Entscheidungsdatum
29.10.2020Norm
AsylG 2005 §10 Abs2Spruch
W153 2236319-1/6E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Christoph KOROSEC als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. VR China, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 28.09.2020, Zl. 1269090608-200917705, zu Recht erkannt:
A) Die Beschwerde wird abgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
Der Beschwerdeführer (BF), ein Staatsangehöriger der VR China, wurde am 25.09.2020 von der Polizei fremdenrechtlich kontrolliert. Er konnte dabei kein Reisedokument bzw. keinen gültigen Aufenthaltstitel vorlegen und wurde aufgrund seines unrechtmäßigen Aufenthaltes im Bundesgebiet festgenommen.
Bei seiner Einvernahme durch die Polizei gab der BF an, dass er Ende Oktober 2019 mit dem Flugzeug von Peking über die Ukraine nach Wien gereist sei. Seit diesem Zeitpunkt habe er in Wien gelebt und in verschiedenen chinesischen Restaurants gearbeitet. Er sei in Österreich, um zu arbeiten und Geld zu verdienen. Der Reisepass sei ihm von einem Chinesen in Wien abgenommen worden. Er habe weder in der EU noch in Österreich Angehörige und verfüge in etwa an die € 60.- an Barmittel.
Im Zuge der Überprüfung der Identität wurde eruiert, dass dem BF am 24.09.2019 ein Visum Typ C (gültig von 26.10.2019 bis 09.11.2019) mit der Nr. XXXX ausgestellt wurde und er dieses von der Schweizer Botschaft in Peking, erhalten habe. Nach Ablauf des Visums war der BF offensichtlich nie mehr im Besitz eines gültigen Aufenthaltstitels für den Schengenraum.
Am 26.09.2020 wurde über den BF die Schubhaft verhängt.
Am 28.09.2020 wurde der BF vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) einvernommen. Bezüglich der Einreise nach Österreich wiederholte er das bereits Vorgebrachte. Er sei schlepperunterstützt gereist und dafür habe er zwischen € 5.000.- und € 6.000.- in bar bezahlt. Die Schlepper hätten auch das Visum besorgt. Er sei nach Österreich gereist, um hier zu arbeiten, da er in China arbeitslos gewesen sei. Durchschnittlich arbeite er in Österreich 10 Stunden pro Tag als Tellerwäscher und erhalte dafür ca. € 30.- pro Tag. In China leben noch seine Mutter, seine Frau und sein Sohn. Der BF habe in China keine Verfolgung zu befürchten. Er wolle aber nicht dorthin zurück. In Österreich hat er weder private, berufliche oder sonstige Bindungen.
Mit Bescheid des BFA vom 28.09.2020 wurde gegen den BF ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt I.). Gemäß § 10 Abs. 2 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 FPG erlassen (Spruchpunkt II.). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach China zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 6 FPG wurde gegen ihn ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen. (Spruchpunkt IV.). Gemäß § 55 Abs. 4 FPG wurde dem BF eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht gewährt (Spruchpunkt V.) und gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung der Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung aberkannt (Spruchpunkt VI.).
Gegen den Bescheid wurde am 20.10.2020 fristgerecht Beschwerde erhoben. Es wurde mitgeteilt, dass der BF am 28.09.2020 einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt habe. Daher sei die Erlassung einer Rückkehrentscheidung unzulässig und hätte bereits zum Zeitpunkt der Asylantragstellung durch die belangte Behörde von Amts wegen behoben werden müssen.
Die Beschwerde ist am 23.10.2020 beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt.
Auf Nachfrage hat das BFA am 27.10.2020 mitgeteilt, dass der BF bis zum 24.10.2020 keinen Asylantrag gestellt habe.
Mit Beschwerdeergänzung vom 27.10.2020 wurde mitgeteilt, dass sich in der Schubhaftverhandlung vom 27.10.2020 herausgestellt habe, dass seitens des BF am 28.09.2020 doch keine Antragstellung auf internationalen Schutz erfolgt sei. Die Erlassung des Einreiseverbotes in der Höhe von 2 Jahren erweise sich angesichts der Einsicht des BF hinsichtlich seines Fehlverhaltens (unrechtmäßiger Aufenthalt, Verletzung der Meldeverpflichtung) sowie der Unbescholtenheit jedenfalls als unverhältnismäßig hoch.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der BF ist Staatsangehöriger der Volksrepublik China und wurde in Puyan in der Provinz Henan geboren. Er ist in China verheiratet. Im Oktober 2019 reiste er schlepperunterstützt von China nach Wien.
Der BF kam nach Österreich, um zu arbeiten und Geld zu verdienen. Er hält sich nunmehr illegal in Österreich auf und arbeitete illegal in verschiedenen chinesischen Restaurants.
Im Zuge einer fremdenrechtlichen Kontrolle wurde der BF am 25.09.2020 ohne Reisedokument sowie ohne Aufenthaltsberechtigung im Bundesgebiet betreten.
Die Identität des BF steht zwar zweifelsfrei fest. Es steht fest, dass dem BF am 24.09.2019 ein Visum Typ C (gültig von 26.10.2019 bis 09.11.2019) von der Schweizer Botschaft in Peking ausgestellt wurde. Nach Ablauf des Visums war der BF jedoch nie mehr im Besitz eines gültigen Aufenthaltstitels für den Schengenraum. Reisedokumente konnte der BF nicht vorweisen.
Der BF ist mittellos und hat keinen festen Wohnsitz in Österreich. Er weigert sich freiwillig nach China zurückzureisen. Besondere familiäre oder private Bindungen des BF bestehen im österreichischen Bundesgebiet nicht. Weder in der EU noch in Österreich leben Angehörige des BF. Der BF hat bis zu seiner Ausreise in China gelebt. Dort halten sich seine Gattin, sein Sohn und seine Mutter auf, mit denen er zuletzt in China zusammengelebt hat.
Der BF befindet sich in Schubhaft. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 27.10.2020, Zl. G312 2236266-1, wurde hinsichtlich des BF festgestellt, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen zum Zeitpunkt der Entscheidung vorliegen, wobei dies im Ergebnis mit Fluchtgefahr begründet wurde.
Beim BF liegen gegenwärtig keine schweren Erkrankungen vor. Im Hinblick auf die derzeit bestehende Pandemie, aufgrund des Corona-Virus, wird festgestellt, dass der BF nicht unter die Risikogruppe der Personen über 65 Jahren und der Personen mit Vorerkrankungen fällt.
Besondere, in der Person des BF gelegene Gründe, die für die reale Gefahr bei einer Rückkehr nach China sprechen, liegen daher nicht vor.
Hinweise auf das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen für einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen kamen nicht hervor.
Zur Lage im Herkunftsstaat:
Hinsichtlich der Situation in China hat sich seit den Länderfeststellungen im Bescheid (28.09.2020) nichts Wesentliches geändert.
Im Folgenden werden die wesentlichen Feststellungen aus dem vom Bundesverwaltungsgericht herangezogenen Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 04.06.2020 gekürzt wiedergegeben:
Politische Lage
Die Volksrepublik China ist mit geschätzten 1,385 Milliarden Einwohnern (Stand 2020) und einer Fläche von 9.596.960 km² der bevölkerungsreichste Staat der Welt (CIA 20.5.2020).
China ist in 22 Provinzen, fünf Autonome Regionen der nationalen Minderheiten Tibet, Xinjiang, Innere Mongolei, Ningxia und Guangxi, sowie vier regierungsunmittelbare Städte (Peking, Shanghai, Tianjin, Chongqing) und zwei Sonderverwaltungsregionen (Hongkong, Macau) untergliedert (AA 5.3.2020). Hongkong ist seit 1. Juli 1997 eine Sonderverwaltungsregion (SVR) der Volksrepublik China. Die SVR untersteht gemäß Artikel 31 der chinesischen Verfassung der Zentralregierung in Peking. Das am 1. Juli 1997 in Kraft getretene Basic Law, Hongkongs „Mini-Verfassung“, räumt der SVR im Rahmen des Prinzips „Ein Land - Zwei Systeme“ einen hohen Grad an Autonomie und eine weitgehende exekutive, legislative und judikative Unabhängigkeit ein. Ausnahmen sind Außen- und Verteidigungspolitik (AA 5.3.2020a). Macau ist nach einem ähnlichen Abkommen seit 20. Dezember 1999 ebenfalls eine Sonderverwaltungsregion (SVR) der Volksrepublik China (AA 5.3.2020b), Die Vereinigung mit Taiwan zur „Wiederherstellung der nationalen territorialen Integrität“ bleibt eines der erklärten Kernziele chinesischer Politik (5.3.2020c).
