TE Bvwg Erkenntnis 2020/11/11 W252 2147407-1

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Veröffentlicht am 11.11.2020
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Entscheidungsdatum

11.11.2020

Norm

AsylG 2005 §3
B-VG Art133 Abs4

Spruch

W252 2147407-1/19E

Schriftliche Ausfertigung des am 28.09.2020 mündlich verkündeten Erkenntnis

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag.a Elisabeth SCHMUT LL.M. über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Äthiopien, gegen Spruchpunkt I. des Bescheids des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 10.01.2017, Zl. XXXX , zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist nicht zulässig


Text


Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (in weiterer Folge: „BF“) stellte am 26.10.2014, als damals noch Minderjähriger, einen Antrag auf internationalen Schutz und wurde am selben Tag durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt. Als Fluchtgrund gab der BF an, dass sein Großvater und sein Onkel von der ONLF in Äthiopien getötet worden seien und die Familie nach Hargeysa geflüchtet sei. Im Falle einer Rückkehr habe der BF Angst vor der ONLF.

2. In der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: „Bundesamt“) am 19.10.2016 gab der BF als Fluchtgrund im Wesentlichen an, er könne wegen der ONLF nicht mehr nach Äthiopien zurück. Die Familie sei von der ONLF aufgefordert worden, mit ihnen zusammenzuarbeiten. Als sie sich geweigert hätten, seien der Onkel und der Großvater des BF getötet worden.

3. Mit dem angefochtenen Bescheid wies das Bundesamt den Antrag des BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ab (Spruchpunkt I.) und erkannte ihm den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II.). Ferner wurde ihm die befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 10.01.2018 erteilt (Spruchpunkt III.).

4. Mit Schriftsatz vom 08.02.2017, am Folgetag bei der belangten Behörde eingelangt, erhob der BF durch seine Rechtsvertretung fristgerecht Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des Bescheides. Begründend wurde zusammengefasst vorgebracht, dass sich die Angaben des BF über die ONLF zur Gänze mit den Informationen der landeskundlichen Feststellungen decken würden. Dem BF drohe als Angehörigen der von der ONLF getöteten Familienmitglieder ebenfalls eine Verfolgung durch die ONLF. Der Umstand, dass die Familie des BF nach wie vor nicht in die Somali Region zurückkehre, sondern in Somalia verbleibe, deute ebenfalls auf die gegenwärtige und erhebliche Gefährdungslage der gesamten Familie hin.

Neben der Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurde beantragt, das Bundesverwaltungsgericht möge dem BF den Status eines Asylberechtigten zuerkennen.

5. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 28.09.2020 in Anwesenheit eines Dolmetschers für die somalische Sprache und der Rechtsberatung des BF eine Verhandlung durch, in welcher der BF ausführlich zu seinem Fluchtvorbringen befragt wurde. Ein Vertreter des Bundesamtes nahm an der Verhandlung nicht teil.

6. Nach Schluss der mündlichen Verhandlung erfolgte eine mündliche Verkündung des Erkenntnisses. Die Niederschrift zur mündlichen Verhandlung wurde dem Bundesamt samt Hinweis auf die mündliche Verkündung übermittelt. Dem BF und seiner Rechtsberatung wurde eine Ausfertigung der Niederschrift persönlich im Anschluss an die Verhandlung ausgefolgt. Der BF beantragte fristgerecht durch seine Rechtsberatung beim Bundesverwaltungsgericht die schriftliche Ausfertigung des am 28.09.2020 mündlich verkündeten Erkenntnisses.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des BF:

Der BF führt den im Spruch genannten Namen und ist am im Spruch genannten Datum geboren. Der BF ist äthiopischer Staatsbürger und Angehöriger des Clans der Darod – XXXX . Er bekennt sich zum muslimischen Glauben, ist ledig und kinderlos (AS 94 -95; OZ 12, S. 5).

Er reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich ein und stellte am 26.10.2014 einen Antrag auf internationalen Schutz (AS 3).

Der BF wurde im Dorf XXXX , Verwaltungskreis Faafan, Äthiopien geboren und lebte dort bis 2010 mit seiner Familie. Danach zog er mit seiner Familie nach Somalia, Hargeysa (AS 95; OZ 12, S. 5).

Der BF absolvierte im Herkunftsland keine Berufsausbildung. Der Lebensunterhalt wurde durch die Berufstätigkeit des Vaters als Friseur gesichert (AS 95). Nach dem Tod des Vaters des BF sichert die Mutter durch den Verkauf von Milch den Lebensunterhalt (AS 94).

Im Herkunftsstaat Äthiopien lebt noch eine Tante des BF (OZ 12, S. 5).

Der BF spricht Somali als Muttersprache und leidet an keinen lebensbedrohlichen Erkrankungen (OZ 12, S. 4).

Der BF ist in Österreich strafrechtlich unbescholten.

1.2. Zu den Fluchtgründen des BF:

1.2.1. Der Großvater und der Onkel des BF wurde in der Vergangenheit nicht von der ONLF angeworben und nach deren Weigerung von der ONLF getötet. Die Familie des BF hat aufgrund dessen nicht das Herkunftsland verlassen.

Dem BF droht im Falle einer Rückkehr keine asylrelevante Bedrohung und/oder Verfolgung durch die ONLF.

1.3. Zur maßgeblichen Situation in Äthiopien:

1.3.1. Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Äthiopien vom 08.01.2019 letzte KI eingefügt am 07.07.2020:

Politische Lage

Entsprechend der Verfassung ist Äthiopien ein föderaler und demokratischer Staat. Die Grenzen der Bundesstaaten orientieren sich an sprachlichen und ethnischen Grenzen sowie an Siedlungsgrenzen. Seit Mai 1991 regiert in Äthiopien die Ethiopian People's Revolutionary Democratic Front (EPRDF), die sich aus vier regionalen Parteien zusammensetzt: Tigray People's Liberation Front (TPLF), Amhara National Democratic Movement (ANDM), Oromo People’s Democratic Organisation (OPDO) und Southern Ethiopian Peoples’ Democratic Movement (SEPDM). Traditionellen Führungsanspruch in der EPRDF hat die TPLF, die zentrale Stellen des Machtapparates und der Wirtschaft unter ihre Kontrolle gebracht hat (AA 17.10.2018).

Auf allen administrativen Ebenen werden regelmäßig Wahlen durchgeführt, zu denen Oppositionsparteien zugelassen sind. Bei den Parlamentswahlen im Mai 2015 gewannen die regierende EPRDF und ihr nahestehende Parteien nach Mehrheitswahlrecht alle 547 Parlamentssitze. Auf allen administrativen Ebenen dominiert die EPRDF. Auch in den Regionalstaaten liegt das Übergewicht der Politikgestaltung weiter bei der Exekutive. Staat und Regierung bzw. Regierungspartei sind in der Praxis nicht eindeutig getrennt (AA 17.10.2018).

Äthiopien ist politisch sehr fragil (GIZ 9.2018). Zudem befindet sich das Land derzeit unter Premierminister Abiy Ahmed in einem politischen Wandel (GIZ 9.2018a). Abiy Ahmed kam im April 2018 nach dem Rücktritt von Hailemariam Desalegn an die Macht. Seitdem hat er den Ausnahmezustand des Landes beendet, politische Gefangene freigelassen, umstrittene Kabinettsmitglieder und Beamte entlassen, Verbote für Websites und sozialen Medien aufgehoben und ein Friedensabkommen mit dem benachbarten Eritrea geschlossen (RI 14.11.2018; vgl. EI 12.12.2018, JA 23.12.2018). Bereits seit Anfang des Jahres waren noch unter der Vorgängerregierung erste Schritte einer politischen Öffnung unternommen worden. In der ersten Jahreshälfte 2018 wurden ca. 25.000 teilweise aus politischen Gründen inhaftierte bzw. verdächtige Personen vorzeitig entlassen. Oppositionsparteien wurden eingeladen, aus dem Exil zurückzukehren, und wurden entkriminalisiert. Abiy Ahmed hat eine Kehrtwende weg von der repressiven Politik seiner Vorgänger vorgenommen. Er bemüht sich seit seinem Amtsantritt mit Erfolg für stärkeren zivilgesellschaftlichen Freiraum und hat die Praxis der Kriminalisierung von Oppositionellen und kritischen Medien de facto beendet. Im Mai 2018 gab es mehrere Dialogformate in Addis Abeba und der benachbarten Region Oromia, unter Beteiligung von Vertretern der Regierung, Opposition und Zivilgesellschaft. Abiy hat zudem angekündigt, dass die für 2020 angesetzten Wahlen frei und fair und ohne weitere Verzögerungen stattfinden sollen (AA 17.10.2018).

