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60/03 Kollektives ArbeitsrechtNorm
Allg PensionsG 2005 §25 Abs2Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Strohmayer, die Hofrätin Dr. Julcher sowie die Hofräte Mag. Stickler, Mag. Tolar und Dr. Bodis als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Klima, LL.M., über die Revision des Arbeitsmarktservice Wien Laxenburger Straße in 1100 Wien, Laxenburger Straße 18, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 9. April 2019, W263 2210108-1/5E, betreffend Einstellung des Arbeitslosengeldes (mitbeteiligte Partei: K G in W ), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.
Begründung
1 Der Mitbeteiligte machte am 27. Jänner 2018 einen Anspruch auf Arbeitslosengeld geltend. Mit Bescheid vom 26. Februar 2018 sprach das Arbeitsmarktservice Wien Laxenburg Straße (AMS) aus, das Arbeitslosengeld des Mitbeteiligten werde ab dem 1. Februar 2018 gemäß § 22 Abs. 1 iVm. § 24 Abs. 1 AlVG eingestellt. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das AMS mit Beschwerdevorentscheidung vom 3. Mai 2018 ab.
2 Begründend führte das AMS aus, der im Juli 1953 geborene Mitbeteiligte sei bis 15. Februar 2017 bei der P GmbH beschäftigt gewesen. Wie sich aus einer Mitteilung der Pensionsversicherungsanstalt ergebe, erfülle der Mitbeteiligte die Anspruchsvoraussetzungen für eine Korridorpension aber bereits seit 1. August 2015. Im Sinn des § 22 Abs. 1 zweiter Satz AlVG ende sein Anspruch auf Arbeitslosengeld jedenfalls ein Jahr nach Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen. Der Mitbeteiligte hätte daher längstens bis 31. Juli 2016 einen Anspruch aus Arbeitslosengeld gehabt, sodass der Bezug schon deshalb einzustellen sei. Der Mitbeteiligte stellte einen Vorlageantrag.
3 Mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis hob das Bundesverwaltungsgericht die Entscheidung des AMS ersatzlos auf und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig sei.
4 Das Bundesverwaltungsgericht stellte fest, der Mitbeteiligte sei seit dem Jahr 1991 durchgehend bei der P GmbH als Arbeiter beschäftigt gewesen. Ab 16. Februar 2017 habe er Krankengeld bezogen. Das Dienstverhältnis mit der P GmbH sei schließlich zum 31. März 2017 durch einvernehmliche Auflösung beendet worden. In der Folge habe der Mitbeteiligte von 1. April 2017 bis 9. April 2017 eine Urlaubsersatzleistung bezogen. Die P GmbH habe dem Mitbeteiligten die einvernehmliche Auflösung des Dienstverhältnisses aufgrund einer Krebserkrankung des Mitbeteiligten bzw. dadurch verursachter Krankenstände nahegelegt. Mit diesem Vorschlag habe der Dienstgeber die Zusage verbunden, den Mitbeteiligten, wenn es ihm gesundheitlich besser gehe, wiedereinzustellen. In Hinblick auf seine Erkrankung und im Vertrauen auf die Zusage des Dienstgebers habe der Mitbeteiligte der einvernehmlichen Auflösung zugestimmt. Tatsächlich sei der Mitbeteiligte ab 1. März 2018 wieder von der P GmbH beschäftigt worden.
