TE Bvwg Erkenntnis 2020/10/29 W255 2207695-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 29.10.2020
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Entscheidungsdatum

29.10.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z5
AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs4
AsylG 2005 §9 Abs1 Z1
AsylG 2005 §9 Abs4
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z4
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2

Spruch

W255 2207695-1/21E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Ronald EPPEL, MA als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 25.09.2018, Zl. 1001338408-180839404, nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 10.09.2020, zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

1.        Verfahrensgang:

1.1.    Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF), ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte nach unrechtmäßiger Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 31.01.2014 einen Antrag auf internationalen Schutz. Am 01.02.2014 fand die niederschriftliche Erstbefragung des BF statt.

1.2.    Am 17.04.2014 wurde der BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) niederschriftlich einvernommen. Dabei gab der BF ua an, dass er in der Provinz XXXX , im Distrikt XXXX , geboren sei und dort bis zum siebenten Lebensjahr gelebt habe. Danach habe er mit seiner Familie in der Stadt XXXX gelebt. Der BF habe drei Jahre lang eine Grundschule besucht und nie gearbeitet. Er sei Paschtune und sunnitischer Muslim. Er habe Afghanistan wegen Grundstücksstreitigkeiten, auf Grund derer sein Vater getötet worden sei, verlassen. Der BF leide an Hepatitis B und müsse laufend kontrolliert/untersucht werden. Er sei 15 oder 16 Jahre alt.

1.3.    Mit Bescheid des BFA vom 13.03.2015, Zl. 1001338408-14069302, wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 wurde dem BF der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt (Spruchpunkt II.). Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wurde dem BF eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 13.03.2016 erteilt (Spruchpunkt III.).

1.4.    Am 09.03.2016 und 28.11.2016 stellte der BF Anträge auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter.

1.5.    Mit Bescheid des BFA vom 29.08.2017, Zl. 1001338408-14069302, wurde die befristete Aufenthaltsberechtigung des BF bis zum 13.03.2018 verlängert.

1.6.    Am 15.02.2018 stellte der BF einen Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter.

1.7.    Mit Schreiben vom 27.02.2018 teilte das BFA dem BF mit, dass es beabsichtige, dem BF den Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuerkennen und festzustellen, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. In Einem wurden dem BF Länderinformationen betreffend Afghanistan und 14 Fragen zu seiner individuellen Situation übermittelt. Dem BF wurde die Möglichkeit eingeräumt, hierzu binnen 2 Wochen Stellung zu nehmen.

1.8.    Mit Schreiben vom 22.03.2018 teilte der BF dem BFA mit, dass er ledig sei und keine Kinder habe. Er habe keine Verwandten in Österreich. Er habe einen Deutschkurs besucht und die Deutschprüfung auf A1 Niveau bestanden. Er könne sich gut verständigen. Bis vor kurzem habe er sechs Monate lang bei „ XXXX “ gearbeitet. Morgen sei er beim AMS, um sich wieder als Küchenhilfe oder Servicekraft vermitteln zu lassen. Das AMS habe ihn zu einem „Einstufungstest Deutsch“ geschickt, der am 27.03.2018 stattfinden werde. Er lebe derzeit gemeinsam mit einem guten Freund in einer Mietwohnung. Im Hinblick auf seinen Gesundheitsstatus wolle er angeben, dass er beim Psychiater Dr. XXXX in Behandlung gewesen sei und die Diagnosen „Depression“ und „Posttraumatische Belastungsstörung“ erstellt bekommen habe.

1.9.    Mit Bescheid des BFA vom BFA vom 25.09.2018, Zl. 1001338408-180839404, wurde der dem BF mit Bescheid des BFA vom 13.03.2015, Zl. 1001338408-14069302, zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 AsylG 2005 von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt I.) und dem BF die mit Bescheid des BFA vom 13.03.2015, Zl. 1001338408-14069302, erteilte befristete Aufenthaltsbewilligung als subsidiär Schutzberechtigter gemäß § 9 Abs. 4 AsylG 2005 entzogen (Spruchpunkt II). Der Antrag des BF vom 15.02.2018 auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung wurde abgewiesen (Spruchpunkt III). Dem BF wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt IV.). Es wurde eine Rückkehrentscheidung gegen den BF erlassen (Spruchpunkt V.) und festgestellt, dass die Abschiebung des BF nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt VI.). Für die freiwillige Ausreise des BF wurde eine Frist von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung bestimmt (Spruchpunkt VII).

Begründend führte das BFA aus, dass die Voraussetzungen die dazu geführt hätten, dass dem BF in Österreich subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, nicht mehr vorliegen würden. Der BF sei mittlerweile volljährig und es bestehe bezüglich seiner Hepatitis B Erkrankung kein Behandlungsbedarf mehr. Der BF könne seinen Lebensunterhalt in Mazar-e Sharif, Herat oder Kabul bestreiten.

Im Falle des BF bestehe keine besondere Integration. Zudem sei der BF in Österreich wiederholt straffällig und zu einer Freiheitsstrafe von 10 Monaten (Probezeit 5 Jahre) verurteilt worden.

1.10.   Gegen den unter Punkt 1.9. genannten Bescheid des BFA richtet sich die vom BF fristgerecht erhobene Beschwerde.

1.11.   Die Beschwerde und der bezughabende Verwaltungsakt langten am 16.10.2018 beim Bundesverwaltungsgericht ein und wurden der Gerichtsabteilung W164 des Bundesverwaltungsgerichts zugewiesen.

1.12.   Auf Grund der Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses des Bundesverwaltungsgerichts vom 15.04.2020 wurde die gegenständliche Rechtssache der Gerichtsabteilung W164 abgenommen und der Gerichtsabteilung W255 neu zugewiesen.

1.13.   Mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichts vom 16.07.2020 wurden dem BF aktuelle Länderinformationen betreffend Afghanistan übermittelt.

1.14.   Am 10.09.2020 führte das Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung im Beisein des BF, seiner Rechtsvertreterin und einer Dolmetscherin für die Sprache Paschto durch. Dabei gab der BF an, dass es ihm gesundheitlich gut gehe und er keine Medikamente nehme. Der BF habe keinen Kontakt zu seiner Familie. Er habe in Österreich für „ XXXX “, in der „ XXXX “ und in einem chinesischen Restaurant namens „ XXXX “ gearbeitet. Derzeit arbeite er nicht. Die Zeit vergehe gut. Er sei derzeit noch in XXXX gemeldet, lebe aber in XXXX . Die genaue Adresse kenne er nicht. Der BF habe keine Verwandten oder sonstige ihm nahestehende Personen in Österreich. Er habe früher einen Deutschkurs besucht, besuche derzeit aber keinen Kurs. Er habe die Deutschprüfung auf A2 Niveau gemacht und nicht bestanden. Er sei nicht Mitglied in einem Verein und habe sehr wenig ehrenamtlich gearbeitet. Der BF habe Verwandte in London, aber keinen Kontakt mit ihnen. Der BF sei in Österreich verurteilt worden, da er Drogen verkauft habe. Außerdem sei er bei einer Auseinandersetzung dabei gewesen, habe dort aber nichts gemacht. Auch als er einmal bei der Polizei gewesen sei, habe er nichts gemacht, sondern sei nur auf einem Stuhl gesessen, geschubst worden und umgefallen.

Er könne nicht nach Afghanistan zurückkehren, da die Situation dort schlecht sei, er keine Arbeit nachgehen könne und dort verfeindet sei. Er habe ein privates Problem und man suche nach ihm.

Die Rechtsvertreterin des BF brachte vor, dass sich die wirtschaftliche Situation in Afghanistan aufgrund der Corona Pandemie verschlechtert habe. Er sei vor allem für Tagelöhner schwierig, eine Beschäftigung zu finden. Der BF verfüge über keine besondere Schul- oder Berufsausbildung und kein familiäres Netzwerk. Er wäre daher im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan in einer besonders schwierigen Lage, vor allem im Hinblick auf die Wohnungs- und Arbeitssuche. Die letzte Verurteilung des BF sei 4,5 Jahre her. Er habe einen Lebenswandel vollzogen und es bestehe keine Gefahr mehr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit durch den BF.

