TE Bvwg Erkenntnis 2020/10/16 W133 2232373-1

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Veröffentlicht am 16.10.2020
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Entscheidungsdatum

16.10.2020

Norm

BBG §40
BBG §41
BBG §45
B-VG Art133 Abs4

Spruch

W133 2232373-1/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Natascha GRUBER als Vorsitzende und den Richter Mag. Michael SCHWARZGRUBER sowie den fachkundigen Laienrichter Mag. Gerald SOMMERHUBER als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , gegen den Bescheid des Sozialministeriumsservice, Landesstelle Niederösterreich, vom 08.06.2020, betreffend die Abweisung des Antrages auf Ausstellung eines Behindertenpasses, zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Im Verwaltungsakt befindet sich ein Vorgutachten einer Ärztin für Allgemeinmedizin vom 21.08.2018, welches aufgrund eines vormaligen Antrages des Beschwerdeführers auf Ausstellung eines Behindertenpasses eingeholt worden war. In diesem Gutachten wurden auf Grundlage einer persönlichen Untersuchung und umfassender Darstellung der Statuserhebung die Funktionseinschränkungen den Leidenspositionen

Lfd. Nr.

Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:

Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:

Position

GdB %

1

Zustand nach Kniegelenksendoprothesenimplantation links 01/2018

02.05.20

30

2

Degenerative Gelenksveränderungen

Wahl des unteren Rahmensatzes dieser Richtsatzposition bei geringen Funktionseinschränkungen an Stütz- und Halteapparat

02.02.01

10

zugeordnet und nach der Einschätzungsverordnung ein Gesamtgrad der Behinderung von 30 von Hundert (v.H.) eingeschätzt. Die Gutachterin stellte fest, dass das Leiden 1 durch das Leiden 2 nicht erhöht werde, da dieses geringgradig sei. Es wurde weiters festgestellt, dass dem Beschwerdeführer die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar sei.

Am 03.12.2019 stellte der Beschwerdeführer bei der belangten Behörde unter Vorlage eines Befundkonvoluts einen Antrag auf Neufestsetzung des Grades seiner Behinderung im Behindertenpass.

Die belangte Behörde gab in der Folge ein Sachverständigengutachten einer Fachärztin für Orthopädie unter Anwendung der Bestimmungen der Einschätzungsverordnung in Auftrag. In diesem Gutachten vom 04.03.2020 wurden auf Grundlage einer persönlichen Untersuchung und umfassender Darstellung der Statuserhebung die Funktionseinschränkungen den Leidenspositionen

Lfd. Nr.

Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:

Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:

Position

GdB %

1

Kniegelenkstotalersatz beidseits

Oberer Rahmensatz, da beidseits eine Einschränkung der Beugung auf 100° vorliegt

02.05.19

30

2

Bewegungseinschränkung rechtes Schultergelenk

02.06.01

10

zugeordnet und nach der Einschätzungsverordnung ein Gesamtgrad der Behinderung von 30 v.H. eingeschätzt. Begründend führte die Gutachterin aus, das Leiden 1 werde durch das Leiden 2 nicht erhöht, da dieses keine maßgebliche funktionelle Zusatzrelevanz aufweise. Eine kleine Leistenhernie rechts ohne Beschwerden und ohne Einklemmungssymptomatik erreiche keinen Grad der Behinderung. Im Vergleich zum Vorgutachten aus dem Jahr 2018 ersetzte das neue Leiden 1 das alte Leiden 1, das ehemalige Leiden 2 werde durch das neue Leiden 2 ersetzt. Die Gutachterin stellte weiters fest, dass dem Beschwerdeführer die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar sei.

Mit Schreiben vom 04.03.2020 räumte die belangte Behörde dem Beschwerdeführer ein förmliches Parteiengehör gemäß § 45 AVG samt Möglichkeit zur Stellungnahme ein. Das Gutachten vom selben Tag wurde dem Beschwerdeführer als Beilage übermittelt.

Der Beschwerdeführer brachte innerhalb der ihm dafür eingeräumten Frist keine Stellungnahme ein.

