TE Vwgh Beschluss 2020/11/9 Ra 2020/01/0370

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Veröffentlicht am 09.11.2020
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
10/11 Vereinsrecht Versammlungsrecht
19/05 Menschenrechte

Norm

B-VG Art133 Abs5
B-VG Art133 Abs6 Z2
MRK Art11 Abs2
VerG 2002 §12
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Blaschek und die Hofräte Dr. Kleiser, Dr. Fasching, Mag. Brandl und Dr. Terlitza als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Kienesberger, über die Revision der Landespolizeidirektion Salzburg gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Salzburg vom 9. Juli 2020, Zl. 405-10/849/1/4-2020, betreffend Nichtgestattung der Vereinsgründung nach § 12 Vereinsgesetz 2002 (mitbeteiligte Parteien: 1. R E in W und 2. T P in L, beide vertreten durch Dr. Brigitte Bierbaumer-Vergeiner, Rechtsanwältin in 5020 Salzburg, Georg-Wagner-Gasse 5), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Mit Bescheid der Landespolizeidirektion Salzburg (belangte Behörde, im Folgenden: Amtsrevisionswerberin) vom 5. Mai 2020 wurde die (angezeigte) Gründung des Vereins „Sochair Organization National Section D/A/CH-Office Salzburg (Menschenrechtsorganisation)“ mit dem Sitz in Salzburg gemäß § 12 iVm § 4 Abs. 2 Vereinsgesetz 2002, BGBl. I Nr. 66 (VerG), iVm Art. 11 Abs. 2 EMRK untersagt.

2        Dieser Bescheid wurde im Wesentlichen damit begründet, die Mitbeteiligten wohnten in Großbritannien und es sei nicht nachvollziehbar, wie diese als Vereinsorgane (Obmann und Obmann-Stellvertreter) den angezeigten Verein in Österreich führen wollten bzw. könnten. Daher sei davon auszugehen, dass der Verein seine Hauptverwaltung tatsächlich nicht in Salzburg führe, weshalb die Gründung des Vereins nicht gestattet werde.

3        Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde der von den Mitbeteiligten gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde gemäß § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG Folge gegeben und der Bescheid vom 5. Mai 2020 behoben (I.). Die ordentliche Revision wurde für nicht zulässig erklärt (II.)

4        Begründend führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, gemäß § 4 Abs. 2 VerG müsse der Sitz des Vereins im Inland liegen. Nach den glaubhaften Angaben der Mitbeteiligten sei am Sitz des Vereins ein Büro mit ehrenamtlichen Mitarbeitern angemietet und würden die Mitbeteiligten in regelmäßigen Abständen nach Salzburg kommen, um ihre Aufgaben als Leitungsorgane zu erledigen. Daher sei davon auszugehen, dass die Hauptverwaltung des Vereins am Sitz in Salzburg stattfinde.

5        Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision.

6        In dieser wird zu ihrer Zulässigkeit ausgeführt, es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, ob ein Verein iSd § 4 Abs. 2 VerG im Wesentlichen vom Inland aus verwaltet werde, wenn die Leitungsorgane ihren Wohnsitz in Großbritannien hätten und nur fallweise nach Österreich reisten, und ob die (näher bezeichneten) Angaben des Leitungsorgans als Nachweis für eine Hauptverwaltung iSd § 4 Abs. 2 VerG am Sitz des Vereins im Inland „gelten“ (gemeint: ausreichen) würden.

7        In den Revisionsgründen führt die Amtsrevisionswerberin näher aus, die Nichtgestattung der Vereinserrichtung sei nach rein sachlichen Gesichtspunkten erfolgt. Nach Auffassung der Amtsrevisionswerberin sei die Anmietung eines Büros (mit ehrenamtlichen Mitarbeitern) und die (nur) fallweise Anwesenheit der Leitungsorgane des Vereins für die Durchführung der Hauptverwaltung des Vereins nicht ausreichend. Vielmehr sei eine physische Anwesenheit der Leitungsorgane „essenziell“, um dafür zu sorgen, dass die Vereinsagenden ordnungs- und statutenmäßig geführt würden.

8        Das Bundesgesetz über Vereine (Vereinsgesetz 2002 - VerG), BGBl. I Nr. 66 idF BGBl. I Nr. 32/2018, lautet auszugsweise:

„... Sitz

§ 4. ...

(2) Der Sitz des Vereins muss im Inland liegen. Als Sitz ist der Ort zu bestimmen, an dem der Verein seine tatsächliche Hauptverwaltung hat.

