TE Bvwg Erkenntnis 2020/10/22 W262 2217715-1

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Veröffentlicht am 22.10.2020
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Entscheidungsdatum

22.10.2020

Norm

BBG §40
BBG §41
BBG §45
B-VG Art133 Abs4

Spruch

W262 2217715-1/20E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Julia JERABEK als Vorsitzende und die Richterin Mag. Claudia MARIK sowie die fachkundige Laienrichterin Mag. Bettina PINTER als Beisitzerinnen über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , vertreten durch Kriegsopfer- und Behindertenverband für Wien, Niederösterreich und Burgenland, gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien, vom 20.02.2019, nach Beschwerdevorentscheidung vom 09.04.2019, OB XXXX , betreffend Abweisung des Antrages auf Ausstellung eines Behindertenpasses zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen und die Beschwerdevorentscheidung bestätigt.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Die Beschwerdeführerin war Inhaberin eines bis 31.12.2018 befristeten Behindertenpasses mit einem Grad der Behinderung von 50 v.H. Sie stellte am 22.11.2018 beim Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien (in der Folge als „belangte Behörde“ bezeichnet), einen Antrag auf Neufestsetzung des Grades der Behinderung.

2. Die belangte Behörde holte in der Folge ein Sachverständigengutachten eines Arztes für Allgemeinmedizin ein. In dem – auf Grundlage einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin am 15.01.2019 – erstatteten Gutachten vom 23.01.2019 wurden als Ergebnis der Begutachtung die Funktionseinschränkungen den Leidenspositionen

Lfd. Nr.

Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:

Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:

Pos.Nr.

Gdb %

1

Verlust der linken Brust

Wahl dieser Position mit dem oberen Rahmensatz, da Zustand nach Mammakarzinomoperation (abgelaufene Heilungsbewährung und ohne Hinweis auf Rezidiv) ohne plastischen Aufbau.

08.03.01

40

2

Depressives Zustandsbild

Heranziehung dieser Position mit 1 Stufe über dem unteren Rahmensatz, da bei ängstlich-reaktiver Symptomatik unter Medikation und Psychotherapie stabilisierbar.

03.06.01

20

zugeordnet und nach der Einschätzungsverordnung ein Gesamtgrad der Behinderung von 40 v.H. festgestellt. Begründend wurde ausgeführt, dass das führende Leiden 1 durch Leiden 2 nicht weiter erhöht werde, da kein ungünstiges Zusammenwirken vorliege. Ein Zustand nach Nabelbruch sowie ein operiertes Karpaltunnelsyndrom ohne funktionelle Defizite würden keinen Grad der Behinderung erreichen. Zu den gesundheitlichen Änderungen im Vergleich zum Vorgutachten aus 2014 wurde ausgeführt, dass das aktuelle Leiden 2 neu aufgenommen worden sei und Leiden 1 habe sich nach Ablauf der Heilungsbewährung gebessert, wobei kein Rezidiv nachgewiesen worden sei.

3. Mit Bescheid der belangten Behörde vom 20.02.2019 wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf Ausstellung eines Behindertenpasses gemäß §§ 40, 41 und 45 BBG abgewiesen, da die Beschwerdeführerin mit einem festgestellten Grad der Behinderung von 40 v.H. die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses nicht erfülle. Die wesentlichen Ergebnisse des ärztlichen Begutachtungsverfahrens seien dem Sachverständigengutachten zu entnehmen, das einen Bestandteil der Begründung bilde. Das Sachverständigengutachten vom 23.01.2019 wurde der Beschwerdeführerin als Beilage übermittelt.

4. Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin fristgerecht Beschwerde. Darin wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass für Leiden 2 ein höherer Grad der Behinderung heranzuziehen sei. Sie leide unter rezidivierenden depressiven Störungen mit reduzierter Antriebslust und Freudlosigkeit, beeinträchtigter Konzentration, vermehrter Reizbarkeit, sozialem Rückzug und geringer Belastbarkeit. Trotz regelmäßiger Psychotherapie und medikamentöser Behandlung komme es zu keiner Besserung dieses Leidens. Außerdem würden zu den genannten Beschwerden noch zeitweise Panikattacken, Ängste sowie die Vermeidung von Menschenmengen und öffentlichen Verkehrsmitteln hinzukommen. Des Weiteren leide sie unter einer Rhizarthrose und Arthrose des Metakarpophalangealgelenks der rechten Hand. Dadurch seien die Greif- und die Spreizfunktion eingeschränkt und die Stelle sei sehr kälteempfindlich. Dieses Leiden sei neu in die Einschätzung aufzunehmen. Außerdem leide sie an einer „Dehnzone“ im Bereich des medialen Femurkondyls, insbesondere im Bereich des Kapselansatzes und des Ursprungs des medialen Gastrocnemiums. Dadurch habe sie ständig Schmerzen beim Gehen, könne nicht hocken oder knien und das Stiegen steigen sei erschwert. Auch diese Gesundheitsschädigung sei neu aufzunehmen. Abschließend beantragte die Beschwerdeführerin die Durchführung einer mündlichen Verhandlung sowie die Einholung eines Sachverständigengutachtens aus dem Fachbereich Orthopädie.

5. Im Rahmen des Beschwerdevorprüfungsverfahren holte die belangte Behörde eine Stellungnahme des bereits befassten Arztes für Allgemeinmedizin ein. In dieser Stellungnahme vom 08.04.2019 wurde auszugsweise Folgendes ausgeführt:

„…

Nachgereichte Befunde: 2018-01, Psychiatrischer Befundbericht, XXXX .: mittelgradige depressive Episode ohne Notwendigkeit einer psychopharmakologischen Therapie.

2018-12, Psychiatrische Befundbericht – Dr. XXXX : rez. depressive Störung: Therapieempfehlung; Sertralin, Trittico

Die beschriebenen depressiven Störungen, gemischt mit den Angstzuständen sind in Pos. 2 beinhaltet. Diese Beschwerden sind infolge der medikamentösen Stabilisierbarkeit entsprechend der geltenden Einschätzungsverordnung korrekt eingeschätzt. Keine Änderung dieser Position.

