Entscheidungsdatum
08.10.2020Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
W248 2195239-1/22E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. NEUBAUER über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Erstaufnahmestelle XXXX vom 18.04.2018, Zl. XXXX , in einer Angelegenheit nach dem AsylG 2005 und dem FPG, zu Recht:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
1 Verfahrensgang:
1. XXXX , geb. XXXX , (im Folgenden: Beschwerdeführer) ist afghanischer Staatsbürger und stellte am 28.01.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.
2. Im Zuge der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes, XXXX am 28.01.2015 gab der Beschwerdeführer an, aus der afghanischen Provinz Ghazni zu stammen. Seine Muttersprache sei Dari, er spreche auch Farsi. Er gab weiters an, den Namen XXXX zu führen, am XXXX geboren zu sein, afghanischer Staatsbürger sowie Angehöriger der Volksgruppe der Hazara und schiitischer Moslem zu sein. Er sei ledig und habe keine Kinder. Der Beschwerdeführer habe drei Jahre lang eine Grundschule in Ghazni besucht und als Hilfsarbeiter und „Motorradreifenflicker“ gearbeitet. Zuletzt habe der Beschwerdeführer in XXXX , in Pakistan gewohnt. Sein Vater habe in einer afghanischen Hilfsorganisation namens XXXX gearbeitet und sei von Taliban entführt worden. Seine Mutter, sein jüngerer Bruder sowie seine vier Schwestern würden sich in Pakistan befinden. Die Familie besitze zwei Häuser in Ghazni. Der Beschwerdeführer habe vor etwa eineinhalb Jahren den Entschluss zur Ausreise aus Afghanistan gefasst. Seine Mutter habe die Reise nach Österreich organisiert. Die Kosten für die Reise hätten EUR 5.000,- betragen.
Befragt zu seinen Fluchtgründen führte der Beschwerdeführer im Wesentlichen aus, dass sein Vater von Taliban entführt worden sei, da er bei einer afghanischen Hilfsorganisation gearbeitet habe. Der Beschwerdeführer sei ebenfalls bei dieser Hilfsorganisation tätig gewesen und habe Kinder mündlich unterrichtet. Im Jahr 2013 sei der Beschwerdeführer gemeinsam mit seiner Familie nach Pakistan geflüchtet. Die Reise von Pakistan bis nach Österreich habe etwa drei Monate gedauert.
3. Mit Schreiben vom 01.04.2016 übermittelte der Beschwerdeführer eine Kursbesuchsbestätigung „Basisbildungskurs“ zur Vorbereitung auf den Pflichtschulabschluss des Vereins das Kollektiv vom 16.03.2016 sowie eine Teilnahmebestätigung an der Bildungsveranstaltung Basisbildung vom 02.02.2015 bis 03.07.2015 des BFI OÖ vom 15.07.2015.
4. Am 13.06.2016 wurde dem BFA der Abschlussbericht der Landespolizeidirektion Oberösterreich, Kriminalreferat vom 02.06.2016 übermittelt. Der Beschwerdeführer sei von der Kriminalpolizei festgenommen worden, da er beschuldigt worden sei, am 09.05.2016 einen anderen Bewohner vor der Asylunterkunft zuerst ohne Grund beschimpft und beleidigt zu haben und anschließend diesen mehrmals mit seinen Fäusten geschlagen und mit seinen Füßen getreten zu haben. In weiterer Folge habe der Beschwerdeführer die linke Hand des Opfers genommen und ihm mit einem Klappmesser fünf leichte Schnittwunden am Unterarm zugefügt. Durch die Faustschläge des Beschwerdeführers habe das Opfer eine leichte Schwellung am Kopf erlitten. Der Beschwerdeführer führte im Zuge der Beschuldigtenvernehmung aus, dass er mit dem Opfer betreffend die Unterkunftreinigung einen verbalen Streit gehabt habe, woraufhin der Beschwerdeführer beschimpft und beleidigt worden sei. Sie seien anschließend vor die Asylunterkunft gegangen, wo der Streit eskaliert sei, da der andere Jugendliche mit einem Küchenmesser auf den Beschwerdeführer losgegangen sei. Der Beschwerdeführer habe selbst kein Messer in der Hand gehabt, sondern den anderen Jugendlichen lediglich mit einem Schlüssel an der Hand und am Hals verletzt. Nach der Vernehmung sei eine Anzeige auf freiem Fuß erfolgt.
5. Mit Beschluss des Bezirksgerichts Grieskirchen vom 23.03.2015 bzw. 22.06.2015, GZ: 1 PS 11/15y wurde das Land Oberösterreich als Kinder- und Jugendhilfeträger mit der gesamten Obsorge des Beschwerdeführers betraut. Mittels Vereinbarung vom 04.04.2016 wurde die Ausübung der Obsorge an die XXXX übertragen.
6. Mit Stellungnahme vom 19.07.2016 brachte der Beschwerdeführer vor, dass er seinen Vater an die Taliban verloren habe und seine Mutter an einer schweren Krankheit leide. Die lange Wartezeit sowie die Ungewissheit würden den Beschwerdeführer sehr belasten. Der Beschwerdeführer übermittelte diverse Teilnahmebestätigungen und Empfehlungsschreiben.
7. Am 06.09.2016 wurde dem BFA eine Meldung vom 06.09.2016 und ein Abschlussbericht der Polizeiinspektion Linz- Hauptbahnhof vom 01.09.2016 übermittelt. Der Beschwerdeführer werde gemeinsam mit zwei anderen Personen verdächtigt, ein veruntreutes Handy mehrmals untereinander im Zeitraum von Anfang Juni bis Anfang Juli 2016 verhehlt zu haben.
