TE Bvwg Erkenntnis 2020/10/16 W159 1236078-3

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 16.10.2020
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Entscheidungsdatum

16.10.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §7 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §52 Abs2
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

W159 1236078-3/22E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Clemens KUZMINSKI als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Kosovo, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 14.06.2019, Zl. 92082401-190419828, zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß §§ 7 Abs. 1, 8 Abs. 1, 57 und 10 Abs. 1 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG, §§ 52 Abs. 2, 53 Abs. 1 und 3 und 55 Abs. 1 bis 3 FPG als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer gelangte laut Verfahrensakt am 26.08.2002 gemeinsam mit seiner Mutter XXXX und drei Geschwistern nach Österreich und stellte seine Mutter als gesetzliche Vertreterin noch an diesem Tag einen Antrag auf Asyl (Erstreckung).

Mit Bescheid des (seinerzeitigen) Bundesasylamtes, Außenstelle Traiskirchen, vom 10.03.2003 wurden diese Asylerstreckungsanträge zu Zl. XXXX im Hinblick auf die Abweisung des Asylantrages des Vaters XXXX abgewiesen.

Mit Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 13.06.2003, XXXX wurde der dagegen erhobenen Berufung von XXXX stattgegeben und dem Bescheidadressaten durch Erstreckung Asyl gewährt (weil nunmehr auch seinem Vater auf dem Berufungsweg Asyl gewährt worden war).

Aufgrund der Verurteilung wegen schwerer Verbrechen wurde seitens der belangten Behörde ein Asylaberkennungsverfahren eingeleitet und der Beschwerdeführer am 09.05.2019 in der Justizanstalt Garsten einer niederschriftlichen Einvernahme unterzogen. Dabei gab der Beschwerdeführer an, dass er „Polymedon“, Antidepressiva, Beruhigungsmittel und Schlaftabletten nehme, aber nicht in ärztlicher Behandlung sei. Er sei kosovarischer Staatsangehöriger, am XXXX in XXXX geboren. Personaldokumente oder sonstige Dokumente könne er jedoch nicht vorlegen, er habe auch keinen Reisepass seines Heimatlandes. Früher habe er die jugoslawische, nunmehr die kosovarische Staatsangehörigkeit. Über Vorhalt, dass die Behörde von der kosovarischen Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers ausgeht, widersprach er dem nicht. Über Vorhalt der Verurteilung gab er an, dass er das Oper nicht vergewaltigt, sondern nur „gefingert“ habe.

Er habe Kinder, Frau und Familie. Er sei auf Drogen gewesen, er habe sie nicht „ficken wollen“. Sein Bruder habe zu dem Opfer bzw. deren Freundin geholfen. Er sei geschieden, habe zwei Kinder – XXXX – er glaube er habe das Sorgerecht gemeinsam mit seiner Frau, er wisse es aber nicht. Seine Ex-Freundin habe die österreichische Staatsbürgerschaft, deswegen hätten die Kinder auch diese. Mit der Frau, mit der er verheiratet gewesen sei, habe er keine Kinder. Mit der Kindesmutter habe er keinen Kontakt mehr, nur mehr wegen der Kinder. Seine Muttersprache sei Albanisch, er spreche aber auch Deutsch, Türkisch und Serbisch. In der Familie spreche er Deutsch und Albanisch. Warum ihm der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden sei, wisse er nicht. Damals war er erst sechs Jahre alt. Seit wann er in Österreich sei wisse er auch nicht, 2002 oder 2003. Bis zur Ausreise habe er in XXXX , im Kosovo gelebt, Haus- oder Straßennummer wisse er nicht. Er habe für ein paar Monate unangemeldet in der Schweiz und in Deutschland gelebt. Er habe noch zwei Onkel mütterlicherseits im Kosovo, diese würden aber versteckt leben. Sie hätten damals Probleme gemacht. Er wisse nicht, was sein Onkel und sein Vater gemacht hätten, aber es sei nicht gut gewesen. Er sei mit jemandem im Gefängnis gewesen, der ihm das erzählt und bewiesen habe. Sein Vater sei Polizist gewesen und der Mithäftling habe gesagt, dass sein Vater zu den Serben geholfen habe. Es würden auch Personen nach Österreich kommen und seinen Vater umbringen. Die Personen aus dem Kosovo würden ihn jedoch nicht kennen und das sei gut so. Er wolle auch aus Österreich weg. Er habe hier Angst. Er möchte nach Deutschland. Er habe auch Probleme mit Albanern in Bars gehabt. Wenn sie erfahren würden, dass er der Sohn seines Vaters sei, würden sie ihn umbringen. Er glaube, seine Onkel würden in XXXX wohnen, er wisse aber nicht genau wo. Bis vor zwei Jahren habe er über Skype Kontakt gehabt. Sie hätten ihm dann erzählt, dass sie geschlagen worden wären und sie würden sich verstecken. Die Verwandten würden aber auf Baustellen arbeiten. Er habe in Österreich wohl schon des Öfteren gearbeitet, zuletzt 2016 an einer Tankstelle. Vor der Haft habe er aber seinen Lebensunterhalt durch den Verkauf verschiedener Drogen finanziert. Von Dezember 2017 bis Mai 2018 habe er sich in XXXX aufgehalten, anschließend habe er bei seiner Familie gewohnt. Seine Mutter, sein Vater und seine Kinder würden ihn auch in der Justizanstalt besuchen. Die Kinder habe er das letzte Mal vor eineinhalb Monaten gesehen. Er würde gerne ein neues Leben anfangen und eine Drogenentzugstherapie machen und sich dann um eine Arbeit umschauen. Von seiner Frau sei er seit 05.05.2019 geschieden. Mitglied von Vereinen oder Organisationen in Österreich sei er nicht. Bei einer Rückkehr in sein Heimatland würde er den Tod befürchten. Der Kosovo sei nicht groß. Über Vorhalt auf die Frage, warum er nicht umgebracht worden sei, als er schon mehrmals erkannt worden wäre und oft angehalten worden sei und angesprochen worden sei, dass er der Sohn seines Vaters gewesen sei, gab er an, dass er Glück gehabt habe. Er sei mit Freunden unterwegs gewesen, er könne auch in Österreich nirgends hin. Er habe sich aber auch nicht an die Polizei wenden wollen. Diese könne ihm auch nicht helfen. Er würde am liebsten seinen Namen ändern und in die Schweiz oder nach Deutschland gehen. Der Vater heiße XXXX .

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 14.06.2019, Zl. XXXX wurde unter Spruchteil I. der Status des Asylberechtigten aberkannt und festgestellt, dass ihm die Flüchtlingseigenschaft nicht mehr zukommt. Unter Spruchteil II. wurde der Status eines subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt und unter Spruchteil III. ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt, unter Spruchteil IV. eine Rückkehrentscheidung erlassen, unter Spruchpunkt V. festgestellt, dass die Abschiebung in den Kosovo zulässig sei, unter Spruchpunkt VI. ein auf die Dauer von 10 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen und unter Spruchpunkt VII. die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen festgelegt.

In der Begründung des Bescheides wurde der bisherige Verfahrensgang, einschließlich der oben bereits im wesentlichen Inhalt wiedergegebenen Einvernahme dargestellt und Feststellungen zur Person und zum Herkunftsstaat getroffen. Beweiswürdigend wurde insbesondere darauf hingewiesen, dass der Beschwerdeführer schon im Jahre 2010 wegen Diebstahl, Sachbeschädigung und Verleumdung und im Jahre 2010 wegen des Verbrechens des Raubes verurteilt worden sei und im Jahre 2018 wegen des Verbrechens der Vergewaltigung, des Verbrechens der Verleumdung sowie des Vergehens des Diebstahles, des Betruges, des unbefugten Gebrauches von Kraftfahrzeugen sowie wegen Vergehen nach dem Suchtmittelgesetz zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von zweieinhalb Jahren verurteilt worden sei, wobei auch eine Auseinandersetzung mit den Milderungs- und Erschwernisgründen erfolgte und eine Gefährdungs- bzw. Zukunftsprognose erstellt wurde. Hinsichtlich der Rückkehr wurde insbesondere darauf hingewiesen, dass die Angaben des Beschwerdeführers zu einer Bedrohungssituation im Kosovo keineswegs substantiiert und glaubhaft wären und überdies eine Schutzwilligkeit und Schutzfähigkeit der Exekutive im Kosovo bestehe. Auch die Grundbedürfnisse an Versorgung seien im Kosovo für den Beschwerdeführer gedeckt. Der Beschwerdeführer leide an keiner Krankheit, sofern er in Österreich ein Methadon-Medikament erhalte, sei dies auch im Kosovo möglich.

