Entscheidungsdatum
13.10.2020Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W274 2195826-1/11E
GEKÜRZTE AUSFERTIGUNG DES AM 23.9.2020 MÜNDLICH VERKÜNDETEN ERKENNTNISSES
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch Mag. LUGHOFER als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , XXXX , XXXX , StA. Iran, vertreten durch Mag. Nadja LORENZ, Rechtsanwältin, Burggasse 116/17-19, 1070 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl, Aussenstelle Wien vom 16.04.2018, ZI. 1098982709/152003009/BMI-BFA_WIEN_RD, nach öffentlicher mündlicher Verhandlung zu Recht erkannt:
Der Beschwerde wird Folge gegeben und XXXX gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 der
Status des Asylberechtigten zuerkannt.
Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes
Flüchtlingseigenschaft zukommt.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
Der BF beantragte am 16.12.2015 vor der PI-Schwechat internationalen Schutz mit dem Vorbringen, sein Vater sei 2003 im Iran hingerichtet worden, weil er zum Christentum übergetreten sei. Danach hätten sie viele Probleme gehabt. Er sei Kurde und werde als solcher im Iran unterdrückt. Er habe Angst um sein Leben gehabt und habe deshalb fliehen müssen.
Am 11.04.2018 gab der BF vor dem BFA zusammengefasst an, er sei sunnitischer Moslem. Er legte eine Todesanzeige des Vaters in Übersetzung vor, wonach dieser im Gefängnis erhängt worden sei. Er habe eine Freundin und sei in Grundversorgung. Seine Mutter sei 2005 im Gefängnis Rajai Shahr gewesen. Seine Schwester Zahra habe den Iran im März 2015 in Begleitung ihres Mannes in die Türkei verlassen. Er sei Hobbyfotograf und habe die verlassene Wohnung seiner Schwester zeitweise benutzt. Im September 2015 sei über eine Anzeige von Nachbarn die Polizei gekommen und habe unter anderem 180 DVD der heiligen Maria, gehörig der Schwester des BF, beschlagnahmt. Er sei insgesamt 4 Tage in Gewahrsam gewesen und über Kaution (Hinterlegung seines Gewerbescheines) vorläufig freigekommen. Nach 2 Wochen seien Personen in Zivil zum Geschäft gekommen und hätten nach ihm gefragt. Der BF habe vom Richter einen Gerichtstermin erhalten. Der so dann beigezogene Anwalt habe eine negative Prognose für den Prozessausgang gestellt. Es gäbe keinen Gegenbeweis von seiner Schwester. Seine Mutter habe dann einen Schlepper gefunden und er habe dann den Iran verlassen.
Mit dem bekämpften Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf Asyl und Subsidiärschutz ab (Spruchpunkte I. und II.), erteilte keinen Aufenthaltstitel, erließ eine Rückkehrentscheidung und erklärte die Abschiebung für zulässig (Spruchpunkt III.) und setzte eine Frist für die freiwillige Ausreise.
Begründend erachtete die belangte Behörde die Identität des BF als nicht feststehend und „aufgrund der vagen und nicht substantiierten Angaben rund um die vermeintliche Verfolgungshandlung“ das gesamte Vorbringen als unglaubhaft.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde des BF, noch vertreten durch Diakonie Flüchtlingsdienst, wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts und Verletzung wesentlicher Verfahrensvorschriften. Der BF erstattete Sachvorbringen im Sinne seiner Ausführungen vor dem BFA und brachte vor, er mache einen B1-Kurs und führe eine Lebensgemeinschaft mit einer in Österreich asylberechtigten Person. Betreffend Familienstand und „Bedrohung durch die Brüder“ habe die Behörde einen aktenwidrigen Sachverhalt festgestellt.
Die Beschwerde wurde dem BVwG am 17.05.2018 vorgelegt und langte am 02.10.2018 in dieser Abteilung ein.
Aufgrund des gesamten Akteninhalts im Zusammenhalt mit den Ergebnissen der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG am 23.9.2020 steht folgender Sachverhalt fest:
Es ist glaubhaft, dass der Vater des BF – die Familie sind im Iran lebende Kurden – am 26.04.2003 nach langer Verhaftung durch iranische Staatsorgane durch Erhängen exekutiert wurde (u.a. AS 83). Es kamen keine Anhaltspunkte hervor, dass dies im Zusammenhang mit Kriminalstrafen wie Mord etc. steht. Es ist auch glaubhaft, dass ein Onkel des BF und ein Cousin des Vaters durch Exekution im Iran in den Jahren 1991 bzw. 2007 zu Tode kamen. Es ist auch glaubhaft, dass die Mutter des BF im Zusammenhang mit dem Vorwurf von Verstößen gegen das Demonstrationsrecht 2007 in Haft war.
Es ist weiters glaubhaft, dass der BF etwa im September 2015 in der Wohnung der Schwester, die aus dem Iran geflohen war, die der BF zeitweise als Fotoatelier verwendete, durch die Polizei aufgesucht, von dieser mitgenommen und zu Gericht gebracht und für 4 Tage angehalten wurde, wobei ihm insbesondere der Vorwurf gemacht wurde, durch in der Wohnung der Schwester vorgefundene DVDs mit christlichem Inhalt Missionierung zu betreiben. Weiters ist glaubhaft, dass der BF durch Hinterlegung seiner Gewerbeberechtigung als Automechaniker vorerst freikam, allerdings in weiterer Folge neuerlich zu Gericht geladen wurde und aufgrund der diesbezüglichen Vorwürfe im Zusammenhalt mit den Exekutionen von Familienmitgliedern aus gegründeter Furcht vor exzessiven Konsequenzen den Iran verließ und mit dem großen Flüchtlingsstrom über die „Balkanroute“ nach Österreich gelangte.