8. Mit Stellungnahme vom 22.09.2016 führte der Beschwerdeführer hinsichtlich der Erstbefragung ergänzend und berichtigend aus, dass er aus der Stadt XXXX in der Provinz Ghazni stamme und zuletzt in der Stadt Quetta in Pakistan gelebt habe. Seine Familie befinde sich nicht mehr in Afghanistan, sodass er nicht wisse, was mit den Häusern der Familie in Ghazni geschehen sei. Der Beschwerdeführer ergänzte, dass er nicht nur Kinder unterrichtet habe, sondern auch selbst Kurse in der Hilfsorganisation besucht habe. Den Entschluss zur Ausreise aus Afghanistan habe er unmittelbar nach der Entführung seines Vaters gefasst. Im Falle einer Rückkehr in den Heimatort drohe dem Beschwerdeführer massive Gefahr, von den Taliban wiederentdeckt, entführt und getötet zu werden. Vor etwa zwei Wochen habe der Beschwerdeführer vom Tod seines Vaters erfahren, da ein Bekannter aus dem Heimatdorf der Mutter des Beschwerdeführers die Todesnachricht übermittelt habe.
9. Am 03.10.2016 wurde dem BFA ein Abtretungsbericht des Stadtpolizeikommandos Linz vom 02.10.2016 übermittelt. Im Zuge einer Observation hätten die Kräfte des Kriminalreferates am 17.09.2016 feststellen können, dass der Beschwerdeführer mit einer unbekannten Person eine Drogenübergabe durchgeführt habe. Der Beschwerdeführer habe bei der anschließenden Kontrolle selbst bestätigt einen Drogenbrief „Speed“ für den Eigenkonsum um EUR 30,- gekauft zu haben. Der Beschwerdeführer habe diesbezüglich angeführt, dass er seit drei Monaten etwa zwei bis drei Mal monatlich Amphetamine konsumiere, da er sehr traurig sei.
10. Mit Stellungnahme vom 22.12.2016 übermittelte der Beschwerdeführer einen aktuellen Entwicklungsbericht seiner Bezugsbetreuerin sowie eine Bestätigung über eine beginnende psychiatrische Behandlung. Der Beschwerdeführer verwies insbesondere auf seine psychisch instabile Lage und ersuchte erneut um Anberaumung der Einvernahme.
Im Entwicklungsbericht vom 21.12.2016 führte seine Bezugsbetreuerin aus, dass der Beschwerdeführer körperlich gesund sei sowie, dass keine schwerwiegenden Erkrankungen vorliegen bzw. keine Krankheiten aus der Vergangenheit bekannt seien. Der Beschwerdeführer leide durch den psychisch bedingten dauerhaften Stresszustand an Gewichtsverlust, Kopfschmerzen und Ein- und Durchschlafstörungen. Er sei antriebslos und könne sich nur schwer konzentrieren. Der psychische Zustand des Beschwerdeführers sei aufgrund des langen Asylverfahrens und der Todesnachricht seines Vaters sehr labil. Der Beschwerdeführer füge sich selbst mit einem Messer Schmerzen und Wunden zu.
11. Bei seiner Einvernahme vor der belangten Behörde am 04.07.2017 wurde der Beschwerdeführer zu seinen Personalien und zu seinen Angehörigen in seinem Herkunftsland befragt. Zu seiner Herkunft führte der Beschwerdeführer aus, in der Provinz Ghazni, im Distrikt Jaghori, im Dorf XXXX geboren worden zu sein. Zuletzt habe der Beschwerdeführer in der Stadt XXXX in der Provinz Ghazni in Afghanistan gelebt. Der Beschwerdeführer gab an, drei Jahre eine Schule besucht zu haben, im Alter von elf oder zwölf Jahren in einem kleinen Betrieb als „Reifenflicker“ gearbeitet und anschließend seinem Vater bei dessen Tätigkeiten in der Hilfsorganisation geholfen zu haben.
Befragt zu seinen Fluchtgründen gab der Beschwerdeführer zusammengefasst an, dass sein Vater in der Nacht von Taliban entführt worden sei, als er in den Räumlichkeiten der Hilfsorganisation übernachtet habe. Der Beschwerdeführer habe ebenfalls in der Hilfsorganisation gearbeitet und Kindern den Koran erklärt. Der Chef der Hilfsorganisation habe dem Beschwerdeführer nach der Entführung des Vaters mitgeteilt, dass die Taliban auch nach ihm suchen würden. Fünf bis sechs Tage später sei die gesamte Familie nach Pakistan in die Stadt Quetta geflüchtet. Der Beschwerdeführer habe eineinhalb Jahre in Quetta verbracht. Aufgrund der schlechten Sicherheitslage in Pakistan habe die Mutter die Ausreise des Beschwerdeführers organisiert. Als Schiite und Hazara werde der Beschwerdeführer in Afghanistan verfolgt. In Pakistan sei die Lage für Hazara ebenfalls unsicher, sodass der Beschwerdeführer aus Pakistan habe ausreisen müssen. In Afghanistan habe der Beschwerdeführer weder familiäre noch sonstige Anknüpfungspunkte. Sein Onkel und seine Tante väterlicherseits würden im Iran leben. Da sein Vater eine bekannte Person gewesen sei, würde der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan umgehend erkannt und getötet werden. Im Zuge von ergänzenden Fragen führte der Beschwerdeführer erstmals aus, persönlich von Taliban bedroht worden zu sein. Eines Abends sei er gemeinsam mit seinem Vater von Taliban angehalten und aufgefordert worden, die Arbeit für die Organisation zu beenden. Im Falle einer Fortsetzung der Arbeit für die Organisation hätten die Taliban beide mit der Ermordung bedroht. Der Beschwerdeführer führte explizit aus, in Österreich ein besseres Leben führen zu wollen.