Rechtlich begründend wurde zu Spruchteil I. ausgeführt, dass aufgrund der begangenen Vergewaltigung ein schweres Verbrechen vorliege und der Beschwerdeführer überdies Delikte gegen Leib und Leben, Vermögensdelikte und Suchtgiftdelikte begangen hat und er mehrfach rückfällig geworden sei, sodass insgesamt eine negative Zukunftsprognose zu erstellen gewesen sei. Außerdem habe der Beschwerdeführer den Status des Asylberechtigten lediglich über Asylerstreckung erhalten und habe eine persönliche Gefährdung schon im Jahre 2003 nicht bestanden und könne auch von der Behörde aktuell nicht angenommen werden. Dem Beschwerdeführer sei daher der Status des Asylberechtigten abzuerkennen gewesen. Zu Spruchteil II. wurde insbesondere ausgeführt, dass es aufgrund der vorliegenden Länderinformationen keine Hinweise auf eine allgemeine existenzbedrohende Notlage im Kosovo gebe und auch die Grundversorgung in medizinischer Hinsicht gewährleistet sei. Außerdem bestehe hinsichtlich der Person des Beschwerdeführers kein Hinweis auf Vorliegen „außergewöhnlicher Umstände“ (lebensbedrohende Erkrankung oder dgl.), die eine Abschiebung unzulässig machen könnten. Schließlich könnte auch nicht angenommen werden, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt sei, sodass ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuzuerkennen gewesen sei. Anhaltspunkte, welche für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz nach § 57 AsylG rechtfertigen würde, bestünden nicht (Spruchteil III.). Zu Spruchteil IV. wurde (disloziert) ausgeführt, dass wohl von einem Familienleben in Österreich ausgegangen werden könne, der Beschwerdeführer habe zwei minderjährige Kinder von einer ehemaligen Lebensgefährtin, mit der er jedoch keinen Kontakt mehr habe. Er habe jedoch angegeben, die Kinder gelegentlich zu sehen, zuletzt eineinhalb Monate vor der Einvernahme. Es würden sich auch die Eltern und Geschwister in Österreich aufhalten und sei der Beschwerdeführer seit 16 Jahren in Österreich und spreche Deutsch. Er sei jedoch zuletzt keiner Beschäftigung nachgegangen und habe selbst angegeben, vom Verkauf von Drogen gelebt zu haben und überdies Österreich verlassen zu wollen. In diesem Zusammenhang sei auch auf die massive, mehrfache Missachtung der österreichischen Rechtsordnung hinzuweisen, wodurch die Interessen der Öffentlichkeit den Aufenthalt in Österreich zu beenden überwiegen würden. Aus den Ausführungen in der Einvernahme iVm den Länderfeststellungen ergebe sich auch, dass die Existenz und Unterkunft im Kosovo gesichert sei und daher eine Rückkehrentscheidung zulässig sei, nachdem kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen zu erteilen gewesen sei.

Es hätte sich auch keine Gefährdung iSd § 50 FPG ergeben und stünde einer Abschiebung in den Kosovo auch keine Empfehlung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte entgegen, sodass diese als zulässig zu bezeichnen sei. (Spruchpunkt V.).

Zu Spruchpunkt VI. wurde ausgeführt, dass der Tatbestand des § 53 Abs. 3 Z 1 FPG im vorliegenden Fall aufgrund der Verurteilung des Landesgerichtes XXXX vom 29.08.2018 (unbedingte Freiheitsstrafe von zweieinhalb Jahren) erfüllt sei. Aufgrund der Schwere des Fehlverhaltens unter Bedachtnahme des Gesamtverhalten (mehrfache Verurteilungen) sei weiter davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer eine schwerwiegende Gefahr für öffentliche Ordnung und Sicherheit darstelle, sodass auch unter Berücksichtigung der familiären und privaten Anknüpfungspunkte die Erlassung eines Einreiseverbotes in der angegebenen Dauer notwendig sei. Das Einreiseverbot beziehe sich auf die Hoheitsgebiete der Mitgliedsstaaten laut Rückführungsrichtlinie.

Schließlich wurde zu Spruchpunkt VI. ausgeführt, dass keine Gründe für die Verlängerung der gesetzlichen Frist für die freiwillige Ausreise vorlägen.

Gegen diesen Bescheid, und zwar gegen alle Spruchpunkte, erhob der Bescheidadressat, vertreten durch die XXXX , fristgerecht Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. In dieser wurde zunächst darauf hingewiesen, dass der Beschwerdeführer im Alter von sechs Jahren gemeinsam mit seiner Mutter und seinen Geschwistern in Österreich einreiste und ihm mit Bescheid vom 13.06.2003 der Status eines Asylberechtigten (im Wege der Asylerstreckung) zuerkannt worden sei. Er habe in Österreich die Volks- und Hauptschule besucht sowie Kurzlehrgänge und für eine Leasingfirma gearbeitet. In seiner Jugend habe er Fußball und Handball gespielt, dann sei er allerdings auf die schiefe Bahn geraten und wohl als Minderjähriger bereits in den Jahren 2010 und 2011 (bedingt nachgesehen) zu Geld- bzw. Freiheitsstrafen verurteilt worden. Am 29.08.2018 folgte die bereits erwähnte Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von zweieinhalb Jahren.

Der Beschwerdeführer habe zwei minderjährige Kinder, welche österreichische Staatsbürger wären und würde sich die gesamte Kernfamilie des Beschwerdeführers in Österreich aufhalten und würden ihn die Familienangehörigen den Beschwerdeführer auch regelmäßig im Gefängnis besuchen.

Gerügt wurde mangelhafte Erforschung des maßgeblichen Sachverhaltes und die Unterlassung der Wahrung des Parteiengehöres, insbesondere hätte die Behörde mangelhafte Ermittlungen hinsichtlich der Unterstützungsmöglichkeiten des Beschwerdeführers im Kosovo, seinen Kontakt zur Verwandtschaft und seiner wirtschaftlichen Verhältnisse im Kosovo gepflogen, es seien mangelhafte Ermittlungen zu den Rückkehrbefürchtungen des Beschwerdeführers in den Kosovo vorgenommen worden, wozu die Einvernahme des Vaters des Beschwerdeführers XXXX als Zeugen beantragt wurde, um die asylrelevante Gefahr für den Beschwerdeführer darzulegen. Weiters wurden mangelhafte Länderfeststellungen gerügt und behauptet, dass diese durchwegs veraltet wären. Schließlich wurden Ausführungen zum Aberkennungstatbestand des besonders schweren Verbrechens vorgenommen und darauf hingewiesen, dass angesichts der Strafdrohung des § 201 Abs. 1 die Verurteilung zu einer Haftstrafe von zweieinhalb Jahren am unteren Rand der Strafsanktionen gewesen sei. Entgegen den Feststellungen der Behörde würde eine Zukunftsprognose positiv ausfallen, weil der Beschwerdeführer versuche von den Drogen wegzukommen, im Gefängnis eine Arbeit zu finden und für seine Kinder da zu sein. Außerdem sei auf den äußerst langen Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich hinzuweisen. Bei einer Abschiebung in den Kosovo könne eine Menschenrechtsverletzung für den Beschwerdeführer nicht ausgeschlossen werden und würde es zu einer Verletzung des Non-Refoulment-Gebotes kommen. Bei der Frage der Rückkehrentscheidung komme es schließlich auch darauf an, ob der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat in der Lage sei, sich eine Existenzgrundlage zu schaffen. Schließlich sei hinsichtlich der Begründung des Einreiseverbotes keine zutreffende, auf die Höhe des Einreiseverbotes bezogene Interessensabwägung durchgeführt worden.

Zusammenfassend wurde dargelegt, dass eine Abschiebung des Beschwerdeführers in den Kosovo eine Verletzung der durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte darstellen würde und sich die Behörde nicht ausreichend mit dem Persönlichkeitsbild des Beschwerdeführers und der vermeintlich von ihm ausgehenden Gefährdung auseinandergesetzt habe. Die Rückkehrentscheidung stelle überdies eine Verletzung des Rechts auf Privat- und Familienleben dar. Schließlich wurde unter Hinweis auf die diesbezügliche Judikatur des VfGH zu Art. 47 GRC ein Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung gestellt.

Der Beschwerdeführer beantragte zunächst eine freiwillige Rückkehr in den Staat Kosovo, widerrief diese jedoch im Mai 2020.