Unter der neuen Führung begann Äthiopien mit dem benachbarten Eritrea einen Friedensprozess hinsichtlich des seit 1998 andauernden Konfliktes (JA 23.12.2018). Im Juni 2018 kündigte die äthiopische Regierung an, den Friedensvertrag mit Eritrea von 2002 vollständig zu akzeptieren (GIZ 9.2018a). Mithilfe der USA, Saudi-Arabiens und der Vereinigten Arabischen Emirate begann Abiy Ahmed Gespräche und begrüßte den eritreischen Präsidenten Isaias Afeworki im Juli 2018 in Addis Abeba (JA 23.12.2018). Nach gegenseitigen Staatsbesuchen sowie der Grenzöffnung erfolgte Mitte September 2018 die offizielle Unterzeichnung eines Freundschaftsvertrages zwischen den beiden Ländern (GIZ 9.2018a). Die Handels- und Flugverbindungen wurden wieder aufgenommen, und die UN-Sanktionen gegen Eritrea wurden aufgehoben (JA 23.12.2018).

Am 7.8.2018 unterzeichneten Vertreter der äthiopischen Regierung und der Oromo Liberation Front (OLF) in Asmara ein Versöhnungsabkommen und verkündeten am 12.8.2018 einen einseitigen Waffenstillstand (BAMF 13.8.2018). Am 15.9.2018 kehrten frühere Oromo-Rebellen aus dem Exil in die Hauptstadt Addis Abeba zurück. Die Führung der OLF kündigte an, nach der Aussöhnung mit der Regierung fortan einen friedlichen Kampf für Reformen führen zu wollen. Neben OLF-Chef Dawud Ibsa und anderen Funktionären kamen auch etwa 1.500 Kämpfer aus dem benachbarten Eritrea zurück. Obwohl die Feier von einer massiven Sicherheitspräsenz begleitet wurde, kam es zu Ausschreitungen (BAMF 17.9.2018). Nach offiziellen Angaben wurden nach den Ausschreitungen rund 1.200 Personen inhaftiert (BAMF 1.10.2018).

Abiy Ahmeds Entscheidung Frauen in Führungspositionen zu befördern, wurde weitgehend begrüßt. Die Hälfte der 20 Ministerposten der Regierung wurden an Frauen vergeben, darunter Schlüsselressorts wie das Ministerium für Handel und Industrie und das Verteidigungsministerium. Abiy hat u. a. die renommierte Menschenrechtsanwältin Meaza Ashenafi zur ranghöchsten Richterin des Landes ernannt, die ehemalige UNO-Beamtin Sahle-Work Zewde wurde einstimmig vom Parlament zur Präsidentin gewählt (BAMF 29.10.2018; vgl. BBC 18.11.2018, EZ 25.10.2018, GIZ 9.2018a). Die Präsidentin hat vor allem eine repräsentative Funktion, da die politische Macht beim Ministerpräsidenten liegt (BAMF 29.10.2018; vgl. BBC 18.11.2018). Aisha Mohammed ist nun Verteidigungsministerin, Muferiat Kamil Friedensministerin. Letzterer sind Polizei und Geheimdienste unterstellt. Die Ernennung der beiden Frauen ist auch deshalb historisch, weil es sich um Muslime aus ethnischen Minderheiten (Oromo) handelt, die noch nie zuvor so mächtige Ämter bekleideten. Ihre Anwesenheit im Kabinett hilft Abiy Ahmed nicht nur, Geschlechterparität zu erreichen, sondern auch, seine Unterstützungsbasis unter ethnischen Minderheiten und Muslimen zu erweitern, die sich manchmal über politische Ausgrenzung beklagen (BBC 18.11.2018).

Darüber hinaus ging die Regierung gegen Offizielle vor, die der Korruption und Rechtsverletzungen verdächtigt wurden. 60 Personen wurden verhaftet, darunter der ehemalige Leiter eines militärisch geführten Geschäftskonzerns und ehemalige stellvertretende Leiter des Geheimdienstes, Getachew Assefa. Dieser wurde wegen Korruption und Menschenrechtsverletzungen verhaftet (BBC 18.11.2018; vgl. EI 12.12.2018). Assefa war ein führendes Mitglied des Tigray-Flügels der regierenden EPRDF. Vertreter der EPRDF - darunter die Führung der TPLF - haben erklärt, dass es einen allgemeinen Konsens darüber gibt, dass Kriminelle vor Gericht gestellt werden sollten. Ältere Vertreter der TPLF fordern, dass derartige Verhaftungen nicht politisch motiviert und nur auf Tigray abzielen dürfen. Aktivisten von Tigray erachten die Verhaftungen allerdings als politisch motiviert – mit dem Ziel, die Tigray zu schwächen. Auf einen Protest in neun Großstädten in Tigray folgte am 8.12. und 9.12.2018 eine große Kundgebung in Mekele, bei der Zehntausende teilnahmen. Die Spannungen zwischen der Bundesregierung und der Region Tigray haben sich verschärft (EI 12.12.2018). Es bleibt abzuwarten, ob diese Säuberungen den Staat nicht zu destabilisieren drohen. Zudem sind die Gewaltkonflikte in den Regionen nach wie vor nicht unter Kontrolle, und Abiy weigert sich, Gewalt anzuwenden. Sein Ruf nach Ruhe und Einheit bleibt jedoch ungehört. Die Zahl der IDPs ist gestiegen, und die Gefahr einer Teilung des Landes bleibt nicht ausgeschlossen (JA 23.12.2018).

Seit seinem Amtsantritt im April 2018 als äthiopischer Premierminister, hat Abiy Ahmed tiefgreifende Reformen angeschoben. Trotzdem bleiben die Herausforderungen zahlreich. Die Restriktionen gegen Bürgerrechtsorganisationen sind noch nicht aufgehoben und das Antiterrorismusgesetz muss noch reformiert werden. Für seinen Umgang mit diesen fundamentalen Problemen steht der neue Premierminister in Kritik. Das Versprechen von freien Wahlen stößt auf die Realität eines Landes, das von einer Koalition von Rebellen kontrolliert wird – der EPRDF. Diese ist seit 1991 an der Macht und behält sämtliche Institutionen im Griff (SFH 5.12.2018).

Sicherheitslage

Nach der Wahl eines neuen Premierministers hat sich die Sicherheitslage derzeit wieder beruhigt. Der im Februar 2018 ausgerufene Notstand wurde am 5.6.2018 vorzeitig beendet (AA 4.1.2019). Derzeit gibt es in keiner äthiopischen Region bürgerkriegsähnliche Zustände; die Konflikte zwischen Ethnien (z.B. Gambella, SNNPR, Oromo/Somali) haben keine derartige Intensität erreicht (AA 17.10.2018). Laut österreichischem Außenministerium gilt in Addis Abeba und den übrigen Landesteilen ein erhöhtes Sicherheitsrisiko (BMEIA 12.12.2018). Ein Risiko von Anschlägen besteht im ganzen Land (EDA 10.12.2018; vgl. BAMF 1.10.2018, BAMF 24.9.2018).

Im ganzen Land kann es bei Demonstrationen zu Ausschreitungen kommen und Gewaltanwendung nicht ausgeschlossen werden (BMEIA 12.12.2018). Die politischen und sozialen Spannungen können jederzeit zu gewalttätigen Demonstrationen, Plünderungen, Straßenblockaden und Streiks führen. Auch in Addis Abeba können gewalttätige Demonstrationen jederzeit vorkommen. Zum Beispiel haben Mitte September 2018 gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten verschiedener Lager sowie zwischen Demonstranten und Sicherheitskräfte zahlreiche Todesopfer und Verletzte gefordert (EDA 10.12.2018; vgl. BAMF 1.10.2018, BAMF 24.9.2018). Ende September 2018, sollen bei Protesten in Addis Abeba, 58 Menschen getötet worden sein, staatliche Stellen berichteten von 23 Toten. Die meisten Todesopfer habe es gegeben, als jugendliche Banden der Volksgruppe der Oromo am 16.9.2018 andere Ethnien angriffen. Zu weiteren Todesopfern kam es, als tausende Menschen gegen diese Gewaltwelle protestierten (BAMF 1.10.2018; vgl. BAMF 24.9.2018).

