Entscheidungsdatum
30.09.2020Norm
AsylG 2005 §10Spruch
W185 2158091-2/7E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Gerhard PRÜNSTER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 05.05.2020, Zl. 1071440910-191084883, nach Beschwerdevorentscheidung durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vom 17.07.2020, aufgrund des Vorlageantrages vom 22.07.2020, zu Recht erkannt:
A)
I. Die Beschwerde wird hinsichtlich der Spruchpunkte I., II., III. und V. gemäß §§ 10 und 57 Asylgesetz 2005, § 9 BFA-Verfahrensgesetz sowie §§ 46, 52 und 53 Fremdenpolizeigesetz 2005 als unbegründet abgewiesen.
II. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt IV. wird gemäß § 53 Abs. 1 und 3 Fremdenpolizeigesetz 2005 insoweit stattgegeben, als die Dauer des befristeten Einreiseverbotes auf sechs Jahre herabgesetzt wird.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
Der – zu diesem Zeitpunkt minderjährige – Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Afghanistans, reiste illegal nach Österreich ein und stellte hier am 29.05.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.
Am 30.05.2015 fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung des Beschwerdeführers statt. Dabei führte der Beschwerdeführer aus, dass er im Iran aufgewachsen und dort immer schlecht behandelt worden sei. Er sei nach Österreich gekommen, um hier zu studieren.
Mit Urteil eines Landesgerichtes für Strafsachen vom 20.10.2015 wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens der Körperverletzung gemäß § 83 Abs. 1 StGB rk zu einer dreiwöchigen bedingten Freiheitsstrafe (Jugendstraftat) verurteilt.
Aufgrund unbekannten Aufenthalts wurde das Verfahren eingestellt.
Nach erneuter Zulassung des Verfahrens wurde der zu diesem Zeitpunkt bereits volljährige Beschwerdeführer am 02.05.2017 niederschriftlich vor dem Bundesamt einvernommen. Dabei gab der Beschwerdeführer an, im Iran geboren und aufgewachsen zu sein. Einmal sei er nach Afghanistan abgeschoben worden, wo er für zwei Tage in der Stadt Herat aufhältig gewesen sei. Anschließend sei er wieder in den Iran zurückgekehrt. Er glaube, dass seine Eltern Afghanistan vor seiner Geburt wegen der Sicherheitslage und des Krieges verlassen hätten. Im Iran hätte er in den Krieg nach Syrien geschickt werden können, weshalb er schließlich den Iran verlassen habe und nach Europa gekommen sei.
Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz mit Bescheid vom 03.05.2017 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten in Spruchpunkt I. gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100 idF BGBl. I Nr. 24/2016, und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan in Spruchpunkt II. gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 leg.cit., ab. Weiters erteilte das Bundesamt dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 leg.cit., erließ ihm gegenüber gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 leg.cit. iVm § 9 BFA-VG, BGBl. I Nr. 87/2012 idF BGBl. I Nr. 25/2016, eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG, BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 24/2016, und stellte gemäß § 52 Abs. 9 leg.cit. fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 46 leg.cit. zulässig sei (Spruchpunkt III.). Weiters sprach das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl aus, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 leg.cit. die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.). Schließlich führte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl an, dass der Beschwerdeführer sein Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet gemäß § 13 Abs. 2 Z 1 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100 idF BGBl. I Nr. 24/2016, ab dem 20.10.2015 verloren habe (Spruchpunkt V.).
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde.
Der Beschwerdeführer wurde mit Urteilen eines Landesgerichtes für Strafsachen vom 18.09.2017 (1.) und 19.09.2019 (2.) wegen der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften gemäß § 27 Abs. 2a SMG sowie § 15 StGB (1.) und § 27 Abs. 2a, zweiter Fall, SMG (2.) zu einer fünfmonatigen bedingten Freiheitsstrafe als junger Erwachsener (1.) bzw zu einer zwölfmonatigen Freiheitsstrafe (davon acht Monate bedingt) (2.) verurteilt.
Mit Schreiben vom 24.10.2019 wurde dem Beschwerdeführer Parteiengehör eingeräumt. Er wurde darüber informiert, dass das Bundesamt die Erlassung einer Rückkehrentscheidung in Verbindung mit einem Einreiseverbot und einer Verhängung der Schubhaft (nach Ende der Strafhaft) beabsichtige. Dabei wurde ihm die Möglichkeit eingeräumt, eine Stellungnahme einzubringen, wovon der Beschwerdeführer jedoch keinen Gebrauch machte.
Mit Bescheid vom 02.12.2019 wurde gegen den Beschwerdeführer die Verhängung der Schubhaft zum Zwecke der Sicherung des Verfahrens in Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme angeordnet. Begründet wurde die Fluchtgefahr im Wesentlichen mit der mangelnden Kooperation im Verfahren (durch mehrmonatigen unbekannten Aufenthalt) sowie der weitgehend fehlenden sozialen Verankerung und Integration des Beschwerdeführers im Bundesgebiet. Mit der Anordnung des gelinderen Mittels könne auch unter Berücksichtigung der Straffälligkeit des Beschwerdeführers nicht das Auslangen gefunden werden. Insgesamt erweise sich die Schubhaft angesichts der vorliegenden „ultima-ratio-Situation“ auch als verhältnismäßig. Hinsichtlich der Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit verwies das Bundesamt auf drei strafrechtliche Verurteilungen des Beschwerdeführers binnen relativ kurzer Zeit (insbesondere zuletzt zweimal wegen Suchtmitteldelikten). Dieser Bescheid wurde dem Beschwerdeführer am selben Tag durch persönliche Übergabe (gemeinsam mit der Verfahrensanordnung betreffend die Beigabe eines Rechtsberaters) zugestellt.
Am 14.01.2020 langte beim Bundesverwaltungsgericht eine Beschwerde (samt Vollmachtsbekanntgabe für den Verein Menschenrechte Österreich) gegen den Bescheid vom 02.12.2019 ein. Darin wurde im Wesentlichen vorgebracht, dass von einer Fluchtgefahr nicht ausgegangen werden könne, da am 11.02.2020 eine Beschwerdeverhandlung im Asylverfahren anberaumt sei. Der Beschwerdeführer habe ein starkes Interesse an der Mitwirkung im Verfahren und am Verbleib in Österreich. Zudem sei angesichts der lediglich teilbedingten Freiheitsstrafen und der reumütigen Geständnisse des Beschwerdeführers nicht von einer Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit auszugehen. Beantragt werde daher a) den angefochtenen Bescheid ersatzlos zu beheben, b) in eventu das gelindere Mittel anzuordnen.
Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 17.01.2020, W137 2227490-1/6E, wurde die Beschwerde gegen den Bescheid vom 02.12.2019 gemäß § 76 Abs. 2 Z 1 FPG iVm § 22a Abs. 1 BFA-VG als unbegründet abgewiesen und die Anhaltung in Schubhaft seit 20.12.2019 für rechtmäßig erklärt. Gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG iVm § 76 FPG wurde festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen würden.
Das Bundesverwaltungsgericht führte am 11.02.2020 in Anwesenheit u.a. des Rechtsvertreters des Beschwerdeführers sowie eines Behördenvertreters eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, in der der Beschwerdeführer ausführlich zu seinen Ausreisegründen aus dem Iran sowie den Ausreisegründen seiner Familie aus Afghanistan, zu seinen persönlichen Umständen im Herkunftsstaat sowie seiner Integration in Österreich, befragt wurde.
Mit Erkenntnis vom 30.03.2020, W246 2158091-1/22E, wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde im Asylverfahren vollinhaltlich ab. Das Fristende für die freiwillige Ausreise wurde (aufgrund der Covid-19-Pandemie) mit 21.05.2020 festgesetzt.