5 Grundsätzlich führe ein Anspruch auf eine Pension aus einem der Versicherungsfälle des Alters zum Ausschluss von Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung. Hinsichtlich der Korridorpension sei in § 22 Abs. 1 zweiter Satz AlVG jedoch - bei Auflösung des letzten Beschäftigungsverhältnisses durch eine der in der Bestimmung genannten Formen - für ein Jahr eine Wahlmöglichkeit zwischen Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung und der Korridorpension vorgesehen. Spätestens ein Jahr nach Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen für die Korridorpension ende somit jedenfalls der Anspruch auf Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung. Der Mitbeteiligte habe - wie sich aus der Mitteilung der Pensionsversicherungsanstalt ergebe - nach Vollendung des 62. Lebensjahres die Anspruchsvoraussetzungen für die Korridorpension „frühestens“ zum Stichtag 1. August 2015 erfüllt. Voraussetzung der Korridorpension sei jedoch - neben der erforderlichen Anzahl an erworbenen Versicherungszeiten - nach § 4 Abs. 2 APG auch, dass die bisherige mit einer Pflichtversicherung verbundene Erwerbstätigkeit aufgegeben bzw. kein die monatliche Geringfügigkeitsgrenze übersteigendes Erwerbseinkommen bezogen werde. Der Mitbeteiligte habe daher erst nach Beendigung der Pflichtversicherung aufgrund des Dienstverhältnisses zur P GmbH die Anspruchsvoraussetzungen für eine Korridorpension erfüllt, sodass entgegen den Annahmen des AMS die Jahresfrist des § 22 Abs. 1 zweiter Satz AlVG am 1. Februar 2018 noch nicht abgelaufen gewesen sei. Der vom Dienstgeber vorgeschlagenen einvernehmlichen Auflösung des Dienstverhältnisses habe der Mitbeteiligte aufgrund seiner Erkrankung sowie auch aufgrund der Zusage einer Wiedereinstellung im Fall einer Besserung des Gesundheitszustandes zugestimmt. In der gegebenen Konstellation wäre der Mitbeteiligte aufgrund seiner Krankheit nach § 82a lit. a GewO 1859 sogar zu einem Austritt berechtigt gewesen. Dem Mitbeteiligten sei daher im Sinn des § 22 Abs. 1 Z 6 lit. b AlVG eine Abstandnahme von der einvernehmlichen Auflösung unzumutbar gewesen.
6 Die Revision sei gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG als zulässig anzusehen. Es liege keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum Zeitpunkt des Beginns der einjährigen Frist nach § 22 Abs. 1 letzter Satz AlVG vor. Auch dazu, aufgrund welcher Umstände im Sinn des § 22 Abs. 1 Z 6 lit. b AlVG eine Abstandnahme von der einvernehmlichen Auflösung als unzumutbar anzusehen sei, habe sich der Verwaltungsgerichtshof noch nicht geäußert.
7 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision. Das Bundesverwaltungsgericht hat das Vorverfahren durchgeführt, in dem keine Revisionsbeantwortung erstattet wurde.
8 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
9 Die Revision ist aus den vom Bundesverwaltungsgericht genannten Gründen, auf die auch die Revision zurückkommt, zulässig. Die Revision ist jedoch im Ergebnis nicht berechtigt.
10 Vorauszuschicken ist den weiteren Erwägungen, dass das AMS nicht davon ausgegangen ist, dass die Voraussetzungen des Bezuges von Arbeitslosengeld durch den Mitbeteiligten nachträglich weggefallen wären, sondern dass es seinem Bescheid zugrunde gelegt hat, dass der Mitbeteiligte, der am 27. Jänner 2018 Arbeitslosengeld geltend gemacht hat, von vornherein nach § 22 Abs. 1 AlVG keinen Anspruch auf die Leistung gehabt habe. Inhaltlich handelt es sich daher - entgegen der Formulierung des Bescheides - nicht um eine Einstellung nach § 24 Abs. 1 AlVG, sondern um einen Widerruf des Arbeitslosengeldes nach § 24 Abs. 2 AlVG ab 1. Februar 2017. Dadurch, dass unzutreffend eine Einstellung statt eines Widerrufes ausgesprochen wurde, wurde der Mitbeteiligte aber nicht in seinen Rechten verletzt (vgl. VwGH 6.7.2011, 2008/08/0093, mwN).
