TE Bvwg Erkenntnis 2020/11/9 W102 2206386-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 09.11.2020
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Entscheidungsdatum

09.11.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

W102 2206386-1/22E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Werner ANDRÄ als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch RA Mag. Clemens LAHNER, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Steiermark, vom 21.08.2018, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 20.11.2018 und am 28.09.2020 zu Recht:

A)       Die Beschwerde wird gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1., 57, 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG, §§ 52 Abs. 2 Z 2 und Abs. 9, 46, 55 Abs. 1, 2 und 3 FPG als unbegründet abgewiesen.

B)       Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1.       Der damals minderjährige Beschwerdeführer, afghanischer Staatsangehöriger und Angehöriger der Volksgruppe der Paschtunen, reiste mit seinem älteren Bruder und dessen Familie unter Umgehung der Grenzkontrollen in die Republik Österreich ein und stellte am 06.05.2015 erstmals im Bundesgebiet einen Antrag auf internationalen Schutz.

Im Rahmen der Erstbefragung am 07.05.2016 gab der Beschwerdeführer zum Fluchtgrund befragt im Wesentlichen an, sein Leben sei wegen Taliban und IS in Gefahr gewesen. Der Bruder sei in der Arbeit gewesen, als die Taliban in das Haus gekommen seien und nach dem Bruder gefragt hätten. Da der Bruder bereits nach Deutschland geflüchtet sei, hätten sie den Bruder, der in der Arbeit gewesen sei, mitnehmen wollen. Sie hätten ihn angerufen, er solle nicht nachhause kommen. Aus diesem Grund seien sie geflüchtet.

In der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 13.12.2017 führte der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen auf das Wesentliche zusammengefasst aus, sein ältester Bruder habe 2008 bis 2009 in einem Camp gearbeitet, wo deutsche, türkische und amerikanische Soldaten gearbeitet hätten. Er sei Busfahrer gewesen und habe Ingenieure transportiert. Jemand habe die Taliban informiert, sie hätten den Bruder XXXX mitgenommen und geschlagen. Es sei ihm sehr schlecht gegangen, ein Taxifahrer habe ihn gefunden und ins Krankenhaus gebracht. Sein Kiefer sei gebrochen gewesen. Er sei zunächst 40 Tage im Krankenhaus in Mazar-e Sharif behandelt worden, dann hätten sie ihn nach Kabul gebracht, wo er operiert worden sei. Er habe immer wieder Attacken bekommen und um sich geschlagen. Dann sei entschieden worden, ihn nach Europa zu bringen. Eine Woche nach der Ausreise des Bruders seien die Taliban zum Bruder nachhause gekommen und hätten seine Frau geschlagen und sie aufgefordert, ihnen zu sagen, wo er sich befinde. Sie habe gesagt, sie wisse nichts darüber. Die Taliban hätten gesagt, sie würden die gesamte Familie töten, wenn sie sie finden würden. Sie hätten vom Bruder Geld gewollt, oder in rekrutieren. Daraufhin habe die Familie beschlossen, dass der Beschwerdeführer und sein Bruder nach Europa reisen sollten. Er habe Angst, vor allem wegen der Religion, in Afghanistan werde man gezwungen, Moslem zu sein, man könne dort keine andere Religion ausüben.

Am 02.01.2018 langte eine Stellungnahme des Beschwerdeführers bei der belangten Behörde ein, in der im Wesentlichen ausgeführt wird, der Beschwerdeführer werde wegen der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Familie asylrelevant verfolgt, zudem drohe ihm Verfolgung aus religiösen Gründen. Eine innerstaatliche Fluchtalternative und staatliche Schutz bestünden nicht.

2.       Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 21.08.2018, zugestellt am 23.08.2018, wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten § 8 Abs. 1 AsylG iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt II.), erteilte dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG (Spruchpunkt III.), erließ gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG (Spruchpunkt IV.) und stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.). Begründend führte die belangte Behörde aus, die Flucht- und Asylgründe seien widersprüchlich und realitätsfern. Der Beschwerdeführer selbst sei nicht von den Taliban angesprochen oder bedroht worden. Es gebe Abweichungen zu den Schilderungen von Bruder und Schwägerin. Gepaart mit den momentanen Lebensumständen der Familie im Herkunftsstaat lasse sich nicht darauf schließen, dass der Beschwerdeführer oder seine Familie in Gefahr seien. Zu seiner Religion habe der Beschwerdeführer in der Einvernahme angegeben, sunnitischer Moslem zu sein und habe er nicht im Ansatz religiöse Gründe als Asylgrund angeführt. Der Beschwerdeführer könne sich in Mazar-e Sharif eine Existenz aufbauen.

3.       Gegen den oben dargestellten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 21.08.2018 richtet sich die am 21.09.2018 bei der belangten Behörde eingelangte vollumfängliche Beschwerde, in der im Wesentlichen ausgeführt wird, die Länderinformationen würden nichts über das individuelle Vorbringen des Beschwerdeführers aussagen. Berichte internationaler Organisationen (EASO, UNHCR) würden belegen, dass Personal ausländischer Truppen gezielt von den Taliban verfolgt würde, im Fokus stünden auch deren Familien. Auch Personen, die keine zentrale Tätigkeit verrichten würden, seien von Übergriffen betroffen. Die Beweiswürdigung sei mangelhaft. Dem Beschwerdeführer drohe Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Familie. Der Beschwerdeführer habe ein liberales Verständnis von Religion, er lehne die Politik der Taliban ab und habe sich dazu auch kritisch auf Facebook geäußert. Die religiösen Normen in Afghanistan würden streng interpretiert, Rückkehrer aus Europa seien per se dem Verdacht der „Verwestlichung“ ausgesetzt. Seine progressive Haltung stelle einen wesentlichen Teil der Persönlichkeit des Beschwerdeführers dar und werde er im Fall der Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit asylrelevanter Verfolgung wegen der ihm unterstellten politischen Gesinnung ausgesetzt. Die Länderinformationen seien auch im Hinblick auf die Lage in Balkh und Mazar-e Sharif allgemein und oberflächlich. Es komme immer wieder zu Kampfhandlungen in Balkh. Die Versorgungslage sei schlecht. Beantragt wurde zudem die zeugenschaftliche Vernehmung des Bruders des Beschwerdeführers, XXXX .

Das Bundesverwaltungsgericht führte zur Ermittlung des entscheidungswesentlichen Sachverhaltes am 20.11.2018 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der der Beschwerdeführer, sein bevollmächtigter Rechtsvertreter und eine Dolmetscherin für die Sprache Dari teilnahmen. Die belangte Behörde verzichtete auf die Teilnahme.

Im Zuge der mündlichen Verhandlung wurde der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen befragt und hielt sein Vorbringen, er werde von den Taliban verfolgt, im Wesentlichen aufrecht.

Am 19.12.2018 langte eine Stellungnahme des Beschwerdeführers am Bundesverwaltungsgericht ein.

Mit Schreiben vom 04.12.2019 brachte das Bundesverwaltungsgericht aktuelle Länderberichte in das Verfahren ein und gab dem Beschwerdeführer und der belangten Behörde die Gelegenheit zur Stellungnahme. Am 13.01.2020 langte die Stellungnahme des Beschwerdeführers am Bundesverwaltungsgericht ein, in der auch die zeugenschaftliche Einvernahme von XXXX , Stelligmachung durch die Kanzlei des ausgewiesenen Vertreters, beantragt wurde.

Am 25.05.2020 langte eine Stellungnahme des Beschwerdeführers am Bundesverwaltungsgericht ein, in der dieser zu den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf die Lage in Afghanistan ausführt und die Bestellung von XXXX zur Einholung eines länderkundlichen Sachverständigengutachtens hierzu beantrag.

Mit Schreiben vom 27.08.2020 bestätigte das deutsche Bundesamt für Migration und Flüchtling auf Nachfrage des Bundesverwaltungsgerichts, dass das Klageverfahren des Bruders des Beschwerdeführers beim Verwaltungsgericht XXXX anhängig ist.

Mit Schreiben vom 31.08.2020 wurde der Beschwerdeführer zur Bekanntgabe der ladungsfähigen Adresse seines in Deutschland aufhältigen Bruders aufgefordert.

Mit Ladung vom 04.09.2020 brachte das Bundesverwaltungsgericht nochmals aktuelle Länderberichte in das Verfahren ein.