Am 07.04.2020 legte das Bundesamt den Verwaltungsakt zur amtswegigen Verhältnismäßigkeitsprüfung gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG vor. In einem Begleitschreiben wird ausgeführt, dass nach dem rechtskräftigen Abschluss des Asylverfahrens umgehend ein Verfahren zur Erlangung eines Heimreisezertifikats (HRZ) eingeleitet werde. Die Kriterien für die Annahme einer Fluchtgefahr seien weiterhin erfüllt, Haftfähigkeit liege unverändert vor.
Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Erkenntnis vom 20.04.2020, W137 2227490-2/4E, festgestellt, dass die Voraussetzungen für die weitere Anhaltung des Beschwerdeführers vorliegen würden und diese Anhaltung auch verhältnismäßig sei.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 05.05.2020 wurde dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt I.), gemäß § 10 Abs. 2 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 FPG erlassen (Spruchpunkt II.), gemäß § 52 Abs. 9 FPG die Zulässigkeit der Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan festgestellt (Spruchpunkt III.), gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG ein auf die Dauer von acht Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt IV.), sowie gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt V.).
Im Zuge einer weiteren amtswegigen Verhältnismäßigkeitsprüfung hat das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 14.05.2020, W275 2227490-3/2E, erneut ausgesprochen, dass die Voraussetzungen für die weitere Anhaltung des Beschwerdeführers vorliegen würden und diese Anhaltung auch verhältnismäßig sei. Dabei wurde festgehalten, dass für den 15.05.2020 die Vorführung vor eine afghanische Delegation zwecks Erlangung eines Heimreisezertifikats geplant sei.
Die erneuten Verhältnismäßigkeitsprüfungen hat das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnissen vom 10.06.2020 und 07.07.2020, W137 2227490-4/2E und W279 2227490-5/2E, durchgeführt und erneut ausgesprochen, dass die Voraussetzungen für die weitere Anhaltung des Beschwerdeführers vorliegen würden und diese Anhaltung auch verhältnismäßig sei.
Mit mündlich verkündetem Erkenntnis vom 31.07.2020, G306 2227490-6/7E, schriftlich ausgefertigt am 18.08.2020, wurde erneut ausgesprochen, dass die Voraussetzungen für die weitere Anhaltung des Beschwerdeführers vorliegen würden und diese Anhaltung auch verhältnismäßig sei.
Der Beschwerdeführer erhob gegen den Bescheid des Bundesamtes vom 05.05.2020 die gegenständliche Beschwerde.
Das Bundesamt legte die Beschwerde und den bezughabenden Verwaltungsakt nach erfolgter Beschwerdevorentscheidung vom 17.07.2020 aufgrund eines Vorlageantrages vom 22.07.2020 dem Bundesverwaltungsgericht am 24.07.2020 zur Entscheidung vor.
Mit Teilerkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 28.07.2020, W185 2158091-2/4Z, wurde die Beschwerde gegen den Spruchpunkt V. (Aberkennung der aufschiebenden Wirkung) des Bescheides vom 05.05.2020 als unbegründet abgewiesen. Es lägen keine außergewöhnlichen Umstände vor, denen zufolge anzunehmen gewesen wäre, dass eine Rückkehr oder Rückführung des Beschwerdeführers in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr der Verletzung des Art 2 EMRK, des Art 3 EMRK, des Art 8 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder Nr 13 zur Konvention bedeuten oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
Die erneute Verhältnismäßigkeitsprüfung betreffend die Schubhaft wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts, Außenstelle Graz, Vom 27.08.2020, Zahl G304 2227490-7/3E, entschieden. Es wurde erneut ausgesprochen, dass die Voraussetzungen für die weitere Anhaltung des Beschwerdeführers vorliegen würden und diese Anhaltung auch verhältnismäßig sei.
Mit E-Mail vom 14.09.2020 wurden der bestellten Rechtsberatung (VMÖ) die Länderfeststellungen zu Afghanistan, Gesamtaktualisierung 29.11.2019, letzte KI vom 21.07.2020, mit dem Ersuchen um allfällige Stellungnahme hiezu innert 10 Tagen ab Erhalt übermittelt (Parteiengehör). Von dieser Möglichkeit wurde nicht Gebrauch gemacht.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der Beschwerdeführer führt den Namen XXXX und wurde am XXXX geboren. Er ist Staatsangehöriger von Afghanistan, Angehöriger der Volksgruppe der Hazara und schiitischer Muslim. Die Muttersprache des Beschwerdeführers ist Dari.
Die Eltern des Beschwerdeführers stammen ursprünglich aus der Provinz Bamyan in Afghanistan. Sie verließen Afghanistan vor der Geburt des Beschwerdeführers aufgrund der allgemein schlechten Sicherheitslage sowie der Situation als Angehörige der Volksgruppe der Hazara und gingen in den Iran, wo der Beschwerdeführer geboren wurde und in der Folge innerhalb des Familienverbandes auch aufgewachsen ist. Der Beschwerdeführer besuchte im Iran zwei Jahre eine iranische Schule und ein Jahr eine afghanische Schule, wobei die Lehrer in der iranischen Schule Iraner und die Schüler sowohl Iraner als auch Afghanen waren. Der Beschwerdeführer arbeitete neben der Schule für einen Zeitraum von ca. ein bis zwei Jahren in einer Fabrik, die Gebetssteine herstellte. Daraufhin war er ein Jahr bei einem Steinmetz tätig, wo er für das Schneiden der Steine in verschiedene Formen mit Hilfe einer Maschine zuständig war. Schließlich war der Beschwerdeführer über einen Zeitraum von ca. zwei bis drei Jahren (mit Unterbrechungen) immer wieder als Hilfsarbeiter auf verschiedenen Baustellen tätig. Die Arbeitskollegen bei den vom Beschwerdeführer ausgeübten Tätigkeiten waren sowohl Iraner als auch Afghanen. Der Beschwerdeführer verbrachte im Iran außerhalb seines Familienverbandes sowohl Zeit mit Iranern als auch mit Afghanen und lebte mit seiner Familie in einer Wohngegend, in der sowohl Iraner als auch Afghanen lebten.
Der Beschwerdeführer wurde ca. im Jahr 2013 nach Afghanistan abgeschoben, wo er für zwei Nächte in der Stadt Herat aufhältig war. Danach kehrte er in den Iran zurück. Er reiste im Jahr 2015 aus dem Iran aus und gelangte in der Folge nach Österreich, wo er am 29.05.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellte.
Die Eltern, die drei Brüder und die Schwester des Beschwerdeführers sind aktuell legal im Iran aufhältig und leben von der Tätigkeit der männlichen Familienmitglieder auf Baustellen. Der Beschwerdeführer steht mit seinen Familienangehörigen im Iran regelmäßig in Kontakt.
Der Beschwerdeführer wurde nach den afghanischen Gepflogenheiten und der afghanischen Kultur sozialisiert, er ist mit den afghanischen Gepflogenheiten und den dortigen Sprachen vertraut.
Der Beschwerdeführer leidet an keinen schwerwiegenden Erkrankungen, er ist gesund.
Der Beschwerdeführer befindet sich seit seiner Antragstellung im Mai 2015 aufgrund einer vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG durchgehend im Bundesgebiet. Dem Beschwerdeführer steht in Österreich kein Aufenthaltsrecht außerhalb des Asylrechts zu; er hatte in der Zeit von 29.05.2015 bis 21.05.2020 kein anderes als das vorübergehende Aufenthaltsrecht als Asylwerber.