Daher wies die belangte Behörde mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 08.06.2020 den Antrag des Beschwerdeführers auf Ausstellung eines Behindertenpasses gemäß §§ 40, 41 und 45 Bundesbehindertengesetz (BBG) ab, da er mit dem festgestellten Grad der Behinderung von 30 v.H. die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses nicht erfülle. In der Begründung verwies die belangte Behörde auf das Ergebnis der ärztlichen Begutachtung, wonach der Grad der Behinderung 30 v.H. betrage. Das Gutachten vom 04.03.2020 wurde dem Beschwerdeführer als Beilage abermals übermittelt.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer mit E-Mailnachricht vom 22.06.2020 fristgerecht eine Beschwerde bei der belangten Behörde. Darin führt er ohne Vorlage neuer Beweismittel aus, dass er im Jahr 2018 eine Knieoperation am linken Bein gehabt habe. Dabei sei eine Knieimplantation durchgeführt worden, wodurch seine Lebensqualität eingeschränkt worden sei, auch seine Bewegungen seien dadurch eingeschränkt worden. Seitdem sei seine Alltagsroutine schwergängig geworden. Nach seiner ersten OP habe er einen Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses gestellt, dabei sei ein Behinderungsgrad von 30 v.H. festgestellt worden. Nach der ersten OP seien Beschwerden am rechten Kniegelenk (Schwellungen und brennende Schmerzen insbesondere beim Stiegen steigen und beim Gehen) aufgetreten. Im Jahr 2019 habe er schließlich ein Implantat am rechten Kniegelenk bekommen. Er sei mit dem rechten Knie nicht zufrieden und habe immer noch starke Schmerzen. Zudem habe er Schmerzen in der rechten Schulter (zum Beispiel beim Anheben des Armes und wenn er auf der rechten Schulter schlafe). Es sei für ihn nicht nachvollziehbar, wie er bei zwei schweren Operationen eine Behinderungsgrad von 30 v.H. erhalten könne. Wie könne es sein, dass für sein rechtes Bein ein Behinderungsgrad von 30 v.H. festgestellt worden sei und für sein linkes Bein kein Behinderungsgrad, obwohl die Vorgehensweise bei beiden Beinen gleich gewesen sei.

Die belangte Behörde legte dem Bundesverwaltungsgericht am 26.06.2020 die Beschwerde und den Bezug habenden Verwaltungsakt zur Entscheidung vor.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Beschwerdeführer brachte am 03.12.2019 den gegenständlichen Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses bei der belangten Behörde ein.

Er ist österreichischer Staatsbürger und hat seinen Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich.

Beim Beschwerdeführer bestehen folgende Funktionseinschränkungen, die voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:

1.       Kniegelenkstotalersatz beidseits, Einschränkung der Beugung beidseits auf 100°;

2.       Bewegungseinschränkung rechtes Schultergelenk.

Das führende Leiden 1 wird durch das Leiden 2 nicht erhöht, da dieses keine maßgebliche funktionelle Zusatzrelevanz aufweist.

Eine kleine Leistenhernie rechts ohne Beschwerden und ohne Einklemmungssymptomatik erreicht keinen Grad der Behinderung.

Der Gesamtgrad der Behinderung des Beschwerdeführers beträgt aktuell 30 v.H.

Im Vergleich zum Vorgutachten aus dem Jahr 2018 ersetzt das neue Leiden 1 (Kniegelenkstotalersatz beidseits) das alte Leiden 1 (Zustand nach Kniegelenksendoprothesenimplantation links), das ehemalige Leiden 2 (Degenerative Gelenksveränderungen) wird durch das neue Leiden 2 (Bewegungseinschränkung rechtes Schultergelenk) ersetzt.

Hinsichtlich der beim Beschwerdeführer bestehenden einzelnen Funktionseinschränkungen, deren Ausmaß, medizinischer Diagnose, wechselseitiger Leidensbeeinflussung und medizinischer Einschätzung werden die diesbezüglichen Beurteilungen im Sachverständigengutachten einer Fachärztin Orthopädie vom 04.03.2020 der nunmehrigen Entscheidung zu Grunde gelegt.

Unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden medizinischen Befunde und der Untersuchungsergebnisse im Gutachten ist eine höhere Einschätzung der festgestellten Leidenszustände zum Entscheidungszeitpunkt nicht möglich.

2. Beweiswürdigung:

Das Datum der Einbringung des gegenständlichen Antrages auf Ausstellung eines Behindertenpasses basiert auf dem Akteninhalt.

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit und zum Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt des Beschwerdeführers im Inland ergeben sich aus dem im Akt aufliegenden ZMR-Auszug und seinen eigenen Angaben bei der Antragstellung; konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der Beschwerdeführer seinen Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt nicht mehr im Inland hätte, sind im Verfahren nicht hervorgekommen. Auch die belangte Behörde ging vom Vorliegen dieser Voraussetzung aus.

Der Gesamtgrad der Behinderung basiert auf dem seitens der belangten Behörde eingeholten Sachverständigengutachten einer Fachärztin für Orthopädie vom 04.03.2020. Darin wird auf die Art der Leiden des Beschwerdeführers und deren Ausmaß vollständig, nachvollziehbar und widerspruchsfrei eingegangen. Die getroffenen Einschätzungen, welche auf den im Rahmen einer persönlichen Untersuchung erhobenen Befunden basieren, entsprechen auch den festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen (diesbezüglich wird auch auf die oben auszugsweise wiedergegebenen Ausführungen im Gutachten verwiesen); die Gesundheitsschädigungen wurden nach der Einschätzungsverordnung richtig eingestuft.

Führendes Leiden des Beschwerdeführers ist der beiderseitige Kniegelenkstotalersatz. Die Sachverständige hat dieses Leiden nachvollziehbar dem oberen Rahmensatz (30 v.H.) der Positionsnummer 02.05.19 der Anlage zur Einschätzungsverordnung zugeordnet. Diese betrifft Funktionseinschränkungen geringen Grades in beiden Kniegelenken. Bei der persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers konnte betreffend beide Kniegelenke lediglich eine mäßige Einschränkung der Beugung festgestellt werden („Knie rechts 0/0/100, links 0/0/100“). Insofern kann das Beschwerdevorbringen, der Beschwerdeführer sei in seinen Bewegungen (beispielsweise beim An- und Ausziehen, Stiegen steigen und Autofahren) eingeschränkt und könne im Alltag fast nichts mehr alleine machen, nicht nachvollzogen werden. Im Vergleich zum Vorgutachten aus dem Jahr 2018 ersetzt das neue Leiden 1 (Kniegelenkstotalersatz beidseits) das alte Leiden 1 (Zustand nach Kniegelenksendoprothesenimplantation links).

Zum Vorbringen des Beschwerdeführers, er sei mit seinem rechten Knie nicht zufrieden und habe immer noch starke Schmerzen, ist Folgendes festzuhalten: Dem vorgelegten Ärztlichen Entlassungsbrief eines näher genannten Landesklinikums vom 18.10.2019 ist nicht zu entnehmen, dass die Implantation der Knietotalendoprothese rechts nicht den angestrebten Erfolg im Sinne einer Verbesserung der Funktionseinschränkung erzielt hätte. Ganz im Gegenteil ist dem Entlassungsbrief zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer bei liegender Klammernaht, unauffälligen Wundverhältnissen und unauffälliger peripherer DMS (Durchblutung, Motorik und Sensibilität) entlassen werden konnte. Es wurden im Verfahren auch keine sonstigen Befunde vorgelegt, aus welchen sich ergeben hätte, dass die Implantation der Knietotalendoprothese rechts nicht den angestrebten Erfolg im Sinne einer Verbesserung der Funktionseinschränkung erzielt hätte.