Das Bundesverwaltungsgericht beraumte eine öffentliche, mündliche Beschwerdeverhandlung für den 23.09.2020 an, wozu der Beschwerdeführer aus der Strafhaft vorgeführt werden sollte. Der Beschwerdeführer verzichtete jedoch nach Erhalt der Ladung ausdrücklich darauf, an der Verhandlung teilzunehmen. In Anbetracht dieses Umstandes, wurde der Beschwerdeführer im Wege seiner ausgewiesenen Vertretung befragt, ob die Beschwerde überhaupt noch aufrechterhalten wird. Mit Telefax vom 15.09.2020 wurde bekanntgegeben, dass die Beschwerde im vollen Umfang aufrechterhalten werde. Eine Zustellung der Ladung an den Zeugen XXXX unter der angegebenen Adresse war nicht möglich. Es wurde in der Folge das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zum Kosovo vom 11.05.2020 im schriftlichen Wege dem Parteiengehör unterzogen, wobei die Beschwerdevertretung wohl keine inhaltliche Stellungnahme abgab, aber die Durchführung einer mündlichen Verhandlung zur Erörterung des Dokumentes beantragte, ohne dies näher zu begründen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat wie folgt festgestellt und erwogen:

1. Feststellungen:

Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist Staatsbürger des Kosovo und wurde am XXXX im XXXX im Kosovo geboren. Er gelangte am 26.08.2002 gemeinsam mit seiner Mutter XXXX und seinen Geschwistern XXXX , XXXX und XXXX nach Österreich und stellte seine Mutter als gesetzliche Vertreterin für ihn noch am 26.08.2002 einen Asylantrag. Die gesetzliche Vertreterin brachte keine eigenen Asylgründe für den minderjährigen Beschwerdeführer vor und beantragte, diesen als Asylerstreckungsantrag zu bewerten. Da der Asylantrag des Vaters des Beschwerdeführers XXXX mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 10.03.2003, Zl. XXXX abgewiesen wurde, wurde auch der Asylerstreckungsantrag des Beschwerdeführers mit Bescheid des Bundesasylamtes, Außenstelle Traiskirchen, vom 10.03.2003 abgewiesen. Aufgrund der dagegen erhobenen Berufung wurde dem Beschwerdeführer mit Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 13.06.2003 durch Erstreckung Asyl gewährt, nachdem seinem Vater mit Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 12.06.2003, XXXX Asyl gewährt worden war.

Das Vorbringen des Beschwerdeführers über ein aktuelles Bedrohungsszenario im Kosovo (durch Privatpersonen) ist nicht glaubwürdig.

Der Beschwerdeführer besuchte in Österreich die Pflichtschule. Er wurde jedoch schon als Minderjähriger straffällig, wurde mit Urteil des LG XXXX am 25.08.2011 Zl. XXXX wegen § 142 StGB zu einer Freiheitsstrafe von fünf Monaten bedingt auf eine Probezeit von drei Jahren verurteilt. Schon mit Urteil des LG XXXX vom 07.06.2010 wurde er wegen §§ 127, 129, 125 und 297 StGB zu einer bedingten Geldstrafe von 100 Tagessätzen verurteilt.

Mit Urteil des LG XXXX vom 29.08.2018, Zl. XXXX wurde der Beschwerdeführer wegen des Verbrechens der Vergewaltigung, des Vergehens des teilweise versuchten, teilweise vollendeten Diebstahls, des Verbrechens der Verleumdung, des Vergehens des teilweise schweren Betruges, des Vergehens des unbefugten Gebrauchs von Kraftfahrzeugen und des Vergehens nach § 27 SMG teilweise iVm § 15 StGB zu einer (unbedingten) Freiheitsstrafe von zweieinhalb Jahren verurteilt. Im Urteil ist u.a. festgehalten, dass der Beschwerdeführer durch das Einführen seiner Finger in die Vagina des Opfers eine dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung genommen habe, nachdem er mit Gewalt den Widerstand des Opfers gebrochen hatte. Weiters habe er Bargeld aus einer Kassa weggenommen und einen Tresorschlüssel seines Arbeitgebers entwendet. Außerdem habe er einen anderen fälschlicherweise der schweren Erpressung bezichtigt und eine nichtvorhandene Zahlungswilligkeit und Zahlungsfähigkeit vorgetäuscht, um eine Taxifahrt in Anspruch zu nehmen, sich in einem Hotel einzumieten und einen nicht vollständig bezahlten Pkw in seine Verfügungsgewalt zu erlangen. Weiters habe er Originalrezepte verfälscht, um dadurch zu Medikamenten zu gelangen und ein Kraftfahrzeug ohne Einwilligung des Berechtigten benützt und unter anderem, auch Minderjährigen, Suchtgift unterlassen.

Als mindernd wurde die teilweise geständige Verantwortung sowie, dass es teilweise beim Versuch geblieben sei sowie die teilweise Schadensgutmachung angesehen, als erschwerend der lange Tatzeitraum, das Zusammentreffen zahlreicher Versprechen und Vergehen sowie einschlägige Vorstrafen und Tatbegehung trotz aufrechten Verfahrens. Der Angeklagte habe auch relativ wenig Schuldeinsicht gezeigt und die von ihm gesetzten Tathandlungen bagatellisiert und sich keineswegs bereit gezeigt, die rechtlichen Normen zu akzeptieren und habe insbesondere kein Verständnis für Sexualdelikte gezeigt. Die Tathandlungen hätten eine völlige Gleichgültigkeit gegenüber den rechtlich geschützten Werten und den moralischen Grundsätzen der Gesellschaft gezeigt. Aus Spezialpräventiven Gründen sei unbedingt eine spürbare Freiheitsstrafe zu verhängen gewesen.

Der Beschwerdeführer ist geschieden und Vater zweier Töchter von einer Österreicherin, die ebenfalls österreichische Staatsbürgerinnen sind, mit denen er gelegentlichen Kontakt hat. Seine Eltern und Verwandte besuchen den Beschwerdeführer regelmäßiger. In Österreich verfügt der Beschwerdeführer noch über Geschwister, Onkel und Cousins. Zwei Onkel leben im Kosovo. Jene Personen, die den Vater des Beschwerdeführers angeblich verfolgen, kennen jedoch den Beschwerdeführer noch nicht. Der Beschwerdeführer möchte auch aus Österreich weg, am liebsten nach Deutschland.

Zum Kosovo wird folgendes verfahrensbezogen festgestellt:

1. Politische Lage

Letzte Änderung: 11.5.2020

Die am 15. Juni 2008 in Kraft getretene Verfassung sieht eine parlamentarische Demokratie mit Gewaltenteilung vor. Die politische Macht konzentriert sich beim Ministerpräsidenten. Ein umfassender Schutz der anerkannten Minderheiten ist gewährleistet (AA 19.4.2020). Durch die Verfassung als ethnische Minderheit anerkannt sind Serben, Roma, Ashkali, Ägypter, Türken, Bosniaken und Gorani (CIA 7.4.2020; vgl. GIZ 3.2020b). Im Parlament stehen diesen 20 von 120 Sitzen zu, wobei 10 Sitze für Repräsentanten der serbischen Minderheit reserviert sind (GIZ 3.2020a). Die Republik Kosovo ist international von mehr als 110 Staaten anerkannt, nicht jedoch von Serbien. Das ungeklärte Verhältnis zu Serbien behindert die Annäherung Kosovos an EU und NATO. Seit 2011 vermittelt die EU einen politischen Dialog zwischen den beiden Ländern mit dem Ziel einer ehestmöglichen und umfassenden Normalisierung der gegenseitigen Beziehungen. Inzwischen wurden mehrere wichtige Vereinbarungen erzielt, die zu einer deutlichen Entspannung geführt haben. In Kosovo sind einige internationale Missionen tätig: Die NATO-Mission KFOR mit ca. 3500 Soldaten, die EU-Rechtsstaatlichkeitsmission (EULEX), die Übergangsverwaltung der Vereinten Nationen (UNMIK) sowie die OSZE-Mission (OmiK) (AA 19.4.2020).

Generell werden die Konsolidierung der Demokratie im Kosovo sowie deren Effizienz und Reaktionsfähigkeit im politischen Prozess durch eine Reihe von Faktoren wie beispielsweise eine mangelnde Rechenschaftspflicht der politischen Klasse untergraben. Die demokratischen Institutionen werden oftmals als undurchsichtig und wenig kooperativ in der Zusammenarbeit wahrgenommen. Trotzdem ist etwa ein Drittel der Bevölkerung mit Regierung und Parlament zufrieden. In den letzten vier Jahren konnte - wenngleich von einem niedrigen Niveau ausgehend - doch eine deutliche Verbesserung verzeichnet werden. Eine Umfrage der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD) aus dem Jahr 2010 ergab, dass 75% der Kosovaren eine positive Einstellung zur Demokratie haben. Die hohe Zustimmung zur Demokratie hat unter den sozioökonomischen Veränderungen, dem Versöhnungsprozess der Regierung mit Serbien und den serbischen Gemeinden im Kosovo und den 2015 von der Opposition organisierten Straßenprotesten gelitten (BS 2020).