Er bezog seit seiner Einreise unregelmäßig Leistungen aus der Grundversorgung. Er hat in Österreich keinen Deutschkurs besucht und verfügt lediglich über sehr geringe Deutschkenntnisse. Der Beschwerdeführer hat in Österreich keine integrationsverfestigenden Tätigkeiten ausgeübt. Er verfügt in Österreich über keine familiären oder sonstigen sozialen oder beruflichen Bindungen.
Der Beschwerdeführer wurde am 20.10.2015, fünf Monate nach seiner illegalen Einreise, mit Urteil des Landesgerichtes XXXX , GZ: 048 Hv 86/2015g, wegen des Vergehens der Körperverletzung gemäß § 83 Abs. 1 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von drei Wochen unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren rechtskräftig verurteilt (Jugendstraf-tat).
Am 18.09.2017 wurde er mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen XXXX , GZ: 152 Hv 79/2017b, als junger Erwachsener wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften gemäß § 27 Abs. 2a SMG sowie § 15 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von fünf Monaten unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren rechtskräftig verurteilt. In weiterer Folge wurde die Probezeit auf fünf Jahre verlängert.
Am 19.09.2019 wurde der Beschwerdeführer durch das Landesgericht für Strafsachen XXXX , GZ: 065 Hv 139/19i, wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften gemäß § 27 Abs. 2a zweiter Fall SMG zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Monaten, davon acht Monate bedingt, unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren verurteilt. Dabei wurden das reumütige Geständnis und die Sicherstellung des Suchtgiftes als mildernd und als erschwerend die zwei einschlägigen Vorstrafen und das Zusammentreffen zweier Vergehen gewertet.
Seit 20.12.2019 bis dato befindet sich der Beschwerdeführer zur Sicherung des Verfahrens und der Abschiebung in Schubhaft.
Gegen den Beschwerdeführer besteht eine rechtskräftige und durchsetzbare Rückkehrentscheidung. Die Zulässigkeit der Abschiebung nach Afghanistan wurde festgestellt.
Mit Teilerkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes zur Zl. W185 2158091-2/4Z vom 28.07.2020 wurde die Beschwerde gegen den Spruchpunkt V. des angefochtenen Bescheides als unbegründet abgewiesen. Nicht festgestellt werden konnte, dass der Beschwerdeführer im Fall seiner Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Afghanistan in seinem Recht auf Leben gefährdet, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen würde oder von der Todesstrafe bedroht wäre. Auch aus dem sonstigen Verfahrensergebnis werden vor dem Hintergrund der aktuellen Lage in seinem Herkunftsstaat keine Hinweise auf eine allfällige Gefährdung des Beschwerdeführers im Falle seiner Rückkehr ersichtlich.
Festgestellt wird, dass die aktuell vorherrschende COVID-19-Pandemie kein Rückkehrhindernis darstellt. COVID-19 ist eine durch das Corona-Virus SARS-CoV-2 verursachte Viruserkrankung, die erstmals im Jahr 2019 in Wuhan/China festgestellt wurde und sich seither weltweit verbreitet. Nach dem aktuellen Stand verläuft die Viruserkrankung bei ca. 80 % der Betroffenen leicht und bei ca. 15 % der Betroffenen schwerer, wenn auch nicht lebensbedrohlich. Bei ca. 5 % der Betroffenen verläuft die Viruserkrankung derart schwer, dass Lebensgefahr gegeben ist und intensivmedizinische Behandlungsmaßnahmen notwendig sind. Diese sehr schweren Krankheitsverläufe treten am häufigsten in den Risikogruppen der älteren Personen und der Personen mit Vorerkrankungen (wie z.B. Diabetes, Herzkrankheiten und Bluthochdruck) auf. Mit Stand 28.09.2020 scheinen in Afghanistan 39.239 Fälle, 5.141 aktive Fälle, 32.642 Genesene und 1.456 Todesfälle auf. Die Feststellungen zu den derzeitigen Informationen betreffend COVID-19 sind amtsbekannt und der weltweiten Gesamtberichterstattung zu entnehmen.
Der Beschwerdeführer ist körperlich gesund und gehört in Hinblick auf sein junges Alter und das Fehlen einschlägiger physischer (chronischer) Vorerkrankungen keiner spezifischen Risikogruppe betreffend COVID-19 an. Es besteht keine hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Afghanistan eine COVID-19-Erkrankung mit schwerwiegendem oder tödlichem Verlauf bzw. mit dem Bedarf einer intensivmedizinischen Behandlung bzw. einer Behandlung in einem Krankenhaus erleiden würde.
Ein weiterer Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet würde eine Gefährdung in Hinblick auf die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstellen, zumal auf Grundlage seines bisher gesetzten Verhaltens die Gefahr einer neuerlichen Straffälligkeit zu prognostizieren ist.
Hinsichtlich der aktuellen Lage in Afghanistan wird auf die durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl sowie das Bundesverwaltungsgericht ins Verfahren eingeführten und von Seiten des Beschwerdeführers nicht bestrittenen Herkunftslandquellen verwiesen, denen sich das Bundesverwaltungsgericht anschließt:
Auszug aus der vorliegenden Staatendokumentation (AFGHANISTAN):
Neueste Ereignisse – Integrierte Kurzinformationen - KI vom 4.6.2019, politische Ereignisse
Politische Ereignisse: Friedensgespräche, Loya Jirga, Ergebnisse Parlamentswahl
Ende Mai 2019 fand in Moskau die zweite Runde der Friedensgespräche zwischen den Taliban und afghanischen Politikern (nicht der Regierung, Anm.) statt. Bei dem Treffen äußerte ein Mitglied der Taliban, Amir Khan Muttaqi, den Wunsch der Gruppierung nach Einheit der afghanischen Bevölkerung und nach einer „inklusiven“ zukünftigen Regierung. Des Weiteren behauptete Muttaqi, die Taliban würden die Frauenrechte respektieren wollen. Ein ehemaliges Mitglied des afghanischen Parlaments, Fawzia Koofi, äußerte dennoch ihre Bedenken und behauptete, die Taliban hätten kein Interesse daran, Teil der aktuellen Regierung zu sein, und dass die Gruppierung weiterhin für ein islamisches Emirat stünde. (Tolonews 31.5.2019a).
Vom 29.4.2019 bis 3.5.2019 tagte in Kabul die „große Ratsversammlung“ (Loya Jirga). Dabei verabschiedeten deren Mitglieder eine Resolution mit dem Ziel, einen Friedensschluss mit den Taliban zu erreichen und den inner-afghanischen Dialog zu fördern. Auch bot Präsident Ghani den Taliban einen Waffenstillstand während des Ramadan von 6.5.2019 bis 4.6.2019 an, betonte aber dennoch, dass dieser nicht einseitig sein würde. Des Weiteren sollten 175 gefangene Talibankämpfer freigelassen werden (BAMF 6.5.2019). Einer weiteren Quelle zufolge wurden die kritischen Äußerungen zahlreicher Jirga-Teilnehmer zu den nächtlichen Militäroperationen der USA nicht in den Endbericht aufgenommen, um die Beziehungen zwischen den beiden Staaten nicht zu gefährden. Die Taliban nahmen an dieser von der Regierung einberufenen Friedensveranstaltung nicht teil, was wahrscheinlich u.a. mit dem gescheiterten Dialogtreffen, das für Mitte April 2019 in Katar geplant war, zusammenhängt. Dort wäre die Regierung zum ersten Mal an den Friedensgesprächen mit den Taliban beteiligt gewesen. Nachdem erstere jedoch ihre Teilnahme an die Bedingung geknüpft hatte, 250 Repräsentanten nach Doha zu entsenden und die Taliban mit Spott darauf reagierten, nahm letztendlich kein Regierungsmitarbeiter an der Veranstaltung teil. So fanden Gespräche zwischen den Taliban und Exil-Afghanen statt, bei denen viele dieser das Verhalten der Regierung öffentlich kritisierten (Heise 16.5.2019).
