TE Bvwg Erkenntnis 2020/11/11 W119 2177677-1

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Veröffentlicht am 11.11.2020
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Entscheidungsdatum

11.11.2020

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §34 Abs2
B-VG Art133 Abs4

Spruch

W119 2177677-1/13E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag.a Eigelsberger als Einzelrichterin über die Beschwerde der XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch ihre Mutter XXXX , vertreten durch die ARGE Rechtsberatung – Diakonie Flüchtlingsdienst gem GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 5. 10. 2017, Zl 1097133401-151888991/BMI-BFA_STM_AST_01_TEAM_01, zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 34 Abs 2 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Die minderjährige Beschwerdeführerin stellte gemeinsam mit ihren Eltern (Zlen W119 2177671 und W119 2177669) und ihren zum Zeitpunkt der Antragstellung noch minderjährigen Geschwistern (Zlen W119 2177679, W119 2177674 und W119 2177676) am 27. 11. 2015 jeweils Anträge auf internationalen Schutz.

Anlässlich der am 28. 11. 2015 durchgeführten Erstbefragung nach dem AsylG führte die Mutter der Beschwerdeführerin zunächst aus, in Kabul gelebt zu haben, dort die Schule besucht und als Krankenschwester gearbeitet zu haben. Ihre Eltern seien bereits gestorben, weitere in Afghanistan lebende Angehörige habe sie nicht. Zu ihrem Fluchtgrund führte sie aus, dass ihr Ehemann für eine ausländische Firma gearbeitet habe, weshalb andere Personen ihn und auch seine Familie für Spione gehalten hätten. Diese hätten ihr und ihrer Familie vorgeworfen, ihren Glauben verraten zu haben. Des Weiteren hätten ihre Töchter keine höhere Schule besuchen dürfen, wodurch ihr Wunsch, sich weiterzubilden, nicht ermöglicht hätte werden können.

Am 7. 8. 2017 fand beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (Bundesamt) eine niederschriftliche Befragung statt, in der die Mutter der Beschwerdeführerin zunächst angab, in Kabul zehn Jahre die Grundschule besucht, danach drei Monate einen Kurs zur Ausbildung als Krankenschwester absolviert und danach in einem Krankenhaus in Kabul gearbeitet zu haben. Nach der Geburt ihrer Kinder sei sie Hausfrau gewesen. Sie habe bis zu ihrer Ausreise in Kabul gelebt. Sie habe mit ihrer Familie deshalb die Flucht angetreten, weil ihr Ehemann für eine internationale Organisation tätig gewesen sei. Sie seien deshalb von den Nachbarn und zuletzt von den Taliban bedroht worden. Seit ihrer Einreise nach Österreich habe sie bereits Deutschkurse und verschiedene Veranstaltungen besucht.

Die Mutter der Beschwerdeführerin legte Schulbesuchsbestätigungen und Schulzeugnisse ihrer Kinder vor.

Mit Bescheid des Bundesamtes vom 5. 10. 2017, Zl 1097133401-151888991/BMI-BFA_STM_AST_01_TEAM_01, wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Gemäß § 57 AsylG wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt und gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen die Beschwerdeführerin eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen, wobei gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt wurde, dass die Abschiebung der Beschwerdeführerin gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III) Gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.) Der Bescheid wurde von der Mutter der Beschwerdeführerin am 18. 10. 2017 persönlich übernommen.

Mit Verfahrensanordnung vom 5. 10. 2017 wurde der Beschwerdeführerin die ARGE-Rechtsberatung – Diakonie und Volkshilfe als Rechtsberaterin zur Seite gestellt.

Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin durch ihren Rechtsberater mit Schriftsatz vom 17. 11. 2017 Beschwerde, obwohl die 4-wöchige Frist bereits am 15. 11. 2017 endete. Dies trifft auch auf die Verfahren ihrer Familienangehörigen zu, mit Ausnahme jenes Verfahren ihres Bruders zu Zl W119 2177674 betreffend, in welchem dieser erst am 20. 10. 2017 den Bescheid persönlich übernommen hatte, sodass die am 17. 11. 2017 eingebrachte Beschwerde fristgerecht erfolgt ist.

