TE Vwgh Beschluss 2020/12/9 Ra 2016/08/0059

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Veröffentlicht am 09.12.2020
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren
66/02 Andere Sozialversicherungsgesetze
67 Versorgungsrecht

Norm

AVG §56
BMSVG 2002 §49 Abs2
BMSVG 2002 §52 Abs1
BMSVG 2002 §52 Abs2
B-VG Art133 Abs4
GSVG 1978 §35
GSVG 1978 §35 Abs1
GSVG 1978 §37 Abs1
GSVG 1978 §37 Abs2
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1
VwGVG 2014 §28 Abs1
VwRallg

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Strohmayer sowie die Hofrätin Dr. Julcher und den Hofrat Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Klima, LL.M., über die Revision des Dipl.Ing. P S in W, vertreten durch Dr. Michael Meyenburg, Rechtsanwalt in 1060 Wien, Linke Wienzeile 4/2/2, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. Jänner 2016, W198 2014735-1/12E, betreffend Beiträge nach dem GSVG und dem BMSVG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1. Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichts die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung nicht einheitlich beantwortet wird.

Gemäß § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

Gemäß § 34 Abs. 1a VwGG ist die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

2. Was den Inhalt und bisherigen Verlauf des Verfahrens betrifft, so wird auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs vom 24. April 2014, Ro 2014/08/0013, verwiesen.

Mit diesem Erkenntnis wurde der Revision des Revisionswerbers gegen den Bescheid des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz vom 22. November 2013 betreffend die Zurückweisung von Anträgen des Revisionswerbers zu - in den Jahren 2009 bis 2011 von der belangten Behörde ausgestellten - Rückstandsausweisen und Vollstreckbarkeitsbestätigungen teilweise Folge gegeben und der angefochtene Bescheid, soweit damit die Anträge auf „Richtigstellung“ der Rückstandsausweise und Vollstreckbarkeitsbestätigungen (sohin die inhaltlichen Einwendungen gegen die ausgewiesenen Beitragsrückstände) als unzulässig zurückgewiesen wurden, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben. Im Übrigen wurde, soweit mit dem bekämpften Bescheid die weiteren Anträge auf Zustellung der Rückstandsausweise und Vollstreckbarkeitsbestätigungen, auf Erstattung der Exekutionskosten und auf bescheidmäßige Zuweisung zu einer Betrieblichen Vorsorgekasse (BV-Kasse) zurückgewiesen wurden, die Revision als unbegründet abgewiesen.

3.1. Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis sprach das Verwaltungsgericht im fortgesetzten Verfahren aus, dass die - mit dem Ausgangsbescheid des Landeshauptmanns von Wien vom 8. Jänner 2013 erfolgte - Zurückweisung der Anträge auf „Richtigstellung“ der Rückstandsausweise und Vollstreckbarkeitsbestätigungen behoben und (statt dessen) die Verpflichtung des Revisionswerbers zur Zahlung des per 22. Jänner 2011 aushaftenden Saldos an rückständigen Beiträgen inklusive Zinsen und Nebengebühren von € 2.286,65 festgestellt werde.

Das Verwaltungsgericht führte begründend im Wesentlichen aus, nach den Vorgaben des Verwaltungsgerichtshofs im Erkenntnis Ro 2014/08/0013 seien auf Grund der inhaltlichen Einwendungen des Revisionswerbers gegen die Rückstandsausweise sämtliche von der belangten Behörde geltend gemachten Forderungen den geleisteten Zahlungen unter nachvollziehbarer Darlegung der Widmungen in der Art eines Abrechnungsbescheids gegenüberzustellen, und es sei auf dieser Basis der offene Saldo zu berechnen. Bei Umsetzung dieser Vorgaben im fortgesetzten Verfahren ergebe sich auf Grund der Daten der Einkommensteuerbescheide, der darauf beruhenden Beitragsgrundlagen, der daraus resultierenden Beiträge (zur Kranken-, Pensions- und Unfallversicherung nach dem GSVG sowie zur Selbständigenvorsorge nach dem BMSVG) und der aufgelaufenen Verzugszinsen sowie Nebengebühren unter Berücksichtigung der geleisteten Teilzahlungen ein offener Saldo per 22. Jänner 2011 von € 2.286,65, in Ansehung dessen die Zahlungspflicht des Revisionswerbers auszusprechen sei.

