das festgestellten spätestmögliche Geburtsdatum des Beschwerdeführers beruht auf dem vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl in Auftrag gegebenen Medizinischen Sachverständigengutachten betreffend „Multifaktorielle Diagnostik zur Feststellung eines absoluten Mindestalters“ (AS 175 ff.), dem der Beschwerdeführer nicht entgegengetreten ist. Der Beschwerdeführer räumte in der niederschriftlichen Einvernahme durch die belangte Behörde am 30.07.2018 viel mehr selbst ein, er sei älter und habe damals gesagt, dass er jünger sei (AS 114). Weiter gab er am 31.10.2018 vor der belangten Behörde an, er benötige einen Ausweis mit dem festgestellten Alter, wodurch er ebenso zu erkennen gibt, dass er keine Einwände gegen das Ergebnis der Altersfeststellung erhebt (AS 13).
Zu seinem Gesundheitszustand hat der Beschwerdeführer Behandlungsunterlagen aus dem Jahr 2018 zu einer Schulterluxation vorgelegt (AS 39 ff., AS 212 ff.). Zudem hat der Beschwerdeführer einen psychologischen Befund vom 11.05.2018 (AS 71) vorgelegt, aus dem die Diagnosen F 43.1 posttraumatische Belastungsstörung und F 32.1 mittelgradige depressive Episode hervorgehen, außerdem eine Bestätigung vom 24.07.2018 darüber, dass er zu einem Erstgespräch für Psychotherapie angemeldet ist und sich derzeit auf der Warteliste befindet (AS 211). Im Zuge der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 14.03.2019 gab der Beschwerdeführer befragt zu seinem Gesundheitszustand lediglich an, er habe psychische Probleme, nehme deshalb keine Medikamente und stehe auf der Warteliste bezüglich psychotherapeutischer Behandlung (OZ 8, S. 3). Weitere Unterlagen wurden seither nicht vorgelegt und weiteres Vorbringen auch nicht erstattet, (insbesondere Stellungnahme vom 11.09.2020, OZ 18) sodass das Bundesverwaltungsgericht davon ausgeht, dass die für das Jahr 2018 belegten Erkrankungen nicht mehr aktuell sind.
Die Feststellungen zur strafgerichtlichen Verurteilung des Beschwerdeführers beruhen auf dem im Akt einliegenden Protokollsvermerk und gekürzte Urteilsausfertigung des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 25.07.2018, 162 Hv 79/18b (AS 149 ff.).
Die Feststellungen zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten sowie den jeweiligen Verlängerungen der befristeten Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG beruht auf den im Akt einliegenden diesbezüglichen Bescheiden.
Dass er ein falsches Alter angegeben hat, hat der Beschwerdeführer im Zuge der niederschriftlichen Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 30.07.2018 selbst eingeräumt (AS 14). Die Differenz ergibt sich wiederum aus dem bereits zitierten vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl in Auftrag gegebenen Medizinischen Sachverständigengutachten betreffend „Multifaktorielle Diagnostik zur Feststellung eines absoluten Mindestalters“ (AS 175 ff.).
Zu Schulbesuch und Fußballverein hat der Beschwerdeführer (wiederholt) Bestätigungen und Zeugnisse vorgelegt. Dies gilt auch für seine Bildungsaktivitäten seit dem Jahr 2019 (OZ 18, Beilagen zu OZ 8). Zu seiner Beschäftigung im Rahmen des AMS-Projektes hat der Beschwerdeführer seinen Dienstvertrag in Vorlage gebracht (OZ 18), aus diesem und dem Schreiben seines Dienstgebers gehen auch die Modalitäten der Beschäftigung hervor. Die Bestellung des Bewährungshelfers geht aus der mit Beschwerde vorgelegten „Urkunde über die bedingte Strafnachsicht“ (AS 235-236) sowie der ebenso mit Beschwerde vorgelegten „Mitteilung über die Bestellung des/der Bewehrungshelferin“ vom 24.08.2018 (AS 237) hervor. Aus dem jüngsten Bericht des Bewährungshelfers geht hervor, dass der Beschwerdeführer seine Termine verlässlich wahrnimmt, die Betreuung wird aus Sicht der Bewährungshilfe als positiv beurteilt. Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer keine Grundversorgung mehr bezieht, beruht auf dem im Akt einliegenden Speicherauszug aus dem Betreuungsinformationssystem.