Zusammenstöße zwischen den Gemeinschaften in den Regionen Oromia, SNNPR, Somali, Benishangul Gumuz, Amhara und Tigray haben sich fortgesetzt. Dort werden immer mehr Menschen durch Gewalt vertrieben. Aufgrund der Ende September 2018 in der Region Benishangul Gumuz einsetzenden Gewalt wurden schätzungsweise 240.000 Menschen vertrieben (FEWS 29.11.2018).

Spannungen zwischen verschiedenen Volksgruppen und der Kampf um Wasser und Weideland können in den Migrationsgebieten der nomadisierenden Viehbesitzer im Tiefland zu gewaltsamen Auseinandersetzungen führen, die oft erst durch den Einsatz der Sicherheitskräfte beendet werden (EDA 10.12.2018).

Rechtsschutz / Justizwesen

Das äthiopische Rechtssystem enthält Elemente mehrerer westlicher Rechtssysteme und ist schwer zu systematisieren (GIZ 9.2018a). Das Gesetz bzw. die Verfassung sieht eine unabhängige Justiz vor (GIZ 9.2018a; vgl. USDOS 20.4.2018, AA 17.10.2018). In der Praxis ist davon auszugehen, dass die Gerichte nicht immer unabhängig arbeiten, was jedoch kaum nachzuweisen ist (AA 17.10.2018). Obwohl die Zivilgerichte weitgehend unabhängig arbeiten, bleiben die Strafgerichte schwach und überlastet und unterliegen politischem Einfluss (USDOS 20.4.2018). Das Justizwesen wird als korrupt und undurchsichtig wahrgenommen. Richter gelten als schlecht ausgebildet und nicht immer über die geltenden Gesetze ausreichend informiert. Dies schlägt sich entsprechend in den Verfahren nieder (GIZ 9.2018a). Strukturen und Gesetzgebung der Justiz im Hinblick auf Umgang mit straffälligen Jugendlichen entsprechen nicht internationalen Standards (AA 17.10.2018).

Sowohl religiöse als auch traditionelle Gerichte sind verfassungsmäßig anerkannt. Viele Bürger in ländlichen Gebieten haben kaum Zugang zum formalen Justizsystem und sind auf traditionelle Konfliktlösungsmechanismen angewiesen. Scharia-Gerichte können religiöse und Familienrechtsfälle übernehmen, die Muslime betreffen. Sie erhalten finanzielle Unterstützung durch den Staat und urteilen in der Mehrheit der Fälle in den vorwiegend muslimischen Somali- und Afar-Gebieten. Daneben gibt es noch weitere traditionelle Rechtssysteme, wie etwa Ältestenräte (USDOS 20.4.2018).

Eine Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis, die nach Merkmalen wie Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischer Überzeugung diskriminiert, ist nicht ersichtlich. Die äthiopische Regierung bestreitet zudem Strafverfolgung aus politischen Gründen. Allerdings berichten Oppositionspolitiker, Journalisten und inzwischen auch vereinzelt muslimische Aktivisten von Einschüchterungen, willkürlichen Hausdurchsuchungen und Verhaftungen (AA 17.10.2018).

Das in der Verfassung verankerte Recht, nach der Verhaftung innerhalb von 48 Stunden einem Richter vorgeführt zu werden, wird unter anderem wegen Überlastung der Justiz häufig nicht umgesetzt. Darüber hinaus gibt es regelmäßig Berichte über Misshandlungen, insbesondere in Untersuchungshaft, unbekanntem Verbleib zwischen Verhaftung und Vorführung vor Gericht bzw. Einlieferung in ein staatliches Gefängnis oder auch darüber, dass Familienangehörige von Verhafteten unter Druck gesetzt werden. Hinzu kommen weitreichende Befugnisse, die z.B. das Antiterrorgesetz den Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden einräumt, z.T. auch ohne gerichtliche Überwachung (AA 17.10.2018).

Das Public Defender‘s Office bietet kostenlose Rechtsberatung, allerdings sind dessen Ressourcen beschränkt. Zusätzlich gibt es zahlreiche sog. Legal Aid Clinics und in manchen Landesteilen dürfen auch Rechtsstudenten und -Professoren pro bono als Verteidiger auftreten (USDOS 20.4.2018). Pflichtverteidiger können erst dann in Anspruch genommen werden, wenn der Fall bei Gericht anhängig ist (AA 17.10.2018).

Im Juli 2018 wurde ein Amnestiegesetz in Kraft gesetzt, welches Personen, die bis zum 7.6.2018 wegen Verstoßes gegen bestimmte Artikel des äthiopischen Strafgesetzbuches sowie weiterer Gesetze strafrechtlich verfolgt wurden, die Möglichkeit der Amnestie eingeräumt. Es wurde nicht verlautbart, welche rechtlichen Konsequenzen die Ablehnung eines solchen Antrags zur Folge hätte. Es gibt keine Informationen darüber, ob und in welcher Zahl potenziell Betroffene seit dem 20.7.2018 von dieser befristeten Antragsmöglichkeit Gebrauch machen (AA 17.10.2018).

Allgemeine Menschenrechtslage

Menschenrechte und Freiheiten sind als unverletzbar und unveräußerlich in der äthiopischen Verfassung von 1995 genannt. Explizit werden Grundrechte wie Religionsfreiheit, Gleichberechtigung von Mann und Frau sowie von Angehörigen verschiedener ethnischer Gruppen, Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, Verbot von unmenschlicher Behandlung und Recht auf Privatheit aufgeführt (AA 17.10.2018). Die Verfassung garantiert also die Menschenrechte, dies deckt sich jedoch nicht mit der Realität (AA 4.2018a).

Trotzdem ist die Menschenrechtssituation in Äthiopien unbefriedigend. Dies gilt vor allem für die Rechtsstaatlichkeit (Vorführung vor Gericht, Verfahrensdauer) und die Behinderung und Verfolgung von Journalisten. Es erfolgen Verhaftungen ohne Haftbefehl und ohne fristgerechte gerichtliche Überprüfung. Lange Gerichtsverfahren sind verbreitet. Hierfür ist auch eine überlastete Justiz verantwortlich (GIZ 9.2018a). Zu den wichtigsten Menschenrechtsproblemen gehören: willkürliche Tötung, Verschwindenlassen, Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung durch Sicherheitskräfte; harte und lebensbedrohliche Haftbedingungen; willkürliche Verhaftung und Inhaftierung durch Sicherheitskräfte; Verweigerung eines fairen öffentlichen Prozesses; Verletzung der Persönlichkeitsrechte; Beschränkungen der Meinungs-, Presse-, Internet-, Versammlungs-, Vereinigungs- und Bewegungsfreiheit; mangelnde Rechenschaftspflicht in Fällen von Vergewaltigung und Gewalt gegen Frauen; Kriminalisierung gleichgeschlechtlicher Orientierung. Die Regierung hat im Allgemeinen keine Schritte unternommen, um Beamte, die andere Menschenrechtsverletzungen als Korruption begangen haben, zu verfolgen oder anderweitig zu bestrafen. Straffreiheit ist ein Problem; es kommt nur zu einer begrenzten Anzahl von Anklagen von Mitgliedern der Sicherheitskräfte oder von Beamten wegen Menschenrechtsverletzungen (USDOS 20.4.2018).

Legale Voraussetzungen zur Verbesserung der Menschenrechte sind erfolgt. Die Menschenrechtskommission des Parlaments ist ebenso wie das Amt des Ombudsmanns eingerichtet. Frauenrechte sind in der Verfassung verankert. Von einer Umsetzung dieser rechtlich festgeschriebenen Menschenrechte ist Äthiopien jedoch weit entfernt: Weibliche Genitalverstümmelung und sehr frühe Verheiratung sind zwar offiziell verboten, jedoch weiterhin Realität für viele Mädchen und junge Frauen (GIZ 9.2018a).