Nachgereichter Befund Handgelenksröntgen 20.3.2019 Zielaufnahme rechter Daumen a.p. und seitlich: Es bestehen eine beginnende Rhizarthrose sowie auch eine beginnende Arthrose des Metakarpophalangealgelenkes. Die im Röntgen beschriebene beginnende Rhizarthrose ist von geringem Grad und bewirkt mangels höherer funktioneller Defizite keinen GdB. Im Gegensatz zum Vorbringen der Beschwerdeführerin konnten bei der Untersuchung der Hand- und Fingergelenke keine signifikanten Funktionseinschränkungen objektiviert werden.

29.07.2018 MRT des rechten und linken Kniegelenkes: Im Vergleich zur Voruntersuchung zeigt sich nun im Bereich des medialen Femurkondyls im Bereich seiner dorsalen Zirkumferenz eine breite flaue Ödemzone, insbesondere im Bereich des Kapselansatzes und des Ursprungs des medialen Gastrocnemius. Im Übrigen besteht ein weitgehend unauffälliger und unauffällig veränderter Gelenkbefund, mit den vorbeschrieben minimalen mucoiden Verquellungen des medialen Meniscus.

Diese beschriebene Ödemzone bewirkt keine behinderungsrelevanten funktionellen Defizite.

Im Vergleich zur persönlichen Begutachtung ist das Beschwerdeschreiben daher nicht geeignet, die gegebene Beurteilung zu entkräften, da alle beantragten Leiden entsprechend den Kriterien der geltenden Einschätzungsverordnung (EVO) korrekt eingeschätzt wurden.“

6. Mit Bescheid der belangten Behörde vom 09.04.2019 wurde unter Bezugnahme auf §§ 41, 43, 46 BBG iVm § 14 VwGVG eine Beschwerdevorentscheidung erlassen und die Beschwerde gegen den Bescheid vom 20.02.2019 als unbegründet abgewiesen. Festgestellt wurde, dass mit einem Grad der Behinderung von 40 v.H. die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses nicht vorliegen. Das Gutachten vom 23.01.2019 samt ergänzender Stellungnahme vom 08.04.2019 wurden der Beschwerdeführerin als Beilagen des Bescheides übermittelt.

7. Die Beschwerdeführerin stellte am 16.04.2019 fristgerecht einen Vorlageantrag, in dem sie ergänzend ausführte, dass ein aktueller, an die belangte Behörde am 11.04.2019 übermittelter Befundbericht bei der Entscheidung keine Berücksichtigung gefunden habe, obwohl aus diesem hervorgehe, dass sich ihr psychisches Leiden trotz regelmäßiger psychiatrischer Behandlung nicht gebessert habe. Weiters wurde ausdrücklich bestritten, dass die Arthrosen der rechten Hand sowie die Beschwerden in den Kniegelenken keine funktionellen Defizite nach sich ziehen würden.

8. Die Beschwerde, der Vorlageantrag und der Bezug habende Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 23.04.2019 vorgelegt.

9. Das Bundesverwaltungsgericht holte in der Folge ein Sachverständigengutachten einer bisher noch nicht befassten Fachärztin für Unfallchirurgie und Ärztin für Allgemeinmedizin ein. In dem nach persönlicher Untersuchung der Beschwerdeführerin am 30.08.2019 erstatteten Gutachten vom 09.09.2019 wurde auszugsweise Folgendes ausgeführt (ergänzt um die Fragestellungen des Bundesverwaltungsgerichtes):

„…

Derzeitige Beschwerden:

‚Beschwerden habe ich vor allem in den Beinen, in beiden Kniegelenken; im linken Knie habe ich seit Jahren Probleme. Beschwerden im Bereich beider Daumensattelgelenke und dem Daumengrundgelenk rechts, ab und zu auch Schmerzen im linken Arm und im Bereich der linken Schulter. Bzgl. psychischer Erkrankung bin ich alle 2 Monate beim Facharzt, einmal in der Woche in der psychotherapeutischen Ambulanz zur Einzeltherapie, eventuell in weiterer Folge in Gruppentherapie.‘

STATUS: 

Allgemeinzustand gut, Ernährungszustand gut. Größe 170 cm, Gewicht 80 kg, RR 130/90.

Caput/Collum: klinisch unauffälliges Hör- und Sehvermögen.

Thorax: symmetrisch, elastisch, Zustand nach Mastektomie links, Narbe unauffällig, kein Lymphödem.

Atemexkursion seitengleich, sonorer Klopfschall, VA. HAT rein, rhythmisch. Abdomen: klinisch unauffällig, keine pathologischen Resistenzen tastbar, kein Druckschmerz.

Integument: unauffällig.

Schultergürtel und beide oberen Extremitäten: Rechtshänder. Der Schultergürtel steht horizontal, symmetrische Muskelverhältnisse. Die Durchblutung ist ungestört, die Sensibilität wird als ungestört angegeben. Die Benützungszeichen sind seitengleich vorhanden. Schultergelenk links: endlagige Bewegungsschmerzen, sonst unauffälliges Gelenk Daumensattelgelenke beidseits: jeweils äußerlich unauffällig, keine Umfangsvermehrung, keine Rötung, keine Schwellung, keine Subluxation, rechts Druckschmerzen auslösbar, links keine Druckschmerzen auslösbar, beidseits freie Beweglichkeit. Daumengrundgelenke beidseits: unauffällig. Sämtliche weiteren Gelenke sind bandfest und klinisch unauffällig.

Aktive Beweglichkeit: Schultern, Ellbogengelenke, Unterarmdrehung, Handgelenke, Daumen und Langfinger seitengleich frei beweglich. Grob- und Spitzgriff sind uneingeschränkt durchführbar. Der Faustschluss ist komplett, Fingerspreizen beidseits unauffällig, die grobe Kraft in etwa seitengleich, Tonus und Trophik unauffällig. Nacken- und Schürzengriff sind uneingeschränkt durchführbar.