Gemäß ihrer Verfassung ist die Volksrepublik China ein „sozialistischer Staat unter der demokratischen Diktatur des Volkes, der von der Arbeiterklasse geführt wird und auf dem Bündnis der Arbeiter und Bauern beruht“ (BMBF 2020; vgl. Heilmann 2016). China ist ein autoritärer Staat, in dem die Kommunistische Partei (KP) verfassungsmäßig die höchste Autorität ist. Beinahe alle hohen Positionen in der Regierung sowie im Sicherheitsapparat werden von Mitgliedern der KP gehalten (USDOS 11.3.2020). Zentral für das politische System Chinas ist der Führungsanspruch der Kommunistischen Partei Chinas, der auch in der Verfassung verankert ist. Andere politische Organisationen, Medien, Zivilgesellschaft und religiöse Aktivitäten haben sich den Zielen der Partei unterzuordnen und werden streng reguliert. An der Spitze der Partei steht das Zentralkomitee (ZK). Im ZK sind Organe der Parteizentrale und der Zentralregierung durch ihre jeweiligen Leiter repräsentiert. Das ZK wiederum wählt das Politbüro (25 Mitglieder) und den Ständigen Ausschuss des Politbüros (derzeit sieben Mitglieder). Der Ständige Ausschuss ist das ranghöchste Parteiorgan und gibt die Leitlinien der Politik vor (AA 5.3.2020 vgl. USDOS 11.3.2020, Heilmann 2016). Ministerpräsident Li Keqiang leitet den Staatsrat, die eigentliche Regierung. Er wird von einem „inneren Kabinett“ aus vier Stellvertretenden Ministerpräsidenten und fünf Staatsräten unterstützt. Der Staatsrat fungiert als Exekutive und höchstes Organ der staatlichen Verwaltung (BMBF 2020; vgl. Heilmann 2016).
Der 3.000 Mitglieder zählende Nationale Volkskongress (NVK) wird durch subnationale Kongresse für fünf Jahre gewählt (FH 4.3.2020; vgl. BMBF 2020). Er wählt formell den Staatspräsidenten für fünf Jahre und bestätigt den Premierminister, der vom Präsidenten nominiert wird (FH 4.3.2020; vgl. BMBF 2020) und ist formal das gesetzgebende Organ der VR China. Er tagt als Plenum einmal jährlich und beschließt mit einer Legislaturperiode von fünf Jahren nationale Gesetze (LVAk 9.2019).
Nur der Ständige Ausschuss trifft sich regelmäßig (FH 4.3.2020). Eine parlamentarische Opposition zur KP Chinas gibt es nicht (AA 22.12.2019). Seit dem Massaker von Tiananmen im Jahr 1989, als die Volksbefreiungsarmee (PLA) gewaltsam gegen eine von Studenten geführte pro-demokratische Bewegung vorgegangen ist, hat es keine Versuche gegeben, den politischen Wettbewerb zu erhöhen. Nach dem „Vorfall“, der nach wie vor in China ein Tabuthema ist, wurden die politischen Reformer von der KP-Führung gesäubert (BTI 29.4.2020). Zwar sind acht sogenannte demokratische Parteien offiziell anerkannt, jedoch sind alle der KP Chinas unterstellt (BTI 29.4.2020). Chinas Einparteiensystem unterdrückt die Entwicklung einer organisierten politischen Opposition rigoros. Selbst innerhalb der KPCh hat Xi Jinping seit 2012 seine eigene Macht und Autorität stetig ausgebaut, sowie eine selektive Antikorruptionskampagne geführt, um potenzielle Rivalen auszuschalten (FH 4.3.2020).
Der Nationale Volkskongress, in dem die Armee massiv überrepräsentiert ist (Heilmann 2016), hat mit seiner ersten Sitzung der 13. Legislaturperiode im März 2018 Xi Jinping erneut zum Staatspräsidenten gewählt (BMFA 2020). Xi Jinpings innenpolitische Position wurde gefestigt (BTI 29.4.2020). Er ist Vorsitzender der Zentralen Militärkommission (ZMK) der Kommunistischen Partei Chinas und Oberkommandierender der Streitkräfte). Er hält damit die drei einflussreichsten Positionen (USDOS 11.3.2020).
Durch die Kommunistische Partei Chinas wurde 2019 in jenen von ihr als kritisch eingestuften gesellschaftlichen Bereichen der Einsatz repressiver Maßnahmen intensiviert (HRW 14.1.2020; vgl. BTI 29.4.2020).
Die chinesische Regierung bedient sich regelmäßig kollektiver Erinnerungen, wie den westlichen "Imperialismus" oder den japanischen "Militarismus", um mit Hilfe dieser verbindenden, kollektiven Elemente eine nationale Einheit zu fördern und Zustimmung für ihre politischen Ziele einer nationalen Entwicklung und Größe zu gewinnen. Der von der Administration Xi Jinping konzipierte „Chinesische Traum" stellt dafür ein neues politisches Beispiel dar, mit welchem die Regierung Xi verspricht, dass China den Status einer Weltmacht wiedererlangen werde. Die chinesische Regierung verfolgt gesellschaftliche Stabilität und wirtschaftliche Entwicklung als zwei zentrale Anliegen in ihrer Agenda. Demgegenüber stellt eine Transformation zur Demokratie auf der Grundlage der Herrschaft des Rechts keines der langfristigen strategischen Ziele der Regierung dar. Vielmehr verfolgt die Regierung als bewusste Strategie, einer Bedrohung durch pro-demokratische Tendenzen und Herausforderungen für die politische Hegemonie der Partei entgegenzuwirken (BTI 24.4.2020).
Zu Beginn der Tagung des Volkskongresses im Mai 2020 kündigte die Regierung an, dass trotz der wirtschaftlichen Folgen der Covid-19-Pandemie sowie des Handelskonflikts mit den Vereinigten Staaten der Verteidigungshaushalt im laufenden Jahr abermals deutlich erhöht werden soll. Diese Ankündigung erfolgte vor dem Hintergrund der in den vergangenen Jahren gewachsenen Spannungen zwischen China und mehreren Nachbarstaaten sowie den USA wegen der von Peking erhobenen Gebietsansprüche im Südchinesischen Meer (FAZ 21.5.2020; vgl. WKO 12.5.2020).
Ungeachtet internationaler Proteste hat Chinas Nationaler Volkskongress die Einführung eines Sicherheitsgesetzes für Hongkong gebilligt, mit dem nach Ansicht von Kritikern die Bürgerrechte in der Sonderverwaltungszone massiv beschnitten werden. Zum Abschluss der Jahrestagung beauftragten die Abgeordneten den Ständigen Ausschuss des Parlaments, das Gesetz zum Schutz der nationalen Sicherheit in Chinas Sonderverwaltungsregion zu erlassen (ZO 28.5.2020). Peking reagiert mit dem Sicherheitsgesetz auf die monatelangen, mitunter gewalttätigen Proteste der Hongkonger Demokratiebewegung im vergangenen Jahr. Das Gesetz soll „Abspaltung“, „Subversion“, „Terrorismus“ und die „Gefährdung der nationalen Sicherheit“ unter Strafe stellen und den offenen Einsatz festlandchinesischer Sicherheitsbehörden in Hongkong ermöglichen. Die Pekinger Pläne haben neue Proteste in Hongkong ausgelöst, bei denen es zu gewalttätigen Konfrontationen mit der Polizei kommt (ARTE 28.5.2020).