Entstehung des Vereins

Anzeige der Vereinserrichtung

§ 11. Die Errichtung eines Vereins (§ 2 Abs. 1) ist der Vereinsbehörde von den Gründern oder den bereits bestellten organschaftlichen Vertretern unter Angabe ihres Namens, ihres Geburtsdatums, ihres Geburtsorts und ihrer für Zustellungen maßgeblichen Anschrift (§ 2 Z 4 Zustellgesetz, BGBl. Nr. 200/1982) mit einem Exemplar der vereinbarten Statuten schriftlich anzuzeigen. ...

Erklärung, dass die Vereinsgründung nicht gestattet ist

§ 12. (1) Die Vereinsbehörde hat bei Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 11 Abs. 2 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, mit Bescheid zu erklären, dass die Gründung eines Vereins nicht gestattet wird, wenn der Verein nach seinem Zweck, seinem Namen oder seiner Organisation gesetzwidrig wäre.

...“

9        Die Amtsrevision bezweckt die Klärung der Frage, ob die von der Amtsrevisionwerberin mit Bescheid vom 5. Mai 2020 ausgesprochene Nichtgestattung der Vereinsgründungentgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts gemäß § 12 Abs. 1 iVm § 4 Abs. 2 VerG zu Recht erfolgte.

10       Die Revision ist unzulässig.

11       Der Verwaltungsgerichtshofhat in seinem Beschluss vom 27. Februar 2018, Ra 2017/01/0105, auf dessen Entscheidungsgründe gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (VfGH) Folgendes klargestellt:

Die behördliche Auflösung eines Vereins selbst (§ 29 VerG) wie auch die Erklärung, dass die Vereinsgründung nicht gestattet ist (§ 12 VerG), sind Entscheidungen, die, wie die Beurteilung der Frage, ob überhaupt ein Verein iSd Art. 11 EMRK vorliegt, den Kernbereich der Vereinsfreiheit betreffen. Eingriffe sind nur zulässig, wenn sie zur Erreichung der in Art. 11 Abs. 2 EMRK genannten Ziele zwingend notwendig sind. Eine Entscheidung darüber obliegt dem VfGH. Fragen des Eingriffs in den Kernbereich der Grundrechte auf Versammlungs- und Vereinsfreiheit betreffen sohin Rechtssachen, die gemäß Art. 133 Abs. 5 B-VG von der Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes ausgeschlossen sind.

12       Zur Beurteilung der von der Amtsrevisionswerberin angenommenen Zulässigkeit der behördlichen Nichtgestattung der Vereinsgründung(§ 12 VerG) ist der Verwaltungsgerichtshof somit nicht zuständig.

13       Dass diese Frage im Wege einer Amtsrevision an den Verwaltungsgerichtshof herangetragen wurde, ändert daran nach Art. 133 Abs. 5 B-VG nichts (vgl. bereits VwGH 27.2.2018, Ra 2017/01/0105, mwN).

14       Die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichthofes, wonach der Verwaltungsgerichtshof zuständig ist, über Amtsbeschwerden, „welche objektive Rechtswidrigkeit (nicht aber Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm) von Bescheiden behaupten“, zu erkennen, selbst wenn die Rechtswidrigkeit auf der Verletzung eines verfassungsgesetzlich geschützten Rechtes beruhen sollte (vgl. VwGH 23.9.1998, 97/01/1065), ist vorliegend nicht einschlägig, da sie vor Inkrafttreten der Verwaltungsgerichtbarkeits-Novelle 2012 ergangen ist. Darüber hinaus ist auf die Rechtsprechung des VfGH hinzuweisen, nach der eine Entscheidung darüber, ob Eingriffe in den Kernbereich der Vereinsfreiheit zur Erreichung der in Art. 11 Abs. 2 EMRK genannten Ziele zwingend notwendig sind, (allein) dem VfGH obliegt (vgl. so zu § 12 VerG VfGH 8.3.2016, E 1477/2015 = VfSlg. 20.057, Rn. 17, und VfGH 26.6.2018, E 4261/2017 = VfSlg. 20.261, Rn. 15; vgl. so auch Hengstschläger, Vereins- und Versammlungsfreiheit - Ausführungs- oder Eingriffsvorbehalt, in: FS Holzinger (2017) S. 346 f).

15       Die Revision war daher in einem nach § 12 Abs. 2 VwGG gebildeten Senat gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

Wien, am 9. November 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020010370.L00

Im RIS seit

18.01.2021

Zuletzt aktualisiert am

18.01.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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