2.       Feststellungen:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage des Antrages auf internationalen Schutz des BF vom 31.01.2014, dem gegenständlich erhobenen Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter, der Erstbefragung und der Einvernahmen des BF durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sowie des BFA, der schriftlichen Stellungnahme des BF vom 22.03.2018, der Bescheide des BFA, der Beschwerde gegen den im Spruch genannten Bescheid des BFA, der im Verfahren vorgelegten Dokumente, der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht vom 10.09.2020, der Länderberichte zu Afghanistan sowie der Einsichtnahme in den Bezug habenden Verwaltungsakt, das Zentrale Melderegister, das Fremdeninformationssystem, das Strafregister, die seitens des Landesgerichts XXXX zur XXXX , des Landesgerichts für Strafsachen XXXX zur XXXX , der Staatsanwaltschaft XXXX zur GZ XXXX und der Landespolizeidirektion XXXX zur GZ XXXX geführten Strafakte sowie das Grundversorgungs-Informationssystem werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:

2.1.    Zur Person des BF:

2.1.1.  Der BF führt den Namen XXXX und das Geburtsdatum XXXX . Er wurde im Dorf XXXX , Distrikt XXXX , Provinz XXXX , Afghanistan, geboren und hat dort seine ersten sieben Lebensjahre verbracht. Ab dem achten Lebensjahr bis zu seiner Ausreise aus Afghanistan Ende 2013/Anfang 2014 hat der BF gemeinsam mit seinen Eltern und zwei Brüdern bei einem seiner Onkel mütterlicherseits und dessen Familie in der Stadt XXXX gelebt. Der Vater des BF ist vor der Ausreise des BF aus Afghanistan verstorben. Seine Mutter und beiden Brüder leben nach wie vor gemeinsam mit einem Onkel mütterlicherseits in der Stadt XXXX . Es leben noch zwei weitere Onkel mütterlicherseits mit ihren Familien in der Stadt XXXX . Der Lebensunterhalt der Familie des BF wurde durch Einnahmen aus einem Kleidergeschäft gesichert.

2.1.2.  Der BF ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan, Angehöriger der Volksgruppe der Paschtunen und sunnitischer Muslim. Die Muttersprache des BF ist Paschto.

2.1.3.  Der BF hat sieben Jahre die Schule in Afghanistan besucht.

2.1.4.  Beim BF wurde 2014 Hepatitis B („Chronische Hepatitis B“ und „akute Virushepatitis B ohne Delta-Virus und ohne Coma hepaticum“) diagnostiziert. Er wurde diesbezüglich am 19.03.2014, 25.04.2014 und 17.10.2014 im XXXX , im April/Mai im Diagnosezentrum XXXX sowie am 10.09.2014 und 20.11.2014 im Landesklinikum XXXX untersucht und behandelt. Er bedarf zum Entscheidungszeitpunkt keiner Behandlung.

2.1.5.  Im Zeitraum Jänner 2014 bis Frühjahr 2015 litt der BF unter Schlafstörungen, Konzentrationsproblemen, starker Anspannung, Impulsausbrüchen in Stresssituationen sowie wiederholtem, selbstverletzendem Verhalten und dissoziativen Krampfanfällen. Es Anfang 2015 eine Posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert. Zum Entscheidungszeitpunkt leidet der BF nicht mehr unter diesen gesundheitlichen Beeinträchtigungen,

Der BF hat sich in der Nacht vom 28.04.2014 auf 29.04.2014 am linken Oberarm verletzt und oberflächliche Ritzwunden zugefügt. Er wurde diesbezüglich am 29.04.2014 und am 10.05.2014 im Landesklinikum XXXX behandelt.

Der BF hat sich im Dezember 2014 in Untersuchungshaft mit einer Rasierklinge am Bauch verletzt und eine 15 cm lange, oberflächliche Schnittwunde zugezogen. Er hat danach gegenüber der Justizwache gedroht, Suizid zu begehen. Er wurde daraufhin in die psychiatrische Abteilung des Landesklinikums XXXX verlegt und dort behandelt.

Der BF stand von 20.11.2014 bis Anfang/Mitte 2015 in psychiatrischer Behandlung in der XXXX und im Landesklinikum XXXX . Er nahm damals Psychopharmaka.

2.1.6.  Der BF ist zum Entscheidungszeitpunkt gesund, nimmt keine Medikamente und bedarf keiner Behandlung. Er ist nicht suizidgefährdet. Der BF hat seit 09.03.2016 keine Medikamente mehr eingenommen. Er hat das letzte Mal ca. im Februar 2020 einen Psychotherapeuten besucht. Er ist ohne Einschränkungen körperlich belastbar und arbeitsfähig.

2.1.7.  Der BF ist ledig, arbeitsfähig und anpassungsfähig. Er hat keine Kinder.

2.2.        Zur Integration des BF in Österreich:

2.2.1.   Der BF hat in Österreich von 03.03.2014 bis 28.03.2014, 01.04.2014 bis 29.04.2014. 05.05.2014 bis 28.05.2014, 01.07.2014 bis 24.07.2014 und 04.08.2014 bis 28.08.2014 Deutschkurse auf A1 Niveau besucht. Er hat am 25.07.2016 die Deutschprüfung auf A1 Niveau bestanden. Er ist zur Deutschprüfung auf A2 Niveau angetreten und hat diese nicht bestanden. Der BF besucht derzeit keinen Deutschkurs.

2.2.2.  Der BF war seit seiner Einreise in Österreich im Jänner 2014 zu folgenden Zeiten erwerbstätig:

?        25.09.2017 – 19.03.2018 als Arbeiter für die XXXX

?XXXX   24.06.2018 – 30.09.2018 als geringfügig beschäftigter Arbeiter für die XXXX

?XXXX   01.10.2018 – 17.02.2019 als Arbeiter für die XXXX

?XXXX   06.06.2019 – 09.07.2019 als geringfügig beschäftigter Arbeiter für die XXXX

?XXXX   10.07.2019 – 08.11.2019 als Arbeiter für die XXXX

?XXXX   13.01.2020 – 22.02.2020 als Arbeiter für die XXXX

?XXXX   28.05.2020 – 29.05.2020 als geringfügig beschäftigter Arbeiter für die XXXX

?XXXX   21.07.2020 – 28.07.2020 als Arbeiter für die XXXX

Der BF wurde bei den oben genannten Tätigkeiten, die sich zusammengezählt auf ca. fünfzehn Monate erstrecken, in der Gastronomie insbesondere als Küchengehilfe und Servicekraft eingesetzt.

2.2.4.  Der BF hat von 01.02.2014 bis 30.09.2018 Leistungen aus der Grundversorgung bezogen.

2.2.5.  Der BF hat von 04.03.2019 bis 14.05.2019, 26.06.2019 bis 09.07.2019 und 19.11.2019 bis 30.11.2019 Arbeitslosengeld bezogen. Der BF hat von 01.12.2019 bis 04.12.2019 und 22.03.2020 bis 20.07.2020 Notstandshilfe/Überbrückungshilfe bezogen.

2.2.6.  Der BF verfügt über kein regelmäßiges Einkommen. Er verfügt nicht über den eigenen Lebensunterhalt deckende, finanzielle Mittel.

2.2.7.  Der BF verfügt über keine Verwandten in Österreich. Er verfügt über keinen engen Freundeskreis. Er ist nicht Mitglied in einem Verein. Er hat sich seit seiner Ankunft in Österreich noch nie ehrenamtlich engagiert. Er hat keine nennenswerten sozialen Bindungen in Österreich.

