TE Vwgh Beschluss 2020/12/9 Ra 2020/20/0387

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Veröffentlicht am 09.12.2020
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §8 Abs1
B-VG Art133 Abs4
MRK Art3
MRK Art8
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth, den Hofrat Mag. Eder und die Hofrätin Mag. Rossmeisel als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Gnilsen, in der Rechtssache der Revision des S M H, vertreten durch die Oberhammer Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Karlsplatz 3/1, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. September 2020, Zl. W241 2194827-1/11E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger von Pakistan, stellte am 30. April 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005).

2        Mit Bescheid vom 10. April 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Revisionswerbers auf internationalen Schutz ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Pakistan zulässig sei und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.

3        Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit dem angefochtenen Erkenntnis nach Durchführung einer Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Erhebung einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

4        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

5        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

6        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

7        Die Revision - die sich gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten und die davon abhängenden Spruchpunkte richtet - bringt zu ihrer Zulässigkeit vor, das Bundesverwaltungsgericht habe seiner Entscheidung keine aktuellen Länderberichte zur Behandlung psychisch kranker Personen in Pakistan zugrunde gelegt. Hätte es die aktuelle Anfragebeantwortung vom 30. April 2020 zur Lage von Personen mit psychischen Erkrankungen in Pakistan (anstatt derjenigen aus dem Jahr 2016) herangezogen, hätte es feststellen müssen, dass nur fünf von der Regierung betriebene psychiatrische Spitäler zur Verfügung stünden und weniger als 300 qualifizierte Psychiaterinnen praktizierten. Es hätten die Lage der Verbreitung von SARS-CoV-2 und die Auswirkungen auf das pakistanische Gesundheitssystem berücksichtigt werden müssen; zudem ergebe sich aus einem aktuellen Bericht des britischen Außenministeriums, dass ein vom Revisionswerber benötigtes Medikament (Circadin) in Pakistan nicht erhältlich sei.

8        Werden Verfahrensmängel - wie hier Feststellungsmängel - als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, so muss auch schon in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung die Relevanz dieser Verfahrensmängel, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden. Dies setzt voraus, dass - auch in der gesonderten Begründung für die Zulässigkeit der Revision zumindest auf das Wesentliche zusammengefasst - jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des Verfahrensfehlers als erwiesen ergeben hätten (vgl. VwGH 5.10.2020, Ra 2020/20/0329, mwN).

9        Abgesehen davon, dass das Bundesverwaltungsgericht die von der Revision vermissten, als aktuell bezeichneten Feststellungen zur Verfügbarkeit von psychiatrischen Spitälern und Psychiatern in Pakistan ohnehin wortgleich aufgrund der herangezogenen Anfragebeantwortung aus dem Jahr 2016 getroffen hat (S. 44 der angefochtenen Entscheidung) und es somit keine entscheidungswesentlichen Änderungen in der Versorgungslage gegeben hat, wird auch mit dem insgesamt allgemein gehaltenen Vorbringen zur „Covid-19-Situation“, das keinen konkreten Bezug zum Revisionswerber aufweist, den Anforderungen an eine nachvollziehbare Relevanzdarstellung nicht entsprochen (zum Erfordernis der Relevanzdarstellung siehe auch VwGH 5.8.2020, Ra 2020/20/0234, mwN).

10       Die Revision wendet sich in ihrer Zulässigkeitsbegründung auch gegen die Annahme des Bundesverwaltungsgerichts, dem Revisionswerber stehe eine innerstaatliche Fluchtalternative in näher genannten pakistanischen Städten, deren Inanspruchnahme ihm auch zumutbar sei, offen. Das Verwaltungsgericht habe es unterlassen, die persönlichen Umstände des Revisionswerbers und den tatsächlichen Zugang zur medizinischen Behandlung zu berücksichtigen. Dadurch habe es übersehen, dass der Revisionswerber aufgrund seiner psychischen Erkrankung zu einer vulnerablen Personengruppe gehöre. Mangels Berufserfahrung gebe es für ihn keine Aussicht, auf dem Arbeitsmarkt unterzukommen. Eine Unterstützung durch seinen Vater sei nicht zu erwarten. Die vom Revisionswerber benötigte psychiatrische Behandlung sei nach den Länderinformationen nur mit erheblichem finanziellen Aufwand verfügbar. Ohne Zugang zu einer Therapie werde er Gefahr laufen, in eine ausweglose Lage zu geraten.

