Entscheidungsdatum
13.10.2020Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W274 2196881-1/15E
GEKÜRZTE AUSFERTIGUNG DES AM 24.9.2020 MÜNDLICH VERKÜNDETEN ERKENNTNISSES
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch Mag. LUGHOFER als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , XXXX , XXXX , XXXX , StA. Iran, vertreten durch Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH, Wichtelgasse 57-59/Dachgeschoß, 1170 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Steiermark, vom 30.04.2018, ZI. 1110325607 – 160477397/BMI-BFA_STM_RD, nach öffentlicher mündlicher Verhandlung zu Recht erkannt:
Der Beschwerde wird Folge gegeben und XXXX gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.
Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes Flüchtlingseigenschaft zukommt.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
Der BF beantragte am 4.4.2016 vor der Landespolizeidirektion Burgenland internationalen Schutz mit der Behauptung, er habe vom Islam zum Christentum konvertieren wollen. Er habe dort christliche Gottesdienste besucht. Ein paar Freunde seien von der Polizei festgenommen worden, zwei davon gehängt. Sie hätten nach ihm gesucht, deshalb habe er seine Heimat verlassen müssen.
Aufgrund eines Fingerprints in Ungarn fand ein Konsultationsverfahren statt, wobei Ungarn den BF nicht übernahm.
Vor dem BFA führte der BF am 21.3.2018 vernommen eine längere Fluchtgeschichte aus, wonach er zusammengefasst etwa 2012 einen Armenier kennenlernte, der ihm aus der Bibel vorgelesen hatte, den er 2015 wieder zufällig getroffen habe, der ihn an eine „Bibellesung“ vermittelt habe, zu der er auch seine Freundin eingeladen habe, die ihn letztlich verraten habe. Beamten seien nach Hause gekommen, woraufhin er innerhalb von ca. drei Tagen die Flucht angetreten habe. Er sei mit dem Flugzeug von Teheran nach Istanbul gereist, wo er zufällig seinen Cousin, den Zeugen XXXX , getroffen habe.
Er sei noch nicht getauft, habe seine Taufvorbereitung aus personellen Gründen der Kirche unterbrechen müssen, wolle diesen fortsetzen und sich taufen lassen.
Mit dem bekämpften Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag auf internationalen Schutz betreffend Asyl und Subisidiärschutz ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel, erließ eine Rückkehrentscheidung, stellte die Zulässigkeit der Abschiebung fest und setzte eine Ausreisefrist.
Begründend führte die belangte Behörde aus, die Identität stehe ebensowenig fest wie eine Konversion. Die Angaben des BF seien vage und oberflächlich gewesen. Es handle sich um einen konstruierten Fluchtgrund.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde des BF wegen Rechtswidrigkeit in Folge mangelhaften Ermittlungsverfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilungen mit dem Antrag, den BF Asyl zu gewähren. Die Beschwerde enthält Sachvorbringen zu den Asylgründen und geht auf die Begründung des Bescheides ein.
Die belangte Behörde legte den Akt samt der Beschwerde dem BVwG am 29.5.2018 vor, er kam der Abteilung W274 am 2.10.2018 zu.
Nach ergänzenden Urkundenvorlagen erfolgte am 24.9.2020 eine öffentliche mündliche Verhandlung vor dem BVwG, in der ergänzende Urkunden vorgelegt wurden und der BF als Partei sowie XXXX , XXXX und XXXX als Zeugen vernommen wurden.
Aufgrund der gesamten Verfahrensergebnisse steht folgender Sachverhalt fest:
Der BF ist am 27.08.1992 in eine muslimisch-schiitische Azeri-Familie in Teheran geboren, hat dort die Schule besucht, die Matura nicht abgeschlossen, den Wehrdienst abgeleistet und in einer Schuhproduktion gearbeitet. Seine Familie lebt nach wie vor im Iran.
Nicht festgestellt werden konnte, dass der BF bereits etwa 2012 durch einen Armenier besonderes Interesse für das Christentum entwickelt hätte, diesen 2015 zufällig wieder traf, über ihn vermittelt und mit ihm eine „Bibellesung“ besuchte, seine Freundin dorthin einlud und sodann erfuhr, dass er zu Hause von den Behörden gesucht wurde, was er lediglich mit einem Verrat durch seine Freundin erklären könne.
Der BF reiste Anfang 2016 über die „Balkan-Route“ nach Österreich, wo er Anfang April 2016 eintraf und Asyl beantragte. Nach etwa dreiwöchigem Aufenthalt in Salzburg gelangte er über Straden am 21.4.2016 in den steirischen Ort XXXX , Bezirk XXXX , wo er zunächst bis August 2019 mit anderen Flüchtlingen den katholischen Pfarrhof bewohnte. Er wurde sodann für etwa zwei Monate nach XXXX verlegt und ist seit Oktober 2019 in einer Flüchtlingsunterkunft in XXXX In XXXX bestand zum damaligen Zeitpunkt eine auch von der Zivilbevölkerung getragene Initiative zur Unterstützung der dort aufhältigen Flüchtlinge. Der BF fand dort in einer gewissen Eigeninitiative zur katholischen Kirche, die er besuchte und über die er zur in Graz XXXX stattfindenden Taufvorbereitung für Farsisprecher gelangte, die er mit einer – nicht von ihm veranlassten – Unterbrechung fortlaufend besuchte und am 14.10.2018 in Graz XXXX durch den dortigen Pfarrmoderator XXXX getauft und gefirmt wurde. Der BF besucht weiterhin – nunmehr von XXXX aus - auch die Gottesdienste in XXXX am Sonntag, darüber hinaus jene in XXXX am Samstag.