Sicherheitslage
Seit Dezember 2019 wurden in Wuhan (Hauptstadt der Provinz Hubei) und in weiteren Provinzen zahlreiche Fälle einer unbekannten Lungenkrankheit diagnostiziert. Bei den Erkrankten wurde eine Infektion mit einem neuartigen Coronavirus nachgewiesen (BMEIA 3.6.2020a). Im Zusammenhang mit der Ausbreitung des Coronavirus sind Einschränkungen der Reise- und Bewegungsfreiheit unterschiedlichen Ausmaßes verhängt worden (AA 28.1.2020). Umfangreiche Schutzvorkehrungen in und bezogen auf die Provinz Hubei und Wuhan bleiben in Kraft (AA 3.6.2020).
Aufgrund einer massiven Präsenz von Sicherheitskräften in besonders gefährdeten Regionen ist eine Wahrscheinlichkeit von Terroranschlägen in China generell niedrig (GW 25.2.2020). Dennoch kann es vereinzelt zu Demonstrationen und Zusammenstößen mit den Sicherheitskräften kommen. Auch sind In den letzten Jahren in China Anschläge verübt worden. (EDA 3.6.2020). Die Risiken beschränken sich hauptsächlich auf die Autonome Region Xinjiang. Konflikte und mutmaßliche Diskriminierung und Ungleichbehandlung durch die Han-Mehrheitsbevölkerung, wie auch weit verbreitete „Anti-Halal“ Kampagnen [Anmerkung d. Staatendokumentation: dem Verbot einer Etikettierung von Waren mit den arabischen Schriftzeichen für „Halal“] und die anhaltende harte Linie der lokalen Regierung, können die laufende Problematik der muslimischen Gemeinschaft ethnischer Minderheiten über die uigurischen Minderheiten hinaus noch verschärfen (AA 28.1.2020; vgl. GW 25.2.2020).
Zwar gibt es in China noch keine unversöhnlichen ethnischen, sozialen oder religiösen Spaltungen, soziale Unruhen sind allerdings an der Tagesordnung. Auch wenn die meisten Demonstrationen als Ausdruck der Unzufriedenheit mit der Regierungspolitik personell meist gering ausfallen, betreffen sie dennoch existentiellen Fragen wie Lohnrückstände, dem Abriss von Häusern und der Umsiedlung oder Enteignung (BTI 29.4.2020). Landerwerb ohne volle Einbeziehung der örtlichen Betroffenen stößt zunehmend auf Proteste, insbesondere in Guangdong, Fujian, Zhejiang, Jiangsu, Shandong und Sichuan. Proteste wegen der Modalitäten von Zwangsumsiedlungen wie auch Entschädigungsleistungen sind an der Tagesordnung und die Behörden verfolgen einige der Anführer solcher Proteste strafrechtlich. Die Wahrscheinlichkeit von Protesten, vor allem in Form von Demonstrationen und Blockaden, wird in Bezug auf den Bau größerer Infrastrukturprojekte, dem Bergbau, etc. auch weiterhin hoch eingeschätzt (GW 25.2.2020; vgl. USDOS 11.3.2020, BTI 29.4.2020).
China hat anhand der Vorkommnisse der späten 1980er Jahre gelernt, dass soziale Spannungen zu einer ernsthaften Gefährdung des Systems führen können. Infolgedessen wurde ein engmaschiges Kontroll- und Regulierungssystem (z.B. Social Credit System) sowohl in urbanen Kerngebieten als auch in den peripheren Siedlungsgebieten der Minderheiten aufgebaut (LVAk 9.2019). Die staatliche Kontrolle durch eine massive, sichtbare Polizeipräsenz an strategischen Punkten und wichtigen Orten wird aufrechterhalten (BTI 29.4.2020).
Auf der Tagung des Volkskongresses im Mai 2020 kündigte der Ministerpräsident an, dass auch trotz der wirtschaftlichen Folgen der Covid-19-Pandemie sowie des Handelskonflikts mit den Vereinigten Staaten, der Verteidigungshaushalt im laufenden Jahr abermals deutlich steigen soll. Die Ankündigung erfolgte vor dem Hintergrund der in den vergangenen Jahren gewachsenen Spannungen zwischen China und mehreren Nachbarstaaten sowie die USA wegen der von Peking erhobenen Gebietsansprüche im Südchinesischen Meer (SN 22.5.2020, FAZ 21.5.2020; vgl. WKO 12.5.2020).
…
Korruption
Korruption stellt nach wie vor ein großes Problem im Land dar (USDOS 11.3.2020). China scheint im Korruptionswahrnehmungsindex (Corruption Perceptions Index) von Transparency International (TI) für das Jahr 2019 mit einer Bewertung von 41 (von 100) (0 sehr korrupt, 100 kaum korrupt) auf dem 80. Rang von 180 Staaten (TI 2020) auf. 2018 erreichte China eine Reihung auf dem 87. Rang von 180 Staaten mit 39 Punkten (TI 2019). 2017 wurde China mit 41 Punkten (Rang 77 von 180 Staaten) bewertet (TI 2018). Trotz diverser Anti-Korruptionsmaßnahmen bewirken Korruption und deren Auswirkungen auf die Wirtschaft des Landes nach wie vor deutliche Zeichen von Unzufriedenheit in der Bevölkerung (LVAk 9.2019). Die weitestverbreiteten Formen von Korruption in China sind Bestechung, Veruntreuung öffentlicher Gelder und Günstlingswirtschaft durch Regierungsvertreter. Korruption, politische Einmischung und Vermittlungsleistungen sind beim Erwerb öffentlicher Dienstleistungen und im Umgang mit dem Rechtssystem üblich (DFAT 3.10.2019). Gemäß der Auswertung des Globalen Korruptions-Barometers für China zum Jahre 2017, haben 26 Prozent der Befragten Vermittlungszahlungen geleistet, um Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen, einschließlich Bildung, Leistungen im Gesundheitswesen und der Strafverfolgungsbehörden zu erhalten (TI 2.3.2017). Auch die von der Regierung stark regulierten Bereichen wie Landnutzung, Immobilien, Bergbau und Entwicklung der Infrastruktur sind anfällig für Betrug, Bestechung und Schmiergeldzahlungen (USDOS 11.3.2020).
Bei seinem Amtsantritt startete Präsident Xi eine landesweite Anti-Korruptionskampagne (DFAT 3.10.2019; vgl. FH 4.3.2020). Ziel dieser Kampagne war, hochrangige und niederrangige korrupte Beamte zu fassen. 2013 wurden von den Behörden 172.000 Anti-Korruptionsuntersuchungen durchgeführt, im Jahre 2015 waren es 330.000. 2017 wurden 527.000 Untersuchungen durchgeführt und im im ersten Halbjahr 20178 waren es 302.000 Untersuchungen (DFAT 3.10.2019). Mehr als eine Million Beamte wurden nach offiziellen Angaben bisher überprüft und bestraft (FH 4.3.2020). Bis Mitte 2017 sind durch das behördliche Durchgreifen über 1.800 Beamte dingfest gemacht worden, darunter 182 Beamte auf Ebene der stellvertretenden Provinz- oder stellvertretenden Ministerialebene bzw. darüber. Die erfolgten Untersuchungen führten zu Verhaftungen, Ausschlüssen aus der Partei und der Verurteilung von 1.130 Beamten (darunter 139 hoher Beamter) wegen Korruption (DFAT 30.10.2019). Unter den Gemaßregelten befinden sich hochrangige Staats- und Parteifunktionäre aus dem Sicherheitsapparat, dem Militär, dem Außenministerium, staatlichen Unternehmen und den staatlichen Medien (DFAT 3.10.2019; vgl. FH 4.3.2020).
Obwohl die Beamten mit strafrechtlichen Sanktionen wegen Korruption konfrontiert waren, setzen die Regierung und die KP Chinas das Gesetz nicht konsequent und transparent um (USDOS 11.3.2020), jedoch haben die Anti-Korruptionsbemühungen bei den Beamten eine abschreckende Wirkung erzeugt und die Zurschaustellung demonstrativen Reichtums verringert. Man geht davon aus, dass die Korruption auf allen Regierungsebenen nach wie vor weit verbreitet ist (FH 4.3.2020).