2.2.8.  Der BF wurde mit Urteil des Landesgerichts XXXX vom 15.01.2015, XXXX , rechtskräftig wegen § 27 Abs. 1 Z 1 erster und zweiter Fall SMG,

wegen § 27 Abs. 1 Z 1 achter Fall und Abs. 3 SMG, 15 StGB,

wegen §§ 15, 269 Abs. 1 StGB und

wegen §§ 15, 83, 84 Abs. 2 Z 4 StGB

zu einer Freiheitsstrafe von fünf Monaten verurteilt.

Dem Urteil lag zugrunde, dass der BF

I. am 11.12.2014 in XXXX vorschriftswidrig Suchtgift

1)       erworben und besessen hat

2)       durch gewinnbringenden Verkauf

a) einem verdeckten Ermittler überlassen hat

b) mehreren unbekannten Abnehmern zu überlassen versucht hat,

wobei er dies jeweils gewerbsmäßig beging bzw. zu begehen versucht hat.

II. am 12.12.2014 Beamte des XXXX mit Gewalt an einer Amtshandlung, nämlich der Verbringung des BF aus dem Vernehmungsraum in den Arrestraum, zu hindern versucht hat, indem er mit seinen Händen gegen die einschreitenden Beamten stieß und ihnen Faustschläge zu versetzen trachtete.

III. am 12.12.2014 einen Beamten am Körper zu verletzen versucht hat, indem er einen gezielten Faustschlag gegen dessen Kopf richtete, welchen der Beamte gerade noch ausweichen konnte, wobei der BF die Tat an einem Beamten während der Vollziehung seiner Aufgaben zu begehen versucht.

Bei der Strafbemessung wurde erschwerend das Zusammentreffen mehrerer Vergehen und mildernd der bisher ordentliche Lebenswandel, das teilweise Geständnis sowie der Umstand, dass es teilweise beim Versuch geblieben ist, gewertet.

2.2.9.  Der BF wurde nach seiner Festnahme am 11.12.2014, am 12.12.2014 im Beisein einer Dolmetscherin für die Sprache Paschto durch Organe der Landespolizeidirektion XXXX einvernommen. Im Zuge der Einvernahme beschimpfte der BF die Dolmetscherin als „ XXXX “ und unterstellte ihr, seine Sprache nicht zu beherrschen und keine Afghanin zu sein. Zudem unterstellte ihr eine Verräterin zu sein, da sie für die Polizei übersetze.

2.2.10. Der BF wurde mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen XXXX vom 15.02.2017, GZ XXXX , rechtskräftig wegen § 274 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von fünf Monaten (bedingt) verurteilt.

Dem Urteil lag zugrunde, dass der BF am 05.03.2016 in XXXX als Mitglied einer Gruppe von insgesamt zumindest 30 Personen, im bewussten und gewollten Zusammenwirken wissentlich an einer Zusammenkunft vieler Menschen teilgenommen hat, die darauf abgezielt hat, dass durch ihre vereinten Kräfte mehrere Körperverletzungen begangen werden, indem sie sich zusammengerottet und gemeinschaftlich eine Gruppe tschetschenisch stämmiger Jugendlicher mit Faustschlägen sowie unter Verwendung von Hieb- und Stichwaffen tätlich angegriffen haben. Dabei wurden mehrere Opfer schwer verletzt. Dadurch hat der BF das Vergehen der schweren gemeinschaftlichen Gewalt nach § 274 Abs. 1 StGB begangen.

Bei der Strafbemessung wurde mildernd der teilweise Beitrag zur Wahrheitsfindung und erschwerend die Begehung innerhalb offenerer Probezeit sowie die einschlägige Vorstrafe berücksichtigt.

Mit Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen XXXX vom 15.02.2017 wurde gemäß § 50 Abs. 1, 52 StGB die Bewährungshilfe angeordnet und dem BF mit 26.04.2017 ein Bewährungshelfer vom Verein XXXX zur Seite gestellt.

2.2.11. Der BF verbüßte einen Teil seiner Freiheitsstrafen von 12.12.2014 bis 15.01.2015 in der Justizanstalt XXXX und von 11.03.2016 bis 10.11.2016 in der Justizanstalt XXXX .

2.2.12. Mit Verständigung vom 11.02.2020, GZ XXXX , ist die Staatsanwaltschaft XXXX vorläufig von der Verfolgung des BF wegen §§ 27 Abs. 1 und 2 SMG zurückgetreten. In diesem Verfahren wurde der BF durch Polizisten auf frischer Tat betreten.

2.2.13. Die Landespolizeidirektion XXXX führt zur GZ XXXX , ein Ermittlungsverfahren gegen den BF wegen des Verdachtes nach § 27 Abs. 2a SMG. Diesem Verfahren liegt zugrunde, dass der BF am XXXX von Polizisten dabei beobachtet wurde, wie er einer männlichen Person Suchtgift verkaufen wollte. Bei einer anschließenden Personendurchsuchung wurden beim BF insgesamt 14 g/bto Marihuana gefunden. In diesem Verfahren gab der BF im Rahmen der Beschuldigtenvernehmung am XXXX an, 12 Gramm Marihuana, davon die Hälfte für sich und die Hälfte für einen Freund, bei sich gehabt zu haben, als er von der Polizei angesprochen worden sei. Der BF gab weiters an, seit sechs Jahren jedes Wochenende drei bis vier Joints Marihuana zu rauchen und süchtig nach Marihuana zu sein.

2.3.        Zum Verfahrensgang:

2.3.1.  Der BF stellte nach unrechtmäßiger Einreise im österreichischen Bundesgebiet am 31.02.2014 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2.3.2.  Mit Bescheid des BFA vom 13.03.2015, Zl. 1001338408-14069302, wurde dem BF der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt und dem BF eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter bis zum 13.03.2016 erteilt.

Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht aus, dass der BF minderjährig sei und aufgrund der Tatsache, dass er an einer Hepatitis B Erkrankung leide, im Falle der Rückkehr nach Afghanistan in eine die Existenz bedrohende medizinische Notlage geraten würde. Somit gehe das BFA davon aus, dass die Kriterien für eine ausweglose Lage derzeit noch vorliegen würden. leide

Der Entscheidung wurden die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 30.06.2014 bezüglich der Behandelbarkeit von Hepatitis B in Afghanistan sowie auszugsweise das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom November 2014 zugrunde gelegt.

2.3.3.  Mit Bescheid des BFA vom 29.08.2017, Zl. 1001338408-14069302, wurde die befristete Aufenthaltsberechtigung des BF bis zum 13.03.2018 verlängert.

2.3.4.  Am 15.02.2018 stellte der BF einen Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter.

2.3.5.  Mit Schreiben vom 27.02.2018 teilte das BFA dem BF mit, dass es beabsichtige, dem BF den Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuerkennen und festzustellen, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. In Einem wurden dem BF Länderinformationen betreffend Afghanistan und 14 Fragen zu seiner individuellen Situation übermittelt. Dem BF wurde die Möglichkeit eingeräumt, hierzu binnen 2 Wochen Stellung zu nehmen.

2.3.6.  Mit Bescheid des BFA vom 25.09.2018, Zl. 1001338408-180839404, wurde der dem BF mit Bescheid des BFA vom 13.03.2015, Zl. 1001338408-14069302, zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 AsylG 2005 von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt I.) und dem BF die mit Bescheid des BFA vom 13.03.2015, Zl. 1001338408-14069302, erteilte befristete Aufenthaltsbewilligung als subsidiär Schutzberechtigter gemäß § 9 Abs. 4 AsylG 2005 entzogen (Spruchpunkt II). Der Antrag des BF vom 15.02.2018 auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung wurde abgewiesen (Spruchpunkt III). Dem BF wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt IV.). Es wurde eine Rückkehrentscheidung gegen den BF erlassen (Spruchpunkt V.) und festgestellt, dass die Abschiebung des BF nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt VI.). Für die freiwillige Ausreise des BF wurde eine Frist von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung bestimmt (Spruchpunkt VII).