Weiters wurde Ausführungen zur „westlichen“ Einstellung der Beschwerdeführer und Beschwerdeführerinnen getätigt. Dazu wurde die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung beantragt.

Mit Schriftsatz des Bundesverwaltungsgerichtes vom 14. 7. 2020 wurde dem Rechtsberater der Beschwerdeführerin ein Verspätungsvorhalt zur verspäteten Einbringung der Beschwerde übermittelt, obwohl ein Bruder der Beschwerdeführerin seine Beschwerde rechtzeitig eingebracht hatte. Dieser Umstand wurde von der erkennenden Richterin zum damaligen Zeitpunkt irrtümlicherweise nicht berücksichtigt.

In einem Schriftsatz vom 28. 7. 2020 wies der Rechtsberater der Beschwerdeführerin auf diese Tatsache hin.

Am 5. 10. 2020 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung durch, an der sich die Eltern und die beiden Schwestern der Beschwerdeführerin beteiligten. Ein Vertreter des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl nahm an der Verhandlung nicht teil.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die minderjährige Beschwerdeführerin stellte gemeinsam mit ihren Eltern und ihren zum Zeitpunkt der Antragstellung noch minderjährigen Geschwistern am 27. 11. 2015 jeweils Anträge auf internationalen Schutz.

Mit Bescheid des Bundesamtes vom 5. 10. 2017, Zl 1097133401-151888991/BMI-BFA_STM_AST_01_TEAM_01, wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Gemäß § 57 AsylG wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt und gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen die Beschwerdeführerin eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen, wobei gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt wurde, dass die Abschiebung der Beschwerdeführerin gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III) Gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.) Der Bescheid wurde von der Mutter der Beschwerdeführerin am 18. 10. 2017 persönlich übernommen.

Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin durch ihren Rechtsberater mit Schriftsatz vom 17. 11. 2017 Beschwerde, obwohl die 4-wöchige Frist bereits am 15. 11. 2017 endete. Dies trifft auch auf die Verfahren ihrer Familienangehörigen zu, mit Ausnahme jenes Verfahren ihres Bruders zu Zl W119 2177674 betreffend, in welchem dieser erst am 20. 10. 2017 den Bescheid persönlich übernommen hatte, sodass die am 17. 11. 2017 eingebrachte Beschwerde fristgerecht erfolgt ist.

Bei der Beschwerdeführerin handelt es sich um die minderjährige Tochter der XXXX , der mit Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl W119 22177669, gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt wurde und der damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt. Die Beschwerdeführerin gehört als ihre minderjährige Tochter der Familie an und liegt im gegenständlichen Fall ein Familienverfahren gemäß § 34 AsylG vor.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen ergeben sich aus den Angaben der Mutter der Beschwerdeführerin im Verfahren sowie aus den damit übereinstimmenden Akteninhalten.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt Einzelrichterzuständigkeit vor.

Gemäß § 1 VwGVG regelt dieses Bundesgesetz das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der BAO, des AgrVG und des DVG und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte. Entgegenstehende Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht sind, bleiben unberührt (§ 58 Abs. 2 VwGVG, in der Fassung BGBl. I Nr. 122/2013).

§ 1 BFA-VG, BGBl I 2012/87 idF BGBL I 2013/144 bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG 2005 und FPG bleiben unberührt. Gemäß §§ 16 Abs. 6 und 18 Abs. 7 BFA-VG sind die §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anwendbar.

Mit 01.01.2006 ist das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl in Kraft getreten (AsylG 2005) und ist auf die ab diesem Zeitpunkt gestellten Anträge auf internationalen Schutz, sohin auch auf den vorliegenden, anzuwenden.