Die Feststellungen zum Verbleib der Angehörigen des Beschwerdeführers beruhen auf seinen gleichbleibenden Angaben im gesamten Verfahren, auch gab der Beschwerdeführer bereits in der niederschriftlichen Einvernahme durch das Bundesasylamt am 14.02.2013 an, er habe zwar die „Nummer“ mit, aber es sei niemand erreichbar gewesen (Zuerkennungsbescheid, S. 5). Auch ein Suchantrag an das Rote Kreuz ist aktenkundig (AS 67-69).
2.2. Zur Lage im Herkunftsstaat
Die Feststellung zum innerstaatlichen bewaffneten Konflikt in Afghanistan beruht auf dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Gesamtaktualisierung am 13.11.2019, letzte Information eingefügt am 21.07.2020 (in der Folge: Länderinformationsblatt), der EASO Country Guidance: Afghanistan von Juni 2019 (in der Folge: EASO Country Guidance) und dem auch deren Grundlage bildenden EASO COI Report. Afghanistan. Security situation. von Juni 2019 sowie den UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018 (in der Folge: UNHCR-Richtlinien), alle vom Bundesverwaltungsgericht mit Schreiben vom 27.08.2020 (OZ 17) in das Verfahren eingebracht.
Die Feststellungen zur Sicherheitslage in Laghman beruhen auf dem dem Länderinformationsblatt (Kapitel 2. Sicherheitslage, Unterkapitel 2.20. Laghman), dem EASO COI Report Afghanistan, Securitiy situation von Juni 2019 (2.21 Laghman, S. 201 ff.), sowie der EASO Country Guidance (Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel III. Subsidiary protection, Unterkapitel Article 15 (c) QU, Abschnitt Laghman, S. 108-109).
Die Feststellungen zur Sicherheitslage in Kabul beruhen im Wesentlich auf dem Länderinformationsblatt, Kapitel 2. Sicherheitslage, Unterkapitel 2.1. Kabul, den UNHCR-Richtlinien und dem EASO COI Report. Afghanistan. Security situation von Juni 2019, Kapitel 2.1 Kabul city, S. 67 ff. So berichten Länderinformationsblatt und UNHCR-Richtlinien von einer Verschlechterung der Sicherheitslage in Kabul sowie von einer Zunahme der zivilen Opfer. Insbesondere die UNHCR-Richtlinien berichten von negativen Trends hinsichtlich der Sicherheitslage und bestätigen, dass Kabul wiederholt die höchste Zahl ziviler Opfer verzeichnet und diese insbesondere auf Selbstmordanschläge und komplexe Angriffe regierungsfeindliche Kräfte zurückgehen, die zahlreiche Zivilisten auf ihren täglichen Wegen das Leben kosten. Die Gefahr, Opfer eines solchen Angriffs zu werden, sei bei sozialen und wirtschaftlichen Aktivitäten allgegenwärtig, etwa auf dem Arbeits- oder Schulweg, auf dem Weg zu medizinischen Behandlungen, beim Einkaufen, auf Märkten, in Moscheen oder an anderen Orten, wo viele Menschen zusammentreffen (Abschnitt III. Internationaler Schutzbedarf, Kapitel C. Interne Flucht-, Neuansiedlungs- oder Schutzalternative, Unterkapitel 4. Interne Flucht- oder Neuansiedlungsalternative in Kabul, Buchstabe a) Die Relevanz von Kabul als interner Schutzalternative, S. 127 f.). Insbesondere ergibt sich aus dem EASO COI Report. Afghanistan. Security situation von Juni 2019 auch keine Trendumkehr in Bezug auf die Sicherheitslage in Kabul, weswegen eine Verschlechterung der Sicherheitslage in Kabul festgestellt wurde.
Die Feststellungen zur Sicherheitslage in Balkh und Mazar-e Sharif basieren auf dem EASO COI Report: Afghanistan. Security situation von Juni 2019, Kapitel 3.5. Balkh, S. 108 ff.