Begründend führte das BFA aus, dass die Voraussetzungen die dazu geführt hätten, dass dem BF in Österreich subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, nicht mehr vorliegen würden. Der BF sei mittlerweile volljährig und es bestehe kein Behandlungsbedarf mehr bezüglich seiner Hepatitis B Erkrankung und/oder seiner Posttraumatischen Belastungsstörung. Der BF könne seinen Lebensunterhalt in Mazar-e Sharif, Herat oder Kabul bestreiten. Seine Mutter und seine beiden jüngeren Geschwister würden seit ca. sechs Jahren beim Onkel mütterlicherseits in der Stadt XXXX leben und für ihren Lebensunterhalt sogen können. Es sei daher davon auszugehen, dass der BF im Falle der Rückkehr nach Afghanistan über soziale und familiäre Anknüpfungspunkte bzw. Netzwerke verfüge.

Im Falle des BF bestehe keine besondere Integration. Zudem sei der BF in Österreich wiederholt straffällig und zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten (Probezeit fünf Jahre) verurteilt worden.

Der Entscheidung wurde das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom Juli 2018 zugrunde gelegt.

2.4.    Zur Situation des BF in Afghanistan:

2.4.1. Dem BF droht im Fall der Rückkehr in seine Herkunftsprovinz XXXX ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit.

2.4.2.  Der BF wäre im Falle der Rückkehr nach Afghanistan und Neuansiedlung in den Städten Herat oder Mazar-e Sharif keiner konkret gegen ihn gerichteten Verfolgung ausgesetzt.

2.4.3.  Der BF ist gesund, arbeitsfähig, anpassungsfähig und ledig. Er hat keine Kinder.

Der BF verfügt über siebenjährige Schulbildung in Afghanistan und fünfzehnmonatige Berufserfahrung in Österreich.

Der BF wurde in der Provinz XXXX in einer afghanischen Familie geboren und wurde durch eine afghanische Familie in einem afghanischen Umfeld erzogen. Der BF wuchs sohin in einem afghanischen Familienverband auf und ist mit den Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates und mit einer in Afghanistan gesprochenen Sprache vertraut.

Die Mutter, zwei Brüder und drei Onkel mütterlicherseits des BF (jeweils mit ihren Familien) leben nach wie vor in der Stadt XXXX .

Der BF spricht Paschto. Angesichts seiner Sprachkenntnisse, seiner Arbeitsfähigkeit, seiner Schulbildung und seiner Berufserfahrung könnte er sich in den Städten Herat und Mazar-e Sharif eine Existenz aufbauen und diese – zumindest anfänglich – mit Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten sichern. Er ist in der Lage, in den Städten Herat und Mazar-e Sharif eine einfache Unterkunft zu finden. Im Ergebnis ist von einer Selbsterhaltungsfähigkeit des BF in Afghanistan auszugehen. Er hat zudem die Möglichkeit, finanzielle Unterstützung in Form der Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen. Der BF könnte im Fall der Rückkehr nach Afghanistan auch durch seine Verwandten (Mutter, Brüder und drei Onkel mütterlicherseits) unterstützt werden. In einer Gesamtbetrachtung sind Herat und Mazar-e Sharif für Normalbürger, die nicht mit Ausländern zusammenarbeiten, vergleichsweise sichere und über die jeweiligen Flughäfen gut erreichbare Städte. Außergewöhnliche Gründe, die eine Rückkehr des BF nach Mazar-e Sharif oder Herat ausschließen, konnten nicht festgestellt werden.

Dem BF droht im Falle der Rückkehr in die Städte Herat oder Mazar-e Sharif somit kein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit und er läuft auch nicht Gefahr, im Falle der Rückkehr in die Städte Herat oder Mazar-e Sharif grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.

2.4.4.  Im Falle der Rückkehr nach Herat oder Mazar-e Sharif läuft der BF auch nicht Gefahr, aufgrund seines derzeitigen Gesundheitszustandes in einen unmittelbar lebensbedrohlichen Zustand zu geraten oder sich seine Gesundheit in einem lebensbedrohlichen Ausmaß verschlechtern würde. Es sind auch sonst keine Hinweise hervorgekommen, dass allenfalls andere körperliche oder psychische Erkrankungen einer Rückführung des BF in den Herkunftsstaat entgegenstehen würden.

2.4.5.  Im Falle des BF ist es in einer Gesamtschau zu einer nachhaltigen, maßgeblichen Verbesserung der subjektiven bzw. persönlichen Situation des BF im Fall der Rückkehr nach Afghanistan gekommen.

2.5.    Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

Aufgrund der im Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht in das Verfahren eingeführten aktuellen Erkenntnisquellen werden folgende entscheidungsrelevante Feststellungen zum Herkunftsstaat des BF getroffen:

2.5.1.  Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation mit Stand vom 21.07.2020:

1.       COVID-19:

1.1.    Aktueller Stand der COVID-19 Krise in Afghanistan

Berichten zufolge, haben sich in Afghanistan mehr als 35.000 Menschen mit COVID-19 angesteckt (WHO 20.7.2020; vgl. JHU 20.7.2020, OCHA 16.7.2020), mehr als 1.280 sind daran gestorben. Aufgrund der begrenzten Ressourcen des öffentlichen Gesundheitswesens und der begrenzten Testkapazitäten sowie des Fehlens eines nationalen Sterberegisters werden bestätigte Fälle von und Todesfälle durch COVID-19 in Afghanistan wahrscheinlich insgesamt zu wenig gemeldet (OCHA 16.7.2020; vgl. DS 19.7.2020). 10 Prozent der insgesamt bestätigten COVID-19-Fälle entfallen auf das Gesundheitspersonal. Kabul ist hinsichtlich der bestätigten Fälle nach wie vor der am stärksten betroffene Teil des Landes, gefolgt von den Provinzen Herat, Balkh, Nangarhar und Kandahar (OCHA 15.7.2020). Beamte in der Provinz Herat sagten, dass der Strom afghanischer Flüchtlinge, die aus dem Iran zurückkehren, und die Nachlässigkeit der Menschen, die Gesundheitsrichtlinien zu befolgen, die Möglichkeit einer neuen Welle des Virus erhöht haben, und dass diese in einigen Gebieten bereits begonnen hätte (TN 14.7.2020). Am 18.7.2020 wurde mit 60 neuen COVID-19 Fällen der niedrigste tägliche Anstieg seit drei Monaten verzeichnet – wobei an diesem Tag landesweit nur 194 Tests durchgeführt wurden (AnA 18.7.2020).

Krankenhäuser und Kliniken berichten weiterhin über Probleme bei der Aufrechterhaltung oder Erweiterung der Kapazität ihrer Einrichtungen zur Behandlung von Patienten mit COVID-19. Diese Herausforderungen stehen im Zusammenhang mit der Bereitstellung von persönlicher Schutzausrüstung (PSA), Testkits und medizinischem Material sowie mit der begrenzten Anzahl geschulter Mitarbeiter - noch verschärft durch die Zahl des erkrankten Gesundheitspersonals. Es besteht nach wie vor ein dringender Bedarf an mehr Laborequipment sowie an der Stärkung der personellen Kapazitäten und der operativen Unterstützung (OCHA 16.7.2020, vgl. BBC-News 30.6.2020).

Maßnahmen der afghanischen Regierung und internationale Hilfe

Die landesweiten Sperrmaßnahmen der Regierung Afghanistans bleiben in Kraft. Universitäten und Schulen bleiben weiterhin geschlossen (OCHA 8.7.2020; vgl. RA KBL 16.7.2020). Die Regierung Afghanistans gab am 6.6.2020 bekannt, dass sie die landesweite Abriegelung um drei weitere Monate verlängern und neue Gesundheitsrichtlinien für die Bürger herausgeben werde. Darüber hinaus hat die Regierung die Schließung von Schulen um weitere drei Monate bis Ende August verlängert (OCHA 8.7.2020).