Eine stark auf Parteiloyalität und Verschwiegenheit fokussierte Antikorruptionskampagne kennzeichnet gegenwärtig die innenpolitischen Entwicklungen (AA 22.12.2019).
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Bewegungsfreiheit
Das Gesetz sieht eine innerstaatliche Bewegungsfreiheit, die Möglichkeit von Auslandsreisen und die Möglichkeit einer Rückkehr vor. Doch werden diese Rechte nicht immer durch die Regierung ermöglicht. Die Behörden verschärften die Beschränkungen der Bewegungsfreiheit vor wichtigen Jubiläen, Besuchen ausländischer Würdenträger oder großen politischen Ereignissen, um Demonstrationen vorzubeugen (USDOS 11.3.2020).
Ein Umzug bzw. eine Umregistrierung in einer anderen Region ist (nur) im Rahmen der gesetzlichen Regelungen des Hukousystems (Haushaltsregistrierungssystem) möglich – insbesondere wenn man in einem anderen Ort eine Arbeitsstelle hat und der Arbeitgeber entsprechend die Formalitäten erfüllt. In einigen Orten (z.B. Beijing und Shanghai) gibt es lange (mehrjährige) Wartezeiten für die Umregistrierung des Hukou nach einem Punktesystem, da der Zuzug hier streng geregelt wird (ÖB 28.5.2020).
Durch das Hukou-System wird verhindert, dass rund 290 Millionen Arbeits- und Binnenmigranten in den Städten, in denen sie arbeiten, vollen legalen Status als Einwohner genießen. Durch die Regierung wurde angekündigt, das geltende System schrittweise zu reformieren und die Vorteile des städtischen Wohnsitzes auf 100 Millionen Migranten auf der Grundlage ihrer Ausbildung, ihrer Arbeitserfahrung und ihres Wohnstatus auszuweiten. Doch würde eine Umsetzung dieses Plans immer noch eine große Mehrheit der Migranten ohne gleiche Rechte oder vollen Zugang zu sozialen Diensten wie Bildung für ihre Kinder in den örtlichen Schulen bedeuten. Im April 2019 führte die Nationale Entwicklungs- und Reformkommission eine weitere Stufe dieser Reformen ein, die für Städten mit einer bis drei Millionen Einwohnern vorsieht, alle Beschränkungen für Migranten, die ein lokales Hukou erhalten wollen, abzuschaffen, von Städten mit drei bis fünf Millionen Einwohnern hingegen verlangt, Beschränkungen für bestimmte Kategorien von Migranten, insbesondere solche mit höherem Bildungsniveau, zu lockern (FH 4.3.2020).
Anderswo in China, wo 2019 die ersten Stufen eines Sozialkreditsystems eingeführt wurden, sehen sich Berichten zufolge Millionen von Bürgern aufgrund ihrer niedrigen Punktzahlen mit Einschränkungen bei Flug- und Bahnreisen konfrontiert. Millionen Menschen, viele von ihnen Uiguren und Tibeter, sind von staatlichen Einschränkungen beim Zugang zu Auslandsreisen und Reisepässen betroffen (FH 4.3.2020; vgl. HRW 14.1.2020).
Immer wieder sind Gruppen von hunderten bis tausenden Tibeter, welche von China nach Indien reisen, um dort den Dalai Lama zu hören, gezwungen, früher zurückzukehren, weil chinesische Beamte in Tibet versuchen, Pässe zu beschlagnahmen und Vergeltungsmaßnahmen gegen die ins Ausland gereisten Personen und deren Familienangehörige androhen (HRW 18.1.2018; vgl. HRW 12.1.2020).
Repressionen erfolgen landesweit nicht einheitlich. Da wegen der Größe des Landes und der historisch überkommenen Strukturen Einfluss und Kontrolle der Zentralregierung in den einzelnen Landesteilen unterschiedlich ausgeprägt sind, treten staatliche oder dem Staat zurechenbare Übergriffe in den Regionen unterschiedlich häufig auf. Daher kann es im Einzelfall möglich sein, durch einen Ortswechsel Repressalien auszuweichen. Allerdings ist ein Umzug von in der VR China lebenden Chinesen in einen anderen Landesteil durch die restriktive Registrierungspraxis im Hukou-System nur schwer möglich (Verlust des Zugangs zu Bildung und Sozialleistungen). Für Personen aus ländlichen Gebieten ist es schwierig, legal in eine Stadt zu übersiedeln. Insbesondere für aus politischen Gründen Verfolgte gibt es nach Ansicht des deutschen Auswärtigen Amtes keine sichere Ausweichmöglichkeit innerhalb Chinas (AA 22.12.2019).
Ein Untertauchen, also eine nicht registrierte Niederlassung in einen anderen Landesteil als jenem des Melde-Wohnorts, ist schwierig. Sowohl bei Inlandsflügen als auch bei Zugfahrten wird systematisch die Identität überprüft, auch Zugtickets können nur mit Personalausweis gekauft werden und sind nicht übertragbar. Kraftfahrzeuge mit Kennzeichen von außerhalb der Stadt oder der Provinz und deren Passagiere werden systematisch überprüft. Es besteht ein sehr effizientes System der Überwachung durch Nachbarschaftskomitees. In der Tibetischen Autonomen Region und in Xinjiang besteht besonders strenge Überwachung unter anderem durch das System der kollektiven Bestrafung von Dorfgemeinschaften und starken Einschränkungen der Bewegungsfreiheit, wonach Personen, die ihr Dorf oder ihre Region verlassen wollen, hierfür Genehmigungen einholen müssen welche teilweise nur für bestimmte andere Regionen ausgestellt werden. In Xinjiang werden darüber hinaus in von Uiguren bewohnten Gegenden an Straßensperren Identitätskontrollen – vor allem von jungen männlichen Uiguren – durch die bewaffnete Volkspolizei und die Volksbefreiungsarmee durchgeführt (ÖB 11.2019).
Die Bewegungsfreiheit für Tibeter ist stark eingeschränkt (IHRWch 17.8.2018). Ohne zahlreiche Genehmigungen dürfen sie sich außerhalb ihres Wohngebietes nicht bewegen und auch nicht arbeiten. Das Alltagsleben für Tibeter ist durch eine Vielzahl von Kontrollen gekennzeichnet (ST 30.8.2019).
Seit 2016 gelten für die Einwohner Xinjiangs strenge Auflagen für den Erwerb von Reisedokumenten. Biometrische-Daten, eine DNA-Blutprobe, Fingerabdrücke sowie eine Stimmaufzeichnung und ein dreidimensionales Foto des Körpers müssen bei einem Antrag zur Verfügung gestellt werden (DZ 25.11.2016; vgl. BBC 7.6.2016). Personen in der Provinz Xinjiang müssen für Reisebewegungen zwischen Städten bei der Polizei eine Erlaubnis erwirken und eine Vielzahl von Kontrollpunkte durchlaufen. Es wird von einer Zunahme von Kontrollmaßnahmen auf Flughäfen, Bahnhöfen, sowie Kontrollpunkten an öffentlichen Bewegungslinien, wie Straßen, etc. berichtet (HRW 9.9.2018).
Die Meldekarte („Hukou-System“) ist weiterhin nötig für die (legale) Aufnahme einer Arbeit oder den Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen. Chinesen, die keinen für ihre Zwecke gültigen Hukou haben (z.B. minderjährige Wanderarbeiter, welche offiziell noch nicht arbeiten dürften), verwenden mitunter gefälschte „Hukou-Karten“ oder solche von Verwandten (ÖB 11.2019).
…
Grundversorgung und Wirtschaft
Mit der Öffnung Chinas gegenüber dem kapitalistischen Westen schaffte es das Land, ausgelöst durch wirtschaftlichen Reformen, in den letzten vier Jahrzehnten den Aufstieg von einem planwirtschaftlichen Agrarstaat zur zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt (Darimont 2020). Der Lebensstandard hat sich für die Bevölkerung verbessert (NZZ 26.5.2020).