Befragt zu seinem Gesundheitszustand und ob der Beschwerdeführer psychisch und physisch in der Lage sei, Angaben zum Verfahren zu machen, führte der Beschwerdeführer aus, dass es ihm gut gehe und, dass er bereits einige Male psychische Probleme gehabt habe. Aktuell nehme er keine Medikamente und sei nicht in ärztlicher Behandlung.
Im Zuge der Einvernahme legte der Beschwerdeführer Urkunden zu seinem Leben in Österreich sowie afghanische Dokumente vor.
12. Mit undatierter Stellungnahme zum Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan, beim BFA eingebracht am 11.07.2017, verwies der Beschwerdeführer auf Berichte von UNHCR und UNAMA und führte aus, dass die Taliban in ganz Afghanistan gut vernetzt seien. Eine innerstaatliche Fluchtalternative sei nicht zumutbar, da im gesamten Staatsgebiet kein effektiver Schutz gewährleistet werden könne. Betreffend die Situation für Hazara führte der Beschwerdeführer aus, dass Hazara landesweit unterdrückt, angegriffen, entführt, ermordet und auch in Pakistan verfolgt werden würden. Hazara seien zudem vergleichsweise offen, ihnen sei Bildung wichtig und Frauen hätten mehr Rechts als bei den Paschtunen.
13. Mit dem im Spruch bezeichneten Bescheid wies das BFA den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten ab (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 wurde der Antrag auf internationalen Schutz auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan abgewiesen (Spruchpunkt II.). Dem Beschwerdeführer wurde kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Weiters wurde ausgesprochen, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.).
In der Begründung des Bescheides gab das BFA die entscheidungsrelevanten Angaben des Beschwerdeführers wieder und traf Feststellungen zur Lage in Afghanistan. Es wurde im Wesentlichen zu Spruchpunkt I. ausgeführt, dass der Beschwerdeführer eine asylrelevante Verfolgung nicht habe glaubhaft machen können. Betreffend das Herkunftsland Afghanistan könne die Behörde keine drohende Verfolgung erkennen. Dass der Beschwerdeführer für eine gemeinnützige Organisation gearbeitet habe, sei glaubhaft. Da er jedoch nur über eine dreijährige Schulbildung verfüge, seien die Ausführungen des Beschwerdeführers zu seiner konkreten Tätigkeit in der Organisation unglaubwürdig. Zudem würden auf der Homepage der Organisation keine Bildungsprogramme aufscheinen. Zu Spruchpunkt II. wurde ausgeführt, dass eine Rückkehr des Beschwerdeführers in seinen Herkunftsstaat, insbesondere nach Kabul, möglich sei. Er verfüge über Schulbildung und habe in Afghanistan bereits gearbeitet, wodurch er sich selbst habe versorgen können.
Dieser Bescheid wurde dem Beschwerdeführer am 18.04.2018 zugestellt.
14. Mit Verfahrensanordnung des BFA vom 18.04.2018 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG XXXX amtswegig als Rechtsberatung zur Seite gegeben.
15. Mit Schreiben vom 11.05.2018 erhob der Beschwerdeführer, vertreten durch die XXXX , fristgerecht Beschwerde gegen sämtliche Spruchpunkte des Bescheides des BFA. Eine Vollmacht wurde vorgelegt.
Der Beschwerdeführer wiederholte sein Fluchtvorbringen und führte erneut aus, dass er gemeinsam mit seinem Vater für die Hilfsorganisation „ XXXX “ gearbeitet habe. Der Beschwerdeführer und sein Vater seien zwei Mal von den Taliban bedroht worden. Die Taliban hätten mit der Ermordung bedroht, wenn der Beschwerdeführer und sein Vater die Arbeit für die Hilfsorganisation fortsetzen würden. Kurze Zeit nach der zweiten Drohung sei der Vater des Beschwerdeführers entführt worden. Der Chef habe dem Beschwerdeführer mitgeteilt, dass die Taliban auch ihn suchen würden. Daraufhin sei die gesamte Familie nach Pakistan geflüchtet. Nach etwa eineinhalb Jahren sei der Beschwerdeführer nach Europa gereist. In Afghanistan habe er keine familiären oder sozialen Anknüpfungspunkte. Die Behörde habe unvollständige und teilweise unrichtige Länderfeststellungen getroffen und sich nicht mit dem konkreten Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers befasst. Die Behörde habe es insbesondere verabsäumt, Berichte über die Situation der Hazara in Afghanistan einzuholen. Weiters habe die Behörde die Projekte der Hilfsorganisation nur oberflächlich ermittelt, zumal Bildungsprojekte an Waisenkinder angeboten worden seien. Der Beschwerdeführer verwies auf diverse Berichte betreffend die Situation von Hazara sowie die allgemein schlechte Sicherheitslage in Afghanistan, insbesondere in Kabul. Eine innerstaatliche Fluchtalternative stehe dem Beschwerdeführer aufgrund der schlechten Sicherheitslage im gesamten Staatsgebiet und der Bekanntheit seines Vaters nicht zur Verfügung. Der Beschwerdeführer verfüge weder über die finanziellen Mittel noch über die notwenige Erfahrung, um sich selbständig eine neue Existenz aufzubauen. Der Beschwerdeführer würde im Falle einer Rückkehr aufgrund seiner Mitarbeit bei einer Hilfsorganisation, seiner Volksgruppenzugehörigkeit sowie der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der „Familienangehörigen seines Vaters“ asylrelevant verfolgt werden. Der Beschwerdeführer beantragte zudem die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.
16. Die Beschwerde und der Bezug habende Verwaltungsakt langten am 15.05.2018 mit Schreiben vom 11.05.2018 beim Bundesverwaltungsgericht ein.