Berichten zufolge werden die Vorgaben der Regierung nicht befolgt, und die Durchsetzung war nachsichtig (OCHA 16.7.2020, vgl. TN 12.7.2020). Die Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des Virus unterscheiden sich weiterhin von Provinz zu Provinz, in denen die lokalen Behörden über die Umsetzung der Maßnahmen entscheiden. Zwar behindern die Sperrmaßnahmen der Provinzen weiterhin periodisch die Bewegung der humanitären Helfer, doch hat sich die Situation in den letzten Wochen deutlich verbessert, und es wurden weniger Behinderungen gemeldet (OCHA 15.7.2020).

Einwohner Kabuls und eine Reihe von Ärzten stellten am 18.7.2020 die Art und Weise in Frage, wie das afghanische Gesundheitsministerium (MoPH) mit der Ausbreitung der COVID-19-Pandemie im Land umgegangen ist, und sagten, das Gesundheitsministerium habe es trotz massiver internationaler Gelder versäumt, richtig auf die Pandemie zu reagieren (TN 18.7.2020). Es gibt Berichte wonach die Bürger angeben, dass sie ihr Vertrauen in öffentliche Krankenhäuser verloren haben und niemand mehr in öffentliche Krankenhäuser geht, um Tests oder Behandlungen durchzuführen (TN 12.7.2020).

Beamte des afghanischen Gesundheitsministeriums erklärten, dass die Zahl der aktiven Fälle von COVID-19 in den Städten zurückgegangen ist, die Pandemie in den Dörfern und in den abgelegenen Regionen des Landes jedoch zunimmt. Der Gesundheitsminister gab an, dass 500 Beatmungsgeräte aus Deutschland angekauft wurden und 106 davon in den Provinzen verteilt werden würden (TN 18.7.2020).

Am Samstag den 18.7.2020 kündete die afghanische Regierung den Start des Dastarkhan-e-Milli-Programms als Teil ihrer Bemühungen an, Haushalten inmitten der COVID-19-Pandemie zu helfen, die sich in wirtschaftlicher Not befinden. Auf der Grundlage des Programms will die Regierung in der ersten Phase 86 Millionen Dollar und dann in der zweiten Phase 158 Millionen Dollar bereitstellen, um Menschen im ganzen Land mit Nahrungsmitteln zu versorgen. Die erste Phase soll über 1,7 Millionen Familien in 13.000 Dörfern in 34 Provinzen des Landes abdecken (TN 18.7.2020; vgl. Mangalorean 19.7.2020).

Die Weltbank genehmigte am 15.7.2020 einen Zuschuss in Höhe von 200 Millionen US-Dollar, um Afghanistan dabei zu unterstützen, die Auswirkungen von COVID-19 zu mildern und gefährdeten Menschen und Unternehmen Hilfe zu leisten (WB 10.7.2020; vgl. AN 10.7.2020).

Auszugsweise Lage in den Provinzen Afghanistans

Dieselben Maßnahmen – nämlich Einschränkungen und Begrenzungen der täglichen Aktivitäten, des Geschäftslebens und des gesellschaftlichen Lebens – werden in allen folgend angeführten Provinzen durchgeführt. Die Regierung hat eine Reihe verbindlicher gesundheitlicher und sozialer Distanzierungsmaßnahmen eingeführt, wie z.B. das obligatorische Tragen von Gesichtsmasken an öffentlichen Orten, das Einhalten eines Sicherheitsabstandes von zwei Metern in der Öffentlichkeit und ein Verbot von Versammlungen mit mehr als zehn Personen. Öffentliche und touristische Plätze, Parks, Sportanlagen, Schulen, Universitäten und Bildungseinrichtungen sind geschlossen; die Dienstzeiten im privaten und öffentlichen Sektor sind auf 6 Stunden pro Tag beschränkt und die Beschäftigten werden in zwei ungerade und gerade Tagesschichten eingeteilt (RA KBL 16.7.2020; vgl. OCHA 8.7.2020).

Die meisten Hotels, Teehäuser und ähnliche Orte sind aufgrund der COVID-19 Maßnahmen geschlossen, es sei denn, sie wurden geheim und unbemerkt von staatlichen Stellen geöffnet (RA KBL 16.7.2020; vgl. OCHA 8.7.2020).

In der Provinz Kabul gibt es zwei öffentliche Krankenhäuser die COVID-19 Patienten behandeln mit 200 bzw. 100 Betten. Aufgrund der hohen Anzahl von COVID-19-Fällen im Land und der unzureichenden Kapazität der öffentlichen Krankenhäuser hat die Regierung kürzlich auch privaten Krankenhäusern die Behandlung von COVID-19-Patienten gestattet. Kabul sieht sich aufgrund von Regen- und Schneemangel, einer boomenden Bevölkerung und verschwenderischem Wasserverbrauch mit Wasserknappheit konfrontiert. Außerdem leben immer noch rund 12 Prozent der Menschen in Kabul unter der Armutsgrenze, was bedeutet, dass oftmals ein erschwerter Zugang zu Wasser besteht (RA KBL 16.7.2020; WHO o.D).

In der Provinz Balkh gibt es ein Krankenhaus, welches COVID-19 Patienten behandelt und über 200 Betten verfügt. Es gibt Berichte, dass die Bewohner einiger Distrikte der Provinz mit Wasserknappheit zu kämpfen hatten. Darüber hinaus hatten die Menschen in einigen Distrikten Schwierigkeiten mit dem Zugang zu ausreichender Nahrung, insbesondere im Zuge der COVID-19-Pandemie (RA KBL 16.7.2020).

In der Provinz Herat gibt es zwei Krankenhäuser die COVID-19 Patienten behandeln. Ein staatliches öffentliches Krankenhaus mit 100 Betten, das vor kurzem speziell für COVID-19-Patienten gebaut wurde (RA KBL 16.7.2020; vgl. TN 19.3.2020) und ein Krankenhaus mit 300 Betten, das von einem örtlichen Geschäftsmann in einem umgebauten Hotel zur Behandlung von COVID-19-Patienten eingerichtet wurde (RA KBL 16.7.2020; vgl. TN 4.5.2020). Es gibt Berichte, dass 47,6 Prozent der Menschen in Herat unter der Armutsgrenze leben, was bedeutet, dass oft ein erschwerter Zugang zu sauberem Trinkwasser und Nahrung haben, insbesondere im Zuge der Quarantäne aufgrund von COVID-19, durch die die meisten Tagelöhner arbeitslos blieben (RA KBL 16.7.2020; vgl. UNICEF 19.4.2020).

In der Provinz Daikundi gibt es ein Krankenhaus für COVID-19-Patienten mit 50 Betten. Es gibt jedoch keine Auswertungsmöglichkeiten für COVID-19-Tests – es werden Proben entnommen und zur Laboruntersuchung nach Kabul gebracht. Es dauert Tage, bis ihre Ergebnisse von Kabul nach Daikundi gebracht werden. Es gibt Berichte, dass 90 Prozent der Menschen in Daikundi unter der Armutsgrenze leben und dass etwa 60 Prozent der Menschen in der Provinz stark von Ernährungsunsicherheit betroffen sind (RA KBL 16.7.2020).

In der Provinz Samangan gibt es ebenso ein Krankenhaus für COVID-19-Patienten mit 50 Betten. Wie auch in der Provinz Daikundi müssen Proben nach Kabul zur Testung geschickt werden. Eine unzureichende Wasserversorgung ist eine der größten Herausforderungen für die Bevölkerung. Nur 20 Prozent der Haushalte haben Zugang zu sauberem Trinkwasser (RA KBL 16.7.2020).