Am 07.09.2020 gab der Beschwerdeführer im Wegen seines ausgewiesenen Rechtsvertreters die Adresse seines Bruders in Deutschland bekannt.

Mit Schreiben vom 23.09.2020 – einlangend am 24.09.2020 – teilte der Beschwerdeführer im Wege seines ausgewiesenen Rechtsvertreters mit, dass XXXX als Asylwerber in Deutschland über kein gültiges Reisedokument verfüge und aus diesem Grund der Ladung für den 28.09.2020 nicht Folge leisten könne. Zudem habe er inzwischen Zugang zum Arbeitsmarkt in Deutschland und gerade eine Arbeit aufgenommen, im Fall einer Reise nach Wien müsse er nach einer Rückkehr 14 Tage in Quarantäne gehen. Beantragt wurde seine Einvernahme im Wege der Amtshilfe bzw. per Videokonferenz.

Am 28.09.2020 führte das Bundesverwaltungsgericht erneut eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der der Beschwerdeführer, sein bevollmächtigter Rechtsvertreter, der Bruder des Beschwerdeführers als Zeuge und dessen Frau als Zeugin und eine Dolmetscherin für die Sprache Dari teilnahmen. Der ebenso aus Deutschland geladene Bruder erschien wie auch die belangte Behörde entschuldigt nicht zur Verhandlung.

Im Zuge der mündlichen Verhandlung wurden der Zeuge und die Zeugin befragt, sowie eine ergänzende Befragung des Beschwerdeführers durchgeführt.

Der Beschwerdeführer legte im Lauf des Verfahrens folgende Dokumente vor:

?        Mehrere Empfehlungsschreiben

?        Medizinische Unterlagen

?        ÖSD-Zertifikat A1

?        Integrationsprüfungszeugnis A2

?        Teilnahmebestätigungen für Deutschkurse und andere Bildungsangebote

?        Fotos

?        Facebook-Postings

?        Unterlangen zum Verfahren des Bruders in Deutschland in Kopie

?        Einstellungszusage

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1.    Zu Person und Lebensumständen des Beschwerdeführers

Der Beschwerdeführer trägt den im Spruch angeführten Namen, wurde im Jahr XXXX geboren und ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan, Angehöriger der Volksgruppe der Paschtunen und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam. Die Muttersprache des Beschwerdeführers ist Paschtu. Er spricht auch Dari und Urdu, sowie Deutsch auf dem Niveau A2 des gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen.

Der Beschwerdeführer leidet an Skoliose (Wirbelsäulenfehlstellung). Deshalb wird ihm Physiotherapie und Ausdauersport empfohlen, sowie, schwere körperliche Tätigkeiten zu vermeiden. Der Beschwerdeführer besucht aktuell keine Physiotherapie, er macht jedoch zuhause Übungen, die er in Physiotherapie gelernt hat.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

Der Beschwerdeführer wurde in einem Dorf in der Provinz Balkh, Distrikt Dawlatabad, geboren und ist dort aufgewachsen. Er hat vier ältere Brüder und vier Schwestern.

Der älteste Bruder des Beschwerdeführers war als Taxifahrer tätig, ebenso der Vater des Beschwerdeführers. Die Familie verfügte über vier Taxis und ein Haus im Herkunftsdorf. Der Beschwerdeführer hat im Herkunftsstaat neun Jahre die Schule in Mazar-e Sharif besucht. Neben der Schule hat er etwa ein Jahr zunächst in der Tischlerei seines Bruders und dann in der Tischlerei eines Freundes seines Bruders gearbeitet, ebenso in Mazar-e Sharif.

Vier Tanten mütterlicherseits und drei Onkel mütterlicherseits des Beschwerdeführers leben in Mazar-e Sharif, zwei Onkel väterlicherseits leben im Herkunftsdorf. Eine Tante väterlicherseits lebt ebenso in Balkh.

Im Bundesgebiet lebt der älteste Bruder des Beschwerdeführers, ihm wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl gemäß § 3 iVm § 34 AsylG 2005 – abgeleitet von seiner Ehefrau – der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Er lebt mit seiner Frau und seinen fünf Kindern in XXXX . Der Beschwerdeführer steht in Kontakt zu seinem Bruder, Besuche finden selten statt.

Ein weiterer Bruder des Beschwerdeführers lebt in Deutschland. Das Verfahren über seinen Antrag auf internationalen Schutz ist noch nicht entschieden. Auch zu ihm besteht Kontakt. Der Bruder ist in Deutschland seit kurzem berufstätig.

Ein Bruder des Beschwerdeführers ist im September 2020 mit einigen Cousins und anderen Verwandten in den Iran gereist.

Die Eltern des Beschwerdeführers, ein Bruder und eine Schwester des Beschwerdeführers leben im Herkunftsdorf. Der Beschwerdeführer steht in Kontakt zu ihnen.

Im Bundesgebiet hat der Beschwerdeführer von Oktober 2016 bis Juli 2017 und von September 2018 bis Februar 2019 einen Basisbildungskurs besucht. Im September 2017 hat der Beschwerdeführer außerdem an einem Erasmus+ Projekt teilgenommen. Der Beschwerdeführer hat im Bundesgebiet soziale Kontakte geknüpft und Freundschaften geschlossen. In seiner Freizeit trainiert der Beschwerdeführer in einem Fitnesscenter und trifft sich zu Unternehmungen mit seinen Freunden. Der Beschwerdeführer lebt in einem Grundversorgungsquartier in XXXX , bezieht Grundversorgung und ist nicht erwerbstätig. Er verfügt jedoch über eine Zusage für eine Lehrstelle in einem Gastronomiebetrieb.

1.2.    Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers

Der älteste Bruder des Beschwerdeführers arbeitete 2008 bis 2009 als Fahrer für die Ingenieure eines Militärcamps.

Bis zur Ausreise des Beschwerdeführers und auch seither waren weder die im Herkunftsstaat verbliebenen Brüder, noch seine Eltern Übergriffen der Taliban ausgesetzt.

Dass dem Beschwerdeführer im Fall der Rückkehr Übergriffe durch die Taliban wegen der Tätigkeit des älteren Bruders 2008 bis 2009 für ein Militärcamp drohen, oder weil sein anderer Bruder von den Taliban entführt worden wäre, ist nicht zu erwarten.

Dass der Beschwerdeführer seine Glaubensüberzeugung geändert hat und nunmehr einen „liberalen Islam“ vertritt, wird nicht festgestellt. Es wird auch nicht festgestellt, dass der Beschwerdeführer Übergriffen ausgesetzt wäre, weil er als „verwestlicht“ angesehen würde oder eine „progressive Haltung“ verinnerlicht hätte.

Dass dem Beschwerdeführer wegen Taliban-kritischer Beiträge auf Facebook im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat Übergriffe der Taliban drohen, scheint nicht wahrscheinlich.

1.3.    Zur Rückkehr in den Herkunftsstaat

Afghanistan ist von einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt zwischen der afghanischen Regierung und Aufständischen betroffen. Die Betroffenheit von Kampfhandlungen sowie deren Auswirkungen für die Zivilbevölkerung sind regional unterschiedlich.

Balkh zählt zu den relativ stabilen Provinzen Afghanistans, zuletzt kam es jedoch zu einer zunehmenden Destabilisierung der Sicherheitslage. Die Taliban sind in der Provinz aktiv, es kommt zu Sicherheitsvorfällen und Operationen der afghanischen Streitkräfte. Hiervon ist auch der Distrikt Dawlatabad betroffen, wo die Taliban Sicherheitsposten, ALP-Einheiten und Angehörige regierungsfreundlicher Milizen angegriffen haben.

Im Fall einer Rückkehr in den Herkunftsdistrikt besteht die Gefahr, dass der Beschwerdeführer im Zuge von Kampfhandlungen zwischen regierungsfeindlichen Gruppierungen und Streitkräften der Regierung oder durch Übergriffe von regierungsfeindlichen Gruppierungen gegen die Zivilbevölkerung zu Tode kommt oder misshandelt oder verletzt wird.

Mazar-e Sharif steht unter Regierungskontrolle, Kampfhandlungen finden im Wesentlichen nicht statt, es kommt jedoch zu Sicherheitsvorfällen. Die Kriminalität ist zuletzt gestiegen. Die Stadt verfügt über einen internationalen Flughafen, über den die Stadt sicher erreicht werden kann.