Auch das nunmehrige Leiden 2 „Bewegungseinschränkung rechtes Schultergelenk“, welches das ehemalige Leiden 2 „Degenerative Gelenksveränderungen“ ersetzt, wurde von der beigezogenen Fachärztin für Orthopädie korrekt der Positionsnummer 02.06.01 der Anlage zur Einschätzungsverordnung, welche Funktionseinschränkungen geringen Grades eines Schultergelenks betrifft, zugeordnet. Bei der persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers am 04.03.2020 war ihm eine Abduktion (= seitliche Wegführung) des rechten Schultergelenks bis 140° möglich (links 160°), was die getroffene Einstufung bestätigt. Bei dieser Beweglichkeitseinschränkung ist ein fixer Rahmensatz von 10 v.H. normiert.

Zu den im Rahmen der Befunderhebung vorgebrachten Schmerzen ist darauf hinzuweisen, dass die Beurteilung anhand der vorliegenden Funktionsdefizite zu erfolgen hat und die aus vorliegenden Funktionseinschränkungen resultierenden Schmerzzustände aus gutachterlicher Sicht immer in der Diagnoseerstellung inkludiert sind.

Die Feststellung der Sachverständigen, dass das führende Leiden 1 durch das Leiden 2 nicht erhöht wird, da dieses keine maßgebliche funktionelle Zusatzrelevanz aufweist, ist nicht zu beanstanden. Der Vollständigkeit halber ist hinzuzufügen, dass das Leiden 2 zusätzlich auch von einem Ausmaß ist, durch welches nicht von einer besonders nachteiligen Auswirkung - im Sinne des § 3 Abs. 3 der Einschätzungsverordnung - ausgegangen werden kann.

Festzuhalten ist des Weiteren, dass die Einschätzung der beigezogenen Sachverständigen, dass eine kleine Leistenhernie rechts ohne Beschwerden und ohne Einklemmungssymptomatik keinen Grad der Behinderung erreicht, nicht zu beanstanden ist, zumal keine Funktionseinschränkung objektiviert ist.

Dass die Gutachterin, an deren Qualifikation kein Zweifel besteht, die Funktionseinschränkungen des Beschwerdeführers tatsachenwidrig beurteilt hätte, kann vor dem Hintergrund der vorgelegten Befunde sowie unter Berücksichtigung der Untersuchungsergebnisse nicht erkannt werden. Die Funktionseinschränkungen des Beschwerdeführers wurden umfassend und differenziert nach den konkret vorliegenden Krankheitsbildern auch im Zusammenwirken zueinander nachvollziehbar und richtig berücksichtigt.

Das Vorbringen im Rahmen der Beschwerde war somit im Ergebnis nicht geeignet, das vorliegende Sachverständigengutachten zu entkräften und eine Änderung des Ermittlungsergebnisses herbeizuführen. Der Beschwerdeführer ist dem eingeholten Sachverständigengutachten auch nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten, steht es dem Antragsteller, so er der Auffassung ist, dass seine Leiden nicht hinreichend berücksichtigt wurden, nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes doch frei, das im Auftrag der Behörde erstellte Gutachten durch die Beibringung eines Gegengutachtens eines Sachverständigen seiner Wahl zu entkräften (vgl. etwa das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 27.06.2000, Zl. 2000/11/0093).

Seitens des Bundesverwaltungsgerichtes bestehen folglich keine Zweifel an der Richtigkeit, Vollständigkeit und Schlüssigkeit des vorliegenden Sachverständigengutachtens vom 04.03.2020. Dieses wird daher in freier Beweiswürdigung der gegenständlichen Entscheidung zu Grunde gelegt.

3. Rechtliche Beurteilung:

Die gegenständlich maßgeblichen Bestimmungen des Bundesbehindertengesetzes (BBG) lauten auszugsweise:

"§ 40. (1) Behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% ist auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpass auszustellen, wenn

1. ihr Grad der Behinderung (ihre Minderung der Erwerbsfähigkeit) nach bundesgesetzlichen Vorschriften durch Bescheid oder Urteil festgestellt ist oder

2. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften wegen Invalidität, Berufsunfähigkeit, Dienstunfähigkeit oder dauernder Erwerbsunfähigkeit Geldleistungen beziehen oder

3. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften ein Pflegegeld, eine Pflegezulage, eine Blindenzulage oder eine gleichartige Leistung erhalten oder

...

