Entscheidungsdatum
20.10.2020Norm
BBG §40Spruch
W173 2230207-1/4E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Margit MÖSLINGER-GEHMAYR als Vorsitzende und die Richterin Mag. Angela SCHIDLOF sowie dem fachkundigen Laienrichter Franz GROSCHAN als Beisitzer über die Beschwerde von
XXXX , geb. am XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Wien, vom 26.2.2020, betreffend Ausstellung eines Behindertenpasses beschlossen:
A)
Der angefochtene Bescheid vom 26.2.2020 wird behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen zurückverwiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Begründung:
I. Verfahrensgang:
1. Herr XXXX , geb. am XXXX , (in der Folge BF) beantragte am 23.8.2019 die Ausstellung eines Behindertenpasses. Der BF legte neben einem chirurgischen Befund zu seiner Gefäßverschlusskrankheit ein mit 1.10.2019 datiertes fachärztliches Attest von Prim.Dr. XXXX , FA für Psychiatrie und Neurologie, vor. Darin wurde bestätigt, dass der BF auf Grund eines tödlichen Personenunfalles in seinem Dienst als Lokführer an einer postdramatischen Belastungsstörung bis zum heutigen Tag verbunden mit einer Depressio und einer mittelgardigen phobischen Angststörung leide, woraus eine Minderung seiner Leistungsfähigkeit in erheblichen Maße resultiere. Als Medikation schien Escitalopram 20mg. Es wurde von der belangten Behörde ein medizinisches Sachverständigengutachten aus dem Bereich der Inneren Medizin auf Basis einer persönlichen Untersuchung eingeholt. Im Gutachten von Dr. XXXX , FÄ für Innere Medizin, vom 11.12.2019, wurde Nachfolgendes ausgeführt:
„…………………..
Anamnese:
paVK
CVI
Depression: möchte keine Medikamente nehmen, keine Gesprächstherapie
Derzeitige Beschwerden:
‚Habe seit 25 Jahren Probleme mit den Beinen, die Angiografie in XXXX hat die Situation gebessert, ein Stent war nicht möglich, eine Intervention wurde nie gemacht. Habe Schmerzen im Vorfussbereich, wenn ich schnell gehe, rechts mehr als links. Laufen kann ich gar nicht. Die Venen schauen häßlich aus. In einer Gesprächstherapie sehe ich keinen Sinn.‘
Behandlung(en) / Medikamente / Hilfsmittel:
hoch dosiertes Vitamin C
Sozialanamnese:
geschieden, keine Kinder, AMS seit 2017 nach Unfall (Lokführer)
Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe):
Arztbrief KH Wels 21.10.-23.10.2003: paVK, Angio: Verschluss A.pop. bds. Verschlüsse bzw. Stenosen an den Unterschenkelarterien bds. Bypass abgeraten, Gehtraining, Nikotinkarenz
Attest Dr. XXXX FA IM 21.8.2019: Gehstreckenlimitation bei schnellem Gehen, paVK II, CVI III, oszillometrischer Index pathologisch (ohne Zahlenangagbe), Verschluss der A. pop. bds, Rekonstruktionsniveau ist sonografisch nicht beurteilbar
Attest Dr. XXXX FA Neurologie und Psychiatrie: Minderung der Erwerbsfähigkeit; Depressio, Angst, posttraumatische Belastungsstörung
Untersuchungsbefund:
Allgemeinzustand: gut
Ernährungszustand: adipös, Größe: 193,00 cm, Gewicht: 105,00 kg, Blutdruck: 140/90
Klinischer Status – Fachstatus:
HNAP frei, keine Lippenzyanose
Hals: keine Struma, keine pathologischen Lymphknoten palpabel
Thorax: symmetrisch Pulmo: VA, SKS
Herztöne: rein, rhythmisch, normofrequent
Abdomen: Leber und Milz nicht palpabel, keine Druckpunkte, keine Resistenzen, Darmgeräusche lebhaft
UE: minimale Ödeme, Zeichen der CVI, abgeheilte Läsion linker US, keine Ulcera, A.tib.post.und A. dor. ped. bds nicht palpabel, Haut warm
Untersuchung im Sitzen und Liegen, selbständiges An- und Ausziehen
Gesamtmobilität – Gangbild: unauffällig, keine Hilfsmittel
Status Psychicus: allseits orientiert, Ductus kohärent
Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:
Lfd. Nr.
Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:
Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:
Pos. Nr.
GdB%
1
Periphere arterielle Verschlusskrankheit
Oberer Rahmensatz, da verschlossene Unterschenkelarterien beidseits, bei jedoch bestehenden Therapieoptionen sowie klinisch erfolgter Kollateraslisation
05.03.02.