Im Fall einer Niederlassung des Beschwerdeführers in Mazar-e Sharif ist nicht zu erwarten, dass er im Zuge von Kampfhandlungen zwischen regierungsfeindlichen Gruppierungen und Streitkräften der Regierung oder durch Übergriffe von regierungsfeindlichen Gruppierungen gegen die Zivilbevölkerung zu Tode kommt oder misshandelt oder verletzt wird.

Afghanistan ist eines der ärmsten Länder der Welt, die Wirtschaft stark von internationalen Hilfsgeldern abhängig und stützt sich hauptsächlich auf den informellen Sektor, der 80 bis 90 % der gesamten Wirtschaftstätigkeit ausmacht. Lebensgrundlage von 80 % der Bevölkerung ist die Landwirtschaft.

Die afghanische Wirtschaft wurde hart von den Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie getroffen. Als Folge sind die Preise von Grundnahrungsmitteln stark gestiegen. Aufgrund der Maßnahmen gibt es weniger Gelegenheitsarbeit. Der Ausbruch der COVID-19-Pandemie hat negative Auswirkungen auf die wirtschaftliche Entwicklung, was etwa zu einer Verschärfung von Armut, einem Rückgang der Staatseinnahmen und einer geringeren Nachfrage nach Arbeitskräften führt.

Maßnahmen zur Pandemie-Bekämpfung im Sinne von Ausgangsbeschränkungen, Beschränkungen des wirtschaftlichen Lebens oder der Bewegungsfreiheit sind aktuell nicht in Kraft.

Afghanistan ist von der COVID-19-Pandemie betroffen, dies gilt auch für Balkh. Das afghanische Gesundheitssystem ist mangelhaft, der überwiegende Anteil der Bevölkerung hat jedoch Zugang zu grundlegender Gesundheitsversorgung. Die medizinische Versorgung ist in großen Städten und auf Provinzebene sichergestellt. Die Verfügbarkeit und Qualität der Grundbehandlung ist durch Mangel an gut ausgebildetem Personal, mangelnde Verfügbarkeit von Medikamenten, schlechtes Management sowie schlechte Infrastruktur begrenzt. In Distrikten mit guter Sicherheitslage werden in der Regel mehr und bessere Leistungen angeboten. Die Behandlungskosten sind hoch. Bedingt durch die begrenzten Ressourcen des öffentlichen Gesundheitswesens und die begrenztenTestkapazitäten sowie des Fehlens eines nationalen Sterberegisters werden bestätigte Fälle von und Todesfälle durch COVID-19 in Afghanistan unzureichend erfasst. Krankenhäuser und Kliniken haben Probleme bei der Aufrechterhaltung oder Erweiterung der Kapazität ihrer Einrichtungen zur Behandlung von Patienten mit COVID-19.

Es gibt in Afghanistan unterschiedliche Unterstützungsprogramme für Rückkehrer von Seiten der Regierung, von NGOs und durch internationalen Organisationen. IOM bietet in Afghanistan Unterstützung bei der Reintegration an.

Im Fall einer Rückführung des Beschwerdeführers nach Mazar-e Sharif ist davon auszugehen, dass er sich eine Lebensgrundlage wird aufbauen und die Grundbedürfnisse seiner menschlichen Existenz wie Nahrung, Kleidung und Unterkunft wird decken können und im Fall seiner Niederlassung ein Leben ohne unbillige Härten wird führen können, so wie es auch seine Landsleute führen. Die medizinische Versorgung des Beschwerdeführers ist dort gewährleistet.

2. Beweiswürdigung:

2.1.    Zu Person und Lebensumständen des Beschwerdeführers

Die Feststellungen zu Identität, Staatsangehörigkeit, Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, Muttersprache und sonstigen Sprachkenntnissen des Beschwerdeführers ergeben sich aus seinen gleichbleibenden und plausiblen Angaben vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl sowie vor dem Bundesverwaltungsgericht. Auch die belangte Behörde hegte keine Zweifel an den diesbezüglichen Angaben des Beschwerdeführers. Die Feststellung zu den Deutschkenntnissen des Beschwerdeführers beruht auf dem vorgelegten Integrationsprüfungszeugnis vom 04.07.2019 (OZ 9).

Zu seinem Gesundheitszustand hat der Beschwerdeführer bereits bei der belangten Behörde medizinische Unterlagen zu einer Halswirbelsäulenverletzung vorgelegt (AS 155 ff), diesbezüglich jedoch schon in der niederschriftlichen Einvernahme am 13.12.2017 angegeben, es gehe ihm bereits besser, er sei deswegen nicht mehr in Behandlung (AS 213). Im Hinblick auf die Skoliose hat der Beschwerdeführer medizinische Unterlagen vorgelegt (Beilagen zu OZ 4), aus denen auch hervorgeht, dass der behandelnde Facharzt ihm Physiotherapie und Ausdauersport empfiehlt, sowie von schweren körperlichen Tätigkeiten abrät. Dass er aktuell keine Physiotherapie besucht und die Übungen zuhause macht, hat der Beschwerdeführer selbst in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 28.09.2020 angegeben (OZ 21, S. 5) und scheint dies auch plausibel. Abgesehen davon gab der Beschwerdeführer keine konkret geplanten und erforderlichen diesbezüglichen Behandlungen an und legte auch keine aktuelleren Befunde vor, sondern gab lediglich an, ihm sei gesagt worden, es sei grundsätzlich eine Operation notwendig, die aktuell wegen seines Alters nicht durchgeführt werden könne (OZ 21, S. 5).

Die Feststellung zur Unbescholtenheit des Beschwerdeführers ergibt sich aus dem im Akt einliegenden aktuellen Strafregisterauszug.

Die Feststellungen zu Herkunft und Geschwistern des Beschwerdeführers beruhen auf seinen gleichbleibenden und plausiblen Angaben.

Die Feststellungen zur Erwerbstätigkeit des ältesten Bruders und des Vaters des Beschwerdeführers beruhen auf den Angaben des Beschwerdeführers in der niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde am 13.12.2017 (AS 219). Dass die Familie über vier Taxis verfügte, gab der Beschwerdeführer im Zusammenhang mit den Kosten für die Schleppung an (AS 229). Dass der Beschwerdeführer in Mazar-e Sharif die Schule besucht (AS 219; OZ 4, S. 7) und als Tischler gearbeitet hat, hat er selbst angegeben (AS 221; OZ 4, S. 8).

Die Feststellungen zu den weiteren Verwandten des Beschwerdeführers in Afghanistan beruhen auf seinen detaillierten Angaben in der niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde am 13.12.2017 (AS 225), wobei der Beschwerdeführer nach Rückübersetzung des Protokolls korrigierte, er habe drei Onkel mütterlicherseits (AS 241).

Die Feststellung zur Zuerkennung des Status des Asylberechtigten an den Bruder des Beschwerdeführers beruht auf dem Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 12.10.2017, Zl. XXXX - XXXX . Der Wohnort des Bruders wurde stets gleichbleibend angegeben und geht auch aus dem im Akt einliegenden Auszug aus dem zentralen Melderegister hervor. Dass Kontakt besteht und es – wenn auch selten (OZ 4, S. 6) Besuche gibt, hat der Beschwerdeführer plausibel angegeben.

Die Feststellungen zum in Deutschland aufhältigen Bruder beruhen auf den gleichbleibenden Angaben des Beschwerdeführers. Zum Verfahren des Bruders wurden vom Beschwerdeführer auch Unterlagen vorgelegt (OZ 12). Zudem teilte auch das deutsche Bundesamt für Migration auf Nachfrage des Bundesverwaltungsgerichts den Verfahrensstand mit. Dass auch zum Bruder in Deutschland Kontakt besteht, ergibt sich bereits aus dem Umstand, dass der Beschwerdeführer Unterlagen aus dessen Verfahren vorgelegt hat. Dass der Bruder nunmehr in Deutschland arbeiten darf, hat der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 23.09.2020 angegeben (OZ 19).

Im Hinblick auf die Feststellungen zum Verbleib der Angehörigen im Herkunftsdorf wird auf die Beweiswürdigung zum Fluchtvorbringen verwiesen. Die Feststellung zum Bruder im Iran beruht auf den relativ detaillierten Angaben des Zeugen in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 28.09.2020 (OZ 21, S. 5).