Am 5.10.2019 fanden im Kosovo vorgezogene Parlamentswahlen statt. Diese Wahl war erforderlich geworden, weil der amtierende Ministerpräsident und ehemalige UCK-Kommandeur Ramush Haradinaj wegen einer Vorladung zum Sondertribunal für Kriegsverbrechen in Den Haag vom Amt als Regierungschef zurückgetreten war (DS 7.10.2019; NZZ 7.10.2019). Die Wahlen wurden – bei einer Wahlbeteiligung von 44% - von den bisherigen Oppositionsparteien gewonnen. Den Kampf um den ersten Platz und damit um den Regierungsauftrag entschied mit knapp 25,6% der Stimmen die groß-albanische, nationalistische und EU-kritische Oppositionspartei Vetëvendosje (Selbstbestimmung) mit ihrem Spitzenkandidaten Albin Kurti, für sich. Dicht dahinter folgte mit 24,9% der Stimmen die moderat-konservative Demokratische Liga des Kosovo (LDK) mit ihrer Spitzenkandidatin Vjosa Osmani. Den dritten Platz belegte mit 21,1% die – von Staatspräsident Hashim Thaci dominierte - Demokratische Partei des Kosovo (PDK). Die Allianz für die Zukunft des Kosovo (AAK) des nur zwei Jahre amtierenden Ministerpräsidenten Ramush Haradinaj kam auf 11,6% der Stimmen (NZZ 7.10.2019; vgl. DP 7.10.2019).

(GIZ 3.2020a)

Der Wahlausgang wurde als Signal gegen Korruption und Stillstand gewertet und bedeutete zunächst das Ende der langjährigen Dominanz der PDK von Staatspräsident Hashim Thaci über die kosovarische Politik (ORF 6.10.2019). Mehr als die Hälfte aller Stimmen konnten zwei Politiker auf sich vereinen, deren Karriere nicht in der UCK begann und die für einen klaren Bruch mit dem Klientelsystem des politischen Establishments stehen (NZZ 7.10.2019). Wie von Beobachtern erwartet, kam es zu einem Regierungsbündnis zwischen den nunmehr siegreichen bisherigen Oppositionsparteien unter Führung von Kurti und Osmani. Beide kündigten an, die grassierende Korruption bekämpfen und den Rechtsstaat stärken zu wollen (Spiegel 9.2.2020; vgl. DP 7.10.2019).

Nach nur etwa 50 Tagen im Amt wurde die Regierung von Ministerpräsident Albin Kurti per Misstrauensvotum gestürzt. Hintergrund war ein Streit um Verhandlungen mit Serbien, das die Unabhängigkeit des Kosovo bis heute nicht anerkennt (Standard 2.5.2020).

Während Kurti baldige Neuwahlen favorisierte, forderte Präsident Hashim Thaci die Bildung einer Einheitsregierung; dies hätte zu einer Regierungsbeteiligung der oppositionellen Demokratischen Partei des Kosovo, der PDK, führen können, jener Partei, die Thaci bis zur Übernahme der Präsidentschaft vor vier Jahren geleitet hatte (AA – 6.4.2020, vgl. BBC 26.3.2020).

Ein vorläufiges Dekret von Präsident Thaci, mit dem ein Politiker der Mitte-Rechts-Partei LDK den Auftrag zur Regierungsbildung erhalten hatte, wurde jedoch vom Verfassungsgericht ausgesetzt, womit die Regierungsbildung bis zu einer endgültigen Gerichtsentscheidung nunmehr auf Eis liegt (Standard 2.5.2020).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (19.4.2020): Außen- und Europapolitik, Kosovo. Politisches Portrait, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/kosovo-node/politisches-portraet/207468?openAccordionId=item-207450-0-panel, Zugriff 4.5.2020

- AA - Auswärtiges Amt (21.3.2019): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Kosovo / Bericht im Hinblick auf die Einstufung der Republik Kosovo als sicheres Herkunftsland im Sinne des § 29 a AsylVfG, https://www.ecoi.net/en/file/local/2005251/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_im_Hinblick_auf_die_Einstufung_der_Republik_Kosovo_als_sicheres_Herkunftsland_im_Sinne_des_%C2%A7_29_a_AsylG_%28Stand_Januar_2019%29%2C_21.03.2019.pdf, Zugriff 3.4.2020

- BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (6.4.2020): Briefing Notes, https://www.ecoi.net/en/file/local/2027827/briefingnotes-kw15-2020.pdf, Zugriff 3.4.2020

- BS – Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 Country Report – Kosovo, https://www.bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_RKS.pdf, Zugriff 17.4.2020

- BBC (26.3.2020): Coronavirus row helps topple Kosovo government, https://www.bbc.com/news/world-europe-52044136, Zugriff 7.4.2020

- CIA – Central Intelligence Agency (7.4.2020): The Worlöd Factbook. Europe. Kosovo, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/kv.html, Zugriff 17.4.2020

- DS - Der Standard (7.10.2019): Riskante Wachablöse im Kosovo, https://www.derstandard.at/story/2000109598474/riskante-wachabloese-im-kosovo, Zugriff 6.4.2020

- DP - Die Presse (7.10.2019): Kosovos Rebell greift nach der Macht, https://www.diepresse.com/5702091/kosovos-rebell-greift-nach-der-macht, Zugriff 8.10.2019

- GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (3.2020a): Kosovo - Geschichte/Staat, https://www.liportal.de/kosovo/geschichte-staat/, Zugriff 4.5.2020

- GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (3.2020b): Kosovo - Gesellschaft, https://www.liportal.de/kosovo/gesellschaft/, Zugriff 4.5.2020

- NZZ - Neue Zürcher Zeitung (7.10.2019): Wahlerfolg der Opposition: In Kosovo weht ein neuer Wind, https://www.nzz.ch/international/wahlen-im-kosovo-bisherige-oppositionsparteien-liegen-vorn-ld.1513769, Zugriff 3.4.2020

- ORF - Österreichischer Rundfunk (6.10.2019): Opposition gewinnt Parlamentswahl im Kosovo, https://orf.at/stories/3139956/, Zugriff 8.10.2019

- Spiegel (9.2.2020): Kurti stellt die Systemfrage, https://www.spiegel.de/politik/ausland/kosovo-albin-kurti-will-als-premier-alles-anders-machen-a-9cbb96a8-c191-4366-ae0d-66a0e9b8ac0d, Zugriff 7.4.2020

- Standard (2.5.2020): Verfassungsgericht im Kosovo stoppt Bildung einer neuen Regierung, https://www.derstandard.at/story/2000117242247/verfassungsgericht-im-kosovo-stoppt-bildung-einer-neuen-regierung, Zugriff 7.4.2020

2. Sicherheitslage

Letzte Änderung: 11.5.2020

Ethische Spannungen konzentrieren sich im Wesentlichen auf die Beziehungen zwischen der serbischen Minderheit und der albanischen Mehrheit. Zu differenzieren sind dabei die Beziehungen zu den im Norden in einem zusammenhängenen Gebiet lebenden Serben und jenen Serben, die im restlichen Kosovo in kleineren versprengten Gemeinden wohnen. Letztere unterhalten relativ gute Beziehungen zu den kosovo-albanischen Autoritäten und beteiligen sich an der gesellschaftspolitischen Ausgestaltung im Rahmen der kosovarischen Institutionen. Ganz anders ist hingegen die Situation im Nordkosovo. Die hier lebenden Serben weigern sich, die Unabhängigkeit des Kosovo und zum Teil die Institutionen des neu geschaffenen Staates anzuerkennen. Dementsprechend schwierig gestaltet sich die Zusammenarbeit. Besonders problematisch sind speziell Fragen der Grenze zwischen dem Kosovo und Serbien, zumal diese von den im Norden lebenden Serben nicht anerkannt wird (GIZ 9.2018a).

Somit bleibt die Lage im Norden des Kosovo (Gemeinden Zubin Potok, Leposavic, Zvecan und Nord-Mitrovica) angespannt. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass es auch künftig zu isolierten sicherheitsrelevanten Vorkommnissen kommt, die die allgemeine Bewegungsfreiheit einschränken (AA 2.5.2020).