In den Jahren von 2000 bis 2010 erreichte China ein Wirtschaftswachstum zwischen 8 und 14 Prozent (GIZ 3.2020b; vgl. BTI 2020). Mit dem Aufschwung geht auch eine wachsende ökonomische Macht einher (LVAk 9.2019). Chinas Bruttoinlandsprodukt legte 2019 um 6,1 Prozent zu und erfüllte so den von der Regierung vorgegebenen Sollwert. Dermaßen langsam wuchs die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt jedoch seit 1990 nicht mehr. Für 2020 gab die Regierung ein Wachstumsziel von „ca. 6 Prozent“ aus. Die Schaffung einer „gemäßigt wohlhabenden Gesellschaft“ bis Ende 2020 ist dabei ein zentrales Anliegen der chinesischen Führung. Diese wird als die Verdoppelung der Pro-Kopf Einkommen gegenüber dem Stand von 2010 definiert (WKO 12.5.2020). Dennoch deutet die derzeitige Wirtschaftsentwicklung Chinas auf eine Abkehr von einem zweistelligen Wachstum hin. Das niedrigere Wachstum ist darauf zurückzuführen, dass die chinesische Regierung eine Abkehr von einer investitionsgetriebenen Wachstumsstrategie vollzieht und zukünftig verstärkt Wachstum durch Inlandskonsum generieren will (GIZ 3.2020b).
Im Dezember 2019 nahm die Lungenkrankheit Covid-19 ihren Ausgang in der zentralchinesischen Provinz Hubei und verbreitete sich von dort aus rasant in alle Teile des Landes (WKO 12.5.2020). Dies führte Anfang 2020 zum massiven Einbruch des Wirtschaftswachstums (GIZ 3.2020b). Die Regierung ergriff drakonische Maßnahmen zur Eindämmung der Epidemie: Die Provinz Hubei wurde von der Außenwelt abgeriegelt und die chinesischen Neujahrsfeiertage wurden verlängert. Quarantäneverordnungen und Reiseverbote legten das wirtschaftliche Leben weitgehend lahm. Zahlreiche Unternehmen konnten ihren Betrieb nicht wie geplant Anfang Februar wiederaufnehmen. Die Verbreitung von Covid-19 im Ausland setzt die chinesische Wirtschaft anhaltend unter Druck (WKO 12.5.2020). Nicht zuletzt aufgrund nachlassender internationaler Nachfrage kann davon ausgegangen werden, dass China sein Wachstumsziel verfehlen wird (WKO 12.5.2020; vgl. GIZ 3.2020b). So verringerte sich Chinas BIP im ersten Quartal 2020 im Vergleich zur Vorjahresperiode um minus 6,8 Prozent. Schätzungen des Economist Intelligence Unit von Mitte April 2020 gehen davon aus, dass Chinas BIP heuer um lediglich ein Prozent wachsen wird. Im Dienstleistungssektor machte sich im März zumindest eine leichte Erholung bemerkbar. Auch die Warenexporte fielen im März mit minus 6,6 Prozent weniger stark als erwartet. Chinas Importe blieben weitgehend stabil (minus 0,9 Prozent). Nach einem Tief von 35,7 Prozent erholte sich Chinas Purchasing Managers Index (PMI) im Februar auf einen Wert von 52 Prozent im März (WKO 12.5.2020).
Wegen der wirtschaftlichen Folgen der Lungenkrankheit Covid-19 wurde in einer Abkehr von der üblichen Praxis „wegen der großen Unsicherheiten“ durch die Corona-Krise kein Ziel für das wirtschaftliche Wachstum der Volksrepublik, nach einem Einbruch von 6,8 Prozent im ersten Quartal 2020 an. Gegen die Abschwächung der Konjunktur durch die Coronavirus-Pandemie will China mit einer beachtlichen Erhöhung der Staatsausgaben ankämpfen (FAZ 21.5.2020).
Die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln ist seit einigen Jahren gewährleistet (AA 22.12.2019), doch kam es in den letzten Jahren zu einem rasanten Anstieg der Nahrungsmittelpreise (ÖB 11.2019). Trotz beispielloser Erfolge bei der Armutsbekämpfung geht die uno davon aus, dass derzeit noch über 124,5 Millionen Menschen unterernährt sind. Die ländliche Bevölkerung ist bezüglich der Nahrungsmittelsicherheit, vor allem im unterentwickelten Westen des Landes, strukturell benachteiligt (GIZ 3.2020b). Der Lebensstandard der Bevölkerung steigt kontinuierlich an, der Abstand zwischen Stadt- und Landbevölkerung, deren Einkommen im Vergleich zur Stadt lediglich etwa ein Drittel beträgt, ist seit den 1990er-Jahren kontinuierlich gewachsen (AA 22.12.2019; vgl. UN DESA 2020). Neben Armutsproblemen hat China vor allem mit einer immer stärkeren Einkommensungleichheit zu kämpfen (GIZ 3.2020b). Mehr als 60 Prozent der Bevölkerung leben im urbanen Umfeld (CIA 20.5.2020; vgl. statista 27.6.2019), Das aktuelle Pro-Kopf-Einkommen lag 2019 bei 42.359 Yuan, wohingegen auf dem Land nur 16.021 Yuan verdient wurden (GIZ 3.2020b).
Trotz des laufenden Ausbaus des Sozialsystems bleibt angesichts des niedrigen Niveaus der Sozialleistungen die familiäre Solidarität in Notfällen ein entscheidender Faktor. Die meisten sozialen Leistungen sind zudem an die Wohnrechtsregistrierung („Hukou-System“) gekoppelt, befindet sich diese auf dem Land, ist mit einem noch niedrigeren Niveau an staatlicher Hilfeleistung zu rechnen. Eine Eingliederung in den Arbeitsmarkt in den ländlichen Regionen ist oft sehr schwierig (ÖB 11.2019).
Seit 2012 geht die chinesische Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter kontinuierlich zurück. Um die Finanzierbarkeit der Pensionen zu gewährleisten, plant China eine Senkung der mit 10 Prozent sehr hohen jährlichen Anpassung der Rentenhöhe und die Erhöhung des Pensionsantrittsalters (derzeit generell Männer mit 60 Jahren, Frauen mit 55 Jahren, tatsächliches durchschnittliches Renteneintrittsalter 53 Jahre) (ÖB 11.2019). Provinzen, die nicht über genügend eigene Mittel verfügen, erhalten Subventionen von der Zentralregierung (Darimont 2020).
Die stetig zunehmende Überalterung der Bevölkerung wird immer mehr als Problem für das Sozialsystem wahrgenommen, die Zahl der Menschen über 60 Jahren stieg 2015 im Vergleich zum Vorjahr um 3 Prozent auf 16,15 Prozent an. Seit 2012 geht die chinesische Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter kontinuierlich zurück und betrug 2014 mit 915,83 Millionen Menschen um 3,71 Millionen Menschen weniger als im Vorjahr. Die Lockerung der Ein-Kind-Politik auf eine generelle Zwei-Kind-Politik war im Hinblick auf die angestrebte Erhöhung der Geburtenquote bisher ein Fehlschlag. Laut offiziellen Daten ist bereits ein Sechstel der 270 Millionen Wanderarbeiter im Pensionsalter, hat jedoch kein Anrecht auf Pension und muss daher unter schwierigen Bedingungen weiterarbeiten (ÖB 11.2019).
Das chinesische Sozialsystem deckt folgende Gruppen ab:
Senioren: Personen über 60Jahre, arbeitsunfähig, ohne Einkommen, ohne Unterhaltszahlungen und Beihilfe oder deren Angehörige sie nicht unterstützen können.
Waisen ohne Verwandtschaft.
Ausgesetzte Babys und Kinder, deren biologischen Eltern nicht auffindbar sind (IOM 2019).
Das seit 2014 bestehende Programm zur Sicherung des Existenzminimums („di bao“) ähnelt der Sozialhilfe. Derzeit ist eine lokale Wohnmeldung („Hukou-System“) vorausgesetzt, weshalb die Millionen Wanderarbeiter in Städten in der Regel keinen Anspruch haben. Ein nationales Gesetz ist seit Jahren in Planung, bisher jedoch nicht verabschiedet, da unklar ist wie eine überregionale Bedarfsprüfung angesichts der Mobilität der Bevölkerung und der Größe des Landes bewerkstelligt werden kann. Die Höhe des „di bao“ wird regional festgelegt und beträgt in Städten durchschnittlich 373 RMB (ca. 52 EUR) und auf dem Land 203 RMB (28 EUR) (ÖB 11.2019).