Wirtschaftliche Lage in Afghanistan

Verschiedene COVID-19-Modelle zeigen, dass der Höhepunkt des COVID-19-Ausbruchs in Afghanistan zwischen Ende Juli und Anfang August erwartet wird, was schwerwiegende Auswirkungen auf die Wirtschaft Afghanistans und das Wohlergehen der Bevölkerung haben wird (OCHA 16.7.2020). Es herrscht weiterhin Besorgnis seitens humanitärer Helfer, über die Auswirkungen ausgedehnter Sperrmaßnahmen auf die am stärksten gefährdeten Menschen – insbesondere auf Menschen mit Behinderungen und Familien – die auf Gelegenheitsarbeit angewiesen sind und denen alternative Einkommensquellen fehlen (OCHA 15.7.2020). Der Marktbeobachtung des World Food Programme (WFP) zufolge ist der durchschnittliche Weizenmehlpreis zwischen dem 14. März und dem 15. Juli um 12 Prozent gestiegen, während die Kosten für Hülsenfrüchte, Zucker, Speiseöl und Reis (minderwertige Qualität) im gleichen Zeitraum um 20 – 31 Prozent gestiegen sind (WFP 15.7.2020, OCHA 15.7.2020). Einem Bericht der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der UNO (FAO) und des Ministeriums für Landwirtschaft, Bewässerung und Viehzucht (MAIL) zufolge sind über 20 Prozent der befragten Bauern nicht in der Lage, ihre nächste Ernte anzubauen, wobei der fehlende Zugang zu landwirtschaftlichen Betriebsmitteln und die COVID-19-Beschränkungen als Schlüsselfaktoren genannt werden. Darüber hinaus sind die meisten Weizen-, Obst-, Gemüse- und Milchverarbeitungsbetriebe derzeit nur teilweise oder gar nicht ausgelastet, wobei die COVID-19-Beschränkungen als ein Hauptgrund für die Reduzierung der Betriebe genannt werden. Die große Mehrheit der Händler berichtete von gestiegenen Preisen für Weizen, frische Lebensmittel, Schafe/Ziegen, Rinder und Transport im Vergleich zur gleichen Zeit des Vorjahres. Frischwarenhändler auf Provinz- und nationaler Ebene sahen sich im Vergleich zu Händlern auf Distriktebene mit mehr Einschränkungen konfrontiert, während die große Mehrheit der Händler laut dem Bericht von teilweisen Marktschließungen aufgrund von COVID-19 berichtete (FAO 16.4.2020; vgl. OCHA 16.7.2020; vgl. WB 10.7.2020).

Am 19.7.2020 erfolgte die erste Lieferung afghanischer Waren in zwei Lastwagen nach Indien, nachdem Pakistan die Wiederaufnahme afghanischer Exporte nach Indien angekündigt hatte um den Transithandel zu erleichtern. Am 12.7.2020 öffnete Pakistan auch die Grenzübergänge Angor Ada und Dand-e-Patan in den Provinzen Paktia und Paktika für afghanische Waren, fast zwei Wochen nachdem es die Grenzübergänge Spin Boldak, Torkham und Ghulam Khan geöffnet hatte (TN 20.7.2020).

Einreise und Bewegungsfreiheit

Die Türkei hat, nachdem internationale Flüge ab 11.6.2020 wieder nach und nach aufgenommen wurden, am 19.7.2020 wegen der COVID-19-Pandemie Flüge in den Iran und nach Afghanistan bis auf weiteres ausgesetzt, wie das Ministerium für Verkehr und Infrastruktur mitteilte (TN 20.7.2020; vgl. AnA 19.7.2020, DS 19.7.2020).

Bestimmte öffentliche Verkehrsmittel wie Busse, die mehr als vier Passagiere befördern, dürfen nicht verkehren. Obwohl sich die Regierung nicht dazu geäußert hat, die Reisebeschränkungen für die Bürger aufzuheben, um die Ausbreitung von COVID-19 zu verhindern, hat sich der Verkehr in den Städten wieder normalisiert, und Restaurants und Parks sind wieder geöffnet (TN 12.7.2020).

1.2.    Stand 29.06.2020 – Gesellschaftliche Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19 Auswirkungen

In Kabul, hat sich aus der COVID-19-Krise heraus ein "Solidaritätsprogramm" entwickelt, welches später in anderen Provinzen repliziert wurde. Eine afghanische Tageszeitung rief Hausbesitzer dazu auf, jenen ihrer Mieter/innen, die Miete zu reduzieren oder zu erlassen, die aufgrund der Ausgangsbeschränkungen nicht arbeiten konnten. Viele Hausbesitzer folgten dem Aufruf (AF 24.6.2020).

Bei der Spendenaktion „Kocha Ba Kocha“ kamen junge Freiwillige zusammen, um auf die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie zu reagieren, indem sie Spenden für bedürftige Familien sammelten und ihnen kostenlos Nahrungsmittel zur Verfügung stellten. In einem weiteren Fall startete eine Privatbank eine Spendenkampagne, durch die 10.000 Haushalte in Kabul und andere Provinzen monatlich mit Lebensmitteln versorgt wurden. Außerdem initiierte die afghanische Regierung das sogenannte „kostenlose Brot“-Programm; bei dem bedürftige Familien – ausgewählt durch Gemeindeälteste – rund einen Monat lang mit kostenlosem Brot versorgt werden (AF 24.6.2020). In dem mehrphasigen Projekt, erhält täglich jede Person innerhalb einer Familie zwei Stück des traditionellen Brots, von einer Bäckerei in der Nähe ihres Wohnortes (TN 15.6.2020). Die Regierung kündigte kürzlich an, das Programm um einen weiteren Monat zu verlängern (AF 24.6.2020; vgl. TN 15.6.2020). Beispielsweise beklagten sich bedürftige Familien in der Provinz Jawzjan über Korruption im Rahmen dieses Projektes (TN 20.5.2020).

Weitere Maßnahmen der afghanischen Regierung

Schulen und Universitäten sind nach aktuellem Stand bis September 2020 geschlossen (AJ 8.6.2020; vgl. RA KBL 19.6.2020). Über Fernlernprogramme, via Internet, Radio und Fernsehen soll der traditionelle Unterricht im Klassenzimmer vorerst weiterhin ersetzen werden (AJ 8.6.2020). Fernlehre funktioniert jedoch nur bei wenigen Studierenden. Zum Einen können sich viele Familien weder Internet noch die dafür benötigten Geräte leisten und zum Anderem schränkt eine hohe Analphabetenzahl unter den Eltern in Afghanistan diese dabei ein, ihren Kindern beim Lernen behilflich sein zu können (HRW 18.6.2020).

Die großen Reisebeschränkungen wurden mittlerweile aufgehoben; die Bevölkerung kann nun in alle Provinzen reisen (RA KBL 19.6.2020). Afghanistan hat mit 24.6.2020 den internationalen Flugverkehr mit einem Turkish Airlines-Flug von Kabul nach Istanbul wiederaufgenommen; wobei der Flugplan aufgrund von Restriktionen auf vier Flüge pro Woche beschränkt wird (AnA 24.6.2020). Emirates, eine staatliche Fluglinie der Vereinigten Arabischen Emirate, hat mit 25.6.2020 Flüge zwischen Afghanistan und Dubai wiederaufgenommen (AnA 24.6.2020; vgl. GN 9.6.2020). Zwei afghanische Fluggesellschaften Ariana Airlines und der lokale private Betreiber Kam Air haben ebenso Flüge ins Ausland wiederaufgenommen (AnA 24.6.2020). Bei Reisen mit dem Flugzeug sind grundlegende COVID-19-Schutzmaßnahmen erforderlich (RA KBL 19.6.2020). Wird hingegen die Reise mit dem Auto angetreten, so sind keine weiteren Maßnahmen erforderlich. Zwischen den Städten Afghanistans verkehren Busse. Grundlegende Schutzmaßnahmen nach COVID-19 werden von der Regierung zwar empfohlen – manchmal werden diese nicht vollständig umgesetzt (RA KBL 19.6.2020).