Die Feststellung zum Basisbildungskurs des Beschwerdeführers beruht auf den dazu vorgelegten Bestätigungen (AS 183-185, 191), ebenso die Feststellung zur Teilnahme am Erasmus+ Projekt (AS 187-189), wobei hierzu anzumerken ist, dass bei der Ausstellung der Bestätigung offenkundig zu einem Irrtum beim Datum gekommen ist. Die Feststellungen zum Freundeskreis des Beschwerdeführers im Bundesgebiet beruht auf seinen plausiblen Angaben, zudem hat der Beschwerdeführer zahlreiche Fotos vorgelegt, die ihn bei Aktivitäten zeigen (AS 193 ff.) und auch mehrere Empfehlungsschreiben (etwa Beilagen zu OZ 4). Zum Fitnesscenter hat der Beschwerdeführer seinen Mitgliedsvertrag vorgelegt (Beilage zu OZ 4). Dass der Beschwerdeführer in XXXX in einem Grundversorgungsquartier lebt und Grundversorgung bezieht, geht aus dem im Akt einliegenden aktuellen Speicherauszug aus dem Betreuungsinformationssystem hervor. Eine Erwerbstätigkeit wurde nicht behauptet, jedoch hat der Beschwerdeführer eine „Einstellungsbestätigung“ vom 15.09.2020 vorgelegt, aus der hervorgeht, dass er „nach positiven Asylbescheid“ – womit zweifellos allgemein der Fall gemeint ist, dass der Beschwerdeführer einen Aufenthaltstitel mit Zugang zum Arbeitsmarkt erhält – eine Ausbildung im Lehrberuf Gastronomiefachmann beginnen kann (OZ 19).

2.2.    Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers

Zwar ergibt sich aus den mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichts vom 04.12.2019 (OZ 10) in das Verfahren eingebrachten UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018 (in der Folge: UNHCR-Richtlinien), dass regierungsfeindliche Kräfte Zivilisten angreifen und bedrohen, die für die internationalen Streitkräfte als Dolmetscher oder in anderen zivilen Funktionen arbeiten. Sie würden auch gegen ehemalige Mitarbeiter der internationalen Streitkräfte und der Regierung vorgehen (Abschnitt III. Internationaler Schutzbedarf, Kapitel 1. Personen, die tatsächlich oder vermeintlich mit der Regierung und der internationalen Gemeinschaft einschließlich der internationalen Streitkräfte verbunden sind oder diese tatsächlich oder vermeintlich unterstützen, Buchstabe d) Zivilisten, die mit den internationalen Streitkräften verbunden sind oder diese vermeintlich unterstützen, S. 49). Betroffen können den UNHCR-Richtlinien zufolge auch Familienangehörige sein, die als Vergeltungsmaßnahme und gemäß dem Prinzip der Sippenhaft angegriffen würden (Abschnitt III. Internationaler Schutzbedarf, Kapitel 1. Personen, die tatsächlich oder vermeintlich mit der Regierung und der internationalen Gemeinschaft einschließlich der internationalen Streitkräfte verbunden sind oder diese tatsächlich oder vermeintlich unterstützen, Buchstabe k) Familienangehörige von Personen, die tatsächlich oder vermeintlich mit der Regierung oder mit der internationalen Gemeinschaft verbunden sind, oder diese tatsächlich oder vermeintlich unterstützen, S. 54). Auch die ebenso vom Bundesverwaltungsgericht mit Schreiben vom 04.12.2019 in das Verfahren eingebrachte EASO Country Guidance Afghanistan von Juni 2019 (in der Folge: EASO Country Guidance) berichtet, dass zivile Auftragnehmer internationaler Truppen zum Ziel der Taliban würden. Als „top priority target“ führt EASO jedoch lediglich Dolmetscher und Sicherheitspersonal an, nicht aber andere zivile Mitarbeiter, im Hinblick auf andere stellt EASO auf die individuellen Umstände ab, etwa die spezifische Rolle und Sichtbarkeit, direkte Gehaltszahlungen von ausländischen Truppen, Herkunft aus einem umkämpften Gebiet bzw. aus einem Gebiet unter Talibankontrolle. Weiter ausgeführt wird, Familienmitglieder mancher Betroffenen könnten ebenso Ziel von Angriffen Aufständischer werden (Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel II. Refugee status, Unterkapitel 3. Individuals working for foreign military troops or perceived as supporting them, S. 51).

Im Hinblick auf den Beschwerdeführer sind jedoch keine Anhaltspunkte ersichtlich, dass er als Familienangehöriger bedroht wäre.

So hat der Beschwerdeführer im Zuge der niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde am 13.12.2017 auch lediglich angegeben, die Taliban hätten nach seinem Bruder älteren XXXX gefragt (AS 229), dass er selbst gesucht worden sei, gibt er dagegen nie konkret an. Auch konkret befragt gab der Beschwerdeführer in der niederschriftlichen Einvernahme am 13.12.2017 an, er habe die Taliban einige Male gesehen, vor allem auf der Fahrt in die Schule. Sie hätten oft Leute kontrolliert. Er gibt jedoch auch an, nie persönlich von den Taliban angesprochen oder angerufen worden zu sein, auch nicht im Zusammenhang mit der Suche nach seinen Brüdern oder der Entführung seines Bruders (AS 233). Auch der ältere Bruder des Beschwerdeführers gab in seiner Einvernahme vor der belangten Behörde am 13.12.2017 lediglich an, die Taliban hätten nach ihm und XXXX gefragt (AS 64) und erwähnt den Beschwerdeführer nicht, wie auch die Ehefrau des Bruders, die in ihrer niederschriftlichen Einvernahme am 11.09.2017 ebenso lediglich angab, die Taliban hätten nach ihrem Mann gefragt (AS 101). In der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 20.11.2018 verneinte der Beschwerdeführer ebenso explizit, jemals persönlich von den Taliban bedroht worden zu sein (OZ 4, S. 4) und beschränkt sich ansonsten im Hinblick auf eine ihn persönlich betreffende Gefahr auf Floskeln, schildert jedoch keinerlei konkreten Vorfall.

Weiter sind die Angaben des Beschwerdeführers im Hinblick auf eine behauptete Bedrohung der im Herkunftsstaat verbliebenen Angehörigen vage und inkonsistent und zudem teilweise nicht mit den Angaben seines in Österreich aufhältigen Bruders in Einklang zu bringen. So gab der Beschwerdeführer in der niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde am 13.12.2017 an, seine Eltern, zwei seiner Brüder und eine Schwester würden unverändert im Herkunftsdorf leben, sowie, dass er mehrmals im Monat in Kontakt zu seiner Familie steht (AS 223). Sein Bruder dagegen gab im Zuge seiner niederschriftlichen Einvernahme durch die belangte Behörde am 11.09.2017 – und damit zwei Monate vor dem Beschwerdeführer – an, die Eltern würden seit 20 Tagen in Mazar-e Sharif leben (AS 60-61) und ebenso, dass er in regelmäßigem Kontakt zur Familie stehe (AS 61). Nochmals anders präsentieren sich die Angaben des Bruders in Deutschland in der Einvernahme durch das deutsche Bundesamt für Migration und Flüchtlinge am 30.03.2017, die der Beschwerdeführer mit Stellungnahme vom 13.01.2020 vorgelegt hat. Dieser gibt zum Verbleib seiner Eltern, wiederum einige Monate früher an, sie seien bereits in Mazar-e-Sharif (OZ 12, Protokoll S. 3). Aus den Angaben der Ehefrau des Bruders am 11.09.2017 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl geht wiederum hervor, dass ihre Schwiegereltern noch an ihrer Adresse im Herkunftsdorf wohnen würden (AS 92-93). Auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 20.11.2018 gab der Beschwerdeführer im Übrigen noch an, seine in Afghanistan verbliebenen Angehörigen – nämlich Eltern, zwei Brüder, vier Schwestern (OZ 4, S. 3) – würden – bis auf zwei verheiratete Schwestern in Kabul und Mazar-e Sharif – nach wie vor im Heimatdorf leben und bestätigte, dass Kontakt bestehe (OZ 4, S. 4). Sie würden im Haus des Onkels väterlicherseits leben, der die Familie versorge (OZ 4, S. 7). Damit erweisen sich bereits die Angaben zum Verbleib der Angehörigen des Beschwerdeführers, seiner Brüder und der Ehefrau des Bruders als völlig widersprüchlich. Erst in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 28.09.2020 gaben schließlich beide Brüder an, ihre Angehörigen würden in Mazar-e Sharif leben. Angesichts der bis dahin völlig widersprüchlichen Aussageverhaltens erweist dies jedoch als nicht glaubhaft.