17. Mit Schreiben vom 21.12.2018, 26.03.2019 und 05.12.2019 bestätigte das BFA, dass hinsichtlich einer freiwilligen Rückkehr nichts gegen eine Teilnahme des Beschwerdeführers am Projekt RESTART II Afghanistan bzw. am Projekt ADDITIONAL SUPPORT Afghanistan spreche.
18. Mit Beschluss vom 03.11.2017 des Bezirksgerichtes Linz, XXXX , wurde das Strafverfahren gegen den Beschwerdeführer wegen § 27 Abs 1 Z 1 1. und 2. Fall, Abs. 2 SMG gemäß § 37 iVm § 35 SMG unter Bestimmung einer Probezeit von zwei Jahren vorläufig eingestellt.
19. Mit Verständigung der Behörde von der Anklageschrift des Landesgerichtes Linz vom 11.06.2019, XXXX , wurde mitgeteilt, dass gegen den Beschwerdeführer wegen § 28a Abs. 1 5. Fall SMG, §§ 27 Abs 1 Z 1 1. Fall, 27 Abs. 1 Z 1 2. Fall, 27 Abs. 2 SMG Anklage wegen vorsätzlich begangener strafbarer Handlungen erhoben wurde.
20. Mit Verständigung der Behörde von der Verhängung der Untersuchungshaft des Landesgerichtes Linz vom 14.01.2020, XXXX , wurde mitgeteilt, dass der Beschwerdeführer wegen § 28a Abs. 1 5. Fall SMG, §§ 27 Abs 1 Z 1 1. Fall, 27 Abs. 1 Z 1 2. Fall, 27 Abs. 2 SMG am 14.01.2020 in Untersuchungshaft genommen wurde.
21. Mit Verfahrensordnung des BFA vom 04.02.2020 wurde dem Beschwerdeführer der Verlust des Aufenthaltsrechts im Bundesgebiet gemäß § 13 Abs. 2 AsylG wegen Verhängung der Untersuchungshaft mitgeteilt.
22. Mit Urteil vom 19.02.2020 des Landesgerichtes Linz, XXXX , wurde der Beschwerdeführer wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 5. Fall SMG und der Vergehen des unerlaubten Umganges mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 1. und 2. Fall, Abs 2 SMG in Anwendung der §§ 28, 36 StGB und des § 19 JGG gemäß § 28a Abs 1 SMG zu einer Freiheitsstrafe von 15 Monaten verurteilt. Gemäß § 43a Abs. 3 StGB wurde ein Teil der Freiheitsstrafe in der Dauer von 12 Monaten unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen.
Das Geständnis, die Unbescholtenheit sowie teilweise das Alter unter 21 Jahren wären mildernd gewertet worden. Erschwerend wären die Zusammentreffen von einem Verbrechen und mehreren Vergehen gewertet worden.
23. Der Beschwerdeführer wurde am 13.03.2020 aus der Haft entlassen.
24. Mit E-Mail vom 16.03.2020 teilte ein Mitarbeiter der XXXX dem BFA mit, dass sich die geplante Rückkehr sehr wahrscheinlich „aus den bekannten Gründen“ verzögern werde. Der Beschwerdeführer sei über die XXXX erreichbar.
25. Im Zuge eines Telefonates am 01.10.2020 mit dem zuständigen Mitarbeiter der XXXX teilte dieser dem Bundesverwaltungsgericht mit, dass der Beschwerdeführer das Bundesgebiet freiwillig verlassen habe und sich aktuell in Deutschland befinde. Er habe keinen Kontakt zum Beschwerdeführer.
26. Mit Schreiben vom 05.10.2020 teilte die XXXX mit, dass sie keinen Kontakt mehr zum Beschwerdeführer herstellen könne und ihre Vollmacht zurückziehe.
Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
2 Feststellungen:
Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage des erhobenen Antrages auf internationalen Schutz, der Erstbefragung sowie der Einvernahme des Beschwerdeführers durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sowie des BFA, der Beschwerde gegen den im Spruch genannten Bescheid des BFA, der im Verfahren vorgelegten Dokumente, der Stellungnahmen und der Einsichtnahme in den Bezug habenden Verwaltungsakt, das Zentrale Melderegister, das Fremdeninformationssystem, das Strafregister sowie das Grundversorgungs-Informationssystem und in das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Gesamtaktualisierung vom 13.11.2018, letzte KI vom 21.07.2020, die UNHCR-Richtlinien vom 30.08.2018, die EASO Country Guidance Afghanistan - Guidance note and common analysis (Juni 2019), das Dossier der Staatendokumentation: Stammes- und Clanstruktur (2016), das ACCORD – Themendossier zu Afghanistan: Sicherheitslage und sozioökonomische Lage in Herat und Mazar-e Sharif vom 15.01.2020, die ACCORD-Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Lokale Sicherheits- und Versorgungslage der Stadt Mazar-e Sharif vom 30.04.2020, sowie die aktuellen COVID-19 Zahlen zu Afghanistan - OCHA, WHO: Afghanistan Flash Update: Daily Brief: COVID-19, No. 79 (1 October 2020) werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:
2.1 Zur Person des Beschwerdeführers:
Die Identität des Beschwerdeführers steht nicht fest.
Der Beschwerdeführer führt den Namen XXXX und das Geburtsdatum XXXX . Er ist afghanischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Hazara an und ist schiitischer Moslem. Seine Muttersprache ist Dari. Er ist ledig und kinderlos.
Der Beschwerdeführer wurde in der Provinz Ghazni geboren und wuchs dort auf. Bis zu seiner Ausreise aus Afghanistan lebte er dort gemeinsam mit seinen Eltern, seinem jüngeren Bruder und seinen vier Schwestern.
Der Beschwerdeführer besuchte drei Jahre lang eine Schule in Ghazni. Er hat in Afghanistan als Hilfsarbeiter und als Reifenflicker gearbeitet.
Der Beschwerdeführer ist volljährig, jung, gesund und arbeitsfähig.
