TE Bvwg Erkenntnis 2020/11/16 W207 2235228-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 16.11.2020
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Entscheidungsdatum

16.11.2020

Norm

BBG §40 Abs1
BBG §41 Abs1
BBG §45 Abs1
BBG §45 Abs2
B-VG Art133 Abs4

Spruch

W207 2235228-1/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Michael SCHWARZGRUBER als Vorsitzender und die Richterin Mag. Natascha GRUBER sowie den fachkundigen Laienrichter Mag. Gerald SOMMERHUBER als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien, vom 18.08.2020, OB: XXXX , betreffend Abweisung des Antrages auf Ausstellung eines Behindertenpasses, zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß § 40 Abs. 1, § 41 Abs. 1 und § 45 Abs. 1 und 2 Bundesbehindertengesetz (BBG) als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang

Die Beschwerdeführerin stellte am 30.01.2020 beim Sozialministeriumsservice (in der Folge auch als belangte Behörde bezeichnet) einen Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses.

Mit Schreiben vom 12.02.2020, 12.03.2020 und 27.04.2020 wurde die Beschwerdeführerin von der belangten Behörde aufgefordert, aktuelle Befunde sowie ein Lichtbild vorzulegen. Daraufhin legte die Beschwerdeführerin am 29.04.2020 ein Lichtbild und ein umfangreiches Befundkonvolut bei der belangten Behörde vor.

Die belangte Behörde holte in der Folge ein Sachverständigengutachten einer Fachärztin für Innere Medizin auf Grundlage der Bestimmungen der Anlage der Einschätzungsverordnung vom 21.07.2020, basierend auf einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin am 24.06.2020, ein. In diesem medizinischen Sachverständigengutachten wurde – hier in den wesentlichen Teilen und in anonymisierter Form wiedergegeben - Folgendes ausgeführt:

„…

Anamnese:

Antragsleiden: Angina pectoris, Kardiomyopathie, Befund Dr. M., Z. n. Hämorrhoiden OP

Derzeitige Beschwerden:

"Ich kann nicht weit gehen, bekomme keine Luft, die Füße schmerzen, habe Durchblutungsstörungen, Das Stiegen steigen ist schlecht, vor allem bei warmen Wetter. Der Blutdruck ist hoch, dann zieht es beim Herzen. Ich kann die öffentlichen Verkehrsmittel nicht benutzen, weil ich Angst, habe keine Luft zu bekommen. Der Stuhlgang funktioniert nicht. Ich habe mich einmal angemacht (nach Laxantiengebrauch). Der Schließmuskel wurde bei einer Hämorrhoiden Operation vor 20 Jahren verletzt."

Behandlung(en) / Medikamente / Hilfsmittel:

Clopidogrel, Pantoprazol, Sortis, Exforge, TASS

Sozialanamnese:

verheiratet, eine Tochter

Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe):

Befund Dr. A., ohne Datum, Unterschrift Stempel: hypertensive Entgleisung

C/P Rö 20.11.2019: unauffällig, Labor unauffällig

Befund Dr. M. 9.10.2019: maximale Gehstrecke: 8 Std., paVK I-II, CHK, Diabetes mellitus, HbA1c 6,6%, arterielle Hypertonie

Befund Carotis Sono und Abdomen: 19.9.2019: hämodynamisch nicht wirksame Plaques, Ektasie der Aorta abdominalis

Arztbrief XXX 18.5.-27.5.2015: Tako Tsubo Syndrom, CHK: DES ad CX 09/2014, arterielle Hypertonie, Diabetes mellitus, paVK, PTA der Afs rechts 09/2013

Untersuchungsbefund:

Allgemeinzustand:

gut

Ernährungszustand:
normal

Größe: 163,00 cm Gewicht: 65,00 kg Blutdruck: 140/80

Klinischer Status - Fachstatus:

HNAP frei

Hals: keine Struma, keine pathologischen Lymphknoten palpabel

Thorax: symmetrisch Pulmo: VA, SKS

Herztöne: rein, rhythmisch, normofrequent

Abdomen: Leiste rechts: V.a. H. ing, nicht verifiziert, Leber und Milz nicht palpabel, keine Druckpunkte, keine Resistenzen, Darmgeräusche lebhaft

UE: keine Ödeme, Fußpulse palpabel, Haut warm, gut durchblutet

Faustschluss: möglich, NSG: möglich, FBA: 20cm ZFS: möglich

Untersuchung im Sitzen und Liegen, selbständiges An- und Ausziehen

Gesamtmobilität - Gangbild:
unauffällig, keine Hilfsmittel

Status Psychicus:

allseits orientiert, Ductus kohärent

Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:

Lfd. Nr.

Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:

Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:

Pos. Nr.

GdB %

1

Koronare Herzkrankheit mit Zustand nach Stenting

oberer Rahmensatz, da Zustand nach Herzinfarkt und Tako Tsubo

Syndrom, kardial kompensiert

05.05.02

40

2

generalisierte arterielle Verschlusskrankheit (cerebral, peripher, abdominell)

unterer Rahmensatz, da hämodynamisch nicht relevant

05.03.02

20

3

arterielle Hypertonie

05.01.01

10

4

Diabetes mellitus, nicht insulinpflichtig

unterer Rahmensatz, da unter Diät stabilisierbar

09.02.01

10

                                                      
Gesamtgrad der Behinderung          40 v. H.

Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung:

Das führende Leiden 1 wird von den Leiden 2, 3 und 4 nicht weiter erhöht, da diese von geringer funktioneller Relevanz sind.

Folgende beantragten bzw. in den zugrunde gelegten Unterlagen diagnostizierten Gesundheitsschädigungen erreichen keinen Grad der Behinderung:

Z.n. Hämorrhoiden OP mit Schließmuskelschädigung: nicht befundbelegt, daher kein GdB

Stellungnahme zu gesundheitlichen Änderungen im Vergleich zum Vorgutachten:

Erstgutachten

[X] Dauerzustand

1. Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel - Welche der festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen lassen das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke, das Ein- und Aussteigen sowie den sicheren Transport in einem öffentlichen Verkehrsmittel nicht zu und warum?

Keine. Das Zurücklegen kurzer Wegstrecken, das Ein- und Aussteigen sowie der sichere Transport in öffentlichen Verkehrsmitteln ist, bei hierorts gutem Allgemein- und Ernährungszustand, sowie freiem und unauffälligem Gangbild, durch die dokumentierten Leiden nicht erheblich erschwert.

2. Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel - Liegt eine schwere Erkrankung des Immunsystems vor?

Nein.

…“

Mit Schreiben der belangten Behörde vom 21.07.2020 wurde die Beschwerdeführerin über das Ergebnis der Beweisaufnahme in Kenntnis gesetzt; unter einem wurde ihr das eingeholte medizinische Sachverständigengutachten vom selben Tag übermittelt. Der Beschwerdeführerin wurde in Wahrung des Parteiengehörs die Gelegenheit eingeräumt, binnen zwei Wochen ab Zustellung des Schreibens eine Stellungnahme abzugeben.

Die Beschwerdeführerin brachte innerhalb der ihr dafür gewährten Frist keine Stellungnahme ein.

Mit Bescheid vom 18.08.2020 wies die belangte Behörde daher den Antrag der Beschwerdeführerin auf Ausstellung eines Behindertenpasses vom 30.01.2020 ab und führte begründend aus, dass das medizinische Beweisverfahren einen Grad der Behinderung von 40 v.H. ergeben habe und somit die Voraussetzungen zur Ausstellung eines Behindertenpasses nicht gegeben seien. Die wesentlichen Ergebnisse des ärztlichen Begutachtungsverfahrens seien dem eingeholten Sachverständigengutachten vom 21.07.2020, welches einen Bestandteil der Begründung bilde, zu entnehmen.