Weiter beschränken sich im Hinblick auf die behauptete Gefährdung der Familie sowohl der Beschwerdeführer, als auch sein Bruder lediglich auf vage Floskeln. So gibt der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung am 28.09.2020 lediglich allgemein an, seine Familie befinde sich „in keiner guten Situation, sie ist in einer schlechten Lage“ (OZ 21, S. 3) und behauptet, er habe keine Information, was sie beruflich machen würden und wovon sie leben würden, er habe nicht nachgefragt (OZ 21, S. 4). Auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 20.11.2018 behauptete der Beschwerdeführer lediglich floskelhaft, es gehe seiner Familie nicht gut, sie müsse „versteckt“ leben, weil es für sie keine Sicherheit gebe (OZ 4, S. 4), wobei der Beschwerdeführer hierzu kurz zuvor noch angegeben hatte, die Angehörigen würden im Herkunftsdorf leben und die behauptete Gefahr in keiner Weise konkretisiert. Diesbezüglich von seinem Rechtsvertreter befragt gibt der Beschwerdeführer auch lediglich an, die Familie lebe im Haus des Onkels väterlicherseits und werde von diesem versorgt (OZ 4, S. 7). Konkrete Umstände, die zum Umzug geführt haben sollen, gibt er nicht an und knüpft auch im Zuge der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 28.09.2020 inhaltlich nicht an diese Behauptungen an (OZ 21, S. 4).

Auch sein schließlich am 28.09.2020 als Zeuge befragter Bruder präsentiert lediglich Floskeln, wenn er angibt, das Leben der Eltern sei „nicht gut“, dies aus „Sicherheitsgründen“ (OZ 21, S. 5). Insbesondere an den Angaben des Zeugen fällt allerdings auf, dass er etwa sehr genau angeben kann, dass einer seiner beiden Brüderr etwa 15 Tage zuvor mit etwa 15 Personen den Herkunftsstaat Richtung Iran verlassen habe, sowie, dass er auch angeben kann, seine Schwester sei „mit einem Jungen aus Deutschland“ verlobt worden und werde „nach einer gewissen Zeit nach Deutschland reisen“ (OZ 21, S. 5). Dass weder er, noch der Beschwerdeführer selbst konkrete Angaben zu einer Bedrohung durch die Taliban machen können, steht hierzu in einem auffallenden Gegensatz. Insbesondere wird auch keinerlei konkreter Zusammenhang zur behaupteten Ausreise des Bruders in den Iran oder zum behaupteten Umzug der Familie nach Mazar-e Sharif hergestellt und keinerlei konkreter Auslöser geschildert. Weiter ist zum Motiv des Zeugen, seine Angaben im Hinblick auf einen positiven Verfahrensausgang für den Beschwerdeführer zu adaptieren, offenkundig, dass er seinem jüngeren Bruder einen Aufenthaltstitel im Bundesgebiet verschaffen möchte.

Insgesamt sind die Angaben zur behaupteten Bedrohung und zum behaupteten Aufenthalt der Familie vage, inkonsistent und widersprüchlich und konnte der Beschwerdeführer nicht glaubhaft machen, dass seine Angehörigen im Herkunftsstaat – insbesondere seine beiden Brüder – tatsächlich einer konkreten Bedrohung von Seiten der Taliban ausgesetzt sind. Damit ist dies auch für den Beschwerdeführer selbst, der wie bereits ausgeführt eine ihn persönlich betreffende, konkrete Bedrohung von Seiten der Taliban nie behauptet hat, sondern sich einzig und allein auf sein Familienverhältnis zu seinen beiden Brüdern bezieht, das eben auch auf die weitere Jahre im Herkunftsstaat verbliebenen Brüder zutrifft, nicht ersichtlich.

Das Bundesverwaltungsgericht übersieht im Übrigen nicht, dass es zur Berücksichtigung der Minderjährigkeit einer besonders sorgfältigen Beurteilung der Art und Weise des erstatteten Vorbringens zu den Fluchtgründen bedarf und insbesondere die Dichte dieses Vorbringens nicht mit „normalen Maßstäben“ gemessen werden darf. Aus der Entscheidung muss sich erkennen lassen, dass solche Umstände in die Beweiswürdigung Eingang gefunden haben und darauf Bedacht genommen wurde, aus welchem Blickwinkel die Schilderung der Fluchtgeschichte erfolgte (VwGH 11.08.2020, Ra 2020/14/0347). Gegenständlich schildert der Beschwerdeführer jedoch keinen konkreten, ihn selbst betreffenden ausreiseauslösenden Vorfall, sondern bezieht sich ausschließlich auf eine aus seiner Angehörigeneigenschaft resultierende Gefährdung, die er selbst nicht erlebt hat. Dass der Beschwerdeführer im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht eine aktuelle Gefährdung seiner Angehörigen nicht konkret und konsistent angeben kann, ist angesichts dessen, dass er mittlerweile volljährig ist, nicht mit seiner Minderjährigkeit erklärbar.

Im Hinblick auf den Beweisantrag auf zeugenschaftliche Einvernahme des in Deutschland aufhältigen XXXX (OZ 12, S. 3) bzw. auf Vernehmung „im Wege der Amtshilfe bzw. per Videokonferenz“ (OZ 19, S. 2) zum Beweis dafür, dass „ XXXX tatsächlich anstelle seines Bruders XXXX von den Taliban entführt und misshandelt wurde, weshalb auch der BF bei einer Rückkehr nach Afghanistan Verfolgung durch die Taliban zu befürchten hätte“ (OZ 12, S. 3), ist auszuführen, dass Beweisanträge abgelehnt werden dürfen, wenn das von der Partei genannte Beweisthema unbestimmt ist, wenn die Beweistatsache als wahr unterstellt werden, es auf sie nicht ankommt oder das Beweismittel untauglich ist (VwGH 30.10.2019, Ra 2019/14/0462). Hierzu ist gegenständlich anzumerken, dass, selbst wenn der in Deutschland aufhältige Bruder im Jahr 2015 von den Taliban entführt worden ist, wie bereits dargelegt, Anhaltspunkte für eine hieraus aktuell gegen den Beschwerdeführer gerichtete Bedrohung von Seiten der Taliban nicht ersichtlich sind. Demnach kommt es darauf gegenständlich nicht an.

Zum Themenkreis „Religion“ erstattete der Beschwerdeführer erstmals in der niederschriftlichen Einvernahme durch die belangte Behörde am 13.12.2017 ein Vorbringen, indem er angab, er habe Angst, vor allem wegen der Religion, in Afghanistan werde man gezwungen, Moslem zu sein (AS 233). Hierzu ist zunächst anzumerken, dass dies zwar in etwa der Lage im Herkunftsstaat entspricht, wie sich etwa aus dem vom Bundesverwaltungsgericht mit Ladung vom 04.09.2020 (OZ 15) in das Verfahren eingebrachten Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Gesamtaktualisierung am 13.11.2019, letzte Information eingefügt am 21.07.2020 (in der Folge: Länderinformationsblatt) ergibt (Kapitel 15. Religionsfreiheit, insbesondere Unterkapitel 15.5. Apostasie, Blasphemie, Konversion). Befragt, ob er eine andere Religion angenommen habe, verneint der Beschwerdeführer jedoch und führt aus, er habe sich seit geraumer Zeit nicht mehr mit Religion beschäftigt (AS 233). In derselben Einvernahme bezeichnet sich der Beschwerdeführer jedoch auch als sunnitischer Moslem (AS 219). Befragt, warum er persönlich Afghanistan verlassen habe, verweist der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht lediglich auf die Bedrohung durch die Taliban im Zusammenhang mit seinen Brüdern und äußert sich im Hinblick auf seine Religion und eine allenfalls hieraus resultierende Gefährdung nicht aus eigenem Antrieb. Erst nach konkreter Nachfrage des erkennenden Einzelrichters, wie wichtig ihm der Islam sei, gibt der Beschwerdeführer an, er sei nicht streng religiös und sei, seit er in Österreich sei, lediglich zwei oder drei Mal in einer Moschee beten gewesen (OZ 4, S. 7). Damit ist zwar eine Verhaltensänderung im Hinblick auf die Teilnahme an religiösen Handlung behauptet, nicht jedoch glaubhaft gemacht, dass diese auf einer dahinterstehenden religiösen Überzeugung beruht. So musste der Beschwerdeführer diesbezüglich – wie bereits angemerkt – explizit befragt werden, was vor dem Hintergrund der dem Beschwerdeführer bewussten, bereits angesprochenen tatsächlichen Gefahren einer Abkehr vom Islam darauf schließen lässt, dass der Beschwerdeführer sich mangels geänderter religiöser Überzeugung im Fall der Rückkehr nicht tatsächlich als gefährdet betrachtet. Weiter sind die Angaben des Beschwerdeführers zu seiner Glaubensüberzeugung vage und oberflächlich. Insgesamt konnte der Beschwerdeführer eine in welcher Art auch immer geänderte Glaubensüberzeugung nicht glaubhaft machen.