Laut einem Beschluss des Staatsrats vom 11. Oktober 2016 sollen bis 2020 allerdings 100 Millionen Chinesen, die ohne städtischen „Hukou“ (Meldeberechtigung) bereits „ständig“ in Städten leben, Zugang zu sozialen Leistungen wie medizinischer Versorgung und Bildung erhalten. Bisher verfügten nur 39,9 Prozent der Stadtbewohner über einen städtischen Hukou mit Zugang zu sozialen Leistungen, dieser Prozentsatz solle in den kommenden 5 Jahren auf 45 Prozent steigen. Entsprechende Durchführungsverordnungen wurden bisher nicht erlassen. Die Maßnahmen betreffen jedoch nicht einmal die Hälfte der derzeit geschätzten 277 Millionen Wanderarbeiter (ÖB 11.2019).
Medizinische Versorgung
Das chinesische Gesundheitssystem hält nicht mit der wirtschaftlichen Entwicklung Schritt. Gemäß aktuellen Vergleichszahlen der OECD sind für 1.000 Einwohner 2,7 Krankenschwestern/-pfleger sowie zwei Ärzte verfügbar (HB 19.2.2020). Auch die finanzielle Absicherung im Krankheitsfall ist nach wie vor ungenügend. Obwohl 95 Prozent der Bevölkerung über Krankenversicherungsprogramme abgesichert sind, stellen Krankheiten, die intensive ärztliche und/oder therapeutische Behandlungen erfordern, für Bezieher durchschnittlicher und niedriger Einkommen nach wie vor enorme, häufig existenzbedrohende finanzielle Belastungen dar. Wie auch in anderen Politikfeldern herrscht im Gesundheitswesen ein gravierendes Stadt-Land-Gefälle vor. Elementare medizinische Dienstleistungen sind in abgelegenen ländlichen Gebieten kaum vorhanden, eine zeitnahe ärztliche Versorgung kaum möglich, und die vorhandenen Krankenhäuser sind schlecht ausgestattet. Auch wer in einer städtischen Krankenversicherung versichert ist, muss einen großen Teil der Behandlungskosten selbst tragen, da die Erstattungsbeträge aus der Krankenversicherung in der Regel nicht mehr als 60 Prozent betragen (ÖB 11.2019; vgl. IOM 2019, AA 22.12.2019). Die meisten Versicherten erhalten eine Kostenerstattung bei jährlichen Kosten bis 1.300 RMB (179 EUR). Bedienstete von Staatsbetrieben erhalten nahezu kompletten Kostenersatz. Somit ist Krankheit ein häufiger Armutsfaktor. Die Zahl der chronisch und schwerkranken Menschen steigt darüber hinaus angesichts der wachsenden Krebsrate (Umweltprobleme) und der Änderung der Lebensgewohnheiten durch Zivilisationskrankheiten. Selbst staatliche Krankenhäuser müssen sich weitgehend selbstständig finanzieren, und tun dies vor allem durch extensives Verschreiben überteuerter Medikamente. Der Arztberuf genießt in China relativ geringes Ansehen, Ärzte können von ihrem Grundgehalt kaum leben und es herrscht akuter Mangel an qualifiziertem Personal. Die große Unzufriedenheit der Bevölkerung mit dem Gesundheitssystem äußert sich regelmäßig in gewalttätigen Übergriffen gegen medizinisches Personal (ÖB 11.2019).
Chinas System der Haushaltsregistrierung (das Hukousystem) trägt zu beobachtbaren Ungleichgewichten und der Marginalisierung von Landbewohnern und Migranten in den urbanen Zentren bei. Neuzuwanderer in städtische Gebiete haben aufgrund der strengen Registrierungsanforderungen oft keinen Zugang zu Gesundheitsversorgung, Bildung und Wohnraum (UNDESA 2020).
Obwohl die chinesische Regierung kontinuierlich immer mehr Geld in das Gesundheitswesen investiert (2014 plus 11 Prozent gegenüber 2013 und damit 5,7 Prozent des BIP) ist die Abdeckung für untere Einkommensschichten oder bei chronischen Krankheiten ungenügend. Besonders auf dem Land investieren häufig arme Familien ihre gesamten Ersparnisse in die Behandlung kranker Familienmitglieder und ist Krankheit somit ein häufiger Armutsfaktor. Die Zahl der chronisch- und schwerkranken Menschen steigt darüber hinaus angesichts der wachsenden Krebsrate (Umweltprobleme) und der Änderung der Lebensgewohnheiten durch Zivilisationskrankheiten (ÖB 11.2019).
In China gibt es keine niedergelassenen, sondern nur in den Kliniken angestellte Ärzte (coliquio 10.8.2018). Krankenhäuser sind sowohl in großen als auch in kleinen Städten zu finden (IOM 2019). Der Arztberuf genießt in China relativ geringes Ansehen, Ärzte können von ihrem Grundgehalt kaum leben und es herrscht akuter Mangel an qualifiziertem Personal. Die große Unzufriedenheit der Bevölkerung mit dem Gesundheitssystem äußert sich regelmäßig in gewalttätigen Übergriffen gegen medizinisches Personal. Staatliche Krankenhäuser müssen sich weitgehend selbstständig finanzieren, und tun dies vor allem durch extensives Verschreiben überteuerter Medikamente (ÖB 11.2019).
Der Markt für Medikamente in China ist relativ gut entwickelt. Grundsätzlich sind Medikamente im ganzen Land erhältlich. Während die Kosten für lokal hergestellte Medikamente gering sind, ist importierte Medizin mit besonderen Wirkstoffen sehr teuer (IOM 2019).
Seit März 2016 wurde eine Reihe von Maßnahmen angekündigt, darunter eine Anhebung der Kostenerstattung für Patienten, die Anhebung der Zahl der Ärzte auf 70.000, die zentralisierte Beschaffung von Medikamenten für Spitäler, die Verbesserung des Remunerationssystems in Gemeindespitälern auf Leistungsbasis, und der Aufbau eines nationalen Netzwerks für die Kostenerstattung in der Krankenversicherung, sodass Kosten landesweit erstattet werden können (ÖB 11.2019).
Die Hygiene entspricht nicht europäischen Standards. In den großen Städten finden sich sehr große Klinikzentren mit modernster Ausstattung, wohingegen auf dem Land die Versorgung noch sehr einfach sein kann (AA 22.1.2020).
Darüber hinaus kann es durch die enorme Beanspruchung des Gesundheitssystems im Zusammenhang mit den Auswirkungen der COVID-19 Pandemie zu Einschränkungen bei der allgemeinmedizinischen Versorgung kommen (AA 3.6.2020).
Rückkehr
Grundsätzlich erfolgen lückenlose, automatisierte Kontrollen an den Grenzkontrollstellen (ÖB 11.2019). Ein Asylantrag allein ist nach chinesischem Recht kein Straftatbestand. Personen, die China illegal, etwa unter Verletzung der Grenzübertritts-Bestimmungen verlassen haben, können bestraft werden (AA 22.12.2019). Einige Gruppen (v.a. Angehörige der Minderheiten der Uiguren und Tibeter) sowie als politische- bzw. Menschenrechtsaktivisten eingestufte oder im „Shuanggui“ System [ein nicht gesetzlich geregeltes Verfahren, welches eine zeitlich nicht näher begrenzte Arrestierung erlaubt]“ verfolgte Personen riskieren nach ihrer Rückkehr nach China regelmäßig unfaire Verfahren (ÖB 11.2019).
Besondere Aufmerksamkeit widmet die chinesische Führung führenden Mitgliedern der Studentenbewegung von 1989, soweit sie noch im Ausland aktiv sind. Dies gilt auch für bekannte Persönlichkeiten, die eine ernstzunehmende Medienresonanz im westlichen Ausland hervorrufen. Eine Überwachung oder sogar Gerichtsverfahren gegen diese Personen sind bei Rückkehr in die VR China nicht auszuschließen (AA 22.12.2019).