Becken und beide unteren Extremitäten: Freies Stehen sicher möglich, Zehenballengang und Fersengang beidseits ohne Anhalten und ohne Einsinken durchführbar. Der Einbeinstand ist ohne Anhalten möglich. Die tiefe Hocke ist zur Hälfte möglich. Die Beinachse ist im Lot. Symmetrische Muskelverhältnisse. Beinlänge ident. Die Durchblutung ist ungestört, keine Ödeme, keine Varizen, die Sensibilität wird als ungestört angegeben. Die Beschwielung ist in etwa seitengleich. Kniegelenk links: endlagige Beugeschmerzen, sonst unauffälliges Gelenk; Kniegelenk rechts: unauffällig. Sämtliche weiteren Gelenke sind bandfest und klinisch unauffällig.

Aktive Beweglichkeit: Hüften, Knie, Sprunggelenke und Zehen sind seitengleich frei beweglich. Das Abheben der gestreckten unteren Extremität ist beidseits bis 60° bei KG 5 möglich.

Wirbelsäule: Schultergürtel und Becken stehen horizontal, in etwa im Lot, Streckhaltung der LWS, sonst regelrechte Krümmungsverhältnisse. Die Rückenmuskulatur ist symmetrisch ausgebildet, mäßig Hartspann, geringgradig Klopfschmerz über der unteren LWS.

Aktive Beweglichkeit: HWS: in allen Ebenen frei beweglich; BWS/LWS: FBA: 15 cm, Rotation und Seitneigen jeweils 20°. Lasegue bds. negativ, Muskeleigenreflexe seitengleich mittellebhaft auslösbar.

Gesamtmobilität – Gangbild: Kommt selbständig gehend mit Halbschuhen, das Gangbild hinkfrei und unauffällig. Das Aus- und Ankleiden wird selbständig im Sitzen durchgeführt.

Status psychicus: Allseits orientiert; Merkfähigkeit, Konzentration und Antrieb unauffällig; Stimmungslage ausgeglichen.

STELLUNGNAHME:

ad 1) Einschätzung des Grades der Behinderung:

1) Verlust der linken Brust       08.03.01 40%

Oberer Rahmensatz, da bei Zustand nach Mammakarzinom 2013 Mastektomie ohne plastischen Ausbau, kein Hinweis für Rezidiv des Mammakarzinoms.

2) Depressives Zustandsbild       03.06.01 20%

1 Stufe über dem unteren Rahmensatz, da unter fachärztlicher und medikamentöser Therapie stabil.

3) Abnützungserscheinungen des Stütz- und Bewegungsapparates 02.02.01 10% 

Unterer Rahmensatz, da Beschwerden vor allem im Bereich der Daumensattelgelenke und Kniegelenke und der Lendenwirbelsäule, jeweils ohne objektivierbare funktionelle Einschränkung.

ad 2) Gesamtgrad der Behinderung: 40%

Leiden 1 wird durch die weiteren Leiden nicht erhöht, da kein maßgebliches ungünstiges Zusammenwirken vorliegt. Die Auswirkungen des führenden Leidens werden durch die anderen Leiden nicht erheblich verstärkt. 

ad 3) Der GdB ist ab 22.11.2018 (Ablauf der Heilungsbewährung von 5 Jahren) anzunehmen. 

ad 4) Stellungnahme zu vorgelegten Unterlagen und Befunden Abl. 5-33:

Abl. 33 Röntgen rechter Daumen 20.03.2019 (beginnende Rhizarthrose und beginnende Arthrose Daumengrundgelenk) – wird in neu eingestuftem Leiden 3 berücksichtigt.

Abl. 32 Befund Dr. XXXX 06.12.2018 (Befund kaum leserlich, rezidivierende depressive Störung, Anpassungsstörung mit ängstlich depressiver Reaktion, Sertralin, Trittico) – Befund wird in Leiden 2 berücksichtigt.

Abl. 28-31 Bestätigung psychotherapeutische Ambulanz XXXX 16.11.2018 über 10 durchgeführte Behandlungen im Jahr 2018 – wird in Leiden 2 berücksichtigt.

Abl. 27 Befund Knochendichtemessung 24.09.2018: normale Knochendichtemessung LWS, Osteopenie am Femur stellt kein behinderungsrelevantes Leiden dar.

Abl. 25-26 MRT beider Kniegelenke 29.07.2018 (mediale Femurkondyl links flaue Ödemzone am Kapselansatzbereich sonst unauffällig, rechts ganz flaue Ursprungsendinopathie des medialen Kapselbands) – wird in neu eingestuftem Leiden 3 berücksichtigt.

Abl. 18-24 Entlassungsbericht XXXX 11.07.2018 (rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradige Episode, Zwangshandlungen, …) – Befund wird in vollem Umfang in Einstufung von Leiden 2 berücksichtigt.

Abl. 16, 17 Befund Dr. XXXX 06.07.2018 (rezidivierende depressive Störung, derzeit Phase II, RZ XXXX , Konzentrationsstörungen, Erschöpfungszustände, Durchschlafstörung, reduzierte Belastbarkeit, Trittico) – keine neuen Informationen, Befund wird in Leiden 2 berücksichtigt.

Abl. 14-15 Psychiatrischer Bericht XXXX 31.01.2018 (mittelgradige depressive Episode) – Befund wird in Einstufung von Leiden 2 berücksichtigt.

Abl. 12 Befund plastische Chirurgie XXXX 05.08.2015 (Karpaltunnelsyndrom Operation rechts) – aktuell kein CTS mehr objektivierbar.

Abl. 9-11 Entlassungsbericht XXXX 26.08.2014 (onkologische Rehabilitation) – wird in Leiden 1 berücksichtigt.