11       Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs hat die Frage der Sicherheit des Asylwerbers in dem als innerstaatliche Fluchtalternative geprüften Gebiet des Herkunftsstaates wesentliche Bedeutung. Es muss mit ausreichender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden können, dass der Asylwerber in diesem Gebiet Schutz vor asylrechtlich relevanter Verfolgung und vor Bedingungen, die nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 die Gewährung von subsidiärem Schutz rechtfertigten, findet. Sind diese Voraussetzungen zu bejahen, so wird dem Asylwerber unter dem Aspekt der Sicherheit regelmäßig auch die Inanspruchnahme der innerstaatlichen Fluchtalternative zuzumuten sein. Um von einer zumutbaren innerstaatlichen Fluchtalternative sprechen zu können, reicht es aber nicht aus, dem Asylwerber entgegen zu halten, dass er in diesem Gebiet keine Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu erwarten hat. Es muss ihm vielmehr möglich sein, im Gebiet der innerstaatlichen Fluchtalternative nach allfälligen anfänglichen Schwierigkeiten Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können. Ob dies der Fall ist, erfordert eine Beurteilung der allgemeinen Gegebenheiten im Herkunftsstaat und der persönlichen Umstände des Asylwerbers. Es handelt sich letztlich um eine Entscheidung im Einzelfall, die auf der Grundlage ausreichender Feststellungen über die zu erwartende Lage des Asylwerbers in dem in Frage kommenden Gebiet sowie dessen sichere und legale Erreichbarkeit getroffen werden muss (vgl. zum Ganzen VwGH 31.10.2019, Ra 2019/20/0309, mwN).

12       Weiters hat nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes im Allgemeinen kein Fremder ein Recht, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, allerdings muss der Betroffene auch tatsächlich Zugang zur notwendigen Behandlung haben, wobei die Kosten der Behandlung und Medikamente, das Bestehen eines sozialen und familiären Netzwerks und die für den Zugang zur Versorgung zurückzulegende Entfernung zu berücksichtigen sind. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt die Abschiebung zu einer Verletzung von Art. 3 EMRK. Solche liegen jedenfalls vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben, aber bereits auch dann, wenn stichhaltige Gründe dargelegt werden, dass eine schwerkranke Person mit einem realen Risiko konfrontiert würde, wegen des Fehlens angemessener Behandlung im Zielstaat der Abschiebung oder des fehlenden Zugangs zu einer solchen Behandlung einer ernsten, raschen und unwiederbringlichen Verschlechterung ihres Gesundheitszustands ausgesetzt zu sein, die zu intensivem Leiden oder einer erheblichen Verkürzung der Lebenserwartung führt (vgl. VwGH 3.7.2020, Ra 2020/14/0255; 7.9.2020, Ra 2020/20/0314, mwN).

13       Das Bundesverwaltungsgericht legte fallbezogen seiner Beurteilung der Zumutbarkeit der Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative zu Grunde, dass es sich beim Revisionswerber um einen jungen, arbeitsfähigen Mann mit Berufserfahrung handle, der mit den kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates vertraut sei, in Pakistan über ein familiäres und soziales Netzwerk verfüge und dessen Angehörige ihn bei einer Rückkehr finanziell unterstützen könnten. In Bezug auf die Erkrankungen des Revisionswerbers stellte das Bundesverwaltungsgericht fest, der Revisionswerber leide an einer mittelgradig depressiven Episode, Insomnie und somatoformen Schmerzstörung und werde medikamentös behandelt. Zudem bestehe bei ihm der Verdacht einer posttraumatischen Belastungsstörung. Hinweise auf eine lebensbedrohliche Krankheit bestünden jedoch keine. Unter Zugrundelegung der Länderfeststellungen und einer Anfragebeantwortung der Staatendokumentation betreffend die Behandlung psychischer Erkrankungen sei in Pakistan die Behandlung der Krankheitsbilder des Revisionswerbers möglich und zugänglich.