Bei Protesten und gewaltsamen Auseinandersetzungen in Addis Abeba im September 2018 wurden rund 1.200 Menschen verhaftet. Diese Verhaftungen erfolgten teils willkürlich, was die Fortschritte in Menschenrechtsfragen unter Premierminister Abiy Ahmed ernsthaft gefährden könnte (BAMF 1.10.2018).

Der im vergangenen Jahr mehrmals ausgerufene Ausnahmezustand schränkte die Meinungs- und Versammlungsfreiheiten weitestgehend ein und verlieh den Sicherheitskräften weitreichende neue Befugnisse: u.a. Durchsuchungen und Verhaftungen ohne richterlichen Beschluss, Unterbindung von Kommunikationswegen und von Versammlungen. Allerdings wurde der Ausnahmezustand im Juni 2018 aufgehoben (AA 17.10.2018).

Die Medienlandschaft Äthiopiens wird dominiert von staatlichen oder regierungsfreundlichen Zeitungen, Radio- und Fernsehsendern. Die staatlichen Medien werden von der Ethiopian Radio and Television Agency (ERTA) und der Ethiopian Press Agency betrieben. Es gibt private Radiosender, aber nur staatliche Fernsehsender (GIZ 9.2018a). Die Zukunft im Mediensektor ist seit dem Amtsantritt Abiys unklar. Es lassen sich erste Anzeichen einer liberaleren Politik und freieren Berichterstattung beobachten (AA 17.10.2018; vgl. GIZ 9.2018a). Es gibt aber Hinweise darauf, dass die Regierung ihr Anti-Terrorismus-Gesetz dazu nutzt, die Meinungs- und Pressefreiheit auszuhebeln und Oppositionelle mundtot zu machen. Darüber hinaus gibt es Berichte über die politische Instrumentalisierung von Hilfsgütern seitens der Regierung und Zwangsumsiedlungen ganzer Dörfer zugunsten ausländischer Investoren (GIZ 9.2018a).

Internetzensur und -überwachung sind nach wie vor Thema, es ist seit dem Amtsantritt des Premiers Abiy Ahmed aber eine leichte Entspannung zu beobachten. Die Abschaltung des Internets im Zusammenhang mit lokalen gewaltsamen Auseinandersetzungen ist auch unter dem neuen Regierungschef gängige Praxis (GIZ 9.2018a). Im August 2018 wurde als Reaktion auf die Unruhen in der Region Somali das Internet zeitweise abgeschaltet. Im Anschluss wurde Mitte September 2018 im Stadtgebiet das mobile Internet für zwei Tage abgeschaltet (AA 17.10.2018; vgl. GIZ 9.2018a, DW 8.8.2018). Auch das Anti-Terror-Gesetz schränkt die Meinungsfreiheit im Internet ein. Hierfür wird auch der Telefon- und Internetverkehr überwacht. Es ist davon auszugehen, dass sämtliche nicht satellitengestützte Kommunikation abgefangen werden kann (AA 17.10.2018). Die äthiopische Regierung nutzt ihr Monopol in der Telekommunikation und verschiedene modernste Technologien um nicht nur die Bespitzelung bekannter Oppositioneller oder Kritiker im eigenen Land voranzutreiben, sondern ebenso zur Überwachung der äthiopischen Normalbevölkerung und Äthiopiern im Ausland (GIZ 9.2018a).

Stärker als das Medien- und Informationsgesetz wirkt sich das Antiterrorgesetz („Anti-Terror-Proklamation“) auf die Meinungs- und Pressefreiheit in Äthiopien aus, denn es umfasst nicht nur direkte und indirekte Unterstützung von Terrorismus als Tatbestand, sondern auch Berichterstattung über terroristische Gruppen oder Aktivitäten, die von der Öffentlichkeit als Anstiftung bzw. Propaganda aufgefasst werden könnten (AA 17.10.2018). Die Pressegesetzgebung ist restriktiv. Jahrelang hatte die Pressefreiheit in Äthiopien stetig abgenommen. Aus Angst vor Repressalien und Verhaftungen zensierten sich nicht wenige äthiopische Journalisten selbst, veröffentlichten nicht zu sensiblen Themen. Im Worldwide Press Freedom Index der Reporter ohne Grenzen belegt Äthiopien in 2018 Rang 150 von 180 untersuchten Ländern. Erste Maßnahmen des Premiers Abiy Ahmed lassen jedoch auf eine Verbesserung der Situation hoffen: Mehrere hundert bislang gesperrte - überwiegend regierungskritische - Internetseiten sind inzwischen freigegeben worden, mehrere namhafte Journalisten wurden aus Gefängnissen entlassen (GIZ 9.2018a).

Die von der Verfassung garantierte Vereinigungsfreiheit wird behindert. Unabhängige Tätigkeit von nicht partei- bzw. regimetreue Gewerkschaften werden auf unterschiedlichste Art und Weise schikaniert und untergraben (AA 17.10.2018).

Demonstrationen werden häufig gewaltsam beendet und Teilnehmer willkürlich verhaftet. Die Sicherheitskräfte setzten dabei teilweise auch scharfe Munition ein (AA 17.10.2018).

Es gibt Berichte aus der Region Somali über außergerichtliche Hinrichtungen inhaftierter Personen und über außergerichtliche Hinrichtungen von 34 Angehörigen der Wolkait in der Region Tigray. Das in der Verfassung verankerte Verbot von Folter wird in der Praxis offenbar unterlaufen. Von verschiedenen Seiten wurden immer wieder Vorwürfe über Misshandlungen durch Polizei und Militär erhoben. Die zukünftige Praxis bleibt abzuwarten (AA 17.10.2018).

Das äthiopische Parlament hat am Montag, den 24.12.2018, ein Gesetz zur Einrichtung einer Versöhnungskommission verabschiedet, deren Hauptaufgabe es sein wird, der innergemeinschaftlichen Gewalt ein Ende zu setzen und Menschenrechtsverletzungen im Land zu dokumentieren. Laut Angaben des UN-Büros für humanitäre Angelegenheiten (OCHA) sind derzeit in Äthiopien mindestens 2,4 Millionen Menschen wegen interkommunaler Gewalt vertrieben worden (JA 25.12.2018).

Trotz der überraschenden Massenfreilassung von Häftlingen ist davon auszugehen, dass weiterhin eine unbekannte Zahl von Menschen, zum großen Teil ohne Anklage, inhaftiert bleibt – Menschenrechtsorganisationen sprechen von mehreren tausend Personen. Verifizieren lassen sich diese Zahlen nicht. Schwerpunktmäßig betroffen sind junge Männer, auch Schüler und Studenten in den Regionen Oromia und Amhara (AA 17.10.2018).

Das 2009 erlassene äthiopische NGO-Gesetz und die damit einhergehenden Verwaltungsvorschriften aus dem Jahr 2011 haben die Aktivitäten von NGOs, die aufgrund des niedrigen wirtschaftlichen Entwicklungsstands Äthiopiens auf ausländische Finanzierung angewiesen sind, fast zum Erliegen gebracht (AA 17.10.2018). Angesichts Antiregierungsproteste im Laufe des Jahres 2016, hatte die äthiopische Regierung die Überwachung von zivilgesellschaftlichen Bewegungen und Organisationen intensiviert und deren Arbeit z.T. erheblich erschwert. Neben Verhaftungswellen im Rahmen des Ausnahmezustandes, gab es auch Gesetzesverschärfungen (z.B. ein neues Gesetz zu Internetkriminalität) (GIZ 9.2018a). Ein Prozess zur Überarbeitung des NGO-Gesetzes wurde eingeleitet (AA 17.10.2018). Unter Premierminister Dr. Abiy Ahmed scheint sich die Lage für zivilgesellschaftliche Organisationen zu verbessern. Im Rahmen seiner dialog- und versöhnungsorientierten Politik hat er auch NGOs zu Gesprächen und Beteiligung an Reformprozessen eingeladen (GIZ 9.2018a).