Die Beschwerdeführerin brachte ohne Vorlage neuer Beweismittel mit E-Mail vom 07.09.2020 eine Beschwerde folgenden Inhalts – hier in den wesentlichen Teilen und in anonymisierter Form wiedergegeben – gegen den Bescheid vom 18.08.2020 ein:
„…

Es sind soweit alle Beschwerden bei der Berechnung meiner Behinderung berücksichtigt worden, bis auf mein Problem, dass seit meiner Mastdarmoperation meine Kontinenzfuntkion zur gänze gestört ist.

Leider wurde durch Fr. Dr. K. missverstanden, dass meine Kontinenz lediglich nach der Einnahme von Laxantien gestört wäre.

Ich leide unter der Trägheit meiner Darmperistaltik und komme oft ohne der Verwendung ohne Laxantien nicht aus.

Jedoch auch ohne der Verwendung von Laxantien kann ich meine Kontinenz nicht bewusst kontrollieren.

Dies berirkt das Problem, dass ich es meide, länger in der Öffentlichkeit zu sein, geschweige denn ich mich traue, öffentliche Verkehrsmittel zu verwenden, da ich mehrmals in kürzerster Zeit eine Toilette aufsuchen muss.

Aus diesem Grund ist meine Ehemann oder mein Enkel meine Notwendigkeit, dass ich mit dem Auto wohin gebracht werden kann.

Bzw. wenn nötig ich kurzfristig zu einer öffentlichen Toilette gefahren werden kann, um meiner Notdurft nachkommen zu können.

Bitte lassen Sie mich wissen, wie meine Problematik zur Berechnung meines Grad zur Behinderung berücksichtig werden kann.

Bereits jetzt bedanke ich mich für Ihre nochmaligen Bemühungen und verbleibe Hochachtungsvoll

Name und Adresse der Beschwerdeführerin“

Die belangte Behörde legte am 21.09.2020 dem Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde und den Bezug habenden Verwaltungsakt zur Entscheidung vor.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die Beschwerdeführerin brachte am 30.01.2020 den gegenständlichen Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses beim Sozialministeriumservice ein.

Die Beschwerdeführerin hat ihren Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt im Inland.

Die Beschwerdeführerin leidet unter folgenden objektivierten Funktionseinschränkungen:

1.       Koronare Herzkrankheit mit Zustand nach Stenting, Zustand nach Herzinfarkt und Tako Tsubo Syndrom, kardial kompensiert;

2.       Generalisierte arterielle Verschlusskrankheit (cerebral, peripher, abdominell), hämodynamisch nicht relevant;

3.       Arterielle Hypertonie;

4.       Nicht insulinpflichtiger Diabetes mellitus, unter Diät stabilisierbar.

Der Gesamtgrad der Behinderung der Beschwerdeführerin beträgt aktuell 40 v.H.

Hinsichtlich der bei der Beschwerdeführerin bestehenden einzelnen Funktionseinschränkungen und deren Ausmaß sowie der Frage der wechselseitigen Leidensbeeinflussung werden die diesbezüglichen Beurteilungen im oben wiedergegebenen medizinischen Sachverständigengutachten vom 21.07.2020 der nunmehrigen Entscheidung zu Grunde gelegt.

2. Beweiswürdigung:

Das Datum der Einbringung des gegenständlichen Antrages auf Ausstellung eines Behindertenpasses basiert auf dem Akteninhalt.

Die Feststellung zum Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt der Beschwerdeführerin im österreichischen Bundesgebiet ergibt sich aus einer vom Bundesverwaltungsgericht eingeholten Behördenanfrage aus dem Zentralen Melderegister.

Die festgestellten Funktionseinschränkungen und der Gesamtgrad der Behinderung gründen sich auf das durch die belangte Behörde eingeholte medizinische Sachverständigengutachten einer Fachärztin für Innere Medizin vom 21.07.2020.