Die Feststellungen zur Sicherheitslage in Herat beruhen auf dem Länderinformationsblatt, Kapitel 2. Sicherheitslage, Unterkapitel 2.13. Herat.
Die Feststellungen zur Versorgungslage beruhen auf dem Länderinformationsblatt, insbesondere Information vom 21.07.2020 unter Berücksichtigung von Kapitel 20. Grundversorgung.
Zur Plausibilität und Seriosität der herangezogenen Länderinformationen zur Lage im Herkunftsstaat ist auszuführen, dass die im Länderinformationsblatt zitierten Unterlagen von angesehen Einrichtungen stammen. Es ist auch darauf hinzuweisen, dass die Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl nach § 5 Abs. 2 BFA-VG verpflichtet ist, gesammelte Tatsachen nach objektiven Kriterien wissenschaftlich aufzuarbeiten und in allgemeiner Form zu dokumentieren. Auch das European Asylum Support Office (EASO) ist nach Art. 4 lit. a Verordnung (EU) Nr. 439/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Mai 2010 zur Einrichtung eines Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen bei seiner Berichterstattung über Herkunftsländer zur transparent und unparteiisch erfolgende Sammlung von relevanten, zuverlässigen, genauen und aktuellen Informationen verpflichtet. Damit durchlaufen die länderkundlichen Informationen, die diese Einrichtungen zur Verfügung stellen, einen qualitätssichernden Objektivierungsprozess für die Gewinnung von Informationen zur Lage im Herkunftsstaat. Den UNHCR-Richtlinien ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes besondere Beachtung zu schenken („Indizwirkung"), wobei diese Verpflichtung ihr Fundament auch im einschlägigen Unionsrecht findet (Art. 10 Abs. 3 lit. b der Richtlinie 2013/32/EU [Verfahrensrichtlinie] und Art. 8 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2011/95/EU [Statusrichtlinie]; VwGH 07.06.2019, Ra 2019/14/0114) und der Verwaltungsgerichtshof auch hinsichtlich der Einschätzung von EASO von einer besonderen Bedeutung ausgeht und eine Auseinandersetzung mit den „EASO-Richtlinien“ verlangt (VwGH 17.12.2019, Ra 2019/18/0405). Das Bundesverwaltungsgericht stützt sich daher auf die angeführten Länderberichte, wobei eine beweiswürdigende Auseinandersetzung im Detail oben erfolgt ist.
3. Rechtliche Beurteilung:
3.1. Zur ersatzlosen Behebung von Spruchpunkt II. des angefochtenen Aberkennungsbescheides (Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten)
Gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 ist einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten von Amtswegen mit Bescheid abzuerkennen, wenn die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8 Abs. 1 AsylG) nicht oder nicht mehr vorliegen.
§ 9 Abs. 1 Z 1 erster Fall AsylG 2005 erfasst die Konstellation, in der der Fremde schon im Zeitpunkt der Zuerkennung die dafür notwendigen Voraussetzungen nicht erfüllt hat, während § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall jene Konstellationen betrifft, in denen die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nachträglich weggefallen sind (VwGH 17.10.2019, Ro 2019/18/0005 m.w.N.).
Die belangte Behörde stützt sich in Spruchpunkt I. in Beschwerdevorentscheidung und Ausgangsbescheid lediglich auf § 9 Abs. 1 AsylG 2005, ohne explizit zu erkennen zu geben, auf welchen konkreten Aberkennungstatbestand sie Bezug nimmt. Aus den Feststellungen der belangten Behörde denen zufolge „die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten […] nicht mehr vor[liegen]“ (AS 89), ergibt sich jedoch klar, dass die belangte Behörde sich auf § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG 2005 stützt.
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist „die zu entscheidende Angelegenheit“ im Verfahren über die Beschwerde gegen einen Bescheid, mit dem dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wurde, die Aberkennung des subsidiären Schutzstatus an sich und damit sämtliche in § 9 Abs. 1 und 2 AsylG vorgesehenen Prüfschritte und Aussprüche (Zuletzt VwGH 29.06.2020, Ro 2019/01/0014). Demnach ist das Bundesverwaltungsgericht nicht auf den Aberkennungstatbestand des § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG beschränkt, sondern hat viel mehr alle Hinweise auf das Vorliegen der Voraussetzungen eines der Aberkennungstatbestände des § 9 Abs. 1 und Abs. 2 AsylG aufzugreifen.