Opposition

Mit der Amtseinführung von Abiy Ahmed Ali als Premierminister wuchsen zunächst die Hoffnungen auf eine nationale Aussöhnung zwischen den ethnischen Gruppen. Abiy, selbst ethnischer Oromo, erteilte im Rahmen seiner Dialog- und Aussöhnungsstrategie einer OLF-zugehörigen Oppositionsgruppe Amnestie (GIZ 9.2018a). Oppositionsparteien wurden eingeladen, aus dem Exil zurückzukehren. Die Ogaden National Liberation Front (ONLF) und die Oromo Liberation Front (OLF) wurden entkriminalisiert (AA 17.10.2018). In der ersten Jahreshälfte 2018 wurden ca. 25.000 teilweise aus politischen Gründen inhaftierte bzw. verdächtige Personen vorzeitig entlassen (AA 17.10.2018; vgl. AA 4.2018a). Seit Anfang des Jahres sind über 7.000 größtenteils offensichtlich aus politischen Gründen Inhaftierte freigelassen worden, darunter der Oppositionsführer der Region Oromia, Merera Gudina, und sein Stellvertreter Bekele Gerba sowie andere, teilweise seit mehreren Jahren inhaftierte Regierungskritiker, die v.a. auf Grundlage der drakonischen Anti-Terror-Gesetzgebung verurteilt worden waren. Premierminister Abiy hat diese Politik fortgesetzt: Am 26.5.2018 ist der britische Staatsbürger Andargachew Tsige, Führungsmitglied der von Äthiopien als Terrorgruppe angesehenen Organisation „Ginbot 7“, überraschend begnadigt worden. Am 30.5.2018 hat er sich, direkt nach seiner Freilassung, öffentlichkeitswirksam mit Premierminister Abiy getroffen. Gleichzeitig sind die bestehenden Anklagen gegen Ginbot 7-Chef Berhanu Nega sowie gegen den Leiter des aus Minnesota operierenden Oromia Media Network (OMN), Jawar Mohamed, fallengelassen worden. Alle drei Personen galten bislang als prominente Staatsfeinde. Schon eine öffentliche Sympathiebekundung für einen von ihnen hätte bis zum Amtsantritt von Abiy zu einer sofortigen Verhaftung geführt (AA 17.10.2018).

Am 7.8.2018 unterzeichneten Vertreter der äthiopischen Regierung und der OLF ein Versöhnungsabkommen. Die ONLF, die für eine Autonomie des in der Region Somali gelegenen Ogaden kämpft, verkündete am 12.8.2018 einen einseitigen Waffenstillstand (BAMF 13.8.2018).

Die Führung OLF kündigte an, nach der Aussöhnung mit der Regierung fortan einen friedlichen Kampf für Reformen führen zu wollen. Mehr als 20 Jahre hatte die OLF im Untergrund gewirkt und regelmäßig Anschläge begangen. Sie war deshalb auch als terroristische Vereinigung verboten. Am 15.9.2018 haben Zehntausende Menschen in der Hauptstadt Addis Abeba, die Rückkehr früherer Oromo-Rebellen aus dem Exil gefeiert. Neben Oromo-Chef Dawud Ibsa und anderen Funktionären kamen auch etwa 1.500 Kämpfer aus dem benachbarten Eritrea zurück. Obwohl die Feier von einer massiven Sicherheitspräsenz begleitet wurden, soll es vereinzelt zu Ausschreitungen zwischen der größten Volksgruppe in Äthiopien, den Oromo und Minderheiten gekommen sein (BAMF 17.9.2018; vgl. BAMF 1.10.2018); rund 1.200 Personen wurden verhaftet (BAMF 1.10.2018).

Die Neuaufteilung von ministeriellen Ressorts und die Neubesetzung seines Kabinetts, sowie seine Bereitschaft zum Dialog mit der Opposition, können als Zeichen politischer Veränderung gedeutet werden. Inwieweit Abiy Ahmed und die gesamte Regierung den massiven Herausforderungen tatsächlich gewachsen sind, bleibt aber abzuwarten. Nicht zu unterschätzen sind jedoch die Kräfte, die weiterhin gegen nationale Einigung und die Regierung arbeiten (GIZ 9.2018a).

Darüber hinaus, wurde es am 22.11.2018 ein starkes politisches Symbol an die Opposition übermittelt. Premierminister Abiy Ahmed kündigte die Ernennung von Birtukan Mideksa, zur Vorsitzenden der nationalen Wahlkommission [National Electoral Board of Ethiopia (NEBE)] an. Birtukan Mideksa kehrte Anfang November 2018 aus sieben Jahren Exil in den Vereinigten Staaten zurück (JA 22.11.2018).

Ethnische Minderheiten

Äthiopien ist ein Vielvölkerstaat mit einer großen Zahl von Ethnien und Sprachen. Die Anzahl ethnischer Gruppen wird mit mindestens 80, in einigen Quellen mit bis zu 120, angegeben. Die Sprachenvielfalt ist ebenso ausgeprägt. Diese sind entweder sehr klein, mit nur einigen tausend Menschen (z.B. Mursi) oder mit über 25 Millionen (z.B. Oromo) sehr groß (GIZ 9.2018c). Laut Volkszählung von 2007 sind Oromo mit 34,5% und Amharen mit 29,6% die zwei größten ethnischen Gruppen, gefolgt von Somali mit 6,2% und Tigray mit 6,1%. Die übrigen Ethnien machen zusammen gut 23% der Bevölkerung aus (GIZ 9.2018c; vgl. AA 4.2018, CIA 4.12.2018).

Auch wenn keine diskriminierende Gesetzgebung oder Verwaltungspraxis feststellbar ist, gibt es jedoch nicht verifizierbare Berichte, dass kleinere indigene Gruppen in der Praxis diskriminiert werden (AA 17.10.2018).

Auseinandersetzungen zwischen unterschiedlichen Ethnien werden teils gewaltsam ausgetragen, und weder die Zentralregierung noch lokale Behörden sind in allen Regionen in der Lage, Menschenrechte und demokratische Rechte permanent zu gewährleisten. Es kam z.B. bereits mehrfach zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen umgesiedelten Äthiopiern aus dem Hochland und der einheimischen Bevölkerung in Gambella (AA 17.10.2018). Im Sommer 2018 ist die Bilanz bezüglich ethnischer Versöhnung auch in anderen Teilen des Landes ernüchternd: An der Grenze zwischen den Regionen Somali und Oromia kommt es immer wieder zu Gewaltexzessen, auch an der Grenze zwischen Oromia und der Southern Nations', Nationalities' and Peoples' Region (SNNPR) gibt es bewaffnete Auseinandersetzungen (GIZ 9.2018a).

Seit Juni 2018 sind bei Zusammenstößen zwischen Angehörigen unterschiedlicher Ethnien zahlreiche Personen getötet worden (EDA 10.12.2018). Es kam bereits in der Vergangenheit zu Zusammenstößen und zu Kämpfen z.B. zwischen den Gedeo und den Guji. Die Gedeo sind Landwirte, und die Guji sind traditionell Pastoralisten. Die Spannungen zwischen den beiden Gruppen konzentrierten sich auf Land, Grenzziehung und Rechte ethnischer Minderheiten (RI 11.2018), bzw. der Streit um Weideland und andere Ressourcen (WZ 16.12.2018).

In der Somali Region kam es auch zur Plünderung von Besitztümern ethnischer Minderheiten (DW 8.8.2018). Angriffe richteten sich gezielt gegen ethnische Nicht-Somalis und gegen orthodoxe Kirchen (AA 17.10.2018). Am 12.11.2018 führte Gewalt zwischen den Gemeinschaften Gebra und Garre dazu, dass etwa 15.000 Menschen in der Stadt Moyale, einer Stadt, die sowohl zu Oromia als auch zu Somalia gehört, vertrieben wurden (UNOCHA 25.11.2018).

Mitte Dezember 2018, kam es erneut zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen den Volksgruppen der Somali- und Oromia Region (AA 4.1.2019; vgl. BAMF 17.12.2018; WZ 16.12.2018).

Die Polizei in Äthiopien berichtete, dass sie im Zuge von Untersuchungen angeblicher Gräueltaten des ehemaligen Regionalpräsidenten der Region Somali, Abdi Mohamed Omar, ein Massengrab mit 200 Leichen an der Grenze zwischen den Regionen Somali und Oromia gefunden hat (BBC 8.11.2018). Abdi Mohamed Omar wird beschuldigt, für Verhaftungen, Folter und Vergewaltigungen von Somali in der Region Somali verantwortlich gewesen zu sein. Zudem habe er den ethnischen Konflikt angeheizt, indem er Somali-Nomaden gegen Oromo-Bauern aufhetzte (BBC 8.11.2018; vgl. GfbV 9.11.2018).