11 § 22 Abs. 1 AlVG lautet:
„Arbeitslose, die eine Leistung aus einem der Versicherungsfälle des Alters aus der Pensionsversicherung nach dem Allgemeinen Pensionsgesetz (APG), BGBl. I Nr. 142/2004, dem Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz (ASVG), dem Gewerblichen Sozialversicherungsgesetz (GSVG), BGBl. Nr. 560/1978, dem Bauern-Sozialversicherungsgesetz (BSVG) oder dem Bundesgesetz über die Sozialversicherung freiberuflich selbständig Erwerbstätiger (FSVG), BGBl. Nr. 624/1978, ein Sonderruhegeld nach dem Nachtschicht-Schwerarbeitsgesetz (NSchG), BGBl. Nr. 354/1981, oder einen Ruhegenuss aus einem Dienstverhältnis zu einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft beziehen oder die Anspruchsvoraussetzungen für eine Pension aus einem der Versicherungsfälle des Alters erfüllen, haben keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld. Die Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen für den Bezug einer Korridorpension gemäß § 4 Abs. 2 APG steht dem Anspruch auf Leistungen nach diesem Bundesgesetz für den Zeitraum von einem Jahr, längstens bis zur Erreichung der Anspruchsvoraussetzungen für eine vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer, nicht entgegen, wenn die letzte Beschäftigung
1. durch Kündigung des Arbeitgebers,
2. durch berechtigten vorzeitigen Austritt,
3. durch ungerechtfertigte oder sonstige unverschuldete Entlassung,
4. durch Lösung während der Probezeit,
5. durch Fristablauf eines befristeten Arbeitsverhältnisses, wenn vor dem befristeten Arbeitsverhältnis kein unbefristetes Arbeitsverhältnis mit demselben Arbeitgeber bestand, oder
6. durch einvernehmliche Auflösung, wenn diese
a) zu einem Zeitpunkt erfolgte, zu dem darauf vertraut werden konnte, dass damit keine gegenüber anderen Lösungsarten nachteiligen Auswirkungen in der Arbeitslosenversicherung verbunden sein werden, oder
b) nachweislich unter Umständen erfolgte, welche eine Abstandnahme von der einvernehmlichen Auflösung unzumutbar machten,
beendet wurde.“
12 § 4 Abs. 2 APG hat folgenden Wortlaut:
„Abweichend von Abs. 1 kann die Alterspension bereits nach Vollendung des 62. Lebensjahres beansprucht werden (Korridorpension), wenn die versicherte Person
1. mindestens 480 für die Leistung zu berücksichtigende Versicherungsmonate nach diesem oder einem anderen Bundesgesetz erworben hat und
2. am Stichtag (§ 223 Abs. 2 ASVG) weder einer Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung auf Grund einer Erwerbstätigkeit unterliegt noch ein Erwerbseinkommen bezieht, welches das nach § 5 Abs. 2 ASVG jeweils in Betracht kommende Monatseinkommen übersteigt.“
13 Arbeitslose, die die Anspruchsvoraussetzungen für eine Pension aus einem der Versicherungsfälle des Alters erfüllen, sind nach § 22 Abs. 1 erster Satz AlVG vom Bezug der Leistung auf Arbeitslosengeld selbst dann ausgeschlossen, wenn sie - mangels Stellung eines Antrages - tatsächlich keine Pension beziehen (vgl. VwGH 19.10.2011, 2011/08/0167). Hinsichtlich der Korridorpension gemäß § 4 Abs. 2 APG ordnet § 22 Abs. 1 zweiter Satz AlVG Abweichendes an. Dadurch wird vom Gesetzgeber bewirkt, dass eine arbeitslos gewordene Person, die bereits einen Anspruch auf eine Korridorpension erworben hat, unter den genannten Bedingungen zunächst nicht gezwungen ist, zur Sicherung ihres Lebensunterhalts eine Korridorpension zu beantragen, sondern zeitlich begrenzt weiter Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung beziehen und eine Reintegration in den Arbeitsmarkt versuchen kann. Dieser unterschiedlichen Behandlung eines Anspruches auf eine Korridorpension gegenüber Ansprüchen auf andere Pensionen aus den Versicherungsfällen des Alters liegt zu Grunde, dass mit einer Korridorpension eine Verminderung der Pensionsleistung (vgl. § 5 APG) einhergeht, sodass nach der Intention des Gesetzgebers ein ökonomischer Zwang zur Antragstellung in den Fällen des § 22 Abs. 1 zweiter Satz AlVG vermieden werden soll (vgl. Rainer/Pöltner in Mosler/Müller/Pfeil (Hrsg.), SV-Komm [165. Lfg.], § 4 APG Rz 56 ff; Schrattbauer in AlV-Komm § 22 AlVG [59. Lfg.] Rz 11, mwN).