Im Hinblick auf das Vorbringen, der Beschwerdeführer sei Rückkehrer aus Europa per se dem Verdacht der Verwestlichung“ ausgesetzt und stelle seine progressive Haltung einen wesentlichen Teil der Persönlichkeit dar (AS 508), ist auszuführen, dass der Beschwerdeführer sich im Hinblick auf sein Gesellschaftsbild in der niederschriftlichen Einvernahme durch die belangte Behörde am 13.12.2017 dergestalt äußerte, dass Mann und Frau in Österreich gleichgestellt seien, es gebe keine Konflikte und Feindschaften und sei die Religion hier kein Zwang (AS 237). Im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht vertiefte er dieses Vorbringen dagegen nicht weiter. Hierzu ist zunächst anzumerken, dass zwar die UNHCR-Richtlinien Vorfälle erwähnen, dass Rückkehrer aus westlichen Ländern von regierungsfeindlichen Gruppierungen bedroht, gefoltert oder getötet wurden, weil sie sich vermeintlich die diesen Ländern zugeschriebenen Werte zu eigen Gemächt hätten und „Ausländer“ geworden seien (Abschnitt III. Internationaler Schutzbedarf, Kapitel A. Risikoprofile, Unterkapitel 1. Personen, die tatsächlich oder vermeintlich mit der Regierung und der internationalen Gemeinschaft einschließlich der internationalen Streitkräfte verbunden sind oder diese tatsächlich oder vermeintlich unterstützen, Buchstabe i) Als „verwestlicht“ wahrgenommene Personen, S. 52-53). UNHCR stellt dies jedoch nicht als „Massenphänomen“ dar. Die EASO Country Guidance berichten ebenso davon, dass Personen, die aus westlichen Staaten zurückkehren Ziel von Aufständischen werden können, weil sie als unislamisch wahrgenommen werden könnten. Für Männer wird allerdings berichtet, dieses Risiko sei minimal und von den spezifischen Umständen abhängig (Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel II. Refugee status, Unterkapitel 13. Individuals perceived as ‘Westernised’, S. 65-66). Derart spezifische Umstände tut der Beschwerdeführer mit seinen Angaben jedoch nicht dar und äußert insbesondere selbst keinerlei diesbezügliche Rückkehrbefürchtungen. Viel mehr füllt der Beschwerdeführer die behauptetet „progressive Haltung“ inhaltlich nicht aus, sondern beschränkt sich auf die Angaben zur Religion, mit denen sich das Bundesverwaltungsgericht bereits auseinandergesetzt hat, sowie auf einen floskelhaften Verweis auf die Gleichstellung von Mann und Frau.

Im Hinblick auf das Beschwerdevorbringen einer Gefährdung des Beschwerdeführers von Seiten der Taliban wegen kritischer Äußerungen auf Facebook ergibt sich zwar aus der EASO Country Guidance, dass Journalisten, Medienmitarbeiter, Kommentatoren und Verteidiger von Menschenrechten Ziel von Aufständischen, staatlichen Akteuren, „warlords“ oder organisiertem Verbrechen werden können, insbesondere, wenn sie von Menschenrechtsverletzungen berichten oder die Aktivitäten Aufständischer kritisch beleuchten, Korruption aufdecken oder öffentlich bestimmte Meinungen ausdrücken (Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel II. Refugee status, Unterkapitel 9. Journalists, media workers and human rights defenders, S. 56). Auch aus den UNHCR-Richtlinien geht hervor, dass die Meinungsfreiheit in Afghanistan nicht immer gewährleistet ist (Abschnitt III. Internationaler Schutzbedarf, Kapitel A. Risikoprofile, Unterkapitel 2. Journalisten und andere in der Medienbranche tätige Personen, S. 55 ff.). Dies bestätigt auch das Länderinformationsblatt, Kapitel 11. Meinungs- und Pressefreiheit. Im Hinblick auf die Wahrscheinlichkeit einer persönlichen Gefährdung geht EASO davon aus, diese sei von individuellen Faktoren bestimmt, etwa der „Natur“ der Aktivität, der Sichtbarkeit der Aktivität in der Öffentlichkeit, dem Geschlecht und der Herkunftsregion (EASO Country Guidance, Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel II. Refugee status, Unterkapitel 9. Journalists, media workers and human rights defenders, S. 56). Der Beschwerdeführer legte im Zuge der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 20.11.2018 lediglich den Ausdruck eines „Facebook-Postings“ vor und behauptet hierzu im Wege seines Rechtsvertreters, er habe Taliban-kritische Inhalte einer anderen Person „geteilt“ (OZ 4, S. 9; Beilagen zu OZ 4). Demnach ist nicht der Beschwerdeführer selbst Urheber des Inhaltes, sondern eine andere Person. Zweifellos schließt sich der Beschwerdeführer durch den Akt des „Teilens“ diesem Inhalt an, im Hinblick auf die „Natur“ der Aktivität scheint jedoch eine hervorgehobene Bedeutung des Beschwerdeführers nicht wahrscheinlich. So berichtet das Länderinformationsblatt in seinem Kapitel 11. Meinungs- und Pressefreiheit, Abschnitt Internet und Mobiltelefonie zwar, dass Internet und soziale Medien in Afghanistan einen besseren Zugang zu unterschiedlichen Ansichten und Informationen ermögliche, sowie, dass Medien und Aktivisten soziale Medien routinemäßig nutzen würden, um über politische Entwicklungen zu diskutieren, beispielsweise wird hier Facebook genannt. Auch die Taliban würden das Internet und soziale Medien nutzen, um ihre Botschaften zu verbreiten. Demnach ist die Handlung des Beschwerdeführers ihrer Natur nach nicht als spezifisch auffällig einzuordnen. Im Hinblick auf die Sichtbarkeit ist anzumerken, dass es sich beim Beschwerdeführer um keine Person von öffentlichem Gewicht handelt, die aus der Masse der Facebook-User spezifisch hervorsticht, mag er auch auf Facebook „öffentlich“ agiert haben. Im Hinblick auf das Geschlecht des Beschwerdeführers ist ein spezifisches Risiko nicht zu erwarten. Weiter hat der Beschwerdeführer keiner Anhaltspunkte dafür geliefert, dass im Herkunftsstaat bekannt geworden wäre, dass er ein Taliban-kritisches Facebook-Posting geteilt hat. Mit Blick auf die bereits zitierte Einschätzung von EASO scheint eine Gefährdung des Beschwerdeführers von Übergriffen der Taliban daher im Fall der Rückkehr als gering.

2.3.    Zur Rückkehr in den Herkunftsstaat

Die Feststellung zum innerstaatlichen bewaffneten Konflikt in Afghanistan beruht auf dem vom Bundesverwaltungsgericht Länderinformationsblatt, der EASO Country Guidance, und den UNHCR-Richtlinien.