Nicht wiederlegt ist, dass der BF zwischenzeitlich innerlich zum Christentum konvertiert ist, sodass er auch unter geänderten Verhältnissen das Bedürfnis hätte, diesen Glauben äußerlich und innerlich auszuleben.
Der BF hat Sprachkurse Deutsch bis zum Niveau A2 abgeschlossen, zeitweise angemeldet als Erntehelfer gearbeitet und sich immer wieder ehrenamtlich betätigt. Er ist in Österreich unbescholten und genießt die Unterstützung der örtlichen Bevölkerung in XXXX und zuvor in XXXX .
Beweiswürdigung:
Die „Fluchtgeschichte“ ist als Erzählung nicht plausibel, enthält zu viele Zufälle und ist insbesondere deshalb nicht glaubhaft, weil der BF im Rahmen der Erstbefragung darüber hinaus auch behauptete, dass Freunde von ihm festgenommen worden seien und zwei gehängt worden seien, was er in weiterer Folge nicht aufrecht erhielt, aber auch nicht erklären konnte.
Insgesamt kam hervor, dass der BF über eine einfache Bildung verfügt, sprachlich nicht besonders gewandt auftrat und vor Gericht auch sichtlich nervös war.
Objektiviert ist durch Zeugenaussagen im Zusammenhalt mit zahlreichen vorgelegten Urkunden und Bildern, dass der BF als Flüchtling in seinen „Gastgemeinden“ durchgehend auf positive Resonanz stieß und bereits seit Beginn seines Aufenthalts in XXXX – offenbar als einziger einer größeren Gruppe – in einer gewissen Eigenständigkeit die katholische Kirche besuchte und wöchentlich 40 Kilometer zum Taufunterricht fuhr. Der Zeuge XXXX , pensionierter Hauptschullehrer und engagiert in der Flüchtlingsintegration in seiner Heimatgemeinde, führte eher nebenbei aus, dass er und seine Frau vom BF gefragt wurden, ob sie den BF in die Kirche mitnähmen, wohin der BF in weiterer Folge auch selbst gegangen sei. Die gesamten Beweisergebnisse zeigen eine große zeitliche Konsistenz betreffend seinen Kirchenbesuch. Die Veränderung von XXXX nach XXXX hatte äußere Gründe abseits vom BF. Der angereiste Pfarrmoderator von Graz XXXX bestätigte die bislang dauerhafte Zugehörigkeit zur Gemeinde und die Taufvorbereitung, allerdings unter einer delegierten Verantwortung. Der Zeuge XXXX bestätigte auch nach außen wahrnehmbares Auftreten des BF als Fürbittenleser.
Die theoretischen Kenntnisse des BF betreffend seinen neuen Glauben erschienen – wohl rückführbar auch auf den Bildungsstand – relativ gering. Er war aber in der Lage, selbständig anzugeben, dass gleichzeitig mit der Taufe auch die Firmung stattfand und schilderte offenbar mit eigenen Worten und insofern nicht eingelernt wirkend, wenn auch auf eine sehr einfache Weise, eine Bibelgeschichte. Wenn der BF mehrmals zum Ausdruck brachte, sich in der Kirche gut und ruhig gefühlt zu haben, so wirkte dies bei ihm nachvollziehbar. Äußere Umstände, die im Gegensatz zum von ihm nun behaupteten christlichen Glauben stehen, kamen nicht hervor.
Rechtlich folgt:
Wenngleich eine christliche Vorprägung des BF im Iran nicht hervorkam, so bestehen durch die festgestellten Umstände der Taufe und Zugehörigkeit zur katholischen Kirche, praktisch auch des langdauernden wöchentlichen Kontakts sowohl zur Wohnsitzpfarre XXXX als auch XXXX , äußere Umstände, die eine innere Konversion im Sinne der Judikatur des VfGH nicht unwahrscheinlich machen. In Bezug auf die langjährige konsistente Ausübung der katholischen Religion, des Lebenswandels, teilweise auch der persönlichen Angaben des BF zu seinem Glauben und letztlich der Bezeugungen der Ernsthaftigkeit der Konversion durch die Zeugen XXXX und XXXX , deren Angaben jeweils sachlich wirkten, ist eine innere Konversion aus Sicht des Gerichts jedenfalls nicht widerlegt, sodass im Sinne der hierzu ergangen Rechtsprechung die Beschwerde im Ergebis berechtigt und dem BF Asyl zu gewähren war.
Der Ausspruch der Unzulässigkeit der Revision folgt dem Umstand, dass zur Konversion von Iranern zum Christentum höchstgerichtliche Rechtsprechung vorliegt und im Wesentlichen Umstände des Einzelfalls zu beurteilen waren.
Eine Ausfertigung des Erkenntnisses wurde innerhalb der Frist des § 29 Abs. 4 VwGVG nicht beantragt. Die Ausfertigung konnte daher gemäß § 29 Abs 5 VwGVG in gekürzter Form erfolgen.
Schlagworte
asylrechtlich relevante Verfolgung Christentum Flüchtlingseigenschaft gekürzte Ausfertigung KonversionEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:W274.2196881.1.00Im RIS seit
11.01.2021Zuletzt aktualisiert am
11.01.2021