Mit der Ausnahme des Nordkosovo gilt die Sicherheitslage allgemein als entspannt. Allerdings kann es zu punktuellen Spannungen kommen (GIZ 9.2018a).

In Pristina und anderen Städten des Landes kann es gelegentlich zu Demonstrationen und damit zu einer Beeinträchtigung der Bewegungsfreiheit kommen. In allen anderen Landesteilen Kosovos ist die Lage grundsätzlich ruhig und stabil. Teilweise gewalttätige Protestaktionen der Opposition gegen die Regierung haben sich seit dem ersten Halbjahr 2016 nicht mehr ereignet, das Potential für solche Proteste besteht aber weiterhin (AA 2.5.2020).

Eine Studie des angesehenen Kosovo Center for Security Studies zum Sicherheitsgefühl der Kosovaren aus dem Jahr 2018 ergab, dass sich 85,5% der Befragten in ihrem Zuhause (Wohnung, Haus), 78,8% in ihrer Stadt und 52,4% im Kosovo sicher fühlten. Albanische und nicht-serbische Minderheitenangehörige fühlen sich im Kosovo sicherer als Serben (KCSS 7.2019).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (2.5.2020): Kosovo: Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/ReiseUndSicherheit/kosovosicherheit/207442, Zugriff 4.5.2020

- GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (9.2018a): Kosovo - Geschichte/Staat, https://www.liportal.de/kosovo/geschichte-staat/, Zugriff 23.12.2019

- KCSS - Kosovo Center for Security Studies (7.2019): Kosovo Security Barometer – Trends of Citizens’ Perceptions on Public safety in Kosovo (2016 – 2018), https://www.academia.edu/40117450/REPORT_BY_KCSS_TRENDS_OF_CITIZENS_PERCEPTIONS_ON_PUBLIC_SAFETY_IN_KOSOVO, Zugriff 23.12.2019

3. Rechtsschutz / Justizwesen

Letzte Änderung: 11.5.2020

Die gesetzgebende Gewalt wird vom kosovarischen Parlament ausgeübt, die exekutive Gewalt von der Regierung (Premierminister, Minister) und die richterliche Gewalt von den Gerichten, einschließlich des Obersten Gerichtshofs, der höchsten richterlichen Behörde, und des Verfassungsgerichts. Die Exekutive hat sich jedoch wiederholt (informell) in die Arbeit von Legislative und Judikative eingemischt und das Parlament wurde immer wieder dafür kritisiert, dass es sein verfassungsmäßiges Mandat zur Kontrolle der Regierung nicht ausübt. Die parlamentarischen Ausschüsse in der Versammlung wurden von der Exekutive ignoriert, wodurch ihre parlamentarische Kontrollfunktion wesentlich geschmälert wurde. Die Kontrolle und Ausgewogenheit der demokratisch gewählten Institutionen ist zwar formell festgelegt, in der Realität jedoch schwach und ineffizient (BS 2020).

Die Verfassung sieht eine unabhängige Justiz vor, aber diese Unabhängigkeit wird nach wie vor durch politische Autoritäten und ein hohes Maß an Korruption beeinträchtigt. EULEX und seine kosovarischen Pendants haben einige Fortschritte in Bezug auf Nachhaltigkeit, Rechenschaftspflicht, Freiheit von politischer Einmischung und Multiethnizität, einschließlich der Einhaltung europäischer Best Practices und internationaler Standards, erzielt. Dennoch hat eine 2016 durchgeführte Umfrage über die Wahrnehmung des Justizsystems durch die Bürger ergeben, dass nur 12,3% die Gerichte für unabhängig hielten, während 61,2% der Ansicht waren, dass Personen mit politischen Verbindungen weniger wahrscheinlich bestraft würden. 50,5% meinten, dass Justizbeamte Bestechungsgelder erhielten oder verlangten und nur 36% konnten jüngste Verbesserungen im Justizsystem feststellen, während 24,4% davon überzeugt waren, dass keine Verbesserungen erzielt wurden (BS 2020).

Die Effizienz bei der Fallbearbeitung hat sich verbessert, aber es gibt immer noch einen beachtlichen Rückstau an offenen Fällen. Ein Disziplinarverfahren gegen Richter und Staatsanwälte ist zwar vorhanden, aber ineffizient. Eine unabhängige staatliche Rechtshilfekommission stellt kostenlose Rechtshilfe für Personen mit niedrigen Einkommen zur Verfügung; diese ist jedoch nicht adäquat finanziert und funktioniert nicht wie vorgesehen. Bei Verletzung der Prozessrechte können sich Geschädigte an den Verfassungsgerichtshof wenden (USDOS 11.3.2020).

Die Verfahren werden nicht immer ordnungsgemäß abgewickelt. Nach Angaben der Europäischen Kommission, der NGOs und der Institution der Ombudsperson ist die Justizverwaltung langsam und es fehlen die Mittel, um die Rechenschaftspflicht der Justizbeamten zu gewährleisten. Die Justizstrukturen sind politischer Einflussnahme ausgesetzt, mit umstrittenen Ernennungen und unklaren Mandaten (USDOS 11.3.2020). Die lokale Rechtsprechung sieht sich Einflüssen von außen, v.a. seitens der Exekutive, ausgesetzt und sorgt nicht immer für faire Prozesse (FH 4.2.2019).

Im Laufe des Jahres 2019 förderte das Justizministerium Änderungen eines Gesetzes von 2010 über die disziplinarische Verantwortung von Richtern und Staatsanwälten, mit denen die Unparteilichkeit des kosovarischen Justizwesens erreicht werden sollte (USDOS 11.3.2020). Darüber hinaus wurden Register zur Erfassung von Beschwerden gegen Richter auf Ebene der Gerichte und des KJC, des „kosovarischen Justizrates“, fertiggestellt und allen Gerichten zur Überprüfung übergeben. Im Einklang mit der Disziplinarordnung wählte die KJC 70 von den Gerichtspräsidenten empfohlene Richter für die Mitgliedschaft in Gremien aus, die für die Untersuchung von Disziplinarbeschwerden zuständig sind. Ihr Mandat ist gestaffelt, um Kontinuität zu gewährleisten: 25 Richter wurden nach dem Zufallsprinzip für eine Amtszeit von einem Jahr, 23 für eine zweijährige und 22 für eine dreijährige Amtszeit ausgewählt. Jährlich sollen neue Mitglieder ausgewählt werden, um eine volle Besetzung von 70 zu gewährleisten. Seit Inkrafttreten des neuen Disziplinarverfahrens sind bei den Gerichtspräsidenten als den zuständigen Behörden 75 Beschwerden gegen Richter eingegangen; der kosovarische Justizrat setzte ein entsprechendes Untersuchungsgremium ein (USDOS 11.3.2020).

Manchmal versäumen es die Behörden, gerichtlichen Anordnungen u.a. auch des Verfassungsgerichts nachzukommen, insbesondere wenn die Urteile Minderheiten begünstigen, wie in zahlreichen Fällen der Rückgabe von Eigentum an Kosovo-Serben. Keiner der Beamten, die 2019 an der Nichtumsetzung von Gerichtsbeschlüssen beteiligt waren, wurde sanktioniert (USDOS 11.3.2020).

Das Gesetz sieht faire und unparteiische Verfahren vor und trotz gravierender Mängel im Justizsystem wie etwa politischer Einmischung, wird das Recht im Allgemeinen umgesetzt. Die Prozesse sind öffentlich, die Angeklagten haben ein Recht auf die Unschuldsvermutung, auf unverzügliche Information über die gegen sie erhobenen Anklagen und auf ein faires, öffentliches Verfahren, bei dem sie sich in ihrer Muttersprache an das Gericht wenden können. Sie haben das Recht, zu schweigen oder sich der Aussage zu entschlagen, Beweise einzusehen, einen eigenen Rechtsbeistand zu haben und gegen Urteile zu berufen. Das Kosovo wendet keine Geschworenenprozesse an (USDOS 11.3.2020).

Die "Free Legal Aid Agency“ (FLAA) ist von der Regierung beauftragt, Personen mit niedrigem Einkommen kostenlosen Rechtsbeistand zu gewähren und führt entsprechende Kampagnen durch, die sich an benachteiligte und marginalisierte Gemeinschaften richteten. Im Mai 2019 finanzierten die Vereinten Nationen das Zentrum für Rechtshilfe, welches über NGOs Frauen kostenlosen Rechtsbeistand in Fällen wie der Überprüfung von Eigentumsrechten, Klagen wegen sexueller Gewalt und Rentenansprüchen aus Serbien garantiert (USDOS 11.3.2020).