Abl. 8 Strahlentherapie XXXX 30.05.2014 (adjuvante Strahlentherapie) – wird in Leiden 1 berücksichtigt.

Abl. 7 Bericht Chirurgie XXXX 09.12.2013 (Zustand nach Mastektomie links, axilläre Lymphadenektomie) – wird in Leiden 1 berücksichtigt.

Abl. 6 histologischer Befund 04.12.2013 (tumorfreie Lymphknoten der linken Axilla) – in Leiden 1 berücksichtigt.

Abl. 5 Befund Chirurgie XXXX 05.07.2013 (Operation einer Hernia supraumbilicalis).

ad 5) Stellungnahme zu den Einwendungen in der Beschwerde Abl. 45-46 und 56-57: Im Beschwerdevorbringen Abl. 45-46 wird eingewendet, dass die BF unter rezidivierenden depressiven Störungen leide und trotz regelmäßiger Psychotherapie und medikamentöser Behandlung sei es zu keiner Besserung seit der ersten Behandlung im Jahr 2016 gekommen.

Dem wird entgegengehalten, dass unter der durchgeführten Behandlung eine Stabilisierung erzielt werden konnte; weder liegen fachärztliche Befunde über eine Verschlimmerung vor, noch über eine Intensivierung der Behandlung, noch über einen stationären Aufenthalt an einer psychiatrischen Fachabteilung.

‚Sie leide weiters unter Rhizarthrose und Arthrose des Metacarpophalangealgelenks der rechten Hand und habe dadurch Funktionseinschränkungen. Sie habe Beschwerden im Bereich des rechten Kniegelenks und ständig Schmerzen beim Gehen.‘

Die Beschwerden von Seiten des Stütz- und Bewegungsapparates werden unter Beachtung der endlagigen Bewegungsschmerzen und geringgradigen radiologischen Veränderungen neu in Leiden 3 berücksichtigt.

In Abl. 56-57 wird vorgebracht, dass der Befund Dr. XXXX vom 09.04.2019 nicht berücksichtigt worden sei, trotz regelmäßiger psychiatrischer Behandlung sei keine Symptomfreiheit zu erzielen.

Dem wird entgegengehalten, dass mit der aktuellen Einstufung nicht angenommen wird, dass eine Symptomfreiheit bestehe, vielmehr wird unter bestehender Therapie eine Stabilisierung konstatiert und das Leiden in korrekter Höhe eingestuft.

‚Sie habe Arthrosen in der rechten Hand und Beschwerden im Bereich der Kniegelenke mit behinderungsrelevanten funktionellen Defiziten.‘

Funktionelle Defizite bestehen zwar nicht, jedoch werden die rezidivierenden Beschwerden im Bereich von rechter Hand und der Kniegelenke im aktuellen Gutachten neu eingestuft.

ad 6) Stellungnahme zum Gutachten vom 23.01.2019 und Stellungnahme vom 08.04.2019:

Aus orthopädischer Sicht sind rezidivierende Beschwerden bei geringgradigen radiologischen Veränderungen des Stütz- und Bewegungsapparates einer Einstufung zu unterziehen und werden aktuell in Leiden 3 berücksichtigt. Die weiteren Leiden werden unverändert eingestuft. Durch das Hinzukommen von Leiden 3 ändert sich der Gesamtgrad der Behinderung nicht, da Leiden 3 von zu geringer funktioneller Relevanz ist.

ad 7) Eine Nachuntersuchung ist nicht erforderlich.“

10. Mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichtes vom 23.09.2019 wurden die Beschwerdeführerin und die belangte Behörde über das Ergebnis der Beweisaufnahme informiert und ihnen in Wahrung des Parteiengehörs Gelegenheit eingeräumt, binnen drei Wochen eine Stellungnahme dazu abzugeben. Weiters wurde in diesem Zusammenhang mitgeteilt, dass das Bundesverwaltungsgericht in Aussicht nehme, über die Beschwerde aufgrund der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens zu entscheiden, sofern nicht eine eingelangte Stellungnahme anderes erfordere.

11. Mit Schreiben vom 09.10.2019 erstattete die Beschwerdeführerin eine Stellungnahme und führte aus, dass die Einstufung des psychischen Leidens nicht nachvollziehbar sei. Des Weiteren würden die Ausführungen der herangezogenen Sachverständigen zum vorgelegten Befund vom 09.04.2019 dessen Inhalt widersprechen, weshalb die Einholung eines neurologisch-psychiatrischen Gutachtens sowie die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt werde.

Die belangte Behörde erstattete keine Stellungnahme.

12. Das Bundesverwaltungsgericht holte in der Folge ein Sachverständigengutachten eines Facharztes für Neurologie und Psychiatrie ein. In dem nach persönlicher Untersuchung der Beschwerdeführerin am 11.02.2020 erstatteten Gutachten vom selben Tag wurde auszugsweise Folgendes ausgeführt (ergänzt durch die Fragestellungen des Bundesverwaltungsgerichtes):

„…

Nervenärztliche Betreuung: Dr. XXXX alle 2 Monate.

Subjektive derzeitige Beschwerden: Kopfschmerzen, Durchschlafprobleme, Panikattacken, Nervosität, Abgeschlagenheit, depressive Stimmung.

Medikamente (neurologisch/psychiatrisch): Ixel 50 mg (1/Tag!) – sie habe 6 Monate das Medikament in falscher Dosierung genommen bis dato, Trittico 150 mg 0-0-2.

Psychiatrischer Status: Örtlich, zeitlich, zur Person und situativ ausreichend orientiert, Antriebsstörung, Auffassung regelrecht, Affekt ausgeglichen, Stimmungslage dysthym, in beiden Skalenbereichen affizierbar, Ein- und Durchschlafstörung, keine produktive Symptomatik, keine Suizidalität.

1.) Diagnosen:

1. Verlust li. Brust        08.03.01 40%

Oberer Rahmensatz, da Zustand nach Mamma Ca. (abgelaufene Heilungsbewährung, kein Rezidiv), ohne plast. Aufbau.