Anfang Mai 2019 fand in Katar auch die sechste Gesprächsrunde zwischen den Taliban und den USA statt. Der Sprecher der Taliban in Doha, Mohammad Sohail Shaheen, betonte, dass weiterhin Hoffnung hinsichtlich der inner-afghanischen Gespräche bestünde. Auch konnten sich der Quelle zufolge die Teilnehmer zwar bezüglich einiger Punkte einigen, dennoch müssten andere „wichtige Dinge“ noch behandelt werden (Heise 16.5.2019).
Am 14.5.2019 hat die unabhängige Wahlkommission (Independent Electoral Commission, IEC) die Wahlergebnisse der Provinz Kabul für das afghanische Unterhaus (Wolesi Jirga) veröffentlicht (AAN 17.5.2019; vgl. IEC 14.5.2019, IEC 15.5.2019). Somit wurde nach fast sieben Monaten (die Parlamentswahlen fanden am 20.10.2018 und 21.10.2018 statt) die Stimmenauszählung für 33 der 34 Provinzen vervollständigt. In der Provinz Ghazni soll die Wahl zusammen mit den Präsidentschafts- und Provinzialratswahlen am 28.9.2019 stattfinden. In seiner Ansprache zur Angelobung der Parlamentsmitglieder der Provinzen Kabul und Paktya am 15.5.2019 bezeichnete Ghani die siebenmonatige Wahl als „Katastrophe“ und die beiden Wahlkommissionen, die IEC und die Electoral Complaints Commission (ECC), als „ineffizient“ (AAN 17.5.2019).
Paschtunen
Ethnische Paschtunen sind die größte Ethnie Afghanistans. Sie sprechen Paschtu/Pashto; die meisten ihrer Regierungsvertreter sprechen auch Dari (CSR 12.1.2015). Die Pashtunen haben viele Sitze in beiden Häusern des Parlaments – jedoch nicht mehr als 50% der Gesamtsitze (USDOS 20.4.2018). Die Paschtunen sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 44% in der Afghan National Army (ANA) und der Afghan National Police (ANP) repräsentiert (Brookings 25.5.2017).
Paschtunen siedeln in einem halbmondförmigen Gebiet, das sich von Nordwestafghanistan über den gesamten Süden und die Gebiete östlich von Kabul bis in den Nordwesten Pakistans erstreckt. Kleinere Gruppen sind über das gesamte Land verstreut, auch im Norden des Landes, wo Paschtunen Ende des 19. Jahrhunderts speziell angesiedelt wurden, und sich seitdem auch selbst angesiedelt haben (BFA Staatendokumentation 7.2016).
Grundlage des paschtunischen Selbstverständnisses sind ihre genealogischen Überlieferungen und die darauf beruhende Stammesstruktur. Eng mit der Stammesstruktur verbunden ist ein komplexes System von Wertvorstellungen und Verhaltensrichtlinien, die häufig unter dem Namen Pashtunwali zusammengefasst werden und die besagen, dass es für einen Paschtunen nicht ausreicht, Paschtu zu sprechen, sondern dass man auch die Regeln dieses Ehren- und Verhaltenskodex befolgen muss. Die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Stammlinienverband bedeutet viele Verpflichtungen, aber auch Rechte, weshalb sich solche Verbände als Solidaritätsgruppen verstehen lassen (BFA Staatendokumentation 7.2016).
Ausführliche Informationen zu Paschtunen und dem Paschtunwali, können dem Dossier der Staatendokumentation (7.2016) entnommen werden; Anmerkung der Staatendokumentation.
Quellen:
? AA – Auswärtiges Amt (5.2018): Bericht über asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan, https://www.ecoi.net/en/file/local/1434081/4598_1528111899_auswaertiges-amt-bericht-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-islamischen-republik-afghanistan-stand-mai-2018-31-05-2018.pdf, Zugriff 7.6.2018
? BFA Staatendokumentation (7.2016): Dossier der Staatendokumentation, AfPak – Grundlagen der Stammes- & Clanstruktur, http://www.bfa.gv.at/files/berichte/AFGH_Stammes_und%20Clanstruktur_Onlineversion_2016_07.pdf, Zugriff 8.2.2018
? Brookings - The Brookings Institution (25.5.2017): Afghanistan Index, https://www.brookings.edu/wp-content/uploads/2016/07/21csi_20170525_afghanistan_index.pdf , Zugriff 15.2.2018
? CIA Factbook – Central Intelligence Agency (18.1.2018): The World Factbook Afghanistan, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/af.html Zugriff 8.2.2018
? CRS – US Congressional Research Service (12.1.2015): Afghanistan: Politics, Elections, and Government Performance, http://www.fas.org/sgp/crs/row/RS21922.pdf, Zugriff 8.2.2018
? GIZ (1.2018): Afghanistan - Gesellschaft, http://liportal.giz.de/afghanistan/gesellschaft/, Zugriff 8.2.2018
? MPI – Max Planck Institut (27.1.2004): Die Verfassung der Islamischen Republik Afghanistan, http://www.mpipriv.de/files/pdf4/verfassung_2004_deutsch_mpil_webseite.pdf, Zugriff 8.2.2018
? USDOS - US Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 – Afghanistan, http://www.state.gov/j/drl/rls/hrrpt/humanrightsreport/index.htm?year=2017&dlid=277275, Zugriff 30.4.2018
Bewegungsfreiheit
Das Gesetz garantiert interne Bewegungsfreiheit, Auslandsreisen, Emigration und Rückkehr. Die Regierung schränkt die Bewegung der Bürger/innen gelegentlich aus Sicherheitsgründen ein [Anm.: siehe dazu auch Artikel 39 der afghanischen Verfassung] (USDOS 20.4.2018; vgl. MPI 27.1.2004).
In einigen Teilen des Landes ist fehlende Sicherheit die größte Bewegungseinschränkung. In bestimmten Gebieten machen Gewalt durch Aufständische, Landminen und improvisierte Sprengfallen (IEDs) das Reisen besonders gefährlich, speziell in der Nacht. Bewaffnete Aufständischengruppen betreiben illegale Checkpoints und erpressen Geld und Waren. Gesellschaftliche Sitten schränken die Bewegungsfreiheit von Frauen ohne männliche Begleitung ein (USDOS 20.4.2018).
Quellen:
? MPI – Max Planck Institut (27.1.2004): Die Verfassung der Islamischen Republik Afghanistan, http://www.mpipriv.de/files/pdf4/verfassung_2004_deutsch_mpil_webseite.pdf, Zugriff 15.2.2018
? USDOS – United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices for 2017, https://www.state.gov/j/drl/rls/hrrpt/humanrightsreport/#wrapper, Zugriff 11.5.2018
Meldewesen
Afghanistan hat kein zentrales Bevölkerungsregister, ebenso wenig „gelbe Seiten” oder Datenbanken mit Telefonnummerneinträgen. Dennoch gibt es Mittel und Wege, um Familienmitglieder ausfindig zu machen. Das Dorf, aus dem jemand stammt, ist der naheliegende Ort, um eine Suche zu starten. Die lokalen Gemeinschaften verfügen über zahlreiche Informationen über die Familien in dem Gebiet und die Ältesten haben einen guten Überblick (BFA/EASO 1.2018; vgl. EASO 2.2018).