40
2
Chronisch venöse Innsuffizienz
Eine Stufe über dem unteren Rahmensatz, da geringfügige Schwellneigung ohne eingeschränkter Gelenksbeweglichkeit
05.08.01.
20
3
Depressio
Unterer Rahmensatz, da ohne Therapie
03.06.01
10
Gesamtgrad der Behinderung
40v.H.
Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung: --
Leiden 2 und 3 erhöhen den GdB nicht weiter, da von zu geringer funktioneller Relevanz
Folgende beantragten bzw. in den zugrunde gelegten Unterlagen diagnostizierten Gesundheitsschädigungen erreichen keinen Grad der Behinderung: ----
Stellungnahme zu gesundheitlichen Änderungen im Vergleich zum Vorgutachten: Erstbegutachtung
X Dauerzustand
……………………………………“
2.Das Gutachten vom 11.12.2019 wurde dem Parteiengehör unterzogen. Der BF brachte im Schreiben vom 19.12.2019 unter Beilage eines weiteren Befundes von a.o.Univ.Prof.Dr. XXXX , FA für innere Medizin, vor, auf Grund seiner Gefäßerkrankung unter erheblichen Einschränkungen im täglichen Leben zu leiden, sodass gemäß der Einschätzungsverordnung ein Grad der Behinderung von 70% vorliege. Die Begutachtung durch die beigezogene Sachverständige sei unzureichend gewesen. Zudem habe er dem vorgelegten Gutachten von Dr. XXXX zufolge eine erhebliche Einschränkung seiner Leistungsfähigkeit nach einem tödlichen Personenunfall im Dienst als Lokführer. Die Gutachterin habe nur den Blutdruck gemessen, abgehorcht und ein wenig abgetastet, einen kurzen Blick auf die Beine geworfen und ein kurzes Gespräch geführt. Weitere Untersuchungen seien erforderlich.
3. Im von der belangten Behörde eingeholten ergänzenden Gutachten vom 26.2.2020 der beauftragten medizinischen Sachverständigen Dr. XXXX wurde Nachfolgendes ausgeführt:
„………………………..
Der Antragsteller erklärt sich mit dem Ergebnis der Begutachtung vom 16.10.2019 nicht einverstanden und bringt in der Stellungnahme vom 19.12.2019 vor, dass der Befund Prof. XXXX zu einem anderen Ergebnis geführt hätte. Neue Befunde werden nicht eingebracht.
Der erwähnten Einstufung im Befund, Prof. XXXX , (70%!) kann nicht gefolgt werden, da ohne relevante Rahmensatzbegründung gegeben, und auch insgesamt durch die, im ärztlichen Befundbericht vom 21.08.2019 erwähnte Anlage zur Einschätzungsverordnung, gerade eben nicht gedeckt. Darüber hinaus werden zwar eine PAVK II, sowie pathologische oszillometrische Indices, jedoch ohne genauere Bestimmung und ohne Dokumentation eines aktuellen, Untersuchungsverfahrens angeführt. Bei der hierorts durchgeführten Begutachtung wurde die paVK nach der klinischen Situation sowie den bestehenden Therapieoptionen nach der EVo korrekt eingestuft. Daher kommt es zu keiner Änderung des GdB.
…………………………“
4. Mit Bescheid vom 26.2.2020 wurde der Antrag des BF vom 23.8.2019 abgewiesen. Sein Grad der Behinderung betrage 40%. Der BF erfülle nicht die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses. Die belangte Behörde stützte sich auf die eingeholten Gutachten, die einen Begründungsbestandteil bilden würden und angeschlossen seien.
5. Mit Schreiben vom 27.3.2020 brachte der BF eine Beschwerde gegen den abweisenden Bescheid vom 26.2.2020 ein. Der BF führte begründend aus, die Untersuchung durch die medizinische Sachverständige sei unzureichend gewesen. Im Rahmen der von ihr vorgenommenen Untersuchung habe seine Gefäßerkrankung weder festgestellt noch beurteilt werden können. Er verweise auf den beiliegenden angiographischen Befund vom 12.3.2020. Zu seinen erkrankten Händen werde ein weiterer Befund nachgereicht. Dem Schreiben lag neben dem genannten Befund ein weiterer Befundbericht von Dr. XXXX , FA für Innere Medizin, vom 4.3.2020 bei. Am 7.4.2020 wurde der Beschwerdeakte dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt. Der BF übermittelte einen weiteren Befund vom 6.8.2020 von Dr. XXXX , FA für Chirurgie.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz – BVwGG), BGBl. I Nr. 10/2013 idgF, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Gemäß § 45 Abs. 3 Bundesbehindertengesetz, BGBl Nr. 283/1990 idgF (BBG), hat in Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen. Gegenständlich liegt somit Senatszuständigkeit vor.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013 idgF, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung (BAO), BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes (AgrVG), BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 (DVG), BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.
Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist.
1.Zu Spruchpunkt A)
Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden,
1. wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder
2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.
Das Modell der Aufhebung des Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit an die Behörde folgt konzeptionell jenem des § 66 Abs. 2 AVG, allerdings mit dem Unterschied, dass die Notwendigkeit der Durchführung einer mündlichen Verhandlung nach § 28 Abs. 3 VwGVG nicht erforderlich ist. Voraussetzung für eine Aufhebung und Zurückverweisung ist allgemein (nur) das Fehlen behördlicher Ermittlungsschritte. Sonstige Mängel, abseits jener der Sachverhaltsfeststellung, legitimieren nicht zur Behebung auf Grundlage von § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG (Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren (2013), § 28 VwGVG, Anm. 11.). § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Verwaltungsgerichtes, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen hat. Ist die Voraussetzung des § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG erfüllt, hat das Verwaltungsgericht (sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist) "in der Sache selbst" zu entscheiden.
Der Verwaltungsgerichtshof geht in seiner Judikatur zur Entscheidungsbefugnis des Bundesverwaltungsgerichts gemäß § 28 VwGVG (vgl. VwGH vom 26.06.2014, Zl. Ro 2014/03/0063) grundsätzlich von einem prinzipiellen Vorrang einer meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte aus. Eine meritorische Entscheidungspflicht des Verwaltungsgerichtes liegt jedenfalls gemäß § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG vor, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht. Dies ist der Fall, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt bereits im verwaltungsbehördlichen Verfahren geklärt wurde. Davon ist auszugehen, wenn sich aus der Zusammenschau der im verwaltungsbehördlichen Bescheid getroffenen Feststellungen (im Zusammenhalt mit den dem Bescheid zu Grunde liegenden Verwaltungsakten) mit dem Vorbringen in der gegen den Bescheid erhobenen Beschwerde kein gegenläufiger Anhaltspunkt ergibt.
Die verbleibenden Ausnahmen von der meritorischen Entscheidung in der Sache selbst sind strikt auf den ihnen gesetzlich zugewiesenen Raum beschränkt. Die in § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG verankerte Zurückverweisungsentscheidung stelle eine solche Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungsbefugnis der Verwaltungsgerichte dar. Normative Zielsetzung ist, bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken von der Möglichkeit der Zurückverweisung Gebrauch zu machen. Davon ist auszugehen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde etwa schwierige Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden. Wird das Treffen einer meritorischen Entscheidung verneint, hat das Verwaltungsgericht auch nachvollziehbar zu begründen, dass die Voraussetzungen der Z 1 und Z 2 des § 28 VwGVG nicht vorliegen.
Das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, verlangt, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird.
Der angefochtene Bescheid erweist sich in Bezug auf den zu ermittelnden Sachverhalt aus folgenden Gründen als mangelhaft:
Die belangte Behörde stützte sich zwar zur Überprüfung auf das Gutachten der FA für Innere Medizin, Dr. XXXX , vom 11.12.2019 und 26.2.2020. Bereits den von der BF vorgelegten Unterlagen im Rahmen der Antragstellung lag ein aktuelles fachärztliches Attest eines FA für Psychiatrie und Neurologie bei, dem die mehrjährige psychische Erkrankung infolge eines tödlichen Personenunfalls bei seiner Tätigkeit als Lokführer samt Krankengeschichte und Medikation zu entnehmen war. Im Rahmen des Parteiengehörs bezog sich der BF auch auf sein seine Leistungsfähigkeit einschränkendes psychisches Leiden. Unter diesen gegebenen Umständen wäre die Leistungsfähigkeit einschränkende psychische Erkrankung des BF, die medikamentös behandelte wurde, zu hinterfragen gewesen. Es handelt bei einem psychischen Leiden um ein solches, das bei der Beurteilung des Gesamtgrades der Behinderung jedenfalls zu berücksichtigten ist. Bei einer psychischen Erkrankung handelt es sich um einen Leidensschwerpunkt, der der medizinischen Fachrichtung der Psychiatrie zuordnen ist. Dies muss auch der belangten Behörde bekannt sein.