Im Zuge der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 14.03.2019 brachte der Beschwerdeführer vor, die Behörde habe dem Beschwerdeführer den Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt, weil nach dem im Jahr 2018 nach Einleitung des Aberkennungsverfahren durchgeführten Altersgutachten der Beschwerdeführer nunmehr volljährig sei. Hierbei handle es sich eindeutig um einen geänderten Kenntnisstand der Behörde und nicht um veränderte Tatsachenumstände (OZ 8, S. 4).
3.1.1. Zu § 9 Abs. 1 Z 1 erster Fall AsylG 2005
Gegenständlich hat der Beschwerdeführer im Zuge der Antragstellung ein falsches Alter angegeben, das der Zuerkennung zugrunde gelegt wurde. Demnach liegen Hinweise auf das Vorliegen der Voraussetzungen des § 9 Abs. 1 Z 1 erster Fall AsylG 2005 vor.
Bei der Auslegung des § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 ist der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zufolge auf die unionsrechtlichen Vorgaben Bedacht zu nehmen (VwGH 27.05.2019, Ra 2019/14/0153, Rn 75-76).
Nach Art. 19 Abs. 3 lit. b Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Gemäß § 2 Abs. 1 Z 9 AsylG 2005 „Statusrichtlinie“) erkennen die Mitgliedstaaten einem Drittstaatsangehörigen oder einem Staatenlosen den subsidiären Schutzstatus ab, beenden diesen oder lehnen eine Verlängerung ab, wenn eine falsche Darstellung oder das Verschweigen von Tatsachen seinerseits, einschließlich der Verwendung falscher oder gefälschter Dokumente, für die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus ausschlaggebend war.
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist es nach dem klaren Wortlaut des § 9 Abs. 1 Z 1 erster Fall AsylG 2005 gesetzlich nicht geboten, prüfen zu müssen, ob der betreffende Fremde die Zuerkennung des Status als subsidiär Schutzberechtigter erschlichen hat (VwGH 14.08.2019, Ra 2016/20/0038).
Gegenständlich erfolgte die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten an den Beschwerdeführer mit Zuerkennungsbescheid vom 13.05.2013 an den Beschwerdeführer, weil dieser minderjährig und der Aufenthalt seiner Angehörigen nicht bekannt war (Zuerkennungsbescheid, S. 45). Dies trifft auch auf den Beschwerdeführer im Zuerkennungszeitpunkt bei Zugrundelegung des nunmehr festgestellten Alters zu.
Das im Zeitpunkt der Zuerkennung dem Bundesasylamt nicht bekannte Sachverhaltselement des tatsächlichen Mindestalters des Beschwerdeführers war demnach für die Zuerkennung nicht ausschlaggebend.
Damit ist der Tatbestand des § 9 Abs. 1 Z 1 erster Fall AsylG 2005 gegenständlich nicht erfüllt.
3.1.2. Zu § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG 2005
Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits ausgesprochen, dass es unter Berücksichtigung der Rechtskraftwirkung von Bescheiden nicht zulässig ist, die Aberkennung nach § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG auszusprechen, obwohl sich der Sachverhalt seit der Zuerkennung des subsidiären Schutzes bzw. der erfolgten Verlängerung nicht geändert hat (VwGH 17.10.2019, Ra 2019/18/0353). Auch der Verfassungsgerichtshof hat zu § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG bereits ausgesprochen, dass diese Bestimmung keine Neubewertung eines rechtskräftigen Entschiedenen Sachverhaltes erlaubt, sondern eine Aberkennung nach § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG lediglich in Frage kommt, wenn sie die Umstände nach der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten maßgeblich geändert haben (VfGH 24.09.2019, E 2330/2019).