Bewegungsfreiheit

Obwohl das Gesetz die Bewegungsfreiheit im Inland, Auslandsreisen, Auswanderung und Rückführung vorsieht, kam es während des Ausnahmezustands zu Einschränkungen der internen Bewegungsfreiheit. Diese Beschränkungen wurden mit dem Ende des Ausnahmezustands aufgehoben (USDOS 20.4.2018). Bei der Ein- und Ausreise über den internationalen Flughafen in Addis Abeba erfolgt eine genaue Personen- und Passkontrolle mit digitaler Erfassung. An den wenigen Grenzübergängen der Landgrenze wird die Ein- und Ausreise manuell erfasst. Abseits der offiziellen Grenzübergänge sind die Grenzen passierbar, der Verlauf der Grenzen ist nicht demarkiert (AA 17.10.2018).

Opfer staatlicher Repressionen können ihren Wohnsitz in andere Landesteile verlegen, um einer lokalen Bedrohungssituation zu entgehen. Der niedrige Entwicklungsstand, Schwierigkeiten beim Landerwerb und ethnische sowie sprachliche Abgrenzungen machen die Gründung einer neuen wirtschaftlichen und sozialen Existenz in anderen Landesteilen mitunter schwierig. In größeren Städten ist ein wirtschaftlicher Neuanfang im Vergleich leichter möglich (AA 17.10.2018).

Binnenflüchtlinge (IDPs) und Flüchtlinge

Es gibt ca. 2,5 Millionen IDPs in Äthiopien (AA 17.10.2018). Mittels Katastrophenrisikomanagement, dem Disaster Risk Management Food Security Sector (DRMFSS), spielt die Regierung weiterhin eine aktive Rolle bei der Bereitstellung humanitärer Hilfe für IDPs (USDOS 20.4.2018).

Die Regierung von Premierminister Abiy arbeitet mit UN-Organisationen und anderen humanitären Organisationen zusammen, um auf die Situation der IDPs in Gedeo und West Guji zu reagieren (RI 14.11.2018; vgl. UNOCHA 2.11.2018). Es wird versucht, den IDPs von Gedeo-Guji Hilfe zukommen zu lassen, sowohl in den Vertreibungsgebieten als auch in den Rückkehrgebieten. Allerdings bleibt die Finanzierungslücke eine große Herausforderung und aufgrund anhaltender Konflikte leistet die Regierung nur begrenzt Hilfe (UNOCHA 25.11.2018).

Generell hat sich im Süden des Landes eine große humanitäre Krise entwickelt. Durch die interkommunale Gewalt wurden Hunderttausende Äthiopier vertrieben. Zu Beginn der Krise hat die Regierung noch Maßnahmen ergriffen, indem sie offen mit der UN und anderen humanitären Organisationen zusammenarbeitete. In jüngerer Vergangenheit hat sie jedoch Maßnahmen ergriffen, die das Leiden der IDPs noch verschlimmert haben, indem die Regierung etwa auf ihre Rückkehr nach Hause drängt, bevor die Bedingungen dafür gegeben sind (RI 14.11.2018). Gewaltsame Konflikte haben nach Angaben von IOM allein in Gedeo und West Guji zu rund einer Million IDPs geführt. Alleine zwischen April und Juni 2018 waren es 700.000 (AA 17.10.2018).

Zu Beginn der Krise gab es nur wenige humanitäre Organisationen mit Sitz im Süden Äthiopiens. Staatliche Genehmigungen sind allerdings auf lokaler Ebene erforderlich. Viele der Hilfsorganisationen, die in Äthiopien tätig sind, bleiben auf langfristige Entwicklungshilfe, wie Dürre, ausgerichtet (UNOCHA 25.11.2018). Ärzte ohne Grenzen (MSF) reagierten auf die dringenden medizinischen und humanitären Bedürfnisse von Vertriebenen entlang der Grenze zwischen Gedeo und West Guji in den SNNPR und der Oromia Region. Trotz der Bemühungen der Regierung um medizinische Versorgung, Nahrungsmittel und lebenswichtige Hilfsgüter, haben viele IDPs keine angemessenen Unterkünfte, Wasser, sanitäre Einrichtungen und Hygienedienste. In Zusammenarbeit mit anderen humanitären Akteuren baut Ärzte ohne Grenzen in den Bezirken Kochere und Gedeb Latrinen und Wasserinfrastruktur. Die Organisation befördert auch sauberes Trinkwasser und verbessert die Hygiene und den Wasserzugang in örtlichen Gesundheitseinrichtungen (MSF 23.8.2018).

Auch Überschwemmungen haben in einer Reihe von Regionen - darunter Afar, Oromia und Somali - zu Vertreibungen geführt (RI 14.11.2018).

Darüber hinaus ist Äthiopien ein großzügiger Gastgeber für fast 900.000 Flüchtlinge, vor allem aus dem benachbarten Ausland - Südsudan, Somalia und Eritrea (RI 14.11.2018; vgl. AA 17.10.2018). Äthiopiens Flüchtlingspolitik ist die der offenen Tür. Flüchtlinge aus den Nachbarländern werden in der Regel ohne weitergehende Prüfung aufgenommen. Die Grundversorgung registrierter Flüchtlinge wird durch UNHCR, WFP u.a. gewährleistet. Für Flüchtlinge gilt eine strikte Lagerpolitik, von der es nur für Teile der eritreischen Flüchtlinge Ausnahmen gibt (AA 17.10.2018).

Grundversorgung

Äthiopien ist bei etwa 92,7 Millionen Einwohnern mit einem jährlichen Brutto-National-Einkommen von etwa 927,4 US-Dollar pro Kopf eines der ärmsten Länder der Welt (AA 3.2018; vgl. GIZ 9.2018), auch wenn das Wirtschaftswachstum in den letzten zehn Jahren wesentlich über dem regionalen und internationalen Durchschnitt lag. Ein signifikanter Teil der Bevölkerung lebt unter der absoluten Armutsgrenze, das rasche Bevölkerungswachstum trägt zum Verharren in Armut bei (AA 3.2018). Äthiopien ist strukturell von Nahrungsmittelknappheit betroffen, ebenso wie von häufigen Überschwemmungen (GIZ 9.2018; vgl. RI 14.11.2018) und die Regierung steht noch vor enormen humanitären Herausforderungen. Das Land leidet immer noch unter den Auswirkungen der Dürre 2015-16, welche durch unterdurchschnittliche Niederschläge im Jahr 2017 verstärkt wurden. Hunderttausende waren zur Flucht aus ihren Häusern gezwungen - vor allem im Süden und Südosten des Landes. Derzeit leiden fast 8 Millionen Menschen an einer unsicheren Nahrungsmittelversorgung und benötigen humanitäre Hilfe (RI 14.11.2018).

Viele Menschen können nicht lesen oder schreiben, sind nicht in die moderne Ökonomie eingebunden und haben nur unzureichenden Zugang zu medizinischer Versorgung (GIZ 9.2018).

Staatliche soziale Sicherungssysteme sind auf die Agenda der Regierung getreten: Mit der Arbeit an einer National Social Protection Policy hat die Arbeit an Themen wie Kindergeld, Alters- und Berufsunfähigkeitsrenten begonnen (GIZ 9.2018c).

Äthiopien ist traditionell ein Land der Landwirtschaft und Viehzucht, wandelt sich durch massive Anstrengungen in den letzten Jahrzehnten aber immer mehr zu einem Land mit aufstrebenden Dienstleistungs- und Industriesektoren. Die weitreichenden Reformen unter Premierminister Abiy Ahmed beinhalten auch Pläne, staatliche Unternehmen wie Ethiopian Airlines, den bisher einzigen Telekommunikationsanbieter Ethio Telecom sowie weitere staatliche Unternehmen teilweise oder vollständig zu privatisieren. Im Index of Economic Freedom von 2017 steht Äthiopien an Stelle 142 von 169 in der Welt. Beim Ibrahim Index of African Governance, der sich u.a. mit nachhaltigen Wirtschaftschancen befasst, liegt Äthiopien aktuell auf Platz 36 von 54. Die äthiopische Wirtschaftslage entwickelt sich insgesamt gut. Im Jahr 2016 war ein Wirtschaftswachstum von etwa 8-10% (je nach Quelle) zu verzeichnen. Die Wirtschaft des Landes zählt damit zu den am schnellsten wachsenden der Welt (GIZ 9.2018b).