Das afghanische Bevölkerungsgesetz von 2014 beinhaltet u. a. Regelungen zur Bürgerregistrierung. Gemäß Artikel 9 des Gesetzes sollen nationale Personalausweise [Anm.: auch Tazkira genannt. Eine Tazkira gilt sowohl als Personenstandsregisterauszug als auch als Personalausweis] zum Zwecke des Identitätsnachweises und der Bevölkerungsregistrierung ausgestellt werden (NLB/NA 2014). Das Personenstands- und Urkundenwesen in Afghanistan ist jedoch kaum entwickelt. Ein Personenstandsregisterauszug (Tazkira) wird nur afghanischen Staatsangehörigen nach Registrierung und dadurch erfolgtem Nachweis der Abstammung von einem Afghanen ausgestellt. Er gilt sowohl als Nachweis für die Staatsangehörigkeit, sowie als Geburtsurkunde. In der Tazkira sind Informationen zu Vater und Großvater, jedoch nicht zur Mutter enthalten. Tazkiras können sowohl in der Hauptstadt Kabul als auch am jeweiligen Geburtsort, nicht jedoch von afghanischen Auslandsvertretungen ausgestellt werden. Sie können jedoch über eine afghanische Auslandsvertretung beim afghanischen Innenministerium beantragt werden (AA 5.2018). Allein die Auslandsvertretungen im Iran haben Ausnahmeregeln und können eine Tazkira vor Ort ausstellen. Es gibt Pläne dafür, dieselben Befugnisse auch afghanischen Auslandsvertretungen in Pakistan zu erteilen (BFA/Migrationsverket 10.4.2018). In der Regel erfolgt der Nachweis der Abstammung durch die Vorlage der Tazkira eines Verwandten 1. Grades oder durch Zeugenerklärungen in Afghanistan (AA 5.2018). Einer Quelle zufolge können Frauen Tazkiras und Pässe für sich und ihre Kinder ohne die Anwesenheit eines männlichen Zeugen beantragen (vertrauliche Quelle 9.5.2018).
Eintragungen in der Tazkira sind oft ungenau. Geburtsdaten werden häufig lediglich in Form von „Alter im Jahr der Beantragung“, z. B. „17 Jahre im Jahr 20xx“ erfasst, genauere Geburtsdaten werden selten erfasst und wenn, dann meist geschätzt (AA 5.2018). Insgesamt sind in Afghanistan im Moment sechs Tazkira-Varianten im Umlauf (AAN 22.2.2018). Die Vorlage einer Tazkira ist Voraussetzung für die Ausstellung eines Reisepasses. Es sind Fälle bekannt, in denen afghanische Auslandsvertretungen Reisepässe nach nur oberflächlicher Prüfung ausstellten, ohne Vorlage einer Tazkira und ggf. aufgrund der Aussage zweier Zeugen. Ein derart ausgestellter Reisepass stellt daher im Gegensatz zur Tazkira nur bedingt einen Nachweis der Staatsangehörigkeit dar (AA 5.2018). Nicht jeder afghanische Bürger besitzt eine Tazkira (AAN 27.5.2018).
Über die Einführung von elektronischen Personalausweisen, auch e-Tazkiras genannt, wurde lange Zeit diskutiert. Am 15.2.2018 beantragten Präsident Ghani, seine Ehefrau, Vizepräsident Muhammad Sarwar Danesh und weitere 200 Familien in Afghanistan die ersten elektronischen Personalausweise (AAN 22.2.2018).
Quellen:
? AA – Auswärtiges Amt (5.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan, https://www.ecoi.net/en/file/local/1434081/4598_1528111899_auswaertiges-amt-bericht-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-islamischen-republik-afghanistan-stand-mai-2018-31-05-2018.pdf, Zugriff 6.6.2018
? AAN – Afghanistan Analysts Network (27.5.2018): The Afghanistan Election Conundrum (8): Controversies over voter registration, https://www.afghanistan-analysts.org/the-afghanistan-election-conundrum-8-controversies-over-voter-registration/, Zugriff 6.6.2018
? AAN – Afghanistan Analysts Network (22.2.2018): The E-Tazkera Rift: Yet another political crisis looming?, https://www.afghanistan-analysts.org/the-e-tazkera-rift-yet-another-political-crisis-looming/, Zugriff 6.6.2018
? BFA/EASO - BFA Staatendokumentation / European Asylum Support Office (1.2018): BFA-Arbeitsübersetzung des EASO Berichts “Afghanistan - Networks”, https://www.ecoi.net/en/file/local/1424706/5818_1518791562_afgh-easo-bericht-netzwerke-2018-02-15-ke.pdf, Zugriff 21.2.2018
? BFA/Migrationsverket – BFA Staatendokumentation / LIFOS Migrationsverket (10.4.2018): BFA-Arbeitsübersetzung des LIFOS-Berichts “Afghaner i Iran”, https://www.ecoi.net/en/file/local/1434046/5818_1528099872_afgh-ba-analysen-afghanen-im-iran-2018-05.pdf, Zugriff 6.6.2018
? DIS - Danish Immigration Service (5.2012): Afghanistan Country of Origin Information for Use in the Asylum Determination Process, http://www.nyidanmark.dk/NR/rdonlyres/3FD55632-770B-48B6-935C-827E83C18AD8/0/FFMrapportenAFGHANISTAN2012Final.pdf, Zugriff 15.2.2018
? DW – Deutsche Welle (9.10.2004): Boykott-Aufruf überschattet Wahl in Afghanistan, http://www.dw.com/de/boykott-aufruf-%C3%BCberschattet-wahl-in-afghanistan/a-1354509, Zugriff 15.2.2018
? EASO – European Asylum Support Office (2.2018): Afghanistan Networks https://www.ecoi.net/en/file/local/1433356/1226_1527147803_afghanistan-networks.pdf, Zugriff 15.2.2018
? NLB/NA – National Legislative Bodies / National Authorities (2014): Afghanistan: Law of 2014 on Registration of Population Records, http://www.refworld.org/docid/544a4c434.html, Zugriff 6.6.2018
? SZ _ Süddeutsche Zeitung (29.5.2013): Abzug ins Ungewisse, http://www.sueddeutsche.de/politik/bundeswehr-einsatz-in-afghanistan-abzug-ins-ungewisse-1.1683862, Zugriff 15.2.2018
? Vertrauliche Quelle (9.5.2018): lokaler Rechtsanwalt in Kabul, Antwortschreiben per E-Mail liegt bei der Staatendokumentation auf
Binnenflüchtlinge (IDPs) und Flüchtlinge
Wegen des Konflikts wurden im Jahr 2017 insgesamt 475.433 Menschen in Afghanistan neu zu Binnenvertriebenen (IDPs) (UN GASC 27.2.2018). Im Zeitraum 2012-2017 wurden insgesamt 1.728.157 Menschen im Land zu Binnenvertriebenen (IOM/DTM 26.3.2018).
Zwischen 1.1.2018 und 15.5.2018 wurden 101.000 IDPs registriert. 23% davon sind erwachsene Männer, 21% erwachsene Frauen und 55% minderjährige Kinder (UN OCHA 15.5.2018). (UN OCHA 15.5.2018)
Zwischen 1.1.2018 und 29.4.2018 waren die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Binnenvertriebenen Kunduz und Faryab (USAID 30.4.2018). Mit Stand Dezember 2017 waren die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Binnenvertriebenen Herat, Nangarhar, Kabul, Kandahar, Takhar, Baghlan, Farah, Balkh, Herat, Kunduz, Kunar, Khost, Nimroz, Logar, Laghman und Paktya (IOM 8.5.2018; vgl. IOM/DTM 26.3.2018). Vertriebene Bevölkerungsgruppen befinden sich häufig in schwer zugänglichen und unsicheren Gebieten, was die afghanischen Regierungsbehörden und Hilfsorganisationen bei der Beurteilung der Lage bzw. bei Hilfeleistungen behindert. Ungefähr 30% der 2018 vertriebenen Personen waren mit Stand 21.3.2018 in schwer zugänglichen Gebieten angesiedelt (USAID 30.4.2018).