2. rez. Depressio        03.06.01 20%

1 Stufe über unterem Rahmensatz, da bisher keine stat. Behandlung bei unzureichender antidepressiver Medikation in den letzten 6 Monaten und somit bestehenden Therapieoptionen.

3. Abnützungserscheinungen des Stütz- und Bewegungsapparates 02.02.01 10%

Unterer Rahmensatz, da Beschwerden vor allem im Bereich der Daumensattelgelenke Kniegelenke, Lendenwirbelsäule, jeweils ohne objektivierbare funktionelle Einschränkungen.

2.) Gesamt GdB:

Das führende Leiden wird durch Leiden Nr. 2 nicht angehoben, da kein relevantes ungünstiges Zusammenwirken. Die depressive Symptomatik bestand schon mit Unterbrechung seit 1993 (damals ohne Behandlung), das Mamma Ca. ist rezidivlos geheilt. Leiden 3 erhöht wegen Geringfügigkeit nicht.

3.) Stellungnahme ab wann der GdB anzunehmen ist

Ab Antrag.

4.) Fachspezifische Stellungnahme zu den im Verwaltungsverfahren vorgelegten Unterlagen und Befunden, Abl. 5-33:

Keine Änderung im Vergleich zum Vorgutachten, da eine Verschlechterung der Funktionsausfälle klinisch und befundmäßig nicht objektiviert werden kann. Die rezidivierende depressive Störung wurde bis dato nicht stationär behandelt, die Medikation wurde in den letzten 6 Monaten unzureichend genommen, die Einzelgesprächstherapie wurde auf eine Gruppentherapie geändert, die FA Termine finden in relativ großem Abstand (alle 2 Monate) statt.

5.) Fachspezifische Stellungnahme zu den Einwendungen in der Beschwerde (Abl. 45-46), im Vorlageantrag (Abl. 56-57) und in der Stellungnahme vom 09.10.2019 (OZ 8).

Abl. 45-46: keine Änderung der Einschätzung, da die rezidivierende depressive Störung bis dato nicht stationär behandelt wurde, die Medikation wurde in den letzten 6 Monaten unzureichend genommen, die Einzelgesprächstherapie wurde auf eine Gruppentherapie geändert, die FA Termine finden in relativ großem Abstand (alle 2 Monate) statt.

Abl. 56-57: Die depressive Symptomatik wurde eingeschätzt, dass trotz regelmäßiger FA Behandlung keine Symptomfreiheit eingetreten ist, kann durch eine unzureichende Medikamenteneinnahme erklärt werden.

OZ 8: Die depressive Symptomatik wurde eingeschätzt, im GdB ist die Symptomatik enthalten, dass trotz regelmäßiger FA Behandlung keine Symptomfreiheit eingetreten ist, kann durch eine unzureichende Medikamenteneinnahme erklärt werden. Es bestehen somit Therapieoptionen.

6.) Ausführliche Begründung zu einer allfälligen zum Sachverständigengutachten vom 09.09.2019 abweichenden Beurteilung:

Keine Änderung im Vergleich zum Vorgutachten, da eine Verschlechterung der Funktionsausfälle klinisch und befundmäßig nicht objektiviert werden kann.

7.) Stellungnahme, ob bzw. wann eine Nachuntersuchung erforderlich ist:

Dauerzustand.“

13. Mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichtes vom 27.02.2020 wurden die Beschwerdeführerin und die belangte Behörde erneut über das Ergebnis der Beweisaufnahme informiert und ihnen in Wahrung des Parteiengehörs Gelegenheit eingeräumt, binnen drei Wochen eine Stellungnahme dazu abzugeben. Weiters wurde in diesem Zusammenhang mitgeteilt, dass das Bundesverwaltungsgericht in Aussicht nehme, über die Beschwerde aufgrund der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens zu entscheiden, sofern nicht eine eingelangte Stellungnahme anderes erfordere.

Beide Verfahrensparteien ließen dieses Schreiben unbeantwortet.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die Beschwerdeführerin war bis 31.12.2018 Inhaberin eines befristeten Behindertenpasses mit einem Grad der Behinderung von 50 v.H. Sie stellte am 22.11.2018 bei der belangten Behörde einen Antrag auf Neufestsetzung des Grades der Behinderung, welcher von der Behörde als Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses gewertet wurde.

Die Beschwerdeführerin hat ihren Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet.

Bei der Beschwerdeführerin bestehen folgende Funktionseinschränkungen, die voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:

1.) Verlust der linken Brust bei Zustand nach Mammakarzinom 2013 und Mastektomie ohne plastischen Aufbau und ohne Hinweis auf Rezidiv nach fünfjähriger Heilungsbewährung;

2.) Rezidivierende Depressio ohne stationäre Behandlung bei unzureichender antidepressiver Medikation und bestehenden Therapieoptionen;

3.) Abnützungserscheinungen des Stütz- und Bewegungsapparates mit Beschwerden im Bereich der Daumensattelgelenke, Kniegelenke und Lendenwirbelsäule, jeweils ohne objektivierbare funktionelle Einschränkungen.

Der Gesamtgrad der Behinderung der Beschwerdeführerin beträgt 40 v.H.

Hinsichtlich der bei der Beschwerdeführerin bestehenden Funktionseinschränkungen, ihres Ausmaßes, medizinischer Einschätzung und wechselseitiger Leidensbeeinflussung werden die diesbezüglichen Beurteilungen in den vom Bundesverwaltungsgericht eingeholten Sachverständigengutachten einer Fachärztin für Unfallchirurgie und Ärztin für Allgemeinmedizin vom 09.09.2019 sowie eines Facharztes für Neurologie und Psychiatrie vom 11.02.2020 der nunmehrigen Entscheidung zugrunde gelegt.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Die Feststellungen zum Vorliegen eines bis 31.12.2018 befristeten Behindertenpass, zum Zeitpunkt der Einbringung und zur Wertung des Antrages ergeben sich aus dem Akteninhalt.

