TE Bvwg Erkenntnis 2020/11/12 W266 2185543-1

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Veröffentlicht am 12.11.2020
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Entscheidungsdatum

12.11.2020

Norm

AlVG §49
AVG §9
B-VG Art133 Abs4

Spruch

W266 2185543-1/9E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Stephan WAGNER als Vorsitzenden und die fachkundigen Laienrichter Andreas KARWAS und Mag. Wolfgang SCHIELER als Beisitzer über die Beschwerde des XXXX , geboren am XXXX , vertreten durch Dr. Ulrich KLIMSCHA gegen den Bescheid des Arbeitsmarktservice Wien Wagramer Straße vom 9.11.2017, VSNR: XXXX , betreffend Einstellung der Notstandshilfe von 5.10.2017 bis 2.11.2017, zu Recht:

A)

Der Beschwerde wird Folge gegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Mit dem im Spruch zitierten Bescheid des Arbeitsmarktservice Wien Wagramer Straße (in der Folge: AMS oder belangte Behörde) vom 9.11.2017 wurde ausgesprochen, dass der Beschwerdeführer für den Zeitraum von 5.10.2017 bis 2.11.2017 keine Notstandshilfe erhalte (Spruchpunkt A).

Die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gegen diesen Bescheid wurde gemäß § 13 Abs. 2 VwGVG ausgeschlossen (Spruchpunkt B).

Begründend wurde ausgeführt, dass der Beschwerdeführer den vorgeschriebenen Kontrollmeldetermin am 5.10.2017 nicht eingehalten und sich erst wieder am 3.11.2017 bei der zuständigen regionalen Geschäftsstelle gemeldet habe.

Eine aufschiebende Wirkung würde den aus generalpräventiver Sicht im öffentlichen Interesse gelegenen Normzweck, Leistungen bei Arbeitslosigkeit nur bei gleichzeitiger Verfügbarkeit für die Arbeitsvermittlung zu gewähren, unterlaufen. Aus diesem Grund überwiege das öffentliche Interesse gegenüber dem mit einer Beschwerde verfolgten Einzelinteresse.

Dagegen erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde, in welcher er ausführte, dass er an einer Angststörung in Form einer Agoraphobie mit Panikattacken leide, welche sich darin äußere, dass er z.B. keine öffentlichen Verkehrsmittel benutzen könne. Aufgrund der aktuellen finanziellen Situation könnten keine zusätzlichen Taxifahrten finanziert werden, um so die Wahrnehmung des Termins zu ermöglichen. Auch lasse die psychiatrische Erkrankung des Beschwerdeführers die regelmäßige und verlässliche Wahrnehmung der Kontrolltermine durch den Beschwerdeführer nicht zu.

Der Erwachsenenvertreter des Beschwerdeführers habe versucht, ohne den Beschwerdeführer beim AMS vorzusprechen, jedoch sei explizit die Vorsprache des Betroffenen verlangt worden, was aus den angeführten Gründen nicht möglich gewesen sei.

Der Beschwerde waren der Beschluss über die Bestellung eines Sachwalters des Bezirksgerichts XXXX sowie zwei psychiatrisch-neurologische Gutachten angehängt.

Die belangte Behörde legte die Beschwerde samt bezugnehmenden Verwaltungsakt am 8.2.2018 dem Bundesverwaltungsgericht vor.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Nach Einsicht in den verwaltungsbehördlichen Akt, insbesondere in die Beschwerde und die vorgelegten Beweismittel steht folgender Sachverhalt fest:

Der Beschwerdeführer bezieht seit mehreren Jahren Notstandshilfe, unterbrochen vor allem durch den Bezug von Krankengeld.

Der Beschwerdeführer leidet an einer Angststörung in Form einer Agoraphobie mit häufigen Panikattacken, er hat einen hohen Leidensdruck mit Lebensüberdruss, Antriebsarmut und hochgradig eingeschränkter psychischer Belastbarkeit.

Seit dem Jahr 2013 ist Dr. Ulrich KLIMSCHA für den Beschwerdeführer als Erwachsenenvertreter bestellt und hat folgende Angelegenheiten zu besorgen: Vertretung vor Gerichten, Behörden und Sozialversicherungsträgern, Verwaltung von Einkünften, Vermögen und Verbindlichkeiten, Vertretung bei Rechtsgeschäften, die über Geschäfte des täglichen Lebens hinausgehen.

Im Rahmen einer persönlichen Vorsprache des Erwachsenenvertreters des Beschwerdeführers am 28.09.2017 wurde der nächste Kontrollmeldetermin für den 5.10.2017 mitgeteilt. Der Termin wurde dem Erwachsenenvertreter per E-Mail vom 29.9.2017 übermittelt.