A)

Zur Rechtzeitigkeit der Beschwerde:

Gemäß § 7 Abs. 4 VwGVG beträgt die Frist zur Erhebung einer Beschwerde gegen den Bescheid einer Behörde gem. Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG (hier: Bundesamt) vier Wochen.

Gemäß § 32 Abs. 2 AVG enden nach Wochen, Monaten oder Jahren bestimmte Fristen mit dem Ablauf desjenigen Tages der letzten Woche oder des letzten Monats, der durch seine Benennung oder Zahl dem Tag entspricht, an dem die Frist begonnen hat. Fällt gemäß § 33 Abs. 2 AVG das Ende einer Frist auf einen Samstag, Sonntag, gesetzlichen Feiertag, Karfreitag oder 24. Dezember, so ist der nächste Tag, der nicht einer der vorgenannten Tage ist, als letzter Tag der Frist anzusehen.

§ 16 Abs. 3 BFA-VG normiert, dass wenn gegen eine zurückweisende oder abweisende Entscheidung im Familienverfahren gemäß dem 4. Abschnitt des 4. Hauptstückes des AsylG 2005 auch nur von einem betroffenen Familienmitglied Beschwerde erhoben wird, gilt diese auch als Beschwerde gegen die die anderen Familienangehörigen (§ 2 Z 22 AsylG 2005) betreffenden Entscheidungen; keine dieser Entscheidungen ist dann der Rechtskraft zugänglich.

Die Bestimmung des § 16 Abs. 3 BFA-VG vervollständigt solcherart das System des Familienverfahrens. Damit soll grundsätzlich erreicht werden, dass alle Anträge von Familienmitgliedern von der gleichen Behörde zum gleichen Zeitpunkt entschieden werden können (vgl. RV 2144 BlgNR XXIV. GP, 11f; zu den auf diesen Fall übertragbaren Ausführungen zur Vorgängerbestimmung des § 36 Abs. 3 AsylG 2005 vgl. VwGH 25.11.2009, 2007/01/1153).

Die Mutter der Beschwerdeführerin übernahm für ihre Tochter am 18. 10. 2017 persönlich den Bescheid des Bundesamtes vom 5. 10. 2017. Ihre Vertretung, die Diakonie Flüchtlingsdienst, brachte erst am 17. 11. 2017 die Beschwerde ein, obwohl die 4-wöchige Frist bereits am 15. 11. 2017 endete.

Ein Bruder der Beschwerdeführerin (Zl W119 2177674) hingegen hatte seinen Bescheid erst am 20. 10. 2017 persönlich übernommen, sodass die ebenfalls am 17. 11. 2017 eingebrachte Beschwerde fristgerecht erfolgt ist.

In der gegenständlichen Rechtssache liegt ein Familienverfahren gem. § 34 AsylG 2005 vor, welches beim Bundesverwaltungsgericht anhängig ist. Dabei hat die Behörde gem. § 34 Abs. 4 AsylG 2005 Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind unter einem zu führen; unter den Voraussetzungen der Abs. 2 und 3 erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Entweder ist der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wobei die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten vorgeht, es sei denn, alle Anträge wären als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen. Jeder Asylwerber erhält einen gesonderten Bescheid. Ist einem Fremden der faktische Abschiebeschutz gemäß § 12a Abs. 4 leg.cit. zuzuerkennen, ist dieser auch seinen Familienangehörigen zuzuerkennen.

Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 15. November 2018, Ro 2018/19/0004, ausgeführt hat, richtet sich das in § 34 Abs. 4 AsylG 2005 normierte Gebot, die Verfahren von Familienmitgliedern "unter einem" zu führen, nach dem Gesetzeswortlaut an die Behörde, während § 34 Abs. 5 AsylG 2005 festlegt, dass die Bestimmungen der Abs. 1 bis 4 sinngemäß auch für das Verfahren beim Bundesverwaltungsgericht gelten, wodurch sichergestellt wird, dass auch die Verfahren von jenen Familienmitgliedern, die beim Bundesverwaltungsgericht anhängig sind, gemeinsam entschieden werden. Dem Gesetz ist jedoch keine Anordnung zu entnehmen, dass sämtliche Verfahren im Familienverband, die bereits in verschiedenen Instanzen anhängig sind, ebenfalls unter einem geführt werden müssen. Eine gemeinsame Führung der Verfahren hat - wie der Verwaltungsgerichtshof im zitierten Erkenntnis näher begründet hat - somit nur dann zu erfolgen, wenn diese gleichzeitig beim Bundesamt oder gleichzeitig im Beschwerdeverfahren beim Bundesverwaltungsgericht anhängig sind.

Der Verwaltungsgerichtshof hält in ständiger Rechtsprechung fest, dass § 34 AsylG 2005 der Beschleunigung der Asylverfahren von Asylwerbern im Familienverband dient. Ziel der Bestimmungen ist, Familienangehörigen (im Sinn des § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005) den gleichen Schutz zu gewähren, ohne sie um ihr Verfahren im Einzelfall zu bringen (vgl. jüngst VwGH 24.10.2018, Ra 2018/14/0040 mHa VwGH 30.4.2018, Ra 2017/01/0418; 24.3.2015, Ra 2014/19/0063).

Das bedeutet Folgendes:

Wenn nur von einem einzigen Familienmitglied Beschwerde eingebracht wird, so gilt dies für die gesamte Familie. Keine dieser Entscheidungen ist dann der Rechtskraft zugänglich vgl. Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht, 2016, §34 AsylG 2005, K29). Obwohl jedes Familienmitglied einen gesonderten Bescheid über seinen Antrag auf internationalen Schutz erhält (§ 34 Abs 4 AsylG), muss es diesen nicht selbst bekämpfen, sondern es reicht aus, wenn ein Familienmitglied seine Entscheidung in Beschwerde zieht. Die Beschwerden der anderen Beschwerdemitglieder werden gesetzlich vermutet.

In diesem Sinne hat der Verwaltungsgerichtshof bereits zu § 34 Abs 4 AsylG 2005 erkannt, dass bei Aufhebung (nur) eines Bescheides eines Familienangehörigen dies auch auf die Bescheide der übrigen Familienmitglieder durchschlägt (Vgl VwGH vom 26. 6. 2007, 2007/20/0281).

Im gegenständlichen Fall liegt ein unter einem zu führendes Familienverfahren im Sinne des § 34 AsylG vor, da der Bruder der Beschwerdeführerin zum Zeitpunkt der Asylantragstellung noch minderjährig. Wenngleich zum Zeitpunkt dieser Entscheidung der Bruder der Beschwerdeführerin bereits volljährig war, ist dieser jedoch weiterhin als Familienangehöriger anzusehen. Die Legaldefinition des Familienangehörigen in § 2 Z 22 AsylG 2005 stellt nämlich darauf ab, ob es sich zum Zeitpunkt der Antragstellung um ein minderjähriges lediges Kind eines Asylwerbers oder eines Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde handelt. Nach dem klaren Wortlaut dieser Bestimmung stellt das Gesetz bei der Definition des Familienangehörigen daher auf den Zeitpunkt der Antragstellung ab und perpetuiert diese Eigenschaft für das gesamte Verfahren, auch wenn der Betroffene zwischenzeitig volljährig wird (VwGH vom 28.10.2009, Zl. 2007/01/0532 zur vergleichbaren Regelung des § 1 Z 6 AsylG 1997).