2.2. Die Feststellung, dass die Beschwerdeführerin ihren Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hat, ergibt sich aus dem vom Bundesverwaltungsgericht erstellten Auszug aus dem Zentralen Melderegister.

2.3. Der festgestellte Gesamtgrad der Behinderung und die festgestellten Funktionseinschränkungen gründen sich auf die vom Bundesverwaltungsgericht eingeholten Sachverständigengutachten einer Fachärztin für Unfallchirurgie und Ärztin für Allgemeinmedizin vom 09.09.2019 (hinsichtlich der unfallchirurgisch-orthopädischen und allgemeinmedizinischen Leiden) sowie eines Facharztes für Neurologie und Psychiatrie vom 11.02.2020 (hinsichtlich des psychischen Leidens). In diesen Gutachten wird auf die Leiden der Beschwerdeführerin, deren Ausmaß und wechselseitige Leidensbeeinflussung vollständig, nachvollziehbar und widerspruchsfrei eingegangen.

Von den befassten Sachverständigen wurden die im Verfahren von der Beschwerdeführerin vorgelegten Befunde einbezogen, die im Übrigen nicht in Widerspruch zur gutachterlichen Beurteilung stehen und kein höheres Funktionsdefizit dokumentieren, als anlässlich der Begutachtungen festgestellt werden konnte.

Die vorliegenden Sachverständigenbeweise werden seitens des Bundesverwaltungsgerichtes als schlüssig erachtet. Die getroffenen Einschätzungen, basierend auf den im Rahmen von persönlichen Untersuchungen erhobenen Befunden, entsprechen den festgestellten Funktionseinschränkungen (diesbezüglich wird auch auf die auszugsweise wiedergegebenen Ausführungen in den Gutachten verwiesen); die Gesundheitsschädigungen wurden nach den Bestimmungen der Einschätzungsverordnung korrekt eingestuft.

Diesbezüglich ist im Lichte der Anlage zur Einschätzungsverordnung festzuhalten, dass betreffend den bei der Beschwerdeführerin festgestellten Zustand nach Brustkrebs 2013 im Sachverständigengutachten vom 09.09.2019 korrekt die Positionsnummer 08.03.01 (Fehlbildungen, Teilresektionen, Resektionen der Brust oder der äußeren Genitale) unter Heranziehung des oberen Rahmensatzes von 40 v.H. angesetzt wurde. Begründet wurde dies insbesondere damit, dass ein Zustand nach Mastektomie ohne plastischen Aufbau besteht und kein Rezidivgeschehen dokumentiert ist. Die Beschwerdeführerin ist darüber hinaus der Einschätzung des führenden Leidens im Übrigen im gesamten Verfahren nicht entgegengetreten.

Die bei der Beschwerdeführerin bestehende – in Leiden 2 erfasste – rezidivierende Depressio wurde vom befassten Facharzt für Neurologie und Psychiatrie zutreffend der Positionsnummer 03.06.01 (Depressive Störung – Dysthymie – leichten Grades) zugeordnet. Die Wahl des Rahmensatzes mit 20 v.H. wurde seitens des befassten psychiatrischen Sachverständigen nachvollziehbar mit den bestehenden Therapieoptionen bei unzureichender Medikamenteneinnahme (Minderdosierung) in den letzten sechs Monaten, Gruppentherapie lediglich alle zwei Monate bzw. Facharzttermine nur alle zwei Wochen und fehlendem stationären Aufenthalt begründet.

Hinsichtlich der festgestellten Abnützungserscheinungen des Stütz- und Bewegungsapparates (Leiden 3) wurde – entsprechend dem Fehlen objektivierbarer funktioneller Einschränkungen im Bereich der Daumensattelgelenke, Kniegelenke und Lendenwirbelsäule – von der unfallchirurgischen Sachverständigen korrekt die Positionsnummer 02.02.01 mit dem unteren Rahmensatz von 10 v.H. herangezogen.

Hinsichtlich des Gesamtgrades der Behinderung im Ausmaß von 40 v.H. wurde in den Sachverständigengutachten schlüssig ausgeführt, dass keine maßgebliche ungünstige wechselseitige Leidensbeeinflussung zwischen dem führenden Leiden 1 und den übrigen Leiden besteht, zumal Leiden 3 nur von geringer funktioneller Relevanz ist. Darüber hinaus wurde im psychiatrisch-neurologischen Sachverständigengutachten nachvollziehbar dargelegt, dass kein Zusammenhand zwischen dem führenden Leiden und der seit 1993 bestehenden Depressio besteht. Im Ergebnis wurde nachvollziehbar festgehalten, dass die Auswirkungen des führenden Leidens 1 durch die anderen Leiden nicht erheblich verstärkt werden.

Auch die Einwendungen der Beschwerdeführerin in der Beschwerde, ihren Stellungnahmen und im Vorlageantrag waren nicht geeignet, die vorliegenden Sachverständigenbeweise in Zweifel zu ziehen und eine Änderung des Ermittlungsergebnisses herbeizuführen. Die Beschwerdeführerin vermochte insbesondere nicht darzulegen, weshalb ihr psychisches Leiden höher eingeschätzt werden müsste. Das Vorbringen, sie sei trotz fachärztlicher und medikamentöser Therapie nicht symptomfrei, wurde im Übrigen vom psychiatrischen Sachverständigen schlüssig damit entkräftet, dass dies auf eine unzureichende Medikation zurückzuführen sei und Therapiereserven gegeben seien. Letztlich ist die Beschwerdeführerin der Einschätzung des psychiatrischen Sachverständigen auch nicht mehr entgegengetreten.

Die Beschwerdeführerin, der es der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zufolge freigestanden wäre, durch Beibringung eines Gegengutachtens eines Sachverständigen ihrer Wahl die getroffene Einschätzung der Sachverständigen zu entkräften (vgl. etwa VwGH 26.02.2008, 2005/11/0210 mwH), tritt den Sachverständigengutachten nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegen.