Die Feststellungen zur Sicherheitslage in Balkh beruhen auf dem Länderinformationsblatt, Kapitel 2. Sicherheitslage, Unterkapitel 2.5. Balkh, sowie auf der EASO Country Guidance, Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel III. Subsidiary protection, Unterkapitel Article 15(c) QD, Buchstabe c. Indiscriminate violence, Abschnitt Balkh, S. 92-93. Insbesondere aus den Informationen zur Betroffenheit des Herkunftsdistrikts von Talibanaktivitäten und Sicherheitsoperationen beruht die Feststellung, dass im Fall einer Rückkehr in den Herkunftsdistrikt die Gefahr besteht, dass der Beschwerdeführer im Zuge von Kampfhandlungen zwischen regierungsfeindlichen Gruppierungen und Streitkräften der Regierung oder durch Übergriffe von regierungsfeindlichen Gruppierungen gegen die Zivilbevölkerung zu Tode kommt oder misshandelt oder verletzt wird. Diese steht auch im Einklang mit der Einschätzung von EASO, das im Hinblick auf Balkh zwar insgesamt nicht von einem hohen Gewaltniveau ausgeht, jedoch stammt der Beschwerdeführer aus einem der am stärksten betroffenen Distrikte, weswegen im Hinblick auf dieses individuelle Merkmal von einer Gefährdung auszugehen ist.

Die Feststellung, Mazar-e Sharif unter Regierungskontrolle steht und Kampfhandlungen im Wesentlichen nicht stattfinden, beruhen auf dem Länderinformationsblatt, Kapitel 2. Sicherheitslage, Unterkapitel 2.5. Balkh, wo insbesondere für Mazar-e Sharif kaum Sicherheitsvorfälle verzeichnet sind, sowie auf der EASO Country Guidance, Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel III. Subsidiary protection, Unterkapitel Article 15(c) QD, Buchstabe c. Indiscriminate violence, Abschnitt Balkh, S. 92-93, insbesondere Unterabschnitt Focus on the provincial capital: Mazar-e Sharif, S. 92-92. Hier findet auch der internationale Flughafen Erwähnung, von dem auch das Länderinformationsblatt, Kapitel 2. Sicherheitslage, Unterkapitel 2.35. Erreichbarkeit, Abschnitt Internationale Flughäfen, Unterabschnitt Internationaler Flughafen Mazar-e Sharif, berichtet. Im Hinblick auf diesen ist der EASO Country Guidance zu entnehmen, dass Sicherheitsvorfälle betreffend den Flughafen in Mazar-e Sharif nicht bekannt sind (Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel V. Internal protection alternative, Abschnitt Travel and admittance S. 130). Angesichts dieser Sicherheitslage kommt das Bundesverwaltungsgericht in Übereinstimmung mit der Einschätzung von EASO, das im Hinblick von Mazar-e Sharif von einem sehr niedrigen Gewaltniveau ausgeht (Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel III. Subsidiary protection, Unterkapitel Article 15(c) QD, Buchstabe c. Indiscriminate violence, Abschnitt Balkh, S. 93, sowie Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel V. Internal protection alternative, Abschnitt S. 128), zu dem Schluss, dass im Fall einer Niederlassung des Beschwerdeführers in Mazar-e Sharif nicht zu erwarten ist, dass er im Zuge von Kampfhandlungen zwischen regierungsfeindlichen Gruppierungen und Streitkräften der Regierung oder durch Übergriffe von regierungsfeindlichen Gruppierungen gegen die Zivilbevölkerung zu Tode kommt oder misshandelt oder verletzt wird.

Die Feststellungen zur Wirtschaftslage in Afghanistan beruhen auf dem Länderinformationsblatt, Kapitel 20. Grundversorgung und dem EASO COI Report: Afghanistan. Key socio-economic indicators. Focus on Kabul City, Mazar-e Sharif and Herat City von August 2020.

Der negative Einfluss der COVID-19-Pandemie auf die afghanische Wirtschaft geht aus dem Länderinformationsblatt, insbesondere Information vom 21.07.2020 hervor und wird auch vom EASO COI Report: Afghanistan. Key socio-economic indicators. Focus on Kabul City, Mazar-e Sharif and Herat City von August 2020 bestätigt. Dieser berichtet etwa, dass für das Jahr 2020 ein Rückgang des BIP von 5,5 bis 7,4 % erwartet wird (Kapitel 2.1.1 Economic growth, S. 23), von einem Anstieg der Arbeitslosenrate für das Jahr 2020 (Kapitel 2.2.1. Unemployment, S. 28), von insgesamt negativen Auswirkungen der Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie auf Arbeitsmarkt, Geschäftsaktivitäten, Armutsrate, etc. (etwa Kapitel 2.2.2 Employment opportunities and working conditions, S. 29-30; Kapitel 2.3.1. General trends, S. 36), einem verringerten Zugang zu Einkommen für arme städtische Haushalte, insbesondere für Tagelöhner (Kapitel 2.3.2. Urban poverty, S. 37) und einem Anstieg der Lebensmittelpreise (Kapitel 2.4.1. General situation, S. 39).

Im Hinblick auf aktuelle Maßnahmen zu Pandemiebekämpfung geht aus dem Länderinformationsblatt hervor, die „landesweite Abriegelung“ sei zuletzt am 06.06.2020 um drei Monate verlängert worden, ebenso die Schließung der Schulen (Information vom 21.07.2020). Informationen zu einer darüberhinausgehenden Verlängerung waren allerdings nicht auffindbar.

Die Feststelllungen zur COVID-19-Pandemie beruhen auf dem Länderinformationsblatt, insbesondere Information vom 21.07.2020. Die Feststellungen zur Gesundheitsversorgung beruhen ebenso auf dem Länderinformationsblatt, Kapitel 21. Medizinische Versorgung, sowie auf dem EASO COI Report: Afghanistan. Key socio-economic indicators. Focus on Kabul City, Mazar-e Sharif and Herat City von August 2020, Kapitel 2.6 Health care, S. 45 ff.).

Die Feststellung zur Rückkehrhilfe beruht auf dem Länderinformationsblatt, Kapitel 23. Rückkehr.

Die Feststellung, dass zu erwarten ist, dass der Beschwerdeführer sich eine Lebensgrundlage wird aufbauen können, beruht auf einer Zusammenschau der individuellen Umstände der Rückkehrsituation und Merkmale des Beschwerdeführers.

Maßgebliche Faktoren für die Frage, ob sich der Beschwerdeführer im Fall einer Rückführung nach Mazar-e Sharif eine Lebensgrundlage wird aufbauen können, sind insbesondere Alter, Geschlecht, Gesundheitszustand, ethnischer und sprachlicher Hintergrund, Religion, das Vorhandensein von Identitätsdokumenten, Kenntnisse der lokalen Gegebenheiten, sozialer und ökonomischer Hintergrund, Bildungshintergrund, Zugang zu einem sozialen Unterstützungsnetzwerk und Religion (EASO Country Guidance, Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel V. Internal protection alternative, Unterabschnitt Reasonableness to settle, S. 135 ff.). Damit übereinstimmend stellen nach den UNHCR-Richtlinien insbesondere Alter, Geschlecht, Gesundheitszustand, Behinderungen, Verwandtschaftsverhältnisse sowie Bildungs- und Berufshintergrund (UNHCR-Richtlinien, Kapitel III. Internationaler Schutzbedarf, Unterkapitel C. Interne Flucht-, Neuansiedlungs- oder Schutzalternative, Unterkapitel 2. Analyse der Zumutbarkeit, Buchstabe a) Die persönlichen Umstände des Antragstellers, S. 122) relevante Faktoren dar, wobei neben der Berücksichtigung dieser spezifischen persönlichen Umstände den UNHCR-Richtlinien zufolge auch darauf Bedacht zu nehmen ist, ob der Betreffende seine grundlegenden Menschenrechte wird ausüben können sowie ob er im für die Neuansiedelung in Betracht gezogenen Gebiet Möglichkeiten für ein wirtschaftliches Überleben (Zugang zu Unterkunft, Verfügbarkeit grundlegender Infrastruktur [Trinkwasser, sanitäre Infrastruktur, Gesundheitsversorgung und Bildung], Lebensgrundlage) unter würdigen Bedingungen vorfindet (UNHCR-Richtlinien, Kapitel III. Internationaler Schutzbedarf, Unterkapitel C. Interne Flucht-, Neuansiedlungs- oder Schutzalternative, Unterkapitel 2. Analyse der Zumutbarkeit, Buchstabe c) Achtung der Menschenrechte und wirtschaftliches Überleben, S. 123 f.).