Oppositionelle Betätigung im Ausland kann zu Problemen führen, wenn die Behörden der Ansicht sind, dass „Verbrechen gegen die nationale Sicherheit“ (etwa Verrat von Staatsgeheimnissen, Separatismus, Terrorismus) begangen wurden (ÖB 11.2019).
Peking fordert andere Regierungen auf, Uiguren, die aus China geflohen sind, in ihre Heimat rückzuführen (NYP 22.9.2019). In den letzten Jahren kam es, vermutlich auf chinesischen Druck, immer wieder zur Abschiebung von uigurischen Asylwerbern aus Nachbarländern, zumeist aus Kambodscha, Thailand, Pakistan, Malaysia (ÖB 11.2019); aber auch aus der Türkei, die seit Jahrzehnten die Uiguren, die viele kulturelle und sprachliche Merkmale mit den Türken teilen und von türkischen Nationalisten als ethnische Brüder angesehen werden (NM 19.5.2020). Mitunter werden auch uigurische Studenten auf Ansuchen Pekings rückgeführt. Solchen Ersuchen kommen beispielsweise Staaten wie Ägypten oder Pakistan nach (SZ 12.4.2019).
Die Rückkehrsituation für mittellose, kinderreiche Personen ohne Aussicht auf einen Arbeitsplatz und ohne familiäre Anbindung in China, insbesondere auf dem Land, ist als schwierig zu beurteilen (ÖB 11.2019).
Dokumente
In ganz China ist die Herstellung oder Beschaffung gefälschter oder formal echter, aber inhaltlich unwahrer Dokumente verschiedenster Art seit langem ohne besondere Schwierigkeiten möglich (AA 22.12.2019).
Zur aktuell vorliegenden Pandemie aufgrund des Corona-Virus:
COVID-19 ist eine durch das Corona-Virus SARS-CoV-2 verursachte Viruserkrankung, die erstmals im Jahr 2019 in Wuhan/China festgestellt wurde und sich seither weltweit verbreitet. In China wurden mit Stand 29.10.2020 (wikipedia) 85.915 Fälle von mit dem Corona-Virus infizierten Personen nachgewiesen, wobei 4.634 diesbezügliche Todesfälle bestätigt wurden.
Nach dem aktuellen Stand verläuft die Viruserkrankung bei ca. 80% der Betroffenen leicht und bei ca. 15% der Betroffenen schwerer, wenn auch nicht lebensbedrohlich. Bei ca. 5% der Betroffenen verläuft die Viruserkrankung derart schwer, dass Lebensgefahr gegeben ist und intensivmedizinische Behandlungsmaßnahmen notwendig sind. Diese sehr schweren Krankheitsverläufe treten am häufigsten in den Risikogruppen der älteren Personen und der Personen mit Vorerkrankungen (wie z.B. Diabetes, Herzkrankheiten und Bluthochdruck) auf.
2. Beweiswürdigung
Das Bundesverwaltungsgericht schließt sich den Ausführungen des angefochtenen Bescheides an.
Die Feststellungen zur Identität und Staatsangehörigkeit des BF ergeben sich aus den Ermittlungen der Behörde und den Angaben des BF.
Die Feststellung des rechtswidrigen Aufenthaltes des BF im Bundesgebiet beruht auf seinen Angaben vor dem BFA und im Schubhaftverfahren.
Dass der BF ein aktuelles Opfer von Menschenhandel in Österreich ist, wurde weder behauptet noch liegen diesbezüglich stichhaltige Hinweise vor. Daher war auch kein Aufenthaltstitel gem. § 57 AsylG zu gewähren.
Die Feststellungen zum Gesundheitszustand des BF ergeben sich aus der Aktenlage. Diesbezüglich wurde kein Vorbringen erstattet, welches geeignet wäre, den Schutzbereich des Art. 3 EMRK zu tangieren.
Die festgestellten, familiären und persönlichen Verhältnisse des BF ergeben sich im Speziellen aus den eigenen Angaben. Es wurden in der Beschwerde keine substantiierten Einwendungen vorgebracht, die einen Aufenthaltstitel in Österreich rechtfertigen würden.
In der Beschwerdeschrift wurde zudem kein neuer Sachverhalt dargetan bzw. die Feststellungen im bekämpften Bescheid bestritten, sondern lediglich die Schlussfolgerungen der Behörde und deren rechtliche Beurteilung bemängelt.
Die oben getroffenen Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat ergeben sich aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation im angefochtenen Bescheid. Angesichts der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie des Umstandes, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.
Die Feststellungen zur aktuell vorliegenden Pandemie aufgrund des Corona-Virus ergeben sich aus den unbedenklichen tagesaktuellen Berichten und Informationen.
3. Rechtliche Beurteilung
Zu A)
Zu Spruchpunkt I.:
Indizien dafür, dass der BF einen Sachverhalt verwirklicht, bei dem ihm ein Aufenthaltstitel besonderer Schutz gemäß § 57 AsylG zu erteilen wäre, sind weder vorgebracht worden, noch hervorgekommen. Weder war der Aufenthalt des BF seit mindestens einem Jahr im Sinne des § 46 Abs 1 Z 1 oder Z 1a FPG geduldet, noch ist dieser zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen notwendig, noch ist der BF Opfer von Gewalt im Sinne des § 57 Abs 1 Z 3 AsylG.
Die belangte Behörde erteilte somit zu Recht keinen Aufenthaltstitel nach § 57 AsylG 2005 und die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides war daher als unbegründet abzuweisen.
Zu Spruchpunkt II.:
Wird einem Fremden, der sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG nicht erteilt, so ist diese Entscheidung gemäß § 10 Abs. 2 AsylG mit einer Rückkehrentscheidung zu verbinden. Gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn er sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält.
Wird durch eine Rückkehrentscheidung in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung gem. § 9 Abs. 1 BFA-VG zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.
Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK sind gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG insbesondere zu berücksichtigen, die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war (Z 1), das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens (Z 2), die Schutzwürdigkeit des Privatlebens (Z 3), der Grad der Integration (Z 4), die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden (Z 5), die strafgerichtliche Unbescholtenheit (Z 6), Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts (Z 7), die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren (Z 8) und die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist (Z 9).
Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG jedenfalls, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, begründet abzusprechen.
Bei der Prüfung der Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung ist eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA-VG genannten Kriterien vorzunehmen. Dabei sind die Umstände des Einzelfalles unter Wahrung der Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen.
Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.
Vom Prüfungsumfang des Begriffes des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK ist nicht nur die Kernfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern umfasst, sondern z.B. auch Beziehungen zwischen Geschwistern (EKMR vom 14.03.1980, B 8986/80; EuGRZ 1982, 311) und zwischen Eltern und erwachsenen Kindern (EKMR vom 06.10.1981, B 9202/80; EuGRZ 1983, 215; VfGH vom 12.03.2014, U 1904/2013). Dies allerdings nur unter der Voraussetzung, dass eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt.
Unter dem Privatleben sind nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (vgl. EGMR 16.6.2005, Fall Sisojeva ua, Appl 60.654/00, EuGRZ 2006, 554). In diesem Zusammenhang komme dem Grad der sozialen Integration des Betroffenen eine wichtige Bedeutung zu.
Bei der Beurteilung der Frage, ob die BF in Österreich über ein schützenswertes Privatleben verfügt, spielt zudem die zeitliche Komponente eine zentrale Rolle, da - abseits familiärer Umstände - eine von Art. 8 EMRK geschützte Integration erst nach einigen Jahren im Aufenthaltsstaat anzunehmen ist (vgl. Thym, EuGRZ 2006, 541). Einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren kommt für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die nach Art. 8 EMRK durchzuführende Interessenabwägung zu (VwGH vom 25.04.2018, Ra 2018/18/0187). Liegt eine relativ kurze Aufenthaltsdauer des Betroffenen in Österreich vor, so muss die in dieser Zeit erlangte Integration außergewöhnlich sein, um die Rückkehrentscheidung auf Dauer für unzulässig zu erklären und einen entsprechenden Aufenthaltstitel zu rechtfertigen (VwGH vom 18.09.2019). Die Kombination aus Fleiß, Arbeitswille, Unbescholtenheit, dem Bestehen sozialer Kontakte in Österreich, dem verhältnismäßig guten Erlernen der deutschen Sprache sowie dem Ausüben einer Erwerbstätigkeit stellt bei einem Aufenthalt von knapp vier Jahren im Zusammenhang mit der relativ kurzen Aufenthaltsdauer keine außergewöhnliche Integration dar (VwGH vom 18.09.2019, Ra 2019/18/0212). Es ist im Sinne des § 9 Abs. 2 Z 8 BFA-VG maßgeblich relativierend, wenn integrationsbegründende Schritte in einem Zeitpunkt gesetzt wurden, in dem sich der Fremde seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein musste (VwGH vom 28.02.2019, Ro 2019/01/003).