14 Im vorliegenden Fall ist nicht strittig, dass der Mitbeteiligte die Anspruchsvoraussetzungen für die Korridorpension nach § 4 Abs. 2 APG bereits bei Geltendmachung des Arbeitslosengeldes am 27. Jänner 2018 erfüllt hat. Der Anspruch auf Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung war daher auch davon abhängig, dass die letzte Beschäftigung durch eine der in § 22 Abs. 1 zweiter Satz AlVG genannten Arten geendet hat. Hinsichtlich der Auflösung des Dienstverhältnisses des Mitbeteiligten zur P GmbH kommt der Tatbestand des § 22 Abs. 1 Z 6 lit. b AlVG in Betracht, der einvernehmliche Auflösungen erfasst, die nachweislich unter Umständen erfolgt sind, welche eine Abstandnahme von der einvernehmlichen Auflösung unzumutbar gemacht haben.
15 § 22 Abs. 1 zweiter Satz AlVG erhielt seine nunmehrige Fassung durch BGBl. I Nr. 25/2011. Dem war vorausgegangen, dass der Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 16. Dezember 2010, G 74/10-7 (VfSlg. 19.282), die Vorgängerbestimmung in der Fassung BGBl. I Nr. 102/2005, in der vorgesehen gewesen war, dass bei Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen für die Korridorpension lediglich eine Beendigung des letzten Dienstverhältnisses durch Dienstgeberkündigung, berechtigten vorzeitigen Austritt, Lösung während der Probezeit und Fristablauf eines befristeten Dienstverhältnisses dem Anspruch nach dem AlVG nicht entgegen stehe, als verfassungswidrig aufgehoben hatte. Der Verfassungsgerichtshof hielt dazu fest, dass die Regelung, die nicht nach dem Verschulden des Arbeitnehmers an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses differenziere und insbesondere den Fall einer unverschuldeten Entlassung, aber etwa auch eine auf Initiative des Dienstgebers erfolgte einvernehmliche Auflösung des Dienstverhältnisses unberücksichtigt lasse, unsachlich sei und daher gegen den Gleichheitsgrundsatz verstoße.
16 In den Erläuterungen zur Regierungsvorlage (1077 BlgNR 24. GP, 17 f) zu BGBl. I Nr. 25/2011 wurde zu § 22 Abs. 1 Z 6 lit. b AlVG ausgeführt:
„Darüber hinaus soll auch die einvernehmliche Auflösung eines Arbeitsverhältnisses unter Umständen, die dem Arbeitnehmer, der die Auflösung des Arbeitsverhältnisses weder angestrebt noch verschuldet hat, eine Verweigerung derselben unzumutbar machen, gleich behandelt werden und damit die Verfassungskonformität der Regelung auch künftig gewährleistet sein. Dies wird beispielsweise dann der Fall sein, wenn eine zuvor durch den Arbeitgeber ausgesprochene Kündigung in eine einvernehmliche Auflösung umgewandelt wird, insbesondere wenn der Arbeitnehmer einer einvernehmlichen Auflösung auf Anraten der für ihn in Betracht kommenden beruflichen Interessenvertretung zum Zweck der Sicherung bestimmter Ansprüche ohne Prozessrisiko oder im Zuge eines Vergleiches zur Beendigung eines Arbeitsgerichtsverfahrens zugestimmt hat. Die Neuregelung ist erforderlich, um die leichtfertigte oder unbedachte Aufgabe einer Beschäftigung insbesondere im fortgeschrittenen Alter, in dem eine Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt auf Grund der geringen Zahl geeigneter Arbeitsangebote besonders schwierig ist, zu vermeiden. Wenn auch auf Grund des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes der bisherige ausnahmslose Ausschluss einer weiteren Bezugsmöglichkeit in der Arbeitslosenversicherung nach einvernehmlicher Auflösung eines Arbeitsverhältnisses ab Vorliegen eines Korridorpensionsanspruches nicht zulässig ist, muss die ausnahmsweise Zulassung jedenfalls auf besonders gelagerte Fälle eingeschränkt werden, weil andernfalls eine einfache