Die meisten Menschen in Äthiopien (ca. 80%) leben auf dem Land als sesshafte Bauern, Viehhirten oder (Halb-) Nomaden. Neben der Millionenstadt Addis Abeba gibt es 16 Großstädte mit mehr als 120.000 Einwohnern. Das Bevölkerungswachstum in den Städten ist mit fast 5% deutlich höher als das ländliche. Dieses Wachstum geht einher mit der Überforderung von Stadtverwaltungen, dem schlechten Umgang mit den kommunalen Finanzen sowie einer schwachen städtischen Infrastruktur. Hinzu kommt eine hohe Arbeitslosigkeit, die durch die Schwäche des modernen Wirtschaftssektors und die anhaltend hohe Zuwanderung aus dem ländlichen Raum verstärkt wird (GIZ 9.2018).

Der wichtigste Erwerbszweig bleibt die Landwirtschaft mit 81% der Erwerbstätigen, die 2016 rund 40% des Bruttoinlandsprodukts erzeugten (GIZ 9.2018). Die saisonalen Niederschläge von Oktober bis Dezember 2018 waren unterdurchschnittlich und unregelmäßig, es ist zu langen Trockenperioden gekommen. Die Entwicklung nicht-saisonaler Niederschläge, insbesondere in Teilen von Tigray, Amhara, SNNPR sowie im westlichen und zentralen Oromia, hat die Ernte- und Lageraktivitäten behindert und die Ernteerträge in den betroffenen Gebieten beeinträchtigt (FEWS 31.12.2018). Von der Leistungsfähigkeit der landwirtschaftlichen Produktion hängt die Sicherheit der Lebensmittelversorgung ab. Viele Kleinbauern können sich und ihre Familien mit ihrer Ernte nicht ganzjährig ernähren. Jährlich erhalten daher rund 3 Millionen Äthiopier Nahrungsmittelhilfe zur Überbrückung ihrer Engpässe, weitere ca. 8 Millionen werden über das staatliche Productive Saftey Net Programme (PSNP, Landwirtschafts- und Sozialprogramm) 6 Monate im Jahr durch Cash-for-Work oder auch direkte Nahrungsmittelhilfe unterstützt (GIZ 9.2018). Zudem besteht ein hoher Bedarf an humanitärer Versorgung im Rahmen der Dürrehilfe mit einem Volumen von 948 Mio. USD. Darüber hinaus sind 7,9 Mio. Menschen auf ein staatliches Sozialprogramm zur Ernährungssicherung angewiesen. Sozialleistungen wie Arbeitslosengeld, Sozialhilfe, Kindergeld o. ä. werden von der äthiopischen Regierung nicht erbracht (AA 17.10.2018).

Teile der Regionalstaaten Somali, Oromia und Harar befinden sich in IPC-Phase 3 (IPC = Integrated Phase Classification der Versorgungssicherheit mit Nahrungsmitteln; Stufe 1 – Minimal, Stufe 2 – Stressed, Stufe 3 Crisis, Stufe 4 – Emergency, Stufe 5 – Hungersnot). Daran wird sich auch im ersten Halbjahr 2019 nichts ändern (FEWS 31.12.2018).

Medizinische Versorgung

Die medizinische Versorgung ist in Addis Abeba nur beschränkt gewährleistet (EDA 10.12.2018) und vielfach technisch, apparativ und/oder hygienisch hoch problematisch (AA 12.12.2018). Die Gesundheitsversorgung ist trotz erheblicher Anstrengungen und bereits erzielter Fortschritte noch mangelhaft (GIZ 9.2018c). Medizinische Versorgungsmöglichkeiten sind begrenzt, die Qualität ist unvorhersehbar, eine staatliche notfallmedizinische Versorgung auf europäischem Niveau ist landesweit nicht vorhanden (BMEIA 12.12.2018; vgl. AA 12.12.2018) Vor allem im medizinischen Bereich stellt die Abwanderung qualifizierter Fachkräfte (brain drain) ein Problem dar (BMEIA 12.12.2018).

Generell ist die medizinische Versorgung auf dem Land wegen fehlender Infrastruktur erheblich schlechter als in den städtischen Ballungszentren (AA 17.10.2018). Ernsthafte Krankheiten und Verletzungen werden im Ausland behandelt (EDA 10.12.2018).

Es gibt in Äthiopien weder eine kostenlose medizinische Grundversorgung noch beitragsabhängige Leistungen (AA 17.10.2018). Krankenhäuser verlangen eine finanzielle Garantie, bevor sie Patienten behandeln (Vorschusszahlung) (EDA 10.12.2018). Die medizinische Behandlung erfolgt entweder in staatlichen Gesundheitszentren bzw. Krankenhäusern oder in privaten Kliniken. Die Behandlung akuter Erkrankungen oder Verletzungen ist durch eine medizinische Basisversorgung gewährleistet. Komplizierte Behandlungen können wegen fehlender Ausstattung mit hochtechnologischen Geräten nicht durchgeführt werden (AA 17.10.2018).

Viele Menschen sind von häufigen Durchfällen betroffen. Diese stellen bei Kindern die häufigste Todesursache dar (GIZ 9.2018c). Chronische Krankheiten, die auch in Äthiopien weit verbreitet sind, wie Diabetes, Schwäche des Immunsystems etc. können mit der Einschränkung behandelt werden, dass bestimmte Medikamente ggf. nicht verfügbar sind (AA 17.10.2018). Andere Herausforderungen bleiben Malaria, Hepatitis, Meningitis, Bilharziose sowie HIV/AIDS. HIV/AIDS ist in Äthiopien stark verbreitet. Äthiopiens Regierung unternimmt in Zusammenarbeit mit internationalen Gebern große Anstrengungen im Kampf gegen HIV/AIDS (GIZ 9.2018c). Durch die Entwicklung der Devisenreserven in Äthiopien sind Einfuhren von im Ausland hergestellten Medikamenten von Devisenzuteilungen durch die Nationalbank zur Bezahlung von Handelspartnern im Ausland abhängig. Deswegen kommt es bei bestimmten Medikamenten immer wieder einmal zu Versorgungsengpässen (AA 17.10.2018). Der Zugang zu den wesentlichen Medikamenten ist nur einem Teil der Bevölkerung möglich. Fast die Hälfte der Bevölkerung muss mehr als 15 Kilometer zurücklegen, um zum nächstgelegenen Gesundheitsposten zu gelangen (GIZ 9.2018c).

Rückkehr

Die bloße Asylantragstellung im Ausland bleibt – soweit bekannt – ohne Konsequenzen. U.a. sind Fälle von Zwangsrückführungen aus Norwegen, Dänemark und den Niederlanden bekannt. Es sind keine Fälle bekannt, in denen zurückgekehrte Äthiopier Benachteiligungen ausgesetzt waren oder diese gar festgenommen oder misshandelt worden wären. Im direkten persönlichen Umfeld wird eine Rückkehr jedoch häufig als Scheitern gewertet. Daher suchen einige der zwangsweise nach Äthiopien zurückgeführten Personen erneut den Weg nach Europa. Rückkehrer können nicht mit staatlicher Unterstützung rechnen. Für schutzbedürftige Rückkehrer, insbesondere für unbegleitete Minderjährige, gibt es Erstaufnahmeeinrichtungen, die von IOM betrieben werden (AA 17.10.2018). Die Regierung arbeitet mit dem UNHCR und anderen humanitären Organisationen zusammen, um die Bereitstellung von Schutz und Hilfe für IDPs, Flüchtlinge, rückkehrende Flüchtlinge, Asylbewerber, Staatenlose und andere betroffene Personen zu gewährleisten (USDOS 20.4.2018).

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zu den Feststellungen zur Person des BF:

Die Feststellungen zum Namen und zum Geburtsdatum des BF ergeben sich aus den dahingehend übereinstimmenden und stringenten Angaben des BF im gesamten Verfahren. Soweit in der gegenständlichen Rechtssache Feststellungen zur Identität des BF (Namen und Geburtsdatum) getroffen wurden, gelten diese ausschließlich zur Identifizierung des BF im Asylverfahren.