Der Beschwerdeführer ist nach den afghanischen Gepflogenheiten und der afghanischen Kultur sozialisiert, er ist mit den afghanischen Gepflogenheiten vertraut.
Der Beschwerdeführer ist strafrechtlich bescholten.
Mit Urteil des Landesgerichtes Linz vom 19.02.2020, XXXX , wurde der Beschwerdeführer wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 5. Fall SMG und der Vergehen des unerlaubten Umganges mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 1. und 2. Fall, Abs 2 SMG in Anwendung der §§ 28, 36 StGB und des § 19 JGG gemäß § 28a Abs 1 SMG zu einer Freiheitsstrafe von 15 Monaten verurteilt. Gemäß § 43a Abs. 3 StGB wurde ein Teil der Freiheitsstrafe in der Dauer von 12 Monaten unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen.
Der Beschwerdeführer wurde am 13.03.2020 aus der Haft entlassen und hat das Bundesgebiet freiwillig verlassen. Im Inland ist er nicht mehr gemeldet.
2.2 Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:
Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer und der Vater des Beschwerdeführers Mitarbeiter der Hilfsorganisation „ XXXX “ waren. Es kann ebenfalls nicht festgestellt werden, dass sein Vater von Taliban entführt und getötet wurde. Der Beschwerdeführer wurde von den Taliban weder persönlich bedroht, noch wurden sonstige Handlungen oder Maßnahmen von diesen gegen ihn gesetzt.
Der Beschwerdeführer hat Afghanistan weder aus Furcht vor Eingriffen in seine körperliche Integrität noch wegen konkreter Verfolgungs- oder Lebensgefahr verlassen.
Im Jahr 2013 verließ der Beschwerdeführer Afghanistan und zog mit seiner Familie in die Stadt Quetta in Pakistan. Nach etwa eineinhalb Jahren verließ der Beschwerdeführer Pakistan und reiste schlepperunterstützt nach Österreich.
2.3 Zum (Privat)Leben des Beschwerdeführers in Österreich:
Der Beschwerdeführer reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich ein und hielt sich seitdem bis zu seiner Ausreise durchgehend in Österreich auf. Er war nach seinem Antrag auf internationalen Schutz vom 28.01.2015 in Österreich aufgrund einer vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG bis zum 04.02.2020 rechtmäßig aufhältig. Gemäß § 13 Abs. 2 AsylG 2005 hat er sein Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet aufgrund der Verhängung der Untersuchungshaft verloren.
Der Beschwerdeführer hat in Österreich weder Verwandte, noch sonstige Bezugspersonen mit welchen er im gemeinsamen Haushalt lebt. Der Beschwerdeführer ist seit 04.09.2020 nicht mehr in Österreich gemeldet.
Der Beschwerdeführer hat das Bundesgebiet freiwillig verlassen.
Der Beschwerdeführer besuchte in den Jahren 2015 und 2016 diverse Deutschkurse und sonstige Bildungskurse. Er ist kein Mitglied in einem Verein.
Der Beschwerdeführer war bzw. ist in Österreich nicht erwerbstätig und lebte bis zu seiner Ausreise aus Österreich von der Grundversorgung.
2.4 Zu einer möglichen Rückkehr des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat:
Der Beschwerdeführer ist bei einer Rückkehr nach Afghanistan weder aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Volksgruppenzugehörigkeit, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Ansichten von staatlicher Seite oder von anderen Personen oder Gruppen mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit von Verfolgung bedroht.
Bei einer Rückkehr nach Afghanistan drohen dem Beschwerdeführer weder Lebensgefahr noch ein Eingriff in die körperliche Integrität durch Mitglieder der Taliban oder durch andere Personen. Der Beschwerdeführer wäre auch nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit als Hazara oder aufgrund seines schiitischen Glaubens einem realen Risiko einer ernsthaften Bedrohung infolge willkürlicher Gewalt bzw. der Gefährdung des Lebens, Folter oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung durch einen konkreten Akteur ausgesetzt.
Der Beschwerdeführer kann daher grundsätzlich nach Afghanistan zurückkehren. Seit 2018 bekundete der Beschwerdeführer Interesse an einer freiwilligen Rückkehr in sein Heimatland.
In seiner Herkunftsprovinz Ghazni ist die allgemeine Sicherheitslage volatil. Es kann ebenfalls keine sichere Erreichbarkeit der Herkunftsprovinz gewährleistet werden. Es kann nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, dass dem Beschwerdeführer bei einer Rückkehr in seine Herkunftsprovinz Ghazni, aufgrund der volatilen Sicherheitslage in dieser Provinz, ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit droht, sodass eine Rückkehr in die Provinz Ghazni nicht möglich ist.
Aktuell herrscht eine weltweite COVID-19-Pandemie. Aufgrund der Verschlechterung der Sicherheitslage sowie der nicht sicheren Erreichbarkeit, der zahlreichen Iran-Rückkehrer sowie der massiven Verschlechterung der Wirtschafts- und Versorgungslage ist eine innerstaatliche Fluchtalternative in Herat-Stadt nicht zumutbar.
Dem Beschwerdeführer ist aufgrund seiner persönlichen Umstände eine Ansiedlung in der Stadt Mazar-e Sharif möglich und zumutbar. Der Beschwerdeführer ist jung, gesund und arbeits- und leistungsfähig. Er weist keinerlei besondere Vulnerabilitäten auf. Ob der Beschwerdeführer über familiäre oder sonstige Anknüpfungspunkte in Afghanistan verfügt, kann nicht festgestellt werden.
Mazar-e Sharif verfügt über einen internationalen Flughafen und ist sicher erreichbar.