Gestaltungsmöglichkeit eröffnet würde, die eine längere Bezugsdauer zu Lasten der Versichertengemeinschaft zur Folge hätte. Würde die gesetzliche Regelung bloß auf die Initiative zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber abstellen, würde im Ergebnis wohl nahezu allen eine längere Bezugsmöglichkeit eröffnet, da eine entsprechende Bestätigung zum Vorteil des ehemaligen Arbeitnehmers vom Arbeitgeber, dem dadurch keine Nachteile entstehen, kaum verweigert werden würde. Der Arbeitgeber hätte ja der einvernehmlichen Auflösung nicht zugestimmt, wenn diese mit seinen Interessen nicht zumindest vereinbar wäre. Zur Erfüllung der Voraussetzung des § 22 Abs. 1 Z 6 lit. b AlVG in der vorgeschlagenen Fassung kann daher auch die Argumentation, dass durch die einvernehmliche Auflösung einer andernfalls drohenden Kündigung vorgebeugt wurde, nicht genügen. Auch in einem solchen Fall wird der Arbeitgeber in der Regel eine entsprechende Bestätigung nicht verweigern. Eine einvernehmliche Auflösung bedeutet jedenfalls auch den Verzicht auf Schutzbestimmungen, die im Falle der (beabsichtigten) Kündigung insbesondere ältere Arbeitnehmer vor dem Verlust des Arbeitsplatzes bewahren können. Wer an der Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch Herstellung eines diesbezüglichen Einvernehmens mitwirkt, soll daher nur bei nachweislichem Vorliegen besonders außergewöhnlicher Umstände zum weiteren Bezug von Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung trotz bereits möglicher sozialer Absicherung durch einen Anspruch auf Korridorpension zugelassen werden.“
17 In der Revision wird die Ansicht vertreten, eine Abstandnahme von einer einvernehmlichen Auflösung sei im Sinn des § 22 Abs. 1 Z 6 lit. b AlVG für einen Arbeitslosen überhaupt nur dann unzumutbar, wenn der Dienstgeber eine Auflösung vorschlage und - wobei eine derartige Konstellation im vorliegenden Fall nicht hervorgekommen sei - eine Dienstgeberkündigung für den Arbeitslosen im Verhältnis zu einer einvernehmlichen Auflösung mit finanziellen Nachteilen verbunden gewesen wäre. Es darf aber nicht übersehen werden, dass nach § 22 Abs. 1 zweiter Satz AlVG in der anzuwendenden Fassung weiterhin eine Dienstgeberkündigung (Z 1) - unabhängig davon, ob der Dienstgeber dafür Gründe genannt hat - bzw. nunmehr auch eine ungerechtfertigte oder unverschuldete Entlassung (Z 3) nicht anspruchsschädlich ist. Von einem Arbeitslosen wird dabei nicht verlangt, dass er eine allenfalls bestehende Möglichkeit zur Anfechtung einer Kündigung bzw. einer ungerechtfertigten Entlassung nach §§ 105 ff ArbVG ausschöpft. Im Sinn der Ausführungen des Verfassungsgerichtshofes in seinem Erkenntnis vom 16. Dezember 2010 müsste vor diesem Hintergrund § 22 Abs. 1 Z 6 lit. b AlVG bei einer so einschränkenden Auslegung, wie sie die Revision vorschlägt, erneut als unsachlich erscheinen.
18 Nach der Absicht des Gesetzgebers sollen insgesamt nach § 22 Abs. 1 zweiter Satz AlVG Arbeitslose, die die Voraussetzungen der Korridorpension erfüllen, vom Bezug der Leistung aus der Arbeitslosenversicherung ausgeschlossen sein, wenn sie die Auflösung ihres letzten Beschäftigungsverhältnisses und damit den Eintritt der Arbeitslosigkeit selbst leichtfertig oder unbedacht herbeigeführt bzw. verschuldet haben. In diesem Sinn sind als Umstände, die nach § 22 Abs. 1 Z 6 lit. b AlVG eine Abstandnahme von der einvernehmlichen Auflösung unzumutbar gemacht haben, im Einzelfall vorliegende Gründe für die einvernehmliche Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses zu verstehen, für die der Arbeitslose nicht selbst verantwortlich ist.