In diesem medizinischen Sachverständigengutachten vom 21.07.2020 wird auf Grundlage einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin am 24.06.2020 und unter Berücksichtigung sämtlicher von der Beschwerdeführerin im Verfahren vorgelegten medizinischen Unterlagen auf die Art der Leiden der Beschwerdeführerin und deren Ausmaß schlüssig und widerspruchsfrei eingegangen. Die getroffenen Einschätzungen entsprechen den festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen.

Mit dem oben vollständig wiedergegebenen Beschwerdevorbringen wird keine Rechtswidrigkeit der von der medizinischen Sachverständigen vorgenommenen einzelnen Einstufungen der festgestellten Leiden ausreichend konkret und substantiiert behauptet und ist eine solche auch von Amts wegen nicht ersichtlich. Vielmehr führt die Beschwerdeführerin selbst aus, dass soweit alle Beschwerden bei der Berechnung ihrer Behinderung berücksichtigt worden seien. Das eingeholte medizinische Sachverständigengutachten schlüsselt - unter konkreter Auflistung und Berücksichtigung der von der Beschwerdeführerin im Verfahren vorgelegten medizinischen Unterlagen - konkret und umfassend auf, welche Funktionseinschränkungen bei der Beschwerdeführerin vorliegen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden.

Das Vorliegen allfälliger weiterer einschätzungsrelevanter Funktionseinschränkungen vermochte von der Beschwerdeführerin nicht belegt und damit nicht objektiviert zu werden. Insbesondere wurden die von der Beschwerdeführerin vorgebrachten Darmprobleme (ihre Kontinenzfunktion sei seit einer Mastdarmoperation zur Gänze gestört), wie im Gutachten vom 21.07.2020 dargelegt (vgl. den Punkt „Folgende beantragten bzw. in den zugrunde gelegten Unterlagen diagnostizierten Gesundheitsschädigungen erreichen keinen Grad der Behinderung“), im Laufe des Verfahrens – sohin auch im Rahmen der Beschwerde - nicht befundmäßig belegt und sind daher nicht objektiviert. Zwar brachte die Beschwerdeführerin im Rahmen der Antragstellung am 30.01.2020 u.a. eine Hämorrhoidektomie, also eine operative Entfernung stark vergrößerter Hämmorrhoiden, vor und gab im Rahmen der persönlichen Untersuchung am 24.06.2020 (unter „Derzeitige Beschwerden“) an, der Stuhlgang funktioniere nicht, sie habe „sich einmal angemacht“ (nach Laxantiengebrauch), der Schließmuskel sei bei einer Hämorrhoiden Operation vor 20 Jahren verletzt worden, jedoch führte die medizinische Sachverständige im Sachverständigengutachten vom 21.07.2020 zutreffend aus, ein Zustand nach Hämorrhoiden OP mit Schließmuskelschädigung sei nicht befundbelegt und erreiche daher keinen Grad der Behinderung. Trotz Kenntnis dieser Ausführungen im medizinischen Sachverständigengutachten legte die Beschwerdeführerin, wie bereits erwähnt, aber auch im Rahmen der Beschwerde keine diesbezüglichen Befunde vor, die geeignet gewesen wären, das (aktuelle) Vorliegen einer Stuhlinkontinenz in einstufungsrelevanter Intensität zu belegen.

Auf Grundlage der von der Beschwerdeführerin im Verfahren vorgelegten Unterlagen und einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin konnte gegenwärtig kein höherer Grad der Behinderung als 40 v.H. objektiviert werden.

Insoweit in der Beschwerde eine Beanstandung des eingeholten medizinischen Sachverständigengutachtens zum Ausdruck gebracht wird, als ausgeführt wird, die Gutachterin habe die Beschwerdeführerin in Bezug auf ihre Inkontinenz falsch verstanden, ist anzumerken, dass sich dem eingeholten medizinischen Sachverständigengutachten keine ausreichend konkreten Anhaltspunkte für die Annahme entnehmen lassen, dass es zu einem Missverständnis zwischen der Beschwerdeführerin und der Gutachterin betreffend die angegebenen Darmbeschwerden gekommen wäre. Vielmehr führt die medizinische Sachverständige in ihrem Gutachten – wie bereits dargelegt - zutreffend aus, dass ein Zustand nach einer Hämorrhoiden Operation mit Schließmuskelschädigung nicht befundbelegt ist.