Im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan, in die Stadt Mazar-e Sharif, kann der Beschwerdeführer grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft befriedigen, ohne in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Es ist ihm möglich, auch ohne familiäres Netzwerk, nach eventuell anfänglichen Schwierigkeiten in Mazar-e Sharif Fuß zu fassen und sich dort eine Existenz aufzubauen.
2.5 Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat
Die Länderfeststellungen zur Lage in Afghanistan basieren auf nachstehenden Quellen:
- Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan in der Fassung der Gesamtaktualisierung vom 13.11.2019, mit letzter Kurzinformation vom 21.07.2020 (LIB 13.11.2019),
- UNHCR Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018 (UNHCR),
- EASO Country Guidance: Afghanistan vom Juni 2019 (EASO) und
- Dossier der Staatendokumentation zur Stammes- und Clanstruktur (2016)
- ACCORD – Themendossier zu Afghanistan: Sicherheitslage und sozioökonomische Lage in Herat und Mazar-e Sharif vom 15.01.2020,
- EASO Special Report 07.05.2020 – Asylum Trends and COVID-19ACCORD-Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Lokale Sicherheits- und Versorgungslage der Stadt Mazar-e Sharif vom 30.04.2020,
- ACCORD-Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Lokale Sicherheits- und Versorgungslage der Stadt Herat vom 23.04.2020, sowie
- die aktuellen COVID-19-Zahlen zu Afghanistan OCHA, WHO: Afghanistan Flash Update: Daily Brief: COVID-19, No. 79 (1 October 2020)
- diverse zitierte Quellen, welche ebenfalls im Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan verwendet werden.
2.5.1 Allgemeine Sicherheitslage
Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind. Auf einer Fläche von ca. 632.000 Quadratkilometern leben ca. 32 Millionen Menschen (LIB 13.11.2019).
Nach Jahrzehnten gewaltsamer Konflikte befindet sich Afghanistan in einer schwierigen Aufbauphase und einer weiterhin volatilen Sicherheitslage. Die staatlichen Strukturen sind noch nicht voll arbeitsfähig. Tradierte Werte stehen häufig einer umfassenden Modernisierung der afghanischen Gesellschaft entgegen (Bericht des deutschen Auswärtigen Amtes vom 02.09.2019).
In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv – insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan, und stellt nicht nur für die beiden Länder eine Sicherheitsherausforderung dar, sondern eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität (LIB 13.11.2019).
Ende Februar 2020 unterzeichneten die USA und die Taliban ein Friedensabkommen, welches den Abzug der US-Truppen vorsieht. Die afghanische Regierung wurde daran jedoch nicht beteiligt. Ein beidseitiger Gefangenenaustausch gilt als Voraussetzung für direkte Gespräche zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban. Über die Umsetzung gibt es aber Streit, speziell bei der Frage, ob die Regierung auch ranghohe Befehlshaber der Extremisten freilässt (Zeit-Online 11.04.2020).
Pressemeldungen zufolge hat es seit dem Friedensabkommen mit den USA (29.02.2020) über 4.500 Angriffe der Taliban gegeben, bei denen über 900 Soldaten oder Polizisten und 610 Taliban-Kämpfer getötet wurden. Dabei griffen die Taliban keine Städte oder Provinzzentren an, sondern fokussierten sich auf Dörfer in den Provinzen Herat, Kabul, Kandahar und Balkh. Nach Angaben des afghanischen Nationalen Sicherheitsrates wurden bei Angriffen oder Anschlägen der Taliban in der ersten Woche des Ramadans (24.04.2020 bis ca. 30.04.2020) mindestens 66 Zivilisten verletzt oder getötet. Medienberichten zufolge gab es auch in der vergangenen Woche Kämpfe und Anschläge in zahlreichen Provinzen. So wurden etwa am 29.04.20 bei einem Selbstmordanschlag in der Nähe eines Stützpunkts der afghanischen Spezialkräfte im Südwesten der Hauptstadt Kabul (Polizeidistrikt 7) mindestens drei Menschen getötet und 15 verletzt. Die NATO meldet ebenso wie die Unterstützungsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UNAMA, vgl. BN v. 27.04.2020), einen deutlichen Rückgang der zivilen Opfer im ersten Quartal 2020. Die NATO hat allerdings inzwischen die Veröffentlichung von Daten über Angriffe der Taliban eingestellt. Man wolle die derzeit laufenden politischen Verhandlungen zwischen den USA und den Taliban nicht belasten. Am 02.05.2020 entließ die Regierung 98 weitere gefangene Taliban und somit insgesamt 748 der geforderten 5.000 Personen. Die Taliban haben im Gegenzug 112 von den versprochenen 1.000 ihrer Gefangenen freigelassen (Deutsches Bundesamt für Migration und Flüchtlinge – Briefing Notes 04.05.2020).
Aktuell liegen weiterhin Berichte aus vielen Provinzen über Kampfhandlungen und Anschläge, bei denen auch Zivilisten zu Schaden kommen, vor. Nach Informationen der New York Times seien im Juli 2020 bisher mindestens 137 Sicherheitskräfte und 51 Zivilisten getötet worden. Beispielhaft seien folgende Ereignisse genannt: Bei einem Feuergefecht zwischen afghanischen und pakistanischen Soldaten wurden am 15./16.07.2020 in der östlichen Provinz Kunar (Distrikt Sarkano) mindestens 20 Zivilisten verletzt oder getötet. Nach afghanischer Darstellung hätten pakistanische Streitkräfte versucht, einen Checkpoint auf afghanischem Gebiet zu errichten. Auch in der Provinz Nangarhar sollen pakistanische Kräfte Checkpoints vor der Grenze zu Pakistan auf afghanischem Gebiet errichtet haben. Während des Besuchs von Präsident Ghani in Ghazni City (Südosten) wurden mehrere Raketen auf die Stadt abgefeuert, wobei vier Zivilisten verletzt wurden. Ein Vertreter des Provinzrats von Ghazni erklärte, dass sechs der neun Distrikte der Provinz belagert würden. Am 19.07.20 wurden in den Provinzen Zabul und Paktika zwei Polizeichefs von Distrikten bei Anschlägen getötet und mehrere Polizisten verletzt.