Den Termin am 5.10.2017 nahm der Beschwerdeführer nicht wahr. Er meldete sich am 3.11.2017 wieder beim AMS. Der Beschwerdeführer verfügte nicht über die Einsichtsfähigkeit, die Bedeutsamkeit eines Kontrollmeldetermins zu verstehen, und nach dieser Einsicht zu handeln.

2. Beweiswürdigung:

Die getroffenen Feststellungen ergeben sich aus dem unbedenklichen und unzweifelhaften Verwaltungsakt der belangten Behörde und dem vorliegenden Gerichtsakt.

Die Feststellungen zum Leistungsbezug des Beschwerdeführers beruhen auf dem im Akt einliegenden Bezugsverlauf vom 6.2.2018.

Die Feststellungen zum psychischen Gesundheitszustand des Beschwerdeführers sowie dem bestellten Erwachsenenvertreter und die von diesem zu besorgenden Angelegenheiten beruhen insbesondere auf dem Beschluss über die Bestellung eines Sachwalters des Bezirksgerichts XXXX , XXXX , vom 14.10.2013 sowie den vom Erwachsenenvertreter vorgelegten Gutachten.

Die Mitteilung des Kontrollmeldetermins am 5.10.2017 seitens des AMS wurde im gegenständlichen Fall vom Beschwerdeführer nicht bestritten. Dies trifft ebenso auf den Umstand zu, dass der Beschwerdeführer den Kontrollmeldetermin am 5.10.2017 nicht wahrnahm und sich am 3.11.2017 beim AMS meldete.

Es ist unstrittig, dass die bestehende Erwachsenenvertretung dem AMS bekannt war, insbesondere enthält der EDV-Vermerk des AMS vom 28.9.2017 den Eintrag „NK in der BZ gebucht, beim NK bitte Terminfähigkeit prüfen!“.

3. Rechtliche Beurteilung:

Anzuwendendes Recht:

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist.

Zu A) Stattgabe der Beschwerde:

Die im gegenständlichen Beschwerdefall maßgebenden Bestimmungen des Arbeitslosenversicherungsgesetzes lauten:

„§ 47. (2) Personen, die Kontrollmeldungen einzuhalten haben, sind von der regionalen Geschäftsstelle in geeigneter Weise darüber zu informieren. Insbesondere muss jeweils die Zeit und der Ort der einzuhaltenden Kontrollmeldungen eindeutig bekannt gegeben werden.

§ 49. (1) Zur Sicherung des Anspruches auf den Bezug von Arbeitslosengeld bzw. Notstandshilfe hat sich der Arbeitslose wöchentlich mindestens einmal bei der nach seinem Wohnort zuständigen regionalen Geschäftsstelle persönlich zu melden. Je nach der Situation auf dem Arbeitsmarkt kann die regionale Geschäftsstelle die Einhaltung von Kontrollmeldungen gänzlich nachsehen, die Zahl der einzuhaltenden Kontrollmeldungen herabsetzen oder öftere Kontrollmeldungen vorschreiben. Die regionale Geschäftsstelle kann auch öftere Kontrollmeldungen vorschreiben, wenn der begründete Verdacht besteht, daß das Arbeitslosengeld bzw. die Notstandshilfe nicht gebührt. Die näheren Bestimmungen über die Kontrollmeldungen trifft die Landesgeschäftsstelle. Die Landesgeschäftsstelle kann auch andere Stellen als Meldestellen bezeichnen.

(2) Ein Arbeitsloser, der trotz Belehrung über die Rechtsfolgen eine Kontrollmeldung unterläßt, ohne sich mit triftigen Gründen zu entschuldigen, verliert vom Tage der versäumten Kontrollmeldung an bis zur Geltendmachung des Fortbezuges den Anspruch auf Arbeitslosengeld bzw. Notstandshilfe. Liegen zwischen dem Tag der versäumten Kontrollmeldung und der Geltendmachung mehr als 62 Tage, so erhält er für den übersteigenden Zeitraum kein Arbeitslosengeld bzw. keine Notstandshilfe. Der Zeitraum des Anspruchsverlustes verkürzt sich um die Tage einer arbeitslosenversicherungspflichtigen Beschäftigung, die er in diesem Zeitraum ausgeübt hat. Ist die Frage strittig, ob ein triftiger Grund für die Unterlassung der Kontrollmeldung vorliegt, so ist der Regionalbeirat anzuhören.