Kosovo befindet sich in einem Frühstadium in Bezug auf die Anwendung des aquis communautaire und europäischer Standards im Justizbereich. Ein gewisses Ausmaß an Fortschritt wurde erreicht, unter anderem bei der Untersuchung hochrangiger Korruptionsfälle. Korruption ist dennoch weit verbreitet und bleibt ein problematischer Themenbereich. Die Verabschiedung verschiedener Rechtsdokumente im Bereich Korruptionsbekämpfung stellt einen wichtigen Schritt dar, wesentlich ist nun die konsequente Umsetzung (EC 29.5.2019).

Am 8.6.2018 hat der Rat beschlossen, das Mandat der Rechtsstaatlichkeitsmission der EU, EULEX Kosovo, neu auszurichten. Die Mission hatte seit ihrer Einrichtung vor 10 Jahren zwei operative Ziele: das Ziel der Beobachtung, Anleitung und Beratung durch Unterstützung der Rechtsstaatlichkeitsinstitutionen des Kosovo und des Dialogs zwischen Belgrad und Pristina und zweitens ein exekutives Ziel, nämlich die Unterstützung verfassungs- und zivilrechtlicher gerichtlicher Entscheidungen sowie strafrechtlicher Ermittlungen und gerichtlicher Entscheidungen in ausgewählten Strafsachen. Mit dem Beschluss wird der justizielle exekutive Teil des Mandats der Mission beendet und das Kosovo nimmt nun die Verantwortung für alle übertragenen Ermittlungen, Strafverfolgungen und Gerichtsverfahren wahr. Seit dem 14.6.2018 konzentrierte sich EULEX darauf, ausgewählte Fälle und Gerichtsverfahren in den Straf- und Zivilrechtsinstitutionen des Kosovos zu beobachten, den Justizvollzugsdienst des Kosovos zu beobachten, anzuleiten und zu beraten und die operative Unterstützung für die Umsetzung der von der EU geförderten Dialogvereinbarungen zur Normalisierung der Beziehungen zwischen Serbien und dem Kosovo fortzusetzen. Der Ratsbeschluss sieht vor, dass das überarbeitete Mandat bis zum 14.6.2020 gilt (REU 8.6.2018).

Quellen:

- BS – Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 Country Report – Kosovo, https://www.bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_RKS.pdf, Zugriff 4.5.2020

- EC - Europäische Kommission (29.5.2019): Kosovo* 2019 Report, https://ec.europa.eu/neighbourhood-enlargement/sites/near/files/20190529-kosovo-report.pdf, Zugriff 7.4.2020

- FH - Freedon House (4.2.2019): Freedom in the World 2019 - Kosovo, https://www.ecoi.net/en/document/2015997.html, Zugriff 7.4.2020

- REU - Rat der Europäischen Union (8.6.2019): EULEX Kosovo: neue Rolle für die Rechtsstaatlichkeitsmission der EU, https://www.consilium.europa.eu/de/press/press-releases/2018/06/08/eulex-kosovo-new-role-for-the-eu-rule-of-law-mission/#, Zugriff 23.12.2019

- USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Kosovo, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026405.html, Zugriff 17.4.2020

Der Kanun / Blutrache

Letzte Änderung: 11.5.2020

Historisch bedingt existierte in der kosovarischen Gesellschaft eine grundsätzliche Distanz gegenüber staatlichen Strukturen. Dies führte zur Ausbildung umfangreicher Prozesse der Gemeinschaftsbildung, welche u. a. in der Entwicklung von Stämmen, Clans, Patenschaften und Blutsverwandtschaft Ausdruck fand. Insbesondere in der albanischen Bergwelt basierte die Ordnung auf mündlich tradiertem Gewohnheitsrecht. Diese sogenannten Kanune variierten regional, wobei die bekannteste dieser Rechtsordnungen der Kanun Lekë Dukagjini ist. Die grundlegende soziale Einheit, auf der der Kanun basiert, ist die Großfamilie unter Führung des männlichen Familienältesten (Senioritätsprinzip). Der Kanun ist ein umfassendes Regelwerk und befasst sich mit weiten Bereichen des gesellschaftlichen Zusammenlebens wie Kirchen-, Ehe-, Erb-, Schuld-, Handels- und Strafrecht. Zentral für dieses Rechtsverständnis ist der Begriff der Ehre, was sich u.a. in der Bedeutung der Blutrache, aber auch des umfassenden Gastrechts ausdrückt. Die Rolle der Frauen im Kanun ist eine nachgeordnete und charakterisiert die marginale Stellung der Frau in der traditionellen albanischen (Hochland-)Gesellschaft (GIZ 3.2020b).

Die Blutrache, die teils Ausdruck Jahrzehnte alter Konflikte ist, war bis in die 1980er Jahre ein weit verbreitetes Phänomen in Albanien und im Kosovo. 1990 nahmen unter Führung von Anton Çetta, einem Professor für Ethnologie, ca. 100.000 Personen aus dem Kosovo, aus Albanien, Mazedonien und Montenegro an einer großen Aussöhnung von Familien teil, bei der ca. 2.000 Fälle der Blutrache versöhnt wurden. Obwohl er zunehmend an Bedeutung verliert, spielt der Kanun in entlegenen Regionen bis heute eine Rolle bei der Rechtsinterpretation. Nach dem Zusammenbruch der staatlichen Ordnung in Albanien 1997 kam es zu einer Renaissance der Blutrache, allerdings nicht nach den Regeln des Kanuns. Waren traditionell Frauen und Kinder vor der Blutrache geschützt, sind heute auch diese Personengruppen von der Verfolgung betroffen. Bei der Bewertung krimineller Handlungen bzw. Formen der organisierten Kriminalität (in der Diaspora) spielen Aspekte des Gewohnheitsrechts aktuell eine Rolle (GIZ 3.2020b).

Insbesondere außerhalb der größeren Städte sind nicht selten Racheakte aus verschiedenen Gründen zu beobachten. Diese werden landläufig als „Blutrache“ bezeichnet und ohne Beachtung der einschränkenden Regeln des Kanun - der Eröffnung, Ablauf und Beendigung regelt - beharrlich betrieben, zum Teil mit blutigen bzw. tödlichen Folgen. Bei diesen Racheakten ist die Hemmschwelle, eine Schusswaffe zu benutzen, oft sehr niedrig. Beteiligte an solchen Taten werden verfolgt, angeklagt und verurteilt (AA 21.3.2019).

Blutrache stellt im Westen des Kosovo (und im Norden Albaniens) nach wie vor ein Problem dar und wird infolge der Migrationsbewegung von Albanern und Kosovo-Albanern hin und wieder auch ins Ausland getragen. Eine Grundregel ist, dass eine Ehrverletzung mit Blut vergolten werden muss – sonst werden der Geschädigte und seine Familie von der Dorfgemeinschaft geächtet, was den gesellschaftlichen Tod bedeutet. Dieser gesellschaftliche Zwang ist ein Grund, weshalb sich die Blutrache in einigen Gegenden von Albanien und Kosovo zäh halten kann. Da eine Tötung stets die Revanche der anderen Familie herausfordert, können sich die Kettentötungen einer Blutfehde über Jahrzehnte hinziehen und ganze Familien auslöschen. Ursprünglich verlangte der Ehrenkodex des Kanuns, dass nur an männlichen Familienmitgliedern Blutrache geübt werden darf – doch heute sind in Nordalbanien durchaus auch Frauen gefährdet. Nur innerhalb des eigenen Hauses sind betroffene Familien vor der Blutrache sicher. Eine Blutfehde kann aber durch Verhandlungen und ein Sühnegeld beendet werden, wenn die (zuletzt) geschädigte Familie einwilligt. Diese Sühne wird im albanische Kanun Blutgeld genannt (GRA 2015).