Die Afghanistan Independent Human Rights Commission (AIHRC) hat in den letzten neun Monaten 17 Angriffe auf religiöse Einrichtungen dokumentiert, bei denen 170 Menschen getötet und 272 verletzt wurden. Hervorzuheben seien Angriffe auf zwei Moscheen in Kabul, auf Sikh Tempel in Kabul und Jalalabad, sowie Übergriffe auf Geistliche in Takhar, Parwan, Laghman, Paktia und Helmand. Einen Imam im Dorf Kohna Masjid (Distrikt Dahana-e-Ghori, Provinz Baghlan) sollen die Taliban gefoltert und getötet haben, weil er eine Beerdigungszeremonie für einen lokalen Polizeikommandanten abgehalten haben soll.
Die USA haben mit dem im Friedensabkommen mit den Taliban vereinbarten Truppenabzug begonnen und Soldaten aus den Provinzen Helmand, Uruzgan, Paktika und Laghman zurückgezogen. Gleichzeitig besteht die US-Regierung auf der Erfüllung weiterer Vereinbarungen, wie dem Abschluss der Freilassung von Gefangenen, der Reduzierung der Gewalt sowie der Aufnahme von innerafghanischen Gesprächen. Der Gefangenenaustausch verläuft schleppend. Nach Angaben der afghanischen Regierung seien bisher 4.400 der versprochenen 5.000 gefangenen Taliban freigelassen worden. Hinsichtlich der übrigen 600 Gefangenen verweigert die Regierung die Freilassung, da sie wegen schwerer Verbrechen inhaftiert seien, die Taliban sollten eine neue Liste vorlegen. Die Taliban haben inzwischen 600 von 1.000 afghanischen Sicherheitskräften freigelassen (Deutsches Bundesamt für Migration und Flüchtlinge – Briefing Notes 20.07.2020).
2.5.2 Sicherheitslage im Zeitraum 10.12.2019 bis Ende Februar 2020:
Die Sicherheitslage bleibt volatil. Zwischen 08.11.2019 und 06.02.2020 wurden von UNAMA 4.907 sicherheitsrelevante Vorfälle verzeichnet (ähnlich wie in derselben Periode des vorherigen Jahres). Die meisten Vorfälle fanden in der südlichen Region, gefolgt von den nördlichen und östlichen Regionen, welche gemeinsam insgesamt 68% der Vorfälle ausmachten. Die Regionen mit den meisten Vorfällen waren Kandahar, Helmand, Nangarhar und Balkh. Die Kampfhandlungen verringerten sich zu Jahresende 2019 und Jahresbeginn 2020, infolge der saisonalen Trends in den Wintermonaten. Am 22.02.2020 konnte infolge der Gespräche der USA mit den Taliban eine nationale Reduktion der Gewalt verzeichnet werden.
Die etablierten Trends bleiben jedoch bestehen; mit 2.811 bewaffneten Zusammenstößen, welche 57% aller Vorfälle ausmachen, gab es im Vergleich zur selben Zeitperiode des vorherigen Jahres eine Verringerung um 4%. Die Verwendung von improvisierten Sprengkörpern bleibt die zweithöchste Art von Vorfällen, mit einer Steigerung von 21%, im Vergleich zur selben Zeitperiode des vorherigen Jahres, während sich Selbstmord-Attentaten um 25% verringert haben. Die 330 Luftangriffe des afghanischen Militärs erreichte eine 18%ige Verringerung, verglichen mit derselben Periode im Jahr 2019. In den Provinzen Helmand, Kandahar und Farah wurden 44% der Luftangriffe durchgeführt.
Am 31.12.2019 wurde berichtet, dass die Taliban die Kontrolle über den Distrikt Darzab in der Provinz Jawzjan, aufgrund des Abzuges der Security Forces erlangten. Vorübergehend erlangten die Taliban Kontrolle über den Distrikt Arghandab in der Provinz Zabul, während die Security Forces den Distrikt Guzargahi Nur in der Provinz Baghlan, welcher sich seit September 2019 unter Taliban Kontrolle befand, zurückeroberten (Bericht des UNO-Generalsekretärs zu politischen, humanitären, menschenrechtlichen und sicherheitsrelevanten Entwicklungen vom 10.12.2019 bis Ende Februar 2020).
2.5.3 Sicherheitslage im Jahr 2019:
Berichtete Konfliktvorfälle nach Provinzen:
Provinz
Anzahl Vorfälle
Anzahl Vorfälle mit Todesopfern
Anzahl Todesopfer
Badakhshan
200
95
798
Badghis
325
200
1863
Baghlan
395
184
1465
Balkh
615
269
1821
Bamyan
17
1
2
Daykundi
31
15
189
Farah
426
220
1562
Faryab
539
342
2601
Ghazni
1285
743
4484
Ghor
172
95
782
Helmand
1523
582
3030
Herat
456
229
1146
Jawzjan
189
101
705
Kabul
301
85
501
Kandahar
1157
435
3270
Kapisa
216
74
334
Khost
309
53
194
Kunar
294
129
757
Kunduz
493
281
2073
Laghman
269
83
384
Logar
415
169
985
Nangarhar
734
443
2736
Nimroz
119
27
114
Nuristan
54
16
119
Paktika
301
136
745
Paktia
592
133
741
Panjshir
6
0
0
Parwan
183
30
147
Samangan
76
41
289
Sar-e-Pul
125
71
404
Takhar
262
181
1404
Uruzgan
594
387
2872
Wardak
552
194
1207
Zabul
690
282
1956
(ACCORD-Kurzübersicht über Konfliktvorfälle aus dem Armed Conflict Location & Event Data Project 29.06.2020).