19 Daher besteht insbesondere in Fällen, in denen ein Arbeitsloser die Beendigung des Dienstverhältnisses ohne zwingenden sachlichen Grund initiiert hat und aus Entgegenkommen des Dienstgebers - anstelle einer Kündigung durch den Dienstnehmer - eine einvernehmliche Auflösung vereinbart wird, kein Anspruch auf Arbeitslosengeld. Im Sinn der - an den Verfassungsgerichtshof anknüpfenden - Ausführungen in den Erläuterungen zur Regierungsvorlage und zur Vermeidung eines unsachlichen Wertungswiderspruchs liegen Umstände, die eine Abstandnahme von der einvernehmlichen Auflösung unzumutbar gemacht haben, auch dann nicht vor, wenn die in die Form einer einvernehmlichen Lösung gekleidete Beendigung des Dienstverhältnisses vom Dienstnehmer verschuldet wurde, somit der Dienstnehmer schuldhaft einen Entlassungsgrund gesetzt und der Dienstgeber als Reaktion - statt einer Entlassung - eine einvernehmliche Auflösung angeboten hat.
20 Der Tatbestand des § 22 Abs. 1 Z 6 lit. b AlVG ist im Sinn der Intention des Gesetzgebers dagegen dann erfüllt, wenn durch den Arbeitslosen nicht verschuldete Gründe vorliegen, die der Auflösung zu Grunde liegen. Dies wird zweifellos dann der Fall sein, wenn Sachverhalte gegeben sind, die den Arbeitslosen zu einem vorzeitigen Austritt berechtigt hätten (vgl. idS Schrattbauer aaO Rz 15). Darüber hinaus ist eine Abstandnahme von der einvernehmlichen Auflösung auch dann im Sinn des § 22 Abs. 1 Z 6 lit. b AlVG als unzumutbar für den Arbeitslosen anzusehen, wenn sein Arbeitgeber an ihn mit der begründeten Absicht herangetreten ist, das Dienstverhältnis aufgrund von Umständen in seiner Person, die nicht zu einer Entlassung berechtigt hätten, bzw. aufgrund von betrieblichen Erfordernissen, die gegen eine weitere Beschäftigung des Arbeitslosen gesprochen haben, zu beenden. In einem solchen Fall kann von einem Arbeitnehmer nicht verlangt werden, auf einer Kündigung durch den Dienstgeber zu bestehen, zumal sich in der Realität des Arbeitsmarktes häufig eine einvernehmliche Auflösung für sein weiteres Fortkommen günstiger als eine einseitige Auflösung durch den Dienstgeber erweisen wird (vgl. idS VwGH 12.5.1998, 96/08/0168).
21 Nach den Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichtes wurde dem Mitbeteiligten von seinem Dienstgeber die einvernehmliche Auflösung des Dienstverhältnisses in Hinblick auf seine Krebserkrankung und damit in Zusammenhang stehende Krankenstände vorgeschlagen. Dass lang andauernde Krankenstände des Mitbeteiligten vorgelegen sind, ergibt sich - auch wenn dazu ausdrückliche Feststellungen fehlen -, schon daraus, dass der Mitbeteiligte ab 16. Februar 2017 Krankengeld bezogen hat, was im Sinn des § 143 Abs. 1 Z 3 ASVG voraussetzt, dass der Anspruch auf (volle) Entgeltfortzahlung aus dem Dienstverhältnis nach § 2 EFZG bereits erschöpft war. Ob - wie vom Bundesverwaltungsgericht angenommen - der Mitbeteiligte nach § 82a lit. a GewO 1859 zum Austritt berechtigt gewesen wäre, kann dahinstehen. Es kann nämlich nicht zweifelhaft sein, dass der Wunsch des Dienstgebers zur Auflösung des Dienstverhältnisses - jedenfalls in Hinblick auf das Vorliegen von lang dauernden Krankenständen - auf sachliche in der Person des Mitbeteiligten liegende, aber von ihm nicht verschuldete Gründe gestützt war und es dem Mitbeteiligten daher im Sinn der obigen Ausführungen nicht zumutbar war, auf einer Dienstgeberkündigung zu bestehen.