Der Befolgung der den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften kommt aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung durch geordnete Abwicklung des Fremdenwesens ein hoher Stellenwert zu.
Der BF verfügt in Österreich über kein Familienleben. Ein Eingriff in das Recht auf Familienleben iSd Art. 8 EMRK ist daher auszuschließen. Die aufenthaltsbeendende Maßnahme könnte daher allenfalls in das Privatleben des BF eingreifen.
Im gegenständlichen Fall verfügte der BF bei der Einreise im Oktober 2019 nach Österreich über einen legalen Aufenthaltstitel. Dem BF wurde am 24.09.2019 ein Visum Typ C (gültig von 26.10.2019 bis 09.11.2019) von der Schweizer Botschaft in Peking ausgestellt. Nach Ablauf des Visums war der BF nie mehr im Besitz eines gültigen Aufenthaltstitels für den Schengenraum und hat sich somit in weiterer Folge illegal im Bundesgebiet aufgehalten.
Dass der BF strafrechtlich unbescholten ist, vermag weder sein persönliches Interesse an einem Verbleib in Österreich zu verstärken noch das öffentliche Interesse an der aufenthaltsbeendenden Maßnahme entscheidend abzuschwächen.
Im vorliegenden Fall ergaben sich keine Hinweise auf eine bereits fortgeschrittene Integration der BF in Österreich. Der BF hat in China seine Sozialisation erfahren. Er spricht nur Chinesisch und in China leben seine Gattin, der Sohn und seine Mutter, mit denen der BF bis zur Ausreise zusammengelebt hat.
Der BF hat in Österreich keine Integrationsschritte gesetzt. Er hat keinen festen Wohnsitz, lebte bis zur Festnahme von illegaler Beschäftigung, hat keinen Versicherungsschutz und ist von Mittelosigkeit bedroht.
Den privaten Interessen des BF an einem weiteren Aufenthalt in Österreich stehen die öffentlichen Interessen an einem geordneten Fremdenwesen gegenüber. Das Bundesverwaltungsgericht ist der Ansicht, dass der illegale Aufenthalt in Europa aus wirtschaftlichen Gründen, verhindert werden muss.
Bei Gesamtbetrachtung all der oben behandelten Umstände und der Abwägung dieser im Sinne des § 9 BFA-VG ist im gegenständlichen Fall davon auszugehen, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des unrechtmäßigen Aufenthaltes im Bundesgebiet das persönliche Interesse des BF am Verbleib im Bundesgebiet überwiegt und daher durch die angeordnete Rückkehrentscheidung eine Verletzung des Art. 8 EMRK nicht vorliegt. Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG stellt sohin keine Verletzung des BF in seinem Recht auf Privat- und Familienleben gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG iVm Art. 8 EMRK dar. Auch sonst sind keine Anhaltspunkte hervorgekommen, die im gegenständlichen Fall eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig machen würden oder die die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 Abs. 1 AsylG erforderlich machen würden.
Zu Spruchpunkt III.:
Mit der Erlassung der Rückkehrentscheidung ist gemäß § 52 Abs. 9 FPG gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist.
Die Abschiebung in einen Staat ist gemäß § 50 Abs. 1 FPG unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 EMRK oder das 6. bzw. 13. ZPEMRK verletzt würden oder für den Betroffenen als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes verbunden wäre.
Die Abschiebung in einen Staat ist gemäß § 50 Abs. 2 FPG unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort das Leben des Betroffenen oder seine Freiheit aus Gründen seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder persönlichen Ansichten bedroht wäre, es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative. Die Abschiebung ist schließlich nach § 50 Abs. 3 FPG unzulässig, solange ihr die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) entgegensteht.
Im gegenständlichen Fall ist die Zulässigkeit der Abschiebung des BF in seinen Heimatstaat gegeben, weil aus den Feststellungen im Bescheid und aus den obigen Erwägungen keine Gründe vorliegen, aus denen sich eine Unzulässigkeit der Abschiebung im Sinne des § 50 Abs. 1 und 2 FPG ergeben würde, und auch keine entsprechende Empfehlung des EGMR für China besteht.
Zu Spruchpunkt IV.:
Gemäß § 53 Abs. 1 FPG kann mit einer Rückkehrentscheidung vom Bundesamt mit Bescheid ein Einreiseverbot erlassen werden. Das Einreiseverbot ist die Anweisung an den Drittstaatsangehörigen, für einen festgelegten Zeitraum nicht in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten einzureisen und sich dort nicht aufzuhalten.
Gemäß § 53 Abs. 2 FPG idgF ist ein Einreiseverbot gemäß Abs. 1, vorbehaltlich des Abs. 3, für die Dauer von höchstens fünf Jahren zu erlassen. Bei der Bemessung der Dauer des Einreiseverbots hat das Bundesamt das bisherige Verhalten des Drittstaatsangehörigen mit einzubeziehen und zu berücksichtigen, inwieweit der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft. Dies ist u.a. insbesondere dann anzunehmen, wenn der Drittstaatsangehörige etwa (Z 6) den Besitz der Mittel zu seinem Unterhalt nicht nachzuweisen vermag.
Die Behörde stützte die Entscheidung über das Einreisverbot in der rechtlichen Begründung des bekämpften Bescheides auf den Tatbestand des § 53 Abs. 2 Z 6 FPG.
Hinsichtlich des Tatbestandes der Mittellosigkeit nach § 53 Abs. 2 Z 6 FPG 2005 stellte der Verwaltungsgerichtshof in seiner Entscheidung vom 19.12.2018, Zl. Ra 2018/20/0309, klar, dass ein Fremder initiativ, untermauert durch Vorlage entsprechender Bescheinigungsmittel, nachzuweisen hat, dass er nicht bloß über Mittel zur kurzfristigen Bestreitung seines Unterhalts verfügt, sondern sein Unterhalt für die beabsichtigte Dauer seines Aufenthalts gesichert erscheint. „Die Verpflichtung, die Herkunft der für den Unterhalt zur Verfügung stehenden Mittel nachzuweisen, besteht insoweit, als für die Behörde ersichtlich sein muss, dass der Fremde einen Rechtsanspruch darauf hat und die Mittel nicht aus illegalen Quellen stammen. Aus der Mittellosigkeit eines Fremden resultiert die Gefahr der Beschaffung der Unterhaltsmittel aus illegalen Quellen bzw. einer finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft, weshalb im Fall des Fehlens ausreichender Unterhaltsmittel auch die Annahme einer Gefährdung im Sinn des (nunmehr:) § 53 Abs. 2 FrPolG 2005 gerechtfertigt ist (vgl. aus der ständigen Rechtsprechung zu den insoweit gleichgelagerten Vorgängerbestimmungen des FrPolG 2005 etwa VwGH 22.1.2013, 2012/18/0191; 13.9.2012, 2011/23/0156, jeweils mwN; vgl. weiters der Sache nach bei der Beurteilung gemäß § 53 Abs. 2 Z 6 FrPolG 2005 auf diese Judikatur abstellend VwGH 30.8.2018, Ra 2018/21/0129, Rn. 11 und 12)“.
Gemäß § 3 Abs. 2 Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslBG),BGBl. Nr. 218/1975 idgF, darf ein Ausländer, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, eine Beschäftigung nur antreten und ausüben, wenn für ihn eine Beschäftigungsbewilligung oder Entsendebewilli