14       Wenn die Revision von mangelndem Zugang zu psychiatrischer Behandlung, mangelnder Arbeitsfähigkeit und fehlender Berufserfahrung des Revisionswerbers sowie fehlender finanziellen Unterstützung durch den Vater spricht, findet diese Einschätzung in den Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichts, die wiederum auf den vorgelegten medizinischen Unterlagen (zur Krankheit) und auf den Angaben des Revisionswerbers selbst (zur Arbeitsfähigkeit und Berufserfahrung sowie den familiären Anknüpfungspunkten) beruhen, keine Deckung.

15       Das erstmals in der Revision erstattete Vorbringen, ein vom Revisionswerber benötigtes Medikament sei in Pakistan nicht verfügbar und ohne Zugang zu dieser Therapie würde er in eine ausweglose Situation geraten, die zu einer erheblichen Suizidgefahr führen würde, verstößt gegen das im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof gemäß § 41 VwGG zu beachtende Neuerungsverbot.

16       Es gelingt der Revision sohin nicht darzulegen, dass die Einschätzung des Bundesverwaltungsgerichts, wonach die Erkrankungen des Revisionswerbers keine derartige Schwere aufwiesen, dass es im Fall seiner Rückführung nach Pakistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu einer Verletzung des Art. 3 EMRK kommen werde und ihm auch die Inanspruchnahme der innerstaatlichen Fluchtalternative zumutbar sei, an einer vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifenden Mangelhaftigkeit litte (vgl. VwGH 21.1.2020, Ra 2018/14/0440, mwN).

17       Soweit die Revision schließlich die vom Bundesverwaltungsgericht im Sinn des Art. 8 EMRK vorgenommene Interessenabwägung beanstandet und einen Begründungsmangel darin sieht, dass sich das Verwaltungsgericht nicht mit dem Inhalt der vom Revisionswerber vorgelegten Empfehlungs- und Integrationsschreiben auseinandergesetzt habe, ist darauf hinzuweisen, dass die bei der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommene Interessenabwägung im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgt und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen worden ist - nicht revisibel ist (vgl. VwGH 16.10.2020, Ra 2020/20/0344, mwN).

18       Das Bundesverwaltungsgericht berücksichtigte in seiner Entscheidung zum einen die zur Integration gesetzten Schritte des Revisionswerbers, insbesondere seine Kontakte zu österreichischen Familien und sein ehrenamtliches Engagement, maß diesen aber insgesamt keine über das übliche Maß hinausgehende Bedeutung zu und zum anderen führte es ins Treffen, dass er Grundversorgung beziehe sowie bloß rudimentäre Deutschkenntnisse erworben habe. Zudem bezog das Bundesverwaltungsgericht zulasten des Revisionswerbers ein, dass er sich seines stets unsicheren Aufenthaltsstatus habe bewusst sein müssen, wodurch die integrationsbegründenden Schritte maßgeblich relativiert würden (vgl. dazu auch VwGH 7.10.2020, Ra 2020/14/0333, mwN).

19       Die Revision zeigt nicht auf, dass die Beurteilung des Bundesverwaltungsgerichtes, die öffentlichen Interessen an der Wahrung eines geordneten Fremden- und Aufenthaltswesens überwögen im konkreten Fall die privaten Interessen des Revisionswerbers, unvertretbar wäre. Letztlich legt die Revision auch die Relevanz der Nichtbeachtung der Empfehlungs- und Integrationsschreiben nicht dar und macht nicht deutlich, inwieweit diese die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Gewichtung der einbezogenen Umstände maßgeblich beeinflussen hätten können.

20       In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 9. Dezember 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020200387.L00

Im RIS seit

18.01.2021

Zuletzt aktualisiert am

18.01.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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