22 Davon ausgehend ist zu untersuchen, ob die in § 22 Abs. 1 zweiter Satz AlVG festgelegte Frist von einem Jahr für den Bezug von Leistungen nach dem AlVG bereits ausgeschöpft war. In diesem Zusammenhang ist zunächst darauf hinzuweisen, dass § 27 Abs. 3 dritter Satz AlVG hinsichtlich des Anspruches auf Altersteilzeitgeld für Personen, die Altersteilzeit auf Grund einer Blockzeitvereinbarung leisten und die Anspruchsvoraussetzungen auf eine Korridorpension erfüllen, eine zu § 22 Abs. 1 zweiter Satz AlVG vergleichbare Regelung enthält. Zu beachten ist jedoch, dass Altersteilzeitgeld voraussetzt, dass neben dem Bezug der Leistung durch den Arbeitgeber weiterhin das Beschäftigungsverhältnis des Arbeitnehmers, für den die Leistung bezogen wird, aufrecht ist. Die Bestimmung stellt daher - wie durch die AlVG-Novelle BGBl. I Nr. 106/2015 ausdrücklich klargestellt wurde - nur auf die Voraussetzungen der Korridorpension nach § 4 Abs. 2 Z 1 AlVG ab. Die zu § 27 Abs. 3 AlVG ergangene Rechtsprechung (vgl. insoweit zur Rechtslage vor BGBl. I Nr. 106/2015 VwGH 2.5.2012, 2011/08/0382) kann daher von vornherein nicht auf § 22 Abs. 1 zweiter Satz AlVG übertragen werden.
23 § 22 Abs. 1 zweiter Satz AlVG verlangt hingegen ohne Einschränkung die Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen für den Bezug einer Korridorpension gemäß § 4 Abs. 2 APG. Es kann daher schon nach dem klaren Wortlaut der Bestimmung nicht zweifelhaft sein, dass neben den Voraussetzungen nach § 4 Abs. 2 Z 1 APG - somit dem Erreichen des 62. Lebensjahres und dem Vorliegen von mindestens 480 für die Leistung zu berücksichtigenden Versicherungsmonaten (vgl. insoweit aber auch die Übergangsbestimmungen in § 25 Abs. 2 APG) - auch die Z 2 des § 4 Abs. 2 APG erfüllt sein muss. Der Anwendungsbereich des § 22 Abs. 1 zweiter Satz AlVG ist daher überhaupt erst dann eröffnet, wenn der Arbeitslose nicht mehr der Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung auf Grund einer Erwerbstätigkeit unterliegt und kein die Geringfügigkeitsgrenze nach § 5 Abs. 2 ASVG übersteigendes Erwerbseinkommen bezieht (vgl. idS Schrattbauer aaO Rz 12).
24 Hinsichtlich des Beginns und Laufs des in § 22 Abs. 1 zweiter Satz AlVG festgelegten Zeitraums von einem Jahr, in dem die Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen nach § 4 Abs. 2 APG dem Anspruch auf Leistungen nach dem AlVG nicht entgegenstehen soll, lässt der Wortlaut der Bestimmung zwei verschiedene Auslegungsmöglichkeiten zu. Die Bestimmung könnte im Sinn der vom Bundesverwaltungsgericht vertretenen Auffassung so interpretiert werden, dass Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung nur in einer (starren) Zeitspanne eines Jahres ab erstmaliger Erfüllung der Voraussetzungen für die Korridorpension nach § 4 Abs. 2 APG zustünden (so offensichtlich auch Sdoutz/Zechner, Arbeitslosenversicherungsgesetz [17. Lfg.] § 22 Rz 485). Andererseits kann § 22 Abs. 1 zweiter Satz AlVG so verstanden werden, dass mit der Wendung „für den Zeitraum von einem Jahr“ die Dauer des Bezuges von Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung angesprochen wird.
25 Dies ist vor allem vor dem Hintergrund von Bedeutung, dass nur eine Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung auf Grund einer Erwerbstätigkeit dem Eintritt der Voraussetzungen der Korridorpension nach § 4 Abs. 2 APG entgegensteht. Dagegen hindert das Bestehen einer Teilversicherung in der Pensionsversicherung nach § 8 Abs. 1 Z 2 ASVG - etwa durch den Bezug von Krankengeld - den Anspruch auf eine Korridorpension nicht. Gleiches gilt für vor dem 1. Jänner 1955 geborene Personen hinsichtlich des Vorliegens von Ersatzzeiten (vgl. Rainer/Pöltner aaO, Rn. 52; ErlRV 653 BlgNR 22. GP 8). Auch der Bezug einer Ersatzleistung für Urlaubsentgelt steht nach § 4 Abs. 6 Z 5 APG dem Anspruch auf die Korridorpension nicht entgegen.