Insofern in der Beschwerde aber inhaltlich auf die Frage der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel Bezug genommen wird, ist lediglich der Vollständigkeit halber darauf hinzuweisen, dass mit einem festgestellten Grad der Behinderung von 40 v.H. kein Rechtsanspruch auf die Ausstellung eines Behindertenpasses besteht. Daher ist auch die Vornahme allfälliger Zusatzeintragungen (wie zum Beispiel „Unzumutbarkeit der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel“) und die allfällige Ausstellung eines Ausweises gemäß § 29 b StVO (Parkausweis) rechtlich nicht zulässig und wurde diesbezüglich auch kein Bescheid der belangten Behörde erlassen, der einer Anfechtung zugänglich wäre.

Der Beschwerde wurden keine medizinischen Unterlagen beigelegt, die die vorgenommenen Einstufungen widerlegen oder diesen entgegenstehen würden. Die Beschwerdeführerin ist daher dem gegenständlich eingeholten medizinischen Sachverständigengutachten in der Beschwerde nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten, steht es dem Antragsteller, so er der Auffassung ist, dass seine Leiden nicht hinreichend berücksichtigt wurden, nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes doch frei, das im Auftrag der Behörde erstellte Gutachten durch die Beibringung eines Gegengutachtens eines Sachverständigen seiner Wahl zu entkräften (vgl. etwa das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 27.06.2000, Zl. 2000/11/0093).

Seitens des Bundesverwaltungsgerichtes bestehen keine Zweifel an der Richtigkeit, Vollständigkeit und Schlüssigkeit des vorliegenden medizinischen Sachverständigengutachtens einer Fachärztin für Innere Medizin vom 21.07.2020. Dieses Sachverständigengutachten wird daher in freier Beweiswürdigung der gegenständlichen Entscheidung zu Grunde gelegt.

3. Rechtliche Beurteilung:

1. Zur Entscheidung in der Sache

Die gegenständlich maßgeblichen Bestimmungen des Bundesbehindertengesetzes (BBG) lauten:

„§ 40. (1) Behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% ist auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpass auszustellen, wenn

1. ihr Grad der Behinderung (ihre Minderung der Erwerbsfähigkeit) nach bundesgesetzlichen Vorschriften durch Bescheid oder Urteil festgestellt ist oder

2. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften wegen Invalidität, Berufsunfähigkeit, Dienstunfähigkeit oder dauernder Erwerbsunfähigkeit Geldleistungen beziehen oder

3. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften ein Pflegegeld, eine Pflegezulage, eine Blindenzulage oder eine gleichartige Leistung erhalten oder

5. sie dem Personenkreis der begünstigten Behinderten im Sinne des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, angehören.

(2) Behinderten Menschen, die nicht dem im Abs. 1 angeführten Personenkreis angehören, ist ein Behindertenpaß auszustellen, wenn und insoweit das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen auf Grund von Vereinbarungen des Bundes mit dem jeweiligen Land oder auf Grund anderer Rechtsvorschriften hiezu ermächtigt ist.

§ 41. (1) Als Nachweis für das Vorliegen der im § 40 genannten Voraussetzungen gilt der letzte rechtskräftige Bescheid eines Rehabilitationsträgers (§ 3) oder ein rechtskräftiges Urteil eines Gerichtes nach dem Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, BGBl. Nr. 104/1985, ein rechtskräftiges Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes oder die Mitteilung über die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe gemäß § 8 Abs. 5 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967, BGBl. Nr. 376. Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen hat den Grad der Behinderung nach der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010) unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen einzuschätzen, wenn

1. nach bundesgesetzlichen Vorschriften Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werden und die hiefür maßgebenden Vorschriften keine Einschätzung vorsehen oder

2. zwei oder mehr Einschätzungen nach bundesgesetzlichen Vorschriften vorliegen und keine Gesamteinschätzung vorgenommen wurde oder

3. ein Fall des § 40 Abs. 2 vorliegt.