Der folgenden Darstellung können vergleichende jährliche Angaben zur Verteilung von IDPs in den verschiedenen Provinzen von 2012 bis 2017 entnommen werden:
Die meisten IDPs stammen aus unsicheren ländlichen Ortschaften und kleinen Städten und suchen nach relativ besseren Sicherheitsbedingungen sowie Regierungsdienstleistungen in größeren Gemeinden und Städten innerhalb derselben Provinz (USDOS 20.4.2018). Mit Stand Dezember 2017 lebten 54% der Binnenvertriebenen in den afghanischen Provinzhauptstädten. Dies führte zu weiterem Druck auf die bereits überlasteten Dienstleistungen sowie die Infrastruktur sowie zu einem zunehmenden Kampf um die Ressourcen zwischen den Neuankömmlingen und der einheimischen Bevölkerung (UN OCHA 12.2017).
Die Mehrheit der Binnenflüchtlinge lebt, ähnlich wie Rückkehrer aus Pakistan und Iran, in Flüchtlingslagern, angemieteten Unterkünften oder bei Gastfamilien. Die Bedingungen sind prekär. Der Zugang zu Gesundheitsversorgung, Bildung und wirtschaftlicher Teilhabe ist stark eingeschränkt. Der hohe Konkurrenzdruck führt oft zu Konflikten. Ein Großteil der Binnenflüchtlinge ist auf humanitäre Hilfe angewiesen (AA 5.2018).
Der begrenzte Zugang zu humanitären Hilfeleistungen führt zu Verzögerungen bei der Identifizierung, Einschätzung und rechtzeitigen Unterstützung von Binnenvertriebenen. Diesen fehlt weiterhin Zugang zu grundlegendem Schutz, einschließlich der persönlichen und physischen Sicherheit sowie Unterkunft. Vor allem binnenvertriebene Familien mit einem weiblichen Haushaltsvorstand haben oft Schwierigkeiten grundlegende Dienstleistungen zu erhalten, weil sie keine Identitätsdokumente besitzen. Berichten zufolge werden viele Binnenvertriebene diskriminiert, haben keinen Zugang zu angemessenen Sanitäranlagen sowie anderen grundlegenden Dienstleistungen und leben unter dem ständigen Risiko, aus ihren illegal besetzten Quartieren delogiert zu werden (USDOS 20.4.2018).
Binnenvertriebene, Flüchtlinge und Rückkehrende sind wegen des Mangels an landwirtschaftlichem Besitz und Vermögen besonders gefährdet. Berichten zufolge brauchen mehr als 80% der Binnenvertriebenen Nahrungsmittelhilfe (USAID 30.4.2018). Die afghanische Regierung kooperierte mit dem Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR), IOM und anderen humanitären Organisationen, um IDPs, Flüchtlingen, Rückkehrern und anderen betroffenen Personen Schutz und Unterstützung zu bieten. Die Unterstützungsfähigkeit der afghanischen Regierung gegenüber vulnerablen Personen – inklusive Rückkehrern aus Pakistan und Iran – ist beschränkt und auf die Hilfe durch die internationale Gemeinschaft angewiesen. Die Regierung hat einen Exekutivausschuss für Vertriebene und Rückkehrer sowie einen politischen Rahmen und einen Aktionsplan eingerichtet, um die erfolgreiche Integration von Rückkehrern und Binnenvertriebenen zu fördern (USDOS 20.4.2018). Im Rahmen der humanitären Hilfe wurden IDPs je nach Region und klimatischen Bedingungen unterschiedlich unterstützt, darunter Nahrungspakete, Non-Food-Items (NFI), grundlegende Gesundheitsdienstleistungen, Hygienekits usw. (UN OCHA 27.5.2018; vgl. UN OCHA 20.5.2018, UN OCHA 21.1.2018).
Organisationen wie Afghanaid, Action Contre La Faim (ACF), Agency for Technical Cooperation and Development (ACTED), Afghan Red Crescent Society (ARCS), Afghanistan National Disaster Management Authority (ANDMA), CARE, Danish Committee for Aid to Afghan Refugees (DACAAR), IOM, Danish Refugee Council (DRC), New Consultancy and Relief Organization (NCRO), Save the Children International (SCI), UN‘s Children Fund (UNICEF), UNHCR, World Food Programme (WFP) bieten u.a. Binnenvertriebenen Hilfeleistungen in Afghanistan an (UN OCHA 27.5.2018; vgl. UN OCHA 20.5.2018).
Flüchtlinge in Afghanistan:
Die afghanischen Gesetze sehen keine Gewährung von Asyl oder Flüchtlingsstatus vor und es existiert kein staatliches System zum Schutz von Flüchtlingen aus anderen Ländern (USDOS 20.4.2018).
In Afghanistan leben pakistanische Flüchtlinge, die 2014 aus Nord-Waziristan in die Provinzen Khost und Paktika geflüchtet sind. 42.262 dieser Flüchtlinge sind in der Provinz Khost registriert: Das Gulan-Flüchtlingslager in Khost beherbergt 13.167 pakistanische Flüchtlinge und der Rest lebt in anderen Distrikten der Provinz Khost. In der Provinz Paktika wurden 2016 35.949 pakistanische Flüchtlinge registriert (UNHCR 4.2018; vgl. UNHCR 6.6.2018). In den Provinzen Khost und Paktika wurden ca. 76.925 pakistanische Flüchtlinge aus Nord-Waziristan registriert und verifiziert. In den urbanen Zentren leben ungefähr 505 Asylwerber, die auf die Verabschiedung eines Asylgesetzes warten. Ihre lokale Integration ist aus rechtlichen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und anderen Gründen derzeit unmöglich; auch bleiben die Umsiedlungsmöglichkeiten eingeschränkt (UNHCR 4.2018).
Weiterführende Informationen und Zahlen zu Rückkehrern und Rückkehrerinnen nach Afghanistan können dem Kapitel 23. „Rückkehr“ entnommen werden; Anmerkung der Staatendokumentation.