Die Beschwerdeführerin zeigt somit weder durch entsprechend aussagekräftige Befunde noch durch ein substantiiertes Vorbringen auf, dass eine höhere Einschätzung ihrer Leiden hätte erfolgen müssen.

Seitens des Bundesverwaltungsgerichtes bestehen folglich keine Zweifel an der Richtigkeit, Vollständigkeit und Schlüssigkeit der vorliegenden Sachverständigengutachten. Diese werden daher in freier Beweiswürdigung der Entscheidung zugrunde gelegt.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Die Beschwerde ist rechtzeitig und auch sonst zulässig. Die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes und die Entscheidung durch einen Senat unter Mitwirkung eines fachkundigen Laienrichters ergeben sich aus §§ 6, 7 BVwGG iVm § 45 Abs. 3 und 4 BBG.

Zu A) Abweisung der Beschwerde:

3.2. Die maßgeblichen Bestimmungen des Bundesbehindertengesetzes (BBG) lauten auszugsweise:

„BEHINDERTENPASS

§ 40. (1) Behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% ist auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpass auszustellen, wenn

1. ihr Grad der Behinderung (ihre Minderung der Erwerbsfähigkeit) nach bundesgesetzlichen Vorschriften durch Bescheid oder Urteil festgestellt ist oder

2. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften wegen Invalidität, Berufsunfähigkeit, Dienstunfähigkeit oder dauernder Erwerbsunfähigkeit Geldleistungen beziehen oder

3. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften ein Pflegegeld, eine Pflegezulage, eine Blindenzulage oder eine gleichartige Leistung erhalten oder

4. für sie erhöhte Familienbeihilfe bezogen wird oder sie selbst erhöhte Familienbeihilfe beziehen oder

5. sie dem Personenkreis der begünstigten Behinderten im Sinne des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, angehören.

(2) Behinderten Menschen, die nicht dem im Abs. 1 angeführten Personenkreis angehören, ist ein Behindertenpass auszustellen, wenn und insoweit das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen auf Grund von Vereinbarungen des Bundes mit dem jeweiligen Land oder auf Grund anderer Rechtsvorschriften hierzu ermächtigt ist.“

„§ 41. (1) Als Nachweis für das Vorliegen der im § 40 genannten Voraussetzungen gilt der letzte rechtskräftige Bescheid eines Rehabilitationsträgers (§ 3), ein rechtskräftiges Urteil eines Gerichtes nach dem Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, BGBl. Nr. 104/1985, ein rechtskräftiges Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes oder die Mitteilung über die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe gemäß § 8 Abs. 5 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967, BGBl. Nr. 376. Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen hat den Grad der Behinderung nach der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010) unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen einzuschätzen, wenn

1. nach bundesgesetzlichen Vorschriften Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werden und die hierfür maßgebenden Vorschriften keine Einschätzung vorsehen oder

2. zwei oder mehr Einschätzungen nach bundesgesetzlichen Vorschriften vorliegen und keine Gesamteinschätzung vorgenommen wurde oder

3. ein Fall des § 40 Abs. 2 vorliegt.

(2) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind ohne Durchführung eines Ermittlungsverfahrens zurückzuweisen, wenn seit der letzten rechtskräftigen Entscheidung noch kein Jahr vergangen ist. Dies gilt nicht, wenn eine offenkundige Änderung einer Funktionsbeeinträchtigung glaubhaft geltend gemacht wird.

(…)“

„§ 42. (1) Der Behindertenpass hat den Vornamen sowie den Familiennamen, das Geburtsdatum eine allfällige Versicherungsnummer und den festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.

(…)“

„§ 45. (1) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.

(2) Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.

(3) In Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung hat die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.

(4) Bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß Abs. 3 hat eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter mitzuwirken. Die fachkundigen Laienrichterinnen oder Laienrichter (Ersatzmitglieder) haben für die jeweiligen Agenden die erforderliche Qualifikation (insbesondere Fachkunde im Bereich des Sozialrechts) aufzuweisen.

(…)“

3.3. §§ 2 und 3 der Einschätzungsverordnung, BGBl. II 261/2010 idF BGBl. II 251/2012, sehen Folgendes vor:

„Grad der Behinderung

§ 2. (1) Die Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen sind als Grad der Behinderung zu beurteilen. Der Grad der Behinderung wird nach Art und Schwere der Funktionsbeeinträchtigung in festen Sätzen oder Rahmensätzen in der Anlage dieser Verordnung festgelegt. Die Anlage bildet einen Bestandteil dieser Verordnung.

(2) Bei Auswirkungen von Funktionsbeeinträchtigungen, die nicht in der Anlage angeführt sind, ist der Grad der Behinderung in Analogie zu vergleichbaren Funktionsbeeinträchtigungen festzulegen.

(3) Der Grad der Behinderung ist nach durch zehn teilbaren Hundertsätzen festzustellen. Ein um fünf geringerer Grad der Behinderung wird von ihnen mit umfasst. Das Ergebnis der Einschätzung innerhalb eines Rahmensatzes ist zu begründen.“

„Gesamtgrad der Behinderung

§ 3. (1) Eine Einschätzung des Gesamtgrades der Behinderung ist dann vorzunehmen, wenn mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen. Bei der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung sind die einzelnen Werte der Funktionsbeeinträchtigungen nicht zu addieren. Maßgebend sind die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander.

(2) Bei der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung ist zunächst von jener Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, für die der höchste Wert festgestellt wurde. In der Folge ist zu prüfen, ob und inwieweit dieser durch die weiteren Funktionsbeeinträchtigungen erhöht wird. Gesundheitsschädigungen mit einem Ausmaß von weniger als 20 v.H. sind außer Betracht zu lassen, sofern eine solche Gesundheitsschädigung im Zusammenwirken mit einer anderen Gesundheitsschädigung keine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung verursacht.