Seit 1.1.2020 beträgt die Anzahl zurückgekehrter Personen aus dem Iran und Pakistan: 339.742; 337.871 Personen aus dem Iran (247.082 spontane Rückkehrer/innen und 90.789 wurden abgeschoben) und 1.871 Personen aus Pakistan (1.805 spontane Rückkehrer/innen und 66 Personen wurden abgeschoben) (UNHCR 20.6.2020).

Situation in der Grenzregion und Rückkehr aus Pakistan

Die Grenze zu Pakistan war fast drei Monate lang aufgrund der COVID-19-Pandemie gesperrt. Mit 22.6.2020 erhielt Pakistan an drei Grenzübergängen erste Exporte aus Afghanistan: frisches Obst und Gemüse wurde über die Grenzübergänge Torkham, Chaman und Ghulam Khan nach Pakistan exportiert. Im Hinblick auf COVID-19 wurden Standardarbeitsanweisungen (SOPs – standard operating procedures) für den grenzüberschreitenden Handel angewandt (XI 23.6.2020). Der bilaterale Handel soll an sechs Tagen der Woche betrieben werden, während an Samstagen diese Grenzübergänge für Fußgänger reserviert sind (XI 23.6.2020; vgl. UNHCR 20.6.2020); in der Praxis wurde der Fußgängerverkehr jedoch häufiger zugelassen (UNHCR 20.6.2020).

Pakistanischen Behörden zufolge waren die zwei Grenzübergänge Torkham und Chaman auf Ansuchen Afghanistans und aus humanitären Gründen bereits früher für den Transithandel sowie Exporte nach Afghanistan geöffnet worden (XI 23.6.2020).

Situation in der Grenzregion und Rückkehr aus dem Iran

Die Anzahl aus dem Iran abgeschobener Afghanen ist im Vergleich zum Monat Mai stark gestiegen. Berichten zufolge haben die Lockerungen der Mobilitätsmaßnahmen dazu geführt, dass viele Afghanen mithilfe von Schmugglern in den Iran ausreisen. UNHCR zufolge, gaben Interviewpartner/innen an, kürzlich in den Iran eingereist zu sein, aber von der Polizei verhaftet und sofort nach Afghanistan abgeschoben worden zu sein (UNHCR 20.6.2020).

1.3.    COVID- Krise, Stand 18.05.2020

In 30 der 34 Provinzen Afghanistans wurden mittlerweile COVID-19-Fälle registriert (NYT 22.4.2020). Nachbarländer von Afghanistan, wie China, Iran und Pakistan, zählen zu jenen Ländern, die von COVID-19 besonders betroffen waren bzw. nach wie vor sind. Dennoch ist die Anzahl, der mit COVID-19 infizierten Personen relativ niedrig (AnA 21.4.2020). COVID-19 Verdachtsfälle können in Afghanistan aufgrund von Kapazitätsproblem bei Tests nicht überprüft werden – was von afghanischer Seite bestätigt wird (DW 22.4.2020; vgl. QA 16.4.2020; NYT 22.4.2020; ARZ KBL 7.5.2020). Auch wird die Dunkelziffer von afghanischen Beamten höher geschätzt (WP 20.4.2020). In Afghanistan können derzeit täglich 500 bis 700 Personen getestet werden. Diese Kapazitäten sollen in den kommenden Wochen auf 2.000 Personen täglich erhöht werden (WP 20.4.2020). Die Regierung bemüht sich noch weitere Testkits zu besorgen – was Angesicht der derzeitigen Nachfrage weltweit, eine Herausforderung ist (DW 22.4.2020).

Landesweit können – mit Hilfe der Vereinten Nationen – in acht Einrichtungen COVID-19-Testungen durchgeführt werden (WP 20.4.2020). Auch haben begrenzte Laborkapazitäten und -ausrüstung einige Einrichtungen dazu gezwungen Testungen vorübergehend einzustellen (WP 20.4.2020). Unter anderem können COVID-19-Verdachtsfälle in Einrichtungen folgender Provinzen überprüft werden: Kabul, Herat, Nangarhar (TN 30.3.2020) und Kandahar. COVID-19 Proben aus angrenzenden Provinzen wie Helmand, Uruzgan und Zabul werden ebenso an die Einrichtung in Kandahar übermittelt (TN 7.4.2020a).

Jahrzehntelange Konflikte in Afghanistan machen das Land anfällig für den Ausbruch von Krankheiten: nach wie vor ist Polio dort endemisch (als eines von drei Ländern weltweit) (WP 20.4.2020) außerdem ist das Gesundheitssystem fragil (AnA 21.4.2020; vgl. QA 16.4.2020; ARZ KBL 7.5.2020). Beispielsweise mangelt es an adäquaten Medikamenten für Patient/innen, die an COVID-19 erkrankt sind. Jedoch sind die wenigen Medikamente, die hierfür zur Verfügung stehen, kostenfrei (ARZ KBL 7.5.2020). Der landesweite Mangel an COVID-19-Testkits sowie an Isolations- und Behandlungseinrichtungen verdeutlichen diese Herausforderung (AnA 21.4.2020; vgl. ARZ KBL 7.5.2020). Landesweit stehen 10.400 Krankenhausbetten (BBC 9.4.2020) und 300 Beatmungsgeräte zur Verfügung (TN 8.4.2020; vgl. DW 22.4.2020; QA 16.4.2020). 300 weitere Beatmungsgeräte plant die afghanische Regierung zu besorgen. Weiters mangelt es an geschultem Personal, um diese medizinischen Geräte in Afghanistan zu bedienen und zu warten (DW 22.4.2020; vgl. ARZ KBL 7.5.2020). Engpässe bestehen bei den PPE (personal protective equipment), persönlichen Schutzausrüstungen für medizinisches Personal; außerdem wird mehr fachliches Personal benötigt, um Patient/innen auf den Intensivstationen zu betreuen (ARZ KBL 7.5.2020).

Aufgrund der Nähe zum Iran gilt die Stadt Herat als der COVID-19-Hotspot Afghanistans (DW 22.4.2020; vgl. NYT 22.4.2020); dort wurde nämlich die höchste Anzahl bestätigter COVID-19-Fälle registriert (TN 7.4.2020b; vgl. DW 22.4.2020). Auch hat sich dort die Anzahl positiver Fälle unter dem Gesundheitspersonal verstärkt. Mitarbeiter/innen des Gesundheitswesens berichten von fehlender Schutzausrüstung – die Provinzdirektion bestätigte dies und erklärtes mit langwierigen Beschaffungsprozessen (TN 7.4.2020b). Betten, Schutzausrüstungen, Beatmungsgeräte und Medikamente wurden bereits bestellt – jedoch ist unklar, wann die Krankenhäuser diese Dinge tatsächlich erhalten werden (NYT 22.4.2020). Die Provinz Herat verfügt über drei Gesundheitseinrichtungen für COVID-19-Patient/innen. Zwei davon wurden erst vor kurzem errichtet; diese sind für Patient/innen mit leichten Symptomen bzw. Verdachtsfällen des COVID-19 bestimmt. Patient/innen mit schweren Symptomen hingegen, werden in das Regionalkrankenhaus von Herat, welches einige Kilometer vom Zentrum der Provinz entfernt liegt, eingeliefert (TN 7.4.2020b). In Hokerat wird die Anzahl der Beatmungsgeräte auf nur 10 bis 12 Stück geschätzt (BBC 9.4.2020; vgl. TN 8.4.2020).