Der Beschwerdeführer ist jung und arbeitsfähig. Im Hinblick auf die Skoliose des Beschwerdeführers ist anzumerken, dass er eine hieraus resultierende Behinderung seiner Arbeitsfähigkeit nicht behauptet, sondern viel mehr angegeben hat, er könne im Bundesgebiet eine Lehrstelle als Koch antreten. Ihm wird lediglich von schweren körperlichen Tätigkeiten abgeraten. Weiter spricht der Beschwerdeführer mit Dari und Paschtu die beiden verbreitetsten Sprachen des Herkunftsstaates. So reichen nach der EASO Country Guidance im Hinblick auf den sprachlichen Hintergrund Kenntnisse der Sprache Dari oder Paschtu aus, um sich in Mazar-e Sharif niederzulassen (Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel V. Internal protection alternative, Unterabschnitt Reasonableness to settle, S. 136-136). Weiter hat der Beschwerdeführer bereits im Herkunftsstaat neun Jahre in Mazar-e Sharif die Schule und auch im Bundesgebiet einen Basisbildungskurs besucht. Damit verfügt der Beschwerdeführer über nach afghanischen Verhältnissen relativ gute Schulbildung, nachdem dem Länderinformationsblatt zufolge lediglich 56,1 % der Kinder im entsprechenden Alter überhaupt eine Grundschule besuchen (Kapitel 17. Relevante Bevölkerungsgruppen, Unterkapitel 17.2. Kinder, Abschnitt Schulbildung in Afghanistan). Weiter hat der Beschwerdeführer in Mazar-e Sharif bereits ein Jahr in einer Tischlerei gearbeitet und verfügt damit auch über grundlegende Berufserfahrung. Er hat sein gesamtes Leben bis zur Ausreise nach Europa in Afghanistan verbracht und ist daher mit Sitten und Gepflogenheiten vertraut.

Weiter sind im Hinblick auf die Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit spezifische Erschwernisse nicht zu erwarten. So gehört der Beschwerdeführer als Paschtune zur größten Volksgruppe des Herkunftsstaates (Länderinformationsblatt, Kapitel 16. Relevante ethnische Minderheiten, Unterkapitel 16.1. Paschtunen) und als sunnitischer Muslim zur im Herkunftsstaat dominierenden Glaubensgemeinschaft (Länderinformationsblatt, Kapitel 15. Relgisionsfreiheit). Insbesondere berichtet die EASO Country Guidance, die Provinz Balkh sei ethnisch divers und würde auch von Paschtunen bewohn (Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel V. Internal protection alternative, Unterabschnitt Reasonableness to settle, S. 136-136). Zudem ist davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer, nachdem er dort neun Jahre die Schule besucht und nebenbei ein Jahr gearbeitet hat, in Mazar-e Sharif auch über Ortskenntnisse verfügt. Im Zuge der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 20.11.2018 behauptet der Beschwerdeführer zwar, er kenne sich in Mazar-e Sharif nicht aus und begründet dies damit, er sei dort nicht aufgewachsen und habe dort nicht gelebt (OZ 4, S. 8). Allerdings gibt er selbst an, täglich mit dem Bus in die Stadt zur Schule und ein Jahr lang ebenso mit dem Bus von der Schule zur Arbeit gefahren zu sein. Demnach hat der Beschwerdeführer zwar seinen Wohnsitz nicht in der Stadt gehabt, jedoch erhebliche Teile seines Alltages dort verbracht. Vor diesem Hintergrund erweist sich als unplausibel, dass der Beschwerdeführer über keinerlei Ortskenntnisse verfügen will. Weiter verfügt der Beschwerdeführer über Onkel und Tanten in Mazar-e Sharif und konnte bereits vor seiner Ausreise in der Tischlerei eines Freundes seines Bruders Arbeit finden. Demnach verfügt der Beschwerdeführer in Mazar-e Sharif auch über ein soziales Unterstützungsnetzwerk, auf das er allenfalls bei der Arbeits- und Wohnraumsuche zurückgreifen kann, insbesondere, weil persönliche Kontakte bei der Arbeitssuche dem Länderinformationsblatt zufolge eine große Rolle spielen (Kapitel 20. Grundversorgung, Abschnitt Arbeitsmarkt). Insgesamt erscheint die Lebensgrundlage des Beschwerdeführers im Ergebnis als gesichert.

Im Hinblick auf den Gesundheitszustand des Beschwerdeführers ist anzumerken, dass ein aktueller spezifischer Behandlungsbedarf nicht ersichtlich ist. So hat er selbst angegeben, dass eine Operation derzeit nicht geplant ist (OZ 21, S. 5) und konnte auch keine aktuellen Befunde vorlegen, aus denen aktueller Behandlungsbedarf hervorginge. Die Übungen, die er in der Physiotherapie gelernt hat und eigenen Angaben zufolge weiterhin macht, kann der Beschwerdeführer dagegen auch im Herkunftsstaat weiterhin machen. Angesichts der Verfügbarkeit grundlegender medizinischer Versorgung im Herkunftsstaat erscheint die medizinische Versorgung des Beschwerdeführers damit gewährleistet. Zur COVID-Pandemie ist überdies anzumerken, dass eine Erkrankung des Beschwerdeführers für den Rückkehrfall zwar nicht ausgeschlossen werden kann, jedoch ist beim anfang-20-jährigen Beschwerdeführer ein Hinweis auf einen zu erwartenden besonders schweren Verlauf der Erkrankung nicht ersichtlich.

Im Hinblick auf die mit Stellungnahem vom 22.05.2020 (OZ 13) beantragte Bestellung von Frau XXXX zur Einholung eines länderkundlichen Sachverständigengutachtens zu „diesem“ Beweisthema ist anzumerken, dass in der Unterlassung der Beweisaufnahme kein Verfahrensmangel gelegen ist, wenn das von der Partei im Beweisantrag genannte Beweisthema unbestimmt ist (VwGH 09.09.2020, Ra 2019/18/0169). Zwar stellt der Beschwerdeführer seinen Beweisantrag im Kontext von Ausführungen zu den Folgen der COVID-19-Pandemie, konkretisiert jedoch das Beweisthema nicht weiter. Beweisanträge, die nur pauschal zum Beweis für das gesamte Vorbringen gestellt werden, entsprechen allerdings nicht dem Erfordernis der konkreten Bezeichnung des Beweisthemas, das durch das Beweismittel erwiesen werden soll (VwGH 13.12.2019, Ra 2019/02/0004). Gleichzeitig werden die Folgen der COVID-Pandemie von den vom Bundesverwaltungsgericht herangezogenen Länderberichten, insbesondere dem EASO COI Report: Afghanistan. Key socio-economic indicators. Focus on Kabul City, Mazar-e Sharif and Herat City von August 2020, sowie dem Länderinformationsblatt, insbesondere Information vom 21.07.2020, die allerdings erst nachdem der Beschwerdeführer seinen Antrag gestellt hat, veröffentlicht wurden, umfassend dargestellt und hat der Beschwerdeführer diese inhaltlich auch nicht in Zweifel gezogen.

Zur Plausibilität und Seriosität der herangezogenen Länderinformationen zur Lage im Herkunftsstaat ist auszuführen, dass die im Länderinformationsblatt zitierten Unterlagen von angesehen Einrichtungen stammen. Es ist auch darauf hinzuweisen, dass die Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl nach § 5 Abs. 2 BFA-VG verpflichtet ist, gesammelte Tatsachen nach objektiven Kriterien wissenschaftlich aufzuarbeiten und in allgemeiner Form zu dokumentieren. Auch das European Asylum Support Office (EASO) ist nach Art. 4 lit. a Verordnung (EU) Nr. 439/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Mai 2010 zur Einrichtung eines Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen bei seiner Berichterstattung über Herkunftsländer zur transparent und unparteiisch erfolgende Sammlung von relevanten, zuverlässigen, genauen und aktuellen Informationen verpflichtet. Damit durchlaufen die länderkundlichen Informationen, die diese Einrichtungen zur Verfügung stellen, einen qualitätssichernden Objektivierungsprozess für die Gewinnung von Informationen zur Lage im Herkunftsstaat. Den UNHCR-Richtlinien ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes besondere Beachtung zu schenken („Indizwirkung"), wobei diese Verpflichtung ihr Fundament auch im einschlägigen Unionsrecht findet (Art. 10 Abs. 3 lit. b der Richtlinie 2013/32/EU [Verfahrensrichtlinie] und Art. 8 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2011/95/EU [Statusrichtlinie]; VwGH 07.06.2019, Ra 2019/14/0114) und der Verwaltungsgerichtshof auch hinsichtlich der Einschätzung von EASO von einer besonderen Bedeutung ausgeht und eine Ausei

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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