§ 42. (1) Der Behindertenpass hat den Vornamen sowie den Familien- oder Nachnamen, das Geburtsdatum, eine allfällige Versicherungsnummer, den Wohnort und einen festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.

§ 45. (1) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.

(2) Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.

(3) In Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung hat die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.

(4) Bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß Abs. 3 hat eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter mitzuwirken. Die fachkundigen Laienrichterinnen oder Laienrichter (Ersatzmitglieder) haben für die jeweiligen Agenden die erforderliche Qualifikation (insbesondere Fachkunde im Bereich des Sozialrechts) aufzuweisen.

§ 46. Die Beschwerdefrist beträgt abweichend von den Vorschriften des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes, BGBl. I Nr. 33/2013, sechs Wochen. Die Frist zur Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung beträgt zwölf Wochen. In Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht dürfen neue Tatsachen und Beweismittel nicht vorgebracht werden.“

§ 3 der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend nähere Bestimmungen über die Feststellung des Grades der Behinderung (Einschätzungsverordnung), StF: BGBl. II Nr. 261/2010, lautet in der geltenden Fassung:

„Gesamtgrad der Behinderung

§ 3. (1) Eine Einschätzung des Gesamtgrades der Behinderung ist dann vorzunehmen, wenn mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen. Bei der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung sind die einzelnen Werte der Funktionsbeeinträchtigungen nicht zu addieren. Maßgebend sind die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander.

(2) Bei der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung ist zunächst von jener Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, für die der höchste Wert festgestellt wurde. In der Folge ist zu prüfen, ob und inwieweit dieser durch die weiteren Funktionsbeeinträchtigungen erhöht wird. Gesundheitsschädigungen mit einem Ausmaß von weniger als 20 vH sind außer Betracht zu lassen, sofern eine solche Gesundheitsschädigung im Zusammenwirken mit einer anderen Gesundheitsschädigung keine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung verursacht.

Bei Überschneidungen von Funktionsbeeinträchtigungen ist grundsätzlich vom höheren Grad der Behinderung auszugehen.

(3) Eine wechselseitige Beeinflussung der Funktionsbeeinträchtigungen, die geeignet ist, eine Erhöhung des Grades der Behinderung zu bewirken, liegt vor, wenn

- sich eine Funktionsbeeinträchtigung auf eine andere besonders nachteilig auswirkt,

- zwei oder mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen, die gemeinsam zu einer wesentlichen Funktionsbeeinträchtigung führen.

(4) Eine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung ist dann gegeben, wenn das Gesamtbild der Behinderung eine andere Beurteilung gerechtfertigt erscheinen lässt, als die einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen alleine.“

Wie oben unter Punkt II.2. im Rahmen der beweiswürdigenden Ausführungen, auf die verwiesen wird, ausgeführt wurde, wird der gegenständlichen Entscheidung das seitens der belangten Behörde eingeholte medizinische Sachverständigengutachten einer Fachärztin für Innere Medizin vom 21.07.2020 zu Grunde gelegt, wonach der Grad der Behinderung der Beschwerdeführerin aktuell 40 v.H. beträgt. Die getroffenen Einschätzungen, basierend auf einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin und auf den von der Beschwerdeführerin im Verfahren vorgelegten medizinischen Unterlagen, entsprechen den festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen.

Das medizinische Sachverständigengutachten vom 21.07.2020 ist auch nicht zu beanstanden, wenn es im Sinne des § 3 Abs. 3 und 4 der Einschätzungsverordnung eine entscheidungswesentliche ungünstige wechselseitige Leidensbeeinflussung in dem Sinne, dass sich eine Funktionsbeeinträchtigung auf eine andere besonders nachteilig auswirken würde oder mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen würden, die gemeinsam zu einer wesentlichen Funktionsbeeinträchtigung führen würden, im gegenständlichen Fall nicht gegeben sieht.