In seiner Judikatur zum Aberkennungstatbestand des § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG zeichnet der Verwaltungsgerichtshof im Wesentlichen das Prüfschema vor, dass zunächst zu ermitteln ist, ob, seit dem Beschwerdeführer zuletzt eine befristete Aufenthaltsberechtigung nach § 8 Abs. 4 AsylG erteilt wurde, neue Umstände hinzugetreten sind. Erst wenn dies zu bejahen ist, ist eine erneute Gesamtbeurteilung vorzunehmen, bei der alle für die Entscheidung maßgeblichen Elemente einbezogen werden, auch wenn sie sich vor der letzten Verlängerung ereignet haben (VwGH 17.10.2019, Ra 2019/18/0353).
Zur unionsrechtskonformen Interpretation des § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG zieht der Verwaltungsgerichtshof das Erforderlichkeitskalkül des Art. 16 Abs. 1 und Abs. 2 Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (in der Folge Statusrichtlinie) heran (VwGH 27.05.2019, Ra 2019/14/0153).
Art. 16 Abs. 1 Statusrichtlinie sieht vor, dass ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser keinen Anspruch auf subsidiären Schutz mehr hat, wenn die Umstände, die zur Zuerkennung des subsidiären Schutzes geführt haben, nicht mehr bestehen oder sich in einem Maße verändert haben, dass ein solcher Schutz nicht mehr erforderlich ist. Nach Abs. 2 leg. cit. berücksichtigen die Mitgliedstaaten bei Anwendung des oben zitierten Abs. 1, ob sich die Umstände so wesentlich und nicht nur vorrübergehend verändert haben, dass die Person, die Anspruch auf subsidiären Schutz hat, tatsächlich nicht länger Gefahr läuft, einen ernsthaften Schaden zu erleiden.
Eine solche Änderung der Umstände kann sich nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes aus einer Änderung der tatsächlichen Umstände im Herkunftsstaat ergeben, aber auch in der persönlichen Situation des Fremden gelegen sein, wobei es regelmäßig nicht auf den Eintritt eines einzelnen Ereignisses ankommt (VwGH 27.05.2019, Ra 2019/14/0153).
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bringt die Behörde vor dem Hintergrund der dafür nach dem Gesetz vorgesehenen Voraussetzungen durch ihre Entscheidung, die befristete Aufenthaltsberechtigung zu verlängern, zum Ausdruck, dass sie davon ausgeht, es seien im Zeitpunkt ihrer Entscheidung, mit der sie die Verlängerung bewilligt, weiterhin jene Umstände gegeben, die für die Zuerkennung von subsidiärem Schutz maßgeblich seien (VwGH 17.10.2019, Ra 2019/18/0353).
Dem Beschwerdeführer wurde zuletzt mit Bescheid vom 24.05.2016, zugestellt am 27.05.2016, eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 erteilt, weswegen gegenständlich Änderungen im Hinblick auf den in diesem Zeitpunkt maßgeblichen Sachverhalt relevant sind.
Begründend führte die belangte Behörde im Hinblick auf die von ihr angenommene Sachverhaltsänderung aus, die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten würden nicht mehr vorliegen, der Beschwerdeführer habe sich weitergebildet und sei jetzt volljährig. Die belangte Behörde stellt damit auf eine Änderung in der persönlichen Situation des Beschwerdeführers im Sinne der oben zitierten Rechtsprechung ab.
Bei der Frage, ob sich die Umstände so wesentlich und nicht nur vorübergehend verändert haben, sodass Anspruch auf subsidiären Schutz nicht länger besteht, kommt es nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes regelmäßig nicht allein auf den Eintritt eines einzelnen Ereignisses an. Der Wegfall der Notwendigkeit, auf den Schutz eines anderen Staates angewiesen zu sein, kann sich auch als Ergebnis unterschiedlicher Entwicklungen von Ereignissen, die sowohl in der Person des Fremden als auch in der in seinem Heimatland gegeben Situation gelegen sein können, darstellen. Bei einem Fremden, dem als Minderjähriger subsidiärer Schutz zuerkannt worden ist, kann das Erreichen der Volljährigkeit eine Rolle spielen, etwa dadurch, dass im Lauf des fortschreitenden Lebensalters in maßgeblicher Weise Erfahrungen in diversen Lebensbereichen hinzugewonnen werden (VwGH 29.11.2019, Ra 2019/14/0449).