5. sie dem Personenkreis der begünstigten Behinderten im Sinne des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, angehören.

(2) Behinderten Menschen, die nicht dem im Abs. 1 angeführten Personenkreis angehören, ist ein Behindertenpass auszustellen, wenn und insoweit das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen auf Grund von Vereinbarungen des Bundes mit dem jeweiligen Land oder auf Grund anderer Rechtsvorschriften hiezu ermächtigt ist.

§ 41. (1) Als Nachweis für das Vorliegen der im § 40 genannten Voraussetzungen gilt der letzte rechtskräftige Bescheid eines Rehabilitationsträgers (§ 3), ein rechtskräftiges Urteil eines Gerichtes nach dem Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, BGBl. Nr. 104/1985, ein rechtskräftiges Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes oder die Mitteilung über die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe gemäß § 8 Abs. 5 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967, BGBl. Nr. 376. Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen hat den Grad der Behinderung nach der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010) unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen einzuschätzen, wenn

1. nach bundesgesetzlichen Vorschriften Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werden und die hiefür maßgebenden Vorschriften keine Einschätzung vorsehen oder

2. zwei oder mehr Einschätzungen nach bundesgesetzlichen Vorschriften vorliegen und keine Gesamteinschätzung vorgenommen wurde oder

3. ein Fall des § 40 Abs. 2 vorliegt.

...

§ 42. (1) Der Behindertenpass hat den Vornamen sowie den Familiennamen, das Geburtsdatum eine allfällige Versicherungsnummer und den festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.

...

§ 45.

(1) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.

(2) Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.
(3) In Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung hat die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.

(4) Bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß Abs. 3 hat eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter mitzuwirken. Die fachkundigen Laienrichterinnen oder Laienrichter (Ersatzmitglieder) haben für die jeweiligen Agenden die erforderliche Qualifikation (insbesondere Fachkunde im Bereich des Sozialrechts) aufzuweisen.

§ 46. Die Beschwerdefrist beträgt abweichend von den Vorschriften des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes, BGBl. I Nr. 33/2013, sechs Wochen. Die Frist zur Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung beträgt zwölf Wochen. In Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht dürfen neue Tatsachen und Beweismittel nicht vorgebracht werden.“

§ 3 der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend nähere Bestimmungen über die Feststellung des Grades der Behinderung (Einschätzungsverordnung), StF: BGBl. II Nr. 261/2010, lautet in der geltenden Fassung:

"Gesamtgrad der Behinderung

§ 3. (1) Eine Einschätzung des Gesamtgrades der Behinderung ist dann vorzunehmen, wenn mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen. Bei der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung sind die einzelnen Werte der Funktionsbeeinträchtigungen nicht zu addieren. Maßgebend sind die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander.

(2) Bei der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung ist zunächst von jener Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, für die der höchste Wert festgestellt wurde. In der Folge ist zu prüfen, ob und inwieweit dieser durch die weiteren Funktionsbeeinträchtigungen erhöht wird. Gesundheitsschädigungen mit einem Ausmaß von weniger als 20 vH sind außer Betracht zu lassen, sofern eine solche Gesundheitsschädigung im Zusammenwirken mit einer anderen Gesundheitsschädigung keine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung verursacht.

Bei Überschneidungen von Funktionsbeeinträchtigungen ist grundsätzlich vom höheren Grad der Behinderung auszugehen.

(3) Eine wechselseitige Beeinflussung der Funktionsbeeinträchtigungen, die geeignet ist, eine Erhöhung des Grades der Behinderung zu bewirken, liegt vor, wenn

- sich eine Funktionsbeeinträchtigung auf eine andere besonders nachteilig auswirkt,

- zwei oder mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen, die gemeinsam zu einer wesentlichen Funktionsbeeinträchtigung führen.