Es bestehen keine Zufluchtsmöglichkeiten in anderen Landesteilen oder größeren Städten. Wegen der geringen Größe des Kosovo ist es leicht möglich, eine Person auch in größeren Städten sehr schnell zu finden, zumal Neuankömmlinge meist in einen Stadtteil ziehen, in dem bereits andere Personen aus ihrem Dorf oder Clan leben. Die größeren Städte setzten sich daher sozusagen aus “ethnischen“ Vierteln zusammen, in denen Familien Verwandtschaftsbeziehungen zu ihrem Heimatort und ihrem patrilinearen Clan bewahrten. Ferner ist es nicht möglich, von einem in einen anderen Landesteil zu ziehen und einfach unterzutauchen, da jede kosovo-albanische Person ihre Herkunft auf einen der zwölf Gründungsclans der Albaner in Kosovo zurückführen kann. Eine falsche Identität zu erfinden, die einer Überprüfung standhalten würde, ist daher kaum möglich. Zusätzlich werden Neuankömmlinge stets in einem Kontext sozialer Beziehungen eingeordnet, und Höflichkeitsnormen schreiben vor, sich bereits bei der ersten Begegnung nach Herkunft, Familienbeziehungen und Freunden einer Person zu erkundigen. Auch die Ombudsperson des Kosovo bestätigt, dass es kaum möglich ist, in anderen Landesteilen oder größeren Städten vor Blutrache Schutz zu finden (SFH 1.7.2016).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (21.3.2019): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Kosovo / Bericht im Hinblick auf die Einstufung der Republik Kosovo als sicheres Herkunftsland im Sinne des § 29 a AsylVfG, https://www.ecoi.net/en/file/local/2005251/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_im_Hinblick_auf_die_Einstufung_der_Republik_Kosovo_als_sicheres_Herkunftsland_im_Sinne_des_%C2%A7_29_a_AsylG_%28Stand_Januar_2019%29%2C_21.03.2019.pdf, Zugriff 14.4.2020

- GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (3.2020b): Kosovo - Gesellschaft, https://www.liportal.de/kosovo/gesellschaft/, Zugriff 5.5.2020

- GRA – Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus (o.D.): Belastete Begriffe. Blutrache/Vendetta, https://www.gra.ch/bildung/gra-glossar/begriffe/belastete-begriffe/blutrache-vendetta/, Zugriff 5.5.2020

- SFH – Schweizer Flüchtlingshilfe (1.7.2016): Kosovo. Blutrache, https://www.fluechtlingshilfe.ch/assets/herkunftslaender/europa/kosovo/160701-kos-blutrache.pdf, Zugriff 14.4.2020

4. Sicherheitsbehörden

Letzte Änderung: 11.5.2020

Die innere Sicherheit der Republik Kosovo beruht auf drei Komponenten: der Kosovo Polizei (KP), den unterstützenden internationalen EULEX-Polizeikräften (EU-Rechtstaatlichkeitsmission, Anm.) und den KFOR-Truppen (mit 3.500 Soldaten) (AA 21.3.2019).

Als eine ihrer Operationslinien unterstützt die KFOR Aufbau und Training der multiethnischen und zivil kontrollierten, leicht bewaffneten Sicherheitskräfte „Kosovo Security Force“ (KSF), die nach dem bisherigen Gesetzesrahmen nicht mehr als 2.500 Mitglieder und maximal 800 Reservisten hatten. Die KSF übernimmt derzeit primär zivile Aufgaben wie Krisenreaktion, Sprengmittelbeseitigung und Zivilschutz. Das am 14.12.2018 mit überwältigender parlamentarischer Mehrheit verabschiedete Gesetzespaket zur Transition in reguläre, defensiv ausgerichtete Streitkräfte unterwirft die KSF einem 10-jährigen Übergangsprozess, an dessen Ende ca. 5.000 leicht bewaffnete Defensivkräfte stehen sollen. Die kosovarische Regierung hat der NATO gegenüber schriftlich die volle Transparenz des Prozesses, die Bewahrung des multiethnischen Charakters der KSF sowie das Festhalten an den Bedingungen von UNSCR 1244 und dem KFOR-Mandat bekundet (AA 21.3.2019).

Die Polizei (Kosovo Police, KP) hat derzeit eine Stärke von ca. 9.000 Personen. Der Frauenanteil in der KP beträgt 14%; der Anteil der Angehörigen von Minderheiten liegt bei 16%. EULEX-Polizisten beraten und unterstützen Polizeidienststellen im gesamten Land. Für die parlamentarische Kontrolle der Sicherheitskräfte ist im Parlament der Ausschuss für Inneres, Sicherheitsfragen und Überwachung der KSF zuständig (AA 21.3.2019). Weiterhin sollen die Polizeistrukturen im Kosovo vereinheitlicht und Mitglieder serbischer Sicherheitskräfte in die kosovarische Polizei integriert werden. Die Polizeikräfte im serbischen Norden sollen die Bevölkerungsverhältnisse widerspiegeln und unter Führung eines kosovo-serbischen Regionalkommandanten stehen (GIZ 3.2020a). Es gibt 436 Polizeibeamte (Angehörige der KP) pro 100.000 Einwohner. Dies übertrifft den EU-Durchschnitt, der sich im Jahr 2016 gemäß Eurostat auf 318 Beamte belief. Die Polizei ist relativ gut ausgebildet und ausgerüstet. Sie verfügt über moderne IT-Infrastruktur. Die „Kosovo Academy for Public Safety“ gewährleistet eine gute Ausbildung für Polizeibeamte und andere Angehörige des Sicherheitsapparats (Zollbeamte, Beamte des Strafvollzugs) sowohl im Bereich der Grundausbildung als auch im Bereich der berufsbegleitenden Weiterbildung. Die Kapazität der Polizei zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität ist gut, jedoch unterliegt die Polizei immer noch Korruption und politischem Druck (EC 29.5.2019).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (21.3.2019): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Kosovo / Bericht im Hinblick auf die Einstufung der Republik Kosovo als sicheres Herkunftsland im Sinne des § 29 a AsylVfG, https://www.ecoi.net/en/file/local/2005251/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_im_Hinblick_auf_die_Einstufung_der_Republik_Kosovo_als_sicheres_Herkunftsland_im_Sinne_des_%C2%A7_29_a_AsylG_%28Stand_Januar_2019%29%2C_21.03.2019.pdf, Zugriff 10.4.2020

- EC - Europäische Kommission (29.5.2019): Kosovo 2019 Report, S33 u. S35, https://ec.europa.eu/neighbourhood-enlargement/sites/near/files/20190529-kosovo-report.pdf, Zugriff 27.11.2019

- GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (3.2020a): Kosovo - Geschichte/Staat, https://www.liportal.de/kosovo/geschichte-staat/, Zugriff 5.5.2020

- GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (9.2018a): Kosovo - Geschichte/Staat, https://www.liportal.de/kosovo/geschichte-staat/, Zugriff 23.12.2019

5. Folter und unmenschliche Behandlung

Letzte Änderung: 11.5.2020

Das Verbot der Folter sowie der grausamen, unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe wird im Artikel 27 der kosovarischen Verfassung verankert. Artikel 199 des Strafgesetzbuches kriminalisiert Folter in voller Übereinstimmung mit internationalen Menschenrechtsnormen (AA 21.3.2019). Die Gesetze werden aber uneinheitlich umgesetzt und es gab anhaltende Vorwürfe, dass Gefangene von der Polizei und in geringerem Maße auch vom Personal des Strafvollzugsdienstes gefoltert und misshandelt wurden (UDOS 11.3.2020). Der UN-Sonderberichterstatter für Folter, grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung nahm in seinem letzten Bericht über den Besuch in Serbien und Kosovo mit großer Besorgnis zahlreiche Anschuldigungen wegen Folter und Misshandlungen durch die Polizei zur Kenntnis (AA 21.3.2019; vgl. UN 25.1.2019). In erwähntem Papier wird über Misshandlungen von Gefangenen sowie verbale und psychologische Drohungen berichtet. Auch besteht ein Mangel an Aufsicht in der Untersuchungs- und Verhörphase der Inhaftierung, was angeblich zu erzwungenen Geständnissen führt (USDOS 11.3.2020).

Die Ombudsperson des Kosovo (KOI) verfügt in ihrer Eigenschaft als Nationaler Präventionsmechanismus gegen Folter (National Preventive Mechanism against Torture – NPMT) über sieben Mitarbeiter. Darunter sind ein Arzt, ein Psychiater, ein Sozialarbeiter und zwei Anwälte, die sich hauptberuflich mit der Verhütung von Folter befassen. Im Jahr 2018 unterzog sich der NPMT einem intensiven vom Europarat finanzierten Schulungsprogramm, um seine Kapazitäten zu verbessern. Auch führte er in Gefängnissen, Haftanstalten, psychiatrischen Einrichtungen und Polizeistationen Inspektionen durch. Gefangene und Inhaftierte können den NPMT über Rechtsanwälte, Familienangehörige, internationale Organisationen, direkte Telefonanrufe oder über Briefkästen in Haftanstalten, die nur für Mitarbeiter der KOI zugänglich sind, kontaktieren. Die KOI berichtete zwar über Beschwerden gegen die Polizei und den Strafvollzugsdienst; darunter Vorwürfe der körperlichen Misshandlung von Gefangenen, aber keine Folterhandlungen (USDOS 11.3.2020).