Der Verwaltungsgerichtshof stellt in der eben zitierten Rechtsprechung nicht auf das „formale“ Kriterium der Volljährigkeit ab, sondern darauf, dass im Lauf des fortschreitenden Lebensalters in maßgeblicher Weise Erfahrungen in diversen Lebensbereichen hinzugewonnen wird.
Zwar ist der Beschwerdeführer seit ihm zuletzt mit Bescheid vom 24.05.2016, zugestellt am 27.05.2016, eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 erteilt wurde, wie mittlerweile festgestellt, volljährig geworden. Ein maßgeblicher und nachhaltiger Lebenserfahrungsgewinn in diversen Lebensbereichen im Sinne der oben zitierten Rechtsprechung ist jedoch noch nicht ersichtlich.
So hat der Beschwerdeführer die seither besuchten Weiterbildungsmaßnahmen noch nicht abgeschlossen und verfügt kaum über Berufserfahrung. Er ist gegenwärtig lediglich im „zweiten“ Arbeitsmarkt beschäftigt, auch wenn er bedingt durch dieses Einkommen keine Grundversorgung mehr bezieht. Zudem wird der Beschwerdeführer am Arbeitsplatz von SozialarbeiterInnen betreut und im Rahmen der Bewährungshilfe. Damit ist zwar erkennbar, dass der Beschwerdeführer beginnt, die sich die Kompetenzen zur eigenständigen Lebensführung zu erwerben, sich fortzubilden und erste Schritte auf dem Arbeitsmarkt und in Richtung Selbsterhaltungsfähigkeit und Verantwortungsübernahme zu setzen. Diese Entwicklung erweist sich jedoch noch nicht als nachhaltig im Sinne des Art. 16 Statusrichtlinie, der nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes – wie bereits ausgeführt – zur unionsrechtskonformen Interpretation des § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG 2005 heranzuziehen ist (VwGH 27.05.2019, Ra 2019/14/0153).
Im Hinblick auf die tatsächlichen Umstände im Herkunftsstaat ist eine maßgebliche Sachverhaltsänderung nicht ersichtlich und ist auch dem angefochtenen Aberkennungsbescheid nicht zu entnehmen, dass die belangte Behörde von einer diesbezüglichen Sachverhaltsänderung ausgeht.
Mangels hinzutreten neuer Umstände steht sohin einer neuen Gesamtbeurteilung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Rechtskraft des Bescheides vom 24.05.2016 entgegen (VwGH 17.10.2019, Ra 2019/18/0353).
Hinweise darauf, dass einer der Aberkennungstatbestände des § 9 Abs. 1 Z 1 erster Fall, Z 2, Z 3 oder 2 AsylG erfüllt wäre, haben sich im Verfahren nicht ergeben.
Zwar wurde der Beschwerdeführer rechtskräftig strafgerichtlich verurteilt. Allerdings handelt es sich um Vergehen, weswegen der Tatbestand des § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG 2005 nicht erfüllt ist. Weiter wurde der Beschwerdeführer lediglich zu bedingten sehr kurzen Haftstrafen von vier Wochen verurteilt und ist daher nicht ersichtlich, dass der Beschwerdeführer eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Republik Österreich gemäß § 9 Abs. 2 Z 2 AsylG im Sinne der Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts (VfGH 13.12.2011, U 1907/10; VwGH 30.08.2017, Ra 2017/18/0155) darstellen würde.
Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides war damit ersatzlos zu beheben.
3.2. Zur ersatzlosen Behebung der Spruchpunkte IV. bis VII. des angefochtenen Aberkennungsbescheides
Nachdem dem Beschwerdeführer infolge der Behebung von Spruchpunkt II. des angefochtenen Aberkennungsbescheides mit gegenständlichem Erkenntnis weiterhin der Status des subsidiär Schutzberechtigten zukommt, war auch die mit Spruchpunkt V. des angefochtenen Aberkennungsbescheides nach § 10 Abs. 1 Z 5 AsylG 20555 iVm § 9 BFA-VG gemäß § 52 Abs. 2 Z 4 FPG erlassene Rückkehrentscheidung, sowie die weiteren damit verbundenen Aussprüche (Spruchpunkte V. bis VII.) ersatzlos zu beheben (Vgl. VwGH 21.05.2019, Ro 2019/19/0006).