Die Beschwerdeführerin legte im Rahmen der Beschwerde - insbesondere in Bezug auf das behauptete Darmleiden - keine Befunde vor, die geeignet wären, die durch die medizinische Sachverständige getroffenen Beurteilungen zu widerlegen oder zusätzliche einschätzungsrelevante Dauerleiden bzw. eine zwischenzeitlich eingetretene Verschlechterung ihres Zustandes zu belegen. Die Beschwerdeführerin ist dem von der belangten Behörde eingeholten medizinischen Sachverständigengutachten, wie bereits erwähnt, daher nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten.

Mit einem Gesamtgrad der Behinderung von 40 v.H. sind die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses gemäß § 40 Abs. 1 BBG, wonach behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbstätigkeit von mindestens 50 v.H. ein Behindertenpass auszustellen ist, aktuell nicht erfüllt.

Im Übrigen ist aber auch darauf hinzuweisen, dass bei einer belegten Verschlechterung des Leidenszustandes die neuerliche Einschätzung des Grades der Behinderung im Rahmen einer neuerlichen Antragstellung beim Sozialministeriumservice – allerdings nach Maßgabe des § 41 Abs. 2 BBG - in Betracht kommt.

Die Beschwerde war daher spruchgemäß abzuweisen.

2. Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung

Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

Gemäß § 24 Abs. 2 VwGVG kann die Verhandlung entfallen, wenn

1. der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder

2. die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist.

Gemäß § 24 Abs. 3 VwGVG hat der Beschwerdeführer die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Den sonstigen Parteien ist Gelegenheit zu geben, binnen angemessener, zwei Wochen nicht übersteigender Frist einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden.

Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen.

Die Frage der Feststellung des Gesamtgrades der Behinderung wurde unter Mitwirkung einer ärztlichen Sachverständigen geprüft. Die Tatsachenfragen (Art und Ausmaß der Funktionseinschränkungen) gehören dem Bereich zu, der von Sachverständigen zu beleuchten ist. Der entscheidungsrelevante Sachverhalt ist vor dem Hintergrund des vorliegenden, nicht substantiiert bestrittenen schlüssigen medizinischen Sachverständigengutachtens geklärt, sodass im Sinne der Judikatur des EGMR und der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 16.12.2013, 2011/11/0180) und des Verfassungsgerichtshofes (vgl. VfGH 09.06.2017, E 1162/2017) eine mündliche Verhandlung nicht geboten war. Art. 6 EMRK bzw. Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union stehen somit dem Absehen von einer mündlichen Verhandlung gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG nicht entgegen. Im vorliegenden Fall wurde darüber hinaus seitens beider Parteien eine mündliche Verhandlung nicht beantragt (vgl. VwGH 16.12.2013, 2011/11/0180 mit weiterem Verweis auf die Entscheidung des EGMR vom 21.03.2002, Nr. 32.636/96). All dies lässt die Einschätzung zu, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten ließ und eine Entscheidung ohne vorherige Verhandlung im Beschwerdefall nicht nur mit Art. 6 EMRK und Art. 47 GRC kompatibel ist, sondern auch im Sinne des Gesetzes (§ 24 Abs. 1 VwGVG) liegt, weil damit dem Grundsatz der Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis (§ 39 Abs. 2a AVG) gedient ist, gleichzeitig aber das Interesse der materiellen Wahrheit und der Wahrung des Parteiengehörs nicht verkürzt wird.

Zu Spruchteil B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Dieser Ausspruch ist kurz zu begründen. Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung, des Weiteren ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.

Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden, noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.

Schlagworte

Behindertenpass Grad der Behinderung Sachverständigengutachten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W207.2235228.1.00

Im RIS seit

08.01.2021

Zuletzt aktualisiert am

08.01.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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