Bei Überschneidungen von Funktionsbeeinträchtigungen ist grundsätzlich vom höheren Grad der Behinderung auszugehen.

(3) Eine wechselseitige Beeinflussung der Funktionsbeeinträchtigungen, die geeignet ist, eine Erhöhung des Grades der Behinderung zu bewirken, liegt vor, wenn

-        sich eine Funktionsbeeinträchtigung auf eine andere besonders nachteilig auswirkt,

-        zwei oder mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen, die gemeinsam zu einer wesentlichen Funktionsbeeinträchtigung führen.

(4) Eine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung ist dann gegeben, wenn das Gesamtbild der Behinderung eine andere Beurteilung gerechtfertigt erscheinen lässt, als die einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen alleine.“

3.4. Zunächst ist festzuhalten, dass der Grad der Behinderung im Beschwerdefall – wie dies auch die belangte Behörde zu Recht annahm – nach der Einschätzungsverordnung einzuschätzen war. Die Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen hat nicht im Wege der Addition der einzelnen Werte der Funktionsbeeinträchtigungen zu erfolgen, sondern es ist bei Zusammentreffen mehrerer Leiden zunächst von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, für welche der höchste Wert festgestellt wurde, und dann ist zu prüfen, ob und inwieweit durch das Zusammenwirken aller zu berücksichtigenden Funktionsbeeinträchtigungen eine höhere Einschätzung des Grades der Behinderung gerechtfertigt ist (vgl. den eindeutigen Wortlaut des § 3 Einschätzungsverordnung sowie die auf diese Rechtslage übertragbare Rechtsprechung, VwGH 17.07.2009, 2007/11/0088; 22.01.2013, 2011/11/0209 mwN). Bei ihrer Beurteilung hat sich die Behörde eines oder mehrerer Sachverständiger zu bedienen, wobei es der Antragstellerin freisteht, zu versuchen, das im Auftrag der Behörde erstellte Gutachten durch die Beibringung eines Gegengutachtens eines Sachverständigen ihrer Wahl zu entkräften (vgl. VwGH 30.04.2014, 2011/11/0098; 21.08.2014, Ro 2014/11/0023).

Seitens des Bundesverwaltungsgerichtes wurde zwecks Beurteilung des Beschwerdevorbringens zunächst ein (fach-)ärztliches Sachverständigengutachten der Fachrichtungen Unfallchirurgie und Allgemeinmedizin eingeholt; aufgrund von Einwendungen der Beschwerdeführerin wurde ein weiteres Sachverständigengutachten aus den Fachbereichen Neurologie und Psychiatrie eingeholt. Beide Sachverständigengutachten wurden auf Basis einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin erstattet und entsprechen den von der Judikatur (sowie von der Einschätzungsverordnung) aufgestellten Anforderungen.

3.5. Wie oben unter Punkt II.2.3. eingehend ausgeführt, werden der Entscheidung die schlüssigen Sachverständigengutachten einer Fachärztin für Unfallchirurgie und Ärztin für Allgemeinmedizin vom 09.09.2019 sowie eines Facharztes für Neurologie und Psychiatrie vom 11.02.2020 zugrunde gelegt, wonach der Grad der Behinderung der Beschwerdeführerin 40 v.H. beträgt. Letzteres wurde von der Beschwerdeführerin unwidersprochen zur Kenntnis genommen.

Mit einem Gesamtgrad der Behinderung von 40 v.H. sind die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses gemäß § 40 Abs. 1 BBG, wonach behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbstätigkeit von mindestens 50 v.H. ein Behindertenpass auszustellen ist, nicht erfüllt.

Die Beschwerde war daher abzuweisen und die Beschwerdevorentscheidung zu bestätigen.

Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass bei einer Verschlechterung des Leidenszustandes die neuerliche Einschätzung des Grades der Behinderung nach Maßgabe des § 41 Abs. 2 BBG in Betracht kommt.

3.6. Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung

3.6.1. Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

Gemäß § 24 Abs. 2 VwGVG kann die Verhandlung entfallen, wenn der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist.

Gemäß § 24 Abs. 3 VwGVG hat die Beschwerdeführerin die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Den sonstigen Parteien ist Gelegenheit zu geben, binnen angemessener, zwei Wochen nicht übersteigender Frist einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden. Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK), BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC), ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen.

3.6.2. Der im Beschwerdefall maßgebliche Sachverhalt ergibt sich aus dem Akt der belangten Behörde und den vom Bundesverwaltungsgericht eingeholten Sachverständigengutachten aus den Fachbereichen Unfallchirurgie und Allgemeinmedizin sowie Neurologie und Psychiatrie. Das zuletzt eingeholte neurologisch-psychiatrische Sachverständigengutachten vom 11.02.2020 wurde von den Verfahrensparteien unwidersprochen zur Kenntnis genommen. Die strittigen Tatsachenfragen gehören dem Bereich an, der von Sachverständigen zu beleuchten ist. All dies lässt die Einschätzung zu, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten ließ und eine Entscheidung ohne vorherige Verhandlung – trotz deren Beantragung – im Beschwerdefall nicht nur mit Art. 6 EMRK und Art. 47 GRC kompatibel ist, sondern auch im Sinne des Gesetzes (§ 24 Abs. 1 VwGVG) liegt, weil damit dem Grundsatz der Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis (§ 39 Abs. 2a AVG) gedient ist, gleichzeitig aber das Interesse der materiellen Wahrheit und der Wahrung des Parteiengehörs nicht verkürzt wird.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Die angewendeten Teile des Bundesbehindertengesetzes und der Einschätzungsverordnung sind – soweit im Beschwerdefall relevant – eindeutig. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Behindertenpass Grad der Behinderung Sachverständigengutachten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W262.2217715.1.00

Im RIS seit

08.01.2021

Zuletzt aktualisiert am

08.01.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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