Der afghanischen Regierung ist es weiterhin gelungen, die Kontrolle über die Hauptstadt Kabul, die größeren Bevölkerungszentren, die meisten wichtigen Straßen, über Provinzzentren und die Mehrheit der Distrikte aufrecht zu erhalten. Die afghanischen Sicherheitskräfte verfügen jedoch nicht über genügend Kräfte, um den Taliban-Offensiven, die in über der Hälfte der 34 Provinzen stattfinden, standzuhalten (Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe 12.09.2019).
Kämpfe waren auch weiterhin auf konstant hohem Niveau. Die Ausnahme waren islamische Festtage, an denen, wie bereits in der Vergangenheit, das Kampfniveau deutlich zurückging und sowohl regierungsfreundliche Kräfte als auch regierungsfeindliche Elemente ihre offensiven Operationen reduzierten. Im Gegensatz dazu hielt das Kampftempo während des gesamten Fastenmonats Ramadan an, da regierungsfeindliche Elemente mehrere Selbstmordattentate ausführten und sowohl regierungsfreundliche Truppen als auch regierungsfeindliche Elemente, bekundeten, ihre operative Dynamik aufrechtzuerhalten. Die Taliban verlautbarten, eine asymmetrische Strategie zu verfolgen: die Aufständischen führen weiterhin Überfälle auf Kontrollpunkte und Distriktzentren aus und bedrohen Bevölkerungszentren. Angriffe haben sich zwischen November 2018 und Jänner 2019 um 19% im Vergleich zum Vorberichtszeitraum (16.08.2018 – 31.10.2018) verstärkt (LIB 13.11.2019).
Weder die afghanischen Sicherheitskräfte noch regierungsfeindliche Elemente erzielten zuletzt signifikante territoriale Gewinne. Das aktivste Konfliktgebiet ist die Provinz Kandahar, gefolgt von den Provinzen Helmand und Nangarhar. Wenngleich keine signifikanten Bedrohungen der staatlichen Kontrolle über Provinzhauptstädte gibt, wurde in der Nähe der Provinzhauptstädte Farah, Kunduz und Ghazni über ein hohes Maß an Taliban-Aktivität berichtet. In mehreren Regionen wurden von den Taliban vorübergehend strategische Posten entlang der Hauptstraßen eingenommen, sodass sie den Verkehr zwischen den Provinzen erfolgreich einschränken konnten. So kam es beispielsweise in strategisch liegenden Provinzen entlang des Highway 1 (Ring Road) zu temporären Einschränkungen durch die Taliban. Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte stellen erhebliche Mittel für die Verbesserung der Sicherheit auf den Hauptstraßen bereit – insbesondere in den Provinzen Ghazni, Zabul, Balkh und Jawzjan.
Für den Berichtszeitraum 10.05.2019 – 08.08.2019 registriert die Vereinten Nationen insgesamt 5.856 sicherheitsrelevanter Vorfälle – eine Zunahme von 1% gegenüber dem Vorjahreszeitraum. 63% Prozent aller sicherheitsrelevanten Vorfälle, die höchste Anzahl, wurde im Berichtszeitraum in den südlichen, östlichen und südöstlichen Regionen registriert. Für den Berichtszeitraum 08.02.2019 – 09.05.2019 registrierte die UN insgesamt 5.249 sicherheitsrelevante Vorfälle – ein Rückgang von 7% gegenüber dem Vorjahreswert; wo auch die Anzahl ziviler Opfer signifikant zurückgegangen ist. Für den Berichtszeitraum 10.05.2019 – 08.08.2019 sind 56% (3.294) aller sicherheitsrelevanten Vorfälle bewaffnete Zusammenstöße gewesen; ein Rückgang um 7% im Vergleich zum Vorjahreswert. Sicherheitsrelevante Vorfälle bei denen improvisierte Sprengkörper verwendet wurden, verzeichneten eine Zunahme von 17%. Bei den Selbstmordattentaten konnte ein Rückgang von 44% verzeichnet werden. Die afghanischen Sicherheitskräfte führen gemeinsam mit internationalen Kräften, weiterhin eine hohe Anzahl von Luftangriffen durch: 506 Angriffe wurden im Berichtszeitraum verzeichnet – 57% mehr als im Vergleichszeitraum des Jahres 2018. Im Gegensatz dazu, registrierte die NGO International NGO Safety Organisation für das Jahr 2018 landesweit 29.493 sicherheitsrelevante Vorfälle, welche auf NGOs Einfluss hatten. In den ersten acht Monaten des Jahres 2019 waren es 18.438 Vorfälle. Zu den gemeldeten Ereignissen zählten, beispielsweise geringfügige kriminelle Überfälle und Drohungen ebenso wie bewaffnete Angriffe und Bombenanschläge (LIB 13.11.2019).
Rund 39% der afghanischen Distrikte standen Anfang 2019 unter der Kontrolle der afghanischen Regierung standen, und 37% wurden von den Taliban kontrolliert. Diese Gebiete waren relativ ruhig, Zusammenstöße wurden gelegentlich gemeldet. Rund 20% der Distrikte waren stark umkämpft. Der Islamische Staat kontrollierte rund 4% der Distrikte. Die Kontrolle über Distrikte, Bevölkerung und Territorium befindet sich derzeit in einer Pattsituation (SIGAR 30.04.2019). Die Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle Ende 2018 bis Ende Juni 2019, insbesondere in der Provinz Helmand, sind als verstärkte Bemühungen der Sicherheitskräfte zu sehen, wichtige Taliban-Hochburgen und deren Führung zu erreichen, um in weiterer Folge eine Teilnahme der Taliban an den