3.3. Zur Stattgebung der Beschwerde gegen die Spruchpunkte I. und III. des Aberkennungsbescheides (Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG)
Nach § 8 Abs. 4 AsylG ist die gleichzeitig mit der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannte Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter im Falle des weiteren Vorliegens der Voraussetzungen über Antrag des Fremden für jeweils zwei weitere Jahre zu verlängern. Nach einem Antrag des Fremden besteht die Aufenthaltsberechtigung bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Verlängerung des Aufenthaltsrechts fort, wenn der Antrag auf Verlängerung vor Ablauf der Aufenthaltsberechtigung gestellt worden ist.
Gemäß § 9 Abs. 4 AsylG ist die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten mit dem Entzug der Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter zu verbinden. Der Fremde hat nach Rechtskraft der Aberkennung Karten, die den Status des subsidiär Schutzberechtigten bestätigen, der Behörde zurückzustellen.
Für die Rechtswirkung eines gemäß § 9 Abs. 4 AsylG erfolgten Ausspruches spielt es nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes keine Rolle, ob er in seiner Formulierung an den dort enthaltenen Gesetzestext angelehnt wird oder sprachlich in der Abweisung des Verlängerungsantrages zum Ausdruck kommt. Die behördliche Anordnung im Fall eines fristgerecht gestellten Verlängerungsantrages zielt darauf ab, das zuvor nach § 8 Abs. 4 erteilte Recht zum Aufenthalt nicht weiter bestehen zu lassen (VwGH 30.10.2019, Ro 2019/14/0007). Demnach ist in der Abweisung des Verlängerungsantrages nach § 8 Abs. 4 AsylG sowie im Entzug der Aufenthaltsberechtigung nach § 9 Abs. 4 AsylG dieselbe Entscheidung in unterschiedlicher sprachlicher Variation zu erblicken.
Nachdem mit gegenständlichem Erkenntnis das weitere Vorliegen der Voraussetzung für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten bejaht wurden (siehe oben unter 3.1.), war dem Beschwerdeführer in Stattgebung der Beschwerde gegen die Spruchpunkte II. und III. des angefochtenen Bescheides die mit Zuerkennungsbescheid erteilte Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG spruchgemäß um weitere zwei Jahre zu verlängern.
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung nicht nur aus Anlass der erstmaligen Erteilung der Aufenthaltsberechtigung, sondern auch bei der Verlängerung die Gültigkeitsdauer der zu erteilenden Berechtigung ausgehend vom Entscheidungszeitpunkt festzulegen (VwGH 27.12.2019, Ra 2019/18/0281). Beim im Aberkennungsverfahren durch Einzelrichter entscheidenden Bundesverwaltungsgericht ist dies der Zeitpunkt, in dem die Entscheidung erlassen, das heißt verkündet oder zugestellt wird (VwGH 27.04 2016, Ra 2015/05/0069).
Die befristete Aufenthaltsberechtigung gilt damit zwei Jahre ab Zustellung des Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichts an den Beschwerdeführer.
4. Unzulässigkeit der Revision:
Die Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG vorliegt. Das Bundesverwaltungsgericht folgt in seiner Prüfung hinsichtlich der Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten der vorliegenden jüngsten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum Themenkomplex der Aberkennung nach § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG, die unter 3. zitiert wird.
Schlagworte
Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten Aberkennungstatbestand § 9 Abs. 1 Aberkennungstatbestand § 9 Abs. 2 befristete Aufenthaltsberechtigung Behebung der Entscheidung ersatzlose Teilbehebung Pandemie Rechtsanschauung des VwGH Rückkehrentscheidung behoben Sicherheitslage strafrechtliche Verurteilung Suchtmitteldelikt Vergehen Verlängerung Verschlechterung Versorgungslage Volljährigkeit wesentliche ÄnderungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:W102.2211377.1.00Im RIS seit
11.01.2021Zuletzt aktualisiert am
11.01.2021