3.2. Das Verwaltungsgericht führte ferner aus, dass die Revision nicht zulässig sei.

4. Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die außerordentliche Revision, in deren Zulässigkeitsbegründung ein Abweichen von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs bzw. das Fehlen einer solchen Rechtsprechung in den nachfolgend näher erörterten Punkten behauptet wird. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG wird jedoch nicht aufgezeigt.

5.1. Der Revisionswerber macht geltend, das Erkenntnis werde insofern angefochten, als der Ausgangsbescheid des Landeshauptmanns von Wien vom 8. Jänner 2013 „nur eingeschränkt“ bzw. „nicht zur Gänze behoben“ worden sei.

5.2. Der Verwaltungsgerichtshof hat mit dem Erkenntnis Ro 2014/08/0013 den dort angefochtenen Bescheid des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz insoweit aufgehoben, als damit die erstinstanzliche Zurückweisung der Anträge betreffend „Richtigstellung“ der Rückstandsausweise und Vollstreckbarkeitsbestätigungen (sohin die inhaltlichen Einwendungen gegen die ausgewiesenen Beitragsrückstände) bestätigt worden war. In Ansehung der Bestätigung der Zurückweisung von weiteren Anträgen wurde die Revision hingegen als unbegründet abgewiesen.

Das fortgesetzte Verfahren ist daher auf den Gegenstand der Aufhebung durch den Verwaltungsgerichtshof - mithin die Anträge betreffend „Richtigstellung“ der Rückstandsausweise und Vollstreckbarkeitsbestätigungen - beschränkt. Nur insoweit konnte das Verwaltungsgericht in der Sache selbst entscheiden. Im Übrigen liegt ein bereits rechtskräftig abgeschlossenes Verfahren vor und ist auf Grund des Wiederholungsverbots bzw. des Prozesshindernisses der res iudicata eine neuerliche Entscheidung nicht zulässig (vgl. VwGH 24.5.2016, Ra 2016/03/0050).

6.1. Der Revisionswerber führt unter dem Gesichtspunkt einer Mangelhaftigkeit des Verfahrens aus, das Verwaltungsgericht hätte seinen Anträgen auf Beischaffung weiterer Auskünfte und Unterlagen der belangten Behörde entsprechen müssen.

6.2. Die Zulässigkeit der Revision setzt bei einem behaupteten Verfahrensmangel (unter anderem) voraus, dass die Relevanz des Mangels für den Verfahrensausgang - im Sinn seiner Eignung, bei einem mängelfreien Verfahren zu einer für den Revisionswerber günstigeren Sachverhaltsgrundlage zu gelangen - bereits im Zulässigkeitsvorbringen dargetan wird (vgl. VwGH 24.11.2016, Ra 2015/08/0194; 27.12.2019, Ra 2017/22/0171).

Vorliegend ist der Zulässigkeitsbegründung eine Relevanzdarstellung im soeben aufgezeigten Sinn nicht zu entnehmen, wird doch in keiner Weise dargelegt, welche weiteren Auskünfte und Unterlagen beizuschaffen gewesen wären und inwiefern sich daraus eine für den Revisionswerber günstigere Entscheidung ergeben hätte. Der relevierte Mangel ist schon deshalb nicht geeignet, die Zulässigkeit der Revision zu begründen.