Das Kosovo-Rehabilitationszentrum für Folteropfer (KRCT), die führende NGO des Landes in Fragen der Folter, gab ebenfalls an, im Laufe des Jahres keine glaubwürdigen Berichte über Folterungen erhalten zu haben, obwohl die Misshandlung von Gefangenen nach wie vor ein Problem darstellt (USDOS 11.3.2020).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (21.3.2019): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Kosovo / Bericht im Hinblick auf die Einstufung der Republik Kosovo als sicheres Herkunftsland im Sinne des § 29 a AsylVfG, https://www.ecoi.net/en/file/local/2005251/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_im_Hinblick_auf_die_Einstufung_der_Republik_Kosovo_als_sicheres_Herkunftsland_im_Sinne_des_%C2%A7_29_a_AsylG_%28Stand_Januar_2019%29%2C_21.03.2019.pdf, Zugriff 30.3.2020

- UNHRC – United Nations Human Rights Council (25.1.2019): Visit to Serbia and Kosovo. Report of the Special Rapporteur on torture and other cruel, inhuman or degrading treatment or punishment, https://atlas-of-torture.org/api/files/1552483246133hd6yw6vl38u.pdf, Zugriff 31.3.2020

- USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Kosovo, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026405.html, Zugriff 21.4.2020

6. Korruption

Letzte Änderung: 11.5.2020

Laut Gesetz steht Korruption von Beamten unter Strafe, aber die Regierung setzt diese Vorgaben nicht effektiv um. Korruption bei Beamten bleibt gelegentlich ungesühnt. Das Fehlen einer wirksamen Justizaufsicht und eine allgemeine Schwäche der Rechtsstaatlichkeit tragen zu diesem Problem bei. Gegen Korruptionsfälle wird routinemäßig wiederholt Berufung eingelegt, und das Justizsystem lässt oft Verjährungsfristen auslaufen, ohne die Fälle vor Gericht zu bringen. Die Antikorruptionsbehörde (ACA) und das Nationale Rechnungsprüfungsamt tragen gemeinsam die Verantwortung für die Bekämpfung staatlicher Korruption. Verurteilungen wegen Korruptionsvorwürfen machen weiterhin nur einen geringen Teil der untersuchten und angeklagten Fälle aus. NGOs berichten, dass Anklageerhebungen oft fehlschlagen, weil Staatsanwälte falsche Anklagen erheben oder Verfahrensfehler machen (USDOS 11.3.2020).

Die institutionellen Rahmenbedingungen zur Korruptionsbekämpfung sind schwach. Die Zuständigkeitsbereiche der vier primären Korruptionsbekämpfungsbehörden überlappen sich, was eine effiziente Koordinierung der Bemühungen erschwert. Die Behörden zeigen nur wenig Anstrengung, hochrangige Korruptionsfälle zu untersuchen, und wenn hochrangige Beamte doch verfolgt werden, so kommt es selten zu Verurteilungen. Ende 2018 waren vier Minister, denen Korruption bzw. Interessenskonflikte vorgeworfen wurden, trotz entsprechender Anklagen weiterhin im Amt. Staatsanwälte und Gerichte sind nach wie vor anfällig für politische Einmischung und Korruption durch mächtige politische und geschäftliche Eliten, wodurch ordnungsgemäße Verfahren untergraben werden (FH 4.2.2019). Auch die Ergebnisse der EULEX-Anti-Korruptionsbemühungen waren minimal. Besonders hochrangige Korruptionsfälle wurden nicht einmal untersucht, was einen weit verbreiteten Eindruck der Straflosigkeit hervorrief. Es schien, als sollte wichtigen Persönlichkeiten der politischen Elite des Kosovo eine Untersuchung oder gar ein Gerichtsverfahren erspart bleiben, im höheren Interesse der Aufrechterhaltung des kosovarischen Staatsbildungsprojekts (BS 2020).

Zentrale Bereiche der Korruption sind neben dem Gesundheits- und Bildungswesen die Justiz, in der es regelmäßig zu politischer Einflussnahme kommt, außerdem die öffentliche Verwaltung, in der Nepotismus, Beschäftigung nach Parteibuch wie die Manipulation öffentlicher Ausschreibungsverfahren weit verbreitet sind. Politische Korruption, etwa bei der Besetzung von Aufsichtsräten herrscht auch bei öffentlichen Unternehmen vor. Die kosovarische Presse berichtet regelmäßig von Korruptionsskandalen, in die hochkarätige Partei- oder Regierungsvertreter verwickelt sein sollen. Zur Anklage kommt bisher jedoch nur ein kleiner Teil davon und zu Verurteilungen kommt es ganz selten. So wurde der frühere Minister Fatmir Limaj diverse Male, unter anderem von EULEX-Richtern, wegen Korruption angeklagt, zu einer Verurteilung kam es nie. Auch sein Bruder, Florim Limaj, der im Innenministerium mit der Bekämpfung von Korruption betraut war, wurde wegen Korruption angeklagt. Ähnlich gelagert war der Fall des Staatsanwalts Nazim Mustafi. Der mit der Bekämpfung von Korruption beauftragte Staatsanwalt wurde 2013 von einem EULEX-Gericht selbst zu fünf Jahren Haft verurteilt - wegen Bestechlichkeit. Nicht nur lokalen Richtern, Staatsanwälten und Polizei fehlt die politische Unabhängigkeit zur Verfolgung politisch sensibler Korruptionsfälle – selbst die EU-Rechtsstaatsmission EULEX erwies sich als außerordentlich ineffizient, hochkarätige Fälle politischer Korruption abzuurteilen. 2017 wurden laut offiziellen Statistiken von den Staatsanwaltschaften im Kosovo knapp 1.800 Personen wegen Korruption angeklagt, 90% davon waren Behördenvertreter. 2015 wurde eine behördenübergreifende Task Force gegen politisch sensible Korruption und organisierte Kriminalität geschaffen. Bis einschließlich 2018 kamen allerdings lediglich 27 Fälle zur Anklage, ganze 9 Personen wurden verurteilt. Nicht zuletzt wegen der ineffizienten Korruptionsbekämpfung haben zwei Drittel der Bevölkerung im Kosovo kein Vertrauen in die Justiz bzw. den Rechtsstaat (GIZ 3.2020a).

Diese Auffassung vertritt auch der Direktor der albanischen Antikorruptionsbehörde, Shaip Havolli und rief die Justizbehörden auf, keine Angst zu haben, auch hochrangige Personen wegen Korruption anzuklagen. Er betonte, dass niedrige Strafen und Freilassungen ein negatives Signal für die Entwicklung des Kosovo und seine Integration in die internationalen Strukturen seien (CoE o.D.a; vgl. Telegrafi 25.5.2019). Das Kosovo Law Institute beklagte 2019, dass das Ausmaß der Nichtbestrafung von Korruption als besorgniserregend. Die Korruption auf hoher Ebene bleibe ein ernstes Problem. Der britische Botschafter im Kosovo zeigte sich beunruhigt, dass trotz aller Investitionen der internationalen Gemeinschaft ein hoher Prozentsatz von in Korruption verwickelten hohen Beamten nicht bestraft wird (CoE o.D.b).

Transparency International listet den Kosovo in seinem „Corruption Perceptions Index“ 2019 auf Platz 101 von insgesamt 180 bewerteten Staaten. Dies entspricht einer Verschlechterung um acht Plätze gegenüber 2018 (TI 1.2020; vgl. TI 30.1.2019). Im regionalen Vergleich zu seinen Nachbarländern liegt das Kosovo hinsichtlich des Ausmaßes an Korruption im Mittelfeld GIZ 3.2020a).

Quellen:

- BS – Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 Country Report – Kosovo, https://www.bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_RKS.pdf, Zugriff 14.4.2020

- CoE – Council of Europe (o.D.a): Action against economic crime and corruption. KLI: The Justice System has failed to treat targeted cases, https://www.coe.int/en/web/corruption/anti-corruption-digest/kosovo, Zugriff 14.4.2020

- CoE – Council of Europe (o.D.b): Action against economic crime and corruption. Kosovo Law Institute: corruption remains unpunished in the country, https://www.coe.int/en/web/corruption/anti-corruption-digest/kosovo, Zugriff 17.4.2020

- FH - Freedon House (4.2.2019): Freedom in the World 2019 - Kosovo, https://www.ecoi.net/en/document/2015997.html, Zugriff 27.11.2019

- GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internat

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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