Beispiele für Maßnahmen der afghanischen Regierung

Eine Reihe afghanischer Städte wurde abgesperrt (WP 20.4.2020), wie z.B. Kabul, Herat und Kandahar (TG 1.4.2020a). Zusätzlich wurde der öffentliche und kommerzielle Verkehr zwischen den Provinzen gestoppt (WP 20.4.2020). Beispielsweise dürfen sich in der Stadt Kabul nur noch medizinisches Personal, Bäcker, Journalist/innen, (Nahrungsmittel)Verkäufer/innen und Beschäftigte im Telekommunikationsbereich bewegen. Der Kabuler Bürgermeister warnte vor "harten Maßnahmen" der Regierung, die ergriffen werden, sollten sich die Einwohner/innen in Kabul nicht an die Anordnungen halten, unnötige Bewegungen innerhalb der Stadt zu stoppen. Die Sicherheitskräfte sind beauftragt zu handeln, um die Beschränkung umzusetzen (TN 9.4.2020a).

Mehr als die Hälfte der afghanischen Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze (WP 22.4.2020): Aufgrund der Maßnahmen sorgen sich zehntausende Tagelöhner in Kabul und Herat um ihre Existenz. UNICEF zufolge, arbeiten allein in Kabul mindestens 60.000 Kinder, um das Familieneinkommen zu ersetzen (TG 1.4.2020). Offiziellen Schätzungen zufolge können z.B. in Herat-Stadt 150.000 Tagelöhner aufgrund des Lockdowns nicht arbeiten und haben somit kein Einkommen. Weil es in Herat an Ressourcen mangelt, um Hunderttausende zu ernähren, nimmt die Bevölkerung die Bedrohung durch das Virus nicht ernst. Zwar hat die Bevölkerung anfangs großzügig gespendet, aber auch diese Spenden werden weniger, nachdem die langfristigen wirtschaftlichen Auswirkungen auf Unternehmen sichtbar werden (NYT 22.4.2020).

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und die International Organization for Migration (IOM) unterstützen das afghanische Ministerium für öffentliche Gesundheit (MOPH) (WHO MIT 10.5.2020; vgl. IOM 11.5.2020); die WHO übt eine beratende Funktion aus und unterstützt die afghanische Regierung in vier unterschiedlichen Bereichen während der COVID-19-Krise (WHO MIT 10.5.2020): 1. Koordination; 2. Kommunikation innerhalb der Gemeinschaften 3. Monitoring (durch eigens dafür eingerichtete Einheiten – speziell was die Situation von Rückkehrer/innen an den Grenzübergängen und deren weitere Bewegungen betrifft) und 4. Kontrollen an Einreisepunkten – an den 4 internationalen Flughäfen sowie 13 Grenzübergängen werden medizinische Kontroll- und Überwachungsaktivitäten durchgeführt (WHO MIT 10.5.2020; vgl. IOM 11.5.2020).

Taliban und COVID-19

Ein Talibansprecher verlautbarte, dass die Taliban den Konflikt pausieren könnten, um Gesundheitsbehörden zu erlauben, in einem von ihnen kontrollierten Gebiet zu arbeiten, wenn COVID-19 dort ausbrechen sollte (TN 2.4.2020; vgl. TD 2.4.2020). In der nördlichen Provinz Kunduz, hätten die Taliban eine Gesundheitskommision gegründet, die direkt in den Gemeinden das öffentliche Bewusstsein hinsichtlich des Virus stärkt. Auch sollen Quarantänezentren eingerichtet worden sein, in denen COVID-19-Verdachtsfälle untergebracht wurden. Die Taliban hätten sowohl Schutzhandschuhe, als auch Masken und Broschüren verteilt; auch würden sie jene, die aus anderen Gebieten kommen, auf COVID-19 testen (TD 2.4.2020). Auch in anderen Gebieten des Landes, wie in Baghlan, wird die Bevölkerung im Rahmen einer Informationsveranstaltung in der Moschee über COVID-19 informiert. Wie in der Provinz Kunduz, versorgen die Taliban die Menschen mit (Schutz)material, helfen Entwicklungshelfern dabei zu jenen zu gelangen, die in Taliban kontrollierten Gebieten leben und bieten sichere Wege zu Hilfsorganisationen, an (UD 13.3.2020).

Der Umgang der Taliban mit der jetzigen Ausnahmesituation wirft ein Schlaglicht auf den Modus Operandi der Truppe. Um sich die Afghanen in den von ihnen kontrollierten Gebieten gewogen zu halten, setzen die Taliban auf Volksnähe. Durch die Präsenz vor Ort machten die Islamisten das Manko wett, dass sie kein Geld hätten, um COVID-19 medizinisch viel entgegenzusetzen: Die Taliban können Prävention betreiben, behandeln können sie Erkrankte nicht (NZZ 7.4.2020).

Aktuelle Informationen zu Rückkehrprojekten

IOM Österreich unterstützt auch derzeit Rückkehrer/innen im Rahmen der freiwilligen Rückkehr. Aufgrund des stark reduzierten Flugbetriebs ist die Rückkehr seit April 2020 nur in sehr wenige Länder tatsächlich möglich. Neben der Reiseorganisation bietet IOM Österreich dabei, wie bekannt, Unterstützung bei der Ausreise am Flughafen Wien Schwechat an (IOM AUT 18.5.2020).

IOM Österreich bietet derzeit, aufgrund der COVID-19-Lage, folgende Aktivitäten an:

?        Qualitätssicherung in der Rückkehrberatung (Erarbeitung von Leitfäden und Trainings)

?        Unterstützung bei der freiwilligen Rückkehr und Reintegration im Rahmen der vorhandenen Möglichkeiten (Virtuelle Beratung, Austausch mit Rückkehrberatungseinrichtungen und Behörden, Monitoring der Reisemöglichkeiten) (IOM AUT 18.5.2020).

Das Projekt RESTART III – Unterstützung des österreichischen Rückkehrsystems und der Reintegration freiwilliger Rückkehrer/innen in Afghanistan“ wird bereits umgesetzt. Derzeit arbeiten die österreichischen IOM-Mitarbeiter/innen vorwiegend an der ersten Komponente (Unterstützung des österreichischen Rückkehrsystems) und erarbeiten Leitfäden und Trainingsinhalte. Die Unterstützung der freiwilligen Rückkehr nach Afghanistan ist derzeit aufgrund fehlender Flugverbindungen nicht möglich. IOM beobachtet die Situation und steht diesbezüglich in engem Austausch mit den zuständigen Rückkehrberatungseinrichtungen und den österreichischen Behörden (IOM AUT 18.5.2020)

Mit Stand 18.5.2020, sind im laufenden Jahr bereits 19 Projektteilnehmer/innen nach Afghanistan zurückgekehrt. Mit ihnen, als auch mit potenziellen Projektteilnehmer/innen, welche sich noch in Österreich befinden, steht IOM Österreich in Kontakt und bietet Beratung/Information über virtuelle Kommunikationswege an (IOM AUT 18.5.2020).

Informationen von IOM Kabul zufolge, sind IOM-Rückkehrprojekte mit Stand 13.5.2020 auch weiterhin in Afghanistan operativ (IOM KBL 13.5.2020).

2. Sicherheitslage

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil (UNGASC 17.3.2019). Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die wichtigsten Bevölkerungszentren und Transitrouten sowie Provinzhauptstädte und die meisten Distriktzentren. Nichtsdestotrotz, hat die afghanische Regierung wichtige Transitrouten verloren (USDOD 12.2019).

Der Konflikt in Afghanistan befindet sich nach wie vor in einer "strategischen Pattsituation", die nur durch Verhandlungen zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban gelöst werden kann (SIGAR 30.1.2020). Die afghanische Regierung führte zum ersten Mal persönliche Gespräche mit den Taliban, inhaltlich wurde über den Austausch tausender Gefangener verhandelt; bis dahin hatten die beiden Seiten sich nur per Videokonferenz unterhalten (BBC 1.4.2020). Ein erster Schritt Richtung inner-afghanischer Verhandlungen, welcher Teil eines zwischen Taliban und US-Amerikanern unterzeichneten Abkommens ist (TD 2.4.2020). Die Gespräche fanden vor dem Hintergrund anhaltender Gewalt im Land statt (BBC 1.4.2020).

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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