Wie sich aus obigen Ausführungen ergibt, genügt es in einem Familienverfahren nach § 34 AsylG, dass ein Familienmitglied fristgerecht Beschwerde erhebt. Diese fristgerecht eingebrachte Beschwerde eines Bruders der Beschwerdeführerin gilt auch als Beschwerde gegen die die Beschwerdeführerin betreffende Entscheidung und ist diese damit der Rechtskraft nicht zugänglich. Das bedeutet, dass diese Beschwerde auch als fristgerechte Beschwerde für die anderen Familienmitglieder gilt und bewirkte, dass auch der Bescheid der Beschwerdeführerin nicht in Rechtskraft erwachsen konnte. Dies ergibt sich sowohl aus dem Wortlaut des § 16 Abs 3 BFA-VG als auch aus dem Zweck der Bestimmung, der in der Gleichförmigkeit des Familienverfahrens und der Verfahrensökonomie besteht.

Unter Zugrundelegung dieser Ausführungen erweist sich die von der Beschwerdeführerin eingebrachte Beschwerde als fristgerecht.

Gemäß § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005 ist "Familienangehöriger", wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylwerbers oder eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Ehe bei Ehegatten bereits vor der Einreise des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten bestanden hat, sowie der gesetzliche Vertreter der Person, der internationaler Schutz zuerkannt worden ist, wenn diese minderjährig und nicht verheiratet ist, sofern dieses rechtserhebliche Verhältnis bereits vor der Einreise des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten bestanden hat; dies gilt weiters auch für eingetragene Partner, sofern die eingetragene Partnerschaft bereits vor der Einreise des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten bestanden hat.

Stellt ein Familienangehöriger iSd § 2 Abs. 1 Z 22 leg. cit. von einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, einen Antrag auf internationalen Schutz, gilt dieser gemäß § 34 Abs. 1 AsylG 2005 als Antrag auf Gewährung desselben Schutzes.

§ 34 Abs. 2 AsylG 2005 normiert, dass die Behörde aufgrund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen hat, wenn

1.       dieser nicht straffällig geworden ist und

(Anm.: Z 2 aufgehoben durch Art 3 Z13, BGBl. I Nr. 84/2017)

3.       gegen den Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung des Asylstatus anhängig ist (§ 7).

Gemäß Abs. 4 leg. cit. hat die Behörde Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind unter einem zu führen, und es erhalten unter den Voraussetzungen der Absätze 2 und 3 alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Entweder ist der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wobei die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten vorgeht, es sei denn, alle Anträge wären als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen. Jeder Asylwerber erhält einen gesonderten Bescheid. Ist einem Fremden der faktische Abschiebeschutz gemäß § 12a Abs. 4 zuzuerkennen, ist dieser auch seinen Familienangehörigen zuzuerkennen.

Im vorliegenden Fall wurde der Mutter der Beschwerdeführerin gemäß § 3 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt und gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 festgestellt, dass dieser damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt. Der minderjährigen Beschwerdeführerin ist daher nach § 34 Abs. 4 AsylG 2005 der gleiche Schutzumfang, d.h. der Status der Asylberechtigten nach § 3 Abs. 1 AsylG 2005, zuzuerkennen, ohne dass allfällige eigene Fluchtgründe zu beurteilen waren (vgl. dazu auch Feßl/Holzschuster, Asylgesetz 2005 [2006], 499).

Der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass der Antrag auf internationalen Schutz am 27. 11. 2015 und somit nach dem 15. 11. 2015 gestellt wurde, wodurch insbesondere die §§ 2 Abs. 1 Z 15 und 3 Abs. 4 AsylG 2005 idF des Bundesgesetzes BGBl. I 24/2016 ("Asyl auf Zeit") gemäß § 75 Abs. 24 leg. cit. im konkreten Fall Anwendung finden.

Asylgesetz 2005 [2006], 499).

B)
Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten des angefochtenen Bescheides wiedergegeben.

Die Revision ist sohin gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Schlagworte

Asylgewährung von Familienangehörigen befristete Aufenthaltsberechtigung Familienverfahren

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W119.2177677.1.00

Im RIS seit

08.01.2021

Zuletzt aktualisiert am

08.01.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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