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit resultieren aus den eigenen Angaben des BF, die er auch auf explizite Nachfrage bestätigte (AS 94; OZ 12, S. 5).

Die Angaben zur Clan- und Religionszugehörigkeit des BF gründen sich auf seinen diesbezüglich glaubhaften Angaben im gesamten Verfahren.

Die Angaben des BF zu seinem Familienstand, seinem Aufwachsen in Äthiopien mit seiner Familie und seiner Muttersprache waren im Wesentlichen gleichbleibend und vor dem Hintergrund der bestehenden sozioökonomischen Strukturen in Äthiopien plausibel.

Die Feststellung zum Verbleib der Familienangehörigen des BF resultiert aus seinen Angaben vor dem Bundesamt und in der mündlichen Verhandlung.

Das Datum der Einreise und der Asylantragsstellung ergibt sich aus dem Akteninhalt.

Die Feststellungen zum Gesundheitszustand gründen auf seinen diesbezüglich glaubhaften Aussagen vor dem Bundesverwaltungsgericht (OZ 12, S. 4)

Die Feststellung zur strafgerichtlichen Unbescholtenheit ergibt sich aus der Einsichtnahme in das Strafregister.

2.2. Zu den Feststellungen zum Fluchtvorbringen des BF:

Die vom BF ins Treffen geführten Fluchtgründe konnte nicht festgestellt werden.

Seine diesbezüglichen Ausführungen waren unplausibel, detaillos und vor dem Hintergrund des Länderberichtsmaterials unbegründet, weshalb sie nicht als glaubhaft zu werten waren:

Vor diesem Hintergrund war daher von der Unglaubwürdigkeit des Vorbringens des BF zur vermeintlichen Anwerbung/Rekrutierung des Großvaters und des Onkels des BF durch die ONLF auszugehen und festzustellen, dass auch keine künftige Gefahr einer Verfolgung und/oder Bedrohung durch die ONLF im Falle einer Rückkehr des BF gegeben ist.

So gibt der BF selbst an, dass er bei diesen Ereignissen noch ein kleines Kind gewesen sei und er die Geschehnisse daher nur vom Hörensagen kenne (OZ 12, S. 5). Ebenso gibt er an, dass er es damals nicht verstanden hätte. Wieso er sodann nunmehr nach vielen Jahren plötzlich Angst vor einer Verfolgung durch die ONLF hat, und aufgrund dessen sogar seine Familie zurücklässt um nach Europa zu flüchten entzieht sich jeglicher Nachvollziehbarkeit.

Die Unglaubwürdigkeit des Vorbringens wird schließlich auch dadurch untermauert, dass der BF keinerlei Wissen über die ONLF und deren Tätigkeit hat. Auf diesbezügliche Nachfrage in der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht gab der BF lediglich an, dass die ONLF religiös sei und sie denken immer Recht zu haben. Ebenso konnte der BF nicht erklären, wieso die ONLF gegen die Regierung ist (OZ 12, S. 6). Es ist somit nicht als lebensnahe anzusehen, dass man sich im Erwachsenen alter nicht genauer mit jenen Akteuren auseinandersetzt, für die man seinen Herkunftsstaat auf Furcht vor Verfolgung verlassen hat.

Selbst bei Wahrunterstellung der von ihm geschilderten Vorkommnisse kann keine asylrelevante Verfolgung des Beschwerdeführers festgestellt werden: So hat sich die Situation der ONLF in Äthiopien mittlerweile entspannt und wurde diese im Zuge der Amtseinführung des neuen Premierministers entkriminalisiert. Es wurden zahlreiche politische Gefangene freigelassen und hat die ONLF 2018 sogar einen einseitigen Waffenstillstand verkündet (LIB S. 23-24).

Angesichts des Umstandes, dass sich die Ereignisse mit der ONLF bereits vor mehr als zehn Jahren ereignet haben und der Beschwerdeführer zu diesem Zeitpunkt noch ein Kind gewesen ist, konnte somit insbesondere auch unter Berücksichtigung der in das Verfahren eingebrachten Länderberichte nicht von einer asylrelevanten Verfolgung ausgegangen werden.

Sofern der Beschwerdeführer angibt, in Hargeysa (Somalia) Clankonflikten ausgesetzt gewesen zu sein ist darauf zu verweisen, dass sich die Prüfung asylrelevanter Verfolgungsgründe auf das Herkunftsland des Antragsstellers zu beziehen hat und somit jegliche Behauptungen in Verbindung mit einem anderen Staat als dem Herkunftsland nicht von asylrechtlicher Relevanz sind.

Dem Beschwerdeführer ist es deshalb insgesamt nicht gelungen, eine konkret und gezielt gegen seine Person gerichtete aktuelle Verfolgung maßgeblicher Intensität, welche ihre Ursache in einem der in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe hätte, glaubhaft zu machen. Vor dem Hintergrund der Feststellungen zur Lage in Äthiopien sowie der Unglaubwürdigkeit des Vorbringens kann daher nicht erkannt werden, dass dem Beschwerdeführer im Herkunftsstaat eine asylrelevante Verfolgung droht.

2.3. Zu den Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat:

Das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation betreffend Äthiopien vom wurden dem BF mit der Ladung vom 27.07.2020 mit der Möglichkeit zur Abgabe einer schriftlichen Stellungnahme zugestellt.

Eine Stellungnahme hierzu wurde nicht abgegeben.

Die Feststellungen zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat, welche dem BF im Rahmen des schriftlichen Parteiengehörs vorgehalten und denen in weiterer Folge nicht substantiiert entgegengetreten wurde, stützen sich auf die zitierten Quellen. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

3.1. Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides – Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten

3.1.1. § 3 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005, idgF, (AsylG) lautet auszugsweise:

Status des Asylberechtigten

§ 3. (1) Einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, ist, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.

(2) Die Verfolgung kann auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe). Einem Fremden, der einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23) stellt, wird in der Regel nicht der Status des Asylberechtigten zuerkannt, wenn die Verfolgungsgefahr auf Umständen beruht, die der Fremde nach Verlassen seines Herkunftsstaates selbst geschaffen hat, es sei denn, es handelt sich um in Österreich erlaubte Aktivitäten, die nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind.

(3) Der Antrag auf internationalen Schutz ist bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn
1.         dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offen steht oder
2.         der Fremde einen Asylausschlussgrund (§ 6) gesetzt hat.

Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder der staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG liegt es am Beschwerdeführer, entsprechend glaubhaft zu machen, dass ihm im Herkunftsstaat eine Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht.

Relevant kann nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein, diese muss im Entscheidungszeitpunkt vorliegen. Auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH 19.10.2000, 98/20/0233).

3.1.2. Bezüglich der angegebenen Rekrutierungs- /Anwerbungsversuche des Großvaters und Onkels durch die ONLF und deren Tötung wurde festgestellt, dass sich das Vorbringen aufgrund der Angaben des BF, sowie vor dem Hintergrund des in das Verfahren eingebrachten Länderberichtsmaterials zur Lage in Äthiopien als unglaubwürdig erwiesen hat. Im Falle einer Rückkehr des BF nach Äthiopien würde es demnach auch zu keiner künftigen Verfolgung und/oder Bedrohung durch die ONLF kommen.

Weiter asylrelevante Gründe hat der BF nicht vorgebracht und sind solche auch von Amts wegen nicht zu erkennen.

3.1.3. Auch die Durchsicht der aktuellen Länderberichte zum Herkunftsstaat des BF erlaubt es nicht anzunehmen, dass gegenständlich sonstige mögliche Gründe für die Befürchtung einer entsprechenden Verfolgungsgefahr vorliegen.

Die geäußerten Diskriminierungen des BF bezogen sich nicht auf das Herkunftsland sondern auf Somalia und konnten deshalb nicht in die Entscheidung miteinbezogen worden.

3.1.4. Im Ergebnis droht dem BF aus den von ihm ins Treffen geführten Gründen im Herkunftsstaat keine asylrelevante Verfolgung.

Die Beschwerde betreffend die Nichtzuerkennung des Status eines Asylberechtigten ist daher gemäß § 3 Abs. 1 AsylG als unbegründet abzuweisen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Es liegen auch keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor, zumal der vorliegende Fall vor allem im Bereich der Tatsachenfragen anzusiedeln ist. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten zu Sprucht

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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