7.1. Der Revisionswerber moniert, das Verwaltungsgericht habe - entgegen den Vorgaben des Verwaltungsgerichtshofs im Erkenntnis Ro 2014/08/0013 - nicht die mit den Rückstandsausweisen samt Vollstreckbarkeitsbestätigungen betriebenen Forderungen und die darauf geleisteten Zahlungen unter nachvollziehbarer Darlegung der Zahlungswidmungen (analog §§ 1415 f ABGB) in der Art eines Abrechnungsbescheids gegenübergestellt und auf Basis dessen die offenen Beträge berechnet.

7.2. Das Verwaltungsgericht ist den soeben wiedergegebenen Vorgaben des Verwaltungsgerichtshofs jedenfalls hinreichend nachgekommen, indem es mit ausführlicher und schlüssiger Begründung auf Basis der Daten der Einkommensteuerbescheide, der darauf beruhenden Beitragsgrundlagen, der daraus resultierenden Beiträge samt aufgelaufenen Verzugszinsen und Nebengebühren sowie abzüglich der vom Revisionswerber fortlaufend geleisteten Teilzahlungen in der Art eines Abrechnungsbescheids den im betreffenden Zeitpunkt (per 22. Jänner 2011) offenen Saldo ermittelte.

Inwiefern den diesbezüglichen Ausführungen ein als Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufzugreifender Mangel anhaften sollte, wird vom Revisionswerber nicht im Ansatz dargelegt und ist auch nicht zu sehen.

7.3. Was die Zahlungswidmungen betrifft, so konnte eine diesbezügliche Darlegung unterbleiben. Nach der (Sonder)Bestimmung des § 35 Abs. 1 letzter Satz GSVG sind nämlich Teilzahlungen anteilsmäßig und bei Beitragsrückständen auf den jeweils ältesten Rückstand anzurechnen. Im Hinblick darauf ist für den Bereich des GSVG weder eine Widmung von Beitragszahlungen in der Form, dass etwa nur Pensions- oder Krankenversicherungsbeiträge bezahlt werden sollten, noch eine von der Anrechnungsregel des § 35 Abs. 1 letzter Satz GSVG abweichende Widmung von Teilzahlungen bei Beitragsrückständen möglich (vgl. OGH 30.4.2002, 10 ObS 91/02h, mwN; SVSlg. 54.338 [OLG Linz]).

Fallbezogen begegnet somit auch die - entgegen den Widmungen des Revisionswerbers vorgenommene - Anrechnung der Teilzahlungen auf die jeweils ältesten Beitragsrückstände keinen Bedenken.

8.1. Der Revisionswerber macht geltend, das Verwaltungsgericht habe es unterlassen, die beeinspruchten Rückstandsausweise jeweils im Einzelnen darzustellen und über die darin ausgewiesenen Beträge jeweils (gesondert) abzusprechen.

8.2. Ein Rückstandsausweis ist kein Bescheid, sondern nur ein „Auszug aus den Rechnungsbehelfen“, mit dem die Behörde eine sich bereits aus dem Gesetz oder aus früher erlassenen Bescheiden ergebende Zahlungsverbindlichkeit bekannt gibt (vgl. VwGH 15.5.2013, 2012/08/0020; 1.3.2017, Ra 2016/03/0096). Werden dagegen Einwendungen erhoben, so ist über den offenen Anspruch selbst - und nicht über die Rechtmäßigkeit des Rückstandsausweises, die kein zulässiger Entscheidungsgegenstand ist (vgl. VwGH 19.12.2018, Ra 2016/06/0109) - in einem ordentlichen Verwaltungsverfahren abzusprechen (vgl. VwGH 1.4.2009, 2006/08/0205; 13.8.2013, 2011/08/0344).

Im Hinblick darauf begegnet es fallbezogen keinen Bedenken, wenn das Verwaltungsgericht die Rückstandsausweise nicht im Einzelnen dargestellt und über die ausgewiesenen Beträge nicht (gesondert) abgesprochen hat, geht es doch nicht um die Rechtmäßigkeit der Rückstandsausweise, sondern um die Berechtigung des zugrunde liegenden Anspruchs selbst. In Bezug auf diesen hat das Verwaltungsgericht aber eine eingehende Beurteilung vorgenommen, die mit keinem als Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufzugreifenden Fehler behaftet ist (vgl. bereits Punkt 7.).