(4) Eine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung ist dann gegeben, wenn das Gesamtbild der Behinderung eine andere Beurteilung gerechtfertigt erscheinen lässt, als die einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen alleine."

Wie oben unter Punkt II.2. eingehend ausgeführt wurde, wird der gegenständlichen Entscheidung das seitens der belangten Behörde eingeholte Gutachten einer Fachärztin für Orthopädie vom 04.03.2020 zu Grunde gelegt, wonach der Grad der Behinderung des Beschwerdeführers aktuell 30 v.H. beträgt. Die Gesundheitsschädigungen wurden in dem Gutachten auch nach den Bestimmungen der Einschätzungsverordnung richtig eingestuft; diesbezüglich wird auch auf die obigen Ausführungen im Rahmen der Beweiswürdigung verwiesen. Die im Rahmen der Beschwerde erhobenen Einwendungen waren nicht geeignet, das vorliegende Gutachten zu entkräften.

Das medizinische Sachverständigengutachten vom 04.03.2020 ist auch nicht zu beanstanden, wenn es im Sinne des § 3 Abs. 3 und 4 der Einschätzungsverordnung eine entscheidungswesentliche ungünstige wechselseitige Leidensbeeinflussung in dem Sinne, dass sich eine Funktionsbeeinträchtigung auf eine andere besonders nachteilig auswirken würde oder mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen würden, die gemeinsam zu einer wesentlichen Funktionsbeeinträchtigung führen würden, im gegenständlichen Fall nicht gegeben sieht.

Mit einem Gesamtgrad der Behinderung von 30 v.H. sind die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses gemäß § 40 Abs. 1 BBG, wonach behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbstätigkeit von mindestens 50 v.H. ein Behindertenpass auszustellen ist, nicht erfüllt.

Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass für das Verfahren nach § 46 BBG eine Neuerungsbeschränkung besteht, wonach im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht neue Tatsachen und Beweismittel nicht vorgebracht werden dürfen. Bei einer Verschlechterung des Leidenszustandes kommt jedoch eine neuerliche Einschätzung des Grades der Behinderung nach Maßgabe des § 41 Abs. 2 BBG in Betracht.

Im gegenständlichen Fall wurde die Frage der Feststellung des Gesamtgrades der Behinderung unter Mitwirkung einer ärztlichen Sachverständigen geprüft. Die strittigen Tatsachenfragen (Schmerzen, Art und Ausmaß der Funktionseinschränkungen) gehören dem Bereich zu, der von Sachverständigen zu beleuchten ist. Der entscheidungsrelevante Sachverhalt ist vor dem Hintergrund des vorliegenden, nicht substantiiert bestrittenen schlüssigen Sachverständigengutachtens geklärt, sodass im Sinne der Judikatur des EGMR und der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 16.12.2013, Zl. 2011/11/0180) eine mündliche Verhandlung nicht geboten war. Art. 6 EMRK bzw. Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union stehen somit dem Absehen von einer mündlichen Verhandlung gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG nicht entgegen (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 16.12.2013, Zl. 2011/11/0180 mit weiterem Verweis auf die Entscheidung des EGMR vom 21.03.2002, Nr. 32.636/96). Beide Parteien stellten zudem keinen Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung. All dies lässt die Einschätzung zu, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten ließ und eine Entscheidung ohne vorherige Verhandlung im Beschwerdefall nicht nur mit Art. 6 EMRK und Art. 47 GRC kompatibel ist, sondern auch im Sinne des Gesetzes (§ 24 Abs. 1 VwGVG) liegt, weil damit dem Grundsatz der Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis (§ 39 Abs. 2a AVG) gedient ist, gleichzeitig aber das Interesse der materiellen Wahrheit und der Wahrung des Parteiengehörs nicht verkürzt wird (vgl. dazu die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes vom 09.06.2017, Zl. E 1162/2017-5).

Zu Spruchteil B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Dieser Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden, noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.

Schlagworte

Behindertenpass Grad der Behinderung Sachverständigengutachten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W133.2232373.1.00

Im RIS seit

08.01.2021

Zuletzt aktualisiert am

08.01.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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