Quellen:
? AA – Auswärtiges Amt (5.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamsichen Republik Afghanistan, https://www.ecoi.net/en/document/1434081.html, Zugriff 11.6.2018
? IOM – International Organization for Migration (8.5.2018): Displacement Survey Shows 3.5 Million Internally Displaced, Returnees from Abroad in 15 Afghan Provinces, http://afghanistan.iom.int/press-releases/displacement-survey-shows-35-million-internally-displaced-returnees-abroad-15-afghan, Zugriff 29.5.2018
? IOM/DTM – International Organization for Migration/Displacement Tracking Matrix (26.3.2018): Afghanistan — Baseline Mobility Assessment Summary Results (November — December 2017), https://displacement.iom.int/reports/afghanistan-%E2%80%94-baseline-mobility-assessment-summary-results-november-%E2%80%94-december-2017, Zugriff 10.4.2018
? UN GASC – United Nations General Assembly Security Council (27.2.2018): The situation in Afghanistan and its implications for international peace and security as of February 15th, https://www.ecoi.net/en/file/local/1426124/1226_1520437513_sg-report-on-afghanistan-27-february.pdf, Zugriff 29.5.2018
? UNHCR – Office of the United Nations High Commissioner for Refugees (6.6.2018): E-Mail-Austausch mit UNHCR-Mitarbeiterin, E-Mail liegt im Archiv der Staatendokumentation aufUNHCR – Office of the United Nations High Commissioner for Refugees (4.2018): Fact sheet on the situation of returnees, IDPs and Pakistani refugees covering April 2018, https://www.ecoi.net/en/file/local/1431744/1930_1525781435_63481.pdf, Zugriff 29.5.2018
? UN OCHA – United Nations Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (27.5.2018): Afghanistan Weekly Field Report, 21-27 May 2018, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/20180528_afghanistan_weekly_field_report_21_-_27_may_2018.pdf, Zugriff 29.5.2018
? UN OCHA – United Nations Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (20.5.2018): Afghanistan Weekly Field Report, 14-20 May 2018, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/20180521_afghanistan_weekly_field_report_14_-_20_may_2018.pdf, Zugriff 29.5.2018
? UN OCHA – United Nations Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (15.5.2018): Afghansitan: Snapshot of Population Movements in 2018, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/afg_population_movement_snapshot_20180515_v1.pdf, Zugriff 29.5.2018
? UN OCHA – Unted Nations Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (21.1.2018): Afghanistan Weekly Field Report, Week of 15 – 21 January 2018, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/20180129_afghanistan_weekly_field_report_22_-28_january_2018_en.pdf, Zugriff 30.5.2018
? UN OCHA – United Nations Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (12.2017): 2018 Humanitarian Needs Overview; Afghanistan, https://www.ecoi.net/en/file/local/1419981/1930_1513671541_afg-2018-humanitarian-needs-overview-5.pdf, Zugriff 10.4.2018
? USAID – U.S. Agency for International Development (30.4.2018): Afghanistan – Complex Emergency https://www.ecoi.net/en/file/local/1433122/1788_1526997854_3004.pdf, Zugriff 29.5.2018
? USDOS – U.S. Department of State (20.4.2018): Country Reports on Human Rights Practices of 2017 – Afghanistan, http://www.state.gov/j/drl/rls/hrrpt/humanrightsreport/index.htm?year=2017&dlid=277275, Zugriff 24.5.2018
Grundversorgung und Wirtschaft
Im Jahr 2015 belegte Afghanistan auf dem Human Development Index (HDI) Rang 169 von 188 (UNDP 2016). Seit 2002 hat Afghanistan mit Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft wichtige Fortschritte beim Wiederaufbau seiner Wirtschaft erzielt. Nichtsdestotrotz bleiben bedeutende Herausforderungen bestehen, da das Land weiterhin von Konflikten betroffen, arm und von Hilfeleistungen abhängig ist (IWF 8.12.2017; vgl. WB 10.4.2018). Während auf nationaler Ebene die Armutsrate in den letzten Jahren etwas gesunken ist, stieg sie in Nordostafghanistan in sehr hohem Maße. Im Norden und im Westen des Landes konnte sie hingegen reduziert werden (SCA 22.5.2018). Angesichts des langsamen Wachstums, sicherheitsbedingter Versorgungsunterbrechungen und schwacher landwirtschaftlicher Leistungen, nimmt die Armut weiterhin zu (WB 10.4.2018).
Die Verbraucherpreisinflation bleibt mäßig und wurde für 2018 mit durchschnittlich 6% prognostiziert (IWF 8.12.2017). Der wirtschaftliche Aufschwung erfolgt langsam, da die andauernde Unsicherheit die privaten Investitionen und die Verbrauchernachfrage einschränkt. Während der Agrarsektor wegen der ungünstigen klimatischen Bedingungen im Jahr 2017 nur einen Anstieg von ungefähr 1.4% aufwies, wuchsen der Dienstleistungs- und Industriesektor um 3.4% bzw. 1.8%. Das Handelsbilanzdefizit stieg im ersten Halbjahr 2017, da die Exporte um 3% zurückgingen und die Importe um 8% stiegen (UN GASC 27.2.2018).
Arbeitsmarkt und Arbeitslosigkeit
Schätzungen zufolge leben 74,8% der Bevölkerung in ländlichen und 25,2% in städtischen Gebieten (CSO 4.2017). Für ungefähr ein Drittel der Bevölkerung ist die Landwirtschaft (inklusive Tiernutzung) die Haupteinnahmequelle (SCA 22.5.2018; vgl. AF 14.11.2017).
In den Jahren 2016-2017 wuchs die Arbeitslosenrate, die im Zeitraum 2013-2014 bei 22,6% gelegen hatte, um 1%. Die Arbeitslosigkeit betrifft hauptsächlich gering qualifizierte bildungsferne Personen; diese sind auch am meisten armutsgefährdet (WB 10.4.2018). Über 40% der erwerbstätigen Bevölkerung gelten als arbeitslos oder unterbeschäftigt (SCA 22.5.2018). Es müssten jährlich geschätzte 400.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden, um Neueinsteiger in den Arbeitsmarkt integrieren zu können (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. SCA 22.5.2018). Seit 2001 wurden zwar viele neue Arbeitsplätze geschaffen, jedoch sind diese landesweit ungleich verteilt und 80% davon sind unsichere Stellen (Tagelöhner) (SCA 22.5.2018).
Ungefähr 47,3% der afghanischen Bevölkerung sind unter 15 Jahre alt, 60% unter 24 Jahre. Daher muss die Versorgung der jungen Bevölkerungsschichten seitens einer viel geringeren Zahl von Erwachsenen gewährleistet werden; eine Herausforderung, die durch den schwachen Arbeitsmarkt verschlimmert wird. Mehr als ein Drittel der männlichen Bevölkerung (34,3%) Afghanistans und mehr als die Hälfte der weiblichen Bevölkerung (51,1%) sind nicht in der Lage, eine passende Stelle zu finden. Gemäß einer Umfrage von Asia Foundation (AF) aus dem Jahr 2017 wird von 70,6% der Befragten die Arbeitslosigkeit als eines der größten Probleme junger Menschen in Afghanistan zwischen 15 und 24 Jahren gesehen (AF 14.11.2017).
Projekte der afghanischen Regierung
Im Laufe des Jahres 2017 hat die afghanische Regierung weiterhin Anstrengungen unternommen, um die Rechenschaftspflicht bei der Umsetzung ihrer Entwicklungsprioritäten durch die hohen Entwicklungsräte zu fördern (UN GASC 27.2.2018). Darunter fällt u. a. der fünfjährige (2017 – 2020) Nationale Rahmen für Frieden und Entwicklung in Afghanistan (The Afghanistan National Peace and Development Framework, ANPDF) zur Erreichung der Selbständigkeit. Ziele dieses strategischen Plans sind u. a. der Aufbau von Institutionen, die Förderung von privaten Investitionen, Wirtschaftswachstum, die Korruptionsbekämpfung, Personalentwicklung usw. (WP 10.4.2018.; vgl. GEC 29.1.2017). Im Rahmen der Umsetzung dieses Projekts hat die Regierung die zehn prioritären nationalen Programme mithilfe der Beratung durch die hohen Entwicklungsräte weiterentwickelt. Die Implementierung zweier dieser Projekte, des „Citizens’ Charter National Priority Program“ und des „Women‘s Economic Empowerment National Priority Program“ ist vorangekommen. Die restlichen acht befinden sich in verschiedenen Entwicklungsstadien (UN GASC 27.2.2018).
Das „Citizens’ Charter National Priority Program“ z. B. hat die Armutsreduktion und die Erhöhung des Lebensstandards zum Ziel, indem die Kerninfrastruktur und soziale Dienstleistungen der betroffenen Gemeinschaften verbessert werden sollen. Die erste Phase des Projektes sollte ein Drittel der 34 Provinzen erfassen und konzentrierte sich auf Balkh, Herat, Kandahar und Nangarhar. Ziel des Projekts ist es, 3,4 Mio. Menschen Zugang zu sauberem Trinkwasser zu verschaffen, die Gesundheitsdienstleistungen, das Bildungswesen, das Straßennetz und die Stromversorgung zu verbessern, sowie die Zufriedenheit und das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung zu steigern. Des Weiteren zielt das Projekt darauf ab, Binnenvertriebene, Behinderte, Arme und Frauen besser zu integrieren (WB 10.10.2016).