8.3. Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass fallbezogen die Anspruchsdarstellung in den Entscheidungsgründen (samt den integrierten Beilagen) jedenfalls so detailliert ist, dass die Rückstandsentwicklung im Betrachtungszeitraum jederzeit (insbesondere auch zum jeweiligen Zeitpunkt der Ausstellung der Rückstandsausweise) ersehen werden kann. Ein Interesse des Revisionswerbers an einer weitergehenden Klärung wurde nicht dargelegt und ist - auch mit Blick auf die auf Grund der Rückstandsausweise geführten Exekutionsverfahren - nicht zu sehen.

9.1. Der Revisionswerber moniert, das Verwaltungsgericht hätte auf die Selbständigenvorsorge nach dem BMSVG näher eingehen müssen. Insbesondere fehle Rechtsprechung, inwieweit die belangte Behörde auch derartige Beiträge in einen Rückstandsausweis aufnehmen und für eine BV-Kasse eintreiben dürfe.

9.2. Das BMSVG enthält in seinem 4. Teil (§§ 49 ff) Bestimmungen über die Selbständigenvorsorge für Personen, die der Pflichtversicherung in der Krankenversicherung nach dem GSVG unterliegen. Die Vorschriften über die Verpflichtung zur Beitragsleistung finden sich insbesondere in den §§ 49 Abs. 2, 52 BMSVG.

Nach § 52 Abs. 1 BMSVG hat der Anwartschaftsberechtigte für die Dauer der Pflichtversicherung in der Krankenversicherung nach dem GSVG monatliche Beiträge von 1,53 vH der Beitragsgrundlage zu leisten. § 52 Abs. 2 BMSVG sieht (unter anderem) vor, dass die Beiträge von der belangten Behörde im übertragenen Wirkungsbereich nach § 35 GSVG vorzuschreiben und an die BV-Kasse zu überweisen sind, sowie dass für die Einziehung und Eintreibung die diesbezüglichen Regelungen nach dem GSVG gelten.

Gemäß § 37 Abs. 1 GSVG ist dem Versicherungsträger zur Eintreibung der Beiträge die Einbringung im Verwaltungsweg gewährt. Nach § 37 Abs. 2 GSVG hat der Versicherungsträger - nach vorangehender Mahnung (Abs. 3) - zur Eintreibung nicht rechtzeitig entrichteter Beiträge einen Rückstandsausweis auszustellen, der einen Exekutionstitel darstellt. Im Rückstandsausweis können die Beiträge zur Kranken-, Unfall-, Pensions- und Arbeitslosenversicherung und auch zur Selbständigenvorsorge einheitlich ausgewiesen werden.

9.3. Nach der soeben aufgezeigten Rechtslage hat die belangte Behörde im übertragenen Wirkungsbereich die Beiträge zur Selbständigenvorsorge nach dem BMSVG festzustellen, vorzuschreiben, unter allfälliger Ausstellung von Rückstandsausweisen einzubringen und letztlich an die betreffende BV-Kasse zu überweisen.

Schon im Hinblick auf die eindeutige Rechtslage liegt keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung vor, selbst wenn noch keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ergangen ist (vgl. VwGH 7.4.2016, Ra 2015/08/0198).

10. Insgesamt werden daher in der Zulässigkeitsbegründung keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war deshalb zurückzuweisen.

Wien, am 9. Dezember 2020

Schlagworte

Bescheidbegriff Mangelnder Bescheidcharakter Belehrungen Mitteilungen Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtswirkungen von Bescheiden Rechtskraft VwRallg9/3

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2016080059.L00

Im RIS seit

15.02.2021

Zuletzt aktualisiert am

15.02.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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