Der BF ist in Österreich unbescholten und für das Gericht erkennbar gegenüber den Sicherheitsbehörden nicht in Erscheinung getreten. Er führt seit etwa 4 Jahren eine Beziehung mit der ihn heute begleitenden XXXX , anerkannte Asylberechtigte in Österreich. Er war zeitweise selbstständig als Werbemittelverteiler tätig, befindet sich derzeit wieder in Grundversorgung und hat einen Deutschkurs auf Niveau B1 besucht, aber die diesbezügliche Prüfung nicht absolviert.
Beweiswürdigung:
Der BF hat bereits in der Erstbefragung und vor dem BFA angegeben, dass sein Vater 2003 (als der BF etwa 10 Jahre alt war) hingerichtet wurde. Er legte diesbezüglich bereits vor dem BFA und nunmehr vor Gericht nachvollziehbare Urkunden bzw. Kopien von Urkunden, teils auch in beglaubigter Übersetzung, sowie teilweise übersetzt durch den Dolmetsch im Rahmen der Verhandlung vor, die diese Umstände glaubhaft machen und keinen Hinweis darauf liefern, dass diese Hinrichtungen im Zusammenhang mit einem Kapitalverbrechen des Vaters des BF stünden. Der BF legte auch vor Gericht Urkunden bzw. Unterlagen vor, die die Behauptung der Hinrichtung eines Onkels und eines Onkels zweiten Grades untermauern, ebenso eine Inhaftierung der Mutter des BF im Zusammenhang mit dem Vorwurf in Bezug auf Demonstrationsteilnahmen. Der BF nannte bereits im Zusammenhang der Mutter vor dem BFA eine Haftanstalt im Iran, die im Internet als einschlägig aufzufinden ist.
Im Zusammenhalt all dieser Unterlagen und der im wesentlichen gleichmäßigen Angaben des BF im Verfahrensverlauf ist es daher glaubhaft, dass der BF aufgrund mehrerer Hinrichtungen enger Familienmitglieder sowie einer zeitweiligen Inhaftierung der Mutter eine gesteigerte Angst vor behördlicher Verfolgung hat.
Auch die – etwas komplexe – Fluchtgeschichte vor dem BFA wurde im Wesentlichen vor Gericht in gleicher Weise dargestellt. Anlässlich mehrerer Detailnachfragen kamen keine Widersprüche hervor, die nicht durch die Übersetzungsproblematik erklärbar wären. Der BF konnte alle Umstände in einem plausiblen Geschehensablauf bringen. Beispielsweise legte er auch glaubwürdig dar, dass er als Kaution zunächst lediglich seine Gewerbeberechtigung hinterlegte, was er auch vor dem BFA mehrmals so angegeben hatte (dort S7 und 10). Der BF legte auch – passend zu seinen Angaben vor dem BFA S10 – Fotos seines Geschäfts vor, wobei sich auf einem ein vom Dolmetsch übersetzter Versiegelungsbefehl befindet.
Vor dem Hintergrund der Länderinformationen betreffend Missionierung bzw. Abfall vom Islam ist es nachvollziehbar, dass der Fund von religiösem Material behördliche Verfolgung nach sich ziehen kann. Vor dem Hintergrund der persönlichen Familiengeschichte ist eine Furcht des BF vor diesbezüglich massiver weiterer Verfolgung nach Freilassung auf Kaution gegründet. In diesem Zusammenhang gab der BF auch an, nach dem ihm Erzählten sei sein Vater – zu Unrecht – wegen Missionierung verfolgt und exekutiert worden, was die Gegründetheit der Furcht des BF besonders nachvollziehbar macht.
Rechtlich folgt:
Der festgestellte Fluchtgrund stellt sich vor dem Hintergrund der Verhältnisse im Iran als Asylgrund der Verfolgung wegen Religion dar, und zwar in dem Sinne, dass dem BF eine derartige Einstellung seitens staatlicher Behörden unterstellt wird, die eine Verfolgung nach sich zieht. Nach ausdrücklicher gesetzlicher Regelung kommt es nicht darauf an, ob die dem BF zugeschriebenen Eigenschaften auch tatsächlich bestehen, wofür im Sinne einer Konversion keine Anhaltspunkte bestehen und auch keine Behauptung erhoben wurde.
Insgesamt erweist sich die Beschwerde daher als zutreffend, wobei am Rande festgehalten wird, dass es tatsächlich keine Anhaltspunkte für die Feststellungen betreffend Familie des BF und eine Bedrohung durch seine Brüder (Bescheid S 13) durch die belangte Behörde gibt.
Der Ausspruch zur Unzulässigkeit der Revision gründet auf dem Einzelfallcharakter der Entscheidung.
Eine Ausfertigung des Erkenntnisses wurde innerhalb der Frist des § 29 Abs. 4 VwGVG nicht beantragt. Die Ausfertigung konnte daher gemäß § 29 Abs 5 VwGVG in gekürzter Form erfolgen.
Schlagworte
asylrechtlich relevante Verfolgung Flüchtlingseigenschaft gekürzte Ausfertigung Religion religiöse GründeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:W274.2195826.1.00Im RIS seit
11.01.2021Zuletzt aktualisiert am
11.01.2021