Die afghanische Regierung hat Bemühungen zur Armutsreduktion gesetzt und unterstützt den Privatsektor weiterhin dabei, nachhaltige Jobs zu schaffen und das Wirtschaftswachstum voranzutreiben. Die Ausstellung von Gewerbeberechtigungen soll gesteigert, steuerliche Sanktionen abgeschafft und öffentlich-private Partnerschaften entwickelt werden; weitere Initiativen sind geplant (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. TD 28.12.2017).
Quellen:
? AF – Asia Foundation (14.11.2017) – Afghanistan in 2017, A Survey of the Afghan People, https://asiafoundation.org/wp-content/uploads/2017/11/2017_AfghanSurvey_report.pdf, Zugriff 30.5.2018
? BFA der Staatendokumentation (4.2018): Fact Finding Mission Report Afghanistan, https://www.ecoi.net/en/file/local/1430912/5818_1524829439_03-onlineversion.pdf, Zugriff 30.5.2018
? CSO – Central Statistics Organization (4.2017): Estimated Population of Afghanistan 2017-2018, http://cso.gov.af/Content/files/%D8%AA%D8%AE%D9%85%DB%8C%D9%86%20%D9%86%D9%81%D9%88%D8%B3/Final%20Population%201396.pdf, Zugriff 30.5.2018
? GEC – Global Education Cluster (29.1.2017): Islamic Republic of Afghanistan, Afghanistan National Peace and Development Framework (ANPDF), https://www.humanitarianresponse.info/sites/www.humanitarianresponse.info/files/documents/files/anpdf26102016112634175553325325.pdf, Zugriff 30.5.2018
? IWF – International Monetary Fund (8.12.2017): Islamic Republic of Afghanistan: 2017 article IV consultation and second review under the extended credit facility arrangement, and request for modification of performance criteria – press release; staff report; and statement by the executive director for the Islamic Republic of Afghanistan, https://www.google.com/url?sa=t&rct=j&q=&esrc=s&source=web&cd=3&ved=0ahUKEwjX0fmm46zbAhUqDJoKHWxmDh0QFgg3MAI&url=https%3A%2F%2Fwww.imf.org%2F~%2Fmedia%2FFiles%2FPublications%2FCR%2F2017%2Fcr17377.ashx&usg=AOvVaw0GOgm4RS9sD-6yQQXjUdbR, Zugriff 30.5.2018
? SCA – Swedish Committee for Afghanistan (22.5.2018): Social Conditions, https://swedishcommittee.org/afghanistan/social_conditions, Zugriff 30.5.2018
? TD – The Diplomat (28.12.2017): Afghanistan in 2017: Achievements and Challenges, https://thediplomat.com/2017/12/afghanistan-in-2017-achievements-and-challenges/, Zugriff 29.8.2018
? UNDP – United Nations Development Programme (2016): Human Development Report 2016, http://hdr.undp.org/sites/default/files/2016_human_development_report.pdf, Zugriff 1.6.2018
? UN GASC – United Nations General Assembly (27.2.2018): The situation in Afghanistan and its implications for international peace and security: report of the Secretary-General, http://undocs.org/S/2018/165, Zugriff 30.5.2018
? WB – The World Bank (10.4.2018): Afghanistan – Overview, http://www.worldbank.org/en/country/afghanistan/overview, Zugriff: 30.5.2018
? WB – The Worldbank (10.10.2016): Afghanistan Government Inaugurates Citizens’ Charter to Target Reform and Accountability, http://www.worldbank.org/en/news/feature/2016/10/10/government-inaugurates-citizens-charter-to-target-reform-and-accountability, Zugriff 30.5.2018
Pensionssystem
Staatliches Pensionssystem in Afghanistan
Ein öffentliches Pensionssystem ist in Afghanistan etabliert. Personen, die in Afghanistan berufstätig waren, haben Zugang zu Pensionszahlungen. Die Person muss bei Pensionsantritt lediglich mehr als 32 Jahre gearbeitet haben und zwischen 63 und 65 Jahre alt sein – die Altersvoraussetzung kann jedoch von Fall zu Fall variieren. Staatsbedienstete/Regierungsbedienstete mit einem unbefristeten Vertrag können im Alter von 55 Jahren um Frühpension ansuchen. Vor kurzem wurde ein biometrischer Prozess bei Beantragung der Pension eingeführt. Der/die zu pensionierende Staatsbedienstete erhält die Pension jährlich auf ein Bankkonto überwiesen.
Die Pension eines Regierungsangestellten kann von seinen/ihren Familienmitgliedern geerbt werden:
? Ehepartner: der/die Ehepartner/in kann die Pension des verstorbenen Regierungsangestellten erben, sofern diese/r nicht wieder geheiratet hat oder selbst erwerbstätig ist.
? Kinder: Kinder beiderlei Geschlechts können die Pension erben und bis zum Zeitpunkt ihrer Heirat oder einer Arbeitsaufnahme weiter beziehen.
? Diese Pensionsübernahme ist altersunabhängig und kann auch zu einem späteren Zeitpunkt, beispielsweise in einem hohen Alter, oder nach Scheidung (gilt für Kinder) noch bezogen werden – Voraussetzung ist die Verwandtschaft ersten Grades (BFA Staatendokumentation 4.2018).
Der Antrag zur Pensionsübernahme durch die Familie muss in Kabul eingebracht werden. Dieses Verfahren ist sehr komplex. Sobald die Pensionsübernahme eingerichtet wurde, kann der Betreffende alle weiteren Verfahrensschritte von der Heimatprovinz aus erledigen. Die Familie kann selbst entscheiden, ob die Pension jährlich oder halbjährlich etc. ausbezahlt werden soll. Der Einschätzung eines NGO-Vertreters zufolge ist die Pension nicht besonders hoch; Familien können davon nicht das ganze Jahr leben. Der Pensionsbetrag wird nicht auf Basis des Lebensstandards kalkuliert (BFA Staatendokumentation 4.2018).
Alternative Pensionssysteme in Afghanistan
Arbeitnehmer/innen müssen nicht in das staatliche Pensionssystem einzahlen (BFA Staatedokumentation 4.2018; vgl. IOM 2017). Private Firmen in Afghanistan sind nicht verpflichtet, ihren Angestellten eine Pension zu bezahlen. Manche Organisationen/Firmen haben sich dafür entscheiden, dies zu tun und ein Pensionskonto für ihre Angestellten eröffnet. Beispielsweise zahlt der/die Angestellte einen Anteil seines/ihres Gehaltes auf das Pensionskonto ein, während der Arbeitgeber dem einen Betrag hinzufügt. Manche Arbeitgeber zahlen ihren Angestellten Abfertigungen, welche die Angestellten sich nach einem gewissen Zeitraum ausbezahlen lassen können (BFA Staatendokumentation 4.2018).
Quellen:
? BFA Staatendokumentation (4.2018): Fact Finding Mission Report Afghanistan, https://www.ecoi.net/en/file/local/1430912/5818_1524829439_03-onlineversion.pdf, 30.4.2018
? IOM – International Organization for Migration (2017): Länderinformationsblatt Afghanistan 2017, http://files.returningfromgermany.de/files/CFS_2017_Afghanistan_DE.pdf, Zugriff 29.8.2018