Die belangte Behörde hat dessen ungeachtet zur Überprüfung der Leiden des BF nur ein Gutachten eines Facharztes für Innere Medizin eingeholt. Dieses ist jedoch nicht ausreichend für die Beurteilung des psychischen Leidens des BF sowie der darauf aufbauenden Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung des BF nach dem BBG. Mangels Fachkenntnis der begutachtenden Fachärztin für Innere Medizin ist weder eine ausreichende Auseinandersetzung mit dem vorgelegten Befund noch eine hinreichende qualifizierte Beurteilung erfolgt. Sie ist auch nicht – wie sich aus dem Beschwerdevorbringen ergibt - auf die psychische Erkrankung des BF eingegangen. Im ergänzend eingeholten Gutachten vom 26.2.2020 fehlt dazu überhaupt jede Auseinandersetzung mit dem Vorbringen des BF im Parteiengehör. Es ist auch keine schlüssige und nachvollziehbare Auseinandersetzung mit dem psychischen Leiden der BF dem vorliegenden Gutachten zu entnehmen. Es wurde in dem der angefochtenen Entscheidung zu Grunde gelegten Sachverständigengutachten der FÄ für Innere Medizin nur am Rande auf ein psychisches Leiden des BF trotz vorliegender Unterlagen Bezug genommen.
Im gegenständlichen Fall wäre zur schlüssigen und umfassenden Einschätzung der vorliegenden Gesundheitsschädigungen des BF noch die Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens der Fachrichtung „Psychiatrie und Neurologie“ erforderlich gewesen. Dies vor allem vor dem Hintergrund des zu beurteilenden Gesamtgrades der Behinderung des BF und den dazu vorliegenden Beweismitteln des BF.
Das der angefochtenen Entscheidung zu Grunde gelegte Sachverständigengutachten der FÄ für Innere Medizin ist daher hinsichtlich der Beurteilung des Leidenszustandes des BF und somit bezüglich der Beurteilung des Gesamtgrades der Behinderung nicht vollständig nachvollziehbar. Ein Gutachten bzw. eine medizinische Stellungnahme, welche ausführliche Ausführungen zur psychischen Erkrankung der BF vermissen lässt, bzw. aus welchen Gründen diesbezüglich der ärztliche Sachverständige zu einer Beurteilung gelangt ist, stellt keine taugliche Grundlage für die von der belangten Behörde zu treffende Entscheidung dar (VwGH 20.3.2001, 2000/11/0321).
Die seitens des Bundesverwaltungsgerichtes erforderliche Überprüfung im Rahmen der freien Beweiswürdigung ist auf dieser Grundlage daher nicht möglich. Aufgrund der vorliegenden Unterlagen ist nicht nachvollziehbar, warum die belangte Behörde darauf verzichtet hat, das Ermittlungsverfahren dahingehend zu erweitern und ein Gutachten der Fachrichtung „Psychiatrie und Neurologie“ einzuholen. Im gegenständlichen Fall wäre zur schlüssigen und umfassenden Einschätzung der vorliegenden Gesundheitsschädigung des BF jedenfalls noch die Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens der genannten Fachrichtung erforderlich gewesen. Darauf aufbauend ist der Gesamtgrad der Behinderung der BF zu ermitteln.
Aus den dargelegten Gründen ist davon auszugehen, dass die belangte Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen hat. Der vorliegende Sachverhalt erweist sich zur Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen für die Feststellung des Grades der Behinderung zur beantragten Ausstellung eines Behindertenpasses als so mangelhaft, dass weitere Ermittlungen bzw. konkretere Sachverhaltsfeststellungen erforderlich sind.
Eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens durch das Bundesverwaltungsgericht kann – im Lichte der oben zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes – nicht im Sinne des Gesetzes liegen. Dass eine unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht „im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden“ wäre, ist - angesichts des mit dem bundesverwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren als Mehrparteienverfahren verbundenen erhöhten Aufwandes - nicht ersichtlich.
Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG sind somit im gegenständlichen Beschwerdefall nicht gegeben. Da der maßgebliche Sachverhalt im Fall der BF noch nicht feststeht und vom Bundesverwaltungsgericht auch nicht rasch und kostengünstig festgestellt werden kann, war in Gesamtbeurteilung der dargestellten Erwägungen der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG zu beheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen zurückzuverweisen.
Im fortgesetzten Verfahren wird die belangte Behörde ein medizinisches Sachverständigengutachten der Fachrichtung „Psychiatrie und Neurologie“ basierend auf der persönlichen Untersuchung des BF, zur Beurteilung des psychischen Leidens des BF einzuholen und bei der Entscheidungsfindung zur Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung in Zusammenhang mit den anderen Leiden des BF zu berücksichtigen haben. Von den Ergebnissen des weiteren Ermittlungsverfahrens wird der BF mit der Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme unter Wahrung des Parteiengehörs in Kenntnis zu setzen sein.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
2.Zu Spruchpunkt B (Revision):
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
In den rechtlichen Ausführungen zu Spruchteil A wurde ausführlich unter Bezugnahme auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, ausgeführt, dass im verwaltungsbehördlichen Verfahren notwendige Ermittlungen unterlassen wurden.
Schlagworte
Behindertenpass Ermittlungspflicht Grad der Behinderung Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung SachverständigengutachtenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:W173.2230207.1.00Im RIS seit
08.01.2021Zuletzt aktualisiert am
08.01.2021