Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau und Hon.-Prof. Dr. Dehn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. ***** W*****, vertreten durch Thurnher Wittwer Pfefferkorn & Partner Rechtsanwälte GmbH in Dornbirn, gegen die beklagte Partei C***** AG, *****, vertreten durch Fellner Wratzfeld & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Rechnungslegung und Zahlung (31.000 EUR), über den Delegierungsantrag der beklagten Partei den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Antrag der beklagten Partei, zur Verhandlung und Entscheidung der Rechtssache AZ 33 Cga 69/20h des Landesgerichts Feldkirch als Arbeits- und Sozialgericht das Arbeits- und Sozialgericht Wien zu bestimmen, wird abgewiesen.
Text
Begründung:
Der Kläger ist in ***** (Vbg) wohnhaft. Sein Arbeitsort ist der Standort der Beklagten in Bregenz. Er wird von einer in Dornbirn ansässigen Rechtsanwaltskanzlei vertreten.
Der Kläger brachte in seiner beim Landesgericht Feldkirch als Arbeits- und Sozialgericht eingebrachten Stufenklage vor, bei der Beklagten sei im Jahr 2003 ein (leistungsorientiertes) Pensionskassensystem (mit unbeschränkter Nachschusspflicht) eingerichtet worden, nach dem er Anspruch auf eine Altersvorsorge mit Zielpension habe. Die Beklagte habe im Zuge der Corona-Krise angekündigt, ab Juli 2020 die Betriebspensionen zu kürzen. Die Voraussetzungen dafür lägen aber nicht vor. Die Beklagte sei verpflichtet, die Beitragsleistungen ungeschmälert weiter zu erbringen, wofür sie 1. ihm den Pensionskassenvertrag herauszugeben und darüber Rechnung zu legen habe, ob sie gegenüber der Pensionskasse einer „unbeschränkten Nachschusspflicht“ unterliege und 2. den sich aus der Rechnungslegung ergebenden entsprechenden Nachschussbetrag an die Pensionskasse zu leisten habe.
Zum Beweis seines Vorbringens bot der Kläger neben Urkunden die Einvernahme seiner Person und eines in Bregenz wohnhaften Zeugen an.
Die Beklagte beantragte die Delegierung der Rechtssache an das Arbeits- und Sozialgericht Wien. Sie habe Kenntnis von mehreren von den Kürzungen betroffenen ehemaligen Arbeitnehmern in allen Bundesländern, in denen sie Betriebsstätten habe. Der Beklagtenvertreterin sei mitgeteilt worden, dass eine Vielzahl von Klagen beim Arbeits- und Sozialgericht Wien eingebracht würde. Tatsächlich sei dort bereits ein Verfahren (AZ 5 Cga 62/20b) gegen die Beklagte bezüglich der Pensionskassenzusage anhängig, bei der bereits eine vorbereitende Tagsatzung stattgefunden habe und am 19. 11. 2020 die nächste Tagsatzung mit Zeugenvernehmungen stattfinden werde. Bei der gegenständlichen Streitsache handle es sich somit um einen Ausschnitt eines umfangreichen Geschehens im Zusammenhang mit dem Betriebspensionssystem der Beklagten. Sie habe ihren Sitz in Wien. Ihre Zeugen hätten ihren Wohnsitz in Wien und Wien Umgebung. Da nicht davon auszugehen sei, dass der Kläger sein Vorbringen auf Zeugenbeweise stützen werde, bestehe ein erhebliches Interesse beider Parteien an einer Verfahrenskonzentration in Wien.
Die Beklagte beantragte auch die Unterbrechung des Verfahrens bis zur rechtskräftigen Erledigung des Verfahrens beim Arbeits- und Sozialgericht Wien AZ 5 Cga 62/20b. Weiter verkündete sie den Bezug habenden Pensionskassen, beide mit Sitz in Wien, den Streit und führte zum Beweis ihres Vorbringens drei Zeugen mit Adressen in Wien.
Die Rechtsvertretung der Beklagten ist in Wien ansässig.
Der Kläger sprach sich gegen die Delegierung aus. Auch am Landesgericht Feldkirch als Arbeits- und Sozialgericht seien bereits mehrere Verfahren in derselben Rechtssache anhängig. Die Delegierung würde massiv seine Interessen gefährden. Ein klares überwiegendes Interesse der Beklagten an der Übertragung der Zuständigkeit sei nicht gegeben.
Das Landesgericht Feldkirch als Arbeits- und Sozialgericht bemerkte, dass sachliche Gründe sowohl für die Prozessführung vor dem erkennenden Gericht als auch für eine solche in Wien sprächen.
Rechtliche Beurteilung
Folgendes war zu erwägen:
Gemäß § 31 Abs 1 JN kann aus Gründen der Zweckmäßigkeit auf Antrag einer Partei anstelle des zuständigen Gerichts ein anderes Gericht gleicher Gattung zur Verhandlung und Entscheidung bestimmt werden. Eine Delegierung soll allerdings nur den Ausnahmefall darstellen. Keinesfalls soll durch eine zu großzügige Handhabung der Delegierungsmöglichkeiten eine faktische Durchbrechung der gesetzlichen Zuständigkeitsordnung hervorgerufen werden (stRsp; RS0046441). Aus Zweckmäßigkeitsgründen soll die Delegierung vor allem dann angeordnet werden, wenn die Übertragung der Zuständigkeit an ein anderes Gericht eine wesentliche Verkürzung, eine Kostenverringerung oder eine Erleichterung des Gerichtszugangs für die Beteiligten sowie der Amtstätigkeit zu bewirken verspricht (vgl RS0046333). Es entspricht daher der ständigen Rechtsprechung, dass die Delegierung gegen den Willen der anderen Partei nur dann auszusprechen ist, wenn die Frage der Zweckmäßigkeit eindeutig zu Gunsten aller Parteien des Verfahrens gelöst werden kann (RS0046589; RS0046324 ua).
Im vorliegenden Fall führt die Beklagte für die Delegation ein aktuelles Parallelverfahren und die Möglichkeit weiterer Parallelverfahren in Wien sowie drei in Wien zu ladende Zeugen ins Treffen. Dem steht gegenüber, dass am Landesgericht Feldkirch als Arbeits- und Sozialgericht bereits eine Reihe von Parallelverfahren anhängig ist und die Beweisführung des Klägers ua auf die Einvernahme von zwei in Vorarlberg zu ladenden Personen (Parteien- und Zeugeneinvernahme) gerichtet ist. Überdies ist zu bedenken, dass die Möglichkeit einer Beweisaufnahme im Weg der Videokonferenz besteht. Der Gesetzgeber hat eine Beweisaufnahme im Weg der Videokonferenz sogar zur unmittelbaren Beweisaufnahme erklärt (§ 277 ZPO; s auch Rechberger in Rechberger, ZPO5 § 277 Rz 2), sodass auch unter dem Aspekt des Unmittelbarkeitsgrundsatzes keine Bedenken dagegen bestehen.
Eine klare und eindeutige Zweckmäßigkeit der Verfahrensführung vor dem Arbeits- und Sozialgericht Wien nach den von der Rechtsprechung geforderten Kriterien ergibt sich aus all dem nicht.
Da eine Delegierung lediglich den Ausnahmefall bilden soll, dafür aber keine ausreichenden Umstände vorliegen, ist der Delegierungsantrag der Beklagten abzuweisen.
Textnummer
E130126European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2020:0090NC00029.20V.1103.000Im RIS seit
08.01.2021Zuletzt aktualisiert am
08.01.2021