§ 38. Soweit in diesem Abschnitt nichts anderes bestimmt ist, sind auf die Notstandshilfe die Bestimmungen des Abschnittes 1 sinngemäß anzuwenden.“

Daraus folgt:

Gemäß § 9 AVG ist - insoweit die persönliche Rechts- und Handlungsfähigkeit von Beteiligten in Frage kommt - diese von der Behörde, wenn in den Verwaltungsvorschriften nichts anderes bestimmt ist, nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts zu beurteilen. Nach dem bereits angeführten Beschluss des Bezirksgerichts XXXX vom 14.10.2013 hat der Erwachsenenvertreter des Beschwerdeführers die Vertretung vor Gerichten, Behörden und Sozialversicherungsträgern, Verwaltung von Einkünften, Vermögen und Verbindlichkeiten, Vertretung bei Rechtsgeschäften, die über Geschäfte des täglichen Lebens hinausgehen, für ihn zu besorgen.

Durch die Bestellung eines Erwachsenenvertreters für einen bestimmten Aufgabenkreis wird die betreffende Person nur in ihrer rechtlichen Dispositionsfähigkeit, jedoch nicht in ihrer faktischen Handlungsfähigkeit beschränkt. Die Nichteinhaltung einer im Bereich des Faktischen liegenden gesetzlichen Verpflichtung, wie etwa der Wahrnehmung eines Kontrolltermins, steht nicht dem rechtsgeschäftlichen Handeln nahe, sondern kommt vielmehr dem deliktischen Handeln gleich. Insofern bedeutet die Bestellung eines Erwachsenenvertreters nur, dass die Vermutung des § 1297 erster Satz ABGB nicht gilt, sodass unter Zuhilfenahme eines medizinischen Sachverständigen zu prüfen wäre, ob der Betroffene - bezogen auf das in Rede stehende Verhalten – „eines solchen Grades des Fleißes und der Aufmerksamkeit fähig sei, welcher bei gewöhnlichen Fällen angewendet werden kann“ (vgl. VwGH 11.9.2019, Ra 2019/08/0067 mwN.).

Gemäß § 49 Abs. 2 AlVG ist eine Kontrollversäumnis dann entschuldigt, wenn ein triftiger Grund vorliegt.

Ein eingeschränkter Geisteszustand kann zu einer Entschuldigung einer Kontrollmeldeversäumnis führen. Dazu bedarf es allenfalls eines aktuellen Gutachtens eines medizinischen Sachverständigen; war die Arbeitslose nicht in der Lage, die Bedeutung der Vorschreibung der Kontrollmeldung zu erfassen und sich dieser Einsicht entsprechend zu verhalten, so konnte ein Kontrolltermin überhaupt nicht wirksam vorgeschrieben werden (vgl. Julcher in Pfeil (Hrsg), Der AlV-Komm, § 49 AlVG Rz 13; vgl. auch VwGH 9.8.2002, 2002/08/0039).

Im gegenständlichen Fall ist unstrittig, dass der Beschwerdeführer über den Kontrolltermin für den 5.10.2017 und die Rechtsfolgen der Nichteinhaltung zwar informiert wurde, indem dies dem Erwachsenenvertreter zur Kenntnis gebracht wurde. Aus dem EDV-Vermerk des AMS vom 28.9.2017 ergibt sich jedoch, dass die belangte Behörde bereits Zweifel an der Terminfähigkeit des Beschwerdeführers hatte. Aus den vorgelegten Sachverständigengutachten und den diesen zu entnehmenden Diagnosen ist weiters ersichtlich, dass der Beschwerdeführer aufgrund seiner psychischen Erkrankungen nicht über die Einsichtsfähigkeit verfügte, die Bedeutsamkeit eines Kontrollmeldetermins zu verstehen, und nach dieser Einsicht zu handeln, indem er den vorgeschriebenen Termin wahrnahm. So liegt beim Beschwerdeführer nicht nur ein hoher Leidensdruck mit Antriebsarmut und hochgradig eingeschränkter psychischer Belastbarkeit vor, sondern darüber hinaus eine Agoraphobie mit häufigen Panikattacken.

Nach dem Gesagten ergibt sich somit, dass dem Beschwerdeführer der Kontrollmeldetermin für den 5.10.2017 nicht wirksam vorgeschrieben werden konnte, weshalb auch die Sanktion nach § 49 Abs. 2 AlVG unzulässig war. Der angefochtene Bescheid war sohin zu beheben.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Erwachsenenvertreter Gutachten Kontrollmeldetermin Notstandshilfe psychische Erkrankung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W266.2185543.1.00

Im RIS seit

08.01.2021

Zuletzt aktualisiert am

08.01.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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