26 In manchen Fällen besteht somit zum Zeitpunkt des Endes der Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung auf Grund einer Erwerbstätigkeit, mit dem die Voraussetzungen der Korridorpension nach § 4 Abs. 2 APG erfüllt werden, zunächst kein Anspruch auf eine Leistung aus der Arbeitslosenversicherung und vergeht somit zwischen dem (erstmaligen) Eintritt der Voraussetzungen nach § 4 Abs. 2 APG und der Möglichkeit, Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung zu beziehen, Zeit. Dies trifft insbesondere dann zu, wenn - wie im vorliegenden Fall - zunächst Krankengeld (vgl. § 16 Abs. 1 Z 1 lit. a AlVG) bzw. eine Ersatzleistung für Urlaubsentgelt (vgl. § 16 Abs. 1 Z 1 lit. l AlVG) bezogen wird. Eine Sichtweise, wonach der Anspruch auf Arbeitslosengeld nach § 22 Abs. 1 zweiter Satz AlVG nur in einer (starren) Zeitspanne eines Jahres ab erstmaliger Erfüllung der Voraussetzungen für die Korridorpension gewahrt bliebe, würde daher in diesen Fällen dazu führen, dass ein nach dieser Bestimmung eingeräumter Anspruch auf Arbeitslosengeld schließlich nur mehr für einen ein Jahr unterschreitenden Zeitraum bzw. allenfalls - etwa bei einem an den Eintritt der Arbeitslosigkeit anschließenden Bezug von Krankengeld in der Dauer von 52 Wochen (vgl. § 139 ASVG) - überhaupt nicht mehr zustünde. Ein solches Ergebnis befände sich aber mit der Intention des Gesetzgebers, Personen, die ihre Arbeitslosigkeit nicht selbst herbeigeführt bzw. verschuldet haben, keinen ökonomischen Zwang zur Stellung eines Antrages auf Korridorpension aufzuerlegen, sondern zunächst die Möglichkeit einzuräumen, zeitlich begrenzt weiter Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung zu beziehen und eine Reintegration in den Arbeitsmarkt zu versuchen, in einem Spannungsverhältnis.
27 Auch sind Fälle möglich, in denen Versicherte zunächst nach Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen für die Korridorpension für weniger als ein Jahr im Sinn des § 22 Abs. 1 Z 1 bis 6 AlVG Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung beziehen und danach wieder ein Beschäftigungsverhältnis aufnehmen. Wird das aufgenommene Beschäftigungsverhältnis in der Folge erneut durch eine der in § 22 Abs. 1 Z 1 bis 6 AlVG genannten Formen beendet, ist keine sachliche Rechtfertigung dafür ersichtlich, dass die mit dieser Bestimmung eingeräumte Wahlmöglichkeit zwischen dem Bezug des Arbeitslosengeldes und der Korridorpension dadurch, dass zumindest vorübergehend eine Integration in den Arbeitsmarkt erneut gelungen ist, vernichtet bzw. zumindest die Zeitdauer des Bezuges verkürzt werden sollte.
28 Vor diesem Hintergrund legt die Intention des § 22 Abs. 1 zweiter Satz AlVG nahe, dass mit der Wortfolge „für den Zeitraum von einem Jahr“ die Dauer des Bezuges angesprochen wird. Die einjährige Frist des § 22 Abs. 1 zweiter Satz AlVG ist daher so zu verstehen, dass der Bezug von Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung für eine Dauer eines Jahres trotz gleichzeitigen Vorliegens der Anspruchsvoraussetzungen für die Korridorpension zulässig sein soll (vgl. idS im Ergebnis Schrattbauer aaO Rz 12).
29 Das Bundesverwaltungsgericht ist somit im Ergebnis zutreffend davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen für eine Einstellung des Arbeitslosengeldes des Mitbeteiligten nicht erfüllt waren. Die Revision war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Wien, am 9. Dezember 2020
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RO2019080012.J00Im RIS seit
15.02.2021